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13. Wahrheit und Wirklichkeit versus Realität. Mathematik, Physik und Metaphysik. Relativität und Begrenztheit menschlicher Erkenntnis Wieso sollte ein Mindestmass an Wissen über die Themen dieses Kapitels über das Theoretische hinaus auch im täglichen Leben nützlich sein? Weil wir durch dieses Wissen verstehen werden, dass wir mit den von uns wissenschaftlich bewiesenen Erkenntnissen und umso mehr mit unseren angeblichen Wahrheiten vorsichtig umgehen sollten. Beide dürfen nicht absolut vertreten werden, da deren Richtigkeit durch unser unvollkommenes menschliches Denken und durch unsere limitierten Sinnen befangen und relativiert bleibt. Wissenschaftlich verifizierte Erkenntnisse gelten nur solange, bis wir sie wissenschaftlich verwerfen (falsifizieren) und durch neue Erkenntnisse ergänzen können. Dieses Kapitel ist das anspruchsvollste und umfangreichste. Es geht mir dabei nicht um Quantität, sondern um nützliche Qualität. Trotzdem braucht es zum besseren Verständnis dieser komplexen Materie ein Minimum an inhaltlicher Erklärungs- Quantität. Nicht weil diese Thematik viel wichtiger wäre, sondern weil sie komplexer und als Ausgangslage für alle unsere Erkenntnisse dennoch von zentraler Bedeutung ist. Es geht hier um die Darstellung unserer Wissensgrundlagen. Es sind weniger die theoretischen Grundlagen, sondern vielmehr deren praktischen Nutzen, den ich besonders hervorheben werde. Deshalb hoffe ich, dass der Leser, trotz der schwierigen und teilweise abstrakten Materie, nicht mit dem Lesen aufhört. Das

Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

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Wahrheit und Wirklichkeit versus Realität. Mathematik, Physik und Metaphysik. Relativität

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Page 1: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

13. Wahrheit und Wirklichkeit versus Realität. Mathematik, Physik und Metaphysik. Relativität und Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wieso sollte ein Mindestmass an Wissen über die Themen dieses Kapitels

über das Theoretische hinaus auch im täglichen Leben nützlich sein? Weil

wir durch dieses Wissen verstehen werden, dass wir mit den von

uns wissenschaftlich bewiesenen Erkenntnissen und umso mehr

mit unseren angeblichen Wahrheiten vorsichtig umgehen sollten.

Beide dürfen nicht absolut vertreten werden, da deren Richtigkeit

durch unser unvollkommenes menschliches Denken und durch

unsere limitierten Sinnen befangen und relativiert bleibt.

Wissenschaftlich verifizierte Erkenntnisse gelten nur solange, bis wir sie

wissenschaftlich verwerfen (falsifizieren) und durch neue Erkenntnisse

ergänzen können.

Dieses Kapitel ist das anspruchsvollste und umfangreichste. Es geht mir

dabei nicht um Quantität, sondern um nützliche Qualität. Trotzdem braucht

es zum besseren Verständnis dieser komplexen Materie ein Minimum an

inhaltlicher Erklärungs-Quantität. Nicht weil diese Thematik viel wichtiger

wäre, sondern weil sie komplexer und als Ausgangslage für alle unsere

Erkenntnisse dennoch von zentraler Bedeutung ist.

Es geht hier um die Darstellung unserer Wissensgrundlagen. Es sind

weniger die theoretischen Grundlagen, sondern vielmehr deren praktischen

Nutzen, den ich besonders hervorheben werde. Deshalb hoffe ich, dass der

Leser, trotz der schwierigen und teilweise abstrakten Materie, nicht mit dem

Lesen aufhört. Das wäre schade. Denn er würde die praktischen Folgen

unserer relativen Erkenntnisse verpassen. Wer die Anstrengung auf sich

nimmt, wird für sein Leben hoffentlich Nützliches erfahren.

Sich über die Grenzen unserer angeblichen Wahrheiten und

Erkenntnisse bewusst zu werden, ist für unser Leben wichtig und

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nützlich, um falsche Schlussfolgerungen und somit Irrtümer zu

vermeiden sowie, um unser Weltbild zu erweitern.

Ist die Wirklichkeit eine Fälschung? Warum erschaffen wir uns immer wieder

neue eigene Wirklichkeiten? Woher wissen wir, was wirklich und was wahr

ist? Wie schützen wir uns vor unseren falschen Gedanken, Meinungen bzw.

vor Vorurteilen? Wie funktioniert die Wirklichkeitserschaffung in unserem

Kopf? Wie viel von der angeblichen Wirklichkeit ist nur eine von unserem

Gehirn erzeugte virtuelle Welt? Jeder erschafft sich seine eigene

Wirklichkeit. Die von den einzelnen Menschen erdachten Wirklichkeiten

müssen nicht übereinstimmen, sondern können sogar verschieden sein.

Menschliche Wahrnehmung ist in erster Linie Interpretation, die oft auch

noch falsch ist und deshalb zu Missverständnissen unter den Menschen

führt. Wir teilen gemeinsame Wirklichkeits-Schnittmengen mit anderen

Menschen, übersehen jedoch häufig deren private Wirklichkeiten. Sobald

wir unsere Mitmenschen wieder verlassen, trennen sich unsere

gemeinsamen und unrealisierten Wirklichkeiten erneut voneinander. Die

geteilte Wirklichkeit fungiert als eine Art stillschweigende Übereinkunft über

das, was als „Normalität“ betrachtet wird. Diese Schnittstellen mit anderen

Menschen brauchen wir, um als soziale Wesen miteinander auszukommen.

Nun gibt es allerdings Menschen, deren Denken und Handeln mehr oder

weniger stark von der Norm abweichen.

Unsere subjektive Wirklichkeit entspricht nicht der Realität (der objektiven

Wirklichkeit), sondern sie ist nur eine Annäherung an die Realität. Sie ist

das Ergebnis der Interpretation unseres Gehirns der von ihm nur begrenzt

erfassten Informationen durch unsere beschränkten Sinne. Das Gehirn

empfängt die Realität bei allen Menschen zwar ähnlich. Die Interpretation

der empfangenen Informationen durch das Gehirn der einzelnen Menschen

ist jedoch von ähnelnd bis sehr verschieden. Jedes menschliche Gehirn

erstellt seine eigene Wirklichkeit, aus der sich wiederum subjektive

Wahrheiten ergeben.

Dazu kommen noch psychische Einwirkungen wie Traumata und andere

mechanische Verletzungen an bestimmten für die Informationsweitergabe 2

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wichtigen Schnittstellen des Gehirns. Häufig sind es Störungen zwischen

den Zentren “objektiver“ Wahrnehmung im visuellen Kortex und dem

Gefühlszentrum im limbischen System, der Amygdala, die die Realität

verfälschen; Signalübertragungsfehler, die dem Betroffenen eine ganz

andere Wirklichkeit schaffen. Dies ist der Grund, um nur ein Beispiel unter

vielen anderen zu erwähnen, warum manche hirnlädierte Menschen

Gegenstände wie etwa Parkuhren ansprechen: Prosopagnosie ist die

Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, und führt häufig dazu, dass Dinge, die

halbwegs menschenähnlich aussehen (Parkuhr=schmale Gestalt, runder

“Kopf“), mit Menschen verwechselt werden, und der lädierte Betroffene sich

von nichts als tellerförmigen Scheiben angeblickt fühlt. Dabei ist die

visuelle Aufnahme der Umwelt nicht gestört; nur die Weiterverarbeitung im

Gehirn endet beim Betrachten von Gesichtern in einem unidentifizierbaren

Einheitsbrei. Auch Teile der Grosshirnrinde sind besonders anfällig für

“Realitäts“-Verlust. Störungen der Selbstwahrnehmung haben hier häufig

ihre Ursache. In solchen Fällen sagen dann die meisten spontan „Der ist

geisteskrank“. Denn der Mensch, der ja bekanntlich ein soziales Wesen ist,

reagiert verunsichert auf eine fremde Denkweise, die markant von der

eigenen abweicht.

Doch die Abgrenzung zwischen krank und gesund ist nicht immer ganz

eindeutig: Häufig ist es nur eine Schwelle, die man übertritt, um ein

zumindest teilweise anderes Realitätsbild zu entwickeln als die breite

Mehrheit. Das genügt schon, um anzustossen. – Das Besondere an

sämtlichen Wahrnehmungsstörungen: Den meisten Betroffenen ist zu

keinem Zeitpunkt bewusst (und deshalb leiden sie glücklicherweise nicht

so, wie wir als gesunde Aussenstehende annehmen), dass sie in einer selbst

erschaffenen anderen Wirklichkeit gefangen sind. Etwas, das geistig

Gesunden nie passieren würde. Nicht oder doch? Denn: Wo liegt die

Schwelle zwischen gesundem und krankem Empfinden?

Hirnforscher Wolf Singer: „Das Gehirn präsentiert uns die Welt nur in sehr

begrenztem Umfang. Aus dem riesigen Spektrum prinzipiell verfügbarer

Signale nehmen wir nur einen kleinen Teil auf.“

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Wir leben nicht in der realen Welt, sondern in dem Bild, das wir uns

von der Welt machen.

Von den angeblichen Wahrheiten ist die subjektive Wirklichkeit zu

unterscheiden: Diese ist die von unserem Gehirn begrenzte und

durch unsere beschränkte Wahrnehmung (durch unsere limitierten

Sinne) verzerrte Interpretation der von uns nur annähernd

erfassbaren Realität. Die von uns begrenzten Menschen nur

annähernd interpretierte und nur subjektiv erfassbare objektive

Wirklichkeit (Realität) existiert, so nehmen wir an, unabhängig von

uns.

Im spanischen Wortschatz kennt man übrigens nur die Bezeichnungen

Wahrheit (verdad) und Realität (realidad) und nicht das deutsche Wort

Wirklichkeit, die in der geläufigen deutschen Sprache Synonym von Realität

ist. Einige Philosophen und Hirnforscher unterscheiden weiter zwischen

subjektiver Wirklichkeit und objektiver Wirklichkeit (Realität), um

ihre Gedanken besser erklären zu können.

Als Wahrheiten verstehe ich die aus unserer subjektiven

Wirklichkeit abgeleiteten Gedanken und Schlüsse, die mit der

subjektiven Wirklichkeit übereinstimmen können, aber auch

solche, die zur subjektiven Wirklichkeit keinen direkten Bezug

haben. Denn nicht alle Wahrheiten lassen sich mit unserer

subjektiven Wirklichkeit vereinbaren und nicht alle Wahrheiten

sind in ihrem Wahrheitsgehalt haltbar oder zutreffend. - Es ist wahr

und mag sogar der Realität entsprechen, dass wir z. B. geboren werden,

denken, sehen, laufen, essen, sterben usw. Wir ersinnen uns andererseits

angebliche Wahrheiten, die mit unserer subjektiven Wirklichkeit nicht

unbedingt übereinstimmen müssen, wie, dass wir gerecht sind, nicht lügen,

lieb sind, nicht stehlen usw. Entsprechen diese Wahrheiten tatsächlich

unserem wirklichen Verhalten?

Man sagt Dinge, an die man glaubt und für wahr bzw. wirklich hält. Davon

mögen subjektive Wahrheiten und Wirklichkeiten anderer Menschen

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differieren. Die objektive Wirklichkeit (Realität) bleibt eine von uns (als

unvollkommene, begrenzte Menschen) nie ganz erfassbare Wirklichkeit.

Manche unserer erdachten Wahrheiten entsprechen nicht immer, sondern

nur teilweise unserem tatsächlichem Verhalten bzw. den Tatsachen unserer

subjektiv erfassten Wirklichkeit. Und einige unserer subjektiven Wahrheiten

mögen wohl wenig oder überhaupt nichts mit der Realität zu tun haben, der

wir uns durch unsere subjektiv erfasste Wirklichkeit anzunähern versuchen.

Die objektive Wirklichkeit ist die von uns angenommene Realität,

die unabhängig von uns existiert. Objektiv von wem aus gesehen?

Von uns und von einem anderen menschlichen oder

weiterentwickelten Wesen aus betrachtet. Sie ist unsere subjektive

Annahme, von der wir in unserem Denken nun mal ausgehen. Die

Annahme einer realen externen, von uns unabhängig existierenden

Aussenwelt mag zutreffen oder nicht, so wie bestimmte abstrakte

Axiome, von denen die Mathematik ausgeht. Wir gehen bei unserer

Annahme davon aus, dass andere gegenüber uns Menschen

weiterentwickelte Wesen in dem angenommenen realen Universum sich der

von uns angenommenen objektiven Wirklichkeit (Realität) subjektiv viel

weiter annähern dürften als wir. Eine sinnvolle Annahme, die auf unsere

subjektive nur annähernde Interpretation der Realität beruht. Je weiter

entwickelt die Sinne und das Gehirn eines Wesens sind, desto mehr wird

sich seine erdachte subjektive Wirklichkeit der objektiven Wirklichkeit

(Realität) annähern.

Ohne unsere oben erwähnte Annahme bliebe die objektive Wirklichkeit

(Realität) undefiniert. Die von unserem Gehirn aus angenommene,

unabhängig von uns existierende Realität ist wiederum ein subjektives

Konstrukt unseres Gehirns. Ohne die Existenz eines subjektiv denkenden

Wesens (Gehirns) kann es keine Herleitung bzw. annäherndes Abbild

(subjektive Wirklichkeit) der Realität geben. Wie wir noch aus den

nachfolgenden Erläuterungen über die Quantenphysik sehen werden: Es

hängt von unserer Messung der äusseren Welt durch unsere

Wahrnehmungs-Sinne und deren Auswertung durch unser denkendes

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Gehirn ab, wie weit das Gehirn ein annäherndes subjektives Abbild der

äusseren Welt wiedergibt. Ohne die Existenz eines denkenden Gehirns

würden sich Fragen über die Realität und sonst andere existenzielle Fragen

erst überhaupt nicht stellen. Die Frage nach Realität stellt sich erst, wenn

ein denkendes Gehirn existiert und, aktiviert durch die Sinnesreize der

Wahrnehmungen, über dessen Ergebnisse nachdenkt.

Wir begehen den Fehler, unseren Wahrheiten zu viel Gewicht und

sogar absolute Gültigkeit zu gewähren. Diese Feststellung ist für

uns in unserem täglichen Leben wichtig und auch von Nutzen: Wir

sollten die Gültigkeit unserer angeblichen Wahrheiten prüfen und

relativieren, bevor wir fragliche Wahrheiten applizieren. Viele

angebliche Wahrheiten haben mit unserer subjektiven und der

objektiven Wirklichkeit nichts oder nur wenig zu tun. Es sind von

unserem Gehirn erdachte, hoffentlich sinnvolle, uns glücklich

machende ethische Konstrukte, die aber vielleicht nur teilweise

zutreffen. Deshalb sollten wir diese immer wieder infrage stellen.

Es gibt viele angebliche Wahrheiten, die eindeutig oder zweideutig sind.

Wie z. B., dass es Menschen und Tiere gibt. Aber wo liegen die

Unterschiede? Wie erfassen uns wohl die Tiere aus ihrer Sicht, wenn sie

überhaupt ein eigenes konkretes Weltbild haben? Verschiedene Farben?

Welche und wie viele Farben erfasst die Tierwelt gegenüber den von

Menschen gesehenen Farben? Es gibt Tag und Nacht, jedoch keine

Tageshelligkeit im Winter in der Arktis und auch nicht für die gesamte

Tierwelt, z. B. nicht für Meerestiere in der ewigen Dunkelheit der grössten

Meerestiefen. Wie erfassen Vögel und Fische ihre Welt im Gegensatz zu

uns? Es gibt noch weitere solche Beispiele. Je nach Stand- und

Gesichtspunkt der Menschen bzw. anderer Lebewesen sind deren

subjektiven Wahrheiten bzw. subjektive Wirklichkeiten verschieden.

Zudem sind Wahrheiten unter den Menschen kulturell, religiös, politisch

oder sonst wie vom Zeitgeist einseitig angehaucht und deshalb subjektiv,

relativ und eigen. Vieles glauben wir zu wissen, obwohl wir es nicht wissen.

Darüber sollten wir uns immer wieder bewusst sein.

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Der Schriftsteller Mark Twain formulierte es einst treffend: „In

Schwierigkeiten bringt uns nicht das, was wir nicht wissen.

Stattdessen sind es diejenigen Dinge, die wir zu wissen glauben,

die in Wirklichkeit aber falsch sind.“

Trotzdem sind unsere subjektiven Wahrheiten Bestandteile unserer

subjektiven Wirklichkeit. Diese wird nämlich nicht allein durch unsere

wissenschaftlichen Erkenntnisse gestaltet, sondern auch durch die von uns

erdachten Wahrheiten. Die Inhalte dieser Wahrheiten sind, unabhängig

davon, ob sie stimmen, nur dann ethisch vertretbar und sinnvoll, wenn sie

dem Gemeinwohl der Menschen dienen: indem sie die Menschen, die

danach leben, glücklich werden lassen. Man lebt auch von unwahren

Illusionen, jedoch hoffentlich nicht von den falschen.

Praktische Beispiele von Subjektivität: In einem Experiment wurde ein

Kandidat auf seine Eignung für eine Stelle von mehreren Personen

gleichzeitig beurteilt. Die Urteilenden differierten höchst signifikant in ihrer

positiven Beurteilung, je nachdem, ob sie vorher durch die Einnahme eines

kalten oder heissen Getränkes als absichtlich gestellte Testbedingungen

beeinflusst wurden. Die Hälfte der Urteilenden, die kurz vorher warme

Getränke eingenommen hatten, beurteilten den Kandidaten fast zu 100%

positiv. Die andere Hälfte der Urteilenden mit den kalten Getränken nur zu

40%. Ähnliches geschieht bei Lohnverhandlungen mit dem Chef. Die

Aussichten von positiv ausgehenden Verhandlungen sind nach dem

Mittagessen deutlich besser als eine Stunde davor. Dies wurde

experimentell ebenfalls nachgewiesen. Und noch besser, wenn man dem

Chef vorher ein warmes Getränk trinken lässt? Letzteres müsste

experimentell noch getestet werden. Wie dem auch sei, dies zeigt wie

sachliche Entscheidungen durch eine Wohlfühl-Atmosphäre und durch

andere emotionale Stimmungen (Hintergrundmusik, Gerüche,

Lichtverhältnisse, entspannte Ambiance und so fort) sowie auffallende

Eindrücke, wie beispielsweise Kleidung, teilweise eher unsachlich

beeinflusst werden.

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Wir tendieren, seltsame Erscheinungen, wie die ernsthafte, medizinisch

anerkannte und angewandte Hypnose, den fraglichen sechsten oder

siebten Sinn beim Menschen (und insbesondere bei den Tieren), das

angebliche Gedankenlesen sowie andere wissenschaftlich umstrittene

parapsychologische Psi-Phänomene, von vorneherein überheblich zu

negieren. Warum? Erstens, weil angebliche parapsychologische Gaben von

zahlreichen Scharlatanen zum Geldverdienen missbraucht werden.

Zweitens, weil wir solche Phänomene nicht erklären und wissenschaftlich

nicht beweisen können. Wir negieren sie, obwohl wir einige dieser

Phänomene wissenschaftlich auch nicht falsifizieren können. Die Hypnose

wird zudem öfters mit Magie durchmischt, mit Showeffekten, die eher mit

Magietricks und kaum mit echter Hypnose zu tun haben. Deshalb werden

Hypnose und Psi-Phänomene von manchen mit Recht nicht mehr ernst

genommen, äusserst skeptisch betrachtet oder sogar lächerlich gemacht.

Als Brücke bzw. Verbindung zwischen Körper bzw. Gehirn und den mit

diesem zusammenhängenden psychischen und geistigen Erscheinungen

öffnen die erwiesenen hypnotischen Trancezustände neue

Bewusstseinsebenen (in anderen subjektiven Wirklichkeiten?): Eigene

geistige Ressourcen werden aktiviert, unterschiedliche Störungen therapiert

oder krank machende Muster verändert. Nachdem die Hypnose in der

Psychotherapie lange Zeit keine grosse Bedeutung mehr gehabt hatte, wird

sie heute wiederentdeckt – auch von Ärzten und Zahnärzten. Hoch

suggestible Menschen können sich sogar ohne Narkose von speziell dazu

ausgebildeten Ärzten operieren lassen, ohne dass solche Patienten Schmerz

empfinden.

Nur 10 bis 15 Prozent der Menschen sind hochsuggestibel, d. h. fähig zu

tiefen Trancezuständen und vom Hypnotiseur beeinflussbar. Rund 5 Prozent

sind nicht oder kaum hypnosefähig. Der Rest der Menschen ist mehr oder

weniger suggestibel. Die Hypnosewirkung ist ein Abtauchen ins

Unbewusste, wo die Ratio keinen Zutritt hat. Während der Trancezustände

erlebt man sozusagen einen inneren Film und blendet gleichzeitig störende

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Reize aus. Die inneren und äusseren Wirklichkeiten verwischen sich, wie

beim Träumen im Schlaf und wie beim Meditieren. Die Umgebung und das

Jetzt werden ausgeblendet. Der “eigene Wille“ ist nie ganz ausgeschaltet.

Das Gefühl ist ähnlich wie kurz vor dem Einschlafen.

Auch weniger suggestible Menschen können Selbsthypnose als mentales

Training nutzen. Im Spitzensport wird sie oft angewendet. Bertrand Piccard

ist Arzt und Hypnosetherapeut und hat Erfahrung in Selbsthypnose: Auf

verschiedenen Erdumrundungs-Expeditionen liess er sich manchmal über

Funk von einem befreundeten Psychiater dank Selbsthypnose in Trance

versetzen, um den Schlaf nur mit kurzen Nickerchen über mehrere Nächte

zu kompensieren.

Für chronische Schmerzpatienten sei die Hypnose eine wahre Wohltat.

Deswegen nehme vor allem die Selbsthypnose in der Schmerztherapie

einen zentralen Stellenwert ein. Die Patienten werden gezielt angeleitet,

Selbsthypnose anzuwenden, um die Schmerzen allmählich selbst, ohne

einen Therapeuten, bewältigen zu können.

In der Forschung geht man heute davon aus, dass kriminelle, zerstörerische

Handlungen durch Hypnose allein nicht bewirkt werden können. Es muss

schon zuvor ein enges Abhängigkeitsverhältnis zwischen hypnotisierenden

Auftraggeber und hypnotisierten Ausführendem bestehen, das allein schon

die Tat auch ohne Hypnose erklären könnte. Trotzdem ist es schwierig im

Fall einer zu kriminellen Zwecken missbrauchten Hypnose, den Anteil der

Hypnose von einem Abhängigkeitsverhältnis auseinanderzuhalten.

Wir neigen Psi-Phänomene nicht zu akzeptieren, weil sie in Widerspruch

stehen zu unseren bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und damit

zu unserer subjektiven Wirklichkeit, will heißen zu unserer nur unvollständig

bzw. nur annähernd erfassten objektiven Wirklichkeit (Realität).

Darum sollten wir, gemäss dem Philosophen und Begründer des

„Kritischen Rationalismus“, Karl R. Popper, auf den ich noch

zurückkommen werde, den genannten Widerspruch als

Falsifizierungsmöglichkeit sowie die „Methode der

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Irrtumsbeseitigung“ zur Überprüfung von Thesen und Theorien

immer wieder anwenden. Nur so können wir unsere Erkenntnisse

wissenschaftlich erweitern.

Die für uns unerklärlichen Erscheinungen mögen dennoch existieren,

unabhängig davon, ob wir sie nicht akzeptieren wollen, mit unseren

limitierten Sinnen nicht erfassen, wissenschaftlich nicht beweisen und

stattdessen auch nicht falsifizieren können. Wir sollten gegenüber dem

Unerklärlichen offenbleiben und versuchen, das Unerklärliche vorurteilslos

zu untersuchen, bis wir es schliesslich wissenschaftlich entweder beweisen

oder verwerfen. Es sei denn, die Erscheinungen wären von vorneherein

allzu unwahrscheinlich, zu unglaubhaft, zu trügerisch oder sogar

betrügerisch, sodass es sich nicht lohnt, sie überhaupt ernst zu nehmen

und wissenschaftlich zu untersuchen.

Die von uns Menschen erfasste subjektive Wirklichkeit ist nur eine

Annäherung an die Realität, die durch unsere limitierten Sinne eben nur

subjektiv und unvollständig oder sogar verzerrt erahnt wird. Sogar unsere

wissenschaftlich bewiesenen subjektiven Erkenntnisse geben bloss ein nur

annäherndes Abbild der Realität wieder. Sie entsprechen nicht ganz der

objektiven Wirklichkeit (Realität), der sich ein höher entwickeltes Wesen mit

einer grösseren Anzahl Sinne und einem weiter entwickelten Gehirn noch

mehr annähern dürfte als wir begrenzte Menschen.

Das gilt ebenfalls für die Hypothese, dass es einen “Gott“ (oder was man

auch immer sich darunter vorstellen mag) gibt. Agnostiker wie ich

behaupten, dass sie es nicht wissen. Denn es lässt sich nicht

wissenschaftlich beweisen, dass es einen “Gott“ und ein “Leben“ oder

Ähnliches nach dem Tod gibt. Wir können auch nicht wissenschaftlich

beweisen, dass es keinen “Gott“ und kein “Leben“ nach dem Tod gibt. Es

bleibt somit eine weder wissenschaftlich verifizierbare noch falsifizierbare

Hypothese, an die jeder Mensch völlig frei ist, zu glauben oder nicht.

Manche Agnostiker argumentieren, dass sie sich die Frage nach einem Gott

nicht einmal stellen, weil sie sinnlos wäre. Denn eine solche

transzendentale Frage überstiege unsere beschränkten menschlichen 10

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Sinnes- und Erkenntnisfähigkeiten. Unsere limitierten Fähigkeiten könnten

eine allfällige Transzendenz nicht einmal erfassen oder verstehen. Dagegen

argumentieren kann man nur mit dem persönlichen, subjektiven Glauben.

Sogar der ungläubige Atheist widerspricht sich, indem er daran glaubt, dass

es keinen Gott gibt. Beweisen kann er dies auch nicht: Er ist also auch ein

Gläubiger, der g l a u b t, dass es keinen Gott gibt. Der Atheismus ist für

mich wiederum ein nicht beweisbarer Glaube. Agnostizismus ist kein

Glaube; es beschränkt sich auf ein Nichtwissen können über das

Transzendentale.

Es wird oft behauptet, dass nur gläubige bzw. religiöse Menschen

ethisch handeln könnten. Dies, obwohl uns die Geschichte schon öfters

zeigte, wie unethisch sich Religionen gegenüber Ungläubigen

verhielten und noch verhalten.

Auch als Atheist oder Agnostiker kann man sich als unreligiöser

Ungläubiger durch ethische Grundsätze leiten lassen, indem man

moralisch ethischen Prinzipien nachlebt. Dieses moralische

Verhalten hängt allerdings davon ab, ob man allgemein an eine

langfristig positive Evolution der Menschheit glaubt, trotz der

dazwischen immer wieder auftretenden Rückschläge im Laufe der

Menschengeschichte. Insbesondere, ob man an den e i g e n e n

Beitrag zur positiven persönlichen Entwicklung (fortschreiten und

sich übertreffen) und somit auch an eine insgesamt prosperierende

Evolution der Menschen glaubt. Denn die biologische Evolution

entwickelt sich unabhängig vom positiven oder negativen Beitrag

der Menschen. Die Evolution unterscheidet nicht zwischen gut und

bös. Sie ist im Grunde neutral und unabhängig von unserer

Sinnsuche. Die biologische Evolution beruht einzig und allein auf

das Überleben und die Vermehrung der Lebewesen durch

Mutationen, Selektion bzw. Anpassung an die wechselnden

Umweltbedingungen.

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Wichtig für die menschliche Evolution sind gemäss R. Dawkins

Altruismus und Kooperation. – Falls manche Menschen nicht an

eine insgesamt positive Menschheitsentwicklung glauben, kann

ihre Lebenseinstellung eventuell zynisch oder sogar negativ

werden. Diese Menschen dürften wohl kaum glücklich werden. Im

Extremfall kann eine solche negative Einstellung zur Verneinung

ethischer Grundsätze und damit zu einem eigennützigen, ja sogar

amoralischen Verhalten führen: Es macht dann sowieso alles

keinen Sinn. Nach mir die Sintflut. Diese Menschen schauen

meistens nur noch für sich selbst. Und, falls es für sie vorteilhaft

ist, können sie sogar über Leichen gehen. Weil sie an nichts

glauben, kümmern sie sich nicht mehr über die negativen Folgen

ihres amoralischen Verhaltens. Hauptsache, es geht ihnen gut,

auch wenn ihr egoistisches Verhalten zulasten anderer Menschen

geht. Es sei denn, sie (ähnlich wie Nihilisten oder gewisse,

Anarchisten) fürchten sich vor einer weltlichen rechtlichen

Bestrafung, die sie vor ihren widrigen Taten abschreckt.

Die Antworten zum Glauben können höchstens auf die kleinere oder

grössere Wahrscheinlichkeit ihrer Wahrheitsgehalte geprüft werden:

Unabhängig von den Wahrscheinlichkeiten der Richtigkeit von

Wahrheiten und Wirklichkeiten, Hauptsache man fühlt sich beim

Glauben an unrichtige Wahrheiten und unwahrscheinliche

Wirklichkeiten wohl und glücklich, jedoch vorausgesetzt man

verletzt dabei nicht das Wohl der Allgemeinheit. Jedem das Seine.

Das gilt für Gläubige und beispielsweise auch für manche Künstler. Die

Gläubigen leben mehr oder weniger glücklich in ihrer religiösen Welt und

einige Künstler in ihrer seltsamen, verrückten, irrationalen,

unwahrscheinlichen Welt, die sie für ihre Kunstinspiration benötigen. Jeder

soll nach seinem Gutdünken leben, solange er niemand damit stört

oder verletzt.

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Ich zitiere nochmals Shakespeare, aus Hamlet: „Es gibt mehr zwischen

Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt.“ Dieses Zitat

darf aber nicht als Passepartout missverstanden werden, sodass sogar

fragliche esoterische Fantastereien den metaphysischen Hypothesen oder

den wissenschaftlich bewiesenen Erkenntnissen gleichgesetzt werden

dürfen.

Die Frage über die Existenz einer höheren Ordnung in der Natur,

anstelle des Zufalls, des Chaos oder sonstiger Ursachen, wird für

uns limitierte Menschen eine Glaubensangelegenheit bleiben.

Über „Zufall und Notwendigkeit“ hat der französische Biologe Jacques

Monod geschrieben. Die Notwendigkeit aus Zufällen ergibt sich aus

der biologischen Evolutionsdarstellung gemäss Darwin. In ähnlicher

Hinsicht interessant sind die mathematische Darstellung von fraktalen

Figuren sowie die Chaostheorie und die Entropietheorie der Physik. – In

diesem Zusammenhang erwähne ich den “Schmetterlingseffekt“ des

Bostoner Meteorologen Edward Lorenz, der 1961 beim Test eines

Computer-Wettermodells eine gerundete Zahl eintippte: Obwohl sie sich

vom exakten Eingabewert kaum unterschied, spuckte das Modell ein völlig

anderes Ergebnis aus. Daraus schloss Lorenz: Unter bestimmten

Bedingungen haben winzige Ursachen gewaltige Effekte – die Grundthese

der Chaostheorie.

Man unterscheidet zwischen induktivem (aus beobachteten bzw.

gegebenen speziellen Phänomenen auf allgemeine Erkenntnisse

schliessen) und deduktivem Denken (aus beobachteten bzw.

gegebenen allgemeinen Phänomenen auf spezielle Erkenntnisse

schliessen). Oder anders beschrieben: Aus allgemeinen

Phänomenen und Erkenntnissen schliesst man durch Deduktion auf

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Page 14: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

spezielle Erkenntnisse und aus speziellen Phänomenen und

Erkenntnissen durch Induktion auf allgemeine Erkenntnisse.

Subjektive Wirklichkeit und angebliche Wahrheiten stimmen nicht

immer überein, wie ich dies bereits am Anfang dieses Kapitels

beschrieben habe. Des weiteren müssen wir zwischen mehr oder

weniger fraglichen Wahrheiten, unsinnigen esoterischen Fantasien

und wahrscheinlicheren, noch zu beweisenden Hypothesen und

bereits wissenschaftlich bewiesenen Theorien unterscheiden.

Wissenschaftlich bewiesen bedeutet: empirisch nachgewiesene

Erkenntnisse, die durch wiederholte Experimente mit immer

gleichen Ergebnissen verifiziert werden, bis sie durch neue

Beobachtungen falsifiziert oder ergänzt werden. Die Hypothese ist

die noch unbewiesene Vorstufe einer bewiesenen Theorie.

In der Mathematik versteht man unter Hypothese eine abstrakte

These, die aus mathematischen Grundsätzen (Axiome) bzw.

Annahmen und Voraussetzungen (angenommen und vorausgesetzt,

dass…) ausgeht, aus denen mathematische Sätze bzw. Theorien

deduktiv abgeleitet (dann gilt…) und bewiesen werden, auf Latein

q.e.d= „quod erat demonstrandum“ = „was zu beweisen war“. Die

mathematischen Annahmen und Ergebnisse haben eine abstrakte

Gültigkeit und können aber müssen nicht die physikalische

Wirklichkeit darstellen bzw. physikalisch sinnvoll anwendbar sein.

Das Kriterium der objektiven Wahrheit mag zwar für die Ergebnisse

der Mathematik gelten, jedoch nicht immer für die physikalische

Wirklichkeit. Oder anders gesagt, nicht jede mathematische

Anwendung eignet sich für die Beweisführung der physikalischen

Wirklichkeit.

So ist beispielsweise sowohl die abstrakte mathematische String- als auch

die Membrantheorie mathematisch bewiesen und in sich konsistent. Es ist

aber weiterhin fraglich, ob sich die Mehrdimensionalität der String- und

Membrantheorie auch physikalisch im Universum sinnvoll und realitätsnahe

umsetzen und somit auch wissenschaftlich beweisen lässt.

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Page 15: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

„Die Philosophie ist (nicht ganz) wie Mathematik. So wie man in der

Mathematik versucht, Grenzwerte zu berechnen, die nie erreicht werden, so

versucht auch die Philosophie Annäherungen an Probleme und Fragen zu

finden, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt.“ Zitat eines

Mechatronikers aus Mannheim.

Verifizierte Erkenntnisse gelten nicht absolut, sondern nur begrenzt und

vorübergehend, bis sie falsifiziert werden. Wir können dies anhand der

Newtonsche Theorien der klassischen Physik belegen, die im Mikrokosmos

gegenüber der Quantentheorie bzw. im Makrokosmos gegenüber der

Relativitätstheorie an ihre Grenzen stossen. Die klassische Physik wird von

den Erkenntnissen der modernen Physik teilweise (im Mikro- und

Makrokosmos) infrage gestellt und falsifiziert. Dies im Sinne des

Falsifizierbarkeits-Kriteriums gemäss der Erkenntnistheorie von Karl R.

Popper, einer der einflussreichsten Denker unseres Jahrhunderts.

Gemäss Popper sind induktive oder deduktive, empirisch

gesicherte, statistisch signifikante Ergebnisse aus systematischen

Beobachtungen und Messungen von sich wiederholenden

Ereignissen nicht ausreichend, um Theorien und Hypothesen zu

beweisen. Wichtiger ist der ständige Versuch, die Theorien zu

widerlegen (falsifizieren). Als einfaches Beispiel: Noch so viele

weisse Schwäne können den Satz „Alle Schwäne sind weiss“ nicht

eindeutig und endgültig beweisen. Denn das Auftauchen eines

einzigen schwarzen Schwanes kann ihn widerlegen. In diesem

Sinne versuchen wir, unsere Theorien durch ständige

wissenschaftliche Infragestellung schrittweise der objektiven

Realität immer weiter anzunähern.

Unter den zahlreichen Büchern von Popper empfehle ich als sehr lesenswert

sein letztes Buch, das er kurz vor seinem Tod im September 1994 noch

abschliessen konnte: „Alles Leben ist Problemlösen“, Über Erkenntnis,

Geschichte und Politik, 12. Auflage 2009, Piper Verlag, München.

Zudem auch „Das Ich und sein Gehirn“ (zusammen mit dem Gehirnforscher

John. C. Eccles editiert): 15

Page 16: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Dort wird neben der komplizierten 3-Welten-Hypothese Poppers die Frage

„Wie schafft unser Gehirn das Ich“ behandelt. Die dualistische Hypothese

(Trennung von geistiger und materieller Welt) von Popper (und Eccles,

Hirnforscher) überzeugt mich nicht. Darin beschreibt er drei Welten: die

objektive Welt der Materie, die subjektive Welt unseres Bewusstseins und

die – ebenfalls objektive – Welt des menschlichen Geistes (der Ideen,

Theorien, Probleme und Argumente). Gemäss Popper: „Aufgabe unseres

subjektiven Bewusstseins ist es, eine Verbindung zwischen der ersten Welt

(die der objektiven Materie) und der <dritten Welt> (die des objektiven

Geistes) herzustellen.“

Hirnforscher konnten bisher nicht beweisen, dass es keine

selbstständige immaterielle, objektive Welt des Geistes bzw. der

Seele getrennt vom Gehirn gibt. Bis heute gilt eher das Gegenteil:

Der Geist bzw. das Geistige wurde von den meisten Hirnforschern

(ausgenommen Eccles) als etwas Subjektives, vom Gehirn

Projiziertes, experimentell nachgewiesen. Das subjektive Denken

in unserem begrenzten Gehirn wird durch dessen Wahrnehmung

der objektiven Realität via unsere limitierten Sinne aktiviert bzw.

generiert. Zu diesem subjektiven Denken gehört auch die

Bewusstwerdung von den Inhalten unseres Unterbewusstseins als

Teil unserer von unserem Gehirn generierten subjektiven

Wirklichkeit.

Es gibt nach Popper eine objektive materielle und eine objektive geistige

Wirklichkeit, der sich der Mensch nur durch sein subjektives Bewusstsein

annähern kann. Wie gesagt, die objektive geistige Wirklichkeit wurde von

den Hirnforschern nicht als objektiv, sondern als subjektiv experimentell

nachgewiesen.

Popper weist ebenfalls auf die von ihm bezeichnete Beschränktheit (bzw.

die von mir genannte Begrenztheit) der Wissenschaft bzw. der Menschen

und ihrer menschlichen Erkenntnisse hin.

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Alles Wissen ist nach Popper „Vermutungswissen“ bis es

wissenschaftlich verifiziert wird und nur solange gültig, bis es

wissenschaftlich falsifiziert wird.

Wissenschaftliche Experimente arbeiten gegen ideologische Verbohrtheit,

sagt Ernst Fehr, Professor für Volkswirtschaftslehre (mit Schwerpunkt auf

experimentelle Mikroökonomik) an der Universität Zürich. Mit seiner

innovativen Forschung hat er immer wieder ökonomische Lehrmeinungen

widerlegen (falsifizieren) können. Ihn interessieren Experimente, die das

Potenzial haben, die ganze Perspektive einer Theorie zu ändern.

In einem ähnlichen Zusammenhang zitiere ich aus dem Magazin Nr. 3,

September 2012, der Universität Zürich, folgende Passagen von Hans-Jörg

Rheinberger, Philosoph und Biologe, Direktor am Max-Planck-Institut in

Berlin (er hat Philosophie und Biologie studiert):

„Das Testen von Hypothesen gehört zum wissenschaftlichen Alltag.

Bei Karl Popper steht es geradezu im Zentrum seiner

Wissenschaftsphilosophie und seiner Vorstellung, wie Forschung

funktioniert. Ein Wissenschaftler erfindet eine Hypothese; je klarer

diese Hypothese formuliert ist, desto klarer kann man einen

experimentellen Test konzipieren, um sie zu überprüfen. Im

Grenzfall lautet die Antwort darauf ja oder nein. Bei einem Nein ist

die Hypothese falsifiziert, bei einem Ja ist sie zwar nicht verifiziert,

aber sie wird bis auf Weiteres bestätigt. Dieses <Bis-auf-

Weiteres>, das im Popper ‘schen Ansatz steckt, hat für viele

Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler bis heute

einen grossen Appeal.“

„Es ermöglicht einem, sich kritisch zu den Objekten zu verhalten, mit denen

man es im Labor zu tun hat. Man geht eben davon aus, dass

wissenschaftliche Erkenntnisse vorläufige Wahrheiten sind. Den Preis, den

man bezahlt, wenn man das Experiment nur auf das Testen von bereits

17

Page 18: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

bestehenden Hypothesen einschränkt, ist allerdings hoch. Für jemanden,

der wie ich sozusagen (uneingeschränkt) von unten auf den

Erkenntnisprozess blickt, wird eine ganz andere Dimension des

Experimentierens zentral, die des Erkundens von Neuland (über die

Überprüfung bloss bestehender Hypothesen hinaus).“

„Ein Experiment ist ein Weg des Erkundens, auf den man, ohne sich zu

verlieren, Neuland betreten kann. Das ist ein ganz anderer Blick auf das

Experiment als das Testen von Hypothesen, wie es Poppers

Wissenschaftsmodell vorsieht.“

Wenn man sich nicht an die obengenannten erkenntnistheoretischen

Grundsätze hält, verfällt man allen möglichen esoterischen Fantasien. Man

verliert dadurch den Boden unter den Füssen. Dies führt zu einem

weltfremden Verhalten bzw. zu einem gefährlichen Realitätsverlust. Der

lässt uns früher oder später über die Realität unangenehm stolpern.

Aberglauben und Esoterik nehmen in der heutigen Zeit zu:

Aberglauben und Sekten als Ersatz von traditionellen Religionen

und Esoterik anstelle von Wissenschaftlichkeit. Der Pendel schlägt

gegenwärtig in die gegensätzliche Richtung der Rationalität: eine

protestartige Reaktion der Menschen gegen die Ratio und,

stattdessen, zugunsten des vernachlässigten Geistigem. Extreme

sind jedoch gefährlich; weder zu viel Ratio noch allzu viel Geist

sind angebracht. Die Wahrheit oder besser die Wirklichkeit liegt

irgendwo dazwischen.

Die wissenschaftlichen Fächer werden vor allem in den Schulen

und an den Universitäten immer weniger gefragt. Sie werden

deshalb bei der Ausbildung in letzter Zeit allzu sehr vernachlässigt.

Dagegen sind die geistigen Fächer umso gefragter. Wir sollten in

der Schule die „exakten“ Wissenschaften wieder vermehrt lehren,

ohne die geistigen Fächer zu vernachlässigen. Um sich nicht bei

den Letzteren zu “verlieren“, ist die Vernunft, d. h. das kritische,

18

Page 19: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

ergebnisoffene Denken anzuwenden. Das bedeutet, dass wir nicht

von absoluten Wahrheiten ausgehen und offen für neue

wissenschaftliche und auch geistige Erkenntnisse sind. Die

Skeptiker sind nicht gegen etwas, sondern für eine vernünftige

Wissenschaftlichkeit. Fast jede (sofern nicht völlig

unwahrscheinlich oder unsinnig ist) Idee bzw. Hypothese ist

willkommen, aber sie sollte hinterfragt und schliesslich bewiesen

werden. Falls sie weder bewiesen noch falsifiziert werden kann

bleibt sie eine Glaubensfrage.

Richard Dawkins schreibt: „Warum glaubt die Hälfte der

Amerikaner, dass es Geister gibt? Warum glauben 75 Prozent an

die Existenz von Engeln? … und warum glaubt die Mehrheit der

Amerikaner immer noch nicht an die Evolutionstheorie von Darwin?

… Dummheit mag mitspielen, aber sie erklärt nicht alles. Der Grund ist ein

Mangel an Training, kritisch zu denken und zwischen Meinungen,

Anekdoten, Vorurteilen und Beweisen zu unterscheiden. Deshalb sollte an

allen Schulen gelehrt werden, was eine Doppelblind-Studie ist. Dadurch

würden wir nicht nur lernen, kritisch zu denken und unsere kognitiven

Fähigkeiten zu verbessern. Es könnte auch helfen, die Welt zu retten.“

Eine Blindstudie ist übrigens ein Experiment, bei dem die Versuchspersonen

nicht wissen, ob sie der Experimental- oder der Kontrollgruppe angehören.

Dadurch wird der Einfluss von Erwartungen und Verhaltensweisen, die

durch die Kenntnis einer bestimmten Information ausgelöst würden,

eliminiert. Blindstudien sind in der psychologischen und besonders in der

medizinischen (beispielsweise bei der Überprüfung des Placebo-Effektes)

Forschung weit verbreitet:

- einfachblind, wenn die Patienten nicht wissen, welche Substanz sie

erhalten,

-doppelblind, wenn die Patienten und die Mediziner nicht wissen, wer

welche Substanz erhält,

19

Page 20: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

-dreifachblind, wenn die Patienten, die Mediziner und die Versuchshelfer

nicht wissen, wer welche Substanz erhält.

Die Substanzen müssen aber natürlich in allen drei Fällen für alle

unmerklich im Voraus gekennzeichnet werden, damit man nachher weiss,

welcher Patient welche Substanz erhalten hat, sodass man die Ergebnisse

entsprechend sinnvoll auswerten kann.

Als Beispiel unter vielen sei der Glaube an die heilende Wirkung

homöopathischer Tropfen erwähnt. Wissenschaftlich ist ihre heilende

Wirkung nicht nachgewiesen. Sie wirken sich bei einigen Menschen aber

dennoch heilend aus und sie schaden nicht, ausser der Geldkasse. Die

Wissenschaft erklärt dies mit dem Placebo-Effekt von eindeutig

wirkungslosen Scheinmedikamenten. Beim Placeboeffekt tritt bei einem

Präparat ohne Wirkstoffe, allein durch die positive Erwartung, eine heilende

Wirkung ein. Beim Noceboeffekt kann ein wirkungsloses Präparat bei

negativer Wirkungs-Erwartung zu suggestiv eingebildeten negativen

körperlichen bzw. psychischen Symptomen führen. Es handelt sich bei

diesen Effekten um suggestive Reaktionen mancher Menschen auf

wirkungslose Präparate. Die Reaktionen hängen wiederum davon ab, wie

sehr man an die angebliche Wirkung glaubt. Solche Scheinmedikamente

benutzt man übrigens bei den obengenannten Blind-Versuchsreihen zum

Wirkungsvergleich gegenüber echten, heilwirksamen Medikamenten.

Weitere Beispiele: Etwa beim sogenannten Klimaskeptizismus; wenn

wissenschaftliche Ergebnisse der Klimaforschung geleugnet oder gar als

Verschwörung interpretiert werden, handelt es sich um eine

wissenschaftsfeindliche Haltung. Oder bei dem in letzter Zeit in den USA

zunehmenden religiös fundamentalistischen Kreationismus, der die

Evolutionstheorie von Darwin und Dawkins ablehnt und denunziert. Diese

antiwissenschaftlichen Haltungen, die sich stattdessen dem Aberglauben,

der Esoterik und den Verschwörungstheorien hingeben, sind kaum der

richtige Weg. Auch in den Medien werden viele Dinge zu wenig kritisch

hinterfragt, sodass viele von uns von den verführerischen und manchmal

tendenziösen Medien des Öfteren getäuscht werden.

20

Page 21: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

In den Kapiteln 3 und 4.1 meiner Reflexionen erwähnte ich bereits die

Bücher von Gerd Gigerenzer und seine Reflexionen über

Bauchentscheidungen, die Macht der Intuition und wie man diese bei

Risikoentscheiden berücksichtigen kann. - Aus dem Magazin 21/2013 des

Tages-Anzeigers: Dieser Autor beschreibt einige Lebensbeispiele, aus

denen er schliesst: „Sich stur nur an eine mathematische Norm zu halten ist

nicht intelligent. Die Menschen denken (manchmal sogar auch) vernünftig.

Die Standards der Rationalität sind oft (jedoch nicht immer) unvernünftig.“

Der rationale Verstand entspricht manchmal nicht dem gesunden

Menschenverstand, der oft, obwohl nicht immer, treffender ist, füge ich

hinzu.

Hüten wir uns davor, unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse oder

unser angebliches Wissen und die daraus abgeleiteten subjektiven

Wahrheiten über die Natur und unser Leben allzu unkritisch zu

vertreten bzw. im täglichen Leben allzu absolut zu applizieren. Das

führte schon öfters in der Geschichte zu Irrlehren und im Extremfall zu

blutigen Kriegen, wie z. B. religiöse Überzeugungen (bis zur Inquisition), die

machtpolitisch missbraucht wurden und werden. Gegenwärtig sind diese

innerhalb der muslimischen (z. B. zwischen Schiiten, Sunniten, Aleviten)

und anderen Staaten weiterhin zu beobachten. Andere falsche Wahrheiten

führten zu Kriegen unter dem Vorwand der Rassenreinheit bis zur Eugenik,

wie z. B. durch Hitler, wie auch zu religiös-ethnisch-rassistischen

Bürgerkriegen in ex Jugoslawien und zu vielen anderen

Auseinandersetzungen auf unserer Welt. Beim Eichmann Prozess sagte

dieser „Alles für die Reinheit des Blutes (Rassenreinheit) getan zu haben“.

Die falschen angeblichen Wahrheiten wurden und werden immer wieder als

Vorwand machtpolitisch missbraucht, obwohl sie bloss absolut

durchgesetzte, unbewiesene, extreme Vorurteile religiöser, rassistischer

oder sonstiger Art waren bzw. immer noch sind.

Ist das bisher Erwähnte zu abstrakt und für unser tägliches Leben nicht

allzu nützlich? Im Gegenteil, wohl nützlich, wenn wir die schlimmen

obengenannten Folgen von Irrlehren einsehen. Die Tendenz der Menschen

zu einem absoluten statt differenzierten Denken führt uns zu Extremen, die 21

Page 22: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

sich im Leben fast immer negativ auswirken. Das kommt davon, dass

Extreme einfacher und bequemer zu vertreten sind als Mittelwege. Letztere

sind jedoch sinnvoller und vernünftiger und schliessen die Gefahren von

Extremen aus. Leider verfällt der unvollkommene, bequeme Mensch immer

wieder den Extremen der Pendelbewegung. Dies, bevor er merkt, dass

seine extremen Meinungen zu einseitig oder sogar falsch sind und diese

durch vernünftige, wissenschaftliche Argumente vielleicht revidiert. Die

extreme schwarz/weiss Malerei fraglicher Meinungen und Wahrheiten ist

das Ergebnis von Trugschlüssen eines bequemen, zu stark vereinfachenden

Denkens. Das führt die Menschen allzu oft zu sich negativ auswirkende

falsche Handlungen.

Die oben erwähnten und nun folgenden Ausführungen über

Wahrheit, Wirklichkeit und Realität stammen aus meinen eigenen

Rückschlüssen, zu denen ich schon in meiner Jugend gekommen

war. Sie stimmen interessanterweise, wie ich später feststellen

konnte, mit den Erkenntnislehren mancher Philosophen und den

neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung und der analytischen

Psychologie überein.

Unter anderen mit den Erkenntnissen des bereits im Kapitel 9.3

erwähnten Buches von Gerhard Roth, „Das Gehirn und seine

Wirklichkeit“, Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen

Konsequenzen, Suhrkamp Verlag, 1994. G. Roth stimmt inhaltlich

weitgehend überein mit meinen Vorstellungen über Wahrheit,

subjektive Wirklichkeit und objektive Wirklichkeit (Realität) und

über den Einfluss unseres begrenzten Gehirns und unserer

limitierten Sinne.

Die meisten früheren Philosophen und Denker sowie neuzeitliche

Philosophen wie Descartes, Kant, Russell, Wittgenstein und andere hatten

sich ebenfalls über Fragen der Erkenntnis Gedanken gemacht.

22

Page 23: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Manche, insbesondere G. Roth und K. R. Popper, kamen zu ähnlichen

Erkenntnissen. Ausgenommen die 3-Welten-Hypothese von Popper, die G.

Roth und ich nicht mit ihm teilen. Andere Denker verkomplizierten die

Erkenntnis-Thematik allzu sehr. Man verzettelte sich teilweise derart in

Widersprüchen, dass am Schluss eher Verwirrung übrig blieb.

Zitate aus dem obenerwähnten Buch von Gerhard Roth:

„Von einigen Philosophen, vor allem von Popper und Eccles (Hirnforscher)

wird die <Abgeschlossenheit> der physikalischen Welt im Gegensatz zur

<Geist-Welt> hervorgehoben und als Argument zugunsten eines Dualismus

verwendet. Diese Auffassung entspringt aber einem tiefen Missverständnis

der Welt der Physik und der Annahme, es gäbe eine Gemeinsamkeit aller

physikalischen Phänomene, die sich von der Natur des Geistes prinzipiell

unterscheidet. Es ist immer möglich, dass in der uns zugänglichen Welt

neuartige Phänomene oder neuartige Gesetzmässigkeiten entdeckt werden,

die dann in das physikalische Weltbild integriert werden, eventuell unter

massiver Revision unserer bisherigen physikalischen Annahmen. Insofern

ist die physikalische Welt prinzipiell offen und nicht abgeschlossen.“

„Geist kann in diesem Ansatz als ein physikalischer Zustand verstanden

werden, genauso wie elektromagnetische Wellen, Mechanik, Wärme,

Energie.

In diesem Zusammenhang lässt sich Folgendes sagen: (1) Es gibt eine sehr

enge Parallelität zwischen Hirnprozessen und kognitiven Prozessen. (2) Man

kann diejenigen Hirnprozesse, die von Geist, Bewusstsein und

Aufmerksamkeit begleitet sind, auf verschiedene Weisen darstellen

(sichtbar machen). (3) Die Mechanismen, die zu Geist- und

Bewusstseinszuständen führen, sind in groben Zügen bekannt und

physiologisch-pharmakologisch beeinflussbar.“

„Das Gehirn kann zwar über seine Sinnesorgane durch die (reale) Umwelt

erregt werden, diese Erregungen enthalten jedoch keine bedeutungshaften

und verlässlichen Informationen über die (reale) Umwelt. Vielmehr muss

23

Page 24: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

das Gehirn über den Vergleich und die Kombination von sensorischen

Elementarereignissen Bedeutungen erzeugen und diese Bedeutungen

anhand interner Kriterien und des Vorwissens überprüfen. Diese sind die

Bausteine der (subjektiven) Wirklichkeit.“

Bevor ich weiter Roth zitiere, möchte ich Folgendes klären: Wenn

Roth von Wirklichkeit oder phänomenaler Welt spricht, meint er die

subjektive Wirklichkeit gemäss meiner Definition. Wenn er von

Realität oder transphänomenaler Welt spricht, meint er die

objektive Wirklichkeit (Realität) gemäss meiner Definition.

„Die (subjektive) Wirklichkeit, in der ich lebe, ist ein Konstrukt des Gehirns.“

„Da ich nun offenbar selbst ein Teil dieser (subjektiven) Wirklichkeit bin,

gerate ich bei einem solchen Konzept unweigerlich in tiefe Paradoxien.“ Die

Auflösung der Paradoxien durch Roth werde ich weiter vorne am Schluss

noch aufführen.

„Schliesslich will ich wissen, wie ich selbst zustande komme. Dies ist ein

fundamental selbstreferenzielles Unterfangen, und manche meinen, dass

man als Hirnforscher oder als “Neurophilosoph“ aus diesem “Teufelskreis“

niemals herauskommen wird.“ Wer mehr über den Ausweg aus diesen

Paradoxien wissen möchte, kann dies in dem zitierten Buch von Gerhard

Roth tief gehender als in dieser Zusammenfassung nachlesen.

„Wahrnehmung ist in erster Hinsicht das Orientieren an Umweltmerkmalen

zum Zweck des Lebens und Überlebens, wobei beim Menschen und vielen

anderen Tieren auch das soziale Leben und Überleben eingeschlossen ist.

… Wahrnehmungen sind immer (subjektive) Hypothesen über die Umwelt.

Sie können in den Augen des menschlichen Beobachters sogar falsch sein

(und deshalb von uns irrtümlich gedeutet werden).

„Kognition umfasst Phänomene des Erkenntnisvermögens, worunter

Vorgänge wie Wahrnehmen, Denken, Verstehen und Urteilen fallen.

Gemeinsam ist diesen Vorgängen die Orientierung des Organismus in

seiner Umgebung als der hauptsächlichen Grundlage für angepasstes

Verhalten. … Kognition ist nicht ohne Emotion möglich. In seinem 1995 in

24

Page 25: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

deutscher Übersetzung erschienenen Buch „Descartes’ Irrtum“ schildert der

amerikanische Neurologe Antonio Damasio sehr anschaulich den Fall des

amerikanischen Ingenieurs Phineas Gage. Ein Arbeitsunfall führte bei Gage

zu einer Zerstörung des orbifrontalen präfontralen Cortex. Infolge dieser

Hirnverletzung kam es zu einer tiefgreifenden und verhängnisvollen

Trennung (Dissoziation) zwischen Rationalität und Gefühlen. Während Gage

in Motorik, Wahrnehmung und Intelligenz völlig unbeeinträchtigt war, hatte

er die Fähigkeit verloren, seine Zukunft zu planen, sich nach den sozialen

Regeln zu richten, die er einst gelernt hatte, und die Handlungsabläufe zu

wählen, die für sein Überleben am günstigsten waren. Die Folge war eine

völlige Lebensunfähigkeit.“

„Das Wirken des limbischen Systems erleben wir als begleitende Gefühle,

die uns entweder vor bestimmten Handlungen warnen oder unsere

Handlungsplanung in bestimmten Richtungen lenken. Gefühle sind somit

konzentrierte Erfahrungen; ohne sie – dies zeigt das obengenannte Beispiel

von Gage – ist vernünftiges Handeln unmöglich. Wer nicht fühlt, kann auch

nicht vernünftig entscheiden und handeln. Leider ist noch wenig darüber

bekannt, wie im Detail die Interaktion zwischen Kognition und Emotion im

Gehirn stattfindet. … Die Beantwortung dieser Frage wird zweifellos den

grössten Schritt zum Verständnis des Gehirns darstellen, denn wenn es

überhaupt höchste Hirnzentren gibt, dann sind es die Konvergenzzonen

zwischen Neocortex und limbischem System.“

„Wirklichkeit als Konstrukt des Gehirns: Die Welt unserer Empfindungen

besteht aus drei Bereichen: der Aussenwelt, der Welt unseres Körpers und

der Welt unserer geistigen und emotionalen Zustände. … Diese drei

Bereiche sind Aufgliederungen der phänomenalen (subjektiven)

Wirklichkeit. Dieser (subjektiven) Wirklichkeit wird gedanklich eine

transphänomenale (objektive, reale) Welt gegenübergestellt, die

unerfahrbar ist (ich meine dagegen, sie sei nur annähernd erfahrbar) und

dementsprechend in der phänomenalen (subjektiven) Welt nicht (nur

indirekt) vorkommt.“

25

Page 26: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

„Die Unterscheidung von Realität und (subjektiver) Wirklichkeit und was wir

damit gewonnen haben: Ich habe davon gesprochen, dass das Gehirn die

(subjektive) Wirklichkeit hervorbringt und darin all die Unterscheidungen

entwickelt, die unsere Erlebniswelt ausmachen. Wenn ich aber annehme,

dass die (subjektive) Wirklichkeit ein Konstrukt des Gehirns ist, so bin ich

gleichzeitig gezwungen, eine Welt anzunehmen, in der dieses Gehirn, der

Konstrukteur, existiert. – Diese Welt wird als objektive,

bewusstseinsunabhängige oder transphänomenale Welt bezeichnet. Ich

habe sie der Einfachheit halber Realität genannt und sie der (subjektiven)

Wirklichkeit gegenübergestellt.“

Und nun etwas, was schwierig zu verstehen ist, obwohl es wahrscheinlich

zutrifft und weiterhin mit meinen eigenen Reflexionen übereinstimmt:

„Wir sind damit zu einer Aufteilung der Welt in Realität und Wirklichkeit, in

phänomenale (subjektive Wirklichkeit) und transphänomenale Welt

(Realität), Bewusstseinswelt und bewusstseinsjenseitige Welt gelangt. Die

subjektive Wirklichkeit wird in der Realität durch das reale Gehirn

hervorgebracht. Sie ist damit Teil der Realität, und zwar derjenige Teil, in

dem wir vorkommen. Dies ist eine höchst plausible Annahme, die wir

allerdings innerhalb der subjektiven Wirklichkeit treffen und die nicht als

eine Aussage über die tatsächliche Beschaffenheit der Realität

missverstanden werden darf. Machen wir aber keine solche Unterscheidung

zwischen Realität und Wirklichkeit, dann müssen wir entweder annehmen,

dass es gar keine phänomenale (subjektive) Welt gibt, sondern nur Realität.

Damit gibt es aber auch gar keine Wahrnehmung und kein wahrnehmendes

Ich.“

„Mit der Unterscheidung von Realität und (subjektiver) Wirklichkeit lassen

sich innerhalb der (subjektiven) Wirklichkeit hingegen viele Dinge

befriedigend erklären. Dann verschwindet das eingangs gestellte Problem,

wie die wahrgenommenen Dinge nach draussen kommen. Sie werden vom

Gehirn aufgrund interner Kriterien dem Bereich Aussenwelt zugeordnet. Das

Ich als Teil der (subjektiven) Wirklichkeit empfindet dann diese Dinge als

ausserhalb, aber dieses ausserhalb existiert nur innerhalb der (subjektiven)

26

Page 27: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wirklichkeit: Ich sehe (subjektiv) wirkliche, nicht reale Gegenstände. Dies

gilt auch für mein (subjektives) Handeln. Wenn ich nach etwas greife, so

bewege ich meine (subjektiv) wirkliche, nicht meine reale Hand, die nach

einem (subjektiv) wirklichen, nicht nach einem realen Gegenstand greift.“

Warum gibt es überhaupt eine phänomenale bzw. subjektive Welt? Weil

dies eine für uns nötige vereinfachte Abstraktion der realen Welt darstellt,

sodass wir mit unseren begrenzten Sinnen mit ihr besser umgehen können:

„Von einem fiktiven objektiven Beobachter aus gesehen, handelt das

Subjekt in einer virtuellen Welt (der subjektiven Wirklichkeit), neben der die

Prozesse in der Realität parallel laufen. Dies erspart es ihm, über die

tatsächlichen (realen) physiologischen Prozesse (über unsere beschränkten

subjektiven Interpretationen hinaus) Bescheid zu wissen.

Bewusstseinsmässig wäre in der Tat auch niemand in der Lage, aus dem

unendlichen Gewirr peripherer sensorischer (realer) Prozesse eine (reale)

Gestaltwahrnehmung (über unsere subjektive Wirklichkeitswahrnehmung

hinaus) hervorzubringen, genauso wenig wie ich in der Lage wäre, bewusst

Arm und Hand und die vielen beteiligten Muskeln und Sehnen so zu

aktivieren und koordinieren, dass ich das Glas vor mir greifen kann.“ Der

unbewusste Automatismus im Gehirn blendet die beträchtlichen

Reaktionszeiten unseres Bewusstseins von bis zu einer Sekunde aus und

ersetzt sie durch unbewusste Reaktionszeiten von nur Bruchteilen einer

Sekunde, wie der Neurologe B. Libet uns gezeigt hat.

„Wo existiert mein Gehirn? Wer bin ich, wer ist Ich? – Die (subjektive)

Wirklichkeit ist nicht ein Konstrukt meines Ich, denn ich bin selbst ein

Konstrukt. Vielmehr geht ihre Konstruktion durch das Gehirn nach (realen)

Prinzipien vor sich. … Diese (realen) Prinzipien (genetisch und epigenetisch

bzw. umweltbedingt) sind meinem Willen nicht unterworfen. Vielmehr bin

ich ihnen unterworfen.“

„Geist – so meine (von G. Roth) These - kann als ein physikalischer Zustand

angesehen werden; er muss nicht auf neuronale Zustände reduzierbar sein

und kann eigene Gesetzmässigkeiten aufweisen. … Wir stehen also vor der

verwickelten Situation: Das Gehirn, welches mir zugänglich ist (das nicht

27

Page 28: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

reale, sondern subjektiv wirkliche, virtuelle Gehirn), bringt gar keinen Geist

hervor; und dasjenige (reale) Gehirn, welches durch die (interpretierte

subjektive) Wirklichkeit Geist hervorbringt, ist mir unzulänglich.“

„Dies hat für die eigene Arbeit ausserordentliche Konsequenzen:

Hirnforschung vollzieht sich innerhalb der (subjektiven) Wirklichkeit und

kann nur wirkliche Gehirne untersuchen, niemals reale. Ist dann nicht alle

Hirnforschung zwecklos? Haben wir es nicht dann – wie Platon in seinem

Höhlengleichnis meinte – grundsätzlich mit den Schatten der Dinge zu tun,

anstatt mit den Dingen selbst, und wäre dann nicht Wissenschaft nur

Erkenntnis über die Schatten? – Nach Platon können wir die Welt der

Schatten in der Höhle verlassen und unter Anleitung der Philosophie die

Wesensschau betreiben und die Dinge begreifen, wie sie wahrhaft sind.

Dies aber ist unmöglich. Die (subjektive) Wirklichkeit ist die einzige Welt,

die uns zur Verfügung steht. Wir können bewusstseinsmässig nicht aus ihr

heraustreten. Was die Hirnforschung tut, ist das, was Wissenschaft als Teil

der Wirklichkeit überhaupt tun kann, nämlich die Phänomene der

Wirklichkeit untersuchen und sie so zu deuten, dass sie in der (subjektiven)

Wirklichkeit Sinn machen.“

„Lebt jeder von uns in seiner einsamen Wirklichkeit? … Es gibt ebenso viele

individuelle Wirklichkeiten, wie es reale Gehirne gibt. Jedes menschliche

Gehirn ist verschieden. Zwar teilt es mit anderen menschlichen Gehirnen

denselben Grundaufbau, und auch die Lokalisation der funktionalen

Gehirnzentren ist bei den meisten Menschen sehr ähnlich. Aber es kann

hierin durchaus stärkere Abweichungen geben. … Diese Veränderungen

können durch geburtliche und frühkindliche Schädigungen oder notwendige

operative Eingriffe verursacht sein, z. B. aufgrund von epileptischen

Herden.“

„Es gibt genetisch bedingte Unterschiede in der Weise, wie wir die Welt und

uns wahrnehmen, und wie wir handeln. D. h. in all dem, was zumindest

teilweise unseren Charakter ausmacht; und diese Unterschiede ererben wir

als eine individuelle Kombination des Erbguts von unseren Eltern.

Besonders wichtig sind frühkindliche Einflüsse und Erlebnisse, die prägend

28

Page 29: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

auf unseren Charakter wirken und den Rahmen bilden, in dem spätere

Erfahrungen verarbeitet werden. Dabei gilt: Je später die Einflüsse, desto

stärker müssen sie wirken, um noch eine nachhaltige Wirkung zu

erlangen. ...Das heisst aber nicht, dass nicht auch in späteren Lebensjahren

Erlebnisse noch unseren Charakter ändern können; diese müssen dann

aber entweder krisenartige Zustände hervorrufen oder jahrelang einwirken.

Sieht also jeder die Welt nur in seiner Weise? Sind wir wirklich voneinander

isoliert? Dies ist in einem bestimmten Sinne der Fall.“

„Mit unserem Menschsein ist uns die wichtigste Basis für Kommunikation

gegeben, nämlich die Sprachfähigkeit. Diese Sprachfähigkeit ist angeboren,

ebenso das Lautrepertoire und die sensible Phase, in der je nach

Sprachangebot eine Muttersprache erlernt wird.

Verstehen und Missverstehen hängen also nur wenig von unserem guten

Willen ab, sondern vor allem davon, wie viel oder wie wenig wir an

gemeinsamem Vorwissen und gemeinsamer Vorerfahrung mitbringen.

Verstehen stellt besondere Anforderungen, Missverstehen nicht.

Missverstehen ist daher der Normalfall, Verstehen hingegen der Sonderfall.

Wir sind nicht einsam, sofern wir an konsensuellen Bereichen teilnehmen,

die uns das Gefühl vermitteln, hinreichend verstanden zu sein.“

„Ich (G. Roth) will mich dabei mit folgenden zweifellos klassischen

philosophischen Fragen beschäftigen:

1. Welchen Erkenntniswert haben unsere Wahrnehmungen? Liefern sie uns

Informationen über die Dinge der Aussenwelt oder sind sie reine

Konstrukte?

2. In welchem Masse ist objektive Erkenntnis, Wahrheit, möglich?

29

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3. Welchen ontologischen (Ontologie=Lehre vom Sein) Status hat die

Realität? Existiert sie überhaupt. Wenn ja, kann man über sie etwas

Sinnvolles aussagen?

Ist objektive Erkenntnis möglich? Wie können wir bei unseren

Wahrnehmungserlebnissen verlässlich entscheiden, was von der Realität

stammt und was von uns bzw. unserem Erkenntnisapparat beigegeben

wurde?

Der sogenannte naive Realist (von dem immer behauptet wird, dass es ihn

eigentlich nicht gibt) glaubt, dass die Dinge so sind, wie wir sie

wahrnehmen; unser Wahrnehmungsapparat bildet einfach ab und tut nichts

hinzu. Hingegen stimmen alle kritische Realisten darin überein, dass einiges

in unserer Wahrnehmung objektiv gegeben ist, während anderes subjektive

Beigabe ist. Über das Mischungsverhältnis ist man aber sehr

unterschiedlicher Meinung. Der französische Philosoph Descartes glaubte

ebenso wie sein englischer Kollege Locke, man könne zwischen primären

und sekundären Qualitäten der wahrgenommenen Dinge unterscheiden;

erstere seien objektiv gegeben, letztere hingegen subjektives Beiwerk. Für

Descartes sind es zum Beispiel die geometrischen Eigenschaften der Dinge,

die objektiv gegeben sind, denn sie sind klar und deutlich erkennbar. Bei

Locke ist hingegen unklar, was er mit dieser Unterscheidung inhaltlich

meint.“

„Nach allem, was ich (G.Roth) in diesem Buch an sinnes- und

neurophysiologischen Daten vorgelegt habe, ist eine Unterscheidung in

primäre und sekundäre Qualitäten fragwürdig. Alles, was wir überhaupt

bewusst wahrnehmen können, ist ein Konstrukt unseres Gehirns und keine

unmittelbare Wiederspiegelung der Realität, und dies gilt auch für

scheinbar einfache Gegebenheiten wie den Ort, die Form, die Bewegung

und die Farbe eines visuellen Objekts.“

„Bestimmte Dinge oder Aspekte von Dingen erscheinen mir (G. Roth) und

allen anderen Menschen immer in einer bestimmten Weise, weil die

Mechanismen, die sie hervorbringen mehr oder weniger dieselben sind.

Aber dies ist überhaupt kein Hinweis darauf, dass diese Dinge bzw. Aspekte 30

Page 31: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

objektiv (real) gegeben sind. … Ebenso können wir nicht aus der Tatsache,

dass alle Menschen und sogar viele Tiere offenbar Dinge in derselben Weise

sehen (zum Beispiel einige Dinge für grösser halten als andere oder

Dreiecke von Kreisen unterscheiden) eine Objektivität dieser Dinge

unterstellen, sondern wir können nur auf dieselbe oder eine ähnliche

Funktionsweise von kognitiven Systemen schliessen.“

Ich (der Schreibende) glaube dagegen eher doch an eine Annäherung an

die Realität durch unsere Wahrnehmungen und die von unserem Gehirn

daraus erdachte subjektive Wirklichkeit. Insbesondere geometrische,

mathematische und physikalische Abstraktionen dürften sich der Realität

am meisten annähernde subjektive Hirnkonstrukte sein. Weiterentwickelte

Wesen mit mehr Sinnen und einer dadurch besseren Wahrnehmung dürften

sich der Realität noch viel weiter annähern als wir begrenzte Menschen. Mit

unseren abstrakten mathematischen, geometrischen und physikalischen

Grundkenntnissen würden wir wahrscheinlich einen ersten gemeinsamen

Nenner des Verständnisses mit weiter entwickelten Wesen finden.

„Der Realismus der Evolutionären Erkenntnistheorie (abgekürzt EE): …

Denn nur das ist überlebensfördernd, was umweltangepasst ist. Wie - so

fragen Vollmer und die anderen Vertreter der EE (z. B. Riedl, 1979) – könnte

der Mensch überleben, wenn nicht unsere grundlegenden Denk- und

Anschauungsformen zumindest prinzipiell richtig sind, d. h. die objektive

Realität in ihren Grundzügen korrekt wiedergegeben? – Allerdings bezieht

sich die Anpassung unseres Erkenntnisapparats nur auf die Welt der

menschlichen Dimensionen, den Mesokosmos. Im Bereich des sehr Kleinen

und sehr Grossen versagt unsere Anschauung, wenn auch nicht unser

Denken. Hier hilft uns die Wissenschaft, unsere mesokosmischen

Anschauungen zu transzendieren. Sie ist mithilfe einer projektiven

Erkenntnistheorie in der Lage, die objektive Welt (der Realität) zu re-

konstruieren (Vollmer, 1975).“

„Die Prinzipien der Evolution weichen z. T. erheblich von denen ab, welche

die Evolutionäre Erkenntnistheorie in der Nachfolge des Neodarwinismus

31

Page 32: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

annimmt. Der kritische Begriff dabei ist derjenige der (evolutionären)

Anpassung. …. Wichtig waren dabei die Entdeckungen,

(a) dass viele Organismen innerhalb vieler Millionen oder sogar Hunderten

von Millionen Jahren sich nicht wesentlich verändert haben, obwohl ihre

Umwelt sich änderte;

(b) dass umgekehrt Organismen sich zum Teil stark änderten, obwohl ihre

Umwelt sich nicht änderte;

(c) dass viele Organismen offenbar deshalb überlebten, weil sie sich nicht

eng an ihre Umwelt anpassten, weil sie nämlich (relativ) unspezialisiert

waren: und umgekehrt: dass viele Organismen deshalb ausstarben, weil sie

(retrospektiv) zu eng an ihre Umwelt angepasst waren;

(d) dass Organismen gleicher Herkunft in gleicher Umwelt sich verschieden

entwickeln können, und zwar aus Gründen, die in ihren strukturellen und

funktionalen Systemeigenschaften liegen.

Ganz offenbar übt die Umwelt auf die Evolution der Organismen nicht die

determinierende Kraft aus, die ihr der Neodarwinismus zuschreibt. Der bei

Weitem bedeutungsvollste Faktor für den Verlauf der Evolution des

Lebendigen sind die Grosskatastrophen, welche in den vergangenen 700

Millionen Jahren mehrmals zwischen 50 und 95 Prozent der jeweils

bestehenden Arten ausrotteten.“

„Wie sicher und fest Aussagen der Naturwissenschaft auch erscheinen

mögen; objektive Wahrheiten zu sein, können sie nicht beanspruchen, und

die meisten erkenntniskritisch geschulten Naturwissenschaftler vertreten

diese Meinung auch nicht. Was Naturwissenschaftler bestenfalls tun

können, ist ein Gebäude von Aussagen zu errichten, das hinsichtlich der

empirischen (subjektiven nicht realen) Daten und seiner logische Struktur

für eine bestimmte Zeitspanne ein Maximum an Konsistenz aufweist.“

„Die empirische Grundlage aller Naturwissenschaften besteht darin, dass

Beobachtungen durch andere Beobachtungen überprüft werden.

Messungen durch andere Messungen. Dadurch werden zufällige oder

32

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systematische individuelle Fehlleistungen weitgehend vermieden, die

Beobachtungen werden konsistenter und glaubhafter (aber trotzdem nicht

realer, sondern subjektiv bleibend wegen unserer begrenzten Sinne, füge

ich hinzu).“

„Alles findet in meiner Wahrnehmungswelt statt. Die Umgebung meiner

Versuchsperson ist meine (subjektive) Wirklichkeit, nicht die Realität. Nun

kann die Versuchsperson dieselben Experimente bei mir machen, und wir

beide bei vielen anderen Personen. Wir kommen vielleicht zu

Erkenntnissen, die wir auf Teile der Menschheit oder gar auf alle Menschen

verallgemeinern können. Nichtsdestoweniger sagen sie nichts Objektives

(Reales) aus, sondern nur etwas, was innerhalb der (subjektiven)

Wirklichkeit der Menschen feststellbar ist.“

„Es gibt Dinge, die man unter den gegebenen Umständen nicht sinnvoll

bezweifeln kann. Diese gegebenen Umstände können sich jedoch historisch

wandeln. Was Menschen noch vor dreihundert Jahren für völlig

unbezweifelbar gehalten haben, darüber mögen wir heute lachen, genauso

wie Menschen in dreihundert Jahren vielleicht über unsere

unbezweifelbaren Wahrheiten lachen werden.“

„Macht es überhaupt einen Sinn, die Existenz einer

bewusstseinsunabhängigen Welt anzunehmen, wenn ich gleichzeitig über

sie nichts erfahren kann? Ein Grund wäre in der logischen Notwendigkeit

einer solchen Annahme zu suchen. Wenn ich, wie im vorigen Kapitel

geschehen, davon ausgehe, dass die (subjektive) Wirklichkeit durch das

reale Gehirn erzeugt wurde, so folgt daraus logisch, dass es eine Entität

geben muss, welche nicht selbst Teil der (subjektiven) Wirklichkeit ist. Die

gesamten Ausführungen darüber, welche Funktion Wahrnehmung hat,

wofür Sinnesorgane nötig sind, was sie tun, wie das Gehirn funktioniert, all

dies ist natürlich unsinnig, wenn ich nicht gleichzeitig annehme, dass es

eine Realität gibt, in denen ein (reales) Gehirn existiert, auf das ich diese

Aussagen beziehen kann.“

„Halt! Werden nun viele sagen. Es gibt sehr wohl Eigenschaften der

Realität, nämlich all diejenigen, welche die Physik als die grundlegendste 33

Page 34: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

aller Naturwissenschaften festgestellt hat. Nicht umsonst nennen viele

erkenntniskritische Philosophen und Psychologen die Realität

<physikalische Welt>.“

„Diese Anschauung vom objektiven Charakter der Aussagen der Physik ist

zwar breit verbreitet, jedoch unzutreffend. Alle Begriffe der Physik sind

menschlichem Geist (besser aus dem Gehirn, meine ich) entsprungen und

beruhen auf menschliche Vorstellungen (und begrenzten Wahrnehmungen,

füge ich hinzu). … Die Physik bedient sich der Sprache der Mathematik, die

ebenfalls nicht voraussetzungslos ist, sondern auf (nicht ableitbaren)

Axiomen beruht. … Die Physik mag die beste, kritischste (und exaktere

Wissenschaft) oder allgemeinste Beschreibung der Phänomene der

(subjektiven) Wirklichkeit sein, aber sie übersteigt die (subjektive)

Wirklichkeit nicht. Ich füge hinzu: Die Physik mag sich aber der Realität am

weitesten annähern.“

„Letztlich ist jedes Nachdenken über die objektive Realität, sei es

wissenschaftlich oder nicht, an die Bedingungen menschlichen Denkens,

Sprechens und Handelns gebunden und muss sich darin bewähren. Deshalb

sind die (subjektiven) Konstrukte unseres Gehirns nicht willkürlich.“

Zur Paradoxie der realen Objektivierung des Gehirns als subjektive

Annahme des denkenden Gehirns schreibt Gerhard Roth am Ende seines

Buches: „Diese Paradoxie löst sich auf, wenn ich die Unterscheidung

zwischen <drinnen> und <draussen> als eine Unterscheidung in meiner

(vom realen Gehirn erzeugten), (subjektiven) Wirklichkeit erkenne. Die

Gegenstände meiner (begrenzten) Wahrnehmung werden durch das Gehirn

dem <draussen> zugeordnet.“

„Die Paradoxie, dass mein reales Gehirn ein Teil der Welt ist und sie

gleichzeitig hervorbringt, wird durch die Unterscheidung zwischen realem

und (subjektiv) wirklichem Gehirn gelöst. Vom realen Gehirn nehmen wir

an, dass es unsere (subjektive) Wirklichkeit eines subjektiv wirklichen

(virtuellen) Gehirns hervorbringt.“ Meine Präzisierung dazu: Weil die

Wahrnehmung der Realität durch unsere begrenzten Sinne das beschränkt

denkende, reale Gehirn unvollständig informiert, resultiert eine von 34

Page 35: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

unserem realen Gehirn unvollständig gedachte Wirklichkeit eines

subjektiven Gehirns. Unser beschränkt denkendes, reales Gehirn erfasst die

Realität nur verzerrt und somit nur annähernd und produziert dabei unsere

subjektive Wirklichkeit, unter anderem unser subjektiv wirkliches Gehirn.

Ich gebe zu, eine schwer verständliche Erklärung. Ich hoffe, sie ist

einigermassen beim Leser angekommen. Wenn nicht, ist es zwar schade,

aber andererseits für unser praktisches Leben nur halb so schlimm.

Im Zusammenhang mit den obengenannten philosophischen Konsequenzen

der Neurobiologie und der Hirnforschung wiederhole ich folgenden

Abschnitt aus einem vorangegangenen Kapitel meiner „Reflexionen“, der

mir als kritische Ergänzung in diesem Kapitel als besonders wichtig

erscheint:

Um zu zeigen, dass man im Denken nicht allzu eingleisig fahren darf,

erwähne ich ein neueres Buch, das sich kritisch mit dem vielleicht allzu

selbstsicheren Denken von Hirnforscher und Neurologen befasst. Der Autor

ist der Neuropharmakologe Felix Hasler. Sein Buch „Neuromythologie – Eine

Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ ist im Oktober

2012 im Transcript-Verlag Bielefeld erschienen. Es geht in seinem Buch um

Neuroskepsis statt übermässiger Neurospekulation. Es ist eine Streitschrift

gegen den grassierenden, biologischen Reduktionismus. Einige Zitate des

Autors aus seinem Gespräch mit Matthias Meili vom Tages-Anzeiger,

erschienen im Tages-Anzeiger vom 8.12.2012:

„Felix Hasler kritisiert die Neurowissenschaften: Spärliche

Forschungsergebnisse würden überverkauft. Von einer Revolution des

Menschenbildes könne keine Rede sein.“

„Einige Hirnforscher behaupten, dass einfach alles am Menschen, auch seine

gesamte Lebenswelt inklusive sämtlicher kultureller Phänomene, durch

Prozesse im Gehirn verursacht sei. Und dass nur der kompromisslos

naturwissenschaftliche Weg Antworten auf die Frage geben könne, was die

wahre Natur des Menschen ist. Das ist überheblich. Die Hirnforschung hat

35

Page 36: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

sich so zur Leitwissenschaft unserer Zeit hochstilisiert. Allerdings unter

tatkräftiger Mithilfe der Geisteswissenschaften, die sich die philosophische

Deutungshoheit haben nehmen lassen – und häufig gleich selbst mit auf den

anrollenden Neurozug aufgesprungen sind.“

„B. Libet, so sagt Felix Hasler, hat mit Hirnstromleitungen nur Folgendes

beobachtet: Bestimmte Hirnprozesse, die für die Ausführung einer Bewegung

nötig sind, setzten ein, bevor sich der Proband bewusst entschied, einen

Finger zu bewegen. Das Experiment zeigt nur, dass eine banale motorische

Handlung unbewusst vorbereitet wird. Erst 20 Jahre später wurde aus den

Libet-Experimenten der Schluss gezogen, dass wir keinen freien Willen

hätten und das man das Strafrecht revidieren müsse, weil der Mensch doch

gar nicht schuldfähig sei. Ein solcher Schluss ist grandios überzogen.“ Meine

Entgegnung dazu ist, dass die Schuldfähigkeit kaum durch die Hirn-

Automatismen zulasten des freien Willens gemäss B. Libet infrage gestellt

wird. Sondern, wie schon am Anfang von Unterkapitel 9.4 beschrieben, durch

dir starke genetische Prädisposition von schwer Kriminellen, die kaum

dagegen ankämpfen können.

„Bei komplexen Vorgängen, weiter nach Felix Hasler, wie romantischer Liebe

oder einer moralischen Entscheidung bleibt am Ende kaum mehr als die

Aussage, dass man dazu mehr oder weniger das ganze Hirn benutzt. Das ist

aber eine ziemlich banale Aussage.“ Nicht ganz, meiner Meinung nach, wenn

man die Erkenntnisse der Hirnforschung mit den ergänzenden

archetypischen Erkenntnissen über die Liebe (im Kapitel 12 meiner

Reflexionen) von C.G.Jung ergänzt.

Zur Frage von Matthias Meili „Sind Sie ein Forscher, der an ein ganzheitliches

Bild der Natur glaubt?“ gibt F. Hasler folgende Antwort: „So würde ich das

nicht sagen, das ist mir zu esoterisch. Weil ich natürlich auch keine Ahnung

habe, wie die Dinge liegen, sehe ich mich als eine Art Wissenschafts-

Agnostiker. Das scheint mir in der aktuellen Lage das Vernünftigste zu sein.

Sollten die Neurowissenschaften wider Erwarten doch noch fundamentale

Erkenntnisse zum Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein liefern, konvertiere

ich mich gerne wieder zurück zum Materialisten. Einstweilen kultiviere ich

36

Page 37: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

mein Nichtwissen als philosophische Grundhaltung. Das schützt immerhin

davor, haltlose und überzogene Behauptungen über die vermeintlich wahre

Natur des Menschen in die Welt zu setzen.“

Beim Satz „Ich denke, also bin ich“ nach Descartes ist zu

beanstanden, dass nicht das Ich, sondern das Gehirn denkt: „Mein

Gehirn denkt, also bin ich“. Es ist das Denken des Gehirns, welches

das Ich kreiert und nicht das Denken des Ich. Es gibt kein Ich, das

denkt. Das Ich existiert nicht als Geist oder Seele unabhängig von

der Materie (Gehirn). – Unser Gehirn denkt, und deshalb entsteht

die virtuelle Vorstellung unseres Ich. Und wenn das Gehirn aufhört

zu denken, verschwindet das virtuelle Bild des Ich. Das Denken des

Gehirns gibt mir eine Vorstellung von meinem Sein und erzeugt ein

subjektives Bewusstsein.

Ein bekanntes oben beschriebenes Erkenntnisparadoxon liegt darin, dass

mein subjektiv denkendes Gehirn versucht, über das reale menschliche

Gehirn etwas herauszufinden, will heissen, sich selbst zu verstehen.

Unser Erkennen hängt zunächst einmal von der Wahrnehmung des

Gehirns durch die mit dem Gehirn verbundenen Sinnen ab. Für eine

völlig objektive Weltsicht bräuchte der Mensch einen wahrhaft

übermenschlichen Sinnesapparat, der das ganze Spektrum

möglicher Sinneswahrnehmungen ausschöpft. Doch den haben wir

Menschen nicht. Unser Sinnesapparat ist beschränkt bzw. begrenzt.

Eine umfassende objektive Sicht der Dinge kann es deshalb auch

nicht geben. Unsere subjektive Wirklichkeit entspricht nicht oder

nur annähernd der Welt, wie sie real “an sich“ ist, ebenso wenig wie

die subjektiv empfundenen Wirklichkeiten von Hund und Katze,

Vogel oder Käfer. “Die Welt, mein Sohn“, erklärt im Aquarium der

Vaterfisch seinem Filius, ist “ein grosser Kasten voller Wasser“!

Auch die Wissenschaftler sind nicht in der Lage, eine absolute

objektive Wirklichkeit oder Wahrheit zu vertreten. Was sie vor

37

Page 38: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

hundert Jahren oder weniger noch für völlig unbezweifelbar

gehalten hatten, darüber schütteln wir heute teilweise den Kopf.

Die drei zuletzt erwähnten Absätze sind nicht wörtlich zitiert, sondern,

teilweise von mir ergänzt, aus dem Buch „WER BIN ICH und wenn ja, wie

viele?“ des Philosophen Richard David Precht, Goldmann Verlag, München,

2007.

Ein weiterer Versuch der Darstellung von Erkenntnis, Wahrheit,

Wirklichkeit und Realität:

Es war einmal ein König, der sammelte einige Blinde und einen Elefanten

und bat sie, ihm zu erzählen, wie ein Elefant aussähe. Der erste blinde Mann

berührte einen Stosszahn und sagte, ein Elefant sähe aus wie eine

Riesenkarotte. Ein andere berührte zufällig dessen Ohr und sagte, es sähe

aus wie ein grosser Fächer, ein anderer berührte dessen Rüssel und sagte,

es sähe aus wie eine Mörserkeule. Noch ein anderer, der zufällig dessen Bein

berührte, sagte, der Elefant sehe aus wie ein Mörser. Wieder ein anderer, der

nach dessen Schwanz griff, sagte, er sähe aus wie ein Seil. Nicht einer von

ihnen konnte dem König die richtige Gestalt des Elefanten beschreiben. In

gleicher Weise könnte man hundert Menschen bitten, das Wesen des

Menschen zu beschreiben, und nicht einer von ihnen wäre fähig, die wahre

Natur des menschlichen Wesens aufzuzeigen.

Offensichtlich ist die Realität eine Frage der individuellen subjektiven

Wahrnehmung. Demzufolge hätte ja jeder Mensch seine eigene subjektive

Wirklichkeitsempfindung. Im Leben haben wir keine vollständige, sondern

nur eine subjektive Erfahrung der Realität.

Die Elefanten-Geschichte widerspiegelt auch die Eigenart der Menschen, sich

bezüglich der eigenen Wahrnehmung sehr sicher zu fühlen. Achten Sie

bewusst, wie Meinungen und Wahrheiten entstehen. Sie werden staunen, mit

welch kleinen Ausschnitten der Realität subjektive Abbilder, Meinungen,

38

Page 39: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wahrheiten und subjektive Wirklichkeiten konstruiert werden. Diesen

Vorgang nennt man Abstrahieren, Vereinfachen und Generalisieren. Wir bzw.

unser Gehirn versucht damit, die Komplexität der heutigen Welt zu ordnen,

um eine schnelle Übersicht zu bekommen. Dieser Prozess birgt aber die

grosse Gefahr, dass wir uns mit sehr wenig Information voreilig fragliche

Meinungen bilden, dadurch unsere Mitmenschen falsch einschätzen und

ihnen dadurch Unrecht tun und sie dadurch verletzen.

Ist die reale Welt wirklich so, wie wir sie subjektiv wahrnehmen? Wohl kaum.

Existiert die reale Welt an sich? Wir gehen axiomatisch davon aus. Aber

unser subjektives Abbild von der realen Welt ist von unserer limitierten

Wahrnehmung und unserem begrenzten Gehirn abhängig. Die Realität, die

wir wahrnehmen, ist die subjektive Wirklichkeitserfassung

(Realitätsinterpretation) unseres Gehirns und kann aber muss nicht mit der

subjektiven Wirklichkeitserfassung von anderen Menschen übereinstimmen.

Wichtig ist, dass man sich bei der Kommunikation mit anderen Menschen, in

die Wirklichkeit der anderen Person versetzt.

Neueste Forschungen haben gezeigt, dass die individuelle genetische

Prägung unseres Gehirns bereits im Mutterleib beginnt und dann während

der Kindheit weitere starke Prägungen durch die Aussenwelt erhält. Diese

Erkenntnisse der Gehirnforschung bestätigen die These, dass die

Interpretation der Realität ein individuelles, subjektives Konstrukt ist. Jeder

Mensch lebt in seiner eigenen subjektiven Wirklichkeit. Die reale Welt an sich

existiert nicht? Wohl doch! Wir Menschen haben aber zu begrenzte Sinne

und ein zu wenig entwickeltes Gehirn, um die Realität so erfassen zu können,

wie sie unabhängig von uns existiert. Wir Menschen bekommen nur ein

verzerrtes Abbild der Realität mit.

Weiteres zum Erkenntnisparadoxon des Gehirns:

Das Erkenntnisparadoxon kann vielleicht so vermieden werden, dass man

von der Rückkoppelung von Aussenwelt und Gehirn durch unsere Sinne

ausgeht. Die reale Umwelt und deren beschränkte Wahrnehmung durch

39

Page 40: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

unsere aktivierten Sinnesreize initiieren das Denken im realen Gehirn. Es ist

eine begrenzte Erfassung der realen Aussenwelt durch unsere beschränkten

Sinne. Das denkende, jedoch von unseren begrenzten Sinnen getäuschte

reale Gehirn projiziert uns darauf eine ungenaue subjektive Vorstellung von

unserem Gehirn, von unserem virtuellen Sein (Ich) bzw. Bewusstsein und von

unserer sonstigen, subjektiv empfundenen Wirklichkeit. Diese Vorstellung

bleibt eine nur unvollkommene Annäherung an die Realität.

Oder Hirn bezogen formuliert: Unser subjektives Sein bzw. virtuelles Ich-

Bewusstsein und unsere subjektive Wirklichkeit erscheinen als physische und

psychische (geistige) Resultante aus

a) der sich im Moment unserer Beobachtung bzw. Wahrnehmung durch

unsere beschränkten Sinne ergebende Erfassung (“Dekohärenz“ gemäss der

Quantentheorie, die ich später noch erläutern werde) von Informationen und

Reizen der realen Aussenwelt (Raum, Zeit, Materie, Energie) und der in

unserem realen Gehirn energetisch codierten geistigen Informationen (Gene,

Meme nach Dawkins bzw. das kollektive Unbewusste nach C.G.Jung)

und aus

b) der begrenzten Interpretation aller dieser Reize und Informationen durch

unser reales Gehirn, das schliesslich unser subjektives Denken generiert.

Ist das alles zu kompliziert? Mag sein! Zum besseren Verständnis unserer

relativen Erkenntnisse dürften ebenfalls, so hoffe ich wenigstens, die in

diesem Kapitel nachfolgenden Erläuterungen über die Quantentheorie und

die Relativitätstheorie beitragen.

Ich versuche trotz allem, meine Gedanken pragmatisch, mit gesundem

Menschenverstand aufzubauen. Der gesunde Menschenverstand hinter

meinen pragmatischen Gedanken dürfte eventuell zu einer allzu starken

Vereinfachung komplexer Probleme führen, sodass ich zu falschen

Schlüssen kommen könnte. Ich gebe zu, dass dieses Risiko durchaus bei

40

Page 41: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

meinen subjektiven Gedanken und Schlussfolgerungen besteht. Sie

stimmen dennoch teilweise mit den Gedanken anderer Denker überein.

Unsere subjektive Wirklichkeit kommt von unserem “Wirken“. Wer wirkt?

Die Wahrnehmung unserer Sinne und deren Interpretation durch unser

Gehirn. Die Interpretation ist subjektiv, gemäss dem, was wir wahrnehmen:

d. h. als verschwommenes bzw. verzerrtes, unvollständiges Abbild der

Realität. Letztere werden wir, wegen unserer limitierten Sinne, nie ganz

erfassen können. Unsere durch den Fortgang der Menschenevolution weiter

entwickelten Nachkommen dürften dank dem Ausbau ihrer Sinne und

Weiterentwicklung ihrer Gehirne in der Lage sein, sich der Realität noch

weiter anzunähern. So wie die subjektive Wirklichkeit, je nach Anzahl und

Ausstattung der Sinne von Vögeln, Fischen usw. wohl anders als von uns

Menschen erfasst wird.

Nochmals, weil eine Wiederholung dieser komplexen Erkenntnisse zum

besseren Verständnis beitragen soll:

Ein beträchtlicher Teil der objektiven Realität bleibt für unsere

Augen und unsere übrigen limitierten Sinne unsichtbar, nicht

erfassbar bzw. nicht wahrnehmbar. Die von uns nur teilweise bzw.

unvollständig erfasste Realität ist unsere subjektive Wirklichkeit.

Sie entspricht nur annähernd der Realität.

Je höher die Weiterentwicklung eines menschenähnlichen Wesens,

desto realitätsnaher bzw. realistischer wird es seine subjektive

Wirklichkeit darstellen können. Umso mehr, wenn ein höher

entwickeltes Wesen über mehr und weiterentwickelte Sinne, ein

weiter entwickeltes Gehirn und eventuell über eine

mehrdimensionale Raumvorstellung verfügte als wir Menschen.

Folgende Zitate aus dem Buch des Philosophen R. D. Precht

bestätigen und ergänzen meine Gedanken:

41

Page 42: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

„ … es gibt keinen getrennten und unabhängigen Ort namens Geist im

Gehirn. Das wäre in etwa so unsinnig, als wenn wir glauben würden, es

gäbe ein Ort namens Universität getrennt und unabhängig von Gebäuden,

Strassen, Rasenflächen und Menschen. … Dagegen weiss die Hirnforschung

heute, dass sich weder die Gefühle noch die höchsten geistigen Tätigkeiten

vom Aufbau und der Arbeitsweise des biologischen Organismus

(insbesondere unseres Gehirns) trennen lassen.“

„So etwa können Hirnforscher genaue Angaben darüber machen, wie sich

eine Persönlichkeit – mithin also das Ich – ausbildet. Schon im frühen

Embryonalstadium entsteht das limbische System. Nach der Geburt tritt das

Gehirn mit der Aussenwelt in Kontakt und wird noch einmal völlig

revolutioniert. … Im Alter von 18 bis 24 Monaten bildet sich das Ich-Gefühl

aus. Es ist die Zeit, in der Kleinkinder sich das erste Mal auf Fotos erkennen

können. … Etwa die Hälfte (50 Prozent) der Persönlichkeitsentwicklung, so

wird mehrheitlich angenommen, hängt sehr eng mit angeborenen

Fähigkeiten zusammen. Etwa 30-40 Prozent ist abhängig von Prägungen

und Erlebnissen im Alter zwischen 0 und 5 Jahren. Und nur der Rest (also

nur 10 bis 20%?) wird offensichtlich massgeblich durch spätere Einflüsse im

Elternhaus, in der Schule usw. beeinflusst.“

„Schopenhauer erklärt, dass der Mensch gar nicht in der Lage ist, die Welt

objektiv zu erkennen. Was wir sehen und erkennen können, ist nur das, was

unser Säugetiergehirn uns zu sehen erlaubt. Er geht dabei weit über Kant

hinaus, der immerhin angenommen hatte, dass der menschliche

Erkenntnisapparat ein sehr feines und sehr brauchbares Instrument sei.“

Wer sich das Leben einfacher machen will und auf die

interessanten Erkenntnistheorien nicht allzu viel Wert legt, kann

sich ähnlich verhalten, wie im früheren Kapitel 9.4 erwähnt:

Betreffend den fraglichen freien Willen „verhalte ich mich einfach

wie wenn ich einen freien Willen hätte“; ähnlich betreffend die

42

Page 43: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Erkenntnis „verhalte ich mich wie wenn meine subjektive

Wirklichkeit der Realität entsprechen würde“, auch wenn Letzteres

nicht zutrifft.

Dennoch, von Illusionen kann man auch leben, obschon einem der

faszinierende Realitätssinn dabei entgeht. Illusionen und Glauben,

die uns glücklich machen sind zu befürworten. Gefährlich ist es,

wenn man sich falsche Illusionen macht und zwielichtigen,

irreführenden Glauben verfällt, über die man im Leben früher oder

später verhängnisvoll stolpert und eventuell andere dadurch

verletzt.

Eine weitere Gefahr ist, dass man rechthaberisch sein angebliches

Wissen vertritt, statt bescheiden zu bleiben, weil man

fälschlicherweise annimmt, dass man auf die Realität Zugriff hat

und deshalb alles über die Welt völlig sicher zu wissen meint.

Es gibt mathematisch Modelle über vieldimensionale Welten, die wir uns

nicht vorstellen können, da wir auf die Wahrnehmung einer drei- bzw., inkl.

die Zeit, vierdimensionale Raumvorstellung beschränkt sind. In der

mathematischen String- bzw. M (Membran)-Theorie werden rein

mathematisch zehn bis elf Dimensionen angenommen. Sie könnten als

Instrument dienen, um eventuell diverse Universen darzustellen. Ob die

Anwendbarkeit dieser mathematischen Theorien zur Darstellung des

Kosmos sinnvoll ist, wurde physikalisch nicht nachgewiesen.

Die String- bzw. Membrantheorie könnte die noch gesuchte physikalische

“Einheitstheorie von Allem“ mathematisch darstellen, welche die Newton-

Gravitation sowie die elektromagnetische Wechselwirkung der klassischen

Physik mit der Quantengravitation (starke und schwache Wechselwirkung

der Quantenfeldtheorie) und mit der Gravitation gemäss Relativitätstheorie

(Krümmung der Raumzeit, welche die Anziehungskraft und Bewegung von

Massen bestimmt) vereint. Es kann aber auch sein, dass sich diese

43

Page 44: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

mathematischen Theorien für diesen Zweck als ungeeignet erweisen. Und,

dass eine andere mathematische Theorie sich dazu besser eignet.

Die obengenannten mathematischen Theorien scheinen nur momentan

verheissungsvolle Hilfsmittel zur Darstellung einer physikalischen

“Einheitstheorie von Allem“ zu sein: eine Weltformel, welche die klassische

und moderne Makro- und Mikrophysik uneingeschränkt und widerspruchlos

miteinander vereinen sollte. Gemeint ist die Formulierung einer einzigen

allumfassenden Theorie, mit der die Funktion und Wirkung aller vier

Naturkräfte mathematisch und physikalisch widerspruchslos dargelegt

würde.

Mathematisch ableitbare, mehrdimensionale Parallelräume sind soweit

physikalisch nicht nachgewiesen worden.

Die bereits von Einstein gesuchte einheitliche Feldtheorie und die heute

metaphysische Hypothese der “Morphischen Felder“ könnten vielleicht

durch eine solche Weltformel ebenfalls vereint “erklärt“ (auch wenn für uns

Menschen nicht konkret vorstellbar und nicht für jeden begreifbar) bzw.

mathematisch-physikalisch bewiesen werden. Auf die noch unbewiesene

und ziemlich spekulative Hypothese der “Morphischen Felder“ des

Biochemikers Rupert Sheldrake, mit der sich in ähnlicher aber etwas

anderer Form auch der Psychoanalytiker C.G.Jung befasste, werde ich

später in diesem Kapitel noch detaillierter eingehen.

Der Mathematiker Roger Penrose versucht in seinem Buch „The Road to

Reality“, 1136 Seiten!, Vintage-Verlag, neueste Auflage 2007, die

Wechselbeziehungen zwischen Mathematik, Physik und Realität zu

entwirren. Viele Menschen haben Schwierigkeiten zu glauben, dass

Mathematik eine reale Existenz hat. Wie aber ist es zu erklären, dass die

physikalische reale Welt mathematischen Gesetzen gehorchte, lange bevor

es menschliche Wesen oder irgendeine Art von Rationalität gab? Roger

Penrose arbeitet an seiner sog. Twistor-Theorie, die mehr als eine

mathematische Methode darstellt, um einzelne Probleme in der

Differenzialgeometrie zu lösen. Mit Twistors kann man die Struktur der

Raum-Zeit gemäss der allgemeinen Relativitätstheorie auf andere Art 44

Page 45: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

verstehen. Dabei geht es darum, die Quantenmechanik mit der Raumzeit-

Struktur zu kombinieren. Die Twistor-Theorie ist ein weiterer Versuch, eine

einheitliche Theorie für die Newtonsche Gravitation, die Relativitätstheorie

und die Quantenfeldtheorie zu finden.

Wenn man diese Weltformel findet, wird die Physik zwar einen gewaltigen

Erkenntnis-Sprung machen und sich der Erfassung der Realität weiter

annähern. Aber auch dann wird die Physik die Realität noch nicht gänzlich

erfasst haben. Sie wird weiterhin mit neuen, auch durch die sog. Weltformel

nicht zu erklärende Erscheinungen konfrontiert werden. Im Sinne einer

“never ending story“ als Anreiz zur Weiterentwicklung unserer

Erkenntnisse.

Die allgemeine und spezielle Relativitätstheorie und die Quantentheorie

sind nur mathematisch ableitbar, physikalisch nachweisbar, aber teilweise

nur schwer oder kaum verständlich darstellbar.

Weitere Beispiele sind:

Schwarze Löcher wurden zwar von uns gemessen, ohne dass wir sie

erklären könnten. Wurmlöcher, Antimaterie, Antigravitation, Dunkle

Materie, Dunkle Energie und Parallelwelten sind weitere vorerst nur

spekulative Hypothesen.

Gibt es Dunkle Materie bzw. dunkle Energie und wie detektiert man sie?

Beschleunigt dunkle Energie, wie Hefe in einem Teig, die Expansion des

Universums, sofern sie überhaupt existiert? Wir kennen schätzungsweise

nur 4% der für uns sichtbaren Materie des Universums. Die von uns

angenommene dunkle Materie stellt etwa 23% des Universums dar und ca.

73% des Universums soll mit dunkler Energie ausgefüllt sein. - Nur

nebenbei erwähne ich als proportionaler, nicht zusammenhängender

Vergleich aber interessante Kuriosität: Der Meeresanteil beträgt 71 % der

Erdoberfläche. Der menschliche Körper besteht zu 70% aus Wasser (Blut,

lymphatisches System, Augen und Gehirn). Je jünger desto fluider und

45

Page 46: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

flexibler sind wir. Mit dem Alter trocknen wir aus und werden weniger

flexibel, nicht nur physiologisch, sondern auch psychisch.

Schon bei den klassischen Physiktheorien (insbesondere Elektrodynamik,

Magnetismus, Gravitation, Thermodynamik sowie die Dualität der

Wellenlehre) können wir uns deren physikalischen Funktionsweisen

teilweise nicht bildlich konkret vorstellen, obwohl sie abstrakt, d. h.

mathematisch und physikalisch nachgewiesen sind.

Auch der Mikrokosmos der Quantentheorie ist für uns Menschen nur schwer

messbar und kaum vorstellbar: Gemeint ist der Aufbau der Materie aus

Neutronen, Protonen, Elektronen und aus den noch winzigeren

Bestandteilen der Materie wie Quarks, Gluonen, Leptonen, Myonen usw.

Nicht vorstellbar sind auch die Lichtteilchen (Photonen) oder Lichtquanten

und deren elektromagnetische Wechselwirkung. Des Weiteren die in der

Quantengravitation schwache magnetische Wechselwirkung der Bosonen,

die starke Wechselwirkung der Gluonen sowie das experimentell indirekt

gesuchte Higgs-Boson. Das Higgs-Boson wäre die fehlende Kraftpartikel,

welche andere atomare Teilchen abbremsen und dadurch Masse und Form

der Materie bewirken sollte. Es würde die Formgebung der Materie erklären.

Die Existenz des Higgs-Bosons sei bereits experimentell im

Teilchenbeschleuniger des CERN in Genf kürzlich nachgewiesen worden.

Die vier Naturkräfte sind für uns kaum fassbar. Am vertrautesten ist uns die

Schwerkraft bzw. Gravitation. Sie hält uns auf den Boden und bestimmt die

Bewegung der Planeten, Sterne und Galaxien. Die elektromagnetische Kraft

sorgt dafür, dass sie die negativ geladenen Elektronen in der Atomhülle an

die positiv geladenen Atomkerne bindet. Sie ist für die verschiedenen

Phänomene in unserer Umgebung verantwortlich, beispielsweise für Licht,

Elektrizität und Magnetismus. Die schwache Kraft macht sich beim

radioaktiven Zerfall von Materie bemerkbar und tritt beispielsweise bei der

Energieproduktion der Sonne durch Atomfusion in Erscheinung. Die starke

Kraft schliesslich wirkt zwischen den Quarks (jeweils drei Quarks bilden ein

Proton oder Neutron), die mit der Gluonenkraft die Bausteine von Protonen

und Neutronen sind.

46

Page 47: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Einstein bewies in seiner Speziellen Relativitätstheorie, dass die gemessene

Zeit im Raumzeit-Kontinuum je nach Bewegungsgeschwindigkeit der

Beobachter sowie je nach der Stärke der Schwerkraft relativ zueinander

abweicht. Über diese seltsamen Vorgänge weiter vorne noch mehr. Seine

Allgemeine Relativitätstheorie bewies, dass die Gravitation und die

Bewegung von Planeten oder anderen Himmelskörpern nicht durch

Massenanziehung, sondern durch die Raumkrümmung erfolgt. Die Massen

krümmen sowohl Raum als auch Lichtstrahlen und verlangsamen die Zeit

im Raumzeitkontinuum.

Die bewiesene Wechselwirkung von Materie und Energie nach Einsteins

Formel (E=Masse mal Lichtgeschwindigkeit hoch 2) ist ebenfalls von

besonderer Bedeutung. Mehr darüber später in diesem Kapitel und im

nächsten Kapitel 14 (über die Transformation von Materie in Energie nach

dem Tod aller Lebewesen …).

Weitere seltsame, offene Fragen unter vielen anderen sind: Wieso leiten

Supraleiter elektrischen Strom ohne jegliche Verluste? Werden die

Geheimnisse der Entropie (Unordnung), Thermodynamik und der

turbulenten Strömungen von der Chaostheorie erklärt? Was für eine Rolle

spielen Neutronensterne, Quasare, Hypernovae, Schwarze Löcher und

spekulative Wurmlöcher im Ursprung und in der Entwicklung des

Universums? Dazu am Schluss dieses Kapitels mehr.

Die Mathematik und die Physik sind die Wissenschaften, die sich

der von uns unabhängig existierenden Realität wohl am meisten

annähern, gerade wegen ihrer objektiven und abstrakten

wissenschaftlichen Vorgehensweise, die auf konkrete,

wiederholende Beweisbarkeit beruht. Ihre Ergebnisse entziehen

sich teilweise oder sogar ganz der gegenständlichen

Vorstellbarkeit unserer limitierten Sinne. Die Limitierung unserer

47

Page 48: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

beschränkten Sinne wird also gerade durch die Mathematik und

Physik bestätigt.

Bei der Klärung des Mikro- und Makrokosmos versagen ab und zu unsere

Alltagsbegriffe. An ihrer Stelle tritt die Realitätsannäherung durch abstrakte

mathematische streng definierbare Begriffe. Das geht zwangläufig auf

Kosten unserer gegenständlichen Anschauung, die auf die begrenzte

Wahrnehmung unserer limitierten Sinne und deren subjektive Deutung

unseres Gehirns zugeschnitten ist. Die Realität des Mikro- und

Makrokosmos lässt sich durch die Physik und Mathematik am besten

erfassen. Diese erlauben uns nicht nur abstrakte, sondern auch

gegenständliche, praktische, nützliche Anwendungen in vielen

Lebensbereichen wie in den Ingenieurwissenschaften, Medizin, Biologie,

Architektur, Statistik, Finanzen, angewandte Mathematik usw.

Weiter entwickelte Wesen würden uns wegen unseres verzerrten

Weltbildes und unserer begrenzten, für sie sogar primitiven

wissenschaftlichen Erkenntnissen bemitleiden oder auslachen.

Ähnlich wie wir das Verhalten eines niederen Tierwesens im

Vergleich zu uns Menschen abschätzig als unterentwickelt oder

primitiv bezeichnen mögen. Bleiben wir deshalb immer bescheiden

mit unseren limitierten Erkenntnissen und offen für die

Erforschung und Klärung von so viel noch Unerklärtem.

Der gemeinsame Nenner bzw. die verständliche gemeinsame

Sprache zur Verständigung mit höher entwickelten Wesen wären

schlussendlich, trotz unseres begrenzten Wissens, die

Erkenntnisse der Mathematik und Physik. Mit ihrer Hilfe können

wir uns der absoluten von uns unabhängig existierenden Realität

am meisten annähern. Durch Physik und Mathematik dürften wir

uns der realistischeren und trotzdem noch subjektiven Wirklichkeit

höher entwickelter Ausserirdischer etwas approximieren. Die Frage

ist, ob und wann es jemals zu einem Kontakt mit Ausserirdischen

kommen wird.

48

Page 49: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Die um 1900 in Cambridge wirkenden Philosophen Bertrand

Russell, Mathematiker und Philosoph, Vater der analytischen

Philosophie und (nach Kant und Descartes) der neueren

Erkenntnistheorie („Principia Mathematica“, über mathematische

Axiome) sowie sein Kollege, Ludwig Wittgenstein („Tractatus

Logico-Philosophicus"), stellten ebenfalls die Bedeutung der

Mathematik, Logik und Sprache als Grundlage unserer objektiven

Erkenntnisse im Vordergrund.

Einige Zitate von L. Wittgenstein: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten

die Grenzen meiner Welt“. „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar

sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“;

es sei denn, man kann die Erkenntnisse, wenn schon nicht durch die

Sprache, mathematisch-physikalisch darstellen, würde ich hinzufügen. Und

weiter: „Die Kenntnis der Bedeutung von Sätzen geht einher mit der

Kenntnis der einschlägigen Verifikations- oder Beweisverfahren.“ und

Falsifizierungsverfahren, nicht nur der sprachlichen Logik von Sätzen,

sondern insbesondere der Mathematik und der anderen Wissenschaften,

würde ich präzisieren.

Die aktuellste Erkenntnistheorie, insbesondere die der Falsifizierbarkeit, mit

der ich völlig übereinstimme, ist die eingangs bereits beschriebene des

Philosophen Karl R. Popper.

In diesem Kontext komme ich auf das Buch von Steven Pinker, „Der

Sprachinstinkt“, Taschenbuch Verlag, 1998, zu sprechen. Gemäss seinem

Buch ist es die Sprache, die unser Denken und unser

Wirklichkeitsverständnis determiniert. Die Sprache ist ein vererbbarer

Instinkt. Es gibt im kollektiven Unbewusstem eine genetisch angeborene

kulturelle und vererbbare sprachunabhängige, d. h. übergeordnete

Universalgrammatik, die Kindern zeigt, wie aus der gesprochenen Sprache

ihrer Eltern bzw. Erzieher die syntaktischen Muster herauszufiltern sind.

49

Page 50: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Und dies, unabhängig davon, welche Sprachen die Eltern oder Erzieher

täglich anwenden, also auch bei gleichzeitiger Anwendung mehrerer

Sprachen. Die geschieht im Kindesalter unbewusst gesteuert, wie

automatisch, ohne bewusstes grammatikalisches Anlernen der Kinder durch

ihre Erzieher. Das weitere Anlernen der je nach Sprache spezifischeren

Grammatik erfolgt im späteren Kindesalter. - Pinker differiert von seinem

Kollegen Noam Chomsky, Sprachwissenschaftler (Linguistik) und Philosoph

am MIT in Cambridge (Boston) insofern, dass Chomsky neben der

sprachlichen Erbveranlagung vermehrt auch auf den sprachlichen

Erfahrungsaustausch mit der Aussenwelt als Input für die

Sprachentwicklung setzt. Pinker gibt dem vererbten Instinkt der Sprache

sowie dem sprachlichen Zentrum des Gehirns mehr Gewicht als dem Input

der Aussenwelt.

Die Realität und die Wirklichkeit seien informationsgesteuert, im Sinne von

„Am Anfang war die Information“ ist ein weiterer Ansatz von

Erkenntnistheorien. Ob die Information die Ursache des Ursprungs

der objektiven Wirklichkeit (Realität) ist, bleibt eine zu beweisende

Hypothese. Die Information scheint sowohl die realen Naturgesetze als

auch die Evolution der Menschen und deren Lebensabläufe genetisch zu

steuern, sowohl physisch als auch psychisch-“geistig“.

Ob und wie weit sich unser freier Wille gegen die vererbten genetischen

Informationen und deren Steuerung und unabhängig vom vererbten

kollektiven Unbewussten (Archetypen bzw. “Meme“) sowie gegen die

Konditionierung und gegen epigenetische und andere externe Einflüsse

behaupten kann, ist weiterhin eine umstrittene Frage. Wird die

Information durch Chaos, „Zufall (Mutationen) und Notwendigkeit

(der Evolutionstheorie)“ gemäss dem Biologen Jacques Monod oder

durch eine gezielte Ordnung bzw. durch eine höhere Instanz

“generiert“? Man kann nur spekulieren bzw. glauben oder nicht.

Die Evolutions- bzw. Genetiklehre, Neurologie und Hirnlehre

konnten bis jetzt, wie im Kapitel 9 aufgeführt, nur teilweise 50

Page 51: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

wissenschaftlich nachweisbare Antworten auf einige der

obengenannten Fragen geben. Die genetische Information scheint

aber für die Evolution massgebend zu sein. Die Information steht in

ständiger Wechselwirkung zwischen Materie (inkl. Gehirn) und Energie (inkl.

Geist). Sie verbindet die reale Aussenwelt mit dem Gehirn durch die von

diesem verarbeiteten Sinneseindrücken. Die vom Gehirn verarbeiteten

Informationen generieren zusammen mit den genetischen und geistigen

Informationen des vom Gehirn angesammelten kollektiven Unbewussten

(Archetypen bzw. “Meme“) unser subjektives Bewusstsein.

Unsere subjektive Wirklichkeit erscheint uns als eine Art subjektives

Hologramm (Abbild) von der realen Welt aus Energie, Materie und codierter

Information. Sie nimmt für uns erst Gestalt an, wenn unser Gehirn die

Information durch unsere begrenzten Sinne erfasst, individuell subjektiv

interpretiert und unser Bewusstsein mit Sinn und Bedeutung aus dem

Erbgut des Unterbewusstseins (Archetypen) füllt. In diesem Sinne

gestaltet das vom Gehirn generierte Bewusstsein des Menschen

seine eigene subjektive Wirklichkeit, als Annäherung an die

objektive Wirklichkeit (Realität).

Das Buch „Am Anfang war die Information“ von Prof. Dr.-Ing. Werner

Gitt ist interessant. Jedoch teile ich seine Schlussfolgerungen nicht. Der

Titel seines Buches weist auf den Anfang des Johannesevangeliums hin: „Im

Anfang war das Wort… Und weiter: „In Johannes 1,1 ist mit “Wort“ die

Person des Urhebers (Gott) gemeint…“, gemäss Hinweis des Autors im

Vorwort zur 2. Auflage des Buches. Dieses Buch ist von Anfang an durch

den religiösen Glauben des Autors zu einseitig beeinflusst. Er selber

schreibt (hier zusammengefasst wiedergegeben): Mein Buch ist eine

Absage an die rein materialistische Denkweise in den Naturwissenschaften,

an alle gängigen Evolutionsvorstellungen (inkl. die gemäss Darwin) sowie

an die genetischen und neurologischen Erkenntnisse der Hirnlehre, an das

materialistische Menschenbild, an die Urknallhypothese, und schliesslich an

den Atheismus. Sein weiteres Buch mit dem Titel „Das biblische Zeugnis

der Schöpfung“ spricht für sich selber, was seine Stellung von Religion vor

Wissenschaft anbetrifft. Wie gesagt, ich und insbesondere die Hirnforscher 51

Page 52: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

teilen seine obengenannten Absagen keineswegs. Ich stimme nur mit der

Bedeutung der Information überein. Die Information ist meiner Ansicht

nach zentral in der realen Welt und für die Evolution der Menschen

und Grundbestandteil unserer Erkenntnisse.

Neben Sprache, Logik, Mathematik und Physik ist die Information

(vor allem die genetische, gemäß der Evolutionslehre nach Darwin

und Richard Dawkins) von grundlegender Bedeutung für unsere

annähernde Erfassung und Interpretation der Realität. Die in den

Genen (in unserem individuellen Erbgut) enthaltene Information ist für die

Steuerung der menschlichen Evolution und damit des Gehirns

entscheidend.

Materie, Energie und Information sind fundamentale Bausteine des

Universums.

Information, Sprache, Logik, Mathematik und Physik bilden die

Basis unserer Erkenntnisse. Die Information verhilft uns durch das

Denken des von ihr beeinflussten Gehirns, wissenschaftlich

fundierte Erkenntnisse zu erlangen. Die Anwendung unserer

Erkenntnisse verhindert wiederum, dass wir uns in unwissenschaftliche

Irrlehren und Glauben verlieren, die uns von der Realität entfernen. Es sei

denn, man bevorzugt, sich in teilweise gefährlichen Welten von irrealen

Fantasien auszutoben und verwirren zu lassen.

Die Formulierung der modernen Quantentheorie in den 1920er

Jahren zwang die Menschheit zur radikalsten Revision ihres

physikalischen Weltbildes seit Sir Isaac Newtons (1643-1727)

berühmten Theorien zur Gravitation. Der subatomare Bereich lässt

uns unsere damals gewohnte Welt völlig anders erscheinen.

Seltsame, schwer verständliche Erscheinungen und nicht

Hokuspokus gibt es in der dualen Wellen-Quanten-Struktur bzw. in

52

Page 53: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

der ständigen Wechselwirkung von Materie und Energie im

Quanten-Mikrokosmos:

Atomare Teilchen befinden sich durch ihren Überlagerungszustand

(Superposition bzw. Kohärenz) vor unserer Messung gleichzeitig in

verschiedenen Zuständen und gleichzeitig an verschiedenen Orten. Sie sind

gleichzeitig mit anderen gleichen subatomaren Teilchen verbunden

(Verschränkung). Erst durch die Messung ergibt sich ein eindeutiger

Zustand und eine eindeutige Ortung (Dekohärenz) des Teilchens unter

Beibehaltung der obengenannten Verbundenheit (Verschränkung). Oder

anders gesagt: Erst durch Resonanz mit unserer Messung kollabieren die

Wellen/Korpuskel Erscheinungen eines Elektrons in einen eindeutigen

Quantenzustand (beispielsweise Photon= Lichtquant); und nur im Moment

der Messung kann die eindeutige Ortung des Teilchens erfolgen. Diese

Information kann als Qubit-Einheit in einem Computer gespeichert und

verarbeitet werden. Die Ergebnisse weiterer Messungen können aber je

nach Zeit, Aktivierungsform und Beeinflussung der Messung voneinander

differieren.

Diese Erscheinung nennt man Unschärferelation oder Messung von

Wahrscheinlichkeiten. Die Postulate der Quantentheorie, insbesondere die

der Unschärfe und der Wahrscheinlichkeiten stehen im Gegensatz zu den

Postulaten der Relativitätstheorie und der klassischen Physik, die

deterministisch sind. In anderen Worten, die Quantentheorie entspricht

nicht dem physikalischen Prinzip von Ursache und Wirkung. In der

Quantenphysik ist die Welt holistisch (ganzheitlich) aufgebaut, wie die Welt

von C.G.Jung. Isolierte Teile gibt es nicht; alles ist mit allem untrennbar

verbunden (siehe nachfolgender Abschnitt über Morphogenese nach R.

Sheldrake). Die Zeit mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft scheint

ihre Bedeutung zu verlieren. Quantenphysik ist die Physik der Möglichkeiten

und der Wahrscheinlichkeiten. Ein wesentlicher Grundsatz der

Quantenphysik geht davon aus, dass nichts mehr mit vollkommener

Sicherheit vorausgesagt werden kann. In der Quantenwelt herrschen zig

Tausende von Varianten und Möglichkeiten.

53

Page 54: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Eines der Konzepte der Quantenphysik anerkennt, dass es nicht nur die

Wirklichkeit der Teilchenebene gibt, sondern auch die der Wellenebene.

Sämtliche Körper bestehen folglich nicht nur aus fester Materie, sondern

auch aus Wellen, Schwingungsmustern oder Frequenzen. Willkommen in

der Welt der Frequenzen; man könnte auch sagen, willkommen in der Welt

der Energie. Somit sind eigentlich alle Dinge im Leben ganz einfach Muster

aus Materie, Energie (z. B. Licht) und Informationen. Der menschliche

Körper besteht aus Gewebe und Organen, und diese wiederum aus Zellen,

doch schlussendlich ist alles Energie. Das mag man buchstäblich nehmen,

denn die Menschen sprechen ja auch im Alltag davon, dass jemand nicht

auf derselben Wellenlänge ist. Der andere Mensch schwingt in einer

anderen Frequenz – oder auf einer anderen Welle – und diese Energie

bekommt einem nicht. Diese Zusammenhänge wurden mittlerweile von der

analytischen Psychologie wissenschaftlich nachgewiesen.

Viele Quantenphysiker erkennen zunehmend, dass Information, Energie und

das Psychische (Geistige) kein Gegensatz zum Materiellen bilden. Keines ist

besser als das andere. Sie sind wandelbar bzw. austauschbar, interagieren

untereinander und sind nicht voneinander zu trennen. Es sind einfach nur

verschiedene Zustände, aus die sich der Mensch, je nachdem wie er die

Realität misst, seine eigene subjektive Wirklichkeit zusammenreimt.

Richard Conn Henry, Physiker an der John Hopkins Universität, meinte dazu:

„Das Universum ist nicht (nur) materiell – es ist (zugleich) mental und

spirituell (bzw. psychologisch geistig würde ich eher sagen). Geniessen wir

es.“

Wie nur wenige spirituelle Menschen zugeben, und Physiker mittlerweile

bestätigt haben, müssen die Menschen vieles, was sie Wahrheit oder

Wirklichkeit nennen, heute eher als Produkt der Einbildung anerkennen.

Viele Menschen sind der Meinung, dass die physische Welt, so wie sie sie

sehen, real ist. Doch die Quantenphysiker haben festgestellt, dass die von

einem Menschen beobachtete reale Welt nur subjektiv erfasst und

interpretiert wird. Unsere subjektive Wirklichkeit ist ein verzerrtes, nur

annäherndes Abbild der Realität. Warum? Weil unsere Gehirneigenschaften,

wie z. B. das Denken beschränkt sind. Und, weil unsere 54

Page 55: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wahrnehmungssinne anzahlmässig ziemlich limitiert und in ihrer

Erfassungs- bzw. Aufnahmekapazität ebenfalls sehr begrenzt sind. Eine

Person ko-kreiert seine subjektive Wirklichkeit und ergänzt sie mit seinen

eigenen Überzeugungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen.

Anscheinend können zwei durch eine grosse Entfernung getrennte

subatomare Teilchen, z. B. Elektronen, Ionen oder Photonen von uns

gleichzeitig beeinflusst werden, beispielsweise die gleichzeitige

Beeinflussung der Drehung ihrer Spinrichtungen. Diese Erscheinung wird

durch die quantenmechanische Verschränkung erklärt. Sie bedeutet, dass

zwei getrennte subatomare Partikel, z. B. Photonen, unabhängig von ihrer

Entfernung miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bedingen.

Wenn ein subatomarer Teil verändert wird, betrifft diese Änderung auch das

andere (EPR Paradoxon nach den Anfangsbuchstaben von Einstein,

Podolsky und Rosen). Die Entfernung der subatomaren Teilchen spielt dabei

keine Rolle und die Veränderung geschieht “instantan“, ohne zeitlichen

Unterschied und ohne physische Deplacierung der Teilchen. Voraussetzung

ist, dass die Messung, auch bei grösster Entfernung, an beiden Orten

gleichzeitig im Moment der subatomaren Veränderung erfolgt.

Diese spukhafte Fernwirkung von subatomaren Teilchen auf Distanz führte

zur Hypothese der Teleportation: Man kann durch Aktivierung von

subatomaren Teilchen, diese spiegelbildlich von einem Ort zum anderen

über grosse Distanzen teleportieren, ohne dass sich das teleportierte Objekt

bewegt und umgekehrt. Die Objekte können eine Information in der Form

von Quanten (Qubits) sein oder sonstige aktivierte Atomteilchen. Diese

“spukhafte“ Erscheinung wurde für die nicht physische (auch nicht

wellenartige) Übertragung von Informationen experimentell schon

mehrmals erprobt. Ein bloss hypothetisches Gedankenspiel wäre: einen

Menschen durch Beeinflussung seiner einzelnen verschränkten

Elementarteilchen von einem zu einem anderen Ort (ohne irgendwelche

physische Bewegung) zu teleportieren und umgekehrt, was beim

55

Page 56: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

komplexen Aufbau eines Menschen völlig unmöglich erscheint bzw. zu

seinem Tod führen würde.

Beim Schrödinger Paradoxon der sogenannten Schrödinger-Katze geht es

um eine Katze in einem geschlossenen Kasten, die gleichzeitig tot oder

lebendig (Superposition bzw. Kohärenz) ist, je nachdem, ob wir im Moment

unserer Beobachtung eine sofort wirkende tödliche Giftentfaltung im Kasten

auslösen oder nicht. Erst dann tritt der Tod ein oder nicht. Diese Auslösung

nennt man Dekohärenz.

Die nächsten von mir frei wiedergegebenen Gedanken stammen aus dem

Tages-Anzeiger vom 30.11.2005, der dem Wiener Quantenphysiker Anton

Zeilinger einen (von Barbara Vonarburg, Wien geschriebenen) Artikel

widmete:

Dem Einstein Spuk, der dem gesunden Menschenverstand entgegenläuft,

obwohl von der Quantentheorie bewiesen, ähnlich ist das mysteriöse, zum

besseren Verständnis modellhaft dargestellte Quanten-Würfelpaar: Man

erklärt das Phänomen anhand einer angenommenen Sciencefiction-

Würfelmaschine. Drückt man auf einen Kopf, fallen zwei Würfel heraus.

Jeder der beiden Würfel ist unverfälscht; rein zufällig kann also eine der

Zahlen von 1 bis 6 oben liegen. Das Besondere: Die beiden Würfel zeigen

immer die gleiche Augenzahl. In der Wirklichkeit gibt es dieses Phänomen

bei Würfelpaaren natürlich nicht. Erstaunlicherweise hat man es aber in

Experimenten bei Paaren von Teilchen wie Photonen, Elektronen oder gar

Atomen beobachtet. Die Physiker sprechen von Verschränkung der

Teilchen. – Besonders irritierend: Verschränkte Teilchen besitzen mehrere

Eigenschaften gleichzeitig (Superposition bzw. Köhärenz). Erst wenn man

die Teilchen bzw. die Würfel beobachtet, wird die Eigenschaft bzw.

Augenzahl definiert (Dekohärenz) und zwar für alle gleich, d. h. verschränkt.

Hat man also eine Zahl an einem Würfel respektive eine Eigenschaft an

einem Teilchen beobachtet, kann man sicher sein, dass der andere Würfel

bzw. das andere Teilchen die gleiche Eigenschaft aufweist. Und dies egal,

wie gross die Distanz zwischen den beiden auch sein mag. Das ist eine

56

Page 57: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

nützliche, völlig neue Übertragungsform von Informationen, die bereits

experimentell nachgewiesen wurde.

Albert Einstein mochte dies nicht und bezeichnete es als “spukhafte

Fernwirkung“. Die Quantenphysik war für ihn „nicht der wahre Jakob“; „Gott

würfelt nicht“, wie er sagte. Das Rechnen mit Zufällen und

Wahrscheinlichkeiten brächte uns dem „Geheimnis des Alten“, wie er Gott

zuweilen nannte, nicht näher. Aber Niels Bohr behielt recht: Gott würfelt

manchmal doch, und wir dürfen ihm nicht vorschreiben, wie er Natur und

Welt regiert. Der Spuk existiert:

Als experimenteller Beweis “beförderten“ Zeilinger und sein

Forschungsteam 1997 erstmals ein Lichtteilchen, also ein Photon,

blitzschnell von einem Ort zu einem anderen, ohne dass es die Strecke

dazwischen wirklich zurücklegte, d. h. durch Verschränkung (entaglement

auf Englisch), wie auch immer eine solche von uns Menschen zu erklären

sei. Es war eindeutig kein Beamen von Licht; die Physiker nennen es

Teleportation ohne irgendwelche physikalische Bewegung (siehe oben).

Dieses Experiment machte Zeilinger weltberühmt. Bei einer beispielsweise

Spinänderung des Photons eines Atoms erfolgt augenblicklich dasselbe mit

dem Photon eines beliebig entfernten verschränkten Atoms.

Zum Satz von Zeilinger, dass nicht die Materie, sondern die Information der

fundamentale Baustein des Universums sei, schreibt er: „Die Information

habe eine Art von Zwitterstellung zwischen dem Beobachter und der Welt.

Und damit könnte sie der Schlüssel sein zur Lösung eines fundamentalen

Problems (das der Erkenntnis). Denn die Quantenphysik hat gezeigt, dass

die Idee des losgelösten Beobachters falsch ist. Man erinnere sich an die

verschränkten Teilchen, die ihr Merkmal erst bekommen, wenn man sie

beobachtet, zuvor jedoch ohne eigene Eigenschaften sind. Doch wie sind

wir und die Welt da draussen miteinander verbunden? Mein Hinweis: siehe

nachfolgender Abschnitt über Morphogenese gemäss R. Sheldrake. Weiter

schreibt Zeilinger: „Und welche Rolle spielt die Information genau? Ich

würde mir wünschen, dass mehr Philosophen sich mit diesen Fragen

auseinandersetzen.“ Zitiert aus dem Buch von Anton Zeilinger: „Einsteins

57

Page 58: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Spuk. Teleportation und andere Mysterien der Quantenphysik.“, C.-

Bertelsmann-Verlag, 2005.

Neueste Nachrichten zu diesem Thema aus dem Tages-Anzeiger vom

15.8.2013, Seite 30: „ETH-Forscher haben Informationen mithilfe von

Teleportation übermittelt. Über eine Distanz von sechs Millimetern – von

einer Ecke eines Chips in die gegenüberliegende Ecke – schickten die ETH-

Physiker Information, ohne dass dabei physikalische Teilchen den Weg

zurückgelegt hätten. Die Information reist nicht von Punkt A zu Punkt B.

Vielmehr erscheint sie an Punkt B und verschwindet an Punkt A, wenn man

sie an Punkt B abliest. In der Telekommunikation wird die Information über

elektromagnetische Impulse übertragen. Beim Mobilfunk bewegen sich

beispielsweise Radiowellen, in Glasfaserverbindungen sind es Lichtimpulse.

Bei der Quantenteleportation hingegen “transportiere“ (wie dies erfolgt

kann man sich bis heute nicht erklären) man ausschliesslich die Information

selbst. Zwei verschränkte Teilchen bleiben kontaktlos auch über grosse

Distanzen miteinander verbunden und können sogar Eigenschaften

austauschen. Dass die Verschränkung existiert, wurde schon oft gezeigt.

Österreichischen Wissenschaftlern ist es letztes Jahr gelungen, eine

Information über mehr als hundert Kilometer zu teleportieren. Sie

verwendeten jedoch optische Systeme mit sichtbarem Licht. Die ETH-

Forscher konnten zum ersten Mal Informationen in einem System mit

supraleitenden elektronischen Schaltungen teleportieren. Das ist

interessant, weil solche Schaltungen wichtige Elemente für den Bau von

zukünftigen Quantencomputern sind. Der Vorteil der quantenphysikalischen

Information gegenüber der klassischen Technik ist die höhere

Informationsdichte. Die Zürcher Forscher möchten als Nächstes in ihrem

System den Abstand zwischen Sender und Empfänger vergrössern und

versuchen, Information von einem Chip auf einen anderen zu teleportieren.

Im gleichen Zusammenhang erwähne ich ein weiteres Experiment als

Nachweis der Verschränkung:

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Page 59: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

J. Pigem (siehe auch Kapitel 5) beschreibt ebenfalls (in seinem Buch mit

dem Titel „Die neue Wirklichkeit“, von mir frei übersetzt aus dem

Spanischen „La Nueva Realidad“) unter dem Abschnitt „das Photon von

Tenerife“ die für uns unerklärliche Verschränkung von kleinsten Partikeln

auch bei grösserer Entfernung, welche von der Quantenphysik mehrmals

experimentell nachgewiesen und theoretisch bewiesen wurde. Die

Übertragung der unmittelbaren Veränderung bei beiden Partikeln

gleichzeitig erfolgt ohne physische bzw. strahlenmässige oder anderen uns

physikalisch bekannten Übertragungen. Voraussetzung ist, dass eine

Verschränkung zwischen den Partikeln besteht. Beim Experiment auf der

Insel La Palma wurde zunächst eine Verschränkung zwischen zwei Photonen

hergestellt. Einer davon wurde dann per Laserstrahl nach Tenerife

gebeamt. Anschliessend wurde, nach Abschaltung des Laserstrahls, jede

Veränderung im Photon in La Palma vom Photon auf der Insel Tenerife (144

Kilometer entfernt) synchron und augenblicklich registriert. Wie das erklärt

werden kann, weiss bis heute niemand. Es klingt zauberhaft, weil wir den

Trick nicht durchblicken. - Wie früher als man noch dachte, dass die Welt

eine flache Scheibe war, bevor man die Mittel herausfand, um die Rundung

der Welt zu erklären und zu beweisen. Ähnlich wie bei der späten

Erkenntnis, dass sich die Erde um die Sonne bewegt und nicht umgekehrt,

wie man früher geglaubt hatte.

Es bleibt ein unerklärtes Phänomen, wie der Hokuspokus in der Magie.

Hypothesen tippen auf eine Art mikrokosmische Gravitation, ähnlich wie die

makrokosmische Schwerkraft durch die Raumzeitverformung nach Einstein.

Andere greifen zu noch nicht nachgewiesene, schwarze Materie bzw.

schwarze Energie, Parallelwelten in multidimensionalen Räumen,

Antimaterie und noch andere, lauter unbewiesene Hypothesen …

J. Pigem bringt in seinem Buch das Thema unserer Erkenntnisgrundlagen im

Zusammenhang mit der, meiner Meinung nach, auch von ihm

missinterpretierten Quantentheorie: Er wie der Physiker Anton Zeilinger

behaupten, dass die Quantenphysik uns zeigt, dass unsere Erkenntnisse

von unseren Beobachtungsinstrumenten und Sinnen abhängen. Es gäbe

gemäss der Quantentheorie keine von uns unabhängige Realität (objektive 59

Page 60: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wirklichkeit), sondern nur eine durch den Einfluss bzw. die Einwirkung und

Beobachtung von uns Menschen selbst erkannte Wirklichkeit. – Eine, meiner

Ansicht nach, allzu anmassende Schlussfolgerung. Erneut der Mensch im

Mittelpunkt wie damals die Erde (bis zur Wende vom geozentrischen

Weltbild des Ptolemäus zum heliozentrischen von Kopernikus und Galileo

Galilei) als ein die einzige Wirklichkeit erkennendes Wesen? Den Menschen

wiederum so wichtig nehmen? Die Realität der Welt bzw. des Universums

existiert auch ohne den Menschen und unabhängig von ihm!

Der berühmte Quantenphysiker Werner Heisenberg vertritt, wie auch

andere Physiker, falls ich ihn richtig interpretiere, eine von A. Zeilinger und

J. Pigem abweichende Interpretation der Quantentheorie: nämlich, dass

eine reale, objektive Welt existiert, unabhängig von unseren

unvollkommenen menschlichen Messungen, Sinnes- und Hirnerfassungen

sowie ungeachtet unserer daraus hergeleiteten physikalischen Theorien.

Unsere wissenschaftliche Erfassung bzw. die durch uns Menschen

beeinflusste Beobachtung und Erfassung (Messung) der Realität ergibt

unsere subjektive Wirklichkeit. Sie ist eine menschlich unvollkommene,

subjektive Annäherung an die Realität (=objektive Wirklichkeit). So denken

auch andere Wissenschaftler und nicht wenige Philosophen.

Ich meine, dass wir zwischen Realität (=objektive Wirklichkeit) und

subjektiver Wirklichkeit unterscheiden müssen. Die von W. Heisenberg

entdeckte Quantenunschärfe beweist, dass wir im Mikrokosmos nie

gleichzeitig den Ort und die Geschwindigkeit eines Objektes bestimmen

können. Dazu kommt, dass unsere Messungen von unseren

Beobachtungsinstrumenten abhängen. Die Messergebnisse im Mikrokosmos

sind unbestimmt. Sie stellen nur Wahrscheinlichkeiten dar. Die Realität

entzieht sich unserer menschlichen Erkenntnis, weil unsere

Beobachtungsinstrumente und übrigen Sinne, unser Denken sowie die

sonstigen Eigenschaften unseres Gehirns sehr beschränkt und

unvollkommen sind.

Andere, wie A. Zeilinger und J. Pigem, meinen, dass unser Bild von der Welt

vielleicht gar keine Spiegelung irgendeiner Realität ist, sondern ein reines

60

Page 61: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Kopfprodukt. – Meiner Meinung nach gibt es doch eine Verbindung zwischen

der Realität (der objektiven Wirklichkeit) und unserem Gehirn durch die

Eindrücke unserer unvollkommenen Sinne, aufgrund unserer

Beobachtungsmessungen. Diese erzeugen in unserem ebenfalls

unvollkommenen Gehirn eine Spiegelung bzw. ein diffuses Abbild

(subjektive Wirklichkeit) der Realität.

Wir können uns mit mathematisch-physikalischen Theorien nur ein

annäherndes bzw. verschwommenes subjektives Bild (=subjektive

Wirklichkeit) der Realität (=objektive Wirklichkeit) machen. Je weiter sich

unsere Sinne und unser Gehirn entwickeln, desto mehr werden wir uns der

Realität annähern können, aber nie ganz, weil wir halt unvollkommene

Wesen sind.

Wie dem auch sei, tun wir in unserem praktischen Leben so, wie wenn

unsere subjektive Wirklichkeit der Realität entspräche, um uns das Leben

zu erleichtern, pflege ich vereinfachend zu sagen.

Infolge unserer Beschränktheit bzw. (etwas schöner formuliert)

Begrenztheit sind wir mit unseren wissenschaftlichen Methoden nicht in der

Lage, das Göttliche bzw. Transzendentale, wenn es überhaupt existiert, zu

erfassen bzw. zu beweisen.

Was wir bis heute wissenschaftlich nicht zuverlässig messen, erfassen und

beweisen können, heisst noch lange nicht, dass es nicht existiert. Wir sind

noch lange nicht in der Lage, alles zu verstehen und vieles wird für uns

begrenzte Menschen für immer unverständlich bleiben.

Die Quantenphysik hat zudem gezeigt, dass es die kausale Erklärbarkeit

nicht gibt. Es herrscht der reine Zufall. Es gibt also Dinge, die geschehen

ohne Grund. Man kann bei den Beobachtungen höchstens mit

Wahrscheinlichkeiten rechnen. Die Welt ist nicht ein Uhrwerk, das nach

festgelegten Gesetzen eindeutig abläuft, wie es die Newtonsche Physik

lehrt. Der Zufall ist die Basis für Offenheit und Freiheit der Naturabläufe;

philosophisch und evolutionsmässig äusserst aufschlussreich.

61

Page 62: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Es ist nochmals zu betonen, dass alle obengenannten seltsamen, teilweise

paradoxen Erscheinungen der Quantenphysik experimentell mehrmals

nachgewiesen worden sind. Sie erscheinen uns trotzdem spukhaft und

unglaubhaft, weil sie unserem gesunden Menschenverstand und unseren

bisherigen Erkenntnissen entgegenlaufen. Wir können sie uns kaum

vorstellen und deshalb nicht verstehen.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die Quantentheorie nur in der Skala des

Mikrokosmos gilt. Man kann sie nicht für die Skala des Makrokosmos

anwenden, wo die physikalischen Theorien gemäss Newton oder in

gewissen Makrobereichen, wo andererseits die Theorien gemäss Einstein

gelten. Sie dürfen auch nicht ohne Weiteres auf die geistige Skala aller

anderen Geisteswissenschaften (insbesondere Psychologie, Philosophie)

und Religionen übertragen werden. Letzteres wird oft leichtfertig getan, um

seltsame, unerklärliche Erscheinungen der Geisteswissenschaften und

Religionen den ebenfalls seltsamen Erscheinungen der Quantentheorien

gleichzusetzen und um dadurch Glaubwürdigkeit zu erwecken. Man

missbraucht in solchen Fällen die Quantenphysik, um fragwürdige Thesen

mit einem quantenphysikalischen und somit wissenschaftlichen Anschein zu

schmücken und um dadurch Wahrhaftigkeit vorzutäuschen.

Die kommenden Quantencomputer werden in der gegenwärtigen

Revolution der Informatik beispielsweise bei der koordinierten Ausnutzung

von ökologischen Energien, bei der Optimierung der zunehmenden

Energiesparanstrengungen und in anderen komplexen Bereichen in Zukunft

eine zentrale Rolle spielen (siehe Kapitel 6). Deshalb und weil der

Nobelpreis für Physik 2012 diesem Thema vergeben wurde, möchte ich

etwas eingehender darüber schreiben:

Die Quantenrechner der Zukunft übertragen Information nicht mit den

gewöhnlichen Bits, wie unsere heutigen Computer, sondern mit den

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Page 63: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Quantenzuständen (Quantenbits) von Atomen, Elektronen oder

Lichtteilchen (Photonen). Sie nutzen dabei eine spezielle Eigenschaft der

Quantenmechanik aus: Die kleinsten Speichereinheiten der

Quantencomputer, die Quantenbits oder Qubits, befinden sich nämlich in

einem Überlagerungszustand (Superposition oder Kohärenz), d. h., sie

speichern zwei verschiedene Informationen gleichzeitig. Die klassischen

Bits hingegen sind entweder im Zustand 0 oder 1. Die Qubits können

stattdessen in drei statt nur in zwei Zuständen sein: entweder im Zustand 0

oder 01 (gleichzeitig sowohl als auch) oder 1. Durch elektromagnetische

Teilchenaktivierung, z. B. via Laser kann man den Quantenzustand der

Teilchen von 01 (Superposition bzw. Kohärenz) auf 0 oder auf 1 verändern

(Dekohärenz).

So haben Quantenrechner mehr Speicherkapazität. Sie können gleichzeitig

durch Quantenalgorithmen mehrere Rechenfunktionen gleichzeitig

durchführen. Mit Quantenbits als dreifache Informationseinheiten können

Daten tausendmal energieeffizienter und schneller verarbeitet werden.

Datenbanken können schneller durchsucht und die komplexesten

Verschlüsselungsverfahren schneller geknackt werden.

Aber auch Quantencomputer haben ihre Schwächen: Sie sind heute noch

extrem störanfällig. Um mit Quantenbits zu rechnen, müssen die Physiker

deren Zustände kontrollieren. Dazu legen sie elektromagnetische Felder an.

Die Wechselwirkung mit der Aussenwelt kann die fragilen Quantenzustände

jedoch leicht ungewollt umschalten oder sogar zerstören, sodass eventuell

Informationen verloren gehen.

Der ETH-Physiker Andreas Wallraff arbeitet bereits an der Entwicklung des

Quantencomputers an der ETH Zürich in seinem Quantum Device Lab seit

2006. Die Zukunft der Computer dürfte trotz der noch bestehenden

Schwierigkeiten beim revolutionierenden “Quantensprung“ der kommenden

Quantencomputer liegen.

63

Page 64: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Die neueste Forschung einer molekularbiologischen Computertechnologie

versucht, die DNA als enorm leistungsfähige Trägerstruktur von

Erbinformationen für die Mega-Speicherung von sonstigen Informationen zu

benützen. Man ist daran herauszufinden, wie und ob man Informationen in

die DNA-Struktur nicht nur aus gesundheitlichen Gründen verändern und

löschen, sondern für die Computeranwendung auch in die DNA eingeben,

speichern und abrufen kann. Man forscht sogar daran, besondere

Eigenschaften von Zellkulturen und Mikroorganismen als Computer-

Bausteine einzusetzen. Dies ist allerdings noch Zukunftsmusik.

Nützlich und lehrhaft ist es, wenn wir nachfolgend, als Beweis

unserer Begrenztheit, die je nach Lebewesen unterschiedlichen

Sinne und deren subjektive Erfassung der Realität etwas genauer

unter die Lupe nehmen:

Es beginnt schon mit der limitierten Anzahl unserer Sinne, die uns

eine menscheneigene Wirklichkeit vorgaukeln, auf die unsere

subjektiven Erkenntnisse und Wahrheiten beruhen.

Einige Tiere haben weiter und andere weniger entwickelte Sinne als unsere

begrenzten menschlichen Sinne. Andere Tiere haben sogar mehr Sinne als

wir Menschen. Davon hängt es ab, wie sie die Realität subjektiv “sehen“

(einige sehen nicht einmal, weil sie blind sind) bzw. erfassen und wie nahe

oder wie weit ihr “tierisches subjektives Weltbild“ vom menschlichen

subjektiven Weltbild abweicht.

Etwa drei Viertel aller Lebewesen des Blauen Planeten bewohnen die

Ozeane, die rund 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken. Andere

Lebewesen bewegen sich auch ausserhalb von Wasser und Erde

mehrheitlich in der Luft. Die Sinne der Lebewesen haben sich diesen

verschiedenen Lebensumfeldern angepasst und entsprechend spezialisiert.

64

Page 65: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Die Welten der Meerestiefen und die der Vögel in der Luft beinhalten noch

viele für uns unbekannte und unerklärte Geheimnisse.

Das menschliche Auge ist ein hoch entwickeltes Sinnesorgan. Dennoch

können wir vieles gar nicht wahrnehmen. Es gibt für uns unsichtbare Welten

und unsichtbare Energien. Einige Phänomene passieren innerhalb von

Sekundenbruchteilen, d. h. von uns nicht erfassbar. Wir unterliegen vielen

optischen Täuschungen und anderen Sinnestäuschungen.

Der für den Menschen wahrnehmbare Teil des elektromagnetischen

Spektrums ist bestürzend gering. Für viele Wellenlängen und andere

Formen von Strahlen (Magnetstrahlung, Rundfunkwellen, Röntgen-,

Infrarot-, UV-, Gammastrahlen usw.) sind wir blind. Je nach

Augenkonstruktion sehen Tiere ganz anders als Menschen. Schon bei

Menschen führen die verschiedenen Arten von Farbenblindheit (nur

blau/gelb bzw. nur Grautöne usw.) zu einer anderen bildlichen Erfassung

der Realität als beim “normale“ Sehen. Wieder ein Beispiel dafür, dass es

verschiedene subjektive Wirklichkeiten gibt bzw. verzerrte, subjektive

Abbilder der von unvollkommenen Lebewesen nicht erfassbaren objektiven

Realität.

Auch die übrigen Sinne wie Riechen, Tasten usw. sind bei Lebewesen mehr

oder weniger stark entwickelt. Bei der Erfassung von Schallwellen hören

viele Tiere ein breiteres Schallspektrum (u. a. Ultraschall bei Fledermäusen)

als wir Menschen.

Wir sehen zum Glück nicht einmal mit blossem Auge die unter dem

Mikroskop eklig und hässlich aussehenden Ungeziefer bzw. Schmarotzer,

die, von uns Menschen unbemerkt, mit uns Küche, Bad und Bett teilen. Sie

kommen in jedem auch noch so sauberen Haushalt vor. Sie fressen sich

heimlich an unserem Müsli satt, vertilgen unsere Hautschuppen, und

vermehren, kämpfen und sterben auf unserem Körper, in unseren Betten,

im herumliegenden Staub; glücklicherweise, ohne dass wir sie von blossem

Auge sehen. Wir schlucken sie sogar, ohne es zu merken. Dazu kommen

noch weitere Mikroorganismen wie Bakterien, Viren, sogenannte Protisten

usw., die wir ebenfalls von blossem Auge nicht sehen. 65

Page 66: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wir wissen aus eigener Anschauung auch nicht, wie ein Atom aussieht, weil

wir es nicht mit blossem Auge, sondern nur mit einem Elektronenmikroskop

erkennen können. Zum Überleben brauchen wir diese Fähigkeiten nicht.

Doch um mehr von unserem Menschsein, dem Leben und seinen

Ursprüngen verstehen zu können, überschreiten wir die Grenzen unserer

Wahrnehmung, indem wir durch Messgeräte und entsprechende

Experimente in die unsichtbaren Frequenzen des Mikro- und Makrokosmos

vordringen.

Die üblichen fünf menschliche Sinne wie Sehen, Hören (inkl.

Gleichgewichtssinn), Tasten, Riechen und Schmecken werden von der

Neurowissenschaft, je nach Sinnendefinition, auf bis zu 12 oder mehr

“Sinne“ ergänzt, und zwar mit folgenden weiteren Merkmalen: Gedanken-

Sinn , Begreifens-Sinn, Informationsverarbeitungs-Sinn, Kombinations-Sinn,

Zusammenhangs-Sinn, Wort- bzw. Sprachsinn, Ich-, Bewusstseins-Sinn (wie

sich im Spiegel wiedererkennen) sowie Bewusstseins-Sinn über den Tod

(den die Tiere angeblich nicht haben), Wärme-Kälte-Sinn (Warm- oder

Kaltblütler), Motorik oder Eigenbewegungssinn, der für die Evolution sehr

wichtige Überlebens-, Anpassungs- und Fortpflanzungsinstinkt. Weiter:

“Gefühlssinne“ wie Lieben, Trauern, Leiden, Schuldgefühl, Mitgefühl,

Empathie, Glücksempfinden und andere Merkmale, die über die fünf Sinne

hinausgehen.

Der bereits von mir zitierte, promovierte Philosoph und Hirnforscher

Gerhard Roth bezeichnet neben dem Denken des Gehirns das Gedächtnis

als äussert wichtiges “Sinnesorgan“ in unserem Gehirn. Es ist unentbehrlich

im Kreisprozess von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Erkennen, Handeln

und Bewerten. Es ist das Bindungssystem für die Einheit der Wahrnehmung

durch Memorieren von Erfahrungen, einschliesslich stammesgeschichtlicher

Erfahrungen (Archetypen des kollektiven Unbewussten nach C.G.Jung bzw.

"Meme“ nach R.Dawkins), welche unser kognitives System jederzeit

meistens automatisch (unwillentlich) aber auch bewusst abrufen kann.

Ich würde für Lebewesen auf unserer Erde oder sonst im Universum noch

folgende Sinne dazu zählen: den Raumerfassungs-Sinn (ein-, zwei-, drei-,

66

Page 67: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

vierdimensional oder mehrdimensional?), den Orientierungssinn und den

Sinn für die Benützung von instrumentenähnlichen Hilfsmitteln,

insbesondere bei den Tieren (z. B. Ästchen bei Raben) sowie „last, but not

least“ den menschlichen Kultursinn (Musik als eine der ältesten

menschlichen Kulturausdrücke, Malerei und andere Kunstarten).

Tiere besitzen einige unserer Sinne und manche Tiere sogar noch mehr

Sinne als wir. Haben sie neben gewissen Intelligenzformen auch Gefühle?

Einige Gefühle teilen sie mit uns, beispielsweise Trauer beim Sterben ihrer

nächsten Tiergefährten (z. B. bei Elefanten, Gorillas usw.); bei Haustieren

Empathie mit uns Menschen. - Gewisse Intelligenzformen sind ebenfalls

festzustellen, bei manchen Tieren ausgeprägter als bei anderen. Um nur ein

Beispiel zu nennen: Saatkrähen biegen sich aus Draht Haken zurecht, um

so besser an Futter zu kommen. Oder sie lassen Nüsse auf die Strasse

fallen, damit Autos ihre Schale knacken. Um eine Nuss aus dem Boden

eines langen, schmalen Zylinders herauszuholen, nahm ein Schimpanse

Wasser im Mund aus einem Reservoir und spuckte es in den Zylinder, bis

das Wasserniveau die Nuss hinauf schwemmte. Es gibt noch andere

Beispiele, die zeigen, dass mehr Tiere als wir annahmen bzw. annehmen

ein gewisses Denkvermögen haben und auch gewisse Gefühle empfinden

können.

Was die Menschen von den Tieren unterscheidet, sind der aufrechte Gang,

die rasche höhere Entwicklung des menschlichen Gehirns, das abstrakte

Denken, die Weiterentwicklung der Sprache (einige Tiere wie Delfine und

andere haben eine allerdings nur rudimentäre Form der Sprache) sowie

unser Bewusstsein über den Tod. Letzteres haben Tiere angeblich nicht, im

Sinne des Vorauswissens über das sichere Sterben. Interessant ist auch,

dass nur wenige menschenähnliche Affen, beispielsweise die Bonobo-

Menschenaffen (Zwergschimpansen) sich, wie wir Menschen, im Spiegel

erkennen. Letzteres ist also ebenfalls ein besonderes

Unterscheidungsmerkmal. Kürzlich wurde das Erkennen im Spiegel

angeblich auch bei Schimpansen, Elstern, Delphinen und Elefanten

festgestellt… .Was das Bewusstsein anbetrifft, kommt folgende erstaunliche

Tatsache noch hinzu: Der Mensch unterscheidet sich von allen anderen 67

Page 68: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Lebewesen auch darin, dass er ein von den Tieren verschiedenes

Bewusstsein hat – was erklärt, warum Tiere nicht auf die starke das

Bewusstsein verändernde Droge LSD reagieren. Auf die Droge LSD werde

ich weiter vorne nochmals zurückkommen. Über das Gedächtnis wissen wir,

dass beispielsweise Elefanten ein sehr ausgeprägtes lang anhaltendes

Gedächtnis haben. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal soll die

menschliche Gabe der Intuition (das sog. Bauchgefühl) und gewisser

Emotionen (wie beispielsweise die Liebe) gegenüber den sowohl

menschlichen als auch tierischen Instinkten sein. Ansätze von Intuitionen

und Emotionen sind jedoch auch im Tierreich festzustellen.

Das meiste was uns Menschen von den anderen Tieren unterscheidet hängt

grösstenteils von gewissen Eigenschaften der rechten Hirnhemisphäre:

beispielsweise die Intuition, das Vorstellungsvermögen, die Kreativität, das

religiöse Empfinden bis zur Ekstase, Musik, Poesie, Kunst, Liebe, Moral,

Humor usw. Tiere beherrschen zudem die Instinkte besser als wir, sogar

solche, die bei uns Menschen inzwischen im Laufe unserer

Weiterentwicklung verloren gingen.

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Kraft menschlicher Gedanken:

Das bereits getestete sogenannte Brain-Computer-Interface übersetzt

menschliche Gehirnsignale in Steuerungssignale. Es ermöglicht

beispielsweise, den Cursor eines Computers allein mit der elektronisch

übersetzten Kraft von Gedanken in Bewegung zu setzen. Das Lenken und

Bedienen von Autos durch Erfassung der Augenbewegungen und durch

Gedankensteuerung über das Senden von Hirnsignalen an die

Mikroprozessoren der Fahrzeuge, ohne Bewegung von Armen oder Beinen,

wird bereits heute von Google an einem Auto-Prototyp erprobt. – Allein mit

Hirnsignalen an Mikroprozessoren, also ohne Zutun von Muskelkraft, eigene

nicht mehr funktionierende Glieder wieder bewegen sowie Computer oder

andere technische Geräte steuern bzw. bedienen. Mithilfe sogenannter

Brain-Computer-Interfaces gelingt das bereits in Ansätzen. Einzelne

vollkommen gelähmte Menschen konnten dank eigener

Gedankensteuerung von Mikroprozessoren und Computer zumindest einen

erneuten begrenzten Zugang zu ihrer Umwelt wieder gewinnen. Prothesen 68

Page 69: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

können mental bewegt werden, sogar mit verstärkter Kraftausbeute

gegenüber den ersetzten natürlichen Extremitäten.

Wo wir uns weiter von den Tieren unterscheiden ist im sogenannten

“sechsten“ und/oder “siebten“ Sinn, die eher bei Tieren vorkommen als bei

Menschen. Zu den oben erwähnten fünf, oder je nach Definition zwölf oder

mehr Sinne, kämen diese Spezialsinne noch dazu. Welche? Beispielsweise

bei Haien und Rochen der physikalisch erklärbare Elektrosinn zur Erfassung

von elektromagnetischen Schwingungen, um Bewegungen aufzuspüren.

Des Weiteren, die bei vielen Tieren genetisch vererbten

Wanderungsinstinkte und Orientierungssinne über Tausenden von

Kilometern. Manche Orientierungssinne werden durch Sonnenstand,

Sternbilder, magnetisch oder durch Geruchsfährten von Pheromonen,

beispielsweise bei Ameisen, ionisierende (elektrische Magnetfelder

erzeugende) Flügelschläge bei Bienen usw. erklärt. Es gibt noch weitere

unbekannte und physikalisch bzw. physiologisch unerklärbare

Orientierungssinne von Zugvögeln, Bienen, Monarchfaltern, Ameisen,

Langusten, Walen, Lachsen und übrigen Fischen sowie von anderen Tieren.

Auch die zeitliche und räumliche Reichweite von Wanderungsinstinkten

kann mit unseren physikalischen Theorien noch nicht erklärt werden.

Im Buch von Rupert Sheldrake „Der siebte Sinn der Tiere“, Scherz Verlag, 4.

Auflage 1999, wird dieses Thema in den Seiten 231-246 eingehend

behandelt. – Er kommt zum Schluss, dass die bisher bekannten Sinne der

Tiere zur Erklärung ihrer besonderen Gaben, wie beispielsweise die

Orientierungsgabe nicht genügen.

Die folgenden 14 Seiten über Sheldrake sind inhaltlich metaphysisch und

deshalb recht spekulativ. Sie können vom Leser übersprungen werden. Ich

fände es schade, wenn er das täte, weil ihm sehr viel Interessantes

entginge. Dazu folgendes Zitat von Albert Einstein: „Die Vorstellungskraft

oder Fantasie ist wichtiger als das Wissen.“ Bei der Metaphysik handelt es

sich um eine philosophische Lehre (als Vorstadium der exakten

69

Page 70: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wissenschaften) von den Erscheinungen des Lebens, die über das

Erfahrbare und Wahrnehmbare hinausgehen.

Sheldrake greift zur besseren Erklärung der Orientierungssinne der Tiere zu

seiner Hypothese der Morphischen Felder, die angeblich ein gemeinsames

Tiergedächtnis beinhalten. Aus Seite 239 f. seines Buches zitiert: „Dieses

Gedächtnis wird durch einen Prozess übertragen, die sogenannte

Morphische Resonanz, die bewirkt, dass ein bestimmter Organismus, etwa

ein Zugvogel, mit Organismen derselben Art mitschwingt. … Der Zugvogel

greift auf ein (vererbtes) kollektives Gedächtnis seiner Vorfahren zurück

(Parallelen zum kollektiven Unbewussten von C.G.Jung). Dieses kollektive

Gedächtnis des Wanderungsweges, das unter anderem dem Morphischen

Feld innewohnt, leitet ihn auf seinem Flug, vermittelt ihm ein Gedächtnis

von Richtungen, in die er fliegen muss, und lässt ihn Orientierungspunkte,

Nahrungsgründe und Rastplätze instinktiv erkennen. Das kollektive

Gedächtnis lässt ihn auch erkennen, wann er an seinem Ziel, der

Winterheimat der Ahnen, angekommen ist.“

Lebewesen auf unserer Erde (und wahrscheinlich auch Wesen in anderen

Planeten des Universums) passen sich in der Weiterentwicklung ihrer Sinne

und ihrer räumlichen Erfassung der sich verändernden Umwelt immer

weiter an. Auf unserem Planeten Erde hat sich die Entwicklung der

obengenannten Spezialsinne bei den Menschen eher zurückgebildet, weil

wir diese im Gegensatz zu den Tieren immer weniger brauchten.

Die Tiere unseres Planeten haben, entsprechend der evolutionären

Anpassung an ihrem Lebensumfeld, neben dem Seh-, Hör- Riech-, Tast- und

Geschmacksinn eine je nach Spezialisierung über die üblichen Basis-Sinne

hinaus ausgeprägtere Sinnentwicklung oder sogar eine Sinnerweiterung

entwickelt, die sie für das Überleben täglich brauchen und rege benützen.

Der bei den Tieren ausgeprägtere Wanderungsinstinkt bzw.

Orientierungssinn sowie andere spezielle Fähigkeiten (z. B. der sogar bei

manchen Menschen angeblich noch vorkommende Telepathie-Sinn) werden

im obengenannten Buch von Rupert Sheldrake näher behandelt. Rupert

Sheldrake ist nicht ein Laie, sondern ein Fachmann. Er studierte 70

Page 71: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Naturwissenschaften in Cambridge und Philosophie an der Harvard

University. Er promovierte in Biochemie in Cambridge. Nachfolgend einige

interessante Hinweise zum Inhalt seines Buches:

Mancher Hund, der am Garagentor auf seinen Herrn wartet und bellend

oder andersartig schon kurz vor dessen Ankunft reagiert, sogar wenn sein

Herr ab und zu zeitlich früher oder später heimkommt als zum normalen

Zeitpunkt. Die Katze, die sich unauffindbar versteckt, obwohl sie an nichts

<ablesen> kann, dass sie zum Tierarzt soll. Tiere, die, ausgesetzt oder

weggegeben, über Hunderte oder sogar Tausenden von Kilometern nach

Hause zurück finden. Dies lässt sich weder mit dem ausgeprägten

Geruchssinn noch nur mit dem Wanderungsinstinkt und Orientierungssinn

der Tiere, noch mit den uns bekannten physikalischen Theorien erklären.

Manche Tiere haben oft ein unglaubliches Vorahnungs-Gespür für Dinge,

die noch gar nicht passiert sind, und einen Orientierungssinn, der an

Wunder grenzt:

Wenn das Telefon im Haus eines Professors in Berkeley klingelt, weiss die

Familie, ob Papa anruft. Denn nur dann, wenn Papa und nicht etwa jemand

anders anruft, versucht Whiskins, die Katze, mit lautem Miauen den Hörer

von der Station zu stupsen. Manche Tiere besitzen für uns unerklärliche

Fähigkeiten, die uns Menschen fremd sind. Vor allem domestizierte Hunden

und Katzen spüren nicht selten den Moment, wenn ihr Halter in der Ferne

einen Unfall erleidet oder stirbt. Sie spüren ebenfalls gewisse schwere

Krankheiten ihrer Halter. Andere Tiere spüren Katastrophen - wie zum

Beispiel Erdbeben oder Vulkanausbrüche - voraus.

Sheldrake arbeitet weiter daran, Hunderte von solchen Fällen systematisch

zu erfassen und mit eigenen Experimenten wissenschaftlich nachzuweisen.

So scheinen Raubtiere, ihr Rudel über grosse Entfernungen hinweg

telepathisch zu informieren, wenn sie eine Beute erlegt haben. Sheldrakes

Hypothese ist die Annahme von Morphischen Feldern, die bestimmte

gemeinsame Bereiche verbinden und prägen, die zur selben Art gehören.

Ein Morphisches Feld scheint nicht nur zwischen Tier und Mensch, sondern

71

Page 72: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

ebenfalls zwischen Menschen möglich zu sein, wenn zwei Wesen

miteinander sehr vertraut sind. Diese Felder konnten jedoch bis heute nicht

physikalisch gemessen werden. Es handelt sich bei Sheldrakes Annahme

von Morphischen Feldern vorläufig nur um eine Hypothese.

Kann man einige dieser besonderen Verhaltensweisen allein mit dem

Instinkt erklären? Der Instinkt ist im Menschen und im Tier genetisch

eingebaut. Der sogenannte sechste bzw. siebte Sinn läuft aber auf dem

Gebiet der Intuition ab und ist eine höhere geistige Gabe, sagt Sheldrake.

Tiere haben Sinneswahrnehmungen, die den Menschen fehlen. So kann ein

Hai mit seinem elektromagnetischen Sinn Fische aufspüren, weil diese ein

elektrisches Feld erzeugen. Klapperschlangen erkennen ihre Beute, weil sie

deren Wärmebild sehen. Und Katzen etwa registrieren angeblich Luftdruck

und magnetische Felder und nutzen sie zur Orientierung.

Hunde können angeblich ihre an Epilepsie leidenden Halter vor einem Anfall

warnen. Man hört sogar, dass Tiere angeblich den Tod vorausspüren

können. In Altersheimen sollen sich manche Katzen Leuten häufiger als

sonst annähern, die kurz darauf sterben. Katzen und Hunde scheinen

bestimmte schwere Menschenkrankheiten besorgt zu “riechen“. Alles nur

falsche Einbildung und purer Zufall? Viele Tierbesitzer mögen nämlich

bestimmte Verhaltensweisen ihrer Schützlinge zu stark werten und diese

erst im Nachhinein als möglichen Beweis ihres Glaubens an die angeblichen

Vorahnungen der Tiere interpretieren.

Beim sogenannten sechsten bzw. siebten Sinn geht es vor allem bei Tieren

und teilweise auch bei Menschen um Warnsignale, Vorahnungen, Instinkte

und Intuitionen, um das Bemerken von „Fremde Blicke im Nacken“, um

Hellsehen bzw. Vorahnungen (Präkognition), Telepathie (Informations- und

Gedankenübertragung), um die wenig ernst genommene Telekinese

(Bewegen von Gegenständen durch psychische Gedankenkraft),

zusammenfassend um sogenannte parapsychologische Psi-Phänomene.

72

Page 73: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wie lassen sich solche Erscheinungen erklären? Beruht dies alles auf

Instinkte und Intuitionen oder steckt vielleicht doch eine übergreifendere

Ursache dahinter. Eine Vielzahl von Experimenten und Forschungen auf

diesem Gebiet legt nahe, dass in einigen Fällen tatsächlich eine

umfassende logische Erklärung hinter den Beobachtungen stehen muss.

Die Morphischen Felder könnten ein möglicher Erklärungsansatz sein, weil

sie physikalische mit geistigen Erscheinungen vereinen und eine Basis

bieten würden, die es auch wissenschaftlich geprägten Betrachtern

erlauben, sich dem Thema rational anzunähern. Die erwähnten,

nachgewiesenen Theorien der Quantenphysik dürften eine geeignete

Grundlage für die Glaubwürdigkeit dieses Modells bieten.

Die Morphischen Felder kann man sich als eine Art Energiefelder von

ererbten und vererbten genetischen (instinktiven und intuitiven

Informationen) vorstellen, welche darüber hinaus das gesamte Wissen und

alle Erfahrungen (des kollektiven Unbewussten nach C.G.Jung) beinhalten.

Diese werden als Morphisches Gedächtnis gespeichert und vererbt.

Schliesslich interagieren diese Energiefelder mit der Materie, insbesondere

mit dem Gehirn. Der Biologe Rupert Sheldrake hat sich um die Erforschung

der Morphogenese besonders verdient gemacht; aber auch schon der

Schweizer Tiefenpsychologe C. G. Jung beschrieb mit seinem kollektiven

Unbewussten ein ähnliches Modell.

Auch aus dem frühen Hinduismus, Buddhismus und Jainismus, die zu den

ältesten Religionen der Welt gehören, sind Lehren von einem

allumfassenden Unbewusstseinsfeld bekannt, mit dem jedes

Einzelbewusstsein verknüpft ist.

Wenn man sich einmal ein Energiefeld vorstellt, das alle Informationen über

alles, was im Universum geschieht, speichert und jederzeit überall

verfügbar macht, dann bedarf es im Grunde nur eines Senders und

Empfängers, die vom Gehirn auf die Frequenz dieses Feldes eingestellt

sind, um gewünschte Informationen zu übermitteln und abzurufen. Dieses

73

Page 74: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Energiefeld, das sich im ersten Moment sehr fantastisch anhört, wird von

vielen Menschen, die sich mit Trance, Meditation und der medizinisch

anerkannten, ernsthaften Hypnose befassen und damit arbeiten, schon

lange als gelebte Erfahrung akzeptiert.

Zur Telepathie ist es für den speziell für diese Themen interessierten Leser

lohnenswert, die Seiten 167 f., 173 f.,181 f., 188 f., 198 ff., 307 f., 144 des

zitierten Buches von Rupert Sheldrake zu lesen.

Daraus einige wenige Zitate:

„Ich (R. Sheldrake) möchte darlegen, dass telepathische Kommunikation

auf (soziale engmaschige) Banden zwischen Menschen und Tieren (auch

nur zwischen den Menschen) beruht. … Sie sind miteinander durch Felder,

sogenannte Morphische Felder, verbunden (Seite 19 und 37).“ - Ich füge

noch hinzu: Die Morphischen Felder dürften wie ein vererbtes kollektives

geistiges Kommunikationsnetzwerk sein, das wir Menschen wieder

vermehrt zu benützen lernen sollten. Die Tiere sind uns da voraus, weil sie

diese Gabe vermehrt benutzen als wir. Dies ist wahrscheinlich

evolutionsbedingt, weil die Tiere diese Gaben zum Überleben, zur

Orientierung usw. noch öfters brauchen als wir. Wir Menschen konnten

später auf diese Gaben teilweise verzichten, weil wir diese nicht mehr zum

Überleben brauchten. Wir haben sie deshalb weitgehend verloren bei

unserer, im Gegensatz zu den Tieren, einseitigen Gehirnentwicklung, die

sich mit der Zeit immer mehr zugunsten der Ratio (Vernunft), jedoch

zulasten der Instinkte und zulasten der sechsten bzw. siebten Sinne

spezialisiert hat.

„Die Fähigkeit dieser Felder, sich wie unsichtbare Gummibänder (als

bildliches Modell für die durch unsere begrenzten Sinne nicht darstellbaren

Erscheinungen) zu dehnen, ermöglicht es ihnen, als Kanäle für die

telepathische Kommunikation zu dienen, und zwar selbst über grosse

Entfernungen hinweg. … Aufgrund der mir vorliegenden Beweise, von

denen in den folgenden Kapiteln die Rede sein wird, gelange ich zu der

74

Page 75: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Schlussfolgerung, dass Telepathie in der Tat ein reales Phänomen ist (Seite

39).“

„In Schwärmen, Scharen, Herden, Rudeln und anderen sozialen Gruppen

kann die telepathische Kommunikation eine wichtige Rolle in der

Koordinierung der Aktivität (auch von gleichzeitigen Bewegungen bei

Fisch-, Vogelschwärmen usw.) der Gruppe als einem Ganzen spielen (Seite

203).“ – Die schnellen Manöverwellen von Schwärmen kann sich Sheldrake

nur durch deren Reaktion als ganzer Schwarm auf ein Leitmuster im

gemeinsamen Morphischen Feld erklären. Für ihn ist dies jedenfalls eine

plausiblere Erklärung als die kaum realistische Annahme, nämlich dass die

ganze Bewegungswelle durch gegenseitige individuelle rein visuelle Reize

koordiniert würde. Bei Vogel- und Fischschwärmen wurden nämlich bei den

koordinierten Bewegungen Reaktionszeiten von im Durchschnitt nur 15

Millisekunden gemessen!

„Mit der Feldhypothese liesse sich weiter verstehen, wie die Vögel nicht nur

die Manöverwelle wahrnehmen und darauf reagieren, sondern die

Bewegung der Schar als Ganzes erfassen und darauf entsprechend ihrer

Position (rasch in Millisekunden) reagieren können (Seite 196).“ Das Feld

bildet die Basis für das Kontinuum der Schar und für die Bewegung nach

memorierten Feldmustern.

„Die Antizipation von Nähe und Ankünften ist offenbar ein wichtiger Aspekt

in der Naturgeschichte der Telepathie. Der Umstand, dass diese

Vorausahnungen bei Babys vorkommen können sowie dann, wenn

Menschen schlafen, zeigt doch, dass sie nicht von höheren geistigen

Einflüssen abhängen. Sie funktionieren auf einer eher fundamentalen Ebene

und sind in unserem uralten biologischen und evolutionären Erbe

verwurzelt (Seite 113).“

„Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen aus den in diesem Buch

geschilderten Untersuchungen (die sich zu lesen lohnen als Beleg, dass sie

einigermassen fundiert sind) besagt, dass die Telepathie nicht etwas

spezifisch Menschliches ist. Sie ist eine natürliche Fähigkeit, Teil unserer

75

Page 76: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

tierischen Natur (die bei uns Menschen später etwas vernachlässigt blieb

und deshalb teilweise verloren ging); (Seite203).“

Der sechste bzw. siebte Sinn scheint ein im Gehirn verankertes

Frühwarnsystem im vorderen Stirnlappen. Dabei spielt angeblich der

Nervenbotenstoff Dopamin eine Rolle. Es steuert emotionale (unter

anderem auch Glücksgefühle) und geistige Reaktionen, unter anderen auch

Halluzinationen und Schizophrenie.

Gewisse Blinde, die nach Schlaganfällen das Augenlicht verloren, erkennen

ohne zu sehen trotzdem Gesichtsausdrücke. Manche sind in der Lage,

Bilder von freundlich und finster dreinblickenden Menschen mit einer

statistisch signifikanten Trefferquote von 59 Prozent zu unterscheiden (aus

„Spiegelonline“ vom 23.12.2004). Ein Hirnscanning ergab, dass beim

Betrachten von Gesichtern der sogenannte Mandelkern (Amygdala)

aktiviert wurde, eine Hirnregion, die für die emotionale Färbung von

Informationen und Zuständen massgeblich ist. Die Frage ist nur, wie bzw.

über welches “Netzwerk“ die Zustände „freundlich“ und „finster“ ohne die

Funktion des Sehens trotzdem auf diese Hirnregion übertragen bzw. von

dieser erfasst werden. Dies bleibt bis heute ein unerklärtes Rätsel.

Manche von uns Menschen scheinen telepathische Fähigkeiten,

Vorahnungen und andere besondere, bislang unerklärliche Fähigkeiten zu

haben. Wie das Gefühl, angestarrt zu werden. Letzteres wurde von Rupert

Sheldrake experimentell (bei 900 Versuchspersonen) mit statistisch

hochsignifikanten Ergebnissen nachgewiesen, wie das in seinem von mir

zitierten Buch in den Seiten 323-327 beschrieben wird. Diese und andere

angeblich telepathische Fähigkeiten sind im Tierreich weiter verbreitet als

bei uns.

Wir Menschen scheinen bei der einseitigen Evolution der Ratio viel von der

besonderen Sensibilität der Tiere verloren zu haben, konnten aber trotzdem

einen Rest davon behalten. Es liegt an uns, diese vergessenen Fähigkeiten

76

Page 77: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

zu verifizieren oder zu falsifizieren. Statt solche angebliche Fähigkeiten von

vorneherein zu verneinen, sollten wir sie vermehrt erforschen. Falls sie von

uns wissenschaftlich verifiziert werden sollten, müssten wir sie unbedingt

pflegen und wieder antrainieren, damit sie auch bei uns Menschen erneut

funktionieren, ähnlich wie bei manchen Tieren. Daraus könnten wir einen

grossen Nutzen ziehen, weil wir unseren Horizont und unsere Möglichkeiten

weitreichend erweitern könnten.

Sheldrake arbeitet ständig daran, diese besonderen Fähigkeiten bzw.

Phänomene durch Experimente zu bestätigen bzw. wissenschaftlich

nachzuweisen oder zu falsifizieren. Inzwischen muss man selbstkritisch

bleiben, damit man nicht von der Wissenschaftlichkeit in esoterische

Fantasien absinkt.

Ich kann sowohl an die spekulative Theorie der Morphogenese von

Sheldrake als auch an Psi-Phänomene oder an die Reinkarnation des

Buddhismus sowie an Kontakte mit Verstorbenen bzw. Weiterleben nach

dem Tode oder an die in Mode gekommenen esoterischen Schutzengel

kaum glauben. Das sind für mich Fantastereien, die eher unter Esoterik und

dem Glauben als unter wissenschaftlichen oder metaphysischen

Hypothesen einzuordnen sind.

Auch Vorahnungen (Präkognition) bei Tieren und Menschen sind noch sehr

umstritten. Sheldrake erwähnt sie in seinem Buch in den Seiten Seite 270-

314. Er schreibt: “Die aufgeschlossene Untersuchung spontaner

menschlicher und tierischer Erfahrungen, ergänzt durch die

Laborforschung, kann dazu beitragen, unser Wissen über das Wesen der

Menschen und Tiere zu vertiefen … und dieses Wissen in einem

allgemeinen biologischen und evolutionären Zusammenhang zu stellen.

Und Vorahnungen können uns vielleicht etwas sehr Wichtiges nicht nur

über das Wesen von Leben (Materie) und Geist, sondern auch über das

77

Page 78: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Wesen der Zeit (und von mehrdimensionalen Räumen, füge ich hinzu)

verraten (Seite 314).“

Mir scheint die metaphysische Hypothese der Morphischen Felder von

Rupert Sheldrake als Erklärungsversuch der obengenannten besonderen

Fähigkeiten von Tieren und Menschen trotz aller Skepsis zwecks

wissenschaftlicher Verifizierung bzw. Falsifizierung weiterhin prüfenswert.

Denn diese Hypothese ähnelt, wie wir noch sehen werden, teilweise einigen

Gedanken Pinkers, Jungs (das Gedächtnis des kollektiven Unbewussten),

Schopenhauers, der buddhistischen Philosophie sowie dem holistischen

Weltbild Schellings.

Noch folgende Hinweise über die biologische Hypothese der Morphogenese

(Seite 354-373), die mit der Hypothese der Morphischen Felder

zusammenhängt. Je nach Interesse kann man sich durch das Lesen seines

Buches eingehender damit befassen.

„Wie entwickeln sich Pflanzen aus einfachen Embryonen zur

charakteristischen Form ihrer Art? Wie nehmen die Blätter von Weiden,

Rosen und Palmen ihre Form an? Wie entwickeln sich ihre Blüten auf so

unterschiedliche Weise? All diese Fragen haben etwas mit dem zu tun, was

die Biologen Morphogenese nennen, die Entstehung von Form (abgeleitet

von den griechischen Wörtern morphé=Form und génesis=Erzeugung,

Entstehen), die eine der grossen ungelösten Probleme der Biologie ist.

Wenn man sich naiv mit diesen Problemen befasst, erklärt man schlicht,

jede Morphogenese sei genetisch programmiert. Die einzelnen Arten

befolgen einfach die Anweisung ihrer Gene. Aber nach kurzem Nachdenken

erkennt man, dass diese Antwort nicht ausreicht. Alle Zellen des Körpers

enthalten die gleichen Gene. In Ihrem Körper zum Beispiel ist das gleiche

genetische Programm in Ihren Augenzellen, in Ihren Leberzellen ebenso wie

in den Zellen Ihrer Arme und Beine vorhanden. Aber wenn sie alle identisch

78

Page 79: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

programmiert sind, warum entwickeln sich die Zellen dann so

unterschiedlich (Seite 354)?“

In diesem Zusammenhang erwähne ich die wissenschaftliche epigenetische

Erklärung des Phänotyps (siehe auch Unterkapitel 9.3 meiner Reflexionen):

Darunter versteht man in der Genetik die Summe aller Merkmale eines

Organismus, die das Erscheinungsbild eines Lebewesen, wie Grösse,

Blütenfarbe, Schnabelform, Gliederform usw., bestimmen. Dies erfolgt

durch die epigenetische DNA-Methylierung. Der Phänotyp bezieht sich nicht

nur auf morphologisch-physiologische, sondern wahrscheinlich sogar auf

psychologische Merkmale.

Weiter nach Sheldrake: „Aber mit der Genetik allein lässt sich die

Entwicklung der Zellen zu unterschiedlichen Formen nicht erklären. Ihre

Arme und Ihre Beine sind in chemischer Hinsicht identisch. Würden sie

zermahlen und biologisch analysiert, wären sie ununterscheidbar. Aber sie

besitzen unterschiedliche Formen. Ihre Form lässt sich nur mit etwas

erklären, was über die Gene und die von ihnen codierten Proteine

hinausgeht (Seite 354-355).“ - Dieser Meinung bin ich nicht, denn die

neuesten Ergebnisse der Epigenetik geben uns darüber eben doch eine

Antwort, wie im vorherigen Absatz erwähnt.

„Seit den zwanziger Jahren vertreten viele Forscher die Ansicht, dass sich

entwickelnde Organismen von Feldern geformt werden, den sogenannten

morphogenetischen Feldern. Sie sind so etwas wie unsichtbare Entwürfe,

die der Form des wachsenden Organismus zugrunde liegen (Seite 355).“ -

Eine meiner Ansicht nach sehr gewagte etwas difusse Hypothese. - Weiter

nach Sheldrake: „Die meisten Biologen nehmen an, dass die Felder

irgendwann einmal als normale physikalische und chemische Phänomene

erklärt werden können. Aber das ist nichts weiter als ein Irrglaube.

Nachdem ich mich jahrelang mit den Problemen der Morphogenese

herumgeschlagen und über morphogenetische Felder nachgedacht hatte,

war ich zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es sich bei diesen Feldern

nicht bloss um irgendwelche mechanistischen Standardprozesse, sondern

um etwas wirklich Neues handelt (Seite 355).“- Meine Bemerkung: Wo

79

Page 80: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

bleiben die Beweise bzw. die wissenschaftliche Verifizierung? Die

Falsifizierung dieser Hypothese geschähe durch eine andere beweisbare

Hypothese oder durch die wissenschaftliche Ergänzung von neuen

epigenetischen Erkenntnissen.

Folgende weitere Erscheinungen sprechen dennoch für die Mühe einer

Verifizierung oder Falsifizierung der nicht bewiesenen Hypothese der

Morphogenese:

„Morphische Felder hängen miteinander zusammen und koordinieren die

Teile eines Systems in Raum und Zeit (meine Bemerkung: oder über diese

zeitlich-räumliche vierdimensionale Begrenztheit hinaus), und sie enthalten

ein Gedächtnis aus früheren ähnlichen Systemen. Soziale Gruppen wie

Stämme und Familien erben durch ihre morphischen Felder eine Art von

kollektivem Gedächtnis. Die Gewohnheiten, Anschauungen und Sitten der

Ahnen beeinflussen das Verhalten der Menschen in der Gegenwart, und

zwar bewusst wie unbewusst. Wir alle schalten uns in kollektive

Gedächtnisse ein, ähnlich dem kollektiven Unbewussten nach C.G.Jung.“

bzw. den Memen nach R.Dawkins, füge ich als Schreibender hinzu. (Seite

37).“

„Termitenkolonien, Fischschwärme, Vogelscharen, Herden, Rudel und

andere Tiergruppen werden ebenfalls von morphischen Feldern

zusammengehalten und strukturiert, und diese Felder werden alle durch

ihre eigenen Formen vom kollektiven Gedächtnis gestaltet (Seite37).“

„Instinkte sind wie kollektive Gewohnheiten der Art und der Rasse, geformt

von der Erfahrung durch viele Generationen und den Unbilden der

natürlichen Auswahl ausgesetzt. Diese Vorstellung von den Instinkten als

den ererbten Auswirkungen von Gewohnheit und Erfahrung steht dem

Denken von Charles Darwin nahe, wie es am deutlichsten in seinem Werk

<The Variation of Animals and Plants under Domestication> zum Ausdruck

kommt und in <Die Entstehung der Arten> von zentraler Bedeutung ist

(Seite 38).“

80

Page 81: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

„Die Morphischen Felder sozialer Gruppen würden dazu beitragen, viele

ansonsten rätselhafte Aspekte der sozialen Organisation zu erklären, wie

das Verhalten gesellschaftsbildender Insekten, von Vogelschwärmen und

von menschlichen Gesellschaften. Die Sozialwissenschaften könnten eine

neue theoretische Grundlage erhalten, und neue Wege der Forschung

würden sich auftun (Seite 372).“

„Der Mathematiker René Thom hat mathematische Modelle von

morphogenetischen Feldern entwickelt, in denen die Endpunkte, auf die hin

Systeme sich entwickeln, als <Attraktoren> definiert werden (Seite 357).“

… Attraktoren ermöglichen eine wissenschaftliche Beschäftigung mit

Zielen, Zwecken oder Absichten als Grenzen, zu denen dynamische

Systeme hingezogen werden. ... „Das umstrittenste Merkmal dieses Modells

ist die Behauptung, dass Morphische Felder sich entwickeln (Seite 357).“

Ihre Struktur beruht nicht auf ewig gültige mathematische Gleichungen,

sondern auf dem, was zuvor geschehen ist. Sie enthalten eine Art von

kumulativem Gedächtnis. Durch Wiederholung (mathematische

Algorithmen) würden die Muster, welche die Struktur der Morphischen

Felder organisieren, zunehmend wahrscheinlicher, zunehmend

gewohnheitsmässiger und immer stärker.

Über die Morphische Resonanz: Es gibt zwischen den Tieren und zwischen

den Menschen und auch zwischen Tier und Mensch viele Beispiele

emotionaler Resonanz, die Sheldrake in seinem Buch eingehend beschreibt.

„Informationen oder Handlungsmuster werden von einem System auf ein

folgendes System der gleichen Art durch die, wie ich es nenne, morphische

Resonanz übertragen. … Je grösser die Artenähnlichkeit, desto stärker der

Einfluss der morphischen Resonanz (Seite 358-359).“

„Die morphische Resonanz erlaubt viele Folgerungen, was das Verständnis

des menschlichen Lernverhaltens betrifft, zu dem auch die Aneignung von

Sprachen gehört. Aufgrund des kollektiven Gedächtnisses, auf das einzelne

Menschen zurückgreifen und zu dem sie ihren Beitrag leisten, sollte es im

81

Page 82: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Allgemeinen leichter sein, das zu lernen, was andere zuvor gelernt haben. –

Diese Vorstellung entspricht ziemlich genau den Beobachtungen von

Linguisten wie Noam Chomsky, die dargelegt haben, dass der Spracherwerb

bei kleinen Kindern so rasch und kreativ erfolgt, dass er sich nicht einfach

durch Nachahmung erklären lässt. Die Struktur der Sprache ist anscheinend

auf irgendeine Weise ererbt. In seinem Buch <Der Sprachinstinkt> führt

Steven Pinker, Autor auch von <The Blank Slate> (in diesem Kapitel und

schon vorher von mir zitiert) viele Beispiele an, die diese Idee bestätigen

(Seite 366-367).“ – „Natürlich ist diese Interpretation der Sprachaneignung

durch die Hypothese der morphischen Resonanz spekulativ. Aber das ist

auch die Theorie von Genen für eine hypothetische universale Grammatik.

Pinker selbst räumt ein: <Niemand hat bislang ein Grammatik-Gen

lokalisiert> (Seite 368).“

„Die morphischen Felder enthalten ein Gedächtnis, das durch

Eigenresonanz einer morphischen Einheit mit ihrer eigenen Vergangenheit

und durch Resonanz mit den morphischen Feldern aller früheren Systeme

ähnlicher Art gegeben ist. Dieses Gedächtnis ist kumulativ. Je häufiger ein

bestimmtes Aktivitätsmuster sich wiederholt, desto mehr wird es zur

Gewohnheit oder zum Habitus (Seite 360).“

„Das Auftreten von morphischen Resonanzwirkungen würde die Existenz

morphischer Felder implizieren und damit einen indirekten Beweis für ihre

Existenz liefern. – Am einfachsten kann man morphische Felder direkt

testen, indem man mit Gesellschaften von Organismen arbeitet. Individuen

lassen sich so voneinander trennen, dass sie nicht mehr mit normalen

sinnlichen Mitteln miteinander kommunizieren können. Wenn es zwischen

ihnen noch immer zu einem Informationsaustausch kommt, würde die die

Existenz von Bindungen oder wechselseitigen Verknüpfungen von der Art

implizieren, wie sie morphische Felder darstellen (Seite 362).“ Ein

Experiment mit Wölfen deutete darauf hin.

Weitere scheinbare Zusammenhänge mit der Quantenphysik:

Dazu muss ich den Leser vorerst vorwarnen. Denn von den Buddhisten bis

zu den Esoterikern wird mit der Interpretation der Quantenphysik leider viel 82

Page 83: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Unfug getrieben. Es ist relativ leicht, sich mit ihr zu brüsten, gerade wegen

ihrer meistens unverstandenen Komplexität; und leicht, sie als Argument

zugunsten von fraglichen Hypothesen oder unsinnigen Spekulationen bzw.

Fantasien zu missbrauchen, weil die Quantenphysik sehr viele

wahrscheinliche, jedoch unbestimmte Zustände bzw. Möglichkeiten zulässt.

Trotzdem zitiere ich die Parallelen zur Quantentheorie aus dem Buch von

Sheldrake, weil seine Hypothesen der Morphischen Felder und insbesondere

der Morphischen Resonanz, wie die noch zu erwähnende ähnliche

Hypothese der “Synchronizität“ von C.G.Jung, als nicht völlig unsinnig

erscheinen:

„Nach der Quantenphysik gibt es eine unvermeidliche Verbindung zwischen

dem Beobachter und dem Gegenstand der Beobachtung, und damit ist die

scharfe Trennung zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben. Die

Wissenschaftler sind keine distanzierten Beobachter mehr, die die

Wirklichkeit wie durch eine Fensterscheibe sehen. Sie sind Teil der

Wirklichkeit, die sie untersuchen.

Noch überraschender ist es, dass nach der Quantenphysik Teilchen, die aus

einer gemeinsamen Quelle stammen, wie etwa zwei Lichtphotonen, die vom

selben Atom ausgestrahlt werden, eine geheimnisvolle wechselseitige

Verbindung bewahren, sodass das, was mit dem einen geschieht, sofort im

anderen widerspiegelt wird (Seite 329).“ – „Sie behalten eine direkte

nichtlokale Verbundenheit: Wenn die Polarisation des einen Photons

gemessen wird, weist das andere sofort die entgegengesetzte Polarisation

auf, selbst wenn die Polarisation jedes Teilchens erst im Augenblick der

Messung ermittelt wurde (Seite 361).“ – „Dies nennt man <Nichtlokalität>

oder <Nichttrennbarkeit> (bzw. Verschränktheit, wie in diesem Kapitel

bereits erwähnt); man spricht auch von Einstein-Podolsky-Rosen-Paradox

oder von Bells Theorem. Niemand weiss, wie weit dieser Prozess reicht oder

wie extensiv diese augenblickliche Vernetztheit ist (Seite 329).“

„Experimente zum Testen der räumlichen Aspekte Morphischer Felder

lassen auf eine Art von Nichtlokalität schliessen, die gegenwärtig von der

Schulwissenschaft nicht anerkannt wird. Dennoch wird sich vielleicht 83

Page 84: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

herausstellen, dass die Morphischen Felder mit der Nichtlokalität oder

Nichttrennbarkeit zusammenhängen, die ein integraler Bestandteil der

Quantentheorie ist und Zusammenhänge oder Korrelationen über eine

Distanz hinweg impliziert, die sich die klassische Physik nicht hätte träumen

lassen. Albert Einstein beispielsweise war die Vorstellung einer <geistigen

Aktion über eine Distanz hinweg> zutiefst zuwider – aber seine

schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Neuere Experimente

beweisen, dass diese Zusammenhänge von zentraler Bedeutung für die

Physik sind. Die Nichtlokalität ist einer der der überraschendsten und

paradoxesten Aspekte der Quantentheorie: Teile eines Quantensystems, die

in der Vergangenheit miteinander verbunden gewesen sind, behalten eine

unmittelbare Verbundenheit, selbst wenn sie sehr weit voneinander

entfernt sind.

Die zwei im Raum getrennten Photonen (siehe oben) desselben Systems

sind durch ein Quantenfeld miteinander verbunden. Aber dies ist kein Feld

im gewöhnlichen Raum, sondern es wird vielmehr mathematisch als ein

vieldimensionaler Raum von Möglichkeiten dargestellt.

Genauso wie Atome und Moleküle sind auch die Angehörigen sozialer

Gruppen Teile desselben Systems. … Wenn sie getrennt werden, können

die Teile des sozialen Systems eine nichtlokale oder untrennbare

Verbundenheit behalten, vergleichbar der in der Quantenphysik zu

beobachtenden Verbundenheit (Seite 360-361).“

„Aber möglich ist auch, dass Morphische Felder ein völlig neuartiges Feld

darstellen, das noch nicht in irgendeiner Weise von der Physik beschrieben

worden ist. Dennoch hätten sie mehr mit den Feldern der Quantentheorie

gemein als mit Gravitationsfeldern oder elektromagnetischen Feldern. Ich

möchte mich nun mit Beweisen befassen, die mit dem räumlichen Aspekt

Morphischer Felder zusammenhängen, und dann mit Beweisen, die die

Morphische Resonanz betreffen (Seite 362).“

„So weiss beispielsweise niemand, warum Gesellschaften von Termiten so

koordiniert sind, dass diese kleinen, blinden Insekten komplexe Nester mit

einer komplizierten Innenarchitektur bauen können. Eventuell doch durch 84

Page 85: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Pheromone (Riechstoffe)? Niemand versteht, wieso Vogelscharen oder

Fischschwärme die Richtung so rasch ändern können, ohne dass die

einzelnen Tiere miteinander zusammenstossen. Nur auf Sichtreaktionen?

Und niemand weiss, wie die sozialen Banden beim Menschen beschaffen

sind.

„Nach der Hypothese der Formenbildungsursachen erstrecken sich

morphische Felder über das Gehirn hinaus in die Umwelt, wobei sie uns mit

den Objekten unserer Wahrnehmung verbinden und auf diese durch unsere

Absichten und unsere Aufmerksamkeit einwirken können. Dies ist ein

weiterer Aspekt der morphischen Felder, der sich für experimentelle Tests

eignet. Dies würde bedeuten, dass wir aufgrund solcher Felder Dinge

beeinflussen können, indem wir sie einfach anschauen - allerdings lässt sich

das nicht durch die konventionelle Physik erklären. So sind wir

beispielsweise vielleicht in der Lage, jemanden zu beeinflussen, indem wir

ihn von hinten anschauen, wobei er auf keine andere Weise wissen kann,

dass wir ihn anstarren. Das Gefühl, von hinten angestarrt zu werden, ist

tatsächlich eine weitverbreitete Erfahrung. Experimente deuten bereits

darauf hin, dass es ein reales Phänomen ist (siehe sechzehntes Kapitel S.

317 ff). Anscheinend lässt es sich weder durch Zufall noch durch die

bekannten Sinne noch durch andere derzeit von den Physikern anerkannten

Felder erklären (Seite 363).“

Das Gefühl, angestarrt zu werden, wurde von Rupert Sheldrake

experimentell (bei 900 Versuchspersonen) mit statistisch hochsignifikanten

Ergebnissen nachgewiesen, wie das in seinem von mir zitierten Buch in den

Seiten 323-327 beschrieben wird.

„In der Biologie kann man erkennen, dass die Entwicklung von Tieren und

Pflanzen von unsichtbaren Organisationsfeldern gestaltet wird, den Trägern

der Vorfahrengewohnheiten. Zur Entwicklung biologischer Formen gehört

nicht nur die Entwicklung von Gen-Pools, sondern auch die Entwicklung der

Morphischen Felder der Spezies. Durch diese Felder lassen sich, wie schon

Charles Darwin angenommen hatte, erworbene Anpassungen vererben.

Und wenn sich neue Gewohnheiten bilden, kann die Evolution infolge von

85

Page 86: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Morphischer Resonanz viel rascher vonstattengehen und sich ausbreiten,

als wenn sie nur von dem Transfer von Mutationsgenen von den Eltern zum

Nachwuchs abhängt (Seite 371).“

„Instinkte beruhen auf den gewohnheitsmässigen Verhaltensfeldern der

Spezies, die die Tätigkeit des Nervensystems prägen – sie werden von

Genen beeinflusst und auch durch morphische Resonanz vererbt. … In der

Psychologie lassen sich die Geistestätigkeiten als Felder interpretieren, die

mit den physiko-chemikalischen Aktivitätsmustern im Gehirn interagieren.

Aber diese Felder sind nicht nur auf das Gehirn beschränkt, sondern

erstrecken sich über den Körper hinaus in die Umwelt hinein. Diese

erweiterten mentalen Felder liegen der Wahrnehmung und dem Verhalten

zugrunde. Sie ermöglichen es auch, dass sich <paranormale> Phänomene

wie das Gefühl des Angestarrtwerdens so interpretieren lassen, dass sie als

normal erscheinen. … Eine weniger spezifische Resonanz mit unzähligen

anderen Menschen in der Vergangenheit verbindet uns alle mit dem

kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft und Kultur und letztlich mit

dem kollektiven Gedächtnis der gesamten Menschheit (Seite 372).“

Das von Sheldrake zuletzt erwähnte kollektive Gedächtnis entspricht in

etwa dem kollektiven Unbewussten (Archetypen) von C.G. Jung bzw. den

“Memen“ von R. Dawkins, wodurch sich der Kreis der Erkenntnisse aus

verschiedenen Blickpunkten mit ähnlichen Schlussfolgerungen angeblich

wieder schliessen würde.

Zur Erinnerung: Die Bezeichnung Mem oder Meme wurde 1976 vom

Evolutionsbiologen R.Dawkins vorgestellt. Er nannte als Beispiele dazu:

„kulturelle Ideen, Überzeugungen, Symbole, Verhaltensmuster.“ Mit diesem

kulturellen und verhaltensspezifischen Pendant zum biologischen Gen

veranschaulicht er das Prinzip der Evolution durch natürliche Selektion und

Replikation von genetischen, inkl. soziokulturellen Informationen. Die

Bezeichnung Mem beschrieb er als selbst gewähltes Kunstwort, das sich auf

den griechischen Terminus „Mimeme“ („etwas Nachgemachtes“) beruft.

86

Page 87: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Sind die Morphischen Felder bzw. das Morphische Gedächtnis nicht

etwa eine andere Bezeichnung für das kollektive Unbewusste bzw.

die obenerwähnten Meme? Dennoch sind das von Sheldrake

genannte Morphisches Gedächtnis als Basis der

gemeinschaftlichen Sinnessteuerung sowie angebliche Psi-

Phänomene noch nicht überzeugend erklärt und noch lange nicht

bewiesen.

Dasselbe gilt für die Resonanz nach Sheldrake und für die

nichtkausale Synchronizität nach C.G.Jung, die mit der

Verschränkung der Quantenphysik übereinstimmen mögen.

Eine gewisse Parallele zur Resonanz nach Sheldrake ist nämlich die nicht

kausale oder zufällige Synchronizität nach C.G.Jung: Definiert als

zeitliche Koinzidenz zweier oder mehrerer nicht kausal aufeinander

beziehbare Ereignisse gleichen oder ähnlichen Sinngehalts. Dies im

Gegensatz zum Synchronismus, welcher die blosse kausale oder zufällige

Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse darstellt. Ich zitiere aus dem Buch von

Jolande Jacobi, „Die Psychologie von C.G.Jung“, Fischer Taschenbuch

Verlag, 18. Auflage 2001:

„Auf einen besonders bedeutungsschweren Aspekt der Wirksamkeit der

Archetypen hat Jung, gleichsam als letzte Frucht seiner Forschungen in

seinen Studien über die <Synchronizität als ein Prinzip akausaler

Zusammenhänge> (ähnlich wie Sheldrakes Resonanz und die

Verschränkung in der Quantentheorie) hingewiesen. Er hat damit ein neues

Licht auf die bisher wissenschaftlich nur sehr unbefriedigend erklärbaren

ESP-(extra-sensory perception) Phänomene wie Telepathie, Hellsehen,

sog.<Wunder> geworfen und bisher unbeachtete, oder gar geleugnete,

seltsame, im allgemeinen als <Zufall> bezeichnete Geschehnisse und

Erlebnisse zum Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung und

Untersuchung gemacht.

87

Page 88: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Synchronizität (im Gegensatz zum zufälligen oder zusammenhängenden

kausalen Synchronismus= Gleichzeitigkeit von Ereignissen) nennt er ein die

Kausalität (des Synchronismus) ergänzendes Erklärungsprinzip und

definiert sie als <zeitliche Koinzidenz zweier oder mehrerer nicht kausal

aufeinander beziehbarer Ereignisse gleichen oder ähnlichen Sinngehalts>;

Synchronizität wie sie z. B. in Form eines (nicht kausalen)

Zusammentreffens von inneren Wahrnehmungen (Ahnungen, Träume,

Gesichte, Einfälle, Visionen usw.) mit äusseren Ereignissen als sinnvoll

erlebt werden können, mögen diese in der Vergangenheit, Gegenwart oder

Zukunft liegen.“ Man könnte vielleicht von einer nicht erklärbaren

transzendentalen oder quantischen statt mechanistischen (im Sinne der

klassischen Physik) „Kausalität“ sprechen.

„In der sinnvollen Koinzidenz eines inneren Bildes mit einem äusseren

Ereignis, die das Wesen der synchronistischen Phänomene ausmacht, wird

sowohl der geistige als auch der stofflich-körperliche Aspekt des Archetypus

offenbar. Der Archetypus ist es auch, der durch seine erhöhte energetische

Ladung bzw. seine numinose Wirkung jene verstärkte Emotionalität beim

Erlebenden hervorruft… .“Diese Zitate sind leider etwas kompliziert

formuliert. Ich hoffe, dass der Leser trotzdem versteht, was da gemeint ist.

Aus dem Buch von Aniela Jaffé, „Erinnerungen, Träume, Gedanken von

C.G.Jung“, Sonderausgabe 12. Auflage 2001, Walter-Verlag Zürich und

Düsseldorf zitiert:

„Synchronizität ist der Begriff, um eine sinnvolle (d. h. nicht zufällige und

nicht kausale) Koinzidenz oder Entsprechung (ähnlich wie die

Verschränkung in der Quantentheorie) auszudrücken:

a) eines psychischen und eines physischen Ereignisses, welche kausal

nicht miteinander verbunden sind (aber auch nicht zufällig). Solche

synchronistischen Phänomene ereignen sich z. B., wenn innere

Geschehnisse (Träume, Visionen, Vorahnungen) eine Entsprechung in der

äusseren Realität haben: das innere Bild oder die Vorahnung hat sich als

<wahr> erwiesen;

88

Page 89: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

b) ähnlicher oder gleicher Träume, Gedanken usw., die gleichzeitig an

verschiedenen Orten stattfinden.

Weder die eine noch die andere Manifestation kann durch Kausalität (oder

nur durch einen Zufall) erklärt werden. Sie scheinen vielmehr mit

archetypischen Vorgängen im Unbewussten zusammenzuhängen.

Meine (schreibt C.G.Jung) Beschäftigung mit der der Psychologie

unbewusster Vorgänge hat mich schon vor vielen Jahren genötigt, mich

nach einem anderen Erklärungsprinzip (neben der Kausalität) umzusehen,

weil das Kausalprinzip mir ungenügend erschien, gewisse merkwürdige

Erscheinungen der unbewussten Psychologie zu erklären. Ich fand nämlich

zuerst, dass es psychologische Parallelerscheinungen gibt, die sich kausal

schlechterdings nicht aufeinander beziehen lassen, sondern in einem

anderen Geschehenszusammenhang stehen müssen.“

Zurück zum erstgenannten Buch von Jolande Jacobi „Die Psychologie von

C.G.Jung“:

„Der aufmerksame Leser wird in den Büchern Jungs begriffliche

Widersprüche zu finden glauben. Die Erkenntnis von der Psyche muss

jedoch die Tatsachen wiedergeben, wie sie sie vorfindet. Und sie findet sie

nicht als ein “Entweder-Oder“ vor, sondern eben, wie Jung einmal sagte, als

“Sowohl-als-auch.“ Dies entspricht dem Begriff der obengenannten

“Superposition bzw. Kohärenz“ gemäss Quantentheorie, füge ich hinzu.

„Taucht hier dann Jung gegenüber mehr oder weniger vorwurfsvoll

das Wort <mystisch> auf, dann beweist das nur, dass man dabei

vollkommen vergisst, dass die strengste der modernen

Naturwissenschaften, die theoretische Physik in ihrer heutigen

Form nicht mehr und nicht weniger mystisch ist als die Lehre

Jungs, die zu ihr unter allen Naturwissenschaften die nächsten

Analogien bietet. Man erträgt, was man in der Psychologie Jungs

einen Widerspruch nennt, in der ganzen heutigen theoretischen

Physik (der Quantentheorie) als ein wirkliches <Entweder und

Oder> des Dualismus (der sich oft nur mithilfe kühnster logischer

89

Page 90: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Konstruktionen behaupten muss), einfach weil der Widerspruch

von der Wirklichkeit auferlegt wird.“

„Dieser Dualismus wird in der Begriffsbildung der modernen Physik immer

wieder sichtbar, wenn man in ihr z. B. mit widersprechenden Hypothesen

die Natur des Lichts (als Welle oder Korpuskel) arbeiten muss oder wenn

alle Versuche, die Feldrelativitätstheorie und die Quantentheorie logisch

einwandfrei zu vereinigen, scheitern. Doch wird deshalb niemand den

modernen Physikern Mangel an logischer Fähigkeit und Sauberkeit

vorwerfen, weil eben die antilogisch erscheinende Natur der physikalischen

Tatsachen zu einer Anerkennung des Nichtzuvereinigenden, ja des

Paradoxen führt; natürlich nicht ohne Hoffnung und Streben, die Einheit

doch zu gewinnen, wenn auch nicht zu erzwingen.

Die Schwierigkeit liegt auch für die Psychologie darin, dass sie, von der

Empirie ausgehend und sie nicht verlassend, in ein Gebiet vorstösst, in

welchem der von der Erfahrung stammende Sprachausdruck naturgemäss

inadäquat und ein blosser Versuch bleiben muss. In diesem Sinn ist Jung

ebenso wenig <Metaphysiker>, als je ein Naturwissenschaftler es war,

denn auch seine Aussagen betreffen stets nur empirisch Gewonnenes und

Gefundenes und beschränken sich streng auf das empirisch Erfassbare.

Hier aber, nicht anders als in den modernen Naturwissenschaften, gibt es

eine Grenze, wo die Empirie aufhört und die Metaphysik beginnt. Alle

Geständnisse von Planck, Hartmann, Uexküll, Eddington, Jeans u. a.

bezeugen das. … Nebenbei bemerkt, hat ja auch in den modernen exakten

Wissenschaften nur die begrifflich am weitesten fortgeschrittene, weil

relativ einfachste, die Physik, die Möglichkeit, ihre kühnen, in keiner

Anschauung mehr zu verifizierenden Hypothesen in die reine

assoziationsfreie Sprache der Mathematik zu fassen.“

Ich wiederhole aus Kapitel 9.4 die folgenden zwei Absätze, die mir im

Zusammenhang mit diesem Kapitel 13 sehr wichtig erscheinen:

Das Bewusstsein und dessen individuelle, subjektive Bilder und Eindrücke

werden stets durch unser Gehirn erzeugt. „Es (das Bewusstsein) quillt auf

90

Page 91: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

aus der <Tiefe>. Es ist wie ein Kind, das täglich aus dem mütterlichen

Urgrund des Unbewussten geboren wird.“(C.G.Jung).

Unser Individuationsweg zur Entwicklung der Persönlichkeit als Ganzes

erfolgt durch Selbsterforschung, Selbsterkenntnis, Selbstentwicklung und

Selbstverwirklichung. Letztere bilden die Grundlagen für eine glückliche

Liebesbeziehung und sonst zum Glücklichwerden. Gemäss Jung kann uns

die Traumdeutung bei der Individuation (Selbstwerdung bzw. Erweiterung

der Persönlichkeit) helfen. Denn in gewissen Träumen erscheinen

manchmal verdrängte, unverarbeitete Emotionen und Konflikte, die um

Aufarbeitung werben. Es gibt jedoch auch harmlose, unbedeutende

Träume.

Man kann sich die subjektiven Interpretationen unseres

Bewusstseins und des persönlichen Unbewussten sowie die

obenerwähnten Erscheinungen der Synchronizität durch die

vererbten archetypischen Motive und Instinkte des kollektiven

Unbewussten als transzendentale bzw. geistige Erscheinungen

über unsere beschränkte Raum/Zeit-Vorstellung hinaus ausdenken.

Die Bilder und Eindrücke bedürfen unserer Interpretierung. Geist,

Energie und Materie bilden eine zusammenhängende Einheit von

Informationen. Die geistigen Abbildungen der Menschen und deren

Interpretation entstehen aber schlussendlich in unserem Gehirn.

Sowohl unser Bewusstsein als auch das Unterbewusstsein (das

persönliche und kollektive Unbewusste) entstehen als Reflexion

unseres Gehirns. Unsere subjektive bloss annähernde Erkennung

und Interpretation der Realität wird im Augenblick unserer

Wahrnehmung durch unsere Sinne in unserem Gehirn generiert.

Daraus entsteht unser Ich-Bewusstsein, das ein subjektives

virtuelles Ergebnis unseres Gehirns darstellt. Das Ich wird von

unserem denkenden Gehirn individuell mit Sinn und Bedeutung

ausgefüllt. Das Ich-Bewusstsein, das Bewusste und das Unbewusste

sind etwas Geistiges, das nicht von der Materie bzw. vom Gehirn

getrennt figurieren, sondern vom Gehirn generiert werden. Es sind

91

Page 92: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

subjektive Spiegelungen unseres komplexen Gehirns aufgrund

seiner=unserer Reaktion auf reale Ereignisse unserer Umwelt, die

durch unsere beschränkten Sinne nur begrenzt erfasst werden.

Dadurch entstehen unsere subjektiven Wirklichkeiten und

Wahrheiten.

Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann, Erfinder des inzwischen

verbotenen LSD, feierte am 11.1.2006 seinen 100. Geburtstag. Die Droge

LSD ist in minimalsten Dosen die stärkste das Bewusstsein verändernde bzw.

erweiternde Substanz.

LSD bringt das Gehirn zum Rotieren und setzt jene Mechanismen ausser

Kraft, die normalerweise all die Sinneseindrücke unserer Umwelt auf ein

physiologisch sinnvolles Mass reduzieren. So strömen fast alle Informationen

der Aussenwelt, die wir ständig subjektiv aufnehmen, über den Thalamus bis

zur Grosshirnrinde und wieder zurück. Gleichzeitig werden die

hereinkommenden Eindrücke mit Spuren aus dem Gedächtnis verglichen

und bewertet. – Bei einem LSD-Rausch stimmt die Chemie aber nicht mehr.

Sie gerät ausser Rand und Band. Die Folge: Die verschiedenen

Regulationssysteme verarbeiten die neuen Sinnesausdrücke nun anders und

das Stirnhirn wird mit Reizen überflutet.

Unter LSD kommt es zu einer völlig neuartigen Bewertung von Erlebtem und

Alltäglichem. Ausserdem können Wahnvorstellungen entstehen, weil die

LSD-Substanz Lysergsäurediäthylamid auf die neuralen Botenstoffe

Serotonin und Dopamin im Gehirn wirken. Das vom Gehirn erzeugte Ich

entschwindet sogar.

Der Mensch unterscheidet sich von allen anderen Lebewesen unter

anderem darin, dass er ein besonderes von den Tieren

unterschiedliches Bewusstsein hat – was erklärt, warum Tiere nicht

auf LSD reagieren.

Bevor das LSD verboten wurde und auf die Strasse gelangte, konnten die

Therapeuten eine Menge Erfahrungen sammeln. Die Substanz wurde bei der

92

Page 93: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Psychoanalyse von Patienten verwendet, die nicht mehr ansprechbar, also

blockiert waren. Gab man ihnen LSD, wurden sie stimuliert; sie sind

gewissermassen aufgewacht, und man konnte mit der eigentlichen Analyse

beginnen. Was damals als Wundermittel galt, wurde in der Folge zur

Kultdroge der Jugend – und damit zu einer politischen Gefahr für Amerika.

Der Entscheid der USA, das LSD zu verbieten, war ein rein politischer

Entscheid. Jeder Arzt hat kontrollierten Zugriff auf Heroin, Morphin und sogar

Strychnin, sollte das nötig sein. Aber für LSD gilt nun ein Totalverbot. Es gilt

im Prinzip bis heute – für Herstellung, Besitz und Anwendung. Das muss sich

ändern, meint A. Hofmann, wenigstens für medizinische Anwendungen durch

einen Arzt.

Der Schriftsteller Aldous Huxley liess sich vor dem Verbot auf dem Totenbett

von seiner Frau LSD geben; er starb ganz friedlich. A. Hofmann denkt, dass

LSD als Substanz zur Sterbebegleitung etwas vom Wichtigsten ist, für das

diese Droge Verwendung finden sollte. Man gibt Sterbenden ja sehr oft

Morphin. Wo Morphin nicht mehr wirkt, bekommt man die Schmerzen mit

LSD weg. Auf die Frage „Könnten Sie sich vorstellen, beim Sterben selber

LSD zu nehme?“ antwortete A. Hofmann: „Das könnte ich mir vorstellen.

Aber man weiss natürlich nicht, wie man stirbt.“

Weitere Zitate von A. Hofmann:

„Wir stehen vor dem ökologischen, sozialen und geistigen Zusammenbruch“,

sagte er an einem Vortrag im Jahr 1996; Rettung sei nur möglich durch

Bewusstseinsveränderung, durch ein neu geschaffenes Gleichgewicht

zwischen materiellen, geistigen und spirituellen Bedürfnissen.“

„Wer als Naturwissenschaftler kein Mystiker wird, ist kein

Naturwissenschaftler.“ Er hat sich, inspiriert von seinen eigenen LSD-

Erfahrungen, stets für einen Dialog zwischen Natur- und

Geisteswissenschaften eingesetzt. Metaphysik ist die Lehre von dem mit

empirischen Methoden nicht mehr Erfahrbaren.

93

Page 94: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Nach diesem Exkurs weiter über die Grenzen unserer Erkenntnisse:

Die Grenzen unserer Erkenntnisse und unseres Begreifens sowie

die Schwierigkeiten unserer konkreten Vorstellung und Darstellung

von realen bzw. von uns subjektiv interpretierten Ereignissen

zeigen sich am besten in der bereits beschriebenen

Quantentheorie und ebenfalls in der Allgemeinen und Speziellen

Relativitätslehre.

Wir alle glauben, dass wir im selben dreidimensionalen Raum leben, dass

die Zeit für jeden gleich schnell vergeht und, dass die Summe der Winkel in

einem Dreieck immer 180 Grad beträgt. Doch Einstein hat alle diese

“Wahrheiten“ und noch andere (die von der klassischen Physik als geklärt

galten) infrage gestellt: Es gibt Erscheinungen und Umstände im

Makrokosmos (ähnlich, wie im Mikrokosmos der Quantenphysik) bei denen

sich gewisse bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse im Nachhinein als

widersprüchlich bis teilweise falsch erwiesen haben.

In „Das ABC der Relativitätstheorie“ des Mathematikers und Philosophen

Bertrand Russell bediente sich dieser des folgenden Bildes zur Erklärung

der Speziellen Relativitätstheorie: Für jemanden, der auf dem Bahnsteig

steht und einen Zug vorüberfahren sieht, der 100 Meter lang ist und sich

mit 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegt, scheint der Zug nur 80

Meter lang zu sein, und entsprechend zusammengedrückt erscheint auch

alles, was sich darin befindet. Könnten wir die Fahrgäste im Zug sprechen

hören, würden ihre Stimmen undeutlich und schwerfällig bzw. verzerrt

klingen, und eben so träge würden ihre Bewegungen aussehen. Selbst die

Uhren in dem Zug würden, von aussen betrachtet, nur mit vier Fünfteln

ihrer normalen Geschwindigkeit laufen. Aber – und das ist das Wesentliche

und Erstaunliche - die Menschen im Zug würden von diesen Verzerrungen

nichts bemerken. Ihnen würde alles, was sich im Zug befindet, völlig normal

erscheinen. Dagegen würden wir, die auf den Bahnsteig stehen von den

Zugfahrenden aus betrachtet, wie auseinandergezogen und verlangsamt

aussehen. Alles hängt nur von der eigenen Position relativ zu dem sich

bewegenden Beobachter ab.

94

Page 95: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Fragen: Würde der durch die grosse Geschwindigkeit zusammengedrückte,

massenzunehmende oben genannte Zugfahrer während der Fahrt sich

jünger und schwerer fühlen? Und nach der Fahrt? Wegen des relativen

Zeitunterschieds wahrscheinlich jünger gegenüber denen auf dem

Bahnsteig gebliebenen. Nicht dicker, schwerer oder kürzer, weil dies nur

von den auf der Erde gebliebenen Aussenbeobachter relativ so erfasst

wurde, solange der Zug sich mit enormer Geschwindigkeit bewegte.

Für einen die Zeit messenden Beobachter, der sich schnell bewegt, vergeht

die Zeit relativ langsamer gegenüber einem sich weniger schnell

Bewegenden. In anderen Worten: der sich schnell Bewegende altert

weniger rasch. Die Zeit verstreicht mit unterschiedlichem Tempo, je

nachdem, wie schnell wir uns bewegen. - Die Beobachter selber bemerken

diese Zeitverzerrung zunächst nicht, sondern erst beim Vergleich ihrer

Uhrzeiten.

Die Zeit ist also nicht absolut, wie Newton dachte, sondern relativ. Nach

Newtons Theorie sollte man einen Lichtstrahl einholen können, sofern man

sich annähernd so schnell bewegen könnte; in Einsteins Welt ist das

unmöglich. Egal, ob Sie sich in Ruhe befinden, mit einem Zug reisen oder

einen rasenden Kometen mit fast Lichtgeschwindigkeit reiten, in allen

Fällen sehen Sie einen Lichtstrahl, der Ihnen mit der konstanten

Lichtgeschwindigkeit enteilt. Egal wie schnell Sie sich bewegen. Sie sind nie

in der Lage die Geschwindigkeit des Lichtes durch Ihre eigene zu mindern. -

Würde ein Zeuge auf der Erde dieses hypothetische Wettrennen

beobachten, würde er behaupten, Sie mit fast Lichtgeschwindigkeit und der

Lichtstrahl mit Lichtgeschwindigkeit bewegten sich Seite an Seite. Sie,

dagegen, würden entgegnen, der Lichtstrahl habe sich von Ihnen entfernt

als hätte sich Ihr Vehikel (der rasende Komet) in Ruhe befunden. Schwer zu

verstehen oder nicht? Trotzdem, Experimente beweisen, dass Einstein recht

hat.

Ein weiterer Beweis unter anderen: Bei der GPS-Ortung muss die Zeit eines

stationären sich mit der Rotationsgeschwindigkeit der Erde bewegenden

Satelliten um die aus dem Unterschied der Geschwindigkeiten und der

95

Page 96: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Erdanziehungskraft sich ergebende Zeitdifferenz gegenüber dem Navigator

auf der Erde (bzw. fliegenden Navigator) korrigiert werden. Nur dank dieser

Zeitkorrektur stimmen die relative Zeit und Position für den sich langsamer

bewegenden und von der Schwerkraft stärker angezogenen GPS-Navigator

genau.

Uhren laufen gemäss der empirisch bewiesenen Speziellen

Relativitätstheorie nicht nur relativ zum ruhenden Beobachter langsamer bei

höherer Geschwindigkeit des sich Bewegenden, sondern gemäss der

Allgemeinen Relativitätstheorie auch je stärker das Gravitationsfeld auf die

Uhren der Zeitmessenden wirkt. D. h., je weiter entfernt sich eine Uhr vom

Gravitationsfeld der Erde oder eines anderen Himmelkörpers befindet, desto

schneller läuft sie im Vergleich zu einer Uhr auf der Erde. In anderen Worten:

Zunehmende Schwerkraft bremst den Lauf der Uhr, was man aber wiederum

nicht unmittelbar, sondern erst im relativen Vergleich der Uhrzeiten der

Beobachter merkt. Auch dies wurde experimentell nachgewiesen.

Die Lichtgeschwindigkeit ist gemäss Einstein eine unveränderliche

Konstante. Bei beispielsweise 40% Lichtgeschwindigkeit bräuchte es eine

ins Immense steigende Energie, um die Geschwindigkeit der ständig

zunehmenden Masse bzw. Trägheit des Raumschiffes noch weiter zu

erhöhen, gemäss der Formel E=Masse mal konstante Lichtgeschwindigkeit

hoch 2. Bei weiterer Beschleunigung auf fast Lichtgeschwindigkeit würde

die Zeit vom Aussenbeobachter gesehen fast stillstehen bleiben, die Masse

des Raumschiffes unendlich zunehmen oder (fraglich) sich in Energie bzw.

Licht umwandeln (?), indem sich die Länge des Raumschiffes auf fast einen

Punkt verkürzen würde ?

Durch die Bewegung tauschen wir in der Einsteinschen Raumzeit jeweils die

Bewegung im Raum in Funktion der Zeit. Dabei ist die Lichtgeschwindigkeit

eine maximale Konstante, die unabhängig von der

Bewegungsgeschwindigkeit des sich Bewegenden immer gleich bleibt. - Die

Lichtgeschwindigkeit könne man austricksen und erhöhen, indem man

(mathematisch und physikalisch theoretisch möglich) im Raum wie auf einer

Welle reitet, welche die Geschwindigkeit des Windsurfers beschleunigt. Der

96

Page 97: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Raum müsste stets sequenziell nur in dem begrenzten Bereich in dem sich

das Raumschiff bewegt, gemäss bereits erfolgten physikalischen

Berechnungen mit enormer Energie komprimiert und gleichzeitig gedehnt

werden. Wie dieser Energieantrieb zur Distorsion des Raumes zu

bewerkstelligen wäre, bleibt unbeantwortet. Die resultierende Wellen-

Geschwindigkeit der Raumkompression und Raumdehnung und des mit

annähernden Lichtgeschwindigkeit bewegten Raumschiffes würde zu einer

sprunghaften Bewegung im Raum über die Lichtgeschwindigkeit hinaus

führen. Dies, ohne dass die Raumdehnungs- und Raumschiffs-

Geschwindigkeit einzeln die nach Einstein unveränderliche Konstante der

Lichtgeschwindigkeit überschreiten würde. Man würde Zeitgewinn durch

Raumkomprimierung und Raumdehnung erzielen, gemäss der

austauschbaren Raumzeit-Funktion. So könnte man sich innerhalb unseres

Planetensystems, ja sogar innerhalb unserer Galaxie, vielleicht bis zur

nächsten Sonne, mit über Lichtgeschwindigkeit annähern. Es ist eine

theoretisch zwar sinnvolle physikalische Überlegung, jedoch nicht mehr als

eine Spekulation.

Die Zeit zeigt nur in eine Richtung. In der Mathematik ist die Zeit theoretisch

umkehrbar, jedoch nicht in der Makrophysik. Ein fundamentaler Unterschied

zwischen Mikro- und Makrophysik besteht also darin, dass die

mikrophysikalischen Prozesse der Quantentheorie teilweise reversibel und

damit “zeitlos“ sind, während die Makrophysik der Irreversibilität der Zeit

unterliegt. Dies hängt angeblich mit der Entropie-Theorie des

österreichischen Physikers Ludwig Boltzmann zusammen. Das Universum

entwickelt sich gemäss der Urknalltheorie zeitgerichtet nur in eine Richtung

von der Ordnung zur Unordnung, der Entropie-Theorie folgend. Ein weiterer

Unterschied ist die Kausalität die, wie schon früher erwähnt, in der

Quantenphysik nicht gegeben ist.

Fassen wir zusammen: Einstein bewies, dass die Zeit im Raumzeit-

Kontinuum je nach Bewegungsgeschwindigkeit der Beobachter sowie je

nach Einfluss der Schwerkraft und Raumposition von diesen relativ

zueinander verschiedentlich erfasst wird, was jedoch nur beim Vergleich

der Uhrzeiten zum Vorschein kommt. Je nach Bewegungsgeschwindigkeit 97

Page 98: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

ist die gemessene relative Zeit der Beobachter bei einem Uhrzeiten-

Vergleich unterschiedlich. Nur die Lichtgeschwindigkeit ist gemäss Einstein

für alle maximal und konstant gleich und nicht relativ, d. h. unabhängig

von der Bewegungsgeschwindigkeit der Beobachter. Die Einstein Formel

E=mc2 beinhaltet c als Konstante der Lichtgeschwindigkeit im Quadrat.

Nebenbei nur für Interessierte:

Ohne ² würde die Formel nicht Stimmen, schon von den Einheiten her.

Das Ergebnis der Gleichung ist ein Wert mit der Einheit Joule für Energie.

Joule = Newtonmeter.

Da Newton = Kilogramm mal Meter/Sekunde²

erhält man Newtonmeter = (Kilogramm mal Meter/Sekunde²) mal Meter

oder = Kilogramm mal Meter²/Sekunde².

m ist die Masse und hat die Einheit Kilogramm

Das c ist in der Physik die Lichtgeschwindigkeit, hat also die Einheit

Meter/Sekunde, c² logischerweise Meter²/Sekunde²

Auch mc² hat also die Einheit Kilogramm mal Meter²/Sekunde²=Joule.

Beide Seiten E und mc² haben also die gleiche Einheit. Andernfalls wäre die

Gleichung nicht gültig. Ohne Quadrat hätte man auf der einen Seite der

Formel die Einheit Kilogramm mal Meter/Sekunde, welches aber nicht das

gleiche wäre wie Joule auf der anderen Seite der Formel.

98

Page 99: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Die Allgemeine Relativitätstheorie erklärt die Gravitation nicht als Folge der

Massenanziehung, sondern als Raumkrümmung bzw. Raumverformung,

welche, so wie die Lichtkrümmung im All, durch die Schwerkraft von

Massen verursacht wird. Diese Erklärung differiert von der Schwerkraft

gemäss Newton. Die Erde bewegt sich nicht um die Sonne, weil diese nach

Newton eine Gravitationsanziehung ausübt, sondern nach Einstein, weil die

Sonne die Raumzeit um die Erde verformt bzw. krümmt und so einen

Anstoss schafft, der die Erde zwingt, sich im Kreis (bzw. fast elliptisch) um

die Sonne zu bewegen. Wiederum schwer vorstellbar aber bewiesen.

Eine aus dem Raumzeit-Konzept abgeleitete Frage: So wie Materie (bzw.

Masse) auf Raum und Zeit einen Einfluss hat, wie auch umgekehrt, so

müsste das Licht bzw. die Energie (als umgewandelte Erscheinungsform der

Materie) ebenfalls einen gegenseitigen Einfluss auf Raum und Zeit haben.

Masse ist die Ursache von Gravitation durch Verformung des Raumes. Die

Gravitation krümmt zudem den Verlauf von Lichtstrahlen. Die

Lichtgeschwindigkeit verzerrt das relative Zeitempfinden von Beobachtern.

Und wie wirkt sich das Licht weiter auf den Raum aus? Durch die seltsame

Verformung der Raumzeit bei zunehmender Geschwindigkeit bis zur

Lichtgeschwindigkeit: Es ist gemäss Einstein erwiesen, dass sich die Zeit

abhängig von der Geschwindigkeit des Beobachters verändert. Und

ebenfalls, dass vom aussenstehenden Beobachter aus betrachtet andere

Grössen wie Energie und Masse zunehmen, Entfernung abnimmt und Länge

kürzer (ein Stab wird kürzer) wird, je schneller man sich bewegt. Die zuletzt

genannte wird als Lorentzkontraktion bezeichnet. Wobei nochmals zu

betonen ist, dass die sich äusserst schnell Bewegenden von diesen

Verzerrungen nichts bemerken würden, nur die aussen Beobachtenden.

Unser Bewusstsein über die Zeit gilt als relative Vorstellung. Vergangenheit,

Gegenwart und Zukunft scheinen im Zeitraum Einsteins gleichzeitig zu

existieren. Ob sich der Beobachter in einer von einem anderen Beobachter

abweichenden Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft befinden mag, hängt

99

Page 100: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

von der unterschiedlichen relativen Bewegungsgeschwindigkeit, von der

Schwerkraft und der relativen Raumposition der Beobachter.

Wurmlöcher (diese spekulative Bezeichnung stammt von Einstein) mögen

hypothetische Verbindungsgänge von zusammenhängenden Räumen sein.

Solche wurmförmige schwarze Löcher könnten uns theoretisch (z. B. neben

der bereits früher genannte hypothetische Teleportation) auf Reisen mit

fast Lichtgeschwindigkeit zeitsparend durch Raum und Zeit führen: Nicht

jedoch in die Vergangenheit, weil Zeit in der Makrophysik nur in eine

Richtung zeigt und nicht umkehrbar ist, sondern von der Gegenwart in die

Zukunft der gegenüber der Abreise inzwischen älter gewordenen

Erdbewohnern. In anderen Worten nur in eine zeitlich relative Zukunft,

welche aus der relativen Zeitverschiebung zwischen den auf der Erde

Gebliebenen und den mit fast Lichtgeschwindigkeit Reisenden resultieren

würde.

Einige Physiker spekulieren damit, dass man enorme stellare Distanzen mit

Reisen durch Raumschleifen von miteinander verbundenen schwarzen

Wurmlöchern abkürzen könnte, indem man gleichzeitig deren enorme

Anziehungskraft als Antriebsquelle ausnützen würde. Dies allerdings nur

hypothetisch, weil man eine Reise durch schwarze Löcher wohl nicht

überleben könnte. Zeitsprünge über zusätzliche Dimensionen oder durch

Ausnützung von Raumzeitschlaufen oder Parallelräumen könnte die

Limitierung der konstanten Lichtgeschwindigkeit ebenfalls austricksen.

Auch das Zeitreisen von der Gegenwart in die Zukunft oder sogar in die

Vergangenheit könnte durch geschlossene Raumzeitschlaufen repetierend

durchlaufen werden. Das Paradoxon, dass man durch eine Reise in die

Vergangenheit beispielsweise die eigene Geburt verhindern könnte, sodass

man dann aufhörte zu existieren, könnte sogar vermieden werden. Wie?

Indem man die Geburtsverhinderung in einem parallelen Universum

verwirklichen würde, das alternativ zum ursprünglichen Geburtsuniversum

dieses ersetzen würde. Dazu müsste man sich zuerst in das parallele

Universum begeben können. Lauter Science Fiction-Spekulationen, die

durch allzu viel Fantasie kein Ende finden. Nichtsdestoweniger, solche

100

Page 101: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Fantasie-Spielereien dürften wenigstens unsere beschränkte

Vorstellungskraft über das grandiose Unvorstellbare unseres Weltalls

beflügeln.

Manche Physiker vertreten die Hypothese, dass innerhalb der Raumzeit-

Austausch-Funktion der Relativitätstheorie sich der Raum schneller

ausdehnen könne als das Licht. Diese inflationäre Raumausdehnung soll

beim Urknall in einem Bruchteil von weniger als eine Sekunde schneller als

das Licht erfolgt sein. Man führt dies auf die angenommene noch nicht

bewiesene Dynamik der dunklen Materie und der dunklen Energie im All

zurück.

Wie Newtons Durchbruch die erdgebundene Physik mit der Himmelsphysik

zusammenschloss, so vereinigte Einstein den Raum mit der Zeit. Er zeigte

aber gleichzeitig, dass Materie und Energie zusammenhängen und sich

folglich ständig ineinander verwandeln. Ein bewegtes Objekt wird umso

massenreicher wird, je rascher er sich bewegt, d. h., dass die kinetische

Bewegungsenergie sich mit wachsender Geschwindigkeit in Masse=Materie

(potenzielle Energie) verwandelt. Und Materie wiederum in Energie,

beispielsweise durch Kernspaltung oder Kernfusion innerhalb der Sterne.

Materie lässt sich also in Energie umwandeln und umgekehrt. Einstein

berechnete, wie viel Energie aus Materie gewonnen werden kann und

erfand die Formel E=mc2 , will heissen: Schon eine winzige Materienmenge

m wird mit einer riesigen Zahl multipliziert (Lichtgeschwindigkeit von

300000 Kilometer pro Sekunde hoch 2), wenn sie in Energie umgewandelt

wird. Beispiel: Ein 100 kg schwerer Mensch trägt die potenzielle Energie in

sich wie eine Atombombe, sofern seine Materie eine radioaktive kritische

Masse wäre und entsprechend gezündet würde. Das kommt vom

Multiplikator-Effekt der Lichtgeschwindigkeit im Quadrat. Entscheidend für

eine solche plötzliche riesige kinetische Energieentfaltung ist allerdings,

dass die potenzielle Energie der Materie sich augenblicklich in Bruchteilen

von Sekunden in Energie entfaltet. - Damit erklärt sich auch die enorme

Energiequelle der Sterne als Umwandlung von Materie in Energie durch

Kernfusion, gemäss Einsteins Gleichung. Ein Prozess, der das Universum

101

Page 102: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

antreibt und dabei erhellt. Sobald sich ein Stern nach all den Kernfusionen

in ihrem Innern über Milliarden von Jahren oder mehr ganz ausgebrannt hat,

wirkt wieder vermehrt die Gravitation, die nach einer diesmal

gravitationsbedingten letzten hellsten Ausstrahlung den Stern zu einem

roten, braunen oder weißen Zwerg kollabieren lässt.

Meine obengenannten mehr oder weniger geglückten Darstellungen erfolgen

vorbehältlich Missverständnisse bzw. Interpretationsirrtümer meinerseits, für

die ich mich als Laie gegenüber Physikern und anderen Wissenschaftlern im

Voraus entschuldige. Sogar Physiker erklären solch seltsame physikalische

Tatbestände sehr unterschiedlich oder sogar widersprüchlich.

Manche meiner Darstellungen mögen von Wissenschaftlern und

konservativen Lesern als allzu spekulativ und eventuell als missverstanden

und falsch oder sogar als lächerlich bezeichnet werden. Ich möchte trotzdem

nicht als unwissenschaftlicher Fantast oder Esoteriker abgestempelt werden.

Mir geht es ja eher darum, eine wissenschaftliche Negierung bzw.

Falsifizierung oder eine Verifizierung meiner gewagten Spekulationen

herauszufordern.

Es ist geradezu meine Absicht, dass der Leser meine Darstellungen und

Auslegungen infrage bzw. richtigstellt und seine eigene Meinung dagegen

setzt.

Warum schreibe ich über alle diese wissenschaftlichen

Erkenntnisse? Wo liegt die Nützlichkeit solcher Ausführungen für

unser praktisches Leben?

Sie sollten uns:

Erstens, die Folgen unserer Begrenztheit vergegenwärtigen.

Zweitens, vor den Gefahren und den Folgen unserer angeblichen

Wahrheiten, Missinterpretationen und Vorurteilen generell warnen.

102

Page 103: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Drittens, davor warnen, dass wir unsere öfters fraglichen Wahrheiten bzw.

Meinungen und sogar die wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie unsere

subjektive Wirklichkeit allzu kategorisch bzw. absolut vertreten. Diese

haben sich in den Wissenschaften sowie im öffentlichen, geschäftlichen und

privaten Leben im Nachhinein schon öfters als falsch erweisen. Zudem ist

unsere Sturheit und Rechthaberei öfters der Hauptgrund von verletzenden

Friktionen mit unseren Mitmenschen. Sie haben uns im Laufe der

Geschichte schon mehrmals zu kalt berechnenden bzw. missbräuchlichen

Kriegen „unter dem Vorwand von falschen Wahrheiten“, aber auch zu

fanatischen Kriegen „aus falschen Überzeugungen“ geführt.

Viertens, unseren Horizont und unser Weltbild mit interessanten

allgemeinbildenden wissenschaftlichen Erkenntnissen erweitern und auf die

noch unerklärten Erscheinungen des Mikro- und Makrokosmos sowie auf

jene der Welt der Tiere, Menschen und Pflanzen hinzuweisen.

Fünftens, die wissenschaftliche Rigidität der Verifizierung und

Falsifizierung unterstreichen, damit wir nicht den Gefahren von falschen

Schlüssen, Vorurteilen, Spekulationen, Aberglauben und sonstigen

esoterischen Fantasien erlegen.

Sechstens, darauf hinweisen, dass, ähnlich wie bei den Tieren und

Pflanzen, in uns Menschen noch unerschöpfte, wertvolle Ansätze zur

Erweiterung unserer Sinne vorhanden sein mögen. Die Menschen sollten die

aussergewöhnlichen Sinne wieder vermehrt zu aktivieren versuchen, sofern

sie wirklich existieren. Um dies herauszufinden, müssten wir die fraglichen

Spezialsinne vorurteilsfreier und intensiver erforschen. Sie dürften in der

zukünftigen Evolution des Menschen eine wichtige Rolle spielen.

Schlussendlich müssten die Hypothesen von Sheldrake im Laufe der Zeit

durch weitere Experimente, entweder als spekulativer Humbug falsifiziert

oder verifiziert bzw., im Sinne von K.R.Popper, bis auf Weiteres bestätigt

werden.

103

Page 104: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Die Angebote hoher Geldpreise von verschiedenen Wettbewerbsgremien

der Welt an Kandidaten mit angeblich parapsychologischen Fähigkeiten

haben bis jetzt keine Preis-Sieger erbracht. Die Kandidaten konnten ihre

angebliche Fähigkeiten nicht überzeugend vorzeigen. Die strengen

unabhängigen Juroren (um Tricks auszuschliessen) der genannten

Wettbewerbsgremien konnten bis jetzt keine aussergewöhnlichen

Fähigkeiten bestätigen, die empirisch durch wiederholende Versuche von

Wissenschaftlern hätten bewiesen werden können. Deshalb bleibe ich

gegenüber Psi-Phänomenen weiterhin äusserst skeptisch. Denn sie

konnten bis heute nicht wissenschaftlich bewiesen werden.

In diesem dreizehnten Kapitel zitierte ich aus den rund 380 Seiten des

Buches von Gerhard Roth rund 11 Seiten und aus den 400 Seiten des

Buches von Sheldrake nur ca. 14 Seiten. Dazu widmete ich weitere 100

Seiten den Gedanken anderer Denker und meinen eigenen Ansichten.

Wieso habe ich diesem Kapitel so viele Seiten gewidmet?

Weil sich dieses Kapitel mit essenziellen Grundlagen unserer

Erkenntnisse befasst, die als Ausgangsbasis für unser Verhalten im

Leben wichtig und nützlich sind.

Über die Entstehung des Universums gibt es zahlreiche Hypothesen.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Als Abschluss dieses Kapitels

möchte ich mich, zur Erweiterung meines Weltbildes, auf die Darstellung

von ein paar Hypothesen über das Universum beschränken. Ich werde die

hervorheben, die ich besonders interessant finde. Dies, obwohl ich weiss,

dass diese Hypothesen nur annähernd zutreffen mögen, weil wir noch zu

wenig über das Universum wissen; im Sinne von „Ich weiss, dass ich

noch sehr wenig oder fast nichts weiss.“

104

Page 105: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Trotzdem darf und sollte man neue Hypothesen bzw.

Spekulationen immer wieder wagen, im Sinne der Elimination von

Erklärungsversuchen (nach Popper), um sich so stückweise der

realen Welt immer weiter anzunähern. Doch immer „subject to“

bzw. vorbehältlich einer Wahrscheinlichkeitsprüfung und

schliesslich vorbehältlich einer wissenschaftlichen Beweisführung.

Diese führt entweder zur Falsifizierung der Hypothesen oder zu

ihrer Verifizierung bis auf Weiteres.

Was mir missfällt, ist, dass die klassische Urknall-Theorie ziemlich

unvollständig bleibt. Sie wird als Theorie vertreten, obwohl sie nur teilweise

bewiesen ist und sonst hypothetisch bleibt. Im Vergleich zu den übrigen

Hypothesen mag sie vielleicht, unserem begrenzten Wissensstand folgend,

vorläufig wahrscheinlicher und weniger spekulativ sein als andere

Hypothesen über das Universum. Die Urknallhypothese scheint mir jedoch,

um nun meinerseits etwas provozierend zu wirken, etwas veraltet,

fantasielos und unvollständig, weil sie sowohl in der Ursache bzw. Ursprung

als auch im Ausgang bzw. Ende des Urknalls nicht ausreichend erklärt wird.

Welche Hypothese bzw. Kombination von Hypothesen meine ich? Ich

schätze, dass einige der Hypothesen von Multiuniversen nicht nur virtuell

mathematisch darstellbar sind, sondern sich ziemlich wahrscheinlich auch

physikalisch als annähernd real erweisen dürften.

Ich werde nicht die meiner Ansicht nach nicht zu Ende durchdachte

Urknalltheorie über den Haufen zu werfen wagen oder negieren,

geschweige denn falsifizieren. Das kann ich sowieso nicht. Die

Urknalltheorie ist im Grunde eine gemäss unseren begrenzten Sinnen von

unserem beschränkten Gehirn erstellte subjektive Theorie, die sich nur

teilweise der objektiven Wirklichkeit (Realität) annähern mag.

Die schwachen Punkte bzw. Inkonsistenz der klassischen Urknall-Theorie

liegen

(a) in der noch offenen unerklärten Ursache des Urknalls und

105

Page 106: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

(b) in dem angeblichen Ende des Universums: dem Universum drohe der

Kältetod? Der Kältetod wäre die Folge der inflationistischen Ausdehnung

des Universums. Diese würde durch die hypothetisch angenommene noch

nicht bewiesene sogenannte Dunkle Materie bzw. Dunkle Energie

verursacht.

Gerade bei der nicht genügend erklärten Ursache und Ausgang bzw. Ende

des Urknalls werde ich nun versuchen, meine eigene gewagte

Hypothese anzusetzen:

Die Endstadien explodierender massenreicher Sterne (Protosterne wie

Supernovae und Hypernovae) sind nicht nur extrem dichte

Neutronensterne, sondern oft auch Schwarze Löcher, die teilweise

energiereiche Gammastrahlen senden. Schwarze Löcher sind Überreste aus

extrem dichten Neutronenkonzentrationen von sehr grossen kollabierten

(implodierten) Sternen bzw. Überreste aus der Kollision

zusammengeschmolzener Sterne: Neutronensterne oder, wenn diese

rotieren, Pulsare genannt; auch äusserst verdichtete Relikte implodierender

und anschliessend explodierender Sterne. Es gibt hochenergetische Sterne,

die bei ihrer Explosion eine ganze Galaxie extrem hell überstrahlen und

teilweise gefährliche Gammablitze ausstrahlen. Nicht allzu grosse Sterne

wie die Sonne expandieren und kollabieren in ihrem Endstadium “nur“ zu

einem weissen Zwerg, nur so gross wie die Erde. Dies genügt nicht zur

Komprimierung auf die extreme Dichte von schwarzen Löchern. Dazu

braucht es mindestens die achtfache Masse unserer Sonne. Riesensterne

haben sogar die 100-fache Masse unserer Sonnenmasse oder mehr.

Galaktische Schwarze Löcher, die sich als Relikte von Quasaren

(quasistellare, extrem lichtstarke, explodierende Energiebündel) in den

Zentren von Galaxien befinden, beinhalten angeblich Millionen bis

Milliarden Sonnenmassen auf kleinstem Raum als Neutronen oder sogar zu

kleineren atomaren Teilchen verdichtet. Quasare gehören zu den ältesten,

extrem hellen Galaxienkernen (galaktischen Gravitationslinsen); sie

befinden sich in den Kernregionen von Galaxien, die kurz nach dem Urknall

entstanden sein sollen. In ihren Zentren befinden (ohne dass ihre

106

Page 107: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Radiowellen noch Zeit gehabt hätten, bei uns anzukommen) und befanden

(teilweise bereits Hunderte Millionen und mehr Lichtjahre alt bzw. von uns

entfernt!) sich also riesige Schwarze Löcher. Damit meine ich, dass wir in

der Astronomie unserer Gegenwart nur die sehr alte, mehrere Millionen

oder noch mehr Lichtjahre Vergangenheit messen. Das Licht der Gegenwart

aus diesen ungeheuren Entfernungen von Lichtjahren wird uns

entsprechend erst in Zukunft nach Hunderten Millionen oder noch mehr

Lichtjahren erreichen.

Kürzlich haben Astronomen das mit 17 Milliarden Sonnenmassen wohl

grösste schwarze Loch des Universums entdeckt, ein Schwerkraft-Gigant,

Hunderte von Millionen Lichtjahre entfernt. Das uns nächste Schwarze Loch

unserer Milchstrasse ist 3500 Lichtjahre entfernt oder etwa 3500 mal 9,5

Billionen Kilometer (9 500 000 000 000) = 33 250 000 000 000 000 km –

viel zu weit, um uns gefährlich werden zu können. Aber nicht vergessen, wir

sprechen von Vergangenheit, da uns dieses Licht nach 3500 Lichtjahren

erst heute erreicht hat. Inzwischen können neue Schwarze Löcher

entstanden sein, von denen wir erst in Zukunft, bis das Licht uns erreichen

wird, etwas erfahren werden. - Nebenbei die Berechnung der

obengenannten Lichtjahr-Entfernung: Lichtgeschwindigkeit von 300000

km/Sekunde mal Anzahl Sekunden eines Jahres (ca. 3153600 Sek. = 365

Tage mal 24 StdX360 Sek.) oder 9,46 Billionen Kilometer pro Lichtjahr. Und

3500 Lichtjahre mal 9,5 Billionen km pro Lichtjahr ergeben 33250 Billionen

Kilometer.

Die meisten Galaxien haben Schwarze Löcher in ihrem Zentrum. Bei der

Kollision zweier Galaxien können diese Schwarze Löcher zu einem

supermassenreichen Schwarzen Loch verschmelzen. Oder aber durch

Schwerkraftwellen ins All geschleudert werden.

Um sich über die Grössendimension des Weltalls eine weitere

Vorstellung zu machen: Man hat neulich die bisher grösste Struktur

des Universums gefunden. Sie umfasse 73 Quasare und sei rund

vier Milliarden Lichtjahre l a n g ! Eine derart gigantische Gruppe

wurde niemals zuvor beobachtet. Uns ist übrigens bis jetzt

107

Page 108: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

schätzungsweise nur ca. vier Prozent des für uns sichtbaren bzw.

messbaren Universums bekannt: teilweise von uns durch

Teleskope ersichtlich (sichtbare Materie) oder nur via Radiowellen

und anderen Messmethoden indirekt erfassbar. Die hypothetisch

angenommene Dunkle Materie (ca. 80% der gesamten Materie,

aber nur etwas über 23% Anteil am Universum) und Dunkle Energie

(etwas über 73% Anteil am Universum) stehen den 4% leuchtender

für uns sichtbarer Materie gegenüber.

Einige der genannten stellaren Formationen gehen teilweise ineinander

über. Viele sind noch unbekannt, weil sie so weit entfernt sind, dass das

Licht uns zeitlich noch nicht erreichen konnte. - Nur ein kleiner Teil der

äusserst alten Vergangenheit des Weltalls wurde von uns vorerst mit

unseren begrenzten Messmethoden “subjektiv“ beobachtet oder indirekt

gemessen, ohne bis jetzt von uns mathematisch und physikalisch

darstellbar zu sein. Wir können ihre Grössenordnung und Struktur kaum

erfassen und nur teilweise verstehen.

Sogenannte von Einstein spekulativ erwähnte Wurmlöcher könnten

hypothetisch angenommene Verbindungsgänge zwischen Universen sein.

Sie dürften gemäss meiner gewagten Hypothese den von uns gemessenen

Schwarzen Löchern ähneln. Diese mögen spiralförmige bzw. wurmartige,

hochenergetische Verbindungsgänge zwischen bestehenden Universen

sein. Wurmlöcher wurden schon als hypothetische Einstein-Rosen-Brücken

(gemäss einer Modell-Hypothese von Einstein und Rosen), als Falltüren oder

Einfallstore zu anderen Dimensionen und Universen bezeichnet.

Meine gewagte Hypothese geht von folgender Annahme aus: Neben

den Schwarzen Löchern, die Ihre “verschluckte“ Materie als

Gammastrahlen-Energie gebündelt wie eine Lanze durch ihren Kern in

unser Universum wieder ausstrahlen, soll es angeblich auch Schwarze

Löcher geben, welche die Materie “hineinschlucken“ und ihre enorme

gammastrahlenreiche Energie teilweise sonst wo ausstrahlen. Eventuell in

andere Universen? Ich gebe zu, eine ziemlich spekulative, unbewiesene

Annahme. Sie stützt sich darauf, dass angeblich Schwarze Löcher

108

Page 109: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

beobachtet wurden, bei denen keine Rückstrahlung von Gammastrahlen

oder sonstiger Ausstrahlung in unser Universum zu messen sei. Wohin

landet die von diesen Schwarzen Löchern verschluckte höchst verdichtete

Materie und Energie? Gemäss dem Energie-Erhaltungssatz der Physik

verschwindet Energie nicht, sondern sie bleibt immer erhalten.

Hypothetische Verbindungsgänge von Wurmlöchern ähnlichen Schwarzen

Löchern könnten unser Universum, sofern es doppelt oder mehrfach

gefaltet wäre, “durchstechen“. Und entweder unser Universum oder andere

“durchstochene“ bzw. “überbrückte“ Paralleluniversen mit dichtester

Materie bzw. mit enormer Energie “alimentieren“ oder neue Universen

sogar “zünden“. Mit Alimentieren meine ich das erneute Freisetzen von

unserem oder von einem anderen Universum “aufgesogene“ Energie durch

Schwarze Löcher entweder in unser Universum oder in andere Universen.

Mit Energie neu zünden, meine ich das erneute Freisetzen von unserem

oder einem anderen Universum aufgesogene Energie durch Schwarze

Löcher als Ursache der Neuentstehung (Zündung) eines neuen Universums.

Die Schwarzen Löcher unseres Universums und jene anderer Universen

dürften durch ihre Verbindungsgänge nicht nur unser Universum, sondern

auch andere bestehende Paralleluniversen alimentieren und sogar neue

Universen initiieren (zünden). Schwarze Löcher anderer Universen dürften

durch ihre Durchstiche sogar die allererste “Zündung“ des Urknalls unseres

Universums und weiterer neuen Universen verursacht haben.

Dies alles dem physikalischen Energie-Erhaltungsgesetz folgend, gemäss

dem die Gesamtmenge von Materie und Energie aller Universen eine

Konstante ist, die nicht verschwindet, sondern erhalten bleibt. Dies, sofern

ich den Energie-Erhaltungssatz physikalisch richtig verstehe und nicht etwa

falsch interpretiere.

Die enorme Verdichtung von Masse und Energie mehrerer Schwarzen

Löcher, die ihre Energie nicht in ihr eigenes Universum wieder ausstrahlen,

würde also andere Universen alimentieren oder neue Universen zünden. Die

Frage ist, ob die Mega-Energien nur eines Schwarzen Loches oder mehrerer

Schwarzen Löcher für die Zündung des Urknalls unseres Universums oder 109

Page 110: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

anderer neuer Universen ausreichen würden. Diese Frage kann ich als Laie

nicht beantworten. Die Antwort müsste von Physikern erst noch theoretisch

durchgerechnet werden.

Was ich aber mit gesundem Verstand zu sagen wage, ist, dass die enorme

von Schwarzen Löchern aufgesogene Materie, die nicht wieder im gleichen

Universum als Energie verstrahlt wird, nicht einfach auf

Nimmerwiedersehen verschwinden kann. Das widerspräche dem Energie-

Erhaltungsgesetz der Physik. Irgendwohin muss die Energie bzw. Materie

aus den Schwarzen Löchern ausströmen bzw. wieder zum Vorschein

kommen. Auch der Ursprung bzw. Ursache des Urknalls unseres

Universums muss von irgendwo gekommen bzw. mit Energie gezündet

worden sein. Bis heute weiss niemand wie und woher.

Ich wage von Schwarzen wurmähnlichen Löchern als nicht versiegende

Energiequellen auszugehen, die ihre Energie entweder in ihr eigenes

Universum oder in andere Universen ausstrahlen. Diese Energiequellen

dürften ihre extreme verdichtete Energien via wurmähnlichen

Durchgangsverbindungen in anderen bestehenden oder neuen

Paralleluniversen wieder freigeben: entweder zur Alimentierung von

bestehenden Universen oder zur Zündung des Urknalls eines neu

entstehenden Universums.

Die weitere Frage wäre dann, was zündet den Urknall dieser anderen

Universen? Meine hypothetische Antwort: ein Kreislauf von Schwarzen

wurmähnlichen Löchern, die mit ihren Durchgangsverbindungen aus

bestehenden Universen wiederum andere Universen alimentieren bzw.

neue Universen zünden. Eine Art “Perpetuum mobile“, das, wie wir aus der

Newtonschen Physik wissen, wegen der mechanischen Reibung physikalisch

unmöglich ist und somit schlussendlich zum Stoppen kommt. Doch auch

wenn es im Weltall irgendwelche Reibungsverluste gäbe, würden diese

sowieso wieder in Wärme=Energie übergehen und dem Weltall erhalten

bleiben; und wahrscheinlich in den Universen als Energie wieder rezykliert

werden, gemäss dem physikalischen Erhaltungsgesetz von Materie und 110

Page 111: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Energie. Wiederum Interpretationen eines Nichtphysikers, der sich,

zugegebenerweise allzu sehr auf rutschigem Parkett wagt.

Unbeantwortet bleibt die Frage: Was war die allererste Ursache für den

Ursprung des obengenannten “Perpetuum mobile“, die den obenerwähnten

Kreislauf von Schwarzen Löchern als zündende und alimentierende

Energiequellen von miteinander verbundenen Paralleluniversen initiierte?

Bei dieser allerletzten Frage gelangt die Wissenschaft wiederum an

ihre Grenzen, deren Überschreitung nur mit dem subjektiven

persönlichen Glauben jedes einzelnen Menschen erfolgen kann.

Meine eigene oben dargestellte Hypothese (1) nenne ich „Die Hypothese

von Paralleluniversen aus Schwarzen wurmähnlichen Löchern.“

Sie würde

(a) die Ursache des Urknalls von neu entstehenden Universen und auch die

Energie-Alimentierung von und aus bereits existierenden Universen durch

die Energie von ausströmenden Schwarzen Löchern hypothetisch erklären.

(b) nicht den Kältetod als das Ende von Universen, sondern stattdessen die

Selbsterhaltung der Materie und Energie des Universums bzw. der

Universen durch die Realimentierung aus der Mega-Energie von Schwarzen

Löchern desselben Universums oder fremder Universen annehmen. Gäbe es

vielleicht sogar einen Zusammenhang der angenommenen Dunklen Materie

bzw. Dunklen Energie mit der verschluckten und höchst verdichteten

Energie der Schwarzen Löcher?

Meine laienhafte Hypothese dürfte von Physikern belächelt werden und

wohl eher falsifiziert denn verifiziert werden. Sie mag zu einfach, naiv und

zu schön sein, um wahr zu sein.

111

Page 112: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Bei der erweiterten Urknallhypothese (Big Bang) (2) nehmen manche

an, dass das Universum expandiert und sich abkühlt: durch den Kältetod

des von der (angenommenen) Dunklen Materie und Energie verursachten

inflationären Ausweitung des Universums. Bis das Universum deshalb

kollabiert (implodiert), um danach gravitationsbedingt wieder zu

expandieren (die sog. Bounce-back-Hypothese). Das Universum erschafft

sich also von selbst immer wieder neu.

(a) diese Hypothese erklärt ebenfalls nicht, was den ersten ursprünglichen

Urknall veranlasste bzw. woher die dazu nötige Energie kam. Sie erklärt

auch nicht, wo die Mega-Energie der nicht in ihrem eigenen Universum

ausstrahlenden Schwarzen Löcher schliesslich “landet“.

(b) Zudem: Ein Kältetod des Universums widerspräche dem Energie-

Erhaltungsgesetz der Physik, es sei denn, dass Teile der Materie und

Energie von Schwarzen Löchern durch deren Ausstrahlung in andere

Universen verloren ginge. Falls die nicht der Fall ist, ist ein Energieverlust

wegen des Energie-Erhaltungsgesetzes nicht möglich. Sollte aber zu viel

Energie der Schwarzen Löcher unseres Universums in andere Universen

ausgestrahlt werden, dann würde nicht genug Energie übrig bleiben, um

den Fortbestand unseres Universums zu sichern und damit wäre ein

Kältetod wahrscheinlich. Es sei denn, unser Universum würde genügend

kompensierende Energie aus den eigenen Schwarzen Löchern oder aus

fremden Schwarzen Löchern von anderen Universen erhalten, die den

Fortbestand unseres Universums sichern.

Eine weitere Hypothese ist jene der Multiuniversen (3): Es könnte sein,

dass sich im Weltall ausserhalb unseres Universums weitere Urknalle

ereignen und sich dadurch neue Universen bilden. Diese Hypothese

betrachtet die Universen als eine Art Seifenblasen in einem gigantischen

Urschaum. Die physikalisch angewandte mathematische Variante der

mehrdimensionalen Stringtheorie, genannt “M-Theorie“, beschreibt die

Hypothese von unserem Universum und anderer Universen als Blasen, die

in einem expansiven elfdimensionalen Multiuniversum treiben. Gemäss 112

Page 113: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

diesem Gedankenexperiment entstünden ständig neue Universen. – Nur

erklärt diese Hypothese wiederum (wie die Urknalltheorie) weder

(a) die “zündende“ Ursache des Ursprungs von Multiuniversen noch

(b) den weiteren Ablauf bzw. das Ende dieses Urschaums und seiner Blasen

(Universen) noch wann und wo die aufgesogene Mega-Energie der

Schwarzen Löcher wieder ausströmt. Auch die Bedeutung der

angenommenen Dunklen Materie und Dunklen Energie wird nicht genannt.

Diese Hypothese ist im Grunde genauso unvollständig wie die

Urknalltheorie eines einzigen Universums.

Mir scheint allerdings die Existenz mehrerer parallelen Universen genauso

wahrscheinlich wie die Existenz eines einzigen Universums.

Wie dem auch sei, ich bin der Meinung, dass meine Hypothese (1) die

klassische Urknall-Theorie sowie die Hypothesen (2) und (3) ergänzen

mag. In der klassischen Urknall-Theorie sowie in den Hypothesen (2) und

(3) werden die Bedeutung und der Verbleib der Mega-Energien von

Schwarzen Löchern einfach ignoriert und die Ursache des Urknalls sowie

der Ausgang bzw. das Ende des Universums bzw. der Universen

unbefriedigend erklärt oder teilweise unbeantwortet gelassen.

Meine Hypothese steht und fällt mit der Falsifizierung meiner

Annahme, dass es auch Schwarze wurmähnliche Löcher gibt, die

ihre Energie ausserhalb unseres eigenen Universums wieder

ausstrahlen. Oder anders gesagt, es müsste bewiesen werden, dass

es auch Schwarze Löcher gibt, die ihre Energie nicht nur in

unserem Universum wieder ausstrahlen. Denn dann dürfte man daraus

folgern, dass die Energie irgendwo ausserhalb unseres Universums

ausgestrahlt würde. Wie und wohin wurde in meiner oben dargestellten

Hypothese geschildert.

113

Page 114: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Unabhängig davon, ob meine Hypothese falsifiziert wird, wird man weiter

forschen und neue Hypothesen aufstellen. Auch ich werde mir darüber

weiterhin Gedanken machen.

Ich habe versucht, mich möglichst kurz zu fassen und mich bei den

verschiedensten Themen auf das Wesentlichste zu beschränken. Dies,

obwohl ich weiss, dass man sowohl über dieses Thema als auch über alle

übrigen Themen meines Schreibens fast unendlich lang weiter elaborieren

könnte. Und auf die Gefahr hin durch meine kurze Darstellung die

schwierigen Themen zu oberflächlich und laienhaft (deshalb eventuell

teilweise sogar fehlerhaft) behandelt zu haben.

Als begrenzter Mensch mache ich es mir wahrscheinlich zu einfach. Das

grossartige Universum ist wohl viel komplexer. Wir werden es

wahrscheinlich nie ganz erfassen und nur beschränkt begreifen können.

Trotzdem, irgendwo muss man anfangen. Ich bin zugegebener Massen nicht

die geeignetste Person dazu.

Nichtsdestoweniger habe ich als Laie das innige Bedürfnis, mir eine

eigene Meinung auch über solche Themen zu bilden. Wie Albert

Einstein einmal sagte: „Die Vorstellungskraft oder Fantasie ist

wichtiger als das Wissen.“ Dabei müssen einerseits die Grenzen

zwischen Metaphysik, Mystik und Esoterik bewahrt bleiben, und

andererseits sinnvolle von den sinnlosen Hypothesen auseinandergehalten

werden. Schliesslich sind die sinnvolleren, wahrscheinlicheren Hypothesen

auf ihre Richtigkeit wissenschaftlich zu prüfen oder zu verwerfen, falls sie

sich als falsch erweisen.

Die Physiker mögen mir verzeihen und meine laienhaften Hypothesen

korrigieren bzw. verwerfen.

Bleiben wir bescheiden gegenüber dem komplexen, bewundernswerten

Makrokosmos.

114

Page 115: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Ich wünschte, dass die Leser trotz allem von den dargelegten Erkenntnissen

und Hypothesen profitieren. Diese sollten eine von jedem kritisch zu

beurteilende Ausgangsbasis zur Erweiterung des eigenen Weltbildes bilden.

Und gleichzeitig für die Interessierten eine Anregung sein, daraus weitere,

eigene Gedanken und Schlussfolgerungen zu entwickeln.

In der Erweiterung des Weltbildes, im Aufzeigen der Begrenztheit

und Relativität unserer Erkenntnisse sowie der Subjektivität

unserer Wirklichkeit und derer angeblichen Wahrheiten sehe ich

die Nützlichkeit dieses Kapitels.

Als Übergang bzw. Einführung in das nächste Kapitel meiner Reflexionen

zitiere ich nicht immer wortwörtlich eine von Hans Küng (Professor für

Ökumenische Theologie) im Spiegel Nr. 42/1981 geschriebene Rezension

über das Buch von Hoimar von Ditfurth (vom Fernsehen bekannter

Journalist) Arzt, Naturwissenschaftler und Schriftsteller „Wir sind nicht nur

von dieser Welt“, EBVerlag 1981, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg,

1994 und Dtv 2000:

„Was immer die Bibel und eine statische mittelalterliche Weltschau vom

Anfang der Welt, des Lebens und des Menschen sagen mag, 400 Jahre nach

Kopernikus, 300 Jahre nach Galilei, 200 Jahre nach Kant und 100 Jahre nach

Darwin (allesamt damals vom kirchlichen Lehramt verurteilt), will Ditfurth

auch strenggläubigen römischen Katholiken, protestantischen

Fundamentalisten und naturwissenschaftlichen “Vitalisten“ (die an eine

Lebenskraft glauben) deutlich machen, dass Evolution ein universaler

Begriff ist, der die ganze Wirklichkeit von Welt, Leben und Mensch, der

Kosmogenese, Biogenese und Anthropogenese umfasst.

115

Page 116: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

So unvollständig unsere naturwissenschaftliche Welterkenntnis im

Einzelnen sein mag, soviel ist sicher: Das ganze Universum hat historischen

(und damit freilich auch provisorischen!) Charakter. So wie es ist, ist es

nicht gewesen und wird es auch nicht bleiben.

Das Ganze ist ein grosses >Spiel< von Zufall und Notwendigkeit, von

zufälliger Mutation und gesetzmässiger Selektion. >Naturgesetze steuern

den Zufall<, wie der Biologe Manfred Eigen formulierte. Oder im Sinne der

Quantenmechanik und Molekular-Biologie gegen Einsteins Spruch >Gott

würfelt nicht<: Gott würfelt doch, aber nach bestimmten Spielregeln.

Freilich – Gott? Warum hier doch von Gott sprechen? Macht die sich selber

organisierende Materie, die sich selber regulierende Evolution, Gott nicht

überflüssig, wie der Biologe und Atheist Jacques Monod in >Zufall und

Notwendigkeit< gemeint hat?

Selbst das naturwissenschaftliche Weltbild (da sollten Naturwissenschaftler

sich nicht täuschen) lässt die Frage nach Ursprung und Sinn des Ganzen

nicht verstummen, stellt also kurz gesagt die Frage nach Mensch und Gott.

Das Buch dieses engagierten Naturwissenschaftlers scheint der Prognose

engagierter Theologen heute recht zu geben: dass Naturwissenschaft und

Theologie nach einer Periode des feindlichen Gegeneinanders und dann des

friedlich-schiedlichen Nebeneinanders jetzt in eine Periode des kritisch-

dialogischen Miteinanders eintreten.

Wir sind von dieser Welt, aber wir sind nicht nur von dieser Welt! In drei mit

naturwissenschaftlichem Material reich belegten Gedankengängen versucht

Ditfurth deutlich zu machen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse den

Grundaussagen der Theologie nicht nur nicht widersprechen, sondern dem

theologischen Weltverständnis neue Wege der Deutung eröffnen können:

Erstens: Evolution und Schöpfungsglaube widersprechen sich nicht, sondern

die Evolution sei eine sich immer noch vollziehende Schöpfung zu

verstehen. – Es bestehe auch keine naturwissenschaftliche Ideologie, die

alle Welträtsel zu lösen und Gott aus der Welt hinauszuerklären

beansprucht. Vielmehr die Einsicht, dass die gesamte kosmologisch-

116

Page 117: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

biologisch-anthropologische Entwicklung sich in ihrem Ursprung nicht selbst

zu erklären vermag.

Zweitens: Diese unsere objektive Realität (die es meiner Ansicht nach

sowieso nicht gibt) schliesst eine transzendente Wirklichkeit nicht aus,

sondern lässt die Hypothese einer ganz anderen Wirklichkeit, einer

jenseits unserer Erfahrung, als wahrscheinlich erscheinen: die heute

evolutive Erkenntnistheorie, in der sich die philosophischen Einsichten

Kants und Poppers mit den naturwissenschaftlichen von Konrad Lorenz

verbinden, ist weit weg von der positivistischen Ideologie zu Beginn dieses

Jahrhunderts.“(Fortsetzung weiter unten).

Aus Wikipedia:

Der Positivismus ist eine Richtung in der Philosophie, die fordert,

Erkenntnis auf die Interpretation von „positiven“ Befunden zu

beschränken, also solchen, die im Experiment unter vorab definierten

Bedingungen einen erwarteten wiederholten Nachweis erbringen.

Der Positivismus geht in der Namensgebung und ersten

Institutionalisierung auf Auguste Comte (1798–1857) zurück und wurde

unter diesem und seinen Nachfolgern im 19. Jahrhundert vorübergehend

zu einem weltumspannenden humanistischen Religionsersatz ausgebaut,

der alles Transzendente aus den Überlegungen ausschloss. Zwischen der

erkenntnistheoretischen Position, die vor allem die

Wissenschaftsdiskussion auf sich zog, und dem institutionalisierten

Positivismus, der einen Religionsersatz anstrebte, entstanden im Verlauf

des 19. Jahrhunderts erhebliche Spannungen.

Fortsetzung zu Zweitens: „Unsere Sinnesorgane bilden nämlich die

Aussenwelt (deren Existenz ausserhalb unseres Bewusstseins wir nur in

einem Vertrauensakt annehmen können!) keineswegs ab, sondern deuten

sie (im Gegensatz zum Positivismus). – Das heisst, wir erkennen die

Wirklichkeit an sich nur partiell, stark vereinfacht, verschwommen. Der

Umfang der realen Welt sowohl im Makrokosmos wie im Mikrokosmos

117

Page 118: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

überschreitet den Horizont unserer Erkenntnis quantitativ wie qualitativ:

Der von Sternen erfüllte Weltraum – hundert Milliarden Galaxien von der

Grösse unseres Milchstrassensystems allein in dem von uns beobachteten

Teil des Kosmos – stellt sich für die Astrophysik als eine grenzenlose

Endlichkeit oder eine endliche Grenzenlosigkeit dar; und im subatomaren

Bereich kann auch die Quantenphysik >die Wirklichkeit< nur mit

mathematischen Formeln, mit Bildern und Metaphern zu umschreiben

versuchen. – Sowohl die unsere Vorstellung transzendierende

Vierdimensionalität des Raumes wie der paradoxe Korpuskel-Welle-

Dualismus im Innersten der Materie sind zwingende Hinweise darauf, dass

der Raum, in dem wir existieren, in Wahrheit eine – mindestens eine! –

Dimension mehr haben muss, als wir es uns vorzustellen vermögen. Eine

innerweltliche Transzendenz also, die die Frage nach einer total anderen

Transzendenz, von der die Religionen reden, wachruft.- Es gibt in jedem

Fall eine Wirklichkeit jenseits unserer Vernunft, auch wenn nur der Glaube

– und nicht die Beweise der Vernunft – in unserer Wirklichkeit eine

Wirklichkeit Gottes anzunehmen vermag.

Drittens: Diese Welt hat nicht nur einen Anfang (Urknall), sondern auch ein

Ende (wenn überhaupt bzw. nur für uns Menschen?): Wie wird es

aussehen? Gegen das fast unausrottbare anthropozentrische

(vorkopernikanische) Vorurteil, gegen allen menschlichen

Mittelpunktswahn, ist aufgrund neuerer Forschungen anzunehmen, dass

die Evolution auch auf anderen unter den unzählbaren Planetenmilliarden

zur Entwicklung von Leben und Bewusstsein geführt hat und somit zur

Existenz ausserirdischer, nichtmenschlicher intelligenter Lebewesen.

Gegenüber solchen Lebewesen, aber auch gegenüber unseren eigenen

Nachkommen, in deren Grosshirnrinde nach einigen Jahrhunderttausenden

neue Gehirnzentren entstanden sein mögen, erscheinen wir vielleicht

geradezu als die Neandertaler der Zukunft. Jedenfalls haben wir das Tier-

Mensch-Übergangsstadium noch nicht hinter uns und das Stadium des

Homo sapiens in Wirklichkeit noch vor uns.

118

Page 119: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

In der bisher letzten Phase der kosmischen Geschichte hat sich neben

Energie und Materie vor allem das Psychische als bis dahin unbekannte

Kategorie entwickelt: die unterschiedlichen Grade des Bewusstseins (das

teilweise auch Tiere haben) und besonders das Geistige, das aber

gebunden erscheint an das materielle Gehirn. Wie entstand der Geist?

Ditfurth möchte keinen idealistischen Standpunkt vertreten, nach welchem

ein ewiger Geist die Materie zeugte (Materie also Produkt des Geistes).

Freilich auch keine materialistische Sicht, der zufolge eine ewige Materie

den Geist hervorbrachte (der Geist Produkt der Materie). – Vielmehr wirbt

er für eine dualistische Auffassung, eine Parallelität (und Wechselwirkung)

von Geist und Materie, nach welcher der Geist selbstständig und

unabhängig von der Materie gegeben ist, und zwar aufgrund von

Möglichkeiten oder Prinzipien, die schon vor unseren Hirnen existierten, ja,

die von Anfang zusammen mit den Elementarteilchen, den

Naturkonstanten und Naturgesetzen vorhanden waren: Möglichkeiten oder

Prinzipien des Geistes, die als der Widerschein jener transzendentalen

Ordnung aufzufassen sind, ohne die es in der Welt keine geordneten

Strukturen gäbe. – In solcher Sicht hätte die Evolution es fertiggebracht,

unser Gehirn auf einen Entwicklungsstand zu bringen, der in ihm einen

ersten Reflex des Geistes einer jenseitigen Wirklichkeit entstehen lässt.“

Ich (Hans Küng) gestehe, dass mich der dritte Gedankengang seines

Buches, dem zumindest der Systematiker insgesamt eine etwas strengere

systematische Durchstrukturierung gewünscht hätte, nicht in gleicher

Weise überzeugt wie die beiden ersten. Von den Schwierigkeiten gegen

den psycho-physischen Parallelismus einmal abgesehen.

Meine Bemerkung: Der von Ditfurth vertretene Dualismus (Geist

unabhängig vom Gehirn) lässt unerklärt, wie denn der Geist auf die

Materie wirkt, ohne mit den Naturwissenschaften (Kausalität,

Energieerhaltung usw.) in Konflikt zu geraten.

Hans Küng führt seine Rezension weiter fort: „Die Gottesfrage stellt sich

erst recht: alles aus nichts und für nichts?“ Meine Reflexionen darüber als

Entgegnung: Die Sinnfrage ist für die Natur irrelevant, höchstens der 119

Page 120: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

instinktive Sinn des Überlebens zwecks Fortpflanzung bei den Lebewesen.

Für uns Menschen liegt es an jedem Einzelnen von uns, seinen eigenen

Sinn zu suchen und so auszuüben, dass er selber und seine Mitmenschen

glücklich werden. Unabhängig von uns Menschen waltet die Natur

zwischen Zufall und der biologischen, entwicklungsbedingten

Notwendigkeit, gemäss Jacques Monod, Darwin und Richard Dawkins.

Nichtsdestoweniger die Frage bleibt, woher die biologische Notwendigkeit

und die allererste Ursache des Weltalls stammen. Die wird durch das das

„Nicht wissen können“ des Agnostikers oder sonst nur durch den Glauben

oder das „Nicht glauben“ des Atheisten beantwortet.

Schlussworte der Rezension von Hans Küng:

„Es gibt nicht zwei Wahrheiten; das geistige Schisma zwischen

Naturwissenschaft und Religion ist aufzuheben, und Ditfurths Buch ist eine

Herausforderung dazu. Eine Herausforderung sowohl für jene Theologen

und Kirchenmänner, die naturwissenschaftliche Fragen und Ereignisse für

irrelevant halten, wie für jene Naturwissenschaftler, für die philosophisch-

theologische Fragen uninteressant sind.

Ja, wir sind nicht nur von dieser Welt. Der vor ca. 25 Jahren verstorbene

Naturwissenschaftler Hoimar von Ditfurth (1921-89) optiert – zwischen

Atheismus und Fundamentalismus – klar für eine religiöse Weltdeutung,

deren bildhafte, metaphorische, mythologische Aussagen freilich nicht

wörtlich historisierend, im Widerspruch zu naturwissenschaftlichen

Ergebnissen verstanden werden dürfen. – Gottesglaube wird so für den

Naturwissenschaftler nie eine Sache des rationalen Beweises sein,

hoffentlich aber auch nie nur eine der irrationalen Stimmung, wohl aber

eine Sache des Vertrauens, und zwar – und dies bestätigt Ditfurths Buch

höchst eindrücklich – des durchaus vernünftigen Vertrauens. Denn um

kein Haar besser als die Liebe, die blind macht, wäre der Glaube,

der blind macht;“ oder eine Wissenschaft, die überheblich und

absolut statt, von ihrer Begrenztheit bewusst, bescheiden auftritt,

füge ich im Sinne aller bisherigen Reflexionen hinzu, obwohl ich

nicht mit den Schlussfolgerungen Ditfurths übereinstimme.120

Page 121: Begrenztheit menschlicher Erkenntnis

Nützlicher Überblick:

Erkenntnistheorieaus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Dieser Artikel behandelt die philosophische Disziplin Erkenntnistheorie bzw. Epistemologie, in der es um die Bewertung und Begründbarkeit von Erkenntnis geht. Siehe auch den grundlegenden Artikel Erkenntnis, sowie den Artikel Épistémologie für die französische Strömung des 20. Jahrhunderts, die sich eingehender mit historischen Wissenformationen, „Epistemen“, befasste.

Die Erkenntnistheorie oder Epistemologie ist ein Gebiet der Philosophie, welches sich mit Fragen der Art befasst, wie Wissen zustande kommt, welche Erkenntnisprozesse denkbar sind, wie Wissen unter den verschiedenen Voraussetzungen begründet ist, und woran man erkennt, dass Wissen tatsächlich aufgrund von Erkenntnis angeboten wird. Von Interesse ist hier vor allem, welche Art von Zweifel an welcher Art von Wissen grundsätzlich bestehen kann.

Inhaltsverzeichnis

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1 Begriff o 1.1 Bedeutung als kritischer Metadiskurs o 1.2 Feld der wissenschaftlichen Methoden- und Theoriereflexion o 1.3 Debatte von historischer Signifikanz

2 Ein Diskurs der politisch pluralistischen Stadtstaaten: Erkenntnistheorie in der Antike o 2.1 Vorsokratische Philosophie o 2.2 Platon (427–347 v. Chr.) o 2.3 Aristoteles (384–322 v. Chr.)

3 Gnostik und christliche Spätantike 4 Teilgebiet der Theologie: Erkenntnistheorie im Mittelalter 5 Die Verlagerung theologischer Debatten: Erkenntnistheorie in der Frühen Neuzeit

o 5.1 Rationalismus 5.1.1 René Descartes (1596–1650) 5.1.2 Gegenpositionen: Hobbes (1588–1679) und Shaftesbury (1671–1713) 5.1.3 Baruch Spinoza (1632–1677) 5.1.4 Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)

o 5.2 Empirismus 5.2.1 John Locke (1632–1704) 5.2.2 David Hume (1711–1776)

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o 5.3 Idealismus 5.3.1 George Berkeley (1685–1753) 5.3.2 Immanuel Kant (1724–1804)

6 Erkenntnistheorie im Zeitalter der Nationalstaaten: 19. und frühes 20. Jahrhundert o 6.1 Von Hegel bis Schopenhauer: Rezeption und Zersplitterung des Idealismus o 6.2 Von Marx bis Lenin: Dialektischer Materialismus o 6.3 Von Comte bis zu Mach und dem Wiener Kreis: Positivismus o 6.4 Von Wittgenstein bis in den Poststrukturalismus: Der „Linguistic Turn“

7 Zwischen Konstruktion und Dekonstruktion von Wissensformationen: Aktuelle Debattenlandschaft

o 7.1 Die auf die kulturelle Konstitution von Wissen ausgerichtete Diskussion 7.1.1 Strukturalismus und Poststrukturalismus 7.1.2 Systemtheorie

o 7.2 Die auf den Erkenntnisapparat und die Informationsverarbeitung ausgerichtete Diskussion

7.2.1 Evolutionäre Erkenntnistheorie 7.2.2 Künstliche-Intelligenz-Forschung 7.2.3 Renaissance der Philosophie des Geistes

o 7.3 Die auf die Theorie der Wissenschaften ausgerichtete Diskussion 7.3.1 Wissen muss handhabbar bleiben: Pragmatismus 7.3.2 Anything goes: Optionen des Methodenpluralismus

8 Zitate 9 Siehe auch 10 Literatur 11 Weblinks 12 Einzelnachweise

Epistemologie (von griechisch ἐπιστήμη, epistéme – Erkenntnis, Wissen, Wissenschaft und λόγος, lógos – auch Wissenschaft, Lehre) ist eine auf das Griechische zurückgreifende Wortbildung. Das deutsche Wort Erkenntnistheorie wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchlicher, als sich ein praxisorientierter untheoretischer Umgang mit Erkenntnis in den Naturwissenschaften vom philosophischen theoretischen abspaltete. Die Auseinandersetzung mit Immanuel Kant (namentlich die Arbeiten Wilhelm Traugott Krugs) hatten den Begriff dabei Anfang des 19. Jahrhunderts vorformuliert. Philosophen wie John Locke und David Hume hatten im 17. und 18. Jahrhundert über das „Human Understanding“ (das menschliche Verstehen) ihre Grundlagenwerke geschrieben und sich dabei bereits in einer in die antike Philosophie zurückreichenden Tradition gesehen.

Die Begriffsbildungen auf Gnosis (von altgriechisch γνωσις, gnosis, Erkenntnis) in neugriechisch Γνωσιολογία[5] und spanisch Gnoseología[6] verweisen auf die philosophische Debatte der Spätantike zurück (dazu eingehender das Kapitel Gnostik und christliche Spätantike).

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