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Inhalt Kapitel 2 homepage Josef de Vries Grundfragen der Erkenntnis, Verl. Johannes Berchmans München 1980 ISBN 3-87056-025-8 zu den Fußnoten Kap.1 zum Text Kap.1 + Inhalt (+:durch Anklicken aufklappbar, zuklappen durch erneutes Klicken) VII Abkürzungen a.: articulus, Artikel (bei Thomas v. Aquin Teil einer »quaestio«) A (bei Kants »Kritik der reinen Vernunft«): 1. Ausgabe von 1781 ad 1: ad primum, Antwort auf den ersten Gegengrund bzw. Einwand Anal. post.: Analytica posteriora, Zweite Analytik des Aristoteles B (bei Kants »Kritik der reinen Vernunft««): 2. Ausgabe von 1787 c: caput, Kapitel CSEL: Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum, Sammlung der lateinischen christlichen Schriftsteller, herausgegeben von der Wiener Akademie der Wissenschaften d. (beim Sentenzenkommentar des Thomas v. Aquin): distinctio, Unterteil der einzelnen Bücher d. (bei Suárez): disputatio De civ. Dei: De civitate Dei (»Vom Gottesstaat««) des Augustinus D Denzinger-Schönmetzer: Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, Handbuch von Dokumenten zur kirchlichen Lehre, ed. 32, Freiburg 1963 Diels, Fragmente: H. Diels, Fragmente der Vorsokratiker, 6. Aufl. 1951/52 ed.: editio, Ausgabe, bzw. edidit: herausgegeben von ... Eth. Eud.: Ethica Eudemia, Eudemische Ethik des Aristoteles Eth. Nic: Ethica Nicomachea, Nikomachische Ethik des Aristoteles In categ.: In categorias. Kommentar zu den »Kategorien« des Aristoteles In 1 Metaph.: In (librum) primum Metaphysicorum, Kommentar zum 1. Buch der Metaphysik des Aristoteles In 1 Poster.: In (librum) primum Posteriorum (Analyticorum), Kommentar zum 1. Buch der Zweiten Analytik des Aristoteles Menü •Startseite •Publications •Jahresberichte •Bücher •Gästebuch •Serverstatistik •zurück Homepage von P.Otto Schärpf S.J.:DeVries J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kap.1(g... http://82.135.31.182/deVries/kritik1.htm 1 de 15 25/05/2015 15:11

VRIES, Josef de. Grundfragen Der Erkenntnis, 1

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  • Inhalt Kapitel 2 homepageJosef de Vries

    Grundfragen der Erkenntnis,Verl. Johannes Berchmans Mnchen 1980

    ISBN 3-87056-025-8zu den Funoten Kap.1zum Text Kap.1

    + Inhalt (+:durch Anklicken aufklappbar, zuklappen durcherneutes Klicken)

    VII Abkrzungena.: articulus, Artikel (bei Thomas v. Aquin Teil einer

    quaestio)A (bei Kants Kritik der reinen Vernunft): 1. Ausgabe

    von 1781ad 1: ad primum, Antwort auf den ersten Gegengrund bzw.

    EinwandAnal. post.: Analytica posteriora, Zweite Analytik desAristoteles

    B (bei Kants Kritik der reinen Vernunft): 2. Ausgabevon 1787

    c: caput, KapitelCSEL: Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum,

    Sammlung der lateinischen christlichen Schriftsteller,herausgegeben von der Wiener Akademie derWissenschaften

    d. (beim Sentenzenkommentar des Thomas v. Aquin):distinctio, Unterteil der einzelnen Bcher

    d. (bei Surez): disputatioDe civ. Dei: De civitate Dei (Vom Gottesstaat) des Augustinus

    D Denzinger-Schnmetzer: Enchiridion symbolorum,denitionum et declarationum de rebus dei etmorum, Handbuch von Dokumenten zur kirchlichenLehre, ed. 32, Freiburg 1963

    Diels,Fragmente:

    H. Diels, Fragmente der Vorsokratiker, 6. Au.1951/52

    ed.: editio, Ausgabe, bzw. edidit: herausgegeben von ...Eth. Eud.: Ethica Eudemia, Eudemische Ethik des Aristoteles

    Eth. Nic: Ethica Nicomachea, Nikomachische Ethik desAristoteles

    In categ.: In categorias. Kommentar zu den Kategorien desAristoteles

    In 1Metaph.:

    In (librum) primum Metaphysicorum, Kommentarzum 1. Buch der Metaphysik des Aristoteles

    In 1 Poster.: In (librum) primum Posteriorum (Analyticorum),Kommentar zum 1. Buch der Zweiten Analytik desAristoteles

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    Homepage von P.Otto Schrpf S.J.:DeVries

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  • In 1 Sent.: In (librum) primum Sententiarum, Kommentar zum 1.Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus

    KrV: Kritik der reinen Vernunft Kantsl. oder lect.: lectio, Vorlesung

    l. oder lib.: liber, Buchobi.: Obiectio. Einwand

    PL: Patrologia latina. Sammlung der lateinischenKirchenvter, hrsg. von J. P. Migne

    q.: quaestio, Frageqc: quaestiuncula, kleine Frage, Teilfrages.: sectio, Abschnitt

    S. c. gent.: Summa contra gentiles, Summe gegen die Heiden(des Thomas von Aquin)

    S. th.: Summa theologica. Theologische Summe (desThomas v. Aquin)

    t.: tomus. BandIX Vorwort

    Dieses Buch enthlt im wesentlichen die Vorlesungen, die derVerfasser in den letzten Jahren vor der bersiedlung der philosophischenHochschule des Berchmanskollegs von Pullach nach Mnchen (1971)gehalten hat. Sie wurden 1966/67 unter dem vorlugen Titel NeunKapitel Erkenntniskritik fr die Hrer vervielfltigt. Fr die jetzigeDruckausgabe wurde vor allem das damals nur kurz skizzierte 10. Kapitelber die metaphysische Erkenntnis, auf das vom 1. Kapitel an alles hinzielt,dem Gesamtplan entsprechend ausgearbeitet. Aber auch die alten neunKapitel wurden an vielen Stellen nicht nur stilistisch geglttet, sondernauch sachlich weiter geklrt und mit neuen Zustzen versehen. Ammeisten umgestaltet wurden das 1. und das 6. Kapitel, das erstere durchEinbeziehung des gegen die Metaphysik gerichteten Ideologieverdachts.(Vgl. dazu die Abhandlung des Verfassers in Theologie und Philosophie 46[ 1971] 1 18.)

    Wer nur des Verfassers erstes zusammenfassendes Werk zurErkenntnistheorie (Denken und Sein, 1937) kennt, wird feststellen, dadort schon vieles von dem, was die vorliegende neue Zusammenfassungbietet, keimhaft enthalten ist, namentlich in den Kapiteln 2-4 und 7-8 desneuen Buches. Der auallendste Unterschied zwischen beiden Werken ist,da in Denken und Sein die Frage nach der Erkenntnis der rumlich-zeitlichen Welt einen ungleich breiteren Raum einnimmt. Das frhere Buchwurde vielfach so aufgefat, als sei die Begrndung desAuenweltsrealismus sein Hauptanliegen. Aber das war schon damalsnicht die letztlich treibende Kraft meines philosophischen Arbeitens. Manbraucht nur die Liste meiner Verentlichungen (in: Joh. B. Lotz (Hrsg.),Neue Erkenntnisprobleme in Philosophie und Theologie, 1968, S. 251-257)durchzugehen, um sich zu berzeugen, wie sehr die kritische Grundlegungder Metaphysik im Mittelpunkt meiner Bemhungen gestanden hat. Auchdie Auseinandersetzung mit dem Positivismus (5. Kap.), die damals nochfehlte, steht im Dienst dieser Grundlegung, ebenso die vertiefte Darlegungder Prinzipien (7. und 8. Kap.). In den 40 Jahren seit Denken und Seinwurde mir freilich auch immer mehr klar, da die rationale Begrndung derGotteserkenntnis durch die Metaphysik wie wichtig sie sein mag alleinnicht ausreichen kann fr das, was wir Gottesglaube nennen. Dafrberhren diese Fragen viel zu sehr den ganzen Menschen, seine personaleExistenz. Darum schien es mir notwendig, die Zusammenhnge zwischenlogischer Begrndung und personaler Zustimmung und berzeugung zuklren, um so das rgernis der weitgehenden Unwirksamkeit dersogenannten Gottesbeweise zu beheben. Diesem Ziel dienen vor allem das1. und das 9. Kapitel.

    Unschwer wird man bemerken, wie viel der Verfasser gerade in diesen

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  • Darlegungen J. H. Newmans Grammar of assent verdankt. Dasselbe giltauch fr

    X das 6. Kapitel, auf das die frheren fnf Kapitel ber die Erkenntnis derraum-zeitlichen und mitmenschlichen Welt eingeschrnkt worden sind.Dadurch, da viele Einzelfragen auf den gemeinsamen Nenner vonNewmans formloser Folgerung (informal inference), d. h. der Begrndungdurch Konvergenz gebracht wurden, konnte eine einzige grundlegendeLsung dieser Fragen angeboten werden. Auf eine gewi wnschenswerteEinzelausfhrung mute verzichtet werden. Auch sonst kam es mir mehrauf eine mglichst verstndliche Darlegung der Grundfragen an als aufVollstndigkeit in den Einzelheiten. Wo die immer noch gedrngteDarstellung auch der Grundfragen den Wunsch nach weiterer Klrungwecken kann, wurde gelegentlich auf ausfhrlichere frhere Arbeiten desVerfassers hingewiesen.

    Ermglicht wurde die Herausgabe des Buches einerseits durch diehochherzige Spende, die Dr. Charles de Meester de Ravestein, Wemmel beiBrssel, als Druckzuschu bereitstellte, andererseits durch dieunermdliche Hilfe des Verwalters der Oberdeutschen Provinz S. J., KarlAdolf Kreuser, bei der berwindung unerwarteter Hindernisse. Beiden seian dieser Stelle herzlichster Dank gesagt.

    1Kapitel 1.

    Die Vielheit der metaphysischenberzeugungen als Herausforderung der

    Vernunft1. Die Vielheit der berzeugungen als Einwand gegen denwissenschaftlichen Charakter.

    Kant beginnt die erste Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft mitdem oft zitierten Satz: Die menschliche Vernunft hat das besondereSchicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: da sie durch Fragenbelstigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch dieNatur der Vernunft aufgegeben: die sie aber auch nicht beantworten kann,denn sie bersteigen alles Vermgen der menschlichen Vernunft.1

    Die Fragen, die Kant meint, sind jene, die gewhnlich metaphysischeFragen genannt werden, weil sie ber den Bereich der physischenWissenschaften, d. h. der Erfahrungswissenschaften, hinausgehen und sichauf die letzten, der Erfahrung unzugnglichen Grnde alles Seiendenrichten. Soweit auch die Religion Antworten auf solche Fragen geben will,die mehr als Postulate der praktischen Vernunft sein sollen, verfllt auchsie dem Urteil Kants.

    Am Anfang all seiner Untersuchungen vermag Kantverstndlicherweise noch keine letzte philosophische Begrndung frdieses Urteil zu geben. Er begngt sich mit einer scheinbar plausiblenErklrung: Bisher ist es trotz aller Bemhungen nicht gelungen, in derMetaphysik Antworten zu geben, die allgemeine Anerkennung gefundenhtten. Vielmehr war und ist die Metaphysik der Kampfplatz endloserStreitigkeiten, ein Kampfplatz, auf dem noch niemals irgendein Fechter...auf seinen Sieg einen dauerhaften Besitz grnden konnte2. Darausschliet er, die Metaphysik habe oenbar noch nicht den sicheren Weg derWissenschaft gefunden, den die Mathematik schon seit den Zeiten derGriechen, die Naturwissenschaft seit Galilei gegangen sei.

    Die diesem Schlu zugrunde liegende berzeugung hatte schonDescartes in seinen Regulae ad directionem ingenii mit bemerkenswerterEindeutigkeit ausgesprochen: Jedesmal, wenn die Urteile zweier berdenselben Gegenstand sich widersprechen, ist es sicher, da wenigstenseiner von ihnen irrt, ja keiner von ihnen scheint dann eine wissenschaftlicheErkenntnis zu haben; denn wenn seine Begrndung sicher und

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  • einleuchtend wre, knnte er sie auch dem andern so vorlegen, da erauch ihn schlielich berzeugen wrde.3 Allerdings haben wederDescartes noch Kant sich durch diese berlegung abhalten lassen, denvielen miteinander streitenden Systemen ein weiteres hinzuzufgen. Durcheinen

    2 vllig neuen Ansatz glaubten sie die Fehler der bisherigen Versuchevermeiden zu knnen.2. Der Ideologieverdacht.

    Aber auch ihre Versuche fhrten nicht zur erhoten Einigkeit, sondernzu immer neuen Streitigkeiten. So wundert man sich nicht, da dasMitrauen gegen alle Metaphysik einschlielich derTranszendentalphilosophie Kants4, nicht verstummt, sondern im Gegenteilnoch gewachsen ist. Der Schlu Descartes' von der mangelhaftenberzeugungskraft der metaphysischen Argumente auf ihre logischeUngltigkeit gewann im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts dadurch immermehr an scheinbarer Unwiderleglichkeit, da durch die Forschungen derPsychologie, der Geschichtswissenschaft und der Soziologie dieauerrationalen Triebkrfte mehr und mehr aufgedeckt wurden, dieunabhngig von rationalen Begrndungen zu entgegengesetztenmetaphysischen berzeugungen fhren. Auch wenn die rationaleBegrndung im besten Glauben als eine allein durch dasWahrheitsinteresse bestimmte berlegung vorgelegt wird, erweist sie sichoft als ein Gedanke, der nur deshalb berzeugt, weil er durch Krfte undAntriebe nahegelegt oder sogar aufgentigt wird, die ganz auerhalb derSache selbst liegen und in keinem notwendigen Zusammenhang mit ihrstehen. Diese auerrationalen Bestimmungsgrnde von berzeugungenknnen zweifacher Art sein: entweder sind es eigentlich kausaleBestimmungsgrnde, die unabhngig von allen Wnschen und Honungendes Menschen seine Gedanken in eine Richtung lenken, oder es sind mehroder weniger bewute Beweggrnde, Ziele seiner Wnsche undHonungen, die ihn, vielleicht ohne da er sich dessen klar bewut ist,bestimmte Auassungen bevorzugen lassen. In einem weiteren Sinnwerden alle berzeugungen, die durch solche auerrationalenBestimmungsgrnde zustande kommen, Ideologien genannt; sie sindnur vermeintlich von gegenstandsbestimmten Grnden her. in Wirklichkeitdurch subjektive Bestimmungsgrnde bedingte berzeugungen. In einemengeren Sinn spricht man von Ideologie, wenn es sich um eineberzeugung nicht blo einzelner Menschen, sondern einergesellschaftlichen Gruppe oder Klasse handelt, die, ohne sich dessen klarbewut zu sein, zur Durchsetzung ihrer gemeinsamen, etwa politischenoder wirtschaftlichen Interessen, ein diese Zwecke begnstigendes WeltundGesellschaftsbild schat und durch die Mittel der Massenbeeinussungverbreitet. Der Begri Ideologie wird meist nicht im Sinn einer bewutenTuschung aufgefat; auch die Urheber der Ideologie halten ihr System frein Ergebnis wissenschaftlicher Erkenntnis; jedenfalls nimmt die groeMasse der Anhnger das System gutglubig an.

    3 Dieser Ideologie-Begri geht auf K. Marx und F. Engels zurck5. Ineinem Brief aus dem Jahre 1893 an F. Mehring umschreibt F. Engels denIdeologie-Begri des Marxismus so: Die Ideologie ist ein Proze, der zwarmit Bewutsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einemfalschen Bewutsein. Die eigentlichen Triebkrfte, die ihn bewegen, bleibenihm unbekannt; sonst wre es eben kein ideologischer Proze. Er imaginiertsich also falsche resp. scheinbare Triebkrfte. Weil es ein Denkproze ist,leitet er seinen Inhalt wie seine Form aus dem reinen Denken ab, entwederseinem eigenen oder dem seiner Vorgnger. Er arbeitet mit bloemGedankenmaterial, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmtund sonst nicht weiter auf einen entfernteren, vom Denken unabhngigenUrsprung untersucht, und zwar ist ihm dies selbstverstndlich, da ihm allesHandeln, weil durchs Denken vermittelt, auch in letzter Instanz im Denkenbegrndet erscheint.6 Die Deutung geistiger Aktivitt als Sublimierung

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  • verdrngter Triebkrfte in der Psychoanalyse und die Forschungen undErgebnisse der Wissenssoziologie, welche die Abhngigkeit des Denkensvon der gesellschaftlichen Lage aufdeckten, schienen die berzeugungvom ideologischen Charakter mancher gedanklicher Gebilde zu besttigen.So wurde der Ideologieverdacht eine der gefhrlichsten Waen in dergeistigen Auseinandersetzung.

    Es ist verstndlich, da dieser Verdacht kaum je gegen dieNaturwissenschaften ausgespielt wird, vor allem nicht gegen ihre allgemeinanerkannten Ergebnisse. Um so mehr richtet er sich gegen philosophische,metaphysische, religise berzeugungen. Der in diesen Bereichenbestehende Pluralismus scheint objektive Erkenntnis auszuschlieen.Daher scheint vielen die Folgerung unausweichlich: Alle metaphysischenberzeugungen sind ideologischer Art, sei es im engeren Sinn alsverkleideter Ausdruck vielleicht begreiicher, aber doch unberechtigterInteressen, sei es im weiteren Sinn als Auswirkung auerrationalerUrsachen. Diese Folgerung scheint vielen so selbstverstndlich, da sie ihrgegenber die Notwendigkeit einer Begrndung oder kritischen Prfungberhaupt nicht mehr in Betracht ziehen.

    So schreibt etwa Th. Geiger: Die dogmatische Theologie ist Ideologie,und sonst nichts .. .Ihre Aussagegegenstnde selbst, und natrlich auchdas, was ber diese Gegenstnde ausgesagt wird, sind reineHirngespinste.7 Und: Was

    4 fr die dogmatische Theologie gilt, trit natrlich jede transzendenteMetaphysik, die sich ja zugestandenermaen mit dem jenseits allerErfahrung Liegenden befat.8 Das Endziel (auch) jeder kritischenMetaphysik... ist eine Gesamtorientierung, ein einheitliches Bild derWirklichkeit. Damit ist der ideologische Charakter solcherAussagengebude von vornherein garantiert9 hnlich ist fr E. TopitschMetaphysik nur die verblassende Sptform des Mythos, der seinerseitsseinen Ursprung im Bedrfnis des Menschen hat, sich in der Weltzurechtzunden, das Fremde vertraut zu machen, das Schreckliche zumildern und vom Antwortlosen Antwort zu erlangen10

    Durch die Annahme des ideologischen Ursprungs aller Metaphysikund aller Theologie soll die Vielgestaltigkeit und Widersprchlichkeit derverschiedenen metaphysischen Systeme und religisen Bekenntnisseverstndlich gemacht werden. Da die Einsse, die zu ideologischenVorstellungen der Wirklichkeit fhren, bei den einzelnen Menschen undMenschengruppen und zu verschiedenen geschichtlichen Zeitenverschieden sind, ist die Verschiedenheit der Ideologien von vornherein zuerwarten. Auch wenn fr die Ideologie Begrndungen vorgelegt werden, diesich den Anschein der Wissenschaftlichkeit geben, so sind sie doch nurscheinwissenschaftlich und knnen einer kritischen Nachprfung nichtstandhalten. Wissenschaftlich sind alle ideologischen Lehrgebudewertlos.3. Kritische Vorberlegung.

    Die Frage ist nur: Sind diese Behauptungen selbst begrndet? Kann dieVielgestaltigkeit der metaphysischen berzeugungen nur dadurch erklrtwerden, da sie samt und sonders ideologischen Charakter haben? Mualso wirklich jede Aussage, die objektiv hinreichend begrndet ist, auchjeden berzeugen vorausgesetzt natrlich, da er fhig ist, den Sinn derBegrndung zu verstehen? Hier sei eine kleine kritische Vorberlegunggestattet: Wenn wirklich jede objektiv hinreichend begrndete Aussagejeden berzeugen mte, der sie versteht, dann mte auch umgekehrtgelten (wie es Descartes ausdrcklich sagt): Wenn eine Begrndung nichtjeden, der sie versteht, berzeugt, dann ist das ein Zeichen, da sie nichtobjektiv hinreichend ist. Wie steht es nun aber mit eben diesem Satz selbst:Eine nicht alle berzeugende Begrndung ist objektiv unzureichend?berzeugt diese Aussage alle, die sie verstehen? Ganz oenbar nicht. Diegrten Denker aller Zeiten lehnen sie mit bemerkens-

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  • 5 werter Einhelligkeit ab. Sonst htten sie ihre Auassungen nicht trotz desihnen wohlbekannten Widerspruchs vieler anderer als sicher verteidigenknnen. Ausdrcklich lehnt Hegel den Satz ab: Es ist allerdings Tatsache,da es verschiedene Philosophien gibt und gegeben hat. Die Wahrheit aberist eine... Also kann auch nur eine Philosophie die wahre sein, und weil sieverschieden sind, so mssen schliet man die brigen Irrtmer sein.Aber jene eine zu sein, versichert, begrndet, beweist eine jede von sich.11Daraus wrde sich also die Nichtigkeit aller Philosophien ergeben. Hegelantwortet darauf ironisch: Dies ist ein gewhnliches Raisonnement undeine richtig scheinende Einsicht des nchternen Denkens. Was nun dieNchternheit des Denkens dieses Schlagwort betrit: so wissen wirvon der Nchternheit aus der tglichen Erfahrung, da, wenn wir nchternsind, wir uns zugleich damit oder gleich darauf hungrig fhlen. Jenesnchterne Denken aber hat das Talent und Geschick, aus seinerNchternheit nicht zum Hunger, zum Verlangen berzugehen, sondern insich satt zu sein und zu bleiben. Damit verrt sich dieses Denken, da jeneSprache spricht, da es toter Verstand ist; denn nur das Tote ist nchternund ist und bleibt dabei zugleich satt. Die physische Lebendigkeit aber, wiedie Lebendigkeit des Geistes, bleibt in der Nchternheit nicht befriedigt,sondern ist Trieb, geht ber in den Hunger und Durst nach Wahrheit... undlt sich nicht mit solchen Reexionen, wie jene ist, abspeisen understtigen.12 Das soll doch wohl heien: Die philosophischenberzeugungen wegen ihrer Verschiedenheit alle fr nichtig zu halten unddarum auf eine Beantwortung der philosophischen Fragen zu verzichten, istnicht ein Zeichen echter Nchternheit, sondern einer erstorbenen Vernunft.Schrfer kann diese Haltung kaum abgelehnt werden.

    Die Anwendung des Satzes auf sich selbst fhrt also zu der Folgerung,da er nicht objektiv begrndet, sondern ideologischer Natur ist, d. h. erhebt sich selbst auf. Man knnte hchstens entgegnen, der Widerspruchder Philosophen, insbesondere der Metaphysiker, gegen den Satz verdienekeine Beachtung, weil sie ja hier Richter in eigener Sache seien und mannicht erwarten knne, da sie ihr eigenes Geschft fr sinnlos erklren.Aber wenn die Metaphysiker ein Interesse an der Leugnung des Satzeshaben, dann die Antimetaphysiker ein Interesse an seiner Bejahung. Wennalso wegen des Interesses an der Leugnung gegen die Metaphysiker derIdeologieverdacht erhoben wird, so mu mit ebensoviel Grund wegen desInteresses an der Bejahung gegen die Antimetaphysiker der gleicheVerdacht erhoben werden. Mehr als dies, nmlich da der Beweisgrund

    6 des Gegners mit gleichem Recht gegen ihn selbst ausgespielt werden kann,woraus dann seine Ungltigkeit folgt, kann durch die logische Form derRetorsion, wie sie hier vorliegt, allerdings nicht bewiesen werden. DieseForm der Widerlegung zeigt nur, da im Beweis des Gegners mindestensein Fehler vorliegen mu, zeigt aber nicht, worin dieser Fehler besteht.Daher hat diese Art der Widerlegung etwas Unbefriedigendes an sich. Wirwerden also durch unsere Vorberlegung darauf verwiesen, die Ursachender Verschiedenheit der metaphysischen und religisen berzeugungen imeinzelnen zu prfen. Das heit: Wir mssen versuchen, die zunchst soverwirrende Vielheit und Widersprchlichkeit der metaphysischen undreligisen berzeugungen zu verstehen und aus diesem Verstndnis herausdie Frage zu beantworten, warum trotzdem aus der Vielheit dieserberzeugungen nicht ihre Gleichwertigkeit oder vielmehr ihre vomStandpunkt objektiver Erkenntnis gleiche Wertlosigkeit folgt.4. Metaphysik und menschliche Vernunft.

    Woher also die verwirrende Vielzahl der Auassungen inphilosophischen, insbesondere metaphysischen Fragen und in denreligisen Bekenntnissen? Es kommt hier nicht darauf an, genauabzugrenzen, welche Stze philosophischer Art sind und welche unterdiesen mit Recht metaphysisch genannt werden, und weiter, welcherUnterschied zwischen metaphysischen Stzen und religisenberzeugungen besteht. In allen Fllen handelt es sich um berzeugungen,die sich irgendwie in Stzen ausdrcken lassen; das aber, was in diesen

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  • Stzen ausgesagt wird, lt sich nicht empirisch besttigen. In diesemSinn sprechen wir im folgenden kurz von metaphysischen berzeugungen.

    Schon diese kurze Kennzeichnung der metaphysischen berzeugungenweist auf die besondere Schwierigkeit hin, mit denen die metaphysischenFragen fr die menschliche Vernunft verbunden sind. Unsere menschlicheErkenntnis ist durch unsere sinnlich-geistige Natur zunchst auf das sinnlichWahrnehmbare ausgerichtet. Was wir sehen, hren, betasten, das nehmenwir mit spontaner Gewiheit als wirklich an. Mit diesem Sichtbaren,Wahrnehmbaren, hat es die Naturwissenschaft zu tun. Gewi, auch sie gehtber das unmittelbar Wahrnehmbare hinaus, wenn sie Gesetze aufstelltoder Theorien bildet. Gesetze sind stets Verallgemeinerungen ber diebeobachteten Einzelflle hinaus, Theorien, etwa Modellvorstellungen oderHypothesen, aus denen sich die Gesetze ableiten lassen, erst recht. Aberauch diese Gesetze und Theorien sind nachprfbar an den Folgerungen, diesich aus ihnen ziehen lassen. Soweit diese Folgerungen wahrnehmbareVorgnge vorauszusagen erlauben, die sich unter gewissen Bedingungenergeben mssen, wird die Erfahrung zum Kriterium der Wahrheit oderFalschheit der Gesetze bzw. Theorien.

    7 Besttigen sich die Voraussagen nicht, dann ist damit dieses Gesetz bzw.diese Theorie falsiziert, als falsch erwiesen. Wenn sie sich dagegenbesttigen, so ist allerdings mit einer einzigen oder auch mit wenigenBesttigungen das Gesetz bzw. die Theorie noch nicht veriziert, d. h. alswahr erwiesen. Aber immerhin ist man, je huger sich die Besttigungwiederholt, um so weniger geneigt, noch an der Gltigkeit des Gesetzesbzw. der Theorie zu zweifeln. Die Stze der Naturwissenschaft sind also indiesem Sinne grundstzlich durch Erfahrungstatsachen nachprfbar.

    Diese Nachprfbarkeit fehlt dagegen im Bereich der Metaphysik. Diesegeht ber das so Erfahrbare grundstzlich hinaus, etwa durchSchlufolgerung. Schlufolgerungen wendet allerdings auch dieNaturwissenschaft an, wenn sie ber die beobachteten Einzeltatsachen zuGesetzen oder Theorien fortschreitet. Die Theorie mag zunchst nur einedenkmgliche Erklrung fr die beobachteten Tatsachen, d. h. eineHypothese, sein; aber sie lt sich mit Hilfe weiterer, aus ihr abgeleiteterFolgerungen an der Erfahrung nachprfen. Eben dies aber ist in derMetaphysik nicht mglich, jedenfalls nicht im gleichen Sinn. Man kann z. B.nicht sagen: Wenn es einen Gott gibt, dann mu sich auf ein Gebet hindiese oder jene sichtbare Wirkung ergeben; wenn sie sich nicht ergibt, dannist die Hypothese vom Dasein Gottes falsiziert. Davon kann keine Redesein, denn Gott mu nicht notwendig das wirken, was wir in unserem Gebeterbitten. Weil Gott in seinem Wirken nach auen als frei angenommenwerden mu, ergeben sich aus der Annahme seines Daseins nichtbestimmte an der Erfahrung nachprfbare Folgerungen. Es gibt also keineexperimentelle Theologie, in der man durch ein experimentum crucisnachprfen kann, ob es einen Gott gibt.

    Die genannte Unmglichkeit betrit vor allem die Feststellung deswirklichen Daseins im metaphysischen Bereich; diese hat nicht die gleicheErfahrungsnhe wie in den empirischen Wissenschaften. Dazu kommennoch andere Schwierigkeiten, die letztlich alle damit zusammenhngen,da die Objekte der Metaphysik bersinnlich sind. Nur auf eine dieserSchwierigkeiten sei noch eigens hingewiesen, auf die Schwierigkeit einerverstndlichen sprachlichen Bezeichnung der Objekte, von denen in derMetaphysik gesprochen werden soll. Jedenfalls ist ohne weitereseinzusehen, da die sprachliche Bezeichnung viel leichter eindeutig undallgemein verstndlich sein kann, wenn man auf das, was mit densprachlichen Zeichen gemeint ist, mit dem Finger hindeuten kann. Wennaber z. B. gefragt wird: Was ist Substanz?, kann ich das nicht dadurcherklren, da ich auf etwas sinnlich Wahrnehmbares hinzeige und sage: dasda ist Substanz; oder hnlich: Das da ist Ursache (im philosophischenSinn des Wortes), das da ist Sein, denn all das lt sich mit den Sinnennicht wahrnehmen. Darum ist in der Metaphysik eine interpersonalverstndliche Terminologie viel schwieriger zu erreichen als in derNaturwissenschaft. Es

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  • 8 ergeben sich leicht Mehrdeutigkeiten oder wenigstens Unebenheiten, diedas Verstndnis erschweren. Es ist bekannt, da der Positivismus dieseunbestreitbare Schwierigkeit zu einer vlligen Unmglichkeit steigert.

    Auch wenn man die damit gegebene Ablehnung jeglicher Metaphysikfr unberechtigt hlt, mu man zugeben, da die Schwierigkeit der Spracheein Hauptgrund fr die vielen Streitigkeiten im Bereich der Metaphysik ist.Oft fhrt die Verschiedenheit der Terminologie zu Aussagen, die sich, reinsprachlich betrachtet, schlechthin widersprechen. Und doch ist damit nichtnotwendig gesagt, da die beiderseitigen Aussagen auch in dem jeweilsgemeinten Sinn unvereinbar sind. Vielleicht sind scheinbarwidersprechende Aussagen verschiedener Philosophen doch miteinandervereinbar, wenn sie in ihrem eigentlichen Sinn verstanden werden. Aber dadieser gemeinte Sinn ja auch wieder sprachlich gefat werden mu, ist esoft beraus schwer, zu einer Verstndigung zu kommen. Namentlich derAnfnger im philosophischen Denken vermag aus den widersprechendenFormulierungen die nicht unvereinbaren, sondern einander ergnzendenTeilwahrheiten nicht herauszulesen; und so scheint ihm der Gegensatzzwischen den Philosophen tiefergehend zu sein als er wirklich ist. Oft genugbemerken ja sogar die Philosophen (oder auch Theologen) selbst im Eiferdes Gefechtes nicht, da ihre so verschieden klingenden Formulierungenihrem eigentlichen Sinn nach doch nicht miteinander unvereinbareStandpunkte bezeichnen, sondern auf verschiedene Teilaspekte der einen,unerschpichen Wahrheit hinweisen. Eine gewisse Gegenstzlichkeit derAuassungen kann dabei insoweit vorliegen, als der eine diesen, derandere jenen Teilaspekt als den bedeutsamsten ansieht.

    Ohne Zweifel gibt es aber ber solche Vorbetonungen hinaustiefgehende Gegenstze der Auassungen, die sich wie Ja und Nein zurgleichen Frage verhalten und nicht zu sich ergnzenden Teilwahrheitenverharmlost werden knnen. Auch die Schwierigkeit der Fragen fr diemenschliche Vernunft allein erklrt diese Gegenstze nicht. Denn dieEinzelwissenschaften bieten ebenfalls nicht selten groe Schwierigkeitenfr die verstandesmige Bewltigung, mgen diese Schwierigkeiten auchanderer Art sein als in der Metaphysik. Trotzdem fhren dieseSchwierigkeiten lngst nicht in dem Mae zu Meinungsverschiedenheitenwie die Schwierigkeit des metaphysischen Denkens. Das weist darauf hin,da fr diese Meinungsverschiedenheiten noch andere Umstnde vonentscheidender Bedeutung sind.

    In den Wissenschaften ist es zumeist so, da der Nichtfachmann sichseiner Nichtzustndigkeit bewut ist und daher geneigt ist. das Urteil derFachleute gelten zu lassen, auch wenn er es nicht versteht. Inmetaphysischen, weltanschaulichen Fragen dagegen mu sich jeder eineigenes Urteil bilden, weil die Beantwortung dieser Fragen vonentscheidender Bedeutung fr die ganze Lebensfhrung

    9 ist. Natrlich gibt es auch in diesen Fragen Menschen, die sich ihnensozusagen berufsmig widmen und in etwa den Fachleuten derWissenschaften entsprechen; es sind das eben die Philosophen undTheologen. Aber weil gerade sie untereinander uneins sind, ist es fr denLaien hier viel schwerer gemacht, einfach auf ihre Autoritt hin sich zuentscheiden. Das Vertrauen, das er zu diesem oder jenem Lehrer hat,beruht selbst schon auf einer Vorentscheidung metaphysischer oderreligiser Art.5. Auerrationale Einsse.

    Alles dies weist auf einen tieferen Grund hin, warum bereinstimmungin metaphysischen Fragen viel schwerer zu erreichen ist als in reinwissenschaftlichen Fragen. In den Einzelwissenschaften hat der Menschzumeist kein anderes Interesse als das Streben nach Erkenntnis: er willwissen, wie es wirklich ist. Nur bei wissenschaftlichen Fragen, die selbstwieder weltanschaulich bedeutsam sind oder zu sein scheinen, kommenandere, persnliche Gesichtspunkte ins Spiel. Bei rein wissenschaftlichenFragen, d. h. Fragen ohne weltanschauliche Bedeutung, kommt dashchstens in Ausnahmefllen vor; wenn etwa ein Physiker selbst eine neue

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  • Theorie entwickelt hat, mag er wohl ber das rein wissenschaftlicheInteresse hinaus ein persnliches Interesse daran haben, da diese Theoriesich durchsetzt; aber das sind Ausnahmefalle. Bei philosophischen,namentlich metaphysischen Fragen ist es dagegen die Regel, da nicht derwibegierige Verstand allein ins Spiel kommt. Philosophie, insbesondereMetaphysik, ist Sache des ganzen Menschen, ihre Fragen gehen denganzen Menschen an. Darum hat schon Platon gefordert, man mssephilosophieren mit der ganzen Seele.13

    Ohne den Einsatz der ganzen Person kommt der Mensch in derPhilosophie nicht zu tieferen Einsichten; metaphysische Fragen sind keineRechenexempel, die jeder lsen kann, wenn er nur den ntigen Scharfsinnbesitzt. Freilich kndigt sich hier auch schon eine Gefahr an, die Gefahr,da der persnliche Einsatz durch eine ungeluterte Subjektivitt verflschtwird.

    Damit sind wir mitten in der Problematik. Bevor wir versuchen, sie zulsen, mssen wir uns einen berblick verschaen ber dieverschiedenartigen auerrationalen Einsse, von denen dasZustandekommen metaphysischer berzeugungen abhngt. Denn geradediese auerrationalen Einsse vom ganzen Menschen her drften nachdem Gesagten fr die groe Verschiedenheit der metaphysischenberzeugungen entscheidend sein. Es ist ja nicht eine abstrakteMenschennatur, nicht der Mensch im allgemeinen, sondern stets einkonkreter,

    10 ganz bestimmter und in ganz bestimmten Verhltnissen lebender Mensch,der philosophiert und sich fr diese oder jene Weltund Lebensanschauungentscheidet.a) Naturhafte Einsse.

    Die hier in Betracht kommenden Besonderheiten sind zum Teilvorwiegend naturhafter, zum Teil mehr geschichtlich-geistiger Art. Zu dennaturhaften Besonderheiten gehrt an erster Stelle die Verschiedenheit desRassenund Volkscharakters. Es ist bekannt, da ihre Bedeutung vomNationalsozialismus einseitig berbetont worden ist. Wir drfen darum nichtin das entgegengesetzte Extrem verfallen und ihre Bedeutsamkeit leugnen.Man kann zuweilen hren: Die Chinesen und Japaner haben eine ganzandere Logik als wir westlichen Menschen. Richtiger wrde man wohlsagen: Sie haben eine andere Weise zu denken, einen anderen Denkstil. Ingeringerem Mae gilt das brigens auch fr die europischen Vlkeruntereinander. Die englische Philosophie etwa hat einen anderen Charakterals die franzsische, und beide wieder haben einen anderen Charakter alsdie deutsche Philosophie.

    Es ist nun wichtig zu sehen, worin diese Unterschiede eigentlichbestehen. Es ist nicht so, als ob einer bestimmten rassischen odernationalen Eigenart unmittelbar bestimmte Lehren oder Typen derWeltanschauung zugeordnet wren. Da dies nicht der Fall ist, geht schondaraus hervor, da sich die Haupttypen metaphysischer Weltanschauungenmehr oder weniger bei allen Vlkern nden. Allerdings zeigen sie bei denverschiedenen Vlkern und in den verschiedenen Kulturen oft eine sehrverschiedene Frbung. Der vorherrschende Denkstil ist verschieden, etwaim Osten mehr intuitiv und kontemplativ, im Westen mehr rational-begriich. Verschiedenartig ist auch die Art der Grnde, die am meistengeschtzt wird. So zeigt sich etwa in der englischen Philosophie strker alsin der Philosophie des europischen Festlandes eine Bevorzugung der ausder Erfahrung stammenden Begrndungen gegenber apriorischerSpekulation.

    Solche rassischen oder nationalen Eigenarten sind vielfachbestimmend dafr, in welcher Weise die Fragen gestellt werden undwelchen Fragen sich das philosophische Interesse vorwiegend zuwendet; sokommen bestimmte Aspekte der Wirklichkeit in den Blick, whrend anderezurcktreten. Das wieder kann zu einer gewissen Einseitigkeit fhren, dienach einer Ergnzung durch Bercksichtigung auch anderer Gesichtspunkte

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  • verlangt. Nur wenn diese Ergnzung grundstzlich abgelehnt wird unddamit der Teil zum Ganzen erklrt wird, fhrt die menschlich kaumvermeidbare Einseitigkeit zu Lehren, die von anderen als irrig beurteiltwerden mssen. So kann etwa die Vorliebe fr die Erfahrung zumEmpirismus fhren, d. h. zu einem System, das alle menschliche Erkenntnisallein auf die Erfahrung zurckfhrt. Insofern kann die rassische odernationale

    11 Eigenart eine Gefahr irriger Auassungen mit sich bringen. Das heit abernicht, da sich aus der rassischen Verschiedenheit unberbrckbareGegenstze und einander widersprechende Weltanschauungen notwendigergeben, so da ein radikaler Pluralismus unvermeidlich ist. Fr. J. v.Rintelen, der hier wie wenige andere aus eigener Erfahrung sprechenkonnte, bemerkt dazu: Die Vorausset zung fr gegenseitige Verstndigungist, da man sich in die Mentalitt anderer geistiger Welten verstehendeinzufgen versucht, um dann in fr mich erstaunlicher Weise, trotz derunterschiedlichen sprachlichen Mentalitt, auch das Gemeinsame zu sehen;denn es ist einfach unberechtigt, von einem radikalen Pluralismus zusprechen.14

    brigens sind auch trotz der Gemeinsamkeit des Nationalcharakters die einzelnen Personen innerhalb jedes Volkes in ihrer angeborenenEigenart sehr verschieden voneinander und zeigen darin mit Angehrigenanderer Vlker oft grere hnlichkeit als mit manchen Personen deseigenen Volkes. Diese individuellen Verschiedenheiten gehren mehr in denBereich der Psychologie als der Vlker- und Rassenkunde. Die Psychologiesucht die individuellen seelischen Unterschiede durch Zurckfhren aufgewisse Typen wissenschaftlich erfabar und berschaubar zu machen.Fr die Philosophie kommen vor allem die Denktypen in Betracht; dochsind auch diese wieder im Ganzen des seelischen Lebens begrndet.15 Manunterscheidet etwa intuitive und diskursi ve. analytische und synthetische,kritische und systematische (konstruktive) Denker.

    Darber hinaus betont W. Dilthey, da die Weltanschauungen nichtErzeugnisse des Denkens allein sind, sondern da die ganzeLebenserfahrung, die Struktur der psychischen Totalitt hinter ihnensteht.16 Dies ist indes ebenfalls nicht so zu verstehen, als ob bestimmtemetaphysische berzeugungen naturnotwendige Auswirkungen bestimmterseelischer Strukturen seien. Auch hier drfte dasselbe gelten wie bezglichdes Rassen- und Volkscharakters. Die seelische Eigenart und die aus ihrsich ergebende typische Art zu denken, bestimmt weithin die Besonderheitder Fragestellungen und die grere oder geringere Bereitschaft frGedankengnge und Begrndungen dieser oder jener Art, ntigt

    12 aber nicht zu dieser oder jener Weltanschauung. Das geht schon daraushervor, da der Mensch auf seine seelische Eigenart und die mit ihrgegebene Vorliebe fr Gedanken dieser oder jener Art reektieren kann;damit ist wenigstens ein Mindestma kritischer Distanz den eigenenGedanken gegenber ermglicht.b) Geschichtliche Einsse.

    Die naturhaften Bedingungen, von denen das philosophische Denkenabhngt, erhalten eine jeweils eigene Prgung durch die historischenVerhltnisse. Im Gegensatz zu den naturhaft-notwendigen Voraussetzungenmenschlicher Denkbemhungen sind die geschichtlichen Verhltnisseselbst schon durch ein freies menschliches Handeln mitbestimmt. Die durchdas freie Wirken der Menschen zustandegekommenen geschichtlichenVerhltnisse werden dann selbst wieder zu einer Begrenzung derMglichkeiten freien Handelns des Menschen. Sie bestimmen undbegrenzen auch die Mglichkeiten der Wahrheitserkenntnis, auch in derPhilosophie. Nicht zu jeder Zeit ist jede philosophische Einsicht in gleicherWeise zugnglich.17 Jedenfalls empfangen die philosophischen Einsichtenund berzeugungen durch die jeweilige geschichtliche Umwelt ihrbesonderes Geprge. Denken wir etwa an den Geist der Renaissance, derAufklrung, der Romantik. Solche Geistesstrmungen beeinussen das

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  • philosophische, metaphysische Denken ohne Zweifel viel tiefer als dasDenken der Mathematik oder der exakten Naturwissenschaft. Es hat wohlnicht viel Sinn, von einer romantischen Mathematik zu sprechen; diePhilosophie dagegen ist gewi durch den Geist der Romantik tiefgehendbeeinut worden. Dieser Unterschied ist darin begrndet, da dieMathematik nur einen eng begrenzten, abstrakten Bereich des Denkbarenzum Gegenstand hat, einen Bereich, der von jedem Lebensbezug absieht,whrend es in der Philosophie stets um das Ganze geht, zu dem auch derMensch selbst mit seinen Honungen und Befrchtungen gehrt. Darumben Geistesstrmungen, die eine den ganzen Menschen berhrendeLebensstimmung in sich schlieen, auf die Philosophie einen starken Einuaus.

    Noch unmittelbarer hngt das Philosophieren des einzelnen Denkersvon den Schulberlieferungen im philosophischen Bereich selbst ab. JederPhilosoph ist durch eine philosophische Tradition geformt. Und selbst wenner sich von den Lsungen, die in dieser Tradition angeboten werden, freimacht, so bleibt er doch in seinen Fragestellungen fast immer weitgehenddurch die berlieferung bestimmt. Dazu kommt der jeweilige Stand derEinzelwissenschaften. Ohne

    13 Zweifel gehen von den Wissenschaften immer wieder bedeutsameAnregungen fr das philosophische Denken aus. Namentlich dieNaturphilosophie und philosophische Anthropologie knnen die Ergebnisseder Wissenschaften nicht unbeachtet lassen.

    Es ist klar, da alle diese Einsse von Seiten der menschlichenGesellschaft und ihrer geschichtlichen Situation nicht in erster Linie alsHindernisse des philosophischen Denkens zu werten sind, als Vorurteile,von denen sich der Philosoph frei machen mu. Ohne eine Vorformungdurch die Einsse der Umwelt wrde sich der einzelne Denker ohneZweifel in einer fr fruchtbares philosophisches Denken ungnstigerenLage benden. Trotzdem kann nicht geleugnet werden, da die Bindung andie berlieferung unter gewissen Umstnden zu einem Hindernis fr dieWahrheitsndung werden kann.

    Wie die naturhaften Grundlagen philosophischen Denkens, so zeigenauch seine geschichtlichen Voraussetzungen in den einzelnen Denkernindividuelle Besonderheiten. Das geistige Werden jedes Menschen wirdentscheidend geformt durch die Erziehung, die er empfngt, durch dieLehrer, die ihn bilden, durch die Lebensschicksale, die ihn prgen. Dabei istzu beobachten, da diese Einsse gegebenenfalls gerade in derentgegengesetzten Richtung wirksam werden knnen, als es der Absichtder Menschen entspricht. So hat die weiche, gefhlsselige Prgung, in derNietzsche in seiner Jugend das Christentum kennenlernte, wohlentscheidend zu seiner Abkehr vom Christentum beigetragen.18c) Gesellschaftliche Einsse.

    Zu den auerrationalen Triebkrften, durch die metaphysischeberzeugungen beeinut werden, gehren weiter, wie schon gesagtwurde, die gruppen- und klassenbedingten Interessen, die zuideologischen berzeugungen im engeren Sinn des Wortes fhren. Sosind fr den Marxismus Philosophie, Weltanschauung, Religion nurideologischer berbau ber der realen Basis, die in den materiellenProduktionsverhltnissen und der mit ihnen gegebenen Klasseneinteilungder Gesellschaft besteht. Insbesondere ist die Ideologie der besitzendenund daher herrschenden Klasse eine verzerrte Widerspiegelung derGesamtwirklichkeit, die der Erhaltung der Vorrechte dieser Klasse dient.

    Eine Abhngigkeit metaphysischer berzeugungen vonklassenbedingten Interessen wird auch von Vertretern derWissenssoziologie angenommen. So spricht M. Scheler von einerTypologie der klassenbedingten Denkarten, von

    14 Idolen der Unter- und Oberklasse, die von ihnen sozusagen mit derMuttermilch eingesogen werden19. Allerdings bedeuten nach Schelerdiese Idole keine kausale Notwendigkeit bestimmter Weltanschauungen,

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  • sondern nur Denkneigungen und Anschauungsantriebe.K. Mannheim spricht von der Seinsverbundenheit des Wissens,

    wobei das Sein nicht das des Gegenstandes meint, sondern das sozialeSein; dabei handelt es sich nicht nur um Klassen, sondern z. B. auch umGenerationen, Lebenskreise, Sekten, Berufsgruppen, Schulen usw., wennauch der Klassenschichtung die grte Relevanz zuzuschreiben ist20.Dasselbe Wort, der gleiche Begri bedeuten im Mund sozial verschiedengelagerter Menschen und Denker meistens ganz Verschiedenes.21 EinBeispiel ist etwa, da der neuzeitliche Rationalismus mit dem Welt- undDenkwollen des aufstrebenden Brgertums verkoppelt war, whrendzwischen dem romantischen Irrationalismus und konservativem Weltwolleneine hnliche Anitt besteht.22 Seine eigene Auassung bezeichnetMannheim als Relationismus, den er dem skeptischen Relativismusentgegensetzt. Oenbar hlt er eine wissenschaftliche Einstellung, die sichvon der Tuschung durch Klasseninteressen freihlt, fr mglich. Diesescheint sich freilich darauf zu beschrnken, die Abhngigkeit derWeltanschauung von der sozial-historischen Situation festzustellen, so wiesie ist, sich aber eines eigenen Urteils ber Wahrheit oder Falschheit derWeltanschauung zu enthalten.6. Freiheit der Zustimmung.

    Es lt sich nicht leugnen, da die dargelegten Grnde fr den indiesem oder jenem Sinn ideologischen Charakter der Metaphysik nichtleichtzunehmen sind. Entscheidend ist aber die Frage: Bestimmen dieverschiedenen irrationalen Antriebe die metaphysischen berzeugungenmit Notwendigkeit oder bewirken sie nur eine Hinneigung zu dieser oderjener berzeugung, der sich der Mensch auch frei widersetzen kann? Daserste ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil wir um die Abhngigkeitvon solchen Einssen wissen knnen; das Wissen um die subjektiveBedingtheit unserer Auassungen ist aber kaum vereinbar mitzweifelsfreier berzeugung. Eine Notwendigkeit, entsprechend denauerrationalen Einssen zu urteilen, besteht also hchstens solange, wiewir uns ihrer subjektiven Bedingtheit nicht bewut sind. Belassen

    15 uns aber die auerrationalen Einsse die Freiheit der Entscheidung, soknnte eine Notwendigkeit der Zustimmung nur durch die Evidenz derSache selbst zustande kommen. Eine zwingende Evidenz scheint nunaber in metaphysischen Fragen nie oder kaum je vorzuliegen. So bestehtalso so gut wie immer die Mglichkeit einer freien Entscheidung fr denZweifel, die Skepsis. Beweggrund fr diese Entscheidung knnte derGedanke sein; So wird am sichersten der Irrtum ausgeschlossen. Aberbedeutet eine solche Entscheidung nicht eine innere Verarmung, einenVerzicht auf menschlich Unverzichtbares? Ist nicht ein Entschlu zurWahrheit, die mehr als wissenschaftlich ist23, menschlich unentbehrlich?K. Jaspers bejaht diese Frage. Freilich fgt er hinzu: WelcheWahrheitsmchte mir fhlbar werden, mit welchen ich mich identiziere,welche ich abstoe, entspringt der Freiheit.24

    Aber wenn diese Wahrheit nicht allgemeingltig ist, wenn ich michfr sie frei entscheide, ist sie dann noch echte Wahrheit, Wahrheit, die einSagen dessen ist, was ist und nicht zugleich nicht sein kann? So scheintgerade die Tatsache, da wir uns fr die letzte Wahrheit, die allein demmenschlichen Leben einen Sinn geben kann, frei entscheiden mssen, denIdeologieverdacht gegen diese Wahrheit zu besttigen, wenn dabei dasWort der 'Ideologie' auch wieder einen abgewandelten Sinn bekommt.7. Eigenart der metaphysischen Prinzipien.

    Und doch setzen alle diesen scheinbar so plausiblen Begrndungendes Ideologieverdachts immer wieder keineswegs hinreichendbegrndete Auassungen voraus. Auf einige wurde schon in der Darlegungder Grnde fr den Ideologieverdacht hingewiesen. Auf einen weiterenwesentlichen Gesichtspunkt soll hier noch aufmerksam gemacht werden.

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  • Es ist dies die Eigenart der Prinzipien, der Urstze, auf denenschlielich alle Metaphysik beruht. Die Reexion auf die Methode derMetaphysik bleibt oft zu sehr allein bei dem eigentlich rationalen Elementder Begrndung, d. h. bei der logischen Ableitung als solcher, stehen. Wenndiese mit der gebotenen Klarheit und Eindeutigkeit vorgelegt wird, drftesie tatschlich nicht leicht angegrien werden. Aber die Logik als solchekann immer nur zwingend dartun: Wenn man diese und jene Stzeannimmt, dann ergeben sich notwendig diese und jene Folgerungen. DieAbleitung ist entweder in diesem Sinn zwingend oder sie ist berhauptkeine. Aber jede Ableitung verweist zurck auf die Voraussetzungen, d. h.auf jene Stze, die ohne Beweis zugrunde gelegt

    16 werden. Wer das Ergebnis einer logisch einwandfreien Ableitung nichtannimmt, bestreitet darum nicht die Richtigkeit der Ableitung, sondern dieVoraussetzungen des anderen. Darum kann auch eine noch so exaktformalisierte (logistische) Darbietung des Beweises dessen notwendigeBeweiskraft nicht wesentlich steigern.

    Entscheidend bleiben also die Prinzipien, die Urstze, von denendie Ableitung ausgeht, die letzten Voraussetzungen, wie man zu sagenpegt. Darum hat man von jeher nur den logisch richtigen Schlu alsBeweis anerkannt, der von wahren und gewissen Urstzen ausgeht. Indiesem Sinn sagt Aristoteles, der Beweis sei ein Schlu aus notwendigenVorderstzen.25 Er denkt dabei an die notwendig wahren allgemeinenStze, die Prinzipien, von denen alles Beweisen ausgehen mu. Da dermetaphysische Schlu daneben auch sicher feststehende Einzeltatsachenvoraussetzen mu, beachtet er weniger. Aber bei ihnen liegt auch nicht dieeigentliche Schwierigkeit der Verstndigung, sondern bei den allgemeinenPrinzipien. Diese hat man vielfach auch in dem Sinne fr notwendiggehalten, da man annahm, niemand knne sich ihrer Evidenz entziehen,jedermann msse sie notwendig einsehen und notwendig annehmen. ZurBegrndung dafr wies man etwa auf Selbstverstndlichkeiten hin wie die,da das Ganze grer ist als der Teil. Aber solche Prinzipien sind auchwenig ergiebig fr das metaphysische Denken. Prinzipien aber, die frmetaphysische Folgerungen fruchtbar sind, haben selbst schonmetaphysischen Charakter. Damit drfte es zusammenhngen, da sie, wiedie Erfahrung zeigt, nicht zur Zustimmung ntigen. Das heit aber nicht,da ihnen die Evidenz notwendig abgeht, wenn man unter Evidenz daszur vernunftgemen Zustimmung erforderliche und hinreichendeSichzeigen des Sachverhaltes versteht.

    Hier sind wir vielleicht an dem Punkt angelangt, der fr das rechteVerstndnis dessen, worum es hier geht, der entscheidendste ist. Vielescheinen zu meinen, Evidenz sei eine Eigenschaft, die bestimmtenSachverhalten oder Stzen sozusagen an sich zukommt, unabhngig vonder Haltung des erkennenden Subjektes. Was evident ist. da mujedermann sehen, vorausgesetzt nur, da er gesunde Sinne hat.beziehungsweise, da er die Sprache versteht, in der ein Satzausgesprochen wird. Und was er so sieht, das mu er auch in einem Akt derZustimmung annehmen, er kann es wenigstens nicht leugnen. Daraus folgt:Wenn ein Satz nicht allgemein angenommen wird, wenn es Menschen gibt,die ihn leugnen, obwohl sie ihn sprachlich verstehen, dann fehlt diesemSatz eben die Evidenz, das heit, er ist nicht hinreichend begrndet, erkann nicht als objektiv be-

    17 grndete Erkenntnis gelten. Eben dies ist die Auassung, die zu prfen wirin diesem Kapitel von Anfang an uns vorgenommen haben.

    Da sie keineswegs so einleuchtend ist wie man vielfach meint, gehtschon daraus hervor, da es oenbar sehr verschiedene Stufen desVerstehens eines Satzes gibt. Es mag sein, da ein Satz wie der: DieseFlche ist rot, ohne weiteres verstndlich ist, obwohl auch hier noch derZweifel auftreten kann, ob man diese bestimmte Farbtnung noch rotnennen knne. Bei metaphysischen Stzen dagegen ist das erste,oberchliche Verstndnis meistens keineswegs schon das echte. Es bedarfoft nicht weniger Mhe, Geduld und Anstrengung des Begries, um deneigentlich gemeinten Sinn klar zu erfassen. Wer von vornherein berzeugtist, da alle Metaphysik Unsinn ist, wird sich dieser Mhe nicht

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  • unterziehen. Aber auch, wer durch seine ganze geistige Entwicklung ineiner bestimmten Richtung vorgeformt ist, wird nicht selten den Sinn desSatzes ungewollt und unvermerkt umbiegen, so da ihm gerade dasEntscheidende entgeht.

    So ergibt sich schon das rechte Verstndnis metaphysischer Stzenicht mit Notwendigkeit: wo dieses Verstndnis aber fehlt, kann sich dieEinsicht erst recht nicht einstellen. Aber auch wenn der Sinn des Satzesrichtig erfat ist, kann es vorkommen, da wegen psychologischerHemmungen die Einsicht verdunkelt und die Zustimmung verhindert wird.Metaphysische Evidenz ist von wesentlich anderer Art als mathematischeoder naturwissenschaftliche. Wer auch im Bereich der Metaphysikmathematische oder naturwissenschaftliche Evidenz verlangt, derverschliet sich selbst den Zugang zu metaphysischer Einsicht. SchonAristoteles bemerkt: Es ist Kennzeichen eines gebildeten Geistes, aufjedem Gebiet nur jenes Ma von Strenge zu fordern, das die Natur desbetreenden Gegenstandes zult.26 Die rechte Einschtzung der Grndein jedem Bereich fordert eine verstndige Haltung, eine Urteilsfhigkeit, diesich keineswegs von selbst versteht, sondern ethischen Haltungenverwandt ist.27 Und hinter alledem mu ein unbedingtes Wahrheitsethosstehen, das einerseits der sich darbietenden

    18 Evidenz sich nicht auf Grund von Vorurteilen verschliet, anderseits auchnicht in Selbsttuschung sich eine Evidenz einredet, die es in Wirklichkeitnicht gibt.

    Aus alledem ergibt sich, da die Zustimmung im Bereich derMetaphysik (wenigstens zumeist) sich nicht mit Notwendigkeit aus denBeweisen ergibt, sondern eine freie Entscheidung einschliet28; man kannniemandem den Gottesglauben andemonstrieren; wer dies fr dieAufgabe der Gottesbeweise hlt, verkennt ihren Sinn.

    Jedenfalls haben unsere berlegungen zweierlei gezeigt:Es wre ein naiver Rationalismus, anzunehmen, jeder gltige Beweismsse auch in dem Sinn ein zwingender Beweis sein, da sich ihmniemand entziehen kann, so da umgekehrt gelten wrde: Ein Beweis,dem von vielen widersprochen wird (auch von solchen, die ihnverstanden haben), ist notwendig fehlerhaft, ungltig.

    1.

    Es wre aber auch ein naiver Irrationalismus, anzunehmen, da allemetaphysischen berzeugungen wesentlich durch auerrationaleEinsse bestimmt sind, so da sie ideologischen Charakter haben.

    2.

    Darum ist das Streben nach metaphysischer Erkenntnis nicht vonvornherein zum Scheitern verurteilt. Die tiefgehendenMeinungsverschiedenheiten in metaphysischen Fragen berechtigen unsnicht, uns ohne weitere Prfung auf Kants Urteil festzulegen: DieseErkenntnisse bersteigen alles Vermgen der menschlichen Vernunft(Kritik der reinen Vernunft A VII).

    Anmerkungen Kap.11 KrV A VII. 12 Ebd. B XV. 23 R. Descartes, Regulae ad directionem ingenii, Reg. 2: OEuvres, d.

    Adam-Tannery, Bd. 10, S. 363, Z. 8-13. 34 Kant selbst rechnet seine transzendentale Erkenntniskritik zur

    Metaphysik im weiteren Sinn: vgl. KrV B XVIII f. und 869. 45 Vgl. Die deutsche Ideologie (1845/46)(3. Bd. von

    Marx-Engels-Werke |MEW|. Berlin21962): K. Marx, Zur Kritik derpolitischen konomie (1869), Vorwort (MEW. Bd. 13. Berlin 21964) 9f.

    5

    6 K. Marx F. Engels, Ausgewhlte Schriften, Bd. 2 (Berlin 1952) 467 f.Hier wird bewute Tuschung ausdrcklich in Gegensatz zuIdeologie gesetzt.

    6

    7 Th. Geiger, Ideologie und Wahrheit (Stuttgart 1953) S. 75. 7

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  • 8 Ebd. 78. 89 Ebd. 81. 910 E. Topitsch, Vom Ursprung und Ende der Metaphysik (Wien 1958). In

    den obigen Satz fat E. Nolte den Inhalt des Buches zusammen; vgl.Kantstudien 51 (1959/60) 124.

    10

    11 Vorlesungen ber die Geschichte der Philosophie: Werke(Jubilumsausgabe), Bd. 17, S. 46. 11

    12 12 Ebd. 1213 Politeia 518 C. 1314 Philosophie des lebendigen Geistes in der Krise der Gegenwart

    (Gttingen 1977) 15. 1415 Vgl. hierzu: A. Wenzl, Theorie der Begabung (Leipzig 1934) 16-20; G.

    Pfahler, System der Typenlehren (Leipzig 41943) 53-85; W. Dillhey,Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in denmetaphysischen Systemen, in: Werke. Bd. 8 (Leipzig 1931)73-118;H.Leisegang, Denkformen (Berlin 21951).

    15

    16 A. a. O. (Anm. 15) S. 86. 1617 Vgl. hierzu:J. B. Lotz, Zur Geschichtlichkeit des Menschen, in:

    Scholastik 26(1951), 321-341; ders.. Von der Geschichtlichkeit derWahrheit: ebd. 27 (1952), 481-503.

    17

    18 Vgl. G. Siegmund, Nietzsche als Atheist und Antichrist.Paderborn. 4. Au. 1946. 134-184. 18

    19 Die Wissensformen und die Gesellschaft, Bern. 2. Au. 1960. 172. 1920 K. Mannheim, Art. Wissenssoziologie, in: A. Vierkandt,

    Handwrterbuch der Soziologie. Stuttgart 1931.659-680. zit. St. 664. 2021 Ebd. 663. 2122 Ebd. 666. 2223 K. Jaspers, Kleine Schule des philosophischen Denkens (Mnchen

    1965) 89. 2324 Ebd. 90. 2425 Zweite Analytik 1.4; 73a 24. 2526 Nikomachische Ethik 1, 3; 1094 b 23-25. 2627 Nicht zu Unrecht spricht Aristoteles von dianoetischen Tugenden,

    Verstandesfertigkeiten, denen er das 6. Buch der NikomachischenEthik (!) widmet. Zu ihnen gehrt die anchinoia (Nik. Eth. 6,9 [bzw.10]; 1142b 5), man knnte etwa sagen der rechte Takt in derBeurteilung der Grnde. J. H. Newman sagt dafr skill (Grammar ofAssent, 2. Teil, 9. Kap. 2; deutsche bersetzung: Entwurf einerZustimmungslehre, Mainz 1961, S. 251 f.). Vielleicht fehlt aber beibeiden (Aristoteles und Newman) noch das klare Bewutsein dafr,da nicht nur die Zusammenschau verschiedenartiger Grnde zueiner Folgerung, sondern auch die rechte Beurteilung unmittelbarerEvidenzen intellektuellen Takt voraussetzen kann. In den Kapitelnber die metaphysischen Prinzipien werden wir auf diese Fragenzurckkommen.

    27

    28 Dabei ist zu beachten, da ebenso wie die Zustimmung auch dieAblehnung metaphysischer Stze eine freie Entscheidung einschliet.Ja auch der Zweifel an aller Metaphysik (wie er in der Annahme desSatzes enthalten ist: Was nicht allgemein angenommen ist, das istungewi) ist nicht notwendiges Ergebnis zwingender Grnde bzw. desFehlens zwingender Grnde fr das Ja. sondern Ergebnis freierEntscheidung. Und die Frage ist unvermeidlich, ob dieseEntscheidung bessere Grnde fr sich hat als die Entscheidung frdie Annahme. Vgl. Karl Rahner, Intellektuelle Redlichkeit undchristlicher Glaube, in: Schriften zur Theologie VII (1966) 54-66.

    28

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