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GESPRÄCHSSTOFF: ARCHITEKTUR WAS ARCHITEKTUR HEUTE LEISTEN MUSS: INTERKULTURELL INTERNATIONAL INTERDISZIPLINÄR

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GESPRÄCHSSTOFF :

ARCHITEKTUR

WASARCHITEKTURHEUTE LEISTENMUSS:INTERKULTURELLINTERNATIONALINTERDISZIPLINÄR

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WASARCHITEKTURHEUTE LEISTENMUSS:INTERKULTURELLINTERNATIONALINTERDISZIPLINÄR

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Grußwort 05

StatementsProf. Matthias Böttger und Dietmar Steiner 06

Baumschlager EberleProf. Dietmar Eberle 08

BEHF Ebner Hasenauer Ferenczy ZT GmbHStephan Ferenczy 16

Behnisch ArchitektenStefan Behnisch 24

Berger +Parkkinen Architekten ZT GmbHAlfred Berger 34

blauraum architektenRüdiger Ebel, Volker Halbach, Carsten Venus 42

BWM Architekten und PartnerJohann Moser, Markus Kaplan 54

COOP HIMMELB(L)AUWolf D. Prix & Partner ZT GmbHProf. Wolf D. Prix 64

Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbHMuch Untertrifaller 72

gerner°gerner plus /arch. di andreas gerner zt gmbhGerda Maria Gerner, Andreas Gerner 84

Hadi Teherani GroupHadi Teherani 94

Hans Hollein & Partner ZT GmbHChristoph Monschein 104

ingenhoven architectsChristoph Ingenhoven 114

J. Mayer H. ArchitectsJürgen Mayer H. 126

kadawittfeldarchitekturGerhard Wittfeld 136

kister scheithauer gross architekten undstadtplaner GmbHProf. Susanne Gross 146

schneider+schumacher | architektenProf. Michael Schumacher 156

Impressum 167

I N H A LT

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 3

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LIEBERARCHITEKTUR-INTERESSENT!„Was Architekur heute leisten muss: Interkulturell, International, Interdisziplinär!“ ist der Titelunserer neuesten GROHE-Interviewserie, die damit Bezug nimmt auf die sich verändernden Anforde-rungen an Architektur. 16 Architekturbüros aus Österreich und Deutschland waren bereit, die Fragenach der Verantwortung von Architektur in der Gegenwart und Zukunft zu beantworten. Die meistender interviewten Architekten sind international tätig und beschäftigen sich von daher ständig mitunterschiedlichen Kulturen, politischen Systemen und Klimabedingungen.

Die zentrale Frage, die sich stellt: Gibt Architektur heute schon ausreichend Anregungen, Antwortenoder Rückmeldungen auf die globalen – und damit auch regionalen – Probleme unserer Zeit undZukunft? Wie reagiert Architektur beispielsweise heute auf die bereits stattfindende Klimaerwärmung?Welche Architektur braucht der Mensch, um die Folgen dieser globalen Erderwärmung zu bewälti-gen? Wie müssen unsere Städte der Zukunft aussehen, um die mehr als 7 Milliarden Menschen aufder Erde zu verkraften? Auch die Sorge in Hinblick auf den steigenden Meeresspiegel nimmt stetig zu.Stichworte wie „Der demografische Wandel“ und „Die globale Stadtorientierung“ erfordern neueArchitektur-Konzepte. Dass Lösungen für die drängenden Probleme ein interdisziplinäres Miteinanderunterschiedlicher gesellschafts- und naturwissenschaftlicher Disziplinen bedingen, ist allen interview-ten Architekten bewusst.

Die Bewertung von Architektur unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit ist selbstverständlichgeworden. Häufig werden allerdings Themen wie Energieverbrauch und Energiekennzahlen erheblichüberbewertet, was von den eigentlichen Aufgaben und Problemen ablenkt. Natürlich ist die Verringe-rung des Energieverbrauchs und die Minimierung des CO2 Ausstoßes im Sinne des Klimaschutzeswichtig. Aber genauso wichtig sind neben der Ökologie Komponenten wie Nachhaltigkeit, soziokultu-relle und ökonomische Aspekte und dabei die Betrachtung von Lebenszykluskosten.

Auch Professor Matthias Böttger vom Deutschen Architekturzentrum, Berlin, und Dietmar Steinervom Architekturzentrum Wien haben freundlicherweise auf den folgenden Seiten ihre Antwort aufdie Frage, was Architektur heute leisten muss, gegeben.

Wir hoffen, die folgenden Interviews finden Ihr Interesse.

Ihre

Sabine GotthardtDirector Business Development Architecture & Real EstateGROHE Deutschland Vertriebs [email protected]

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 5

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AUS DER SICHT DESKÜNSTLERISCHEN LEITERSDES DEUTSCHEN ARCHITEK-TURZENTRUMS:WAS MUSS ARCHITEKTURHEUTE LEISTEN?

Prof. Matthias BöttgerLeiter desDeutschen Architektur Zentrums DAZ

Architektur ist räumliche Anordnung und Materialisie-rung sozialer Beziehungen. Ihre grundlegendenAnforderungen sind unveränderlich. Menschen suchenSchutz, Gemeinschaft und Identität. Raum wird vonihnen erdacht, gebaut, erfahren, gelebt, produziert.

Architektonische Gestaltung darf dabei weder uber-noch unterdeterministisch sein. Sie muss die erwartetenFunktionen erfullen und gleichzeitig Möglichkeiten furAneignung und Anpassung schaffen. Dabei geht es ummehr als die Errichtung eines physischen Raumes.Architektonische Räume können mit kultureller Bedeu-tung aufgeladen sein, mit Atmosphäre und Ästethik.Sie können inspirieren, Impulse geben und Stellungnehmen. Architektur ist deshalb keine finale Antwort,sondern darf Frage bleiben. Architekten mussen heuteund in Zukunft offen fur Neues sein. Architektur ist immerein Eingriff in einen bestehenden Kontext.Es ist wichtig, Zusammenhänge nachzuvollziehen undumfassende Kenntnisse uber die Umwelt einfließen zulassen.

Architektur ist eine Manifestation von Wissen und jedesGebäude ein Zeichen seiner Zeit. Nur so entsteht Raum,gelebte und gebaute Umwelt, die in das bestehendegesellschaftliche Gefuge eingebettet ist. Es ist unmöglich,ein lebendes, funktionierendes System zu planen.Allerdings kann man Grundlagen und Potenziale dafurschaffen. Diese werden durch die Nutzer belebt, indemsie sich in den neuen Räumen ausbreiten.

Architektur muss deshalb leisten, was sie immer schonleisten sollte.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 6

S TAT E M E N T S

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AUS DER SICHT DESDIREKTORS DESARCHITEKTURZENTRUMSWIEN:WAS MUSS ARCHITEKTURHEUTE LEISTEN?

Dietmar SteinerDirektor desArchitekturzentrums Wien Az W

In der „postneomodernen” Architektur der letzten Jahr-zehnte erlebten wir einen globalen Boom von Icon-Buil-dings von Star-Architekten und von immer mehrindustrialisierten, global gleichen Business Districts undtechnologisch aufgerüsteten Housing-Investments, dienur auf die unbewohnte Wertsteigerung der Immobiliean sich ausgerichtet waren. Das alles hat zweifellos dieTechnologie des Bauens befördert, aber auch Millionenvon Neubau-Ruinen erzeugt. Aber hat sie neue Qualitätendes Architektonischen, Qualitäten des Raumes und desWohlbefindens befördert ?

Architektur, wenn sie ihren Wert als kulturelle Disziplinerhalten will, muss sich aus diesem global gleichenGeschäft der Bauwirtschaft verabschieden. Es gehtwieder um lokale Kulturen und regionale Identitäten,um Beteiligung der Bevölkerung und erklärte politischeWillensbildung für eine allgemeine Baukultur.

Sicherlich, das große Business und die Entwicklungneuester Bautechnologien wird weitergehen. Am arabi-schen Golf, in China, in Azerbaidjan oder Kasachstan,überall dort, wo Demonstrationen politischer Macht nachden entsprechenden technischen Höchstleistungeneiner vermeintlichen Modernität bei unbeschränktenBudgets dies verlangen. Wirklich totalitäre Diktaturenwie Turkmenistan oder Nordkorea folgen ohnehin ihremdisneyesken Retro-Stalinismus.

Aber für den Großteil der Welt ist ein anderer Wegder Architektur der Zukunft gefordert. Nicht zurück, wieviele bewußtlose Techno-Fetischisten meinen, sondernvorwärts im Erkenntnisgewinn über die alltäglichenNotwendigkeiten der Architektur. Die Architektur musssich wieder intensiv der globalen Behausungsfrageder Menschheit widmen. Das ist für das Leben derMenschen in den Städten und auf dem Land diedringendste Frage. Und sie verlangt neue Strategienund Konzepte, aber auch neue haustechnische undinfrastrukturelle Lösungen, die wahrscheinlich nur in derVereinfachung einer auf Erfahrung begründeten open-source-Technologie der historischen kulturellen Gebrauch-muster gefunden und neu formuliert werden kann.

Wir brauchen dafür keine „smart buildings“ sondern„stupid buildings“. Häuser, deren Bedienung jederversteht, die von jedem Menschen benutzt, bespielt,verändert werden können. Träumen wir also von einerWiederkehr der architektonischen Qualitäten. Dernachhaltigen Qualität von Baumaterialien, Details undOberflächen, von einer Architektur, die im Einklang mitregionalem Klima und Kultur räumliche Schöpfungenvollbringt, die als Hüllen zur Erhaltung der Körperwärmeebenso dienen, wie sie uns kultisch räumliche Erfahrun-gen ermöglichen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 7

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 8

Baumschlager EberleProf. Dietmar Eberle

Professor Dietmar Eberle (Jahrgang 1952) wurdein Hittisau, Bregenzerwald, Vorarlberg geboren.Von 1973 bis 1978 studierte er an der TechnischenHochschule in Wien und absolvierte dort seinDiplom. Von 1976 bis 1977 hatte er einen Arbeitsauf-enthalt im Iran und führte dort eine Städtebaustudiedurch. Von 1979 bis 1982 war er zusammen mitMarkus Koch, Norbert Mittersteiner und WolfgangJuen Mitbegründer der „Cooperative“ als Teil der„Vorarlberger Baukünstler". Seit 1985 betreibt ermehrere gemeinsame Büros mit verschiedenenGesellschaftern. Seit 1983 nimmt er Lehrtätigkeitenin Hannover, Wien, Linz, Zürich, New York und Darm-stadt wahr. Im Jahr 1999 erhielt er seine Professurfür Architektur an der Eidgenössischen TechnischenHochschule (ETH) in Zürich. Prof. Dietmar Eberle istMitglied der Kammer der Architekten und Ingenieur-konsulenten für Tirol und Vorarlberg, der BayerischenArchitektenkammer, dem Schweizerischer Ingenieur-und Architektenverein, dem L'Ordre des Architecteset des Ingénieurs-Conseils (OAI) Du Grand-Duchede Luxembourg und Ehrenmitglied des AmericanInstitute of Architects.

Zu den bekanntesten Projekten zählen dasTerminal 1 A am Flughafen Wien, das Bürogebäudeder WHO/UNAIDS in Genf, die UniversitätLa cité des science in Belval sowie E-Science Labder ETH Zürich.

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Architekten müssen heute eine Verantwortungübernehmen, die in die Zukunft reicht und daherviel mit Nachhaltigkeit zu tun hat:Nachhaltigkeit bedeutet neben dem Aufbereitender technischen Grundlagen auch das Ausloten

der ästhetischen, sozialen und kulturellen Werte, die zur Anerkennungvon Architektur führt. Erst eine Architektur, die von Nutzern undPassanten geachtet wird, lebt länger und ist damit auf eine Weisenachhaltig, die ihresgleichen sucht.

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 9

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P R O F . D I E T M A R E B E R L E

GROHE: Herr Professor Eberle, was bedeutetSchönheit für Sie?

Prof. Dietmar Eberle: Schönheit ist für mich, wenn sichfür Dinge, die mir vertraut sind, eine neue Ebene vonQualität entwickeln lässt. Ich denke, das ist bei mir wiebei den meisten Menschen: dass Schönheit nur inAbgrenzung und Relation zur Vergangenheit gesehenwerden kann. Das höchste Maß an Schönheit ergibt sich,wenn aus einer Vertrautheit heraus eine neue Form ent-steht. Allerdings ist der Begriff Schönheit auch ein sehrantiquierter Begriff. Heute werden eher Begriffe wie dasAußerordentliche oder das Spezielle verwendet.

Es gibt Stimmen, die sagen, es gäbe nur nochEinzelfälle schöner Architektur. Welche Einstellunghaben Sie dazu?

Ein Großteil von dem, was unter dieser Prämisse heuteentsteht, stellt meines Erachtens keine Schönheit dar. AusGesichtspunkten des Marketings und der Generierungvon Aufmerksamkeit hat es jedoch durchaus eine Quali-tät. Wenn Sie mich fragen, ob ich das für langfristig gültigerachte, würde ich eher nein sagen. In der Regel ist esein Ausdruck sich emanzipierender Gesellschaften, dasheißt, Vieles, was wir heute unter Schönheit verstehen,entsteht in einer Selbstfindungsphase.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 10

DIE ARCHITEKTUR VONHEUTE IST EIN ABBILDDER ORIENTIERUNGS-LOSIGKEIT UNSERER ZEIT.

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Viele Ihrer Kollegen sagen wiederum, Architekturdarf nicht außergewöhnlich sein. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, dass ein Moment der Vertrautheit und damitIdentität langfristig mehr Gültigkeit besitzt. Ein neuesDenken – die Moderne – bedeutet immer einen Bruchmit der Vergangenheit beziehungsweise mit der Ge-schichte.

Was beinhaltet Ihr Prinzip der Moderne?

Die Moderne des 20. Jahrhunderts war in ihren Grund-sätzen fokussiert auf ein paar Prinzipien wie den Glaubenan die industrielle Produktion und an eine Idee des neuenMenschen. Die Folge für die Architektur war das Beschäf-tigen mit Wohnen in seiner breitesten Form, also in allenKategorien, vom elitären Einfamilienhaus bis zum Woh-nen am Existenzminimum. Einerseits bestand ein hohesAnspruchsniveau, andererseits standen nur wenige mate-rielle Mittel zur Verfügung. Dennoch war dieses Vorgehensehr erfolgreich. Das Denken in industriellen Kategorienhat dazu geführt, dass der Lebensstandard von einembreiten Teil der Bevölkerung gewachsen ist. Dieser Wohl-stand ist der Erfolg der Moderne. Zudem wollte die Mo-derne seit Beginn die Stadt des 19. Jahrhunderts durchdie Siedlung ablösen. Die wesentliche Idee der Siedlung,eine Verknüpfung von Natur und Kultur, beeinflusst bisheute den deutschen Städtebau. Es gibt bis heute nichtsso Angenehmes wie die Begrünung, wobei durch dieseBegrünung eines zerstört wird, nämlich die Idee der Stadtund die Qualität der Stadt. Die Idee der Natur spielt spe-ziell in der deutschen Architekturgeschichte eine großeRolle als Ordnungsprinzip und Vorbild.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 11

Warum tun sich viele Menschen so schwer, sichmit der Moderne zu identifizieren?

Kurz gesagt: Immer dann, wenn Menschen nicht mehran die Qualität des Kulturellen, das heißt an menschlicheLeistung glauben und in eine Krise geraten, wenden siesich der Natur zu. Wir stehen am Beginn des 21. Jahrhun-derts und stellen etwas betrübt fest, dass das quantitativeWachstum keine Form von Qualität darstellt oder wirnehmen die Qualität des Quantitativen nicht mehr wahr,weil sie gleichzeitig jede Menge Probleme mit sich ge-bracht hat: Erstens können wir bezüglich der Ressourcenmit dieser Strategie nicht weiterfahren, weil wir sie unsweder ökologisch noch ökonomisch leisten können.Zweitens müssen wir nüchtern feststellen, dass Wohlbe-finden und Identitätsfindung in dieser riesigen Baumassenicht funktioniert haben. Drittens haben sich unsereWertvorstellungen und der Anspruch an Gebäude sosehr geändert, dass wir viel davon nicht in diesen Gebäu-debeständen wiederfinden. Jetzt stellt sich die Frage,was wir von diesen Erkenntnissen nutzen und dramatischändern müssen.

In Deutschland will man Gebäude wie z.B. Schlösserteilweise rekonstruieren. Wie stehen Sie dazu?

Diese Sehnsucht nach alten Schlössern oder Kirchen, dieirgendwann zerstört worden sind, ist für mich teilweiseeine Bankrotterklärung der kulturellen Entwicklung. Ande-rerseits drücken diese Sehnsüchte etwas vollkommen Le-gitimes aus, nämlich das Bedürfnis nach Identitätsstiftungund -findung, die durch die moderne Architektur nichtoder nur in ganz kleinen Bruchstücken bewältigt wurde.Das, was wir seit 30, 40 Jahren diskutieren, ist doch, dassdie emotionale Dimension eines Produktes wichtiger istals die funktionale. Um die emotionale Dimension in derArchitektur zu erreichen, brauchen wir Verbindlichkeit, diezu Vertrautheit führt, was für die Menschen unendlichwichtig ist. Das hat überhaupt nichts zu tun mit dem rea-len Vorhandensein eines Schlosses, denn ein Großteil derLeute, die es heute verteidigen, haben es nie gesehen. Essind die von dem Schloss überlieferten Bilder, von denenwir alle wissen, dass sie immer Beschönigungen der Rea-lität waren. Es ist zuerst einmal eine große Sehnsuchtnach Qualität, die wir mit moderner Architektur nicht be-wältigen. Wenn Sie sich fragen, warum Leute immerwieder gegen neue Projekte und Verbesserung sind, dannist es der Verlust der Vertrautheit. Insofern glaube ich,dass Vertrautheit eine ganz wesentliche Dimension vonArchitektur ist.

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Von wem wird Ihrer Meinung nach heute dieBaukultur geprägt? Wir denken da an Solitäre oderArchitektur, bei der es darum geht, sich abzuheben.Ist das Ihrer Meinung nach heute noch der zeitge-mäße Ansatz?

Ich denke nicht, dass einzelne Personen die Baukultur de-terminieren, das ist doch nur ein minimaler Prozentanteil.Letztlich ist Baukultur zu 99,9 Prozent nicht besondersmedientauglich, sondern bestimmt den Alltag des Gebau-ten. Das ist die Baukultur, die sozusagen jeden Tag prakti-ziert wird. Und diese 99,9 Prozent interessieren michletztlich mehr. Eine Stadt, eine Siedlung oder ein Dorf istgeprägt von der großen Masse des Gebauten, selbstwenn sie durch einige wenige Monumente strukturiertwird. Darüber besteht ein großes Missverständnis, sodass mancher probiert, aus jeder noch so bescheidenenöffentlichen Toilette ein Monument zu machen. Ich sage:Wo die Baukultur wirklich stattfindet, ist nicht in denMonumenten, sondern in den 99,9 Prozent des übrigenBauvolumens. Dann kommen wir aber zu der für michäußerst wichtigen Frage der Konvention, des CommonSense, was eine Stadt ausmacht, und das ist etwas äu-ßerst Regionales. So kommt es, dass München Münchenist und Hamburg Hamburg und London London. In denletzten Jahren probieren wir, über das Prinzip der Monu-mente Alltagsaufgaben zu bewältigen, stehen dann je-doch immer etwas orientierungslos und peinlich berührtdavor und sind frustriert, weil es dem ursprünglichenAnspruch nicht gerecht wird.

Die Krise hat zum Umdenken und Nachdenkengeführt. Es gibt Kollegen, die es heute schon wiederbereuen, sehr teure Projekte angefangen und umge-setzt zu haben. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Ich möchte das gar nicht an einzelnen Elementen fest-machen. Wir sind in einer viel grundsätzlicheren Krise,weil viele Phänomene unserer Gesellschaft, die wir kon-struiert haben, in Zukunft nicht mehr funktionieren. Ichsagte bereits, dass Architektur die Wertvorstellungen unddie Situation einer Gesellschaft abbildet und damit auchim Moment dieses krisenhafte Umorientieren der Gesell-schaft. Daran ist nichts schlimm. In einem historischenKontext betrachtet befinden wir uns einfach in einerÜbergangszeit.

Aber wofür steht dann die moderne Architektur,wenn sie diese Grundbedürfnisse nicht befriedigt?

Die Architektur von heute ist ein Abbild der Orientie-rungslosigkeit unserer Zeit. Architektur reflektiert undrepräsentiert so sehr den Zustand der Zeit wie keineandere Disziplin. Aufgrund ihrer materiellen Haltbarkeitbleibt sie langfristig ein materielles Dokument der jeweili-gen Epoche, aus der sie stammt. Betrachten wir bei-spielsweise die Denkmalschutzdiskussionen, können wirobjektiv feststellen, dass ein Gebäude in Bezug auf denGebrauchswert, die Ökonomie und die Technik sehrschlecht sein kann und dass es dennoch erhalten bleibt,einfach, weil es ein dokumentarisches Werk der jeweili-gen Entstehungszeit ist. Und genauso geht es unsererheutigen Architektur.

Wann ist eine Architektur für Sie fortschrittlich?

Wenn sie es schafft, aus den Vertrautheiten des Ortesneue Qualitäten auf einer höheren Stufe zu definieren.Ein gutes Beispiel ist Mies van der Rohe. Er warfortschrittlich, weil es ihm gelang, die Vorbilder undPrinzipien des Klassizismus auf eine andere Ebene zutransportieren, ohne den Prinzipien untreu zu werden.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 12

P R O F . D I E T M A R E B E R L E

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Wie empfinden Sie ganz persönlich als Menschdiese Übergangszeit?

Extrem spannend. Ich mag Veränderungen. Alle Krisen,die wir durchgemacht haben, waren immer Krisen, umFortschritte zu erzielen. Ich gehe davon aus, dass diejetzige Umorientierung, die global von der Abwendungdes Quantitativen und einer Hinwendung zum Qualitati-ven führt, ein großer Fortschritt in der Kulturgeschichtesein wird.

Was bewegt Sie momentan wirklich tiefim Bereich Baukultur?

Bernhard Rudowski, ein ehemaliger Professor in Harvard,hat sich mit anonymer Architektur beschäftigt. Diese an-onyme Architektur ist geprägt von der Suche nach demSelbstverständlichen. Diese Form von Selbstverständlich-keit können Sie in Alpentälern zum Beispiel anhand vonalten Bauernhäusern sehen. Sie fragen sich nicht, auswelcher Zeit die wohl sind. Sie sind selbstverständlich daund eine Bereicherung des Ortes. Ebenso in Paris. WennSie nach Paris fahren, fragen Sie sich nicht, von wemdiese Fassaden sind, sondern Sie genießen einfach dieAtmosphäre, die in diesen Straßen herrscht. Das einzelneObjekt trägt subtil, aber präzise dazu bei, eine bestimmteAtmosphäre in der Stadt mitzubestimmen. Insofernglaube ich, dass wir uns mit einer ganz einfachen Fragebeschäftigen müssen: Was trägt das Gebäude, das wirals Einzelobjekt gestalten, tatsächlich zur Qualität des öf-fentlichen Raums bei? Das ist vielleicht die wichtigstegesellschaftliche Veränderung auf einer kulturellen Ebeneim 20. Jahrhundert, nämlich, dass die Ästhetik die Ethikablöst.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 13

Was hat Sie als Mensch am meisten geprägt?

Ich komme aus einem Dorf in den Bergen. Dort habeich beobachtet, dass der Großteil der Bewohner ganzernsthafte Leute sind, die versuchen, aus ihren Möglich-keiten das Beste zu machen. Das, denke ich, ist dieVerantwortung, die ich bis heute lebe. Das hat michgeprägt.

Stellen Sie sich vor, Sie haben als Mensch undArchitekt drei Wünsche frei. Welche wären das?

Ich bin wahnsinnig dankbar für die Situation, in der ichleben darf. Wenn ich mir irgendetwas wünschen würde,dann wäre es vielleicht, dass ich das Gleiche, was ichjetzt weiß, vor 30 Jahren schon gewusst hätte. Derzweite Wunsch wäre, einen Teil einer Stadt bauen zukönnen, egal wo. Der dritte Wunsch ist: dass wir denMut haben, an unsere Zukunft zu glauben.

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BAUMSCHLAGEREBERLEBüronameBaumschlager Eberle

BüroinhaberProf. Dietmar Eberle und Geschäftsleiter der Büros

Gründungsjahr1985 von Prof. Dietmar Eberle undProf. Carlo Baumschlager

Standorte des BürosLochau, Vaduz, Wien, St. Gallen, Zürich, Hong Kong,Berlin, Hanoi, Paris

Mitarbeiter114

ProfilArchitektur, Stadtplanung, Generalunternehmer

Die wichtigsten GebäudeE-Science-Lab ETH Zürich, Nordwesthaus Fußach,Check-in 3 Erweiterung Flughafen Wien

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 14

Nordwesthaus, Fußach (AT), 2008

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Check-in 3 Erweiterung, Flughafen Wien, 2012

ETH Zürich e-Science Lab, Zürich, 2009

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 15

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BEHFEbner Hasenauer FerenczyZT GmbHStephan Ferenczy

Stephan Ferenczy (Jahrgang 1960) wurde inHamburg geboren. Er studierte an der Akademieder bildenden Künste in Stuttgart sowie an derHochschule für Angewandte Kunst in Wien underhielt dort 1991 sein Diplom. Im Jahr 1995 wurdedas Büro BEHF Architekten von Susi Hasenauer,Armin Ebner und Stephan Ferenczy gegründet.Derzeit umfasst das Team ca. 100 Architekten.

Zu den bekanntesten Projekten von BEHF Architek-ten zählen der A1 Flagshipstore, die Wohnhaus-anlage Vorgartenstraße und das Restaurant Mottoam Fluß in Wien sowie das Hotel Loisium in derSüdsteiermark.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 16

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Architektur muss mit Anspruch auf Qualitätenund Inhalte gekonnt die Absichten ihrer Auftrag-geber übersetzen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 17

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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S T E P H A N F E R E N C Z Y

GROHE: Die Welt verändert sich stetig! Wie habensich in dieser veränderten Welt die Anforderungenan die Architektur verändert?

Stephan Ferenczy: BEHF ist eigentlich zu jung, umdiese Frage zu beantworten. Ich sehe keine wesentlichenVeränderungen im Berufsbild des Architekten. DieGrenzen der Architektur weiten sich laufend. Die Mittelder Kommunikation haben sich revolutioniert, bauphysi-kalische Anforderungen haben sich verändert – dieseBeispiele betreffen eine Gesellschaft und eine Wirtschaft.Die Aufgabe der Architektenschaft, auf solche Verände-rungen zu reagieren, ist immanent. Architekten reagierennicht nur auf Veränderungen, sondern sie sind Verändererund waren immer Veränderer.

Unterliegt die zeitgenössische Architektur IhrerMeinung nach zu sehr Trends? Einige sprechen auchvon der „Tyrannei der Kreativität“.

Nein, im Gegenteil. Die Gegenwart stellt eher eine Zeitder Trendlosigkeit dar. Das betrifft nicht die technisch-wirtschaftlichen Standards sondern vielmehr den Auftrittund die Wahrnehmung der Architektur. Wenn es eineTyrannei gibt, dann die der Flachheit.

„Reduce Reuse Recycle“ war das Thema desdeutschen Beitrags auf der letzten Architekturbien-nale in Venedig 2012. Ist das für Sie ein denkbarerLösungsansatz, den Architektur leisten kann bzw.sollte? Nach dem Motto: „Das Alte ist das Neue“oder „Less is more.“

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 18

WENN ARCHITEKTENVERSTEHEN, DASS SIEDIENSTLEISTER SIND,DANN KÖNNEN SIEERFOLGREICH SEIN.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 19

Die Haltung, mit Substanz sorgsam umzugehen – auchoder besonders, wenn sie nicht attraktiv ist oder unter-schiedlichste Mängel aufweist – ist bereits seit geraumerZeit geboten. In Österreich ist das nicht wirklich sorevolutionär, wie es in Deutschland eine ziemlicheVeränderung darstellen würde.

Lediglich 2 -5 % der Privathäuser in Deutschlandwerden von Architekten gebaut. Sollten dieArchitekturmodelle mehr den Wohnbedürfnissender Bürger entsprechen? Wie verhält sich dieLage in Österreich?

Ich kenne die genauen Zahlen für Privathäuser in Öster-reich nicht. Grundsätzlich gilt, dass die Architektenschaftselbst für das ihr nicht entgegen gebrachte Vertrauenverantwortlich ist. Selbstverständlich stellt die Erfüllungder Bedürfnisse eines Bauherrn eine vornehme Aufgabedar. Professionelle Bauherren nehmen sich daher profes-sionelle Architekten.

Die Alterung unserer Gesellschaft, die Einflüsse derunterschiedlichen Kulturen in Deutschland, Migrationund Segregation verändern unsere Städte. Gesamt-antworten im Städtebau und Hochbau sind zu finden.Käme nicht die Idee, dass Architekten viel intensivermit anderen gesellschafts- und naturwissenschaft-lichen Disziplinen zusammen arbeiten könnten, umintegrale Lösungen für die drängenden Probleme zufinden, einer Revolution des Berufsbilds gleich?

Ich sehe keine revolutionäre Berufsbildänderung, daArchitekten immer das Bild der Gesellschaft gespiegelthaben und Architektur immer eine integrale, überdisziplinäre Auseinandersetzung darstellt. Das Verlangennach den sich unterstützenden Kooperationen vonWirtschaft und Geist wäre revolutionär.

Wie empfinden Sie die derzeitige Diskussion umArchitektur hierzulande?

Es gibt verschiedene Diskussionen, eine sehr wichtigeist die des geförderten Wohnungsbaus. Hier stellen sichspannende Fragen wie: Welche Rolle übernimmt derStaat? Welche Ziele sind wichtiger, Nachhaltigkeit oderWirtschaftlichkeit? Und es gibt noch die Diskussionen,wie sich kommerziell orientierte Immobilien entwickeln.Auch da geht es um Nachhaltigkeit, ökologisches Bauenoder das Schaffen von Qualität. Die grundsätzliche Frageist schon seit langem: Was ist Architektur und welchenWert hat sie?

Wie sieht es denn Ihrer Meinung nach mit ebendieser gesellschaftlichen Relevanz von Architekturaus?

Vielleicht oder ganz wahrscheinlich liegt die Zukunft ineiner Stille und in einer Professionalität. Sicherlich wärees aufregend, ein Star-Architekt zu sein, denn es bestehtgemeinhin ein Bedürfnis, auf das Genie zu treffen. AberArchitektur ist teilweise etwas sehr Trockenes. Wie in derPolitik gibt es nicht nur ein Gesicht und einen Auftritt,sondern banale Arbeit und Pragmatik. Dazu braucht eseigentlich keine Stars, sondern Solidität im Geist und inden Muskeln. Klugheit kommt nicht von Wichtigkeit.Deshalb stellt sich die Frage, ob eine Gesellschaft ihreArchitekten so pflegt und mit ihnen so umgeht, dasseine kluge Umwelt entsteht.

Hat Architektur vielleicht auch deshalb einen zugeringen Stellenwert in der Gesellschaft, weil sieso selbstverständlich erscheint?

Es gibt Architektur ohne Architekten. Sind wir also alleArchitekten? Ich bin der Meinung, ja. Spätestens wennich mein Schlafzimmer einrichte oder ich mir nicht reinre-den lasse, wie mein Einfamilienhaus ausschaut, sind wiralle Architekten.

Ist es als Architekt schwierig, im Zuge des Einflussesvon Medien eine eigene Haltung zu bewahren?

Nein, hier zählt immer die eigene Entschlossenheit.Die Frage ist, ob es schwierig ist, sich wirtschaftlichzu positionieren oder seinen Anspruch durchzusetzen.Der Architekt steht, wie viele andere Berufe auch, nichtalleine da. Er ist vergleichbar mit dem Berufsstand desBildhauers. Dieser kann auch nicht von morgens bisabends auf Halde produzieren und dann hoffen, dassjemand etwas kauft. So sind auch wir abhängig vomBedarf und von einer Wirtschaft, die mit dem Produkt

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ist und weniger sich selbst verwirklichen will. Das halteich für einen ganz wichtigen Beitrag in der Architektur.Ich glaube, wenn Architekten verstehen, dass sie Dienst-leister sind und auf ihre Wirtschaftlichkeit achten müssen,dann können sie erfolgreich sein.

Worin sehen Sie den Sinn Ihrer Aufgaben?

Mit diesem Thema beschäftige ich mich sehr intensiv.Ich befinde mich bei den verschiedenen Projekten immerwieder in der Reflexion über meine Rolle und Aufgabe.Am Anfang eines Gesprächs bin ich damit beschäftigt,kreativ zu sein und schöne Lösungen zu finden. Danachkommt die Frage der Wirtschaftlichkeit und danach diePhase, in der es verschiedene Einwände gibt und ich dieEhefrauen oder die Vorstände überzeugen muss. BEHFArchitekten sehen ihre Arbeit darin, sich stets im Klarenüber ihre Aufgaben und ihre Rolle in einem Projekt zusein und das laufend zu kontrollieren. Das ist der wesent-liche Auftrag eines Kapitäns und eines Architekten.

Welche Bedeutung hat für Sie die erste Skizze?

Eine sehr große. Die wichtigste und schönste, aberauch herausfordernste Tätigkeit ist ganz am Anfang eineRichtung festzulegen und einen Geist zu definieren.Dieser kann sich gut in der ersten Skizze ausdrücken.Oft lässt sich jedoch erst im Rückblick sagen, was eigent-lich die „erste Skizze“ war. Denn es gibt nicht den einenentscheidenden Strich, sondern das Ganze ist ein Pro-zess, der einen dazu bringt, die Richtung und den Wegfestzulegen. Die erste Skizze ist dann eher eine Metapherdafür, was unser Ziel ist.

Viele Architekten fragen sich: Ist mein Entwurfauch originell? Geht es Ihnen auch so?

Originell, wertvoll oder findet der Entwurf Beachtung, hater Bestand. Ich sage: Das Originelle kann auch darin lie-gen, die optimale Lösung auf die jeweilige Problemstel-lung gefunden zu haben. Ich finde, dass Architektur nichtzu schlicht, zu klar und zu einfach sein kann. Generell binich ein Freund der Zurückhaltung und der Vornehmheiteines Projektes.

Ein Kollege sagte, Architektur habe ihre Aufgabedann erfüllt, wenn sie unbewusst wahrgenommenwird, wenn sie nicht laut ist. Wie sehen Sie das?

Ich halte es für völlig legitim, wenn Architekten denWunsch des Bauherrn erfüllen, aufzufallen. Z.B. ein Ein-kaufszentrum in einem Vorort hat zwei Möglichkeitenaufzutreten: unsichtbar, schlicht zu sein oder raffiniert

Architektur handelt. Das heißt, wir müssen mit derWirtschaft kooperieren. Ein Architekt ist nur ein Bausteinim Gefüge, das Entscheidungen trifft und Gesetzen undRegeln unterliegt.

Architekten stehen unter einem enormen Kosten-druck. Würden Sie sagen, dass Qualität früher einengrößeren Stellenwert hatte?

Echte Qualität war früher einer ganz dünnen Schichtvorbehalten und hat sich im Zuge der Demokratisierungverändert. Die Bevölkerung redet jetzt mit und damit fin-det eine gewisse Verflachung statt. Das gilt aber auchfür andere Bereiche wie die Medizin, Wissenschaft, Politikund Wirtschaft. Es gibt einen gewissen Populismus, sodass sich Entscheidungen nicht mehr alleine treffenlassen. Das führt zwar zu mehr Gerechtigkeit und Ausge-glichenheit, aber eben zu einer schwächeren Haltung derArchitektur. Das verlangt dann vom Architekten mehrDurchsetzungsvermögen und mehr Überzeugungskraft.

Wir reden alle über Nachhaltigkeit, die meistenInvestoren konzentrieren sich allerdings auf die Ren-ditemaximierung, und das hat mit Nachhaltigkeit undQualität nicht mehr viel zu tun. Was meinen Sie?

Die Entscheidung über Qualitäten und Nachhaltigkeit inder Architektur werden vom Bauherrn und nicht vomArchitekten getroffen. Der Architekt ist ein Dienstleister,der aufgefordert wird, bestimmte Dinge zu leisten. Hinzukommt, dass wir wie in vielen anderen Bereichen einegewisse Sättigung am Markt haben. Somit stellt sich dieFrage, wie viel Architektur noch nötig ist. Im Rahmendessen gilt es darüber nachzudenken, worum es wirklichgeht. Müssen wir größere Wohnungen bauen? Wachsenwir in Gestalt und Qualität? Hier hat sich die Aufgabe desArchitekten inzwischen sehr verändert.

Ist der Architekt von Morgen darauf vorbereitet?

Ich glaube schon. Ich bin der Meinung, dass die Architek-turausbildung immer noch sehr anspruchsvoll ist. DerGeist ist da, das ist das Beruhigende. Auf Seiten der Inve-storen werden wir abwarten müssen, was aus Europawird und wofür oder wogegen wir uns entscheiden. Eswird möglicherweise bald wichtiger sein, Kindern etwaszu essen zu geben als neue Marmorhotels zu bauen.

Gibt es eine Architektur der Zukunft, die IhnenHoffnungen macht?

Auf jeden Fall. Es gibt eine Architektur, die sehr stark anden Bedürfnissen ihrer Kunden und ihrer Nutzer orientiert

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 20

S T E P H A N F E R E N C Z Y

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und

aufregend. Ich finde, das kann im Grunde jeder entschei-den, wie er will – wobei ein unsichtbares Shoppingzen-trum eben keinen wirklichen Sinn macht. Es müssen dieörtlichen Qualitäten, der genius loci berücksichtigt wer-den. Ein Einkaufszentrum kann eine intakte Landschaftoder Innenstadt verschandeln, aber auch einer öden Ge-gend Charakter und Kraft verleihen. Es war immer aufre-gend und notwendig darüber nachzudenken, wie manharmonische Strukturen mit moderner Architektur erzeu-gen oder erhalten kann. Wir müssen den modernenAufgaben an Nutzung und Gestaltung entsprechen – denVorschlag von Le Corbusier, die Altstadt von Stockholmabzureißen und stattdessen fünf Hochhausscheibenaufzustellen, teile ich deswegen nicht.

Welche Bedeutung hat Farbe für Sie in der Archi-tektur? Ist sie einfach nur zum Anstreichen oder eingestalterisches Element?

Grundsätzlich geht es mir um Qualitäten, um Oberflä-chen, um Materialien, um Wahrheiten. Die Farbe über-tüncht das oft. Von Natur aus hat Stahl eine Farbe, hatHolz eine Farbe, hat eine raue Oberfläche eine andereFarbe als eine glatte Oberfläche. Wenn es um gemalteFarbe geht, sage ich: Wenn sie nicht dazu dient, mitbilligen Mitteln nur Effekte zu erzeugen, dann bin ichein großer Freund von Farbe.

Gibt es bei Ihnen Momente des Selbstzweifels undwie gehen Sie damit um?

Sie meinen Selbstzweifel über die Sinnhaftigkeit meinerAufgabe oder ob ich es richtig mache? Weder noch.Es gibt eine große Nachfrage seitens unserer Bauherren,die Architektur zum Glück für nötig und für relevanthalten. Damit bin ich erfüllt. Immer wieder, wenn ichirgendwo hinfliege oder -fahre oder auf eine Baustellegehe und mich mit Leuten bespreche bzw. ihnen zeigendarf, was ich mir überlegt habe, dann weiß ich, wieschön es ist, diesen Beruf gewählt zu haben.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 21

Gab es in Ihrem Leben einen impulsauslösendenMoment, in dem Sie sagten: Ich will Architektwerden, ich will Räume für Menschen bauen?

Als ich geboren wurde. Mein Urgroßvater war schonArchitekt und ich komme aus einer Familie, die sichständig mit diesem Thema beschäftigt hat. Meine ganzeKindheit lang bin ich erzogen worden, wie „geschmack-los“ Menschen sind, die keine schöne Architektur undhässliche Fliesen im Badezimmer haben. Erst späterhabe ich begriffen, dass das nicht ausschließlich daswichtigste Thema im Leben ist. Aber dieses Strebennach überlegter qualitätvoller Anmutung hat michgeprägt und steckt in mir.

Für welche Person würden Sie einmal bauen?

Ich finde jede Aufgabe spannend und bin dabei mit sehrwichtigen Entscheidungsträgern und interessanten Men-schen zusammen. Allerdings wollte ich schon immergerne eine Yacht bauen und zwar für jemanden, der nichtein altes Onassis-Bild nachbasteln will, sondern der wirk-lich offen ist für klare elegante Formen. Das fände icheine tolle Aufgabe, weil sich hier die Frage stellt, was ichals Architekt dazu beitragen kann, wenn es den Schiffs-bau mit Ingenieuren und raffinierten Innenausbautechni-kern gibt, die ganz viel darüber wissen. Ich hätte auchLust, mich dem Élysée-Palast zu widmen. Wenn michvon dort jemand beauftragen würde, diesen oder jenenGästetrakt neu zu gestalten, dann würde ich mich sehrfreuen. Ich sage meinem Team manchmal: Ich bin jetztfür niemanden zu sprechen, außer der französischePräsident ruft an. (lacht)

Gibt es bestimmte Inspirationsquellen, die Ihnenganz wichtig sind?

Ja natürlich, unser Team. Fast 100 Mitarbeiter aus allenAltersgruppen mit verschiedenen Interessen. Es gibtnichts Wertvolleres als sich mit den Leuten zu beschäfti-gen, die dort sind. Man muss zuhören und mitreden.

Haben Sie Visionen, Träume oder Wünsche?

Ja. Mein Wunsch ist, dass diese Welt sich auf klugeGeister besinnt und ihre Ängste und Beklemmungüberwindet.

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BEHF EBNERHASENAUER FERENCZYBüronameBEHF Ebner Hasenauer Ferenczy ZT GmbH

BüroinhaberSusi Hasenauer, Armin Ebner, Stephan Ferenczy

Gründungsjahr1995 von Susi Hasenauer, Armin Ebnerund Stephan Ferenczy

Standort des BürosWien

Mitarbeiter100

Profilcorporate architectsGeschäftsfelder: Highrise, Refurbishment,Residential, Retail, Center,Hospitality (restaurants + hotels), Interior, OfficeLeistungsspektrum:Konzeptentwicklung,Entwurf, AVA (Ausschreibung, Vergabe,Abwicklung/Ausführung), PM (Projektmanagement),GP (Generalplanung)

Die wichtigsten GebäudeRestaurant Fabios Wien, Restaurant Motto amFluß Wien, Hotel Loisium Steiermark,Gemeinschaftswohnhaus ÖSW Vorgartenstraße Wien,EO Einkaufszentrum Oberwart,Merkur Hoher Markt Wien, Loonbase Wien,A1-Filialen

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 22

Loisium Wine and Spa Resort, Ehrenhausen 2012

Foto:M

ichaelNagl

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 23

Gemeinschaftswohnhaus

CityCom2, Wien 2011

Merkur Hoher Markt, Wien 2012

Foto:M

ichaelNagl

Foto:Bruno

Klomfar

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Behnisch ArchitektenStefan Behnisch

Stefan Behnisch (Jahrgang 1957) studierte Philosophiean der Philosophischen Hochschule der Jesuiten inMünchen, Volkswirtschaft an der Ludwig MaximiliansUniversität München und Architektur an der UniversitätKarlsruhe. Nach seinem Diplom 1987 trat er in das vonseinem Vater Günter Behnisch geleitete Büro Behnisch& Partner ein und gründete 1989 das Zweigbüro Innen-stadt, das 1991 unabhängig wurde und seit 2005 alsBehnisch Architekten firmiert. Weitere Büros entstandenin Los Angeles (1999 -2011), Boston (2007) undMünchen (2008). Unter Stefan Behnischs Leitungwurden in Europa und den USA wegweisende Projektewie das Institut für Forst- und Naturforschung in Wage-ningen, NL, ein EU-Pilotprojekt für Nachhaltiges Bauen,und das Genzyme Center in Cambridge, MA, das vomUS Green Building Council in die höchste Kategoriefür nachhaltiges Bauen, LEED Platinum, eingestuftwurde, realisiert.

Stefan Behnisch hatte teils mehrjährige Gastprofessurenan der University of Austin in Texas, der Yale Schoolof Architecture in New Haven, der University of Pennsyl-vania in Philadelphia, der University of Virginia in Char-lottesville und an der École Polytechnique Fédérale deLausanne (EPFL). 2002 erhielt er in Frankreich die Aus-zeichnung „Trophée Sommet de la Terre et Bâtiment“,2004 in den USA den „Environmental ChampionAward“. 2007 wurde er mit dem „Global Award for Su-stainable Architecture“ ausgezeichnet, 2009 mit einem„Good Design, Category People“ Award.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 24

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Architektur sollte dazu beitragen, dass wirbesser im Einklang sind mit unserem Umfeld,unseren allgemeinen Lebensbedingungen.Sie sollte wieder von allen als kulturelles Artefaktder Menschheit wahrgenommen werden und

nicht als ein beliebiges Investitionsprodukt, das man überall auf derWelt gleich bauen kann.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 25

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 26

GROHE: Herr Behnisch, auf welche Märktekonzentrieren Sie sich? Wie sieht zum BeispielIhr Engagement in Asien aus?

Stefan Behnisch:Wir konzentrieren uns auf Europa undNordamerika. Asien interessiert uns in dieser Hinsichtnicht, ebenso wenig die Vereinigten Arabischen Emirateoder Saudi-Arabien. Ich habe dieses Thema bürointernerst letztes Jahr mit meinen Partnern und unseren Mitar-beitern diskutiert: Für wen wollen wir eigentlich arbeiten,und für wen eher nicht? Das ist nicht zuerst eine morali-sche Frage, das muss jeder für sich entscheiden. MeinerMeinung nach ist das vor allem eine Frage der Identifika-tion der Mitarbeiter. Wir haben für uns festgestellt, dasswir eigentlich nur in offenen Gesellschaften arbeiten wol-len. Das hat nicht unbedingt etwas damit zu tun, ob essich um eine Demokratie handelt oder nicht. Es gibtdurchaus Staaten, die sich als demokratisch bezeichnen,deren Gesellschaft aber nicht offen ist. Umgekehrt gibt esNicht-Demokratien, in denen es eine offene Gesellschaftgibt. Für uns ist das Kriterium, dass wir mit unsererArchitektur etwas bewirken können. Wir nehmen uns dieFreiheit, genau zu überlegen, für wen und vor allem mitwem wir arbeiten wollen.

S T E FA N B E H N I S C H

ICH BIN GANZ FROHÜBER DIE WIRTSCHAFTS-KRISE, ARCHITEKTURWIRD JETZT WIEDER ALSEIN GEWISSER WERTBETRACHTET, NICHTMEHR ALS REINE WARE.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 27

Wo ist im Moment der SchwerpunktIhres Schaffens?

In Europa würde ich sagen. Wir machen gerade Einigesin der Schweiz, etwa für die World Intellectual PropertyOrganization (WIPO), die UN-Urheberrechtsorganisation.Für die WIPO haben wir bereits ein neues Verwaltungs-gebäude in Genf umgesetzt, und nun realisieren wir einenneuen Konferenzsaal, ganz aus Holz. Außerdem arbeitenwir für die WTO, die World Trade Organization, kümmernuns um deren Außenanlagen und Perimetersicherung.Und vor kurzem haben wir einen Wettbewerb in Lau-sanne gewonnen, ein Krebsforschungszentrum für dieStiftung ISREC. Partner für den Neubau ist unter anderemdie EPFL Ecole Polytechnique Fédérale in Lausanne.Das Projekt ähnelt dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen, dem NCT in Heidelberg, nur dass es inder Schweiz noch stärker um die Forschung geht undder klinische Bereich außerhalb liegt. Wir arbeiten unteranderem auch für die Katholische Universität in derUkraine – ein wunderbarer Bauherr, für den wir eineBibliothek planen oder, wie man heute sagt, ein Studien-center. Das ist an sich schon eine spannende Aufgabe.Und die politischen, technischen und kulturellen Bedin-gungen dort erlauben es uns auch, etwas Interessantesumzusetzen.

Viele Kollegen reizt es ja auch, sich sozial zuengagieren, also etwa Schulen in Entwicklungslän-dern zu bauen. Diese Sehnsucht verspüren Sie nicht?

Nein, diese Sehnsucht verspüre ich erst einmal nicht. Ichhätte nichts dagegen, in Afrika eine schöne Schule zubauen. Aber wenn ich mich dort sozial engagieren wollte,würde ich versuchen, den Menschen beizubringen, selbstschöne Schulen zu bauen. Das wäre dann so eine Art„leading by example“: Man baut ein oder zwei Schulenund vermittelt, worauf es dabei ankommt, im Rahmeneines Lehr- und Lernprozesses. Pro bono eine schöneSchule dort zu bauen ist sicher wichtig, jedoch an sichnur ein erster Schritt.

Wie kam es denn zu dieser Ausrichtung nach Nord-amerika? Wann gab es den Startschuss dafür?

Für Nordamerika habe ich mich persönlich immer schoninteressiert. Von 1984 bis 1985 habe ich in Los Angelesgelebt und gearbeitet, 1999 dann habe ich zusammenmit einem ehemaligen Mitarbeiter meines Vaters einBüro gegründet, das bis Ende 2011 aktiv war. Vor etwasechs Jahren habe ich dann in Boston ein weiteres Bürogegründet. Seit vier Jahren wird es von meinem PartnerRobert Matthew Noblett geführt. Das ist deutlich erfolg-

reicher, gerade weil wir sehr viel Wert darauf legen, eindeutsches Büro zu sein. Das Büro in Los Angeles istletztlich daran gescheitert, dass wir ein amerikanischesBüro wurden. Dadurch haben wir unseren Status als„Außenseiter“ und damit an Attraktivität für die Bauher-ren verloren.

Welche Aspekte deutscher Architektur- und Inge-nieurkompetenz vermitteln Sie den Amerikanern?

Es ist leichter darzustellen, weshalb wir in den USA über-haupt einigermaßen erfolgreich sind: Wir haben einenganzheitlichen Planungsansatz, sind also noch die alten„Master Builder“, wie die Amerikaner sagen würden.Wir sind ein Full-Service-Büro, sind also nicht nur Design-Architekten, sondern wir können auch Bauleitung, wirkönnen Kosten, wir können Ausschreibung, wir könnenTechnik. Die Architekturwelt in Nordamerika hingegenhat sich sehr stark gespalten in Design-Architekten undAusführungs-Architekten – ein Trend, der bei uns leiderauch zu beobachten ist. Die Bauherren in den USA habentatsächlich erkannt, dass dies große Nachteile hat, weiles an den Schnittstellen viele Reibungsverluste gibt unddie Verantwortlichkeiten teilweise idiotisch geregelt sind.Zum Beispiel, wenn der, der das Design macht, sagt:„Ob sich das bauen lässt oder nicht, ist nicht meinThema“, und der, der es umsetzen soll den Entwurf dannnicht vernünftig realisieren kann. Wir hingegen arbeitengesamtheitlich – auch als Generalplaner – und halten alleVerträge. Gemessen an vielen anderen amerikanischenArchitekten haben wir dadurch einen großen Einflussauf die Architektur.

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In welcher Verantwortung sehen Sie sichals Architekt?

Architektur hat viele Aspekte und spielt mit kulturellen,politischen und klimatischen Bedingungen zusammenoder mit der Situation. In unserer Verantwortung liegt esaber auf jeden Fall, nicht nur die inhaltlichen und tech-nischen Probleme eines Projekts zu lösen, sondern auchdaran zu denken, dass Architektur ein sehr prominenteskulturelles Artefakt ist. Über die Architektur definieren wirZeit und Ort. Wenn ich an irgendeine Stadt denke, denkeich an Architektur. Wir Architekten neigen dazu, das zuvergessen. In diesem Punkt war ich ganz froh über dieWirtschaftskrise, die uns Architekten wieder auf denBoden der Tatsachen zurückgeholt hat. Zwischen 2003und 2008 war Architektur vor allem eine Handels- undSpekulationsware. Wir waren nur damit beschäftigt,Häuser fertig zu stellen und haben völlig vergessen, dassunser Leben die Entwicklung von Architektur – und nichtdas Abwickeln von Bauten – ist. Jetzt wird Architekturwieder als ein gewisser Wert betrachtet, nicht mehr alsreine Ware.

Als Architekt ist Ihr größter Feind doch wahrschein-lich nach wie vor der Renditemaximierer. Oder hatsich da etwas geändert?

Ich bin in einer Nische unterwegs, die mit diesen Leutenerst einmal relativ wenig zu tun hat, ich baue z.B. viel fürUniversitäten. Wenn ich ganz allgemein einen Gegen-spieler der Architekten und der architektonischen Qualitätbenennen müsste, dann wären das für mich die General-übernehmer – zumindest solche, die den Kulturaspekt derArchitektur ignorieren, möglichst billig bauen und ihr Gelddann am Minus an Qualität verdienen. Da der General-übernehmer sowohl die Bauseite als auch die Planungs-seite kontrolliert, gibt es keine unabhängige Qualitäts-kontrolle mehr und einige unserer Kollegen spielen indiesem Konzert gerne mit.

Deutsche Architekten und Ingenieure habeninternational einen guten Ruf. Trotzdem gibt es sehrwenige, die herausragen und auch internationaleine Marke darstellen.

Das hat auch etwas mit nationalen Charakteristika zu tun.Jeder Architekt, der bei uns die Rübe rausstreckt, kriegtsie erst einmal abrasiert – von den Kollegen, von derKritik, von allen. Eitelkeit und Stolz sind in Deutschlandein Laster, in anderen Ländern, etwa den USA, eher eineTugend. Das ist ein Riesenunterschied. Wir sind ein Land– und das meine ich gar nicht negativ –, das nicht zuletztdurch bittere Erfahrungen in der Vergangenheit sehregalitär strukturiert wurde. Auch der deutsche Humanis-mus war immer ein egalitärer Humanismus. Das prägtuns im Guten wie im Schlechten. Gesamtgesellschaftlichgesehen ist es ein großer Vorteil: Wir haben keine sogespaltene Gesellschaft wie etwa die Briten oder Ameri-kaner. Für uns steht die Gleichheit des Menschen imMittelpunkt, für die Amerikaner eher, dass jeder diegleichen Chancen haben sollte. Diese grundsätzlicheAusrichtung spiegelt sich auch in der Architektenschaftwider. Die Amerikaner etwa sind stolz auf einen Frank O.Gehry oder Richard Meier, weil die sagen, solche Leuteebnen uns den Weg. Als wir mit unserem Büro dasGenzyme-Center – ein Leuchtturmprojekt in SachenNachhaltigkeit – gebaut haben, da wurde uns vonamerikanischen Architekten gesagt: „Klasse. Ihr habtes geschafft, eine inhaltliche Qualität zu definieren, diees uns leichter macht, unsere Bauherren zu überzeugen.“In Deutschland wäre das so nicht passiert. Hier habenwir es allerdings mit unserem Namen auch etwas leich-ter als vielleicht andere Büros.

Sie sind fast jeden Monat eine Woche in IhremBüro in den USA. Schlägt Ihr Herz mittlerweileschon ein bisschen amerikanisch?

Ich mag die amerikanische Mentalität. Die Leute dortsind nett, freundlich und ehrlich. Als Bauherren sindsie zwar schwer zu überzeugen, aber wenn man es ge-schafft hat, würden sie einem nie in den Rücken fallen.In Deutschland schießen einem die Bauherren ständigLöcher in die Projekte, weil sie alles immer wiederhinterfragen, insbesondere ihren Mut zu etwas Neuem.In Amerika hingegen wird es als Scheitern gesehen,wenn man sich plötzlich anders besinnt. Man zieht esdurch, wenn man sich entschlossen hat. Solche loyalenBauherren sind für uns natürlich fantastisch.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 28

S T E FA N B E H N I S C H

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Gibt es eine Handlungsmaxime, die Sie sich selbstauferlegt haben? Eine Art ureigene Philosophie, dieSie als Architekt immer getragen hat?

Der humanistische Ansatz vielleicht, doch der rührt auchvon meinen Eltern her und wurde durch die Erziehungan einer Waldorf-Schule gefestigt. Auf jeden Fall derAnspruch, dass alles, was man macht, mit Anstand –sowohl im Umgang als auch im Ergebnis – funktionierensollte. Hinterher muss ich sagen können, dass es sichgelohnt hat, etwa ein bestimmtes Haus zu bauen. Wenndas der Fall ist, hat man schon relativ viel erreicht.

Welche Menschen oder Gegebenheiten haben Siein Ihrem Leben als Architekt weitergebracht?

Zum einen mein Studium der Philosophie bei den Jesui-ten in München – vor allem deshalb, weil das Fach dortnoch als Mutter aller Wissenschaften gelehrt wurde. Dalernte man auch etwas über mathematische und physika-lische Zusammenhänge, aber natürlich ebenso über dieMetaphysik, und sogar Fächer wie Rhetorik oder wissen-schaftliches Arbeiten standen auf dem Stundenplan.Dort hatte ich mit Menschen zu tun, deren analytische,zum Teil auch etwas schrullige Denkweise ich immernoch sehr bewundere. Nur in der letzten Woche vor denSommerferien, wenn alles Gelernte auf Gott zurückge-führt wurde, ist man besser surfen gegangen. Zumanderen hatte ich in meinem Architekturstudium zweiProfessoren, die mich sehr geprägt haben: Fritz Hallerund Ottokar Uhl. Die beiden waren meine Mentoren,ich habe viel von ihnen gelernt.

Gibt es Dinge in Ihrer Lebensgestaltung, die Sierückwirkend betrachtet bereuen? WesentlicheElemente, etwa wenn Sie heute eher eine andereFrau heiraten, einen anderen Beruf wählen würden?

Ich würde weder eine andere Frau heiraten, noch einenanderen Beruf wählen. Obwohl ich mir immer auchhätte vorstellen können, Journalist zu werden. Deshalbhabe ich zunächst Philosophie studiert. Aber ich bereuees nicht, dass ich Architekt geworden bin, obwohl esmanchmal schon ein ziemlich ruppiges Gewerbe ist.Wenn ich heute etwas anders machen würde, dannvielleicht, was die Entwicklung meines Büros am Anfangangeht. Ich habe zunächst ja eng mit meinem Vaterzusammengearbeitet: Er war Partner in meinem Büro,und ich in seinem. Dadurch war ich auch sehr früherfolgreich und habe später etwas gebraucht, um aufden Boden der Tatsachen zurückzufinden.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 29

Was fasziniert Sie am meisten an der Architektur?Zu erleben, wie die Visionen in Ihrem Kopf Gestaltannehmen?

Architektur ist ein sehr interdisziplinärer und kollektiverProzess. Ich arbeite gern mit den Leuten in meinem Büro,aber auch mit den Fachplanern zusammen. Ich glaubenicht an die geniale Skizze, vielleicht auch deshalb, weilich nicht der große Designer bin – unser Büro ist andersstrukturiert. Wir Partner betreiben den Entwurfsprozessnicht, wir begleiten ihn. Es ist unsere Aufgabe, eine Situa-tion zu schaffen, in der sich die Dinge gut entwickelnkönnen. Faszinierend finde ich an der Architektur vorallem die inhaltliche Weiterentwicklung, den Prozessder Veränderung; wie man bei jedem Projekt immerwieder etwas Neues dazu lernt und irgendwann, Jahrespäter, merkt: Jetzt haben wir uns doch tatsächlichweiterentwickelt.

Sie nannten das Wort „interdisziplinär“. Haben sichIhrer Meinung nach die Aufgaben des Architektengeändert, ist der Job heute – auch durch neueEntwicklungen wie Klimaschutz oder Energiewende –anspruchsvoller geworden?

Ich glaube nicht, dass es wirklich schwieriger gewordenist, es ist nur anders geworden. Wir Architekten warenimmer die Leute mit der relativ gesunden Halbbildung.Bereits die Ausbildung war nie eine fundierte Wissens-ausbildung, wie in der Medizin oder in der Biologie zumBeispiel. Wir tun immer so, als verstünden wir von allemetwas, tatsächlich wissen wir von allem ein bisschen was.Manchmal ist es schwierig, Bauherren zu erklären:„Wir brauchen einen Fassadenberater, wir können dasmittlerweile nicht mehr allein.“ Aber die Fassade ist soein komplexes Gewerk geworden, ein wenig wie diemenschliche Haut, unser komplexestes Organ. In solchenBereichen sind wir dann mehr Gestalter und Koordinierer,und weniger Planer.

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Die Weltbevölkerung wird sich immer mehr teilen.Es gibt nur noch Gewinner und Verlierer. Wie es imMoment aussieht, gehören wir zu den Gewinnern.

Im Moment gehören wir zu den Gewinnern. Aber wirkriegen doch dann die Probleme, das dürfen wir nichtvergessen. Wir werden uns auf Völkerwanderungen ein-stellen müssen. Zwei Drittel der Weltmetropolen liegenauf Meeresniveau – da bekommen wir zwangsläufigirgendwann einmal ein Problem.

Den Architekten werden von Seiten der Gesetz-gebung oft Themen oktroyiert,wie zum Beispiel dasThema Nachhaltigkeit. Auch die Bauindustrie ver-langt von den Architekten zu allererst die Einhaltungder entsprechenden Standards. Und die Architektenfinden sich in einer Situation wieder, in der sie ihreGebäude ständig nur noch nach diesem Maßstabbeurteilt sehen. Fühlen Sie sich nicht unwohl?

Nein, eigentlich nicht. Ich sehe es ein bisschen anders.Wir haben uns mit dem Thema schon relativ früh be-schäftigt, etwa bei einem Forschungsbau in Wageningenin den Niederlanden, der noch in den 1990ern fertigge-stellt wurde. Wir Architekten sind beim Thema Nachhal-tigkeit unter Zugzwang gekommen, weil wir es zu langenegiert haben, obwohl es ein großes, ein wichtiges Auf-gabenfeld ist. Die Architekten sagen zwar oft, sie hättendas drauf. Aber die Wahrheit ist doch, dass wir keineAhnung von dem Thema haben. Wir sind noch ganz amAnfang damit. Ich bin davon überzeugt: In zehn oderzwanzig Jahren lachen wir darüber, wie wir heute nochbauen. Ein Haus zu entwickeln, das sich selbst versorgenkann, ist technisch überhaupt kein Problem, das mussman dem Bau nicht mal ansehen. Meistens ist es aberheute noch so, dass es stark nach außen gezeigt wird –sei es, weil die Architekten glauben, dass das sein muss,sei es, weil die Bauherren das wollen. Wenn die Architek-ten wirklich an einer Weiterentwicklung des ThemasNachhaltigkeit interessiert wären, würden unsere Häuseranders aussehen und vor allem würde die Bundesregie-rung mit ihrem unsäglichen Passivhaus keinen Stich ma-chen. Das halte ich für den absoluten Sündenfall derArchitektur, weil es nicht Ergebnisse definiert, sondernMethoden vorschreibt. Sagt mir bitte, ich soll ein Hausbauen, das nicht mehr als 18 Kilowattstunden pro Qua-dratmeter im Jahr fürs Heizen braucht. Prima, mache ichgern. So etwas wie das Passivhaus wäre nicht entstan-den, wenn wir das Thema beherrschen würden.

Was muss Architektur heute leisten, im globalenKontext?

Heute müssen wir mit den Herausforderungen derZukunft neu und anders umgehen. Allerdings hatte jedeGeneration und jedes Zeitalter seine Herausforderungen,und wir neigen im Moment nur dazu, aus allem eine Kriseund einen Hype zu machen. Ich will jetzt nicht unsereUmweltprobleme klein reden. Wir erhöhen die Tempera-tur im Schnitt um drei Grad, das können wir nicht mehrrückgängig machen, und es hat riesige Konsequenzenfür die Erde. Aber die Menschheit war immer relativ gutdarin, sich anzupassen und mit solchen Dingen umzuge-hen. Um wieder darauf zu kommen, was Architektur inZukunft zu leisten hat: Sie muss flexibler und schnellerauf die kulturellen und technischen Entwicklungenreagieren. Wir können nicht mehr in Jahrhundertschrittendenken, wir müssen in Jahresschritten denken. Diegrößte Herausforderung ist dabei aber nicht der Hoch-bau, sondern der Städtebau: Der funktioniert in25-Jahres-Zyklen, aber das können wir uns in Zukunftgar nicht mehr leisten.

Berücksichtigen Sie heute schon bei IhrenEntwürfen die Klimaveränderungen, die aufuns zukommen?

Wenn wir etwa in Boston oder in Hamburg ein Grund-stück haben, das auf Meeresniveau liegt, dann sagen wirdem Bauherrn schon, dass wir an die Höhe denken müs-sen. Und bei den Materialien, die wir verarbeiten, versu-chen wir zu berücksichtigen, dass man sie in etwa 30Jahren entsorgen muss. Bei der technischen Ausrüstungder Häuser wollen wir dem rasenden Fortschritt dahinge-hend gerecht werden, dass wir die Möglichkeiten desAusbaus und der Veränderung von Anfang an mit einpla-nen. In der Regel lässt sich unser Vorgehen einfach aufden Punkt bringen: wenige verschiedene Materialien, we-nige verschiedene Gewerke.

Wie beurteilen Sie generell den Zustandunseres Planeten? Wie lange verkraftet er diesieben Milliarden Menschen noch?

Unser Planet verkraftet das alles locker. Die Erde hatsich schon öfters geschüttelt und von vorn angefangen.Die Frage ist: Wie lange verkraften wir das noch? Wielange können wir Menschen dieses Problem nochmanagen und wie lange brauchen wir noch, um zuerkennen, wie blöd wir eigentlich sind?

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 30

S T E FA N B E H N I S C H

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Was sind Ihrer Meinung nach ArchitekturIkonender Gegenwart? Es gibt viele Leuchtturmprojekte,aber welche Ihrer Kollegen hätten es verdient, alsVorbild gesehen zu werden?

Ich habe meinen Studenten immer beigebracht: Wennihr euch Vorbilder sucht, stellt sicher, dass die mindestens50 Jahre tot sind. Deshalb bin ich vielleicht nicht derRichtige für die Beantwortung dieser Frage. Viele derArchitekten, die landläufig als „Ikonen“ betrachtet wer-den, die also auch die Magazin-Cover zieren, haben sichdurchaus um die kulturelle Entwicklung der Architekturverdient gemacht. Ich würde nicht unbedingt alle alszeitgemäß bezeichnen, weil sie zum Teil mit unserenRessourcen relativ unverantwortlich umgehen.Die Helden meiner Generation waren Leute wie RenzoPiano und Richard Rogers – die habe auch ich irgendwiebewundert, nicht aufgrund einzelner Bauten, sondernwegen ihrer Wandlungs- und Entwicklungsfähigkeit.Aber heute gibt es so viele interessante Entwicklungen –ich sage mit Absicht Entwicklungen –, auch in kleinerenBüros werden spannende Sachen gemacht. Die Einzel-ergebnisse sind oft viel interessanter als das, was irgend-welche „Ikonen“ machen, wenn der kulturelle und derinhaltliche Hintergrund stimmen.

Rem Koolhaas ist der Kurator der Architekturbiennalein Venedig 2014. Was erwarten Sie sich von ihm?

Rem Koolhaas umgibt mich seit 1980 in irgendeinerForm. Eigentlich wäre es doch mal an der Zeit, dass wiruns als Architektenschaft neue Themen überlegen unduns mit anderen Menschen beschäftigen. Solange dasnicht passiert, gehe ich nicht mehr zur Architekturbien-nale. Es ist doch immer dasselbe: Frankreich schicktNouvel, aus England ist Zaha Hadid da, manchmal auchFoster. Die Niederlande waren meist mit Ben van Berkelvertreten. Die architektonische Entwicklung stagniertund wir scheinen es gar nicht zu merken. Ich habe sechsJahre in Yale als Gastprofessor gelehrt, und bisweilenversucht man immer noch, mich noch einmal zur Lehredort zu überreden. Ich sage denen immer: Wenn ich euerjunger „Hotshot“ bin, dann habt ihr ein Riesenproblem.Denn eigentlich bin ich das Establishment. Für manchedort sind immer noch Leute wie Richard Meier und FrankGehry das Establishment, aber das sind sie nicht. Dassind interessante, gute Architekten, die die Architektur-geschichte geprägt haben. Was aber gebraucht wird,sind Leute mit Ideen, die die Zukunft prägen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 31

Woran liegt es, dass immer wieder die gleichennach vorne geschoben werden? Gibt es zu wenige,die einen Fußabdruck hinterlassen oder hinterlassenkönnten?

Eigentlich finde ich es sogar ganz interessant undermutigend, dass es diese Leute nicht gibt, weil daszeigt, dass die Architektur auf dem Weg zu einer inhalt-lichen Prägung ist. Wir brauchen keine Architekten-Ikonen, wir brauchen Leuchtturmprojekte – besondersin der nachhaltigen Architektur.

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BEHNISCH ARCHITEKTENBüronameBehnisch Architekten

BüroinhaberStefan BehnischPartner: Stefan Rappold, Robert Hösle,Robert Matthew Noblett

Gründungsjahr1989 Behnisch & Partner von Prof. Günter Behnisch, Ste-fan Behnisch, Manfred Sabatke, Erhard TränkerSeit 1991 Behnisch Architekten von Stefan Behnisch

Standorte des BürosBoston, München, Stuttgart

Mitarbeiter100

ProfilArchitektur, Produktdesign, Landschaftsarchitektur

Die wichtigsten GebäudeJohn and Frances Angelos Law Center at the Universityof Baltimore, MD, USAVerwaltungsgebäude und Conference Center für dieWorld Intellectual Property Organization (WIPO), Genf, CHMarco Polo Tower, HamburgHaus im Haus, Handelskammer HamburgOzeaneum, Deutsches Meeresmuseum, StralsundThe Terrence Donnelly Centre for Cellular andBiomolecular Research (TDCCBR), Toronto, CAGenzyme Center, Cambrigde, MA, USANorddeutsche Landesbank am Friedrichswall, HannoverInstitut für Forst- und Naturwissenschaften,Wageningen, NLSt Benno Gymnasium Dresden

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 32

P R O F I L

Norddeutsche Landesbank

am Friedrichswall, Hannover,

Fertigstellung 2002 Foto:RolandHalbe

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 33

Institut für Forst- und

Naturwissenschaften,

Wageningen,

NL Fertigstellung 1998

die Aufnahme zeigt den

Innengarten

Genzyme Center,

Cambridge, MA USA

Fertigstellung 2003;

die Aufnahme zeigt

das Atrium

Marco Polo Tower, Hamburg,

Fertigstellung 2010

die Aufnahme zeigt die Nordseite

Foto:StefanBehnisch

Foto:RolandHalbe

Foto:Anton

Grassl

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 34

Berger+ParkkinenArchitekten ZT GmbHAlfred Berger

Alfred Berger (Jahrgang 1961) wurde in Salzburggeboren. Er studierte Architektur an der Techni-schen Universität und der Akademie der bildendenKünste in Wien. Er erhielt 1987 den Meisterschul-preis der Akademie und diplomierte 1989 mitAuszeichnung. Von 1994 bis 1997 nahm er seineLehrtätigkeit an der Akademie der bildenden Künstein Wien auf, wo er eng mit Timo Penttilä und Massi-miliano Fuksas zusammenarbeitete. Bereits 1995gründete Alfred Berger mit Tiina Parkkinen dasBüro Berger+Parkkinen Architekten mit Sitz in Wienund Helsinki. Im selben Jahr gewann das Büroden internationalen Wettbewerb für die Botschaftender fünf Nordischen Länder in Berlin. Zahlreicheandere internationale und nationale Wettbewerbs-beteiligungen und Preise folgten.

Die wichtigsten Projekte des Büros sind die Albert-Schultz- Eishalle in Wien, die FachhochschuleHagenberg, die Residenz der Königlich Norwegi-schen Botschaft in Berlin und der Competence Parkin Salzburg.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 35

Architektur dient nicht allein dem stillenBetrachter, sondern generell der Entfaltungder Menschen, ihrer Persönlichkeit und ihrenAktivitäten. Gebäude sollen daher wederdominieren noch einengen, sondern einen

geeigneten Rahmen bilden. Architektur ist gelungen, wenn einegewisse Durchgängigkeit der Qualitätsanmutung des Bauwerkes,seiner Innenräume und der umgebenden Außenräume erzielt wird.Wir versuchen Architekturen zu schaffen, die wir auch gerne selbstbewohnen würden.

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 36

A L F R E D B E R G E R

ARCHITEKTURVERLANGT KEINE STILLENBETRACHTER, SONDERNIST DANN GELUNGEN,WENN MENSCHEN SICHDARIN FREI BEWEGENKÖNNEN. GROHE: Es ist längst offensichtlich, dass im zeit-

gemäßen Bauen der Begriff der Baukultur leider denoptimierten Kosten und Terminen geopfert wurde.Leisten baubiologisch vernetztes Denken undAspekte der Ökologie Ihrer Meinung nach einenausreichenden Beitrag, um unseren Bauten einenneuen kulturellen Wert zu verleihen?

Alfred Berger: Das Erfüllen technischer und ökologi-scher Vorgaben an sich ist noch keine architektonischeLeistung. Unglücklicherweise ist in der heutigen Zeitdas Zusammentreffen von steigenden technischen undbaurechtlichen Anforderungen zugleich mit der Reduk-tion der Baukosten zu beobachten. Daraus resultiertein immer geringerer Spielraum für Gestaltung undArchitektur.

Die Bedeutung des Experiments wird oft auf bau-technische Aspekte reduziert oder im Zusammen-hang mit digitalem Entwurf und digitaler Fabrikationdiskutiert. Als „experimentelle Architektur“ geltenallenfalls utopische Architekturprojekte der 1960erJahre oder formale Extravaganzen. Ist die Architekturvon heute zu wenig experimentierfreudig?

Das kreative und experimentierfreudige Potenzial der Ar-chitekten ist sicherlich auch heute vorhanden. Angesichtsder gesellschaftlichen Gegebenheiten in Europa ist aller-dings festzustellen, dass die Rahmenbedingungen für„experimentelle Architektur“ eher konservativ sind undin Richtung sichere Lösungen weisen.

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gelungen, wenn eine Durchgängigkeit der Qualitätsan-mutung des Bauwerkes, seiner Innenräume und derumgebenden Außenräume erzielt wird. Wir versuchenArchitekturen zu schaffen, die wir auch gerne selbstbewohnen würden.

Herr Berger, gab es einen auslösenden Impuls fürIhren Wunsch, Architekt zu werden, die Welt zu ge-stalten und für Menschen Räume zu bauen?

Ich fühlte mich schon als Kind zu Bauwerken hingezogenund habe eher Häuser als etwas anderes gezeichnet.Ich mag die Geschichten, die aus einem Bauwerk heraus-zulesen sind. Als junger Mensch hielt ich mich gerne inRuinen auf und ergänzte in der Phantasie Dinge, die nurnoch als Spuren vorhanden waren. Hinzu kommt dasReisen und das Erkennen, dass jede Gesellschaft ihreeigenen baulichen Formen entwickelt hat und diese dieBesonderheiten einer Gesellschaft unterstreichen undsomit Identität stiften.

Gibt es Kulturen, deren Architektur und BaukulturSie besonders schätzen?

Zuerst lag mein Fokus auf der Region rund ums Mittel-meer: Nordafrika, Italien, Frankreich, Spanien, Griechen-land, die Türkei – dort gibt es alles an Bau- undStadtformen, die man sich vorstellen kann. Später kamSkandinavien dazu mit einem wesentlich sanfteren, leich-teren und sogar poetischen Umgang zwischen Architek-tur und Umgebung. Ich mag das Spiel zwischenInnenraum, Außenraum, Natur und Kultur.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 37

Seit Jahrtausenden lebt der Mensch mit der Archi-tektur in einer Beziehung, die überwiegend visuellgeprägt ist. Nach den mechanistischen Weltbildernstellt sich heute die Frage, inwieweit die durch dieÄsthetik auf Distanz gehaltene Architektur mit demKörper des Menschen ein Gefühl der Nähe entstehenlassen kann. Was ist Ihre Meinung?

Für uns ist die Qualität eines Raumes an seiner Gesamt-atmosphäre zu messen. Diese setzt sich aus objektivenund subjektiven Ebenen zusammen, die wir bestrebt sind,in unseren Entwürfen zu erreichen.

Vor dem Hintergrund des Subjektivitätsproblemsder Moderne (Habermas) wurden bisher alle Bedeu-tungsfragen aus den bestimmenden Theorienmoderner Architektur verdrängt, was zu der weitest-gehen- den Inhaltsleere zeitgenössischen Bauensgeführt hat. Was ist für Sie der Sinngehalt modernenBauens?

Bedeutung erschließt sich für uns auf vielen Ebenen.Besonders wichtig erscheint uns eine klare und am ferti-gen Werk nachvollziehbare Entwurfshaltung. Paralleldazu gewinnen narrative Elemente, die sich im Prozessentwickeln, an Bedeutung und erlauben vielfältige indivi-duelle Zugänge und Interpretationen.

Wir leben in einer Zeit, in der die Gestaltung vonArchitektur zunehmend auf ästhetische Besonderheitund auf Neuheit der Formidee zu basieren scheint.Ist das ein Spiegel unseres Wohlstandes? Hat dieArchitektur die drängenden Probleme unserer Zeitnoch nicht verinnerlicht? Sollte Architektur sich nichtkonzentrierter mit Lösungsvorschlägen für Umwelt-und Klimaprobleme beschäftigen?

Unsere Zeit ist geprägt von Teamwork und dem erfolg-reichem Zusammenwirken der Disziplinen und Bestre-bungen. Architektur muss in diesem Kontext gedacht,geplant und gebaut werden. Dies bedeutet aber keines-falls, dass Architekturvisionen und Fantasien auf demAltar der Sachlichkeit zu opfern sind.

Welche zeitgenössischen Architekturströmungenbringen uns Ihrer Meinung nach weiter?Was müsste Architektur Ihrer Meinung nach heuteund in Zukunkft mehr leisten?

Architektur dient nicht allein dem stillen Betrachter,sondern generell der Entfaltung der Menschen, ihrerPersönlichkeit und ihren Aktivitäten. Gebäude sollendaher weder dominieren noch einengen. Architektur ist

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Das klingt, als würden Sie Methodik ablehnen.

Ich würde eher das Gegenteil sagen. Wir sind sehr me-thodisch, aber eben nicht in der Weise, dass wir sagen,ein Haus ist ein Haus und das macht man so. Wir gehendavon aus, dass wir unser Handwerk beherrschen unddarin immer besser werden. Dies erlaubt uns, den Wegrelativ weiträumig zu definieren und alle möglichenAspekte und Betrachtungen miteinzubeziehen. Auch,weil wir die Sicherheit haben, dass dabei am Ende eingutes oder sogar besseres Haus herauskommt.Das heißt, ein Haus, das möglichst viel Raum gibt undmöglichst wenig einschränkt.

Ist das etwas, was Sie auch besondersauszeichnet? Wie ist denn generell Ihre Haltungbezüglich Architektur?

Ich überlege, in welcher Situation der Mensch steht, dersich in einem Gebäude bewegen soll. Meiner Meinungnach sollten Architekten nur Gebäude planen, in denensie sich grundsätzlich vorstellen könnten, auch selbst zuwohnen. Dieser Anspruch ist eine zusätzliche persönlicheMesslatte, an der ich versuche, mich zu orientieren,sozusagen ergänzend zu allen architektonischen Quali-tätsstandards.

Wie ließe sich Ihrer Meinung nach das Bewusstseinder Öffentlichkeit für Qualität in der Architekturstärken?

Prinzipiell funktioniert es, wenn die Politik sich eindeutigzu Qualität in der Architektur bekennt. Dazu gehört –wie in Skandinavien zum Beispiel –, Kinder bereits imKunstunterricht mit Architektur in Berührung zu bringenund Schulen so einzurichten, dass dort gut gestalteteRäume erlebbar gemacht werden.

Architektur spiegelt ja immer auch gesellschaftlicheStrömungen wider. Was wird denn Ihrer Ansichtnach im Moment widergespiegelt?

Politisch-gesellschaftlich befinden wir uns in Europa ineiner Phase der Verunsicherung und des Umbruchs. Lei-der wirkt sich das nicht gerade förderlich auf architektoni-sche Experimente aus. Und es führt dazu, dass wir nichtmehr wissen, wer die großen, öffentlich wirksamen Ein-richtungen gestalten soll. Hier ist ein großer Bedarf an ge-stalterischer Qualität. Wir Architekten sind da leider oftnicht ausreichend involviert.

Auf welche Bautypologien konzentrieren Sie sichbei Ihrer Arbeit besonders?

Grundsätzlich beschäftigen wir uns mit Aufgabenstel-lungen vom „Städtebau bis zur Türschnalle“. Mein Lieb-lingsthema sind aber öffentliche Bauten wie Museen,Konzertsäle und Sportstätten. Architektur ist dort amspannendsten, wo auch Öffentlichkeit stattfindet.

Besteht aus Ihrer Sicht keine Gefahr, dass dabeiangesichts der ausgeprägten Eventkultur das Erleb-nis im Vordergrund steht?

Nein, da habe ich keine Bedenken. Architektur verlangtnicht einen stillen andächtigen Betrachter, sondernArchitektur ist immer dann gelungen, wenn Menschensich nicht eingeengt fühlen und frei bewegen können.

Sie übernehmen bei Ihren Bauten eine großeVerantwortung für viele Menschen. Fühlen Sie sichwohl in dieser Rolle?

Mein Vater war Mediziner, da gibt es durchaus einegewisse Parallele. Ein Arzt muss Verantwortung überneh-men, wenn es darum geht, welchen Heilungsprozess ereinzuleiten gedenkt. Das ist beim Architekten genauso.

Wie konkret ist das Bild, das in Ihrer Vorstellungentsteht, wenn Sie eine Vision entwickeln?

Bei unseren Visionen geht es nicht sofort um eine kon-krete Gebäudeform. Es geht entweder um eine Atmo-sphäre, die ich erreichen will oder um die Sicherungzwischen Dingen, die scheinbar im Widerspruch stehen.Manchmal gibt es auch den Wunsch, durch eine baukör-perliche Setzung eine bestimmte räumliche Situation zubereinigen. Prinzipiell entstehen die Ideen zunächst imKopf. Erst danach bespreche ich mich mit anderen Perso-nen, es entstehen die ersten Skizzen und Modelle. Wirarbeiten da teilweise wie Detektive und verfolgen Spuren,auch wenn sie zuerst nicht vielversprechend erscheinenoder den Vorgaben und Regeln widersprechen. Wirwollen in alle Richtungen offen sein und auch anderedafür öffnen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 38

A L F R E D B E R G E R

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Womit beschäftigen Sie sich persönlich gerade inBezug auf Ihre Arbeit?

Allgemein mit dem öffentlichen Raum, und im Speziellenmit der Interaktion von Gebäude und Straße. Schauen Siesich beispielsweise den Wohnbau der 80er bis 90er Jahrean: Das Erdgeschoss wurde zum Nebenraum degradiert.Dabei ist das Erdgeschoss der Schlüssel für die Außen-wirkung, Attraktivität und damit Adressbildung, diewiederum für Investoren wichtig ist. Unser Bestreben ist,die Erdgeschosse gezielt zu nutzen, Übergangszonenhalböffentlicher Art und Lebendigkeit zu schaffen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Architektur aufaktuelle Probleme in der Gesellschaft hinreichendAntworten gibt? Oder glauben Sie, dass die Immobi-lienbranche den Bedürfnissen der Menschen eherhinterherhinkt?

Viele Probleme sind auf der städtebaulichen Ebene zufinden. Das Zusammenspiel von Kommunen, städtebauli-cher Kompetenz und Investoren funktioniert manchmalbesser und manchmal schlechter. In Deutschland kannz. B. die Hafencity in Hamburg als ein eher gelungenesBeispiel genannt werden.

Was finden Sie gut daran?

Trotz äußerst verschiedener Interessen und Inhalte istes gelungen, eine gewisse Durchgängigkeit und Quali-tätsanmutung von Gebäuden und öffentlichem Raum zuschaffen. Es ist ein klares Stadtmodell, eine europäischeStadt mit Straßen und Plätzen, atmosphärisch unterstütztdurch die tolle Lage am Wasser.

Was bedeutet für Sie Harmonie und Gleichklangim urbanen Bauen?

Ich glaube, dass wir lernen müssen, die Harmonie imMissklang zu finden. Mir wird nachgesagt, ich sei relativharmoniebedürftig. Das bin ich auch, aber ich glaube,dass man Harmonie nur finden kann, wenn man fähig ist,Widersprüche zu akzeptieren. Eine Harmonie der Gleich-förmigkeit gibt es nicht und ist auch nicht anzustreben.

Hat das von so vielen Menschen nach wie vorgesuchte Idyll noch Platz in unseren Städten?

Nicht die Stadt selbst, aber Nischen und Räume bietenden Menschen das, was sie gerade brauchen. Nur, dieStadt selbst kann sich nicht ständig umgestalten. EineStadt bleibt eine Stadt und die muss robust sein. Hierkommt das Thema Nachhaltigkeit ins Spiel. Nachhaltig-keit ohne Dauerhaftigkeit kann es nicht geben.

Als wie dauerhaft würden Sie Ihre Architekturbezeichnen? Wo sehen Sie deren Verfallsdatum?

Es gibt verschiedene Arten von Verfallsdaten. Zunächstder Moment, in dem ein Gebäude anfängt, alt auszuse-hen. Hier bin ich relativ optimistisch, dass das bei unse-ren Bauten nicht so schnell passiert. Wichtig ist, dass einGebäude eine klare Struktur hat und auch Umbautenoder Veränderungen überdauern kann. Die Antike zeigtuns, dass ein gut gebautes Gebäude irgendwann sogareine schöne Ruine ergeben kann (lacht).

Sie haben als Architekt drei Wünsche frei.Welche wären das?

Das Wichtigste im Moment wäre – was die Architekturbetrifft – für mich, dass die Architektur und die tatsächli-chen Bedürfnisse der Menschen besser zueinander fin-den. Der zweite Wunsch wäre mehr Transparenz in denEntscheidungswegen. Das dritte wäre eine Bauaufgabe,nämlich ein großes Musiktheater. Das würde mich sehrreizen.

Eine letzte Frage. Wir lautet Ihr Credo in derArchitektur?

Qualität setzt sich durch.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 39

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BERGER+PARKKINENARCHITEKTEN ZT GMBHBüronameBerger+Parkkinen Architekten ZT GmbH

BüroinhaberAlfred Berger, Tiina Parkkinen

Gründungsjahr1995 von Alfred Berger und Tiina Parkkinen

Standorte des BürosWien, Helsinki

Mitarbeiter20

ProfilArchitektur / Innenarchitektur / Städtebau / Design

Die wichtigsten GebäudeNordische Botschaften, BerlinAlbert-Schultz Eishalle, WienFachhochschule HagenbergCompetence Park, Salzburg

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 40

Nordische Botschaften, Berlin

Foto:ChristianRichters

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 41

Albert-Schultz-Eishalle, Wien

Competence Park, Salzburg

Foto:Berger+ParkkinenArchitekten

Foto:Berger+ParkkinenArchitekten

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blauraum architektenRüdiger Ebel, Volker Halbach,Carsten Venus

Rüdiger Ebel (Jahrgang 1970) wurde in Düsseldorfgeboren. Im Jahr 1999 erhielt er sein Diplom an derBUGH Wuppertal. Von 1999 bis 2002 war er Mitar-beiter des Büros Bothe Richter Teherani Architektenin Hamburg.

Volker Halbach (Jahrgang 1969) wurde in Gronaugeboren. Er studierte Architektur an der Fachhoch-schule Bielefeld und der Technischen UniversitätDelft. 1996 wurde er zum Fulbright Stipendiatenausgewählt und absolvierte seinen Master of Archi-tecture an der University of Miami. Von 1997 bis1998 arbeitete Volker Halbach als Projektarchitektbei Eisenman Architects. Bei Bothe Richter TeheraniArchitekten war er von 1998 bis 2002 beschäftigt.

Carsten Venus (Jahrgang 1967) wurde in Stuttgartgeboren. Im Jahr 1997 absolvierte er sein Diplom ander RWTH Aachen. Von 1997 bis 1998 arbeitete erbei bilder.blau_Architektur+Neue Medien, Aachen.Von 1998 bis 2002 war Carsten Venus bei BotheRichter Teherani Architekten beschäftigt.

Das Architekturbüro blauraum wurde 2002 inHamburg gegründet. Geschäftsführer des Büros sindVolker Halbach, Rüdiger Ebel und Carsten Venus.Ihre Arbeit zeichnet sich durch experimentierfreudigeund interdisziplinäre Entwurfspraktik sowie avant-gardistische Formensprache aus. Aufbauend aufanalytischen Auswertungen einer Bauaufgabe, derenstädtebaulichen Rahmenbedingungen sowie ökono-mischen und energetischen Faktoren entsteht maß-geschneiderte Architektur, welche emotional undzugleich identitätsstiftend ist. Über die Bearbeitungauf verschiedenen Bedeutungsebenen werdenGebäude entwickelt, die vielschichtige Interpretati-onsansätze bieten und ihre eigene Wahrheit durchdie Perspektive des Betrachters erlangen.

Das Architekturbüro blauraum aus Hamburg ist inDeutschland unter anderem für die vielfach undinternational ausgezeichneten Projekte in Hamburg:Wohnhaus „Wohnen [+]“ Bogenallee, „FreitagFlagshipstore“ und die „treehouses“ Bebelalleebekannt.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 42

v.l.n.r.: Rüdiger Ebel, Volker Halbach, Carsten Venus

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In erster Linie muss Architektur dem Menschendienen. Ob im künstlerischen Sinne, im öffentli-chen oder im städtischen Raum oder ob es ener-getische oder nachhaltige Themen sind. Alles,was dem Menschen dienen und helfen kann und

obendrein Ressourcen einspart, ist das, was Architektur leisten undkönnen muss.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 43

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GROHE: Worin sehen Sie die gesellschaftlicheAufgabe des Architekten im 21. Jahrhundert?

Rüdiger Ebel, Volker Halbach und Carsten Venus:Die Aufgabe, die Architekten schon immer hatten: demgesellschaftlichen Selbstverständnis mit den Mitteln ihrerZeit baulich Ausdruck zu verleihen. Die übersteigertenErwartungen an die Architekten, sie könnten mit einer„nachhaltigen Architektur“ den Fortschritt mit der Naturversöhnen, ist eine kurzzeitige Mode, die die Architektennicht zu sehr irritieren sollte.Die Anforderungen der Gesellschaft an die Stadt sowiean die Mobilität müssen sich grundlegend ändern, damitdie Architektur diesen entsprechen kann. Das Verständnis

R Ü D I G E R E B E L , V O L K E R H A L B A C H , C A R S T E N V E N U S

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 44

ES MANGELT DERARCHITEKTENSCHAFT,SICH SELBSTBEWUSSTDEM VORAUSEILENDENGEHORSAM GEGENÜBERDEN DIN‘S UND BAU-ORDNUNGEN ZUENTZIEHEN UND MEHREIGENE, SINNVOLLE UNDGESELLSCHAFTLICHANGEMESSENE WEGEZU UNTERSUCHEN.

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der historischen europäischen Entwicklung ist doch, dassdie Stadt eine Sonderform der Siedlung ist und durchsein Umland in Form von Energie- und Ressourcen-Zu-flüssen am Leben gehalten wird. Dieses Verständnis stößtinsbesondere in den Megacitys an seine Grenzen. Zumeinen, weil die Stadt nicht mehr die Sonderform dermenschlichen Siedlungsform ist und zum anderen, weilsie räumliche Dimensionen erreicht, die eine Versorgungvon „außen“ sehr ineffizient werden lässt. Auch in euro-päischen Ballungsgebieten ist dieses bereits spürbar.Das Umland entvölkert sich und kann den Bedarf derStadt z. B. mit Nahrungsmitteln nur noch mit Hilfe globa-ler Importe decken.Die einzige Antwort wird sein, dass sich die Stadt langfri-stig selber versorgen wird. Der Weg zur „KlimaneutralenStadt“ ist der erste Ansatz hierzu. Folgen muss die voll-ständige Autarkie der Stadt. Es existieren bereits vielver-sprechende Ansätze hierzu: die zero-carbon-city (MasdarCity), das Urban agriculture oder city-farming und natür-lich das Plusenergiehaus. Mit anderen Worten: schon imeinzelnen städtischen Gebäude müssen sich die zur Zeitnoch ausgelagerten Aufgaben der Energieerzeugung,Ressourcenwiederverwendung widerspiegeln.Die Architekten werden in Zukunft kleine, teilautarkeRaumschiffe bauen. Erst dann wird die Stadt ein Orga-nismus, der aus sich selbst heraus lebensfähig ist.

Arbeiten die Architekten Ihrer Meinung nach heuteausreichend interdisziplinär oder gibt es hier nochSteigerungspotenzial?

Die Forderung der Bauwirtschaft zwingt den Architekteneher in eine weitere Spezialisierung, sowohl bezüglichder Bauaufgaben als auch innerhalb des Planungs- undBauprozesses. Dieser Prozess von Planung und Baube-gleitung wird – ähnlich wie im angelsächsischen Raumschon üblich – immer weiter zerstückelt. Es schälen sichzwei Tendenzen heraus: die Spezialisierung in großenBüros mit eigenen Abteilungen voll Architektur-Speziali-sten für Bürobau, Wohnungsbau, Industriebau etc. mitGliederung zwischen Planen und Bauen. Auf der anderenSeite die Büros bis ca. zehn Mitarbeiter, die für kleinereProjekte den „Allrounder“ spielen. Eine Segmentierungdes Marktes ist die Folge: große Projekte mit hohemstädtebaulichen Einfluss werden über Architekturfirmenmit einem hohem Erfahrungspotenzial abgewickelt.

Das Interdisziplinäre im Sinne einer Zusammenarbeit mitanderen Fachplanungsgruppen ist eine originäre Aufgabejeden Planers. Die wirklich interessante Interdisziplinaritätist der Wissensaustausch mit fachfremden Bereichen;hier mangelt der Architektenschaft, sich selbstbewusstdem vorauseilenden Gehorsam gegenüber den DIN`s undBauordnungen zu entziehen und mehr eigene, sinnvolleund gesellschaftlich angemessene Wege zu untersuchen.

Manchmal gewinnt man den Eindruck, Gebäudewerden nur gebaut, um Energie einzusparen.Befinden wir uns mit der Konzentration auf Energie-kennzahlen auf dem falschen Weg?

Wie oben erwähnt: Die Architekten sollten sich vondiesem Wahn, mit exponentiell steigendem Aufwandnoch die letzte KiloWattStunde pro Jahr einzusparen,distanzieren.Für die junge Generation der Architekten ist der sinnvolleUmgang mit Ressourcen eine Selbstverständlichkeit; siesind mit dem Reden über Klimawandel und Effizienzwer-ten quasi aufgewachsen. Dieses als architektonischeLeitlinie oder formales Konzept zu verkaufen, das istschlicht nur noch peinlich. Die Aussage „wir stehen fürnachhaltige Architektur“ ist so, als ob ich sage „wir bauenHäuser, die nicht einstürzen“ – man sollte sie schnellnoch von den letzten Webpages löschen. Die Energie-kennzahlen sind wichtig ; sie sollten schon im konzeptuel-len Denken am Anfang des Prozesse so ernst genommenwerden wie die Schwerkraft, die zu einem bestimmtenstatischen Konzept führt. Aber alles ist wie immer nurElement eines gesamtheitlichen architektonischen undfunktionalen Gedankens.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 45

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Die Immobilienbranche hängt – insbesondere inBezug auf die Bautypologie WOHNEN – dem Bedarfdes Marktes hinterher. Es fehlt an altersgerechten,an Generationen übergreifenden und an sozialemund bezahlbarem Wohnraum in den großen Städten.Als Architekten hängen Sie in dem Ganzen mit drin,denn die Immobilienbranche ist u.a. Ihr Auftraggeber.Wie fühlen Sie sich in dieser Position? Würden Sieoft ganz anders wollen als Sie können?

Es ist nicht ungewöhnlich im Wohnungsbau, dass erstein Bedarf signifikant eintreten muss, bevor der Marktreagiert. Anders als im Bürobau ist die Marge für spekula-tive Voraus-Herstellung zu gering. Es ist richtig: Wirhaben einen hohen Nachholbedarf an Wohnungsbau inden wachsenden Zentren. Wogegen ich bei den Begriffen„sozialer Wohnungsbau“ und „Mehrgenerationen-Haus“etc. vorsichtig sein würde. Dieses hat oft nichts mit derbaulichen oder architektonischen Typologie zu tun,sondern wie ich das am Markt platziere. Der sozialeWohnungsbau ist nur ein Wohngebäude, welches mitöffentlichen subventionierten Krediten erstellt wird – dieWohnung hier ist auch nur eine Wohnung, in der Men-schen leben wie anderswo. Irgendwann läuft die Miet-preisbindung aus und dann ist die Wohnung wieder einenormale Mietwohnung, mit der der Eigentümer Geldverdient. Wesentlich ist das Thema „bezahlbare Woh-nung“ im Ballungsraum: hier sollten viel mehr Instru-mente angesetzt werden als der geförderte Bau vonMietwohnungen. Die staatliche Förderung von Wohnei-gentumsbildung hinkt hier völlig hinterher. Auch dieMöglichkeiten der Architekten zum Bau von günstigemWohnraum sind sehr beschränkt, da alle Gesetze undVerordnungen auf hohen Wohnkomfort und höchstentechnischen Standard abzielen; vom Tiefgaragenstellplatzüber den Aufzug bis zur Dreischeibenfensterverglasung –Wohnungsbau ist in jedem Segment sehr gleich.Die Erstellungskosten pro qm Wohnung differenzierenzwischen sozialen Wohnungsbau und gehobenemSegment nur marginal.

Jede Stadt ist Architektur, unsere gesamte gebauteUmwelt ist Architektur. Wie erklären Sie es sich, dassArchitektur nach wie vor eher eine isolierte Positionals Kunst, Technik und Wissenschaft einnimmt?

Wieso isoliert? Architektur vereint dieses alles und istständiges Thema von Gesellschaft und Politik. Seltenwurde mit so großer öffentlicher Teilhabe über Schulen,Wohnungen, Kulturbauten oder Stadtentwicklungdiskutiert und gestritten.

Sie sind als Büro auch vor allem dafür bekanntgeworden, dass Sie vorhandene Bausubstanzenfür neue Nutzungen geplant haben. Bewährt sichin der Umnutzung die Architektur vergangenerGenerationen?

Gute Architektur lässt vieles zu, sogar neue Architektur.Damit ist gemeint, dass gute Gebäude über ihren forma-len Ausdruck eine so robuste Funktionalität aufweisen,dass sie Träger einer neuen, zeitgemäßen Architekturwerden können. Gutes Beispiel ist wohl der Kaispeicher Ain der Hamburger Hafencity, auf den die Elbphilharmoniegebaut wird. Aber die Umnutzung ist für uns ein Begriff,der auch den Abbruch und einen Neubau beinhaltet.Die Neuinterpretation des Ortes ist Teil der Umnutzung.

Inwieweit beeinflussen diese Gebäude mit ihrererhaltenswerten guten Bausubstanz die derzeitigeArchitektursprache?

Es ist die gleiche Art Einfluss, wie es das Entwerfen aufeinem sogenannten freien Grund erfährt. Wir schreibennie auf einem weißen Stück Papier. Immer schreibt maneine alte Geschichte weiter oder verändert ihren Verlauf,fügt etwas hinzu oder löscht ganze Kapitel für eine neueWendung der Inhalte. Die Dinge, die einen in der Auf-gabe bereichern, werden gerne in die neue Geschichteeingebettet. So hat die Bausubstanz für uns keinen Wertan sich, sondern erfährt ihn erst im Zusammenhang mitdem Neuen. Wir verfolgen keinen „restauratorischen“Ansatz, sondern schreiben die Geschichte nach vorne.

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Gebäude wurden früher für Generationen gebaut.Heute baut man ein Haus oft für maximal 50 Jahre,um es dann durch ein neues zu ersetzen. Inwieweitkönnen Sie diese Tendenz mit Ihrem Architekturver-ständnis von heute mittragen?

Es haben sich schon viele Generationen getäuscht,die meinten, sie bauen für einen bestimmten Zeitraum.Wir werden sehen.

Wieweit sollte Architektur unser Leben, unserDenken und Handeln beeinflussen?

Nichts sollte unser Leben und Denken beeinflussen,außer wir selbst. Unsere gebaute Umwelt ist zu statisch,um mit uns mitzuhalten. Deshalb ist sie als Reflektionunserer Herkunft auch so wichtig. Die Langsamkeit vonArchitektur ist ihre Stärke. Dieser sollten wir Architektenuns immer wieder erinnern und sie uns zu Nutze machen.

Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen,um Architektur noch mehr in das Bewusstsein derBevölkerung zu bringen?

Wir glauben, das Bewusstsein des normalen Bürgers fürArchitektur steckt noch in den Kinderschuhen. Bei uns inDeutschland wird Architektur als Kulturgut sehr schlechtkommuniziert. Dies können wir natürlich durch eine Gale-rie auch nicht drehen, weil eine Galerie meistens Fachpu-blikum anzieht. Generell sollte man das Bewusstsein derMenschen für gute Architektur schärfen, sei es über einKulturministerium oder Vergleichbares in dieser Richtung.Die Holländer machen das im Übrigen sehr gut. Siehaben immer einen Kulturbeauftragten für Architektur,der Presse- oder Öffentlichkeitsarbeit macht und alle dreiJahre gewählt wird. Wir glauben, an so etwas fehlt es beiuns. Das Bewusstsein für Baukultur fängt in Deutschlanderst so langsam an.

Ist Design Ihrer Meinung nach als Disziplin derArchitektur voraus? Mit Design verbinden die Leuteetwas, auch wenn es nur Pseudo-Design ist.

In Deutschland ist ein guter Architekt hauptsächlich einIngenieur, um technische und bauliche Dinge herzustel-len und vorzubereiten. Der Designer ist in den Augen derAllgemeinheit jemand, der – wie das Wort dann sagt –mit Steinen in die Umwelt eingreift. Das ist etwas, wassich die Architektenschaft hat nehmen lassen, weil derArchitekt natürlich per se eigentlich der Gestalter dergesamten Umwelt ist. Zu früheren Zeiten haben Architek-ten Auto-Design gemacht usw. und waren in allen Berei-chen tätig. Wir haben uns letztendlich durch die deutscheBauwirtschaft und auch durch die hohen Anforderungenan Normen und technischem Know-How zu sehr in dieEcke dieses Erfüllers der Bauwirtschaft drängen lassen.Das ist etwas, was wir als blauraum architekten von An-fang an versuchen aufzubrechen. Wir versuchen, wieauch andere Kollegen, diesen Gap, diese Lücke wiederzu schließen, um sagen zu können, dass es zwischenDesign und Architektur keinen Widerspruch gibt. Wir allesind an Normen gebunden.

Wie wichtig ist Marketing in eigener Sache für IhrenErfolg? Sehen Sie sich diesbezüglich professionellaufgestellt?

Marketing ist ganz wichtig, unabhängig davon, ob ich einArchitektur- oder ein Designerbüro führe oder Armaturenvertreibe. Nur wenn über einen gesprochen wird, ist derName platziert. Wir Architekten machen uns generellüber Marketing viel zu wenig Gedanken. Das wird uns alsArchitekten an den Hochschulen ja auch nicht beige-bracht. Wir sind erst einmal der Allroundkünstler, derdann später in der Welt mit Investoren zu tun hat. Wirsind keine Künstler, so wie wir oftmals wahrgenommenwerden. Wir müssen uns wie alle anderen am Markt plat-zieren. Dazu gehört Marketing, was wir bei blauraumauch organisieren. Auch unsere Kammern und Verbände

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müssten unserer Meinung nach viel mehr in dieser Hin-sicht unternehmen. Architekten haben doch eine heraus-ragende Bedeutung und Verantwortung für eine Gesell-schaft, die ihre Verstädterung noch weiterhin betreibt.Insofern wird der Architekt in der Zukunft noch mehr ge-braucht als bisher. Die meisten Menschen merken erst,dass es Architektur gibt, wenn Dinge in ihrer Nachbar-schaft passieren. Es wird sich dann auch für Architekturinteressiert, wenn man direkt selber davon betroffen ist.

Wo zielen Sie mit Ihrem Büro strategisch hin?Was haben Sie sich vorgenommen?

Grundsätzlich: Der Weg ist das Ziel. Natürlich haben wirWünsche, z. B. dass wir national und international mehrAufmerksamkeit bekommen. Unser Ziel ist es nicht, einDreibuchstabenbüro mit 200 Mitarbeitern zu werden.Das ist nicht unsere Erfüllung und es passt auch nichtin unsere Lebens- und Architektur-Philosophie. Ob man15 oder 25 Mitarbeiter hat, das ist ganz egal. Wir sindbestrebt, sowohl national als auch international wahrge-nommen zu werden. Nicht nur als Hamburger Architek-ten, sondern deutschlandweit und international als ernstzu nehmender Partner. Das ist das Ziel, das wir haben.Strategische Geschäftsfelder für die nächsten fünf Jahrehaben wir nicht. Es geht uns um die Aufgabenvielfalt, diewir uns natürlich wünschen. Als Architekten tauchen wirimmer wieder in diverse Aufgabenstellungen ein und dasist das, was uns motiviert. Neben Wohnungsbau, Bürosund Bauten für Lehre und Forschung. Wir haben bereitssehr interessante Projekte gemacht, die dann leider nichtalle verwirklicht wurden. Wir wollen keine klassischenorddeutsche Architektur schaffen.

Sie wollen also die Vielfältigkeit der Bautypologien,für die Sie beauftragt werden, ausbauen und wollennicht nur auf Hamburg spezialisiert sein?

Das ist keine einfache Zielsetzung, die wir uns gesetzthaben, dass wir sozusagen den Facettenreichtum unsererTätigkeit erweitern wollen. Die Gefahr, die besteht, ist,dass man ansonsten auf bestimmte Typologien festgelegtwird.

Büro- und Wohnbauten sind zurzeitIhr Steckenpferd?

Diese Typologien bauen wir derzeitig am meisten, weilwir eben diesbezüglich am häufigsten angefragt werden.Wir möchten aber beweisen, dass wir ortsunabhängigauch in Bezug auf andere Typologien Kompetenzenhaben. Nur durch vielschichtige Aufgaben bleibt esspannend und wir bleiben als Architekten jung im Kopf.

Warum sollte ich als Investor blauraumbeschäftigen?

Sie bekommen etwas über das hinaus, was Sie benöti-gen. Das ist für die Immobilienwirtschaft immer wichti-ger. Natürlich kriegt der Kunde das, was er benötigt undwas er bestellt, d. h. die Fläche, die Funktion, die Funktio-nalität des Gebäudes. Architektur fängt dann eigentlicherst an. Die Anforderungen werden erfüllt und darüberhinaus gibt es von uns eine Architektur, die sich dannfür die Vermarktung positiv niederschlägt. Unser Bauherrerhält von uns einen maßgeschneiderten Anzug in einerimmer abgestimmten Architektursprache. UnsereGebäude sind immer für den Auftraggeber personalisiert.Das ist der Unterschied zu anderen Büros. Der Unter-schied ist eben der, dass wir intensiv mit dem Bauherrnin den Dialog treten und uns auf die jeweilige Aufgabeneu einstellen. Aber dies ist vielleicht eine Antwort, diejeder engagierte Architekt geben sollte.

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Sie sagen, Sie gehen anders auf die personellenWünsche des Bauherrn ein, anders als die großenetablierten Architekturbüros. Letztere bestreitenaber 80 % des Bauvolumens in Deutschland.Wie passt das zusammen?

Das ist wie überall in anderen Wirtschaftszweigen, wennSie etwas Großes bestellen, dann gehen Sie erst einmalzu den Großen. Das ist schon allein aufgrund der sogenannten Kompetenz und der Leistungsfähigkeit derFall. Grundsätzlich funktioniert der Architekturmarkt dochso: Wenn Sie erfolgreich einen Flughafen gebaut haben,werden Sie wieder mit einem nächsten beauftragt.So verhält es sich auch mit anderen Typologien.Viele der Investoren wollen ja per se keinen Dialog füh-ren, sie denken eher an die Rendite. Für uns bedeutetaber Baukultur, in den Dialog zu treten.

Architektur hat in der Bau- und Immobilienbranchean Einfluss verloren, während Bauträger ihrenEinfluss haben ausbauen können und Ihnen alsArchitekten Einiges weggenommen haben.Wie sehen Sie die Situation aktuell bezüglich derBauträger, Investoren?

Der Architekt war früher der Generalist, mit dem allesbeginnen musste. Er hat sich aber über die Jahre dieArbeit von Fachplanern und Ingenieuren immer mehrabnehmen lassen. Jetzt macht der Bauträger den letztenRest auch noch, weil er seine Architekten selber mit-bringt. Die Vermarktung und Rendite stehen im Vorder-grund. Das wird mit Sicherheit in Zukunft noch zuneh-men. Aber das freut uns sogar, weil die Nischenproduktedes Maßanzuges dadurch wieder an Bedeutung gewin-nen. Entweder Nischenprodukt oder die breite Masse.Dazwischen wird es immer weniger geben.

Was ist Massenmarkt, die großenArchitektenhäuser?Ja genau. Der Einfamilienhausbereich ist definitiv größ-tenteils für die Architektenschaft verloren gegangen, weiles einfach im Preis-/Leistungsverhältnis schwerer darstell-bar ist. Wenn wir über den Geschosswohnungsbaureden, dann ist dort die Bauträgerschaft vorherrschend,die von A-Z alles alleine machen kann. Aber es gibt auchBedarf nach etwas Anderem, denn durch die Diversifi-zierung der Bevölkerung und die Strukturen insgesamtergeben sich auch im Immobilienbereich unterschiedlicheBedürfnisse.Das bedeutet letztendlich ein großes Feld für die Archi-tekten. In den nächsten Jahren wird eine Sättigung ein-treten, auch im Bewusstsein der Leute. Die Gesellschaftentwickelt sich immer mehr zur Individualisierung.Und natürlich sind wir dann wieder beim Thema vonvorhin. Inwiefern ist das Thema Architektur in den Köpfender Menschen, und zwar in ganz allgemeiner Form.Den Leuten muss klar werden, dass sie Ihre Individualitätauch in der Architektur leben können und nicht nur vonstatistisch ermittelten Grundrissen abhängig sind.

Die Computertechnologie hat die ganze Welt unddie Wahrnehmung der Menschen maßgeblichverändert. Die Menschen begreifen heute auch denRaum ganz anders. Glauben Sie, dass Architekturmit den Veränderungen dieser LebensumständeSchritt gehalten hat?

Die Frage ist spannend, weil wir genau dieses Thema inder Aedes-Ausstellung beleuchten wollten: die Betrach-tungsweise der Menschen auf Architektur. Deswegenbeinhaltete unser Konzept die Präsentation sehr, sehr gro-ßer schwarz-weiß-Fotografien. Auf großformatigen Printswurden zehn Projekte von uns gezeigt, von Projekten,bei denen Sie auf Anhieb wahrscheinlich nicht wussten,was gebaut ist, was nicht gebaut ist. Es gibt eine Über-spiegelung zwischen Virtualität und Realität. Gleichzeitigveränderten wir auch den Raum der Galerie derartig,dass Sie nicht mehr wussten, wo Boden oder Decke ist.Das wurde sehr analog gemacht. Genau dieses Thema,die Betrachtungsweise der Menschen auf Architektur undden Raum, ist uns besonders wichtig. Architektur ist jaein Spiegelbild der Gesellschaft, sie entspricht dem Zeit-geist. Der Herstellungsprozess in der Architektur, diesesStein auf Stein, ist gar nicht das Relevante. Vielleicht istes sogar das Einzigartige, weil es eines der wenigenProdukte ist, die man sich noch als Prototyp entwickelnkann. Alles andere ist eigentlich sehr austauschbar ge-

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worden. In der digitalen Welt sowieso produzierbar, undin der analogen Welt sind wir jetzt eigentlich von derFunktion umgeben. So wie ein gutes Essen ist Architekturein Unikum, das immer wieder neu geschaffen wird undnicht reproduzierbar ist.Jeder Versuch, Architektur wieder reproduzierbar zumachen, ist letztendlich gescheitert. Jedes Haus ist einPrototyp, auch wenn es genauso aussieht wie das an-dere. Es folgt anderen Rahmenbedingungen. Man hateinen Prototypen, der immer wieder neu entwickelt wer-den muss. Deswegen finden wir den Vergleich mit demEssen auch gut. Für Nahrungsmittel geben die Leutewieder Geld aus, sie setzen auf Qualität und Nachhaltig-keit. Als Architekt ist man eigentlich wie ein Koch, derein Rezept macht und daraus das Gericht für den Gastpersonalisiert. Wir personalisieren die Häuser für unsereBauherren.

Was muss Architektur im ökologischen, ökonomi-schen und sozialen Kontext leisten?

In erster Linie muss Architektur dem Menschen dienen.Ob im künstlerischen Sinne, im öffentlichen oder im städ-tischen Raum oder ob es energetische oder nachhaltigeThemen sind. Alles, was dem Menschen dienen undhelfen kann und obendrein Ressourcen einspart, ist das,was Architektur leisten und können muss. Natürlichbauen wir nachhaltig und auch mit dem neuesten Standder Technik. Das ist vollkommen klar. Das ist man derGesellschaft schuldig. Nachhaltigkeit ist für uns eineselbstredende Geschichte. Der Architekt baut für denMenschen und für sein Umfeld. Seine Verantwortungsollte von Nach-haltigkeit – auch gestalterischer und qua-litativer – und möglicher Ressourceneinsparung getragenwerden. Das Bewusstsein für Baukultur müssen wir in dieKöpfe der Gesellschaft rein bekommen. In den 20er und30er Jahren war Deutschland eines der führenden Bau-kulturen-Designerländer der Welt. Wo ist das geblieben?Das muss man wieder versuchen, in die Köpfe zu veran-kern. Es ist schwierig, gerade in Zeiten, in denen dieMittelschicht immer weiter wegbricht. Nur weil wir jetztbegriffen haben, dass Häuser weniger Energie verbrau-chen, hat noch kein Wertewandel stattgefunden.Im Moment leisten wir die Anforderungen, die gesetzlichvorgegeben werden. Aber das hat nichts mit Nachhaltig-keit zu tun. Der Energieverbrauch ist nur ein ganz kleinerAspekt der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit beschreibt imWesentlichen die Langlebigkeit und den Umgang mitRessourcen. Da sind wir in der Immobilienwirtschaft weitdavon entfernt.

Man bedient sich des Themas Nachhaltigkeit, umdie Rendite zu sichern oder zu erhöhen. Meinen Sie,dass dies die eigentliche Triebfeder ist?

Das Wort Nachhaltigkeit darf einfach nicht zu einerMarketinghülse verkommen und nur auf Energiethemenfokussieren. Die Säule jeder Architektur ist, dass dasGebäude funktional ist, eine Behaglichkeit hat und auchgewisse ästhetische Ansprüche erfüllt. Natürlich ist dasEnergiethema auch wichtig. Aber der Grundstein derArchitektur ist, dass sie funktioniert und auch über Jahrehinweg bestimmte Funktionen erfüllen kann.

Wie ist Ihre Architektur-Auffassung generell?Es gibt Kollegen, die mehr im traditionelleren BereichZuhause sind, die die Gründerzeitvillen als das Nach-haltigste ansehen, was wir besitzen. Sie vertretendie Auffassung, dass man die Modetrends nicht überdie Sinnfälligkeit der Gebäude stellen sollte. Wowürden Sie sich ansiedeln?

Natürlich, die Architektur und auch das Bedürfnis vonMenschen verändern sich über die Generationen hinweg.In der Bauhaus-Ära haben wir eine wirklich goldene Zeitgehabt und davor ist gutes Design aus einer Notwendig-keit heraus entstanden. Da sind auch Häuser für Men-schen entwickelt worden, die zum damaligen Zeitpunktkein Licht hatten. Wenn wir uns ansiedeln müssten, dannwären wir wahrscheinlich eher in dieser Bauhaus-Typolo-gie wiederzufinden. Wobei die Bauhaus-Typologie heute,wenn sie dann weiter gelebt worden wäre, anders ausse-hen würde. Ich glaube, das war auch das, was wir mein-ten mit: Der Weg ist das Ziel. Sie werden von uns in zehnJahren ein anderes Gebäude sehen als in zwanzig Jahrenoder als unser erstes Gebäude. Die Rahmenbedingungender Menschen ändern sich eben und deswegen werdendie Gebäude anders aussehen. Aber sie werden immerfür Menschen sein und es wird wahrscheinlich immermoderne Architektur sein.

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Haben sich die von Ihnen eingesetzten Materialienim Zuge der ganzen Nachhaltigkeitsdiskussionverändert?

In diesem Jahr sind wir mit dem deutschen Holzbaupreisausgezeichnet worden. Vor zehn Jahren hätten wir nie-mals gedacht, eines Tages so einen Preis zu erhalten, dawir doch gar nicht gewusst haben, wie Holzbau funktio-niert. Im Laufe der Jahre beschäftigt man sich natürlichmit anderen und Ressourcen schonenden Materialien. Soist man schnell bei Holz. Was nicht heißen soll, dass wirnun nur noch mit Holz bauen. Vielleicht gibt es Morgenschon andere Materialien. Wir haben immer mit Materialexperimentiert, was unsere Architektur auch ausmacht.Irgendjemand muss ja anfangen und neue Materialienund Produkte auf dem Markt probieren. Keiner macht esgerne. Sie bestellen sich beim neuen Mercedes oderBMW nicht immer die erste, sondern immer die zweiteBaureihe, weil Sie genau wissen, dass alle Kinderfehlerdamit ausgebügelt worden sind. Wir experimentierenz. B. noch mit Fassadenmaterial. Da haben Sie ein Pro-dukt aus recycelten PET-Flaschen, die dann in derFassade als HPGL-Beschichtung untergebracht sind.Wir möchten allerdings keine Hersteller benennen. Obdas in zehn Jahren noch so ist, kann ich Ihnen jetzt nichtsagen. In 20 Jahren geht es vielleicht mehr um diesesdown recyceln. Wie oft kann man ein Produkt wirklichrecyceln und als Baumaterial wieder verwenden?Vielleicht in anderer Form und anderer Farbe.

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BLAURAUMARCHITEKTENBüronameblauraum architekten

BüroinhaberRüdiger Ebel, Volker Halbach, Carsten Venus

Gründungsjahr2002 von Rüdiger Ebel, Volker Halbach undCarsten Venus

Standort des BürosHamburg

Mitarbeiter15

ProfilArchitektur, Innenarchitektur, Stadtplanung

Die wichtigsten GebäudeBogenallee WohnenAtelierhaus Grindelhof 37, HamburgTreehouses Bebelallee, HamburgStationsgebäude HH-Süd:Bürogebäude für die DB Schenker RailLaser Zentrum Nord Hamburg-Bergedorf

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P R O F I L

Bogenallee Wohnen[+], Hamburg, 2005

Laser Zentrum Nord, Hamburg, 2012Foto:ChristianSchaulin

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Treehouses Bebelallee, Hamburg 2010

Laser Zentrum Nord, Hamburg, 2012

Foto:M

artinSchluter

Foto:M

artinSchluter

Foto:M

artinSchluter

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BWM Architekten und PartnerJohann Moser undMarkus Kaplan

Johann Moser (Jahrgang 1961) wurde in Waizenkir-chen geboren. Er studierte Politikwissenschaften undEthnologie an der Universität Wien. Anschließendmachte er sein Studium der Bildhauerei an derAkademie der bildenden Künste in Wien (Meister-klasse Professor Bruno Gironcoli). Er arbeitete inverschiedenen Architekturbüros in Wien als freischaf-fender Künstler. Im Jahr 2004 wurde das Büro BWMArchitekten durch Erich Bernhard, Daniela Waltenund ihn gegründet.

Markus Kaplan (Jahrgang 1972) wurde in Salzburggeboren. Er machte eine Ausbildung zum Bauzeich-ner für Hochbau in Dortmund. Er absolvierte seinStudium der Architektur an der TU Graz. Seit 2004ist Markus Kaplan für BWM Architekten und Partnertätig. Im Jahr 2008 wurde er zum Junior-Partnerernannt.

Zu den bekanntesten Projekten von BWM Architek-ten gehören das 25hours Hotel Wien, das HotelTopazz am Hohen Markt sowie das „Genussregal“in der Südsteiermark.

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Johann Moser, Markus Kaplan

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Architektur ist immer über die konkrete Bauauf-gabe hinaus zu denken und zu beurteilen.Das real Gebaute ist, einem Eisberg vergleichbar,nur der sichtbare Teil eines komplexen, gesell-schaftlich konnotierten Entstehungsprozesses –

da gibt es viele „unterbewusste“, nicht sichtbare Ebenen – das machtdiesen Beruf ja auch so spannend und facettenreich.Der Architekt ist nur einer von vielen Akteuren in einem großen Spiel ...das ist wie in der Demokratie: der Einzelne kann nicht das Gesamtebestimmen, aber die Initiative und das Engagement eines Einzelnenkann viele andere bewegen und inspirieren!Architektur muss sich engagieren!

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WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GROHE: Wie empfinden Sie den Statusder Architekturbeiträge in Bezug auf Lösungen derdrängenden Probleme unserer Zeit und Zukunft?

Johann Moser und Markus Kaplan: Ist das sich globalfrei austobende Finanzkapital ein drängendes Problemunserer Zeit, das durch Architektur gezähmt werdenkönnte?Zur Zeit baut sich die Welt in fast allen Belangen atembe-raubend schnell um – wobei dafür Architektur nicht ver-antwortlich ist, aber einen prominent sichtbaren Spiegeldieser gesellschaftspolitischen Prozesse abgibt.Gerade weil wir aktuell die Schockwelle der turbokapitali-stischen Folgen der 90er und 00er Jahre durchleben,spiegelt sich auch in der Architekturdebatte ein Perspekti-venwechsel in Richtung Nachhaltigkeit, Folgenabschät-zung, Problembewusstsein, etc. wider.Die Gesellschaft ist derzeit eher bereit auf Fragestellungenwie Energieeffizienz, Ressourcenschonung, CO2-Bilanzetc. zu hören, obwohl sich diese Fragen nicht erst seitgestern brennend stellen. Wir erinnern an den legendärenBericht des Club of Rome über „Die Grenzen des Wachs-tums“ aus dem Jahr 1972. Die Problemlagen haben sichseither nicht wesentlich geändert. Die Gesellschaft weißlängst davon. Was wir seither erleben sind Konjunkturendes (kollektiven) Verdrängens dieser Fragen und Zeiten,wo diese Fragen wieder „in“ sind.So hat es immer Architekten gegeben, die konzentriertan den Problemfragen von Gegenwart und Zukunftgearbeitet haben – aber eben in Zeiten des Superlativsrund um Dubai, Shanghai, Peking, etc. weniger gehörtwurden.

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J O H A N N M O S E R , M A R K U S K A P L A N

ARCHITEKTEN MÜSSENVOR ALLEM AUCHPSYCHOLOGEN SEIN.

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Hat sich der Auftrag an die Architekten – imgesellschaftlich politischen Sinne – im Laufe derJahre verändert, oder wird er sich in Zukunftverändern?

Wenn sich, wie wir hoffen, nach den Jahren des blindenGlaubens an ewig wachsende Aktienkurse eine umsichti-gere, gesamtheitlichere Haltung Gehör verschaffen kann,wird auch im Bau mehr Augenmerk in diese Richtungmöglich sein. Das ist ja auch in den Architekturmedienbereits sichtbar: Holzbau ist beispielsweise stärker auchauf Titelseiten zu finden, Wohnbau als gesellschaftspoliti-sches Thema, Wohnen für ältere Menschen, Augenmerkauf Gestaltung öffentlicher Räume – bis vor kurzemwaren noch hauptsächlich globale Repräsentationspro-jekte am Cover.

Diese Interviewdokumentation trägt den Titel:„Was Architektur heute leisten muss“. Inwiefernunterscheidet sich die Antwort, wenn die Fragelautet: „Was muss Architektur morgen leisten?“Gibt es einen Unterschied zwischen heute undmorgen?

Wie wird die Generation leben, die gerade lernt, dassalles Wissen jederzeit per i-Phone verfügbar ist und garnicht mehr in das eigene Gehirn eingelernt werden muss?Wie wird der soziale Raum, der zunehmend von SocialMedia aufgesogen wird, den physischen sozialen Raumverändern? Welche Bedeutung schenke ich meiner kon-kreten physischen Umgebung, wenn ich meine Aufmerk-samkeit auf meine virtuelle community konzentriere? Istdann die Stadt und sind ihre Bewohner nur mehr Kulissefür die Joggingrunde?Wir erleben sehr spannende Veränderungen unseresAlltagslebens und unserer sozialen Interaktionen – dasLokale löst sich auf in eine Allpräsenz des Globalen.Das wird die Gesellschaft als Ganzes und so auch dieArchitektur herausfordern – nur ist es schwer mitZukunftsprognosen.

Viele Architekten planen und bauen weltweit für„grüne Architektur“. Welche Auswirkungen wird dasIhrer Meinung nach auf die Nachhaltigkeit unsererStädte haben?

Grundsätzlich ist das eine recht positive Entwicklung,die zu lebenswerteren Stadträumen beiträgt – es ist toll,was alles für kreative Ideen entstehen.Und weil sich alle dabei gut fühlen, sieht man aber auch,wie diese Ideen sofort als Marketing-Camouflagetechnikeingesetzt werden: Die grüne Farbe dominiert mittler-weile jeden Wolkenkratzer, und bei Visualisierungen vonNeubaugebieten sind sogar die Straßenflächen grüngeworden. Bei aller Liebe zu mehr lebenswerterem Grünsollte man sich aber nicht der Täuschung hingeben, dassdie Tomatenstaude am Balkon die Ernährungsfrage lösenkönnte – aber sie kann vielleicht die Sinne schärfen,was eine tolle Leistung ist.

Wie sieht für Sie als Architekten die vorbildlicheStadt der Zukunft aus?

Uns schaudert es vor vorbildlichen Städten der Zukunft –vielleicht wird es ja was damit am Mars. Wir fühlen unsin Städten wohl, die Vergangenheit, Gegenwart undhoffentlich eine gute Zukunft haben. Daran gilt es mitallem Können offenen Auges zu arbeiten. Ein sensiblesThema ist meiner Ansicht nach das Management desSpannungsverhältnisses zwischen globaler Angleichung(in allen Städten die gleichen Einkaufsstraßen mit dengleichen Shops) – die oft aber auch als Befreiung aus derProvinzialität fungiert – und dem Umgang mit der je eige-nen Individualität. Da ist man mit Patentrezepten schnellverkauft – das muss jede Stadt individuell aktiv angehen –es gibt viel spannende Arbeit auch für Architekten.

Bedarf es Ihrer Meinung nach eines Neuanfangsim Städtebau?

In der Stadt, in der wir leben (Wien, übrigens laut Mercer-Studie die lebenswerteste Stadt der Welt), hat Städtebaugar nicht erst begonnen – Städtebau existiert weder imBewusstsein der Leute, noch gibt es eine öffentliche, ge-schweige denn politische Debatte. Vielleicht ist es geradedie Dominanz des historischen Bestands, die die Stadtals „fertig“ gebaut erscheinen lässt. Dabei ist diese Stadtfleißig in Bewegung und entwickelt sich an allen Eckenund Enden. Aufbau, Um- und Neubau, Verdichtung imInneren, Bebauung alter Bahnhofsareale und Expansionins freie Umland – überall wird fleißig gebaut.Städtebau erscheint als Stückwerk, in dem vor dem Hin-tergrund schrumpfender öffentlicher Finanzkraft vermehrtden großen Banken- und Investoreninteressen Freiraum

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geboten wird. Es darf sich die Stadt wegen Geldknapp-heit nicht einfach auf den Pannenstreifen stellen, sichauf die Kontrolle von Bauhöhen beschränken und denBanken die Entwicklung von Stadtteilen überlassen – hiergehört Selbstbewusstsein für die Sicherstellung qualitati-ver, urbaner und öffentlicher Räume her! Z.B. in derLeitdefinition von Sockelzonen, Durchwegungen, etc.Es lassen sich auch einige Versuche von Seiten der Ver-waltung erkennen, umfassendere Ansätze zu verfolgen,z. B. die Bündelung der Zuständigkeit von Verkehr, Stadt-entwicklung, Klimaschutz und Bürgerbeteiligung in einemRessort, oder die Propagierung neuerer Methoden derEntscheidungsfindung in stadtplanerischen Planungspro-zessen, wie z. B. kooperative Verfahren, etc.

Viele Ihrer Kollegen nervt die Kurzfristigkeit derStadtentwicklung. Diese müsste langfristig organi-siert werden, was man mit Nachhaltigkeit gleichset-zen könnte. Wie beurteilen Sie die Situation?

Stadtplanung wird immer ein Thema sein, das höchstenseine Minderheit aktiv interessiert. Allerdings, die Liebezur Stadt und der Stolz auf den eigenen, auch selbstmitgestalteten Lebensraum ist eine Frage der Kultur –hier könnte ein öffentlichkeitswirksamer Hebel liegen,der dann auch die Fragen einer Stadtplanung mit mehrEnergie speisen würde.

Denken Sie bei der Entwicklung Ihrer Architektur andie Zukunft? So viele Dinge können sich in der Zeitzwischen Entwurf, Fertigstellung bis hin zum Endedes Lebenszyklusses verändern, entweder von Seitender Politik, der Wirtschaft oder der Kultur bis hin zurArchitektur selbst.

Kann man sich heute als Architekt zu denken getrauen,ein Gebäude zu bauen, das, so wie der Stephansdom,bald 600 Jahre alt wird? Das kommt uns absurd vor.Spannender ist es vielleicht, an die Holz- und Lehmbau-ten aus neolithischer Zeit zu denken, die wieder vollstän-dig in die Natur hinein verschwunden sind (zum Leid-wesen der Archäologen, die nur mehr wenige Spurendavon finden können). Das könnte für die Frage derBeurteilung von Nachhaltigkeit, Lebenszyklus und Um-weltverträglichkeit ein Maßstab sein. Die Orgie vonKompositverbundwerkstoffen und Styroporverklebungenim Namen der Energieeinsparung sollte wirklich bis zuEnde durchgedacht werden – was nicht immer im Sinneder Baustoffindustrie ist.

Viele Ihrer Kollegen meinen, dass der Stellenwertder Energiereduzierung und der Energiekennzahlenüberbewertet wird. Zerstören wir womöglich zugun-sten des Energiesparens unsere Baukultur?

Durch die neuen OIB-Richtlinien ist ja z. B. bei einemUmbau eines Gründerzeitbauwerks die wärmetechnischeErtüchtigung erforderlich – man überlegt ernsthaft, dieDekorteile des 19. Jahrhunderts in Styropor nachzubauenund auf die Fassade zu kleben – ein baukultureller Höhe-punkt.Neben Ökonomie, Ökologie und sozialen Aspektenhat das Thema Nachhaltigkeit ja auch einen kulturellenAspekt. Der gerät vor lauter Energiekennzahlen rechtleicht aus dem Blickfeld.So sind die Gebäude der Gründerzeit zwar vielleicht nichtauf dem neuest geforderten Energiekennzahl-Niveau, ihrevielfältige Umbaubarkeit bietet selbst nach 100 Jahrenauch den heutigen Nutzeranforderungen interessantenRaum. So befindet sich beispielsweise unser Büro imsogenannten Margaretenhof – und wir sitzen in derVeranda, die 1910 die Terrasse eines Kaffeehauses war.Ein Lifecycle-Vorbild!

Wie lautet die Philosophie von BWM Architekten?

Unsere grundsätzliche Philosophie ist, dass wir dieProjekte, an denen wir arbeiten, als Prozess sehen unduns als Teamplayer verstehen.Wir haben gelernt, dass Architektur nur ein Teil derLösung ist, aber eben nicht die Lösung per se. Über dieArchitektur hinaus werfen wir möglichst einen 360-Grad-Blick auf Gesellschaft, Wirtschaft und die Prozesse, diejeweils den Kontext bilden. Wenn wir schon nicht selberdie Experten in allen Feldern sind, müssen wir dafür offensein, eben diesen Kontext mit einzubinden. Wir sehenuns als Übersetzer und nicht primär als den Gestalter, dereine bestimmte Handschrift durchsetzen will.

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Page 58: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

Was für Ziele setzen Sie sich bei BWM Architekten?Welche Strategie verfolgen Sie? Verwenden Sieüberhaupt das Wort Strategie?

Wir haben sogar Strategiesitzungen, in denen wir überle-gen, wo die Reise hingeht. Es gibt uns jetzt acht Jahre,natürlich wollen wir wachsen. Architektur ist ein relativlangatmiger Beruf, aber wir sind noch hoffnungsfroh.Wir wollen qualitativ und nicht unbedingt quantitativweiter wachsen.

Aber wo wollen Sie in fünf oder zehn Jahren stehen?Gibt es da eine Vision?

Wir wollen uns stärker für den Städtebau und den ge-meinnützigen Wohnbaubereich engagieren, weil es sozio-politisch ein großes Thema ist. Die Stadt, in der wir hierleben, ist uns sehr wichtig. Bei unserer Arbeit geht es imWesentlichen immer hier um diese Stadt. Für Wien be-deutende Themen weiter zu entwickeln, beziehungsweiseuns als Experten da immer mehr hinein zu arbeiten, dasist uns ein wesentliches Anliegen.

Der Markt stellt viele Ansprüche an Sie wie Qualität,Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit, Nutzbarkeit... Alldas sind Aspekte, die Sie in Ihren Planungen auchberücksichtigen müssen. Dazu kommen staatlicheReglementierungen. Fühlen Sie sich in diesem Kor-sett der Verpflichtung oft eingeengt?

Es gibt solche Phasen. Manchmal ist es aber geradespannend, genau mit diesen Restriktionen zu arbeiten.Mit den neuen Technologien der Nachhaltigkeit mussman wirklich gut umgehen können, sonst bekommt mandicke Kisten mit kleinen Löchern und sehr fragwürdigergestalterischer Qualität. Der Ausdruck der Lösungsmög-lichkeiten erscheint oft sehr limitiert, das ist wahr.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf?

Das Tolle am Architektenberuf ist dieser Universalismus,der in diesem Bereich notwendig ist. Wir müssen aufKreativität schauen. Wir müssen auf Kosten schauen.Wir müssen auf Termine schauen. Wir müssen mit Hand-werkern auf der Baustelle umgehen können, uns dieSchuhe schmutzig machen und in der nächsten Sekundemit Bauherren in irgendwelchen Lounges sitzen unddistinguiert sein. Am allermeisten müssen wir Psycholo-gen sein. Je mehr ich diesen Beruf ausübe, desto span-nender finde ich diesen Aspekt. Wirklich mit Menschenzu arbeiten und sie dann dorthin zu kriegen, wo man siegerne haben möchte, und wie man das zustande bringt.

Wen sehen Sie als größten Feind einer qualitativhochwertigen Architektur an?

Dummheit und Gier. Die Kurzfristigkeit in der Projektent-wicklung ist genau das Gegenteil von nachhaltig. Eineschnelle Rendite, in drei Jahren muss das Projekt so undso viel Prozent abwerfen. Das ist der Hauptpunkt: Derwirtschaftliche Druck ist oft sehr kontraproduktiv. Unddas meine ich nicht in dem Sinn, dass man kostengünstigbaut. Das ist soziale Verantwortung. Als Architekt mussich auch günstigen Wohnraum oder günstige Gewerbe-flächen schaffen, damit ein normales Unternehmen sichdort einmieten oder ein normaler Mieter sich das leistenkann.

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Sie sprechen gerade von Nachhaltigkeit – das istdas Modewort überhaupt in der Branche. Wir erlebenweltweit ein ungezügeltes, spekulatives und nichtnachhaltiges Bauen. Wie passt das zusammen?

Es liegt in der Logik der ungebremsten Wachstumseu-phorie. Mehr Umsatz bedeutet, dass man Sachen ma-chen muss, die nach Möglichkeit nach drei, vier, fünfJahren wieder weg sind. Dann kann man das nächsteProjekt angehen und so weiter. Ein Paradigmenwechselin puncto Nachhaltigkeit bedeutet, an den Fundamentenunserer jetzigen Gesellschaftskonstruktion zu nagen.Wenn man Nachhaltigkeit wirklich durchdenkt, stellensich auch Fragen, die wehtun.Wir sind bei dem Begriff Nachhaltigkeit immer einbisschen vorsichtig, man sollte ihn nicht zu leichtfertigverwenden. Was wir auch schwierig finden, ist, miterhobenem Finger durch die Gegend zu gehen und zusagen: Konsumiert jetzt weniger und wir bauen uns jetztvom Denken her komplett um. So einfach ist es nicht.

Wie wichtig sind für Sie Auszeichnungen, die esin diesem Bereich gibt? Fordern Ihre Bauherren diezunehmend mehr ein?

Wir sind sehr stark im innerstädtischen Kontext tätig.Dort schafft man es nicht, solche klassischen Auszeich-nungen zu bekommen. Allerdings haben wir eine eigeneArt und Weise, wie wir damit umgehen. Wir haben zumBeispiel eine Fensterstudie gemacht, in der wir analysierthaben, wie diese klassischen Wiener Fenster in Bezugauf Schallschutz, Wärmeschutz und so weiter funktionie-ren. Uns geht es auch um den kulturellen Aspekt. Es gibttatsächlich Diskussionen darüber, dass man in Wien iminnerstädtischen Bereich die ganzen Fassaden abräumtund Vollwärmeschutz darauf setzt und die Ornamente inStyropor nachbaut. Wir finden, dass das nicht die Lösungsein kann. Man muss das ganzheitlich betrachten. Letzt-endlich ist das ein Gebäude, das schon deshalb nachhal-tig ist, weil es so lange steht, ohne abgerissen worden zusein. Es hat einfach eine enorme Wertigkeit. Wir überle-gen dann lieber mit Bauphysikern, was man stattdessentun kann.

Der Immobilienmarkt hinkt bei bestimmtenBautypologien deutlich dem Bedarf hinterher.Zum Beispiel beim Wohnen. Wie kann das sein?Was funktioniert hier nicht?

In Wien trifft das eigentlich nicht zu, hier gibt es einerelativ lange Geschichte des geförderten Wohnbaus. Dasist auch ein Grund, warum Wien laut der Mercer-Studieals die lebenswerteste Stadt der Welt klassifiziert wird.Das Mietniveau ist relativ günstig im Vergleich zu anderenStädten. In Wien hakt es eher in Bezug auf den Städte-bau.Wenn man über Österreich fliegt, sieht man, dass eigent-lich die Landschaft total zersiedelt ist. Wir alle wissen,warum diese Peripherieorte, diese Bezirksstädte kaputtgehen. Das liegt nicht daran, dass dort keine Kaufkraftvorhanden ist, sondern sie gehen kaputt, weil da draußenschon wieder ein Einkaufszentrum entsteht. Das besteBeispiel ist Salzburg. Da wurde draußen ein riesigesShopping Center gebaut. Danach ist sogar die Getreide-gasse eingebrochen. Da hat man wirklich nur noch Mo-zartkugeln, Nordsee und McDonalds gefunden. Wien istals Stadt so lebenswert, weil es einfach extrem urban istund man sich frei bewegen kann. Man braucht das Autonicht. Man geht aus dem Haus, kauft ein und geht zuFuß wieder nach Hause. Aber auch hier gibt es teilweiseBezirke, die zerstört sind, weil dort ein Einkaufszentrumgebaut worden ist. Eigentlich müssten die Kosten, diedadurch entstehen, internalisiert werden. Die Parkplätzefür diese Einkaufszentren müssten verdammt teuer sein,damit die Kosten wieder rein kommen, die die Kommunedann tragen muss. Dadurch stellt sich nämlich eher dieFrage, ob es wirklich rentabel ist, da draußen auf demAcker so ein Einkaufszentrum zu bauen. Aber das ist ins-gesamt ein globales Riesenthema, finde ich.

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Gibt es einen lebenden Kollegen, den Siebesonders verehren?

Wir mögen den Dänen Bjarke Ingels, sicherlich einerder weltweit bekanntesten Architekten. Er ist noch jüngerals wir und hat 400 Mann im Unternehmen. Für uns hater ein bisschen diesen Superstar-Kult. Er redet immervon „wir“, obwohl er der Chef ist. Ingels ist für uns einsehr großes Vorbild, da sein Ansatz, wie Projekte gedachtwerden, mit unserem vergleichbar ist. Wir müssenneidlos anerkennen, dass seine Architektur unschlagbargut ist.

Was hat er gebaut?

Zum Beispiel den dänischen Pavillon auf der Expo.Er hat sehr gute Ideen, wie er spielerisch ein nachhaltigesSystem hineinbringt. Man konnte sich im dänischenPavillon Fahrräder ausleihen. Der Pavillon war wie eineSchnecke gebaut und die Besucher sind mit den Räderngleich bergab gefahren und haben sich auf dem ganzenMessegelände mit diesen dänischen Rädern bewegt.Auch im Wohnbau hat er irrsinnig lebenswerte Konzeptekreiert: zum Beispiel beim VM Mountain in Kopenhagenmit einer keilförmigen Hochgarage, auf dem eine Holz-terrassensiedlung mit viel Grünanteil entstand. Er hatimmer sehr interessante Themen.

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BWM ARCHITEKTENUND PARTNERBüronameBWM Architekten und Partner

BüroinhaberErich Bernard, Daniela Walten, Johann Moser,Markus Kaplan

Gründungsjahr2004 von Erich Bernard, Daniela Walten undJohann Moser

Standort des BürosWien

Mitarbeiter23

ProfilShop- und UnternehmensarchitekturKultur und öffentlicher RaumStadt und Hochbau

Die wichtigsten GebäudeHotel Topazz, WienHotel 25hours, WienGenussregal, Vogau/SteiermarkEtablissement Gschwandner, WienSanierung Karl-Marx-Hof, WienManner-Shop, Wien, SalzburgJohn Harris Fitnessstudios, Wien, GrazArchäologie Eggenberg, GrazBebauungsplan Preyersche Höfe, Wien

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Hotel Topazz, Wien 2012

Foto:Christoph

Panzer

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Hotel 25hours, Wien 2013

Genussregal Vinofaktur Vogau,

Steiermark 2011

Foto:BWMArchitekten

Foto:RupertSteiner

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COOP HIMMELB(L)AUProf. Wolf D. Prix

Professor Wolf D. Prix (Jahrgang 1942) studiertenach seinem Schulabschluss an der TechnischenUniversität Wien, der Architectural Association inLondon und dem Southern California Institute ofArchitecture in Los Angeles. Als Gastprofessor lehrteer im Jahr 1984 bei der Architecture AssociationLondon sowie 1990 an der Harvard University inCambridge, Massachusetts. 2001 verlieh ihm dieUniversidad de Palermo, Buenos Aires, die Ehren-doktorwürde. Prix erhielt sowohl in Österreich alsauch im Ausland zahlreiche Auszeichnungen undArchitekturpreise. 2009 verlieh ihm der Bundesprä-sident Dr. Heinz Fischer das Österreichische Ehren-zeichen für Wissenschaft und Kunst als Anerkennungfür seine herausragenden kreativen Leistungen.Wolf D. Prix gehört der Architektenkammer Öster-reich, dem Bund Deutscher Architekten (BDA)Deutschland, der Architektenkammer Santa ClaraKuba, dem Royal Institute of British Architects(RIBA), dem American Institute of Architecture (AIA)und der Architektenkammer Italien an. 1968 gründeteWolf D. Prix zusammen mit Helmut Swiczinsky undMichael Holzer die Wiener Architektengruppe COOPHIMMELB(L)AU.

Zu den bekanntesten Projekten des renommiertenArchitekturbüros zählen die BMWWelt München,der Neubau der Europäischen Zentralbank in Frank-furt am Main sowie das Museum of ContemporaryArt & Planning Exhibition in Shenzhen, China.

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Architektur ist die 3-dimensionale Spracheunserer Kultur. Angewandte Realität könnte mansie nennen, wobei ich behaupte, dass nicht dieRealität uns macht, sondern wir die Realität.Im anonymen Netz der heutigen Städte sind

gestaltete, also merkbare Gebäude sehr wichtig, weil sie zum Identifi-kationspunkt für die Bewohner werden. Man merkt sich das Gebäude,kann es beschreiben und nimmt es dadurch emotional in Besitz.

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WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GROHE: Herr Professor Prix, welche Geschichtesollen einmal Ihre Häuser erzählen?

Prof. Wolf D. Prix: Gebäude sollen prinzipiell Geschich-ten erzählen. Warum? Weil wir als Bewohner von Groß-städten die Identifikation mit unserer näheren Umgebungverlieren. Und ich denke, nur markante und profilierteBauten ermöglichen uns wieder Identifikation, d.h.,eigenwillige Gebäude sind ein emotionales Bindegliedzwischen Bewohnern und Stadt.

Sie sind eine Ausnahmeerscheinung dergegenwärtigen Architektur. Woher holen Sie sichIhre Inspirationen?

Bauen und Architektur sind zwei verschiedene Dinge:Architektur operiert immer auf einer Metaebene, einerEbene, die man vielleicht als dreidimensionale Spracheunserer komplexen Gesellschaft beschreiben kann.Meine Freunde und ich sind nun dabei, das Vokabulardieser Sprache zu erweitern.

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HEUTE IST UNSEREBAUKULTUR ZUR AN-SCHULDIGUNGSKULTURGEWORDEN.JEDER IST SCHULD, VORALLEM DER ARCHITEKT,DASS ES NICHT SO GEHT,WIE ES GEHEN SOLLTE.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 66

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Bei Ihrem Projekt Hot Flat haben Sie bewusst dieAußenhülle des Gebäudes verletzt, was viele Zeitge-nossen provozierte. Bedarf eine lebendige Baukulturder gestalterischen Provokation?

Wir haben nie Provokation um der Provokation willenbetrieben. Aber du provozierst automatisch, wenn dudie Grenzen der Konvention überschreitest.Immer schon habe ich mich mit dem Wohnen als Rück-grat einer Stadtentwicklung beschäftigt. Da bin ich inWien richtig, weil das das Thema in dieser Stadt ist. DieHot Flat löst die Aufgabe, selbstgestalteten, ökonomischbilligen Wohnbau zu errichten – mit übrigens einemParkplatz gleich vor der Tür, auch im 12. Stock undeinem pfeilartigen Gemeinschaftsraum, der die Außen-hülle des Gebäudes verletzt und deshalb merkbar fürdie Bewohner ist.

Ökonomischen Wohnraum zu schaffen für dieBreite der Bevölkerung, das trifft in vielen Wohnun-gen dieser Welt gar nicht zu. Die sind überteuert.

Schon möglich. Das liegt an der falschen Wohnbaupolitikder verschiedenen Städte.

Wohin geht dann die Reise mit unserer Baukultur?

Da würde ich sagen: ins Nirwana. Heute ist unsereBaukultur zur Anschuldigungskultur geworden. Jeder istschuld, vor allem der Architekt, dass es nicht so geht, wiees gehen sollte. Das hat mit der Einführung der Projekt-steuerer angefangen, die eher Projektverhinderer alsProjektsteuerer sind.

Aber der Architekt hat doch auch immer eineMitschuld getragen.

Ich wüsste gerne, wo. Ich kann bei unseren Bauten undauch bei jenen vieler meiner Kollegen, wenn das Zeit-oder Budgetlimit überstiegen wird, nachweisen, dass derArchitekt daran nicht schuld ist. Ganz im Gegenteil, er hatdarauf hingewiesen, dass u. a. falsche politische Entschei-dungen, falsche Zeitvorstellungen und Auftraggeberent-scheidungen zu dieser Steigerung geführt haben.Was kann man nun dagegen tun, frage ich mich. Es gibteine Antwort: eine neue Entwurfsmethode mit und an derwir gerade arbeiten. Diese ermöglicht es dem Architek-ten, komplexe Gedanken einfach zu Papier zu bringenund darüber hinaus auch die Steuerung der Bauten bud-get- und zeitmäßig selbst in die Hand zu nehmen.Ich selbst bin Mitglied des Boards bei Gehry Technology– wir arbeiten hier an einer Technologie, die wir auch inunserem Studio anwenden. Insofern wir alle übereinstim-men, könnte dies eine neue Baukultur, die auch denNamen Kultur verdient, provozieren. Mit dem Ergebnis,dass es zwischen allen baubeteiligten Teams zu einerWin-Win-Situation und nicht zu einer I-Win-Situationkommt. Jeder sollte gewinnen, nicht nur einer.

Sind wir in der Bau- und Immobilienbrancheweit davon entfernt?

Heute glaubt ein Auftraggeber, er bekommt, symbolischgesprochen, den dreifachen BigMac zum einfachen Preis.In der Baubranche weiß der Manager genau, dass diesnicht möglich ist, aber, um den Auftrag zu bekommen,bietet er den einfachen Preis an, um nachher dann mitverschiedenen Tricks gegen den Architekten einenhöheren Preis wiederzubekommen.

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Aber was man aus der Praxis so hört, wird diesegelebte Interdisziplinarität auch vom Architektenverhindert. Viele Architekten lassen sich nicht gernereinreden.

Ich spreche nicht für alle Architekten. Ich sage nur, wiewir das handhaben. Wir arbeiten jetzt an dieser neuenTechnologie, dem Building Information Modeling. Wirwissen zu jedem Zeitpunkt, aus welchen Teilen sich dasGebäude genau zusammensetzt. Änderungen sind somitsofort kalkulierbar und in Zeit- und Geldwerten ausge-drückt. Auch das könnte ein neuer Schritt in Richtungeiner neuen Baukultur sein.Vor 20, 30 Jahren war das ein Thema, das wir mit FrankGehry diskutiert haben: Wie können wir beweisen, dasseine komplexe Architektur der einfachen Kistenbauarchi-tektur ökonomisch gleichwertig, ideell aber weit überle-gen ist.

Wir sprechen gerade über billig und schnell. Wirleben in einer Fastfood-Gesellschaft. Das hat sicher-lich auch direkte Folgen auf die Architektur. Manlässt sich nicht mehr die Zeit, etwas entstehen zulassen.

Wenn ich billig husch-pfusch baue, gibt es die Bauschä-den früher, als man denkt. Ich rede hier der Langsamkeitnicht das Wort, aber die Leute, die heute zu den histori-schen Gebäuden wie Schönbrunn oder Stephansdomlaufen, sind sich dessen nicht bewusst, dass ebendieseGebäude heute nicht mehr baubar wären. Sie wärennicht zu finanzieren, man bekäme keine Baugenehmi-gung und sicherlich wären die Wutbürger dagegen.Es gibt eines zu bedenken: Architektur ist schwer anGewicht. Gewicht kostet Geld. Und wo Geld im Spiel ist,mischt sich die Politik ein. Das heißt, wir müssen als Ar-chitekten auch politisch denken können, ohne tagespoli-tisch zu werden. Ich verlange von den Politikern, dasssie nicht hinter, sondern vor mir stehen. Das heißt, wenner etwas von Architektur versteht, hat er auch den Archi-tekten zu vertreten. Wenn nicht, soll er sich nicht einmi-schen.

Was waren in Ihrer Architekturkarriere die größtenBereicherungen?

Der spannendste Augenblick ist immer die Grundsteinle-gung von einem Projekt. Denn das ist der Moment, indem ein Gedankengebäude zum realen Gebäude wird.Für mich als Architekten ist das immer das Aufregendste,obwohl ich in diesem Moment sehe, dass beim Bauen,also beim Realisieren noch viele Probleme auf michzukommen werden. Aber wir wurden auch dazu ausge-bildet, Problemlöser zu sein. Wobei wir unsere Problemenicht immer auf einer konventionellen Ebene lösen wol-len. Deshalb suchen wir Vorbilder in anderen Bereichen.Zum Beispiel in der Spielstrategie des Fußballclubs FCBarcelona. Eine Methode, die wir jetzt in unserem Studioübernommen haben. Auch von dem Boxer MuhammedAli haben wir uns eine Methode abgeschaut: Die Me-thode des Cross. Einen Cross schlagen heißt, den Angriffsehen und über die Angriffshand drüber schlagen, denAngriff abwehren und so das Problem lösen, bevor eszum Problem wird. Eine ganz wichtige Taktik für einenArchitekten, der strategisch denken kann. Er sieht dasProblem und löst es, bevor es zum Problem wird. Dasheißt im Weiteren, wir müssen nicht reaktive, sondernaktive Problemlöser sein.

Sie haben jetzt einen Wunsch frei in Bezug aufArchitektur und Baukultur. Wie würde dieser Wunschlauten?

Ich möchte gern, dass das Building Information Modelingzur neuen Baukultur wird, dann könnte die jetzige Bau-Unkultur zu einer Architekturkultur werden.

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COOP HIMMELB(L)AUBüronameCOOP HIMMELB(L)AUWolf D. Prix & Partner ZT GmbH

BüroinhaberProf. Wolf D. Prix & Partner

Gründungsjahr1968 von Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky(der dritte Mitgründer, Michael Holzer verließ das Teambereits 1971 wieder)

Standorte des BürosWien, Los Angeles

Mitarbeiter150 weltweit aus 19 Ländern

ProfilArchitektur, Stadtplanung, Design und Kunst

Die wichtigsten GebäudeZu den aktuellen Projekten, die das Atelier weltweitverfolgt, zählen das Musée des Confluences im französi-schen Lyon (2014), das Dalian International ConferenceCenter in China (2012), das House of Music im dänischenAalborg (2013), die Europäische Zentralbank (EZB) inFrankfurt am Main (2014) in Deutschland.Weitere Projekte in Planung sind das Museum of Con-temporary Art & Planning Exhibition in Shenzhen, China(2015) sowie die Zentralbank der Republik Aserbaidschanin Baku und das neue Parlamentsgebäude in Tirana,Albanien.

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Martin Luther Kirche Hainburg, Österreich (2008-2011)

BMW Welt, München, Deutschland (2001-2007)

Dalian International Conference Center, Dalian, China (2008-2012)

Foto:DuccioMalagam

baFoto:DuccioMalagam

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Foto:DuccioMalagam

baFoto:DuccioMalagam

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Dietrich | UntertrifallerArchitekten ZT GmbHMuch Untertrifaller

Much Untertrifaller (Jahrgang 1959) wurde inBregenz geboren und ist dort aufgewachsen.Er studierte Architektur an der Technischen Univer-sität in Wien unter anderem bei Ernst Hiesmayr.Seit 1982 projektierte er gemeinsam mit seinemVater, dem Architekten Much Untertrifaller senior,und setzte 1992 mit dem Silvrettahaus auf derBielerhöhe in Partenen ein Zeichen der Wende imalpinen Bauen. Seit 1986 arbeitet er regelmäßigmit Helmut Dietrich zusammen. 1992 gewinnen sieden Wettbewerb für die Erweiterung und Erneue-rung des Festspielhauses in Bregenz, das erste vonmehreren großen Projekten, die seit 1994 im ge-meinsamen Büro Dietrich | Untertrifaller Architektenentstanden sind. Much Untertrifaller war bis 2010im Gestaltungsbeirat der Stadt Salzburg, ist Vor-standsmitglied der Architekturstiftung Österreichund lehrte als Gastprofessor an der FachhochschuleKonstanz und an der Technischen Universität inWien.

Zu den bekanntesten Projekten von Dietrich | Unter-trifaller Architekten zählen das Festspielhaus Bre-genz, die Stadthalle Wien, das ETH Sport ZentrumZürich, die Hypobank Bregenz sowie die Fachhoch-schule Salzburg in Kuchl.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 72

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Angesichts einer globalisierten Wirtschaftsum-gebung, muss Architektur heute mehr denn jeunternehmens-, standort- und regionsspezifischeQualitäten und Kompetenzen visualisieren. DieseVisualisierung muß über bildgestützte Medien

transportierbar sein. Die Wichtigkeit, die „Bilder“ in der globalen Kom-munikation gegenwärtig haben, gilt es, auch für „unsichtbare“ Qualitä-ten, etwa ressourcen- und umweltschonende Verfahrens- und Bau-weisen nutzbar zu machen. Nur so wird vermittelt, dass für uns jedeGestaltung nachhaltig erfolgen muss, Bedürfnisse in Räume übertragenwerden und dadurch Lebensräume für Menschen verbessert und wei-terentwickelt werden. Als Planer wollen wir für die Zukunft relevanteBauten und Gebrauchsgegenstände entwickeln, die ästhetische, funk-tionale und ökologische Belange gleichermaßen berücksichtigen unddoch kosten- und terminoptimiert zu realisieren sind. Eine dem Ortangemessene und sozialverträgliche Architektur zu schaffen verstehtsich dabei von selbst.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 73

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 74

GROHE: Hat der Architekt für die Bedürfnisseder Bürger heute noch die richtigen Antworten?Die teuersten Häuser auf den Immobilienmärktensind nach wie vor Häuser aus dem 19. Jahrhundert.

Much Untertrifaller: Viele Bürger können ihre Bedürf-nisse gar nicht mehr wirklich definieren, der Architekt istoft auf sein Fingerspitzengefühl angewiesen. Ob dieAntwort richtig ist – wer weiß? Ist es eine Antwort aufindividuelle Bedürfnisse – die können sich ändern, oderder Benutzer wechselt – oder auf allgemeine Bedürfnisse– oft definiert vom kleinsten gemeinsamen Nenner undzusätzlich erschwert durch ökonomischen Druck –, ent-scheidend sind angemessene, zeitlose Lösungen, ihrerVerantwortung für die Gesellschaft bewusst, ohne dieFreiheit des Einzelnen allzusehr zu beschneiden.Die Preise auf den Immobilienmärkten hängen haupt-sächlich von der Lage ab, viele Gebäude aus dieser Zeitbesetzen die hohen Lagen, daher die Preise. Aber natür-lich haben diese Gebäude auch Attribute, die heuteschwer zu realisieren sind – hohe Räume, gemischte Nut-zungen, in Würde alternde Materialien. Lage wird abergrundsätzlich überschätzt, lieber ein gutes Objekt inschlechter Lage als umgekehrt.

MU C H U N T E R T R I F A L L E R

WIR HABEN IN DERGESELLSCHAFT EINQUALITÄTSMANAGEMENT,DAS SICH IM PRINZIPAUF EIN ABHAKEN VONIRGENDWELCHEN AUF-GELISTETEN KÜRZELNBESCHRÄNKT.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 75

Was können Sie als Architekt heute von denBaumeistern aus dem Mittelalter oder der Gründer-zeit lernen?

Aus dem Mittelalter wunderbare Stadtgrundrisse undschöne, auf den Ort und seine Rahmenbedingungenzugeschnittene Gebäude, selbstverständlich materialisiertund handwerklich gut umgesetzt. Immer dem großenGanzen, der Stadt oder dem Dorf verpflichtet, ohne dasIndividuelle zu verleugnen. Identität und Unverwechsel-barkeit im besten Sinne. Die große Stärke der Gründer-zeitbauten, obwohl großteils Spekulationsobjekt, sindihre robusten Grundrisse mit nutzungsneutralen, gutgeschnittenen Räumen, ideal für wechselnde Nutzungenund unterschiedliche Lebens- und Belegungsphasen.

Nach dem Willen der EU-Kommission sollenNeubauten ab dem Jahr 2020 nicht mehr Energieverbrauchen dürfen, als sie selbst erzeugen.Wie können wir Ihrer Meinung nach dieses Zielerreichen?

Es ist illusorisch, dieses schon recht zeitnahe Ziel zu errei-chen. Die singuläre Betrachtung des Energiehaushalteseines Gebäudes ist auch zu eindimensional und greift zukurz. Vielmehr wären intelligente Gesamtbetrachtungenunter Einbeziehung aller relevanten Rahmenbedingungenzielführender. Wo liegt das Gebäude in Bezug auf Verkehr,Transport, ist Größe und Konzept angemessen, was istmit dem ökologischem Fußabdruck und den Lebenszy-kluskosten?

Droht nicht die Gefahr, dass Architekten vor lauterEnergiesparen die Baukultur vernachlässigen?

Die Gefahr ist evident. Energiesparen ist nie eine Ent-schuldigung für schlechte Architektur, es wird jedoch oftaufgrund mangelnder architektonischer Qualitäten undFähigkeiten so argumentiert. Fatal für die Baukultur undnicht hilfreich für die Entwicklung natürlich notwendigerneuer Standards.

Einige namhafte Ihrer Kollegen behaupten, derStädtebau der letzten Jahrzehnte sei ein einzigesVersäumnis und Versagen. Können Sie demzustimmen?

Durchaus, ich sehe viele Muster und wenige Ansätze.

Bedarf es eines Neuanfangs im Städtebau?

Ich würde es eher Reset nennen, ohne die Irrwegeund strategischen Kapitalfehler des letzten Jahrhundertsaus den Augen zu verlieren. Weiterbauen an der Stadtund ihren Auswüchsen, „verdichten“ im besten Sinne, re-parieren statt zerstören.

Moderne Bauten brauchen oft auch eineausgeklügelte Gebäudetechnik. Was davon ist inIhren Augen sinnvoll und was unnötig?

Ein intelligenter Entwurf reduziert die notwendigeGebäudetechnik auf das Essentielle. Aufwändige automa-tisierte Systeme zur Egalisierung von Denkfehlern, diewieder der Intelligenz ihrer Programmierer und derenAnnahmen ausgeliefert sind, halte ich für unnötig undvermeidbar. Sinnvoll sind robuste praktische Systeme,die Vieles einfach regeln und gezielt und verständlichmanuell gesteuert werden können.

Der Vorwurf, der dem Architekten heute oftmalsgemacht wird: er arbeite vorwiegend an „seiner“Architektur, an „seinem“ Konzept und nicht im Sinnder Gesamtgestaltung eines Ortes. Finden Siediesen Vorwurf berechtigt?

Leider wie viele Vorwürfe, die uns Architekten heutzu-tage gemacht werden, oft ja. Landläufige Vorurteile sindvielerorts berechtigt. Es ist manchmal schwierig, vorder-gründige „wiedererkennbare“ Gestaltungsprinzipienhintanzustellen, im Sinne einer schlüssigen ortsbezoge-nen Reaktion auf eine gestellte Aufgabe jedoch meinerMeinung nach unabdingbar. Es gibt natürlich mehrere„richtige“ Lösungen als Resultat einer umfassendenAnalyse eines Ortes und seiner Qualitäten und Schwach-punkte, seiner Aufladung und Verdichtung.

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Was heute im Zeichen der Energieeffizienz entsteht –ob Sanierung oder Neubau – werden wir in 20 Jahrenals sicherlich old fashioned belächeln. Glauben Sie,dass die traditionelle Bauweise dann eine Renais-sance erfährt und hochaktuell wird?

Ich glaube nicht, dass ein reiner Rückgriff auf vergangeneBaumethoden die richtige Antwort und Reaktion auf dasScheitern eindimensionaler Methoden zur Lösung desEnergieproblems sein wird. In diese Richtung wird wiedereindimensional gegengesteuert werden, der richtigeWeg scheint mir schon jetzt eine maßvolle, sinnvoll an-gewandte Kombination traditioneller Baumethoden mitzeitgemäßen intelligenten Adaptionen auf aktuelle Her-stellungs- und Nutzungsrelationen.

Welche Materialien, die heute üblich sind, solltenIhrer Meinung nach schon heute verboten werden?

Vollwärmeschutz und Kunststofffenster sowie alle Bau-stoffe, deren Herstellungs- oder Entsorgungsaufwand inkeiner vernünftigen Relation zu ihrer Einsetzbarkeit,ihrer Lebensdauer oder ihren Eigenschaften steht.

Haben Sie eine Affinität zu bestimmten Materialien?

Ich habe kein Lieblingsmaterial. Ich mag grundsätzlichMaterialien, die möglichst ohne Verfälschung eingesetztwerden, so wie sie eben sind. Das sind zum BeispielHölzer, die möglichst wenig behandelt wurden oderBeton, entweder geschliffen oder ganz rau. Oder Stahl,der nur gewachst ist. Wir verwenden Materialien sehrsituationsbezogen. Das kann von 100 % Holz zu 100 %Beton gehen. So genannte edle Materialien, die Exklusivi-tät suggerieren sollen, mag ich überhaupt nicht, weil sienicht viel können. Sie können – gezielt eingesetzt – einenRaum veredeln, aber das ist kein Garant dafür, dass dieQualität höher ist. Ich kann mit einem Bad mit ausschließ-lich Betonoberflächen, die nicht einmal schön verarbeitetwurden, mehr Exklusivität und Qualität erzeugen, als mitdem edelsten Marmor. Einfachste Materialien könnendurch Licht und den Raum ins Preziöse umgewandeltwerden.

Architekten sind durch viele Reglementierungeneingeschränkt und von zu vielen Bedenkenträgernumgeben. Wo sind die Grenzen für Sie als Architekt,eine Bauaufgabe zu übernehmen?

Das Ausmaß der Reglementierungen wird immerumfangreicher, mancherorts auch unerträglich. Ängsteund Bedenken der handelnden Personen auf Seiten derBehörden, der ausführenden Firmen und Auftraggeber,aber auch von Architektenseite, sind die Folge undmanchmal nur zu verständlich. Sie sind aber für michkein Grund, eine Aufgabe nicht zu übernehmen, sondernoft ein Ansporn, gegenzusteuern oder besondere Lösun-gen mit Mehrwert zu entwickeln. Grenzen sind für micheher mangelndes Qualitätsbewusstsein, Ignoranz,Unehrlichkeit, fehlende Angemessenheit oder Gering-schätzung.

Energieeffizienz und Klimaschutz sind auch eineFrage der Architektur. Was sind für Sie die großenenergetischen Bausünden der letzten Jahre?

Wenig intelligente – manchmal auch als intelligent be-zeichnete Konzepte mit schwerwiegenden energetischenund ökonomischen Folgen, entstanden ohne Vernunftund Augenmaß, irreparabel und unbrauchbar.

Ein bekannter deutscher Architekt, ProfessorChristoph Mäckler, äußerte kürzlich in einem Inter-view, einer seiner Grundsätze sei, „Nachhaltig bauen,statt schnell zu verpacken“. Könnte das auch einerIhrer Grundsätze sein?

Könnte durchaus, aber wahrscheinlich unterliegt er unter-schiedlichen Interpretationen seiner- und meinerseits.

Apropos Grundsätze: Haben Sie auch solche, dieSie bei allen Ihren Aufgaben begleiten. Wenn ja, wielauten diese?

Natürlich, vor langem formuliert, oft hinterfragt undwieder bestätigt, aber durchaus auch Allgemeinplätzedarunter und teilweise verstaubt. Nachzulesen aufunserer Homepage: www.dietrich.untertrifaller.com

Hat sich die Struktur Ihrer Bauherren in den letzten10 Jahren verändert? Wenn ja, hat das einen Einflussauf Ihre Architektur?

Eigentlich nicht, wir haben uns immer schon sehr unter-schiedlichen Aufgaben in allen Dimensionen und The-menbereichen gestellt und hatten das Glück, übergewonnene Wettbewerbe und Direktbeauftragungen unsVertrauen schenkender Bauherren sehr viele spannende

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 76

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Page 76: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

Projekte realisieren zu können. Geändert hat sich nur dieAnzahl unserer Bauherren, sie ist stark gewachsen und –das ist anders – internationaler.

Reflektieren die gängigen Auditierungssysteme dieAnforderungen, die an nachhaltige Gebäude gestelltwerden sollten?

Nur sehr eingeschränkt, die greifen zu kurz und sind zusehr auf bestimmte Märkte und ihre Eigenheiten zuge-schnitten. Manchmal müssen wir sogar unsere eigenenQualitäts- und Bewertungsmaßstäbe zurückschrauben,um auf Wunsch eines Investors ein bestimmtes Labelüberreicht zu bekommen. Ein Vergleich: es ist auch nichtimmer Bio drinnen, wo Bio draufsteht.

Sind Sie der Meinung, dass das Bauen stärkermaterial- und energieeffizient ausgerichtet seinmüsste?

Gesamthaft gesehen effizient, auf Wesentliches reduziert,ohne banal zu sein, materialgerecht, sinnlich, angemes-sen und Ressourcen aller Art schonend.

Die Autoindustrie ist der Bauindustrie um Längenvoraus, sie baut ökologische Autos, die bis inskleinste Teil zerlegbar und recyclebar sind. Warumfällt es der Bauindustrie Ihrer Meinung nach soschwer, hier Schritt zu halten?

Die Entwicklungen in der Autoindustrie sind löblich undwichtig. Das heißt noch lange nicht, dass das Auto an sichmit seinen Emissionen und der durch seine Fortbewegungund seine Aufbewahrung resultierenden Flächenverbrauchökologisch ist – aber es kann sich zumindest annäherndin „Luft“ auflösen. Die Autoindustrie ist hoch automatisiertund produziert riesige Stückzahlen gleicher Teile, dasvereinfacht Vieles. Zum Glück ist das Bauen noch etwasindividueller, sämtliche historischen und aktuellen Ansätzevon Baukastensystemen sind letztendlich an der Begrenzt-heit ihrer Möglichkeiten gescheitert. Aber die Bauindustrieist natürlich schwerfälliger, operiert vielfach mit schlechtausgebildeten schwach motivierten Arbeitskräften, dieFehlerquote durch das Zusammenwirken unterschiedlich-ster Professionisten hoch.Jedes Bauwerk ist – selbst bei ausschließlicher Verwen-dung geprüfter Bauteile – schlussendlich ein Prototyp undunterliegt nicht nur im Gebrauch, sondern auch bei seinerHerstellung, unterschiedlichsten unwägbaren Einflüssen.Fazit: Das Optimierungspotential ist grenzenlos.

Wo sehen Sie die Hauptanforderung an die Qualitätder Architektur unserer Zeit?

Für mich liegt die Hauptanforderung darin, in meinemTun mit Qualität in der Öffentlichkeit zu bestehen. Bauenist nicht nur das Vergnügen eines Einzelnen oder einesPrivaten, sondern es muss dafür tauglich sein, den öffent-lichen Raum zu besetzen und eine Aussage zu treffen.Es gibt etliche unterschiedliche Bauaufgaben. Auchsolche, die bewusst kurzlebig sind, aber die Architekturmuss es sich leisten, über einen längeren Zeitraum einegültige Aussage zu haben.

Das heißt, Nachhaltigkeit positionieren Sie auch inIhr Qualitätsverständnis mit ein?

Nein, nicht unbedingt nur Nachhaltigkeit, sondern auchLanglebigkeit. Ein Objekt darf nicht nach wenigen Jahrenschäbig ausschauen oder so modisch sein, dass ich esnicht mehr sehen kann. Es muss einfach dafür geeignetsein, Jahrzehnte an einem Ort zu überdauern, den Ort zubeleben und aufzuwerten und nicht ein Problem darzu-stellen.

Ist es Ihnen als Architekt gelungen, immer Qualitätin die Welt gesetzt zu haben?

Ich denke, es wäre vermessen, aber der Anspruch istzumindest vorhanden. Das gelingt einmal mehr undeinmal weniger. Es gibt natürlich auch immer Rahmen-bedingungen wie Kosten und Nutzerwünsche, die zuberücksichtigen sind. Im Prinzip ist das Schaffen undWirken permanent ein Kampf gegen die widrigen Rah-menbedingungen von außen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 77

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Welche Rolle nehmen für den Architekten vorgege-bene Qualitätsparameter bei der Bauplanung ein?

Der kreative Freiraum ist vorhanden, vor allem wegender neuen Technologien. Das Problem ist eher, dass dieAnsprüche des Investors oder des Bauherrn vielfacheinfach so tief geschraubt sind, dass es ganz schwierigist, mit qualitativen Argumenten zu punkten. Beimgewerblichen Investor ist es noch nachvollziehbar, dassdie Projekte billig gebaut werden, um sie dann teuer zuverkaufen. Nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.Etwas anderes ist es bei Behörden oder politischenGremien, sie müssen Projekte über Jahrzehnte verwaltenund instand halten. Hier finde ich es mehr als fragwürdigund kurzsichtig, bei den Entstehungskosten auf dasBilligste zu gehen, im genauen Wissen, dass die wahrenKosten eines Gebäudes nicht im Bau, sondern im Erhaltentstehen.

Sind Sie kompromissbereit?

Nicht wirklich. Das wirft man uns Architekten oft vor,dass wir zu sehr unsere Ideen verfolgen. Ich sehe michim Prinzip als Anwalt in der Sache und nicht nur als An-walt des Investors oder des Bauherrn. Es gibt Dinge, beidenen man gut Kompromisse schließen kann, Kompro-misse sind nicht immer etwas Schlechtes. Aber es gibtSituationen, in denen man hart bleiben muss – oft auchim Interesse des Bauherrn – und da bleibe ich es auch.Zum Beispiel, wenn es um Qualitäten in Materialhinsichtgeht. Wenn es um Qualitäten der Einfügung in Topogra-phie, Bestand und Umgebung geht, sind wir zu keinerleiKompromissen bereit. Es gibt ja nicht nur eine richtigeLösung, aber wenn es sich im Rahmen von möglichenrichtigen Lösungen bewegt, bin ich gerne bereit, auf dasAnsinnen des Gegenübers einzugehen. Aber wenn esans Eingemachte geht und im Prinzip unwiederbringlicheZerstörungen von Situationen die Folge wären, hört esbei mir auf, da gebe ich lieber einen Auftrag zurück.

Leiden Sie darunter, dass das Verständnis fürqualitätsvolle Architektur in der breiten Bevölkerungnoch nicht angekommen ist?

Ich leide darunter, aber nicht in Vorarlberg. In Vorarlbergsind wir in der glücklichen Lage, dass qualitätsvolleArchitektur in breiten Bevölkerungskreisen völlig akzep-tiert und auch politisch gefördert wird. In Vorarlbergwerden über 40 % der Einfamilienhäuser von Architektengeplant. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass allegut sind. Im restlichen Österreich sind es lediglich2 bis 3 %. In Vorarlberg ist man als etablierter Architekteine Person des öffentlichen Interesses und wird positivwahrgenommen.

Woran liegt dies Ihrer Meinung nach?

Das liegt daran, dass hier die moderne, zeitgemäße Archi-tektur einen Stellenwert bekommen hat, wo es woandersnoch nicht so war. Allerdings hat es auch 30 Jahregedauert, bis es so weit war. Bei uns hat es irgendwanneine Breitenwirkung bekommen und ist explodiert, undseitdem ist das Thema einfach gegessen.

Was ersehen Sie bei der Entwicklung vonArchitektur in Bezug auf Qualität am Schwierigsten?Den Kostendruck einmal außen vor gelassen!

Das Verständnis für Qualität zu wecken. Das ist nichtimmer mit Kosten verbunden. Aber viele verstehen esper se nicht, warum manches mehr Sinn macht, als dasAndere. Viele Leute verstehen beispielsweise nicht,warum massives Holz einen anderen Wert als ein Furnierhat. Oder ein veredelter Beton einen anderen Stellenwertals Vollwärmeschutz hat. Bedauerlich ist auch, dassimmer mehr Leute in entscheidenden Positionen undFunktionen das nicht verstehen.

Wie muss ein Haus aussehen, das Ihren Qualitäts-ansprüchen entspricht?

Für mich ist die entscheidende Qualität, dass ein Ge-bäude, wie groß es auch immer ist, mit seinem Ort, mitder Einfügung in die Landschaft harmoniert. Bei uns imAlpenraum ist die Topographie immer ganz entscheidend.Wie liegt so etwas im Gelände? Bei Einfamilienhäusernliegt da vieles im Argen, weil jeder einen platten Gartenhaben will, egal, ob er an einem Steilhang oder im Ebe-nen liegt. Das ist für mich zum Beispiel ein no-go, dieTopographie zu vergewaltigen. Da kann das Ding nochso schön sein und die Materialien noch so wertvoll. Trotz-dem ist alles falsch. Ein Gebäude darf sich grundsätzlichnicht aufplustern, es muss gegenüber der Öffentlichkeit

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 78

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Page 78: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

seine Verantwortung einlösen. Es muss eben ein Teilder Öffentlichkeit sein, mit großzügigen Raumfolgen,die befreites Leben ermöglichen. Die Qualität wird letzt-lich dadurch bestimmt, wie brauchbar oder wie schöndie Ausblicke und die Bezüge der Räume sind: innenund außen und interne Beziehungen, das Verhältnis vonTages- und Kunstlicht. Das ist alles unabhängig vonGeschmack, Mode oder Materialität, sondern ist dasGrundgerüst von Architektur. Für uns ist Architekturunglaublich situations- und programmbezogen. EineMischung aus dem, was wir vorfinden. Sei es einGelände, seien es Bezüge zu Nachbarschaften und amEnde ein individuelles Programm, das es immer gibt.Das zusammen ergibt dann ein Ergebnis, das auf denOrt maßgeschneidert und vielleicht richtig oder falsch ist.Es geht uns nicht um den Wiedererkennungswert unse-rer Architektur. Es gibt auch die planerischen Ansätze,dass man sich immer selbst wieder erkennbar positio-niert. Wie manche international bekannte Kollegen dastun. Das ist auf keinen Fall unsere Einstellung und Arbeit.

Das meiste Gebaute in der Welt hat nicht den hohenQualitätsanspruch an die Architektur. Wie könnenSie das erklären?

Leider nein, aber die Definition von Qualität ist sehrsubjektiv. Viele beziehen den Qualitätsbegriff nur auf ihrProdukt, ohne einen größeren Zusammenhang damit zuberücksichtigen. Wir verstehen das eher in einem größe-ren Kontext. Es gibt die natürlichen Baustoffe wie Holz,Beton oder Stahl, die bei richtiger Anwendung von denmeisten als Qualität erkannt werden. Bei neuen Technolo-gien oder neuen Werkstoffen ist das schon schwierigerzu sagen, ist das etwas wert oder ist das nur modernoder ist das überhaupt erprobt? Wir haben auch schonMaterialien eingesetzt, wo man sich Wunder versprochenhat und Wunder versprochen wurden und die haben sichin kürzester Zeit als Rohrkrepierer herausgestellt. Wennman ein bisschen experimentell unterwegs ist, ist es mitder Qualität manchmal schwierig unter einen Hut zubringen. Klar ist es auch, dass unter dem Label Qualitätviel verkauft wird, was den Begriff sicher nicht wert ist.Vor allem das, was diverse Investoren und Bauträgerunter dem Begriff Qualität und Hochwertigkeit auf denMarkt werfen, da könnte man manchmal einen Lach-krampf kriegen, wenn es nicht so traurig wäre.

Chipperfield hat vor kurzem in einem Interviewgesagt: „In der Architektur kommt es auf die richtigeBalance bzw. Mischung zwischen Vertrauten undunerwarteten Unvertrauten an.“ Können Sie demzustimmen?

Ja, kann ich gut. Ich muss dazu sagen, dass Chipperfieldeiner der wenigen weltweit bauenden Architekten fürmich ist, deren Ansatz ich oft für richtig und auch mitunseren Ideen verwandt halte.

Inwiefern?

Ich kenne sehr viele Projekte von ihm auf der ganzenWelt verteilt, er schafft es immer irgendwie, sowohlbauliche Qualität als auch Ortsbezogenheit zu erreichen,wo man sich viele andere – egal ob in Amerika oder inAsien – aus der Nähe nicht ansehen darf. Also offensicht-lich schafft er es immer, mit seinen örtlichen Partnern einQualitätslevel zu erreichen und einzuhalten. Wenn mansich die Projekte vor Ort ansieht, hat man das Gefühlt,er hat sich mit dem Ort auseinandergesetzt und nichteinfach die x-te Version eines gestalterischen Gedankensabgestellt.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 79

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Ist die Ästhetik der Moderne im Sinne derIdentitätsbildung von der Bevölkerung noch nichtangekommen und begriffen worden? Wie erklärenSie sich das?

Ich glaube, die Moderne war im Prinzip eine Entwicklung,die akademisch von oben auf die Leute aufgesetzt wurde,die aber zu keiner Zeit einen nennenswerten Rückhalt inbreiten Kreisen hatte. Das ist das Hauptproblem. Heutzu-tage mit ganz modernen oder zeitgeistigen Strömungenzu kommen, ohne dass es einen Rückhalt gibt, ist meinesErachtens das größte Problem. Es geht natürlich auchdarum, in was für einem Zusammenhang diese moder-nen Gebäude zur Umgebung gestellt werden. Ich glaube,die Zeiten sind vorbei, in denen man einfach auf dergrünen Wiese Architekturen abstellt. Das ist nicht mehrdas Thema unserer Zeit.

Was vermissen Sie an dem bestehenden Qualitäts-management im Allgemeinen?

Wir haben ein Qualitätsmanagement, das sich im Prinzipauf ein Abhaken von irgendwelchen aufgelisteten Kürzelnbeschränkt. Aber das heißt bei weitem nicht, dass amEnde Qualität herauskommt, auch wenn man alles vor-schriftsmäßig abarbeitet. Im Gegenteil. Qualität hat auchviel mit Bauchgefühl zu tun, sie ist nicht konstruierbar.Es ist ein Zusammenwirken verschiedenster Elemente.Ich bedauere sehr, dass heutzutage im Baugeschehenalles so zerfleddert wird, dass für alles irgendeiner zustän-dig ist. Am Schlimmsten sind die Projektsteuerer, die vongar nichts viel verstehen, die eher Qualitätsverhinderersind. Die Zutaten, die notwendig sind, um Qualität zuerzeugen, sind nur zum bestimmten Teil fixierbar. Neh-men wir als Beispiel ein gutes Essen. Man kann auswunderbaren Zutaten etwas Ungenießbares zueinandermengen. Es braucht einen Koch, der imstande ist, dieunterschiedlichsten Dinge zu einem Produkt zu formen,welches besser ist als die Summe der Einzelteile. Dashängt einfach auch viel mit Gefühl zusammen.

Wird Ihrer Meinung nach der Qualitätsbegriffbzw. sein Inhalt im Zuge der Klimaveränderungen,Ressourcenverknappung usw. in Zukunft eineandere Dimension bekommen?

Ich hoffe, er wird sich in Richtung einer ganzheitlichenBetrachtung verschieben.Fast alles, was wir so gängig betreiben, ist sehr eindimen-sional, teilweise auch schlicht falsch. Es ist noch keineQualität per se erreicht, wenn ich ein Haus einpacke,damit es weniger Energie verbraucht. Im Gegenteil, daskann im Vergleich zum Zustand vorher ein viel schlimme-res Ergebnis bringen, nicht nur gestalterisch, sondernauch technisch. Eine zu enge Betrachtung kann nichtdie Lösung und nicht die Zukunft sein. Ich glaube, dasswir schlussendlich von diesen übertriebenen haustechni-schen Energie sparenden Installationen zu einer vielursprünglicheren Art des Bauens zurückkommen werden.Dafür wären allerdings auch andere Berechnungsmodellenotwendig, denn die derzeitig gängigen Modelle sindschlicht und einfach zu simplifiziert, zu eindimensional.Nehmen wir als Beispiel diesen Zertifizierungswahn mitLEED usw. Wir bauen derzeitig in Vorarlberg ein Büro-haus, das LEED zertifiziert werden soll. Mit der Folge,dass wir in Bezug auf den Standard bewusst schlechterbauen müssen, um den Kriterien des Bewertungsmo-dells zu genügen. Also eine Verschlechterung unserergewünschten gewohnten Qualitätsvorstellungen!

Die LEED Auszeichnung in Amerika liegt also unterunserem Standard hier?

Ja, in Teilaspekten. Ich habe mir das oft gedacht, wennich diese LEED-Projekte betrachte. Glaspaläste – vonoben bis unten. Das kann keinen Sinn machen und kannauch nicht energieeffizient sein. Wenn man sich das imDetail ansieht, dann stellt man fest, dass die amerikani-schen Berechnungsmodelle einfach nicht auf unserenMarkt zugeschnitten sind.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 80

MU C H U N T E R T R I F A L L E R

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 81

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DIETRICH |UNTERTRIFALLERARCHITEKTEN ZT GMBHBüronameDietrich I Untertrifaller Architekten ZT GmbH

BüroinhaberHelmut Dietrich, Much Untertrifaller

Gründungsjahr1994 von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller

Standorte des BürosBregenz, Wien, St. Gallen

Mitarbeiter35

Profilwww.dietrich.untertrifaller.comArchitektur, Innenarchitektur, Möbeldesign

Die wichtigsten GebäudeFestspielhaus, BregenzStadthalle F, WienPalais de la musique, StrasbourgETH Sport Center, ZürichFachhochschule Salzburg, KuchlZentrale i+R Gruppe, LauterachHypobank Zentrale, BregenzHaus A, Dornbirn

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 82

Hypobank-Zentrale, Bregenz

Foto:Bruno

Klomfar

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Festspielhaus, Bregenz

Silvrettahaus, Gaschurn

Stadthalle F, Wien

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 83

Foto:Bruno

Klomfar

Foto:Bruno

Klomfar

Foto:AdolfBereuter

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gerner°gerner plus /arch.di andreas gerner zt gmbhGerda Maria Gerner undAndreas Gerner

Andreas und Gerda Maria Gerner (beide Jahrgang1964) gründeten nach ihren Studien der Architekturan der TU Wien 1996 gemeinsam das Büro GER-NER/GERNER. Andreas Gerner war von 1997 bis2000 Universitätsassistent an der TU Wien undlangjähriger Mitarbeiter von Arch. Helmut Richter.Sie erhielten zahlreiche Auszeichnungen und Preisein Niederösterreich, Salzburg (AnerkennungArchitekturpreis Land Salzburg 2006 für alm, dasGemeindezentrum Oberalm), Burgenland (zuletztAnerkennung Architekturpreis Burgenland 2012 fürpöt, Einfamilienhaus Zubau in Pöttelsdorf) sowieden Förderpreis für Architektur der Stadt Wien,Metallbaupreise für dachbox und sued.see und eineAuszeichnung bei „Schönste Bücher Österreichs“für die Monografie periscope architecture 2007.

Wichtige Projekte von gerner°gerner plus sind freifinanzierte wie geförderte Wohnbauprojekte in Wiensowie einige Weingüter in Niederösterreich und imBurgenland.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 84

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Architektur muss heute – wie zu allen Zeiten –ästhetisch sein.Architektur muss gleichzeitig funktional,bewohnbar und erlebbar sein.Architektur muss jederzeit einen Mehrwertgenerieren.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 85

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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G E R D A M A R I A , A N D R E A S G E R N E R

GROHE: Viele Probleme der Gegenwart, für die eineOrientierung benötigt wird, finden in der gebautenUmwelt eine paradigmatische Antwort – Ökologie,Umgang mit Energie, soziale Fragen, Abgrenzungund Schutz des Privaten oder der Umgang mit demVergangenen. Reagiert Architektur Ihrer Meinungnach befriedigend auf viele dieser Probleme?

Gerda Maria und Andreas Gerner: Architektur reagiertauf diese Probleme. Viele Projekte werden von Grund aufunter solchen Gesichtspunkten konzipiert. Dennoch istmeist kaum abzuschätzen, ob die Theorie in der Praxis,also in der Nutzung, dann wie erwartet eintritt. Wir pla-nen beispielsweise regelmäßig Wohnbauprojekte mitdem Fokus „Generationenwohnen“, die durch Adaptions-und Kopplungsmöglichkeiten eine ungewöhnlicheFlexibilität bieten. Von einigen Mietern und Eigentümernwird diese Option begeistert angenommen – anderehaben daran keinerlei Interesse. Man kann also immerAngebote machen, aber letztlich entscheidet der Nutzer.

Können Sie sich vorstellen, dass regionale und lokaleKlimaszenarien Einfluss auf Ihr architektonischesDenken nehmen, Frau Gerner?

Selbstverständlich, wir sehen jedes Projekt in seinemlokalen Kontext. Dazu gehören nicht nur die Berücksichti-gung des städtebaulichen Umfelds oder die Ausrichtungnach den Himmelsrichtungen. Da ich aus einer Wein-bauregion stamme, kann ich das sehr gut einschätzen:Denn wo sonst sieht und spürt man Veränderungen desKlimas zuerst – bei Flora und Fauna.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 86

KEIN GRAMM ZU VIEL –DAS IST DIE HALTUNG.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 87

Ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, heute schonsehr geplant in die Zukunft zu denken und dendrängenden Problemen unserer Zeit wie Klimaerwär-mung, Zunahme von klimatischen Extremsituationen,Erhöhung des Wasserspiegels etc. durch neueArchitekturkonzepte zu begegnen?

Das ist unerlässlich. Inzwischen ist es Grundlage, dieseThemen bei der Konzipierung eines Projektes zu berück-sichtigen. Architektur ist für viele Jahrzehnte Lebensraumfür Menschen. Man kann zwar nie alles vorwegnehmen,aber bereits bekannten Problemen muss bestmöglichbegegnet werden. Gleichzeitig darf die Rücksichtnahmeauf diese Fragen nicht entwurfsbestimmend werden.Jedes Projekt stellt vielfältige individuelle Anforderungenan die Planer. Der Klimawandel ist dabei ein sehr wichti-ges, aber eines von vielen wesentlichen Themen.

Architektur war früher immer zunächst Klima, dannkam die soziokulturelle Umgebung hinzu. Irgend-wann hat man im Laufe der technischen Entwick-lungen aufgegeben, Architektur auf Ihre Klimataug-lichkeit hin zu evaluieren. Und jeder neuen gesell-schaftlichen Entwicklung wurde eine weitere neuetechnische Entwicklung hinzugefügt. Sehen Sie esheute wieder als Chance, dort wieder anzusetzenund die klimatischen Probleme mit architektoni-schen, nicht mit technischen Mitteln zu lösen?

Ja, auf jeden Fall. Man kann Gebäude immer weiter tech-nisch hochrüsten und selbst in der Wüste eine Skihallebetreiben. Aus unserer Sicht ist jedoch die Reduktion derrichtige Weg. Selbstregulierende Gebäude, etwa mit einerintelligenten Anordnung der Fensterflächen und derNutzung von Speichermassen bewirken viel und sind,einmal eingeplant, über den gesamten Lebenszyklus desGebäudes wirksam. Wir arbeiten auch gerne mit gezieltenBepflanzungen – von extensiv begrünten Dächern bishin zu kompletten Grünfassaden.Bei unseren Projekten in der Wein-Architektur, demWeingut Hillinger und der Gebietsvinothek Weritas, sindwir noch einen Schritt weiter gegangen und haben demThema entsprechend den natürlichen Ausgleich durchdie Einbettung der Baukörper ins Erdreich genutzt. BeideProjekte sind bereits seit Jahren fertiggestellt und nachwie vor sehr erfolgreich. Mit einfachen Mitteln kann soviel erreicht werden. Und oft kommen genau diese Maß-nahmen dem Entwurf insgesamt enorm zugute.

Die Frage, die in der Architekturtheorie immer wiederauftaucht, ist die Frage nach dem grundlegendenWesen von Architektur vor dem Hintergrund desständigen Wandels im architektonischen Gestalten.Wie würden Sie die "Identität von Architektur"beschreiben?

Im Wandel der Zeiten haben sich ja nicht nur Ansichtenverändert, sondern vor allem die Haptik der Materialien,des Gebauten. Die technischen Möglichkeiten sind schonganz gut ausgereizt. Aber zum Glück verändert sich un-sere gebaute Umgebung wesentlich langsamer als derimmer rasantere Wandel in der Gesellschaft. Architekturbleibt daher eine identitätsstiftende Konstante.

Die Fähigkeit von Architektur, stumm zu ihremPublikum zu sprechen, psychische Reserven freizu-setzen und oft genug sogar den Zugang zu spirituel-len Dimensionen zu eröffnen, gewinnt heute wiederzunehmend an Bedeutung. Sind Sakralität und Auraalso nach wie vor ureigene Bezirke der Architektur?Welche Reflexion und Verantwortung braucht es,damit Architektur nach der Erfahrung der Moderneihr irrationales, Wirklichkeit transzendierendes, zu-weilen magisches Instrumentarium neu entdeckenkann?

Jedes Gebäude hat seine ganz eigene Atmosphäre. Mankann in der Planung Vieles bedenken – aber hier bleibtdoch immer eine gewisse Unbekannte. Und gerade dasist spannend.Dennoch gibt es natürlich einerseits Projekte, wo bewussteine starke Atmosphäre geschaffen werden soll, und sol-che, wo eher ein neutraler Rahmen gefordert ist, etwa imWohnbau. Und ab und zu ist es möglich, beides zu verei-nen. Ich denke etwa an unsere Galerie Triath bei Basel,die natürlich zunächst einen Hintergrund für die ausge-stellte Kunst bieten sollte. Gleichzeitig ist das Raumerleb-nis in diesem eigentlich cleanen Sichtbeton-Gebäude mitseinen Splitlevels und riesigen Fensterflächen extrem

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stark. Es zeigen sich immer wieder andere, spannendePerspektiven, und die Wirkung durch das einfallendeTageslicht lässt den Raum immer wieder völlig neu erle-ben. Das kann tatsächlich etwas fast Sakrales haben, ja.Reduktion und Aura schließen sich nicht aus, gerade sehrreduzierte Objekte bieten oft auch den Freiraum für be-sondere Atmosphären. Wir versuchen, unseren Entwür-fen neben dem Fokus aufs Wesentliche doch auch immereinen gewissen Twist zu verleihen, etwas Überraschen-des, etwas, das dem Raum etwas Individuelles verleiht.Auch wenn es nur ein Hauch davon ist, mit Sensibilitätist dies leicht wahrnehmbar.

Gab es für Sie in Ihrem Leben einen auslösendenMoment, Architektin zu werden, Frau Gerner?

Ich glaube, das gibt es für jeden. Bei mir war es zumin-dest so, dass ich es nicht von vornherein wusste. Auslö-ser war eine Reise nach Amerika, quer durch von NewYork bis LA. Da war ich 18. Ich war zwei Monate unter-wegs und als ich zurück gekommen bin, habe ich michentschieden, Architektur zu studieren. Ich war fasziniertvon diesen Weiten und Höhen und Dimensionen undDichten.

Verfolgen Sie bestimmte Gestaltungsprinzipienoder lösen Sie sich davon völlig? Suchen und findenSie immer wieder neu?

Wir haben keine vorgefertigten Gestaltungsprinzipien.Aber auch, wenn wir sagen, jedes Projekt ist neu undjedes Projekt beginnt immer wieder von vorne, gibt esdoch gewisse Strukturen, die sich wiederholen. VomKonzept beginnend bis zu gewissen Materialien. Dabeiist unser Ziel, dass das Endprodukt höchste Qualitäthaben muss.

Von welchen Strukturen sprechen Sie genau?Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Bei vielen unserer Projekte finden sich gewisse Formenimmer und immer wieder. Das sieht man selbst gar nicht,aber es gibt schon eine bestimmte Handschrift. Wennzum Beispiel eine Stütze in der Konstruktion notwendigist, dann gibt es diese und jene Stützenformen. Wir ent-scheiden uns sehr häufig für V-Stützen: ein Knoten unten,der sich dann spaltet und oben etwas bricht. Das istnatürlich eine Frage der Statik, hat aber auch viel mitGestaltung zu tun. Dieses V-Element ist bei sehr vielenProjekten immer wieder dabei. Manchmal in ganz kleinerForm, bei einem Garderobenhaken zum Beispiel, unddann wieder als statische V-Stütze im gebauten Projekt.

Sie lieben auch immer wieder das Hohe, dasSchwebende. Ist das Ihre Haltung zu den Dingen?

Genau. Kein Gramm zu viel. Das ist die Haltung.

Wenn Sie sagen, kein Gramm zu viel, hört sich dassehr nach Bescheidenheit, Zurückhaltung an.

Das hat mit vielen unterschiedlichen Faktoren zu tun:mit unseren Ansprüchen, mit der Verantwortung denBauherren gegenüber und mit den Kosten: Alles wird bisins kleinste Detail durchgeplant und vorgefertigt. Und esgibt Materialien, die im Moment sehr hochpreisig sind,wie zum Beispiel Stahl. Das war früher anders. Deswegenhaben wir auch früher gerne mit Stahl gearbeitet. Das istein wahnsinnig tolles Material, das man sehr gut vorferti-gen und von den Dimensionen her sehr leicht undschlank verarbeiten kann..

Von den Materialien, die im Moment im Trend sind,welche bevorzugen Sie besonders?

Wir haben grundsätzlich keine Vorlieben bei Material.Wir arbeiten gerade im sozialen Wohnbau sehr gernemit Beton. Es gibt auch einige Holzprojekte von uns.Wir haben vor mehr als zehn Jahren ein Einfamilienhausaus reinem Holz in Wien realisiert. Damals hat es nochnicht sehr viel in Holz gegeben. Es ist ein unbehandeltesHolzhaus, das mittlerweile grau geworden ist und sichin die Umgebung einfügt. Es ist sehr schön geworden.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 88

G E R D A M A R I A , A N D R E A S G E R N E R

Page 88: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

Was ich an Ihren Gebäuden sehe, ist, dass sieexpressiv sind und immer eine sehr persönlicheNote haben. Wie wichtig ist Ihnen die Nachbarschaftdes Objektes? Schaffen Sie es, dieses Expressivemit der Einbindung des architektonischen Objektsin die Nachbarschaft zusammenzubringen?

Ich hoffe schon, dass wir das schaffen. Es ist nicht so,dass wir uns zuerst die Nachbarschaft anschauen undhauptsächlich darauf reagieren. Aber wir beschäftigenuns durchaus mit der Gesamtsituation, die zum großenTeil auch durch die Bauordnung vorgegeben ist. Wieschaut es aus mit Belichtung, was sehen die zukünftigenBewohner unserer Gebäude, wenn sie aus dem Fensterblicken? Wohin oder auf wen schauen sie und was füreine Wand, was für ein Gebilde sehen sie vor sich?Wenn es möglich ist, dass man die Blicke auf etwasrichtet, von dem man sagt, das ist toll, dann wird dasnatürlich bevorzugt. Diese Reaktion auf die Umgebunggibt es natürlich.

Bauen Sie auch für die öffentliche Hand?

Ja, sehr viel sogar. Wir bauen sehr viel im Bereich dessozialen Wohnbaus. In Wien ist der soziale Wohnbaueigentlich das Beste zum Wohnen, was es gibt. Das istpreislich wirklich gut und man wohnt in einer Wohnungoder Anlage, die auch eine riesige Außenfläche hat,also Gemeinschaftsflächen mit Kinderspielplätzen, mitJugendspielplätzen und oft mit Wasserflächen.

In der Bautypologie Wohnen hinkt die ganze Immobi-lienbranche eigentlich dem Bedarf des Marktes oderder gesellschaftlichen Struktur hinterher. Wie beurtei-len Sie die Situation?

In Wien ist der soziale Wohnbau nicht nur für die schwä-cher Verdienenden. Es muss in den sozialen Wohnbauteneine Vermischung geben zwischen allen Schichten, sodass keine Ghettobildung entsteht. Das ist ganz wichtig.

Durch bevorzugte und weniger attraktive Wohn-quartiere haben wir eine ganz klare Teilung derGesellschaft.

Natürlich gibt es in Wien auch die Cottage-Lagen, wobeies meines Wissens in Wien keinen Bezirk gibt, in demnicht auch sozialer Wohnbau vorhanden wäre. Am Wie-ner sozialen Wohnbau sind auch Landschaftsarchitektenund Soziologen beteiligt, die zum Beispiel ein Besiede-lungsmanagement vorbereiten; es ist eine ganz großeMaschinerie mittlerweile. Wir beteiligen uns relativ häufigan Bauträgerwettbewerben, weil das ein Thema für unsist, welches uns sehr interessiert.

Wie sieht es dabei mit der Einschränkung derKreativität aus, wie kommen Sie damit klar?

Es stimmt, das wird immer mehr. Es gibt gewisseBestimmungen. Gerade in Österreich gibt es einenextrem hohen Sicherheitsfaktor – Absturzhöhen undGeländer und Neigungen und solche Dinge. Das ist ingewisser Weise eine Einschränkung in der Kreativität,aber vor allem auch in der Nutzung. Man könnte vieleSachen offener und freier gestalten. Gleichzeitig sehenwir es als Chance und Herausforderung!Wir planen im Zentrum zum Beispiel die unterirdischeKarlsplatzpassage mit drei U-Bahnstationen. An einemEnde steht die Oper. In der Opernpassage haben wirerlebt, was es heißt, ein sechzig Jahre altes denkmalge-schütztes Bauwerk auf den aktuellen technischen und

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 89

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sicherheitstechnischen Stand zu bringen, was für Ein-schränkungen und Auflagen es dort gibt, was allesberücksichtigt werden muss. Mittlerweile sind es einfachso viele Faktoren. Man gewinnt nicht mehr nur mit demattraktivsten Projekt, sondern mit dem besten Gesamt-paket. Allerdings wird die Bedeutung der Architekturdabei in der Relation vergleichsweise immer kleiner.Das finden wir schade, weil die architektonische Qualitätgerade auch in Wien immer etwas sehr Wichtiges war.

Wo stehen Sie als Architekten? Sind Sie erfolgreich,weil Sie sich als Marke positionieren?

Wir wachsen seit 15 Jahren und haben mit einemProjekt begonnen. Mittlerweile arbeiten wir an 20 Projek-ten parallel, wobei so gut wie alle auch realisiert werden.Durch diese Konsequenz und durch diese Qualität, dieletztendlich unser erklärtes Ziel ist, haben wir uns einePosition in einer überschaubaren Szene in Wien und inÖsterreich erarbeitet. Wir hatten sicher auch die erstenJahre das Glück, dass wir sehr interessante Bauherrenhatten, die uns gefordert haben. Sie haben mit uns tolleund unvergleichliche Projekte realisiert. Dann hatten wirauch das Glück, dass wir eine gute Presse hatten, gutpubliziert wurden, zu Ausstellungen und Vorträgen ein-geladen wurden. Eines ergibt das andere und so wirdman zu einer gewissen Marke oder man nimmt zumin-dest eine bestimmte Position in der Szene ein.

Sehen Sie denn persönlich, dass wir in derArchitektur, die hier und da immer gleichförmigererscheint, mehr Provokation bräuchten und wenn ja,wo und in welcher Form?

Für aufgesetzte Provokation sind wir die Falschen. Wirerzeugen lieber Spannungsfelder. Wir wohnen zwar nichtin diesen tollen Gebäuden und Objekten, aber wir bekom-men Feedback und lösen eine Diskussion aus. Das ist unssehr wichtig. Wir erlegen uns eine Art Bildungsauftragauf, weil wir die jetzt heranwachsende Generation vonMenschen mit solchen Gebäuden beeinflussen. Sie sehendiese Formen und diskutieren darüber im Positiven odersagen scheußlich, fürchterlich, kann ich mir nicht anse-hen, aber es löst eine Diskussion aus! Es ist nicht so, dassman gleichgültig daran vorbei geht und nicht hinschaut,sondern wir erzeugen Bilder und Phantasien bei denMenschen. Bei denen, die drinnen wohnen, aber nochmehr wahrscheinlich bei denen, die sie nur von außensehen. Auch dieser Aspekt der Architektur ist uns ganzklar und bewusst.

Wie sehen Sie die Entwicklung in der Immoblien-branche? Oftmals fällt der Begriff „seelenloseHüllen-Architektur“.

Ja, oft werden einfach Schuhschachteln hingestellt.Das ist ein Punkt, der uns auch beschäftigt. Wenn mandurch Wien fährt, ob das die Mariahilfer Straße oder dieKärntner Straße ist, gibt es wunderschöne Architekturen.Ein Haus schöner als das andere. Was wurde da überlegt,was steckt wirklich dahinter? Das beeinflusst uns allemiteinander. Und dann frage ich mich, was wird sein,wenn jetzt sozusagen das von Ihnen Genannte einMaßstab auf der Kärntner Straße wird: ein Block mit vie-len großen Fenstern darin, mit welchen Überlegungen?

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 90

G E R D A M A R I A , A N D R E A S G E R N E R

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Welcher Bauaufgabe würden Sie sich am liebsteneinmal stellen?

Die Frage habe ich schon sehr oft gestellt bekommen.Sie bekommen dieselbe Antwort. Ich würde ganz gernemal ein Stadion bauen. Also eine Sportstätte, ein großesFußballstadion. Sehr spannend wäre auch ein Flughafenoder ein Bahnhof. Alles, was Transport im weitesten Sinnbetrifft.

Und für wen würden Sie gerne einmal bauen?

Was mir jetzt spontan einfallen würde, wäre zum Beispielein Modedesigner. Bei ihm geht es auch um die Hülle.Nur ist es in dem Fall nicht das Haus, sondern die Klei-dung. Das würde mich interessieren: die Haptik, Schnitte,Faltungen. So ähnlich betrachten wir auch unsere Häuser.Maßgeschneidert ist das Richtige. Spannend wäre, obdas überhaupt ein gemeinsames Projekt werden könnte,ob wir uns da finden würden mit so einer Persönlichkeit.Für uns ist es immer sehr schön, wenn wir mit jedemProjekt, das wir planen und mit allen Menschen, die darinjemals wohnen werden, ganz neue Aspekte des Lebenskennen lernen. Denn zum Glück ist ja jeder anders undhat andere Vorlieben.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 91

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GERNER°GERNER PLUSBüronamegerner°gerner plus / arch. di andreas gerner zt gmbh

BüroinhaberGerda Maria und Andreas Gerner

Gründungsjahr1996 von Gerda Maria und Andreas Gerner

Standorte des BürosWien, Zweigstelle in Himmelberg /Kärnten

Mitarbeiterrund 18 Mitarbeiter

ProfilDie Aus-Einander-Setzung mit dem Vorgegebenen,vorhandene Strukturen zu prüfen und einzubeziehen,sind grundsätzliche Themen bei der Entwicklung derKonzepte von gerner°gerner plus. Licht und Raum sinddie wesentlichsten Faktoren, Konstruktion und Materialunabdingbar. Soziale Gefüge und Übersetzung ins Jetztbewegen ihr Tun. Das Menschliche als Maßstab undgleichzeitig Kontrapunkt reizt die Entwicklung der Kon-zepte des Büros. Vervollständigt wird eine Vision durchdas kongeniale Zusammenwirken aller Beteiligten.

Architektur für die unterschiedlichsten Bereiche – privatund öffentlich, von der Villa bis zum geförderten Wohn-bau, ebenso Industrie/Gewerbe/Tourismus und Städte-bau, besondere Schwerpunkte sind unter anderem dieThemen Kultur, Weinarchitektur und Gesundheit/Pflege.

Die wichtigsten Gebäudevon gerner°gerner plus sind frei finanzierte wie geförderteWohnbauprojekte in Wien, etwa in der Kaiserstraße,Thürnlhofstraße, Meissauergasse oder Jagdschlossgasse,einige Weingüter in Niederösterreich und im Burgenland,etwa das Weingut Hillinger oder auch weritas – Regional-zentrum und Gebietsvinothek in Kirchberg am Wagram.Aktuell in Planung ist unter anderem ein Senioren-Wohn-und Pflegezentrum in Graz und die Neugestaltung derdenkmalgeschützten Karlsplatz- und Opernpassage zurKulturpassage (ARGE mit Ritter + Ritter und Vasko +Partner).

P R O F I L

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Galerie und Multifunktionsbau, Grenzach-Wyhlen bei Basel

Betriebsgebäude Wien Energie, Wien

ManfredSeidl

Foto:gerner°gernerplus,M

atthiasRaiger

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 93

Wohnbau Bombardiergründe, Wien

Einfamilienhaus Umbau, Wien

Foto:gerner°gernerplus,M

atthiasRaiger

Foto:gerner°gernerplus,M

atthiasRaiger

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Hadi Teherani GroupArchitecture Interior DesignConsultingHadi Teherani

Hadi Teherani, (Jahrgang 1954) in Teheran geboren,aufgewachsen in Hamburg, ist ein äußerst produkti-ver und vielseitiger international tätiger Architektund Designer. Nach dem Studium an der TU Braun-schweig (1977-1988), ersten Erfahrungen im Bürovon Prof. Joachim Schürmann (1984-1987) und einerLehrtätigkeit bei Prof. Volkwin Marg an der THAachen (1989-1991) entwickelte sich die Arbeit vonHadi Teherani in jeder Beziehung grenzüberschrei-tend. Der erste Schritt zum kreativen Kopf der HadiTeherani Group (2012) war 1991 die Gründungvon BRT Architekten, Bothe Richter Teherani, inHamburg.

Das bis ins Detail anspruchsvolle Planen und Bauenvon Gebäuden (40 Architekturpreise) machte denArchitekten schnell zum Produktdesigner in eigenerSache. Die Gründung der Designfirma Hadi TeheraniAG, Hamburg, im Jahr 2003 war die schlüssige Kon-sequenz und ein großer, wiederum mit zahlreichenAuszeichnungen belegbarer internationaler Erfolg(48 Designpreise).

Heute umfasst die Hadi Teherani Group mit ihrerZentrale im selbst entworfenen Lofthaus am Hambur-ger Fischmarkt, mit Blick über Elbe und Hafen, dieBereiche Architektur, Interior Design, Produkt Designund Consulting. Weitere Niederlassungen befindensich in Frankfurt, Moskau, Abu Dhabi und Bangalore.Hadi Teherani ist Mitglied des BDA und seit 1999Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 94

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Architektur ist im Gebäude wie in der Stadtunausweichlich der Rahmen für unser Leben.Einseitig auf ökonomische oder ökologischeKriterien zu setzen, ist darum ebensowenigangemessen wie eine rein ästhetische Zielset-

zung. Das menschliche Leben zu beheimaten, bedeutet vielmehr,allen nur denkbaren und für die Zukunft zu erahnenden architek-tonischen und gestalterischen Aufgaben bis zum letzten Detailund bis zum kleinsten Produktdesign komplex und langfristiggerecht zu werden. Nicht zuletzt aber dem Menschen, in seinergesamten emotionalen Dimension und sinnlichen Neugier.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 95

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 96

GROHE: Sie sind seit mehr als zwei Jahrzehntenerfolgreich als selbstständiger Architekt tätig. Inwie-fern haben sich in diesen Jahren Ihre Arbeit und dieAnforderungen an Sie als Architekt verändert?

Hadi Teherani: Im Laufe der Zeit wird man bekannter,erfahrener und durchsetzungsfähiger. Aber die Arbeitselbst hat sich nicht verändert, wohl aber das gesell-schaftliche Umfeld und das Selbstverständnis des Bau-herrn. Einen echten Bauherrn, für den wir in persönlicherVerbundenheit maßgeschneidert arbeiten können, findenwir immer seltener. Das ist aber die Voraussetzung dafür,eine Marke, ein kulturelles Projekt oder auch nur einWohnhaus architektonisch zum Strahlen zu bringen und

HAD I T E H E R AN I

ERST, WENN ES DENARCHITEKTEN WIEDERGELINGT, BAUHERR UNDINVESTOR MIT EINERGESICHERTEN BAUQUALI-TÄT UND WIRTSCHAFT-LICHKEIT, MIT EFFEKTIVERPROJEKTSTEUERUNGUND BAULEITUNG ZUÜBERZEUGEN, WIRDDAS ALTE VERTRAUENS-VERHÄLTNIS NEUENTSTEHEN.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 97

zum Erfolg zu führen. Früher konnten wir viel häufigerInnovationen für den Kunden erarbeiten, auch in engerZusammenarbeit mit der Industrie. Auf diesem Wege binich fast nebenbei zum Produktdesigner geworden.

Sie sind international auf verschiedenenKontinenten und damit in verschiedenen Kulturentätig, zum Beispiel in Indien. Erleben Sie im Auslandähnlich enge Reglementierungen wie in Deutsch-land? Können Sie Ihre Kreativität im Ausland besserentfalten?

In Indien gibt es klare Regeln, welche Gebäude wieverkauft werden dürfen. Der Wohnungsbau steht dort imFokus. Die Investoren sind sehr schlau und steigen tieferin die Architektur ein, als wir es in Europa kennen.Spektakuläre Entwürfe und luxuriöse Wohnungen findengroße Anerkennung, auch bei den Kaufleuten in diesemGeschäft. Dennoch sind die ökonomischen Regeln derMinimierung letztlich bindend. Für die Vermarktung derWohnungen werden Modelle im Maßstab 1:1 gebaut.Die Bauherren setzen einen Vastu-Berater ein, einenBerater, wie wir ihn im Feng Shui kennen. Dieser Beraterbegleitet das Projekt von Anbeginn, prüft viele Aspekteschon in der Entwurfsphase und gibt uns klare Linien vor.Auch wenn es manchmal aufgrund des Grundstückszu-schnitts keinen Sinn macht, das Haus durch den Südein-gang zu betreten, wird die Meinung des Vastu favorisiert.Inder sind sehr gläubig und legen zum Beispiel ganz be-sonderen Wert darauf, dass der Hauptschlafraum nachSüdwesten orientiert ist. Das größte Problem ist aber,dass wir städtebaulich keine geschlossenen Straßen-räume bilden können und damit eine eindeutige Stadt-struktur, die zwischen öffentlich und privat trennt.Aus feuerpolizeilichen Gründen muss das Gebäude aufjeder Seite 18 Meter von der Grundstücksgrenze entferntsein – für den Zugriff der Feuerwehr.

Das Leben heute ist von immer mehr virtuellerBewegung geprägt. Die Mobilität nimmt zu und dieInformationsmengen wachsen. Soll die Architekturdiesem Diktat der Geschwindigkeit folgen und damiteine gewisse „Oberflächlichkeit“ riskieren?

Wir erkennen auch in Russland, China oder Indien sehrschnell, worin die regionalen Qualitäten liegen und waswir beisteuern können, wenn wir unsere Maßstäbeund Ansprüche einbringen, um ein Gebäude nachhaltigund langfristig nutzbar zu planen. Das bedeutet jedoch,in gewisser Weise missionarisch zu arbeiten, um imRahmen unserer Möglichkeiten eine bessere Welt zuschaffen.

Geht mit zunehmender Geschwindigkeit dieindividuelle Wahrnehmung des Ortes an sichverloren?

Unsere Architektur soll den urbanen Kontext am jeweili-gen Ort fortsetzen. Dennoch gehen wir nicht in die Wüsteund verkaufen dort Architektur aus Lehm. Die Menschendort möchten das auch nicht von uns. Sie wollen neue,innovative Architektur. Gerne würde ich einmal Hofhäuserim Iran bauen. Darin sehe ich ein sehr spannendes tradi-tionell verankertes Thema, das großartige Chancen einermodernen Fortentwicklung bietet. Mit dieser Bauweiseschützen sich die Bewohner aus religiösen Grunden vorEinblicken von außen und schaffen sich nach inneneigene Freiräume. Wir suchen uns Themen, in denen wirPotenzial für eine nachhaltige Entwicklung sehen. Dasriesige Dach der Zayed Universität in Abu Dhabi sorgt inseinen fließenden Formen für die notwendige Verschat-tung, gleichzeitig beziehen wir uns damit formal auf dieErscheinungsbilder der Wüste. Mit viel Geduld gelingt es,gute Architektur unter Berücksichtigung der regionalenGegebenheiten zu schaffen und damit Einfluss auf dievielen noch zu lösenden Bauaufgaben zu nehmen. Aberwir sind auch realistisch und wissen, dass man mit einemeinzelnen Projekt noch keine eindeutige Zukunftsper-spektive definiert hat.

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Die virtuelle Realität beeinflusst die heutigeArchitektur erheblich. Geht aber die eigentlicheFaszination nicht nach wie vor von der individuellenArchitekturzeichnung aus? Welche Erfahrungenhaben Sie hier bei Ihren Bauherren gemacht?

Ich skizziere nach wie vor, das geht allerdings amComputer viel schneller. Schon nach der ersten Idee isteine schnelle Präsentation für die weiteren Entscheidun-gen gefragt. In der Vergangenheit wurden Ideen auch anModellen ausprobiert und weiterentwickelt, heute werdendiese Bilder virtuell erzeugt und sind ebenso schnellverfügbar wie veränderbar. Damit stehen viel mehr Denk-wege offen. Andererseits besteht die Gefahr einer gewis-sen Austauschbarkeit. Aber Architektur kann heute nichtmehr über die Handzeichnung verkauft werden. DieMitarbeiter sitzen mit Kopfhörern vor ihren Bildschirmenund bewegen ihre Projekte virtuell. Sie begeben sichförmlich in eine andere Welt. Dabei das sichere Gefühl fürMaße und Raumproportionen zu behalten, ist nicht leicht.Durch das langsame Procedere des Zeichnens hatten wirfrüher mehr Zeit, über Raumqualitäten nachzudenken.

Ist die Architektengeneration der GegenwartIhrer Meinung nach gut vorbereitet auf die Weltvon morgen?

Natürlich gibt es gute Leute, die sich konzeptionell mitder gesellschaftlichen Entwicklung, mit den Menschenauseinandersetzen, über Trends und Tendenzen nachden-ken, eigene Zukunftsbilder vor Augen haben, das alles inihre Entwürfe aufnehmen und so die Komplexität derArchitektur beherrschen. Die meisten arbeiten dagegentrotz Computer handwerklich an den Projekten, um einevorgegebene Leitlinie umzusetzen. Es wird nicht jederdie architektonische Leidenschaft entwickeln, die manbraucht, um mehr zu erreichen.

Wir blicken heute auf die Generation vor unszurück und fühlen uns in der Architektur dieserEpoche sehr wohl. Wird das in der folgenden Gene-ration Ihrer Einschätzung nach auch so sein?

Die Architektur ist heute ja nicht schlechter. Sie ist nuranders und schnelllebiger, aber auch nachhaltiger gewor-den als in der Vergangenheit. Die Architekten, aber auchdie Bauindustrie, wissen heute einfach mehr. Wir habenandere Gesetzgebungen, Verordnungen wie EnEff undviele hochentwickelte, neue Baumaterialien, die eineneue Lebensqualität schaffen. Heute spielen Bilder einegroße Rolle. Mag sein, dass die neue Generation dabeimitunter ein wenig die Orientierung verliert. Was istrichtig und was nicht? Ältere Architekten kennen noch

alle geschichtlichen Epochen der Architektur, die für einespezifische Bauaufgabe daraus ableitbare typologischbeste Lösung, wissen Bescheid über den goldenenSchnitt, über Proportionen, über Ehrlichkeit der Architek-tur, Ehrlichkeit der Materialien usw. Gerade dieseEhrlichkeit ist aber vielleicht auch nicht mehr notwendig.Muss man darauf bestehen, dass Böden, die nach Holzaussehen, tatsächlich aus Holz sind? Der nächste Mieterhat vielleicht ganz andere Vorstellungen. Die Welt istvielfältiger und schneller geworden. Ohne starke eigeneZukunftsperspektiven wird man mitgerissen oder kommtvom Weg ab. Selbst die großen Leitfiguren der Architek-tur wie Rem Koolhaas oder Herzog & de Meuron fragensich: Wie geht es morgen weiter? Den Studenten fällt esheute sehr leicht, ein Konzept zu übernehmen und es inkurzer Zeit zu vermorphen und parametrisch zu bearbei-ten. Muster werden verschoben, verdichtet oder lösensich auf, so entstehen völlig neue Abbildungen. Positivbetrachtet ergibt das eine Reichhaltigkeit, die derGesamtkomposition der Gebäude in den Städten gut tut.Die Menschheit wächst rasant, und wir müssen Antwor-ten auf sehr unterschiedliche Problemstellungen finden.Wir haben keine Zeit, dürfen aber die wahren Werte nichtaus den Augen verlieren.

In welcher Position sehen Sie sich selbst?

Mir sind Wertbeständigkeit, Bauqualität und dauerhafteMaterialien wichtig, ich möchte eine Architektur mit kla-ren Raumproportionen und klassischen, zukunftsfähigenRaumaufteilungen schaffen. Ich arbeite immer aus demurbanen Ansatz heraus und versuche, die Menschenemotional zu erreichen. Häuser in Styropor bzw. weißenWärmedämmputz verpackt, gehören nicht zu meinemRepertoire. In Deutschland befinden wir uns durchaus aufeinem hohen Niveau, das es zu halten gilt.

Kann man am Menschen orientiert bauen, wenn daspolitsche System keine Demokratie zulässt?

Die sehr komplexen architektonischen Qualitäten sindnicht demokratisch zu ermitteln. Über allgemeine funktio-nale oder städtebauliche Zielsetzungen kann man jedochdemokratisch abstimmen, um die Aufgabenstellungeinzugrenzen. Keine der beliebten historischen Städte istdemokratisch entstanden. Man denke nur an die großenBoulevards von Paris oder an die Arkadengänge vonBologna. Es muss Grenzen in der Demokratie geben,sonst kommen keine gelungenen Kompositionen inunseren Städten zustande.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 98

HAD I T E H E R AN I

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Würden Sie sich Bauherren autoritärer Systemeverweigern, wenn Sie dies nicht mit Ihrem eigenenmoralischen Anspruch vereinbaren könnten?

Die Auffassung, dass man in China nicht bauen darf, weildie politischen Systeme nicht passen, scheint mir einfachnicht ehrlich zu sein. Ähnliche Systeme haben wir auchin Russland oder in Indien, dann dürften wir weder dortnoch in vielen anderen Ländern der Welt arbeiten. Waskönnen die Menschen dafür, die dort leben? Haben siekeine gute Architektur verdient, nur weil ihr politischesSystem nicht dazu passt? Ich würde gern im Iran bauen,aber auch das wäre nach diesen Maßstäben moralischoder politisch verwerflich. Ich möchte sehr gerne fürMenschen auf unterschiedlichen Kontinenten und inunterschiedlichen Kulturen bauen. Vielleicht änderte dasan der Situation mehr, als sich zu verweigern. In demMoment, in dem ich nach Lösungen suche und mich miteinem Thema auseinandersetze, muss ich mich mit vielenGegebenheiten arrangieren. Dazu gehören auch diepolitischen. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Aberauch diese Ebene der architektonischen Auseinanderset-zung hat natürlich Grenzen, die ich nicht überschreitenmöchte.

Ist es für Sie erstrebenswert, ein architektonischesProjekt in Ihrem Geburtsland zu realisieren?

Ja, unbedingt, mir fehlte bisher die Gelegenheit. Der Iranmit seiner tief verwurzelten Kultur bietet architektonischsehr viele großartige Anknüpfungspunkte. Mein Verständ-nis für ein auf den Standort bezogenes, in der Traditionverankertes ökologisches Bauen beziehe ich ganz we-sentlich aus der Architektur meines Geburtslandes. Wennsich das Land öffnet und sich Chancen auftun, würde ichmich dort sehr gerne engagieren. Unsere Medien vermit-teln oft ein einseitiges, weil sehr politisch bestimmtesBild. Dort werden die gleichen Architekturzeitschriftenwie in Europa gelesen, die gleichen Internetportale zuarchitektonischen Themen frequentiert. Man weiß dortauch ganz genau, wer Zaha Hadid ist und wofür sie steht.Im Iran entstehen vielfach Bauten, mit denen hier somancher Architekturpreis zu gewinnen wäre. Entworfenund realisiert von Architekten, von denen wir noch niegehört haben. Ich war ein- bis zweimal dort, habe Vor-träge gehalten und einen Wettbewerb juriert. Die Men-schen diskutieren vielfach tiefgründiger und geistreicherüber Architektur, als wir es kennen. Die menschlichenWerte sind nicht verloren gegangen. Die Familie hat dorteinen sehr hohen Stellenwert. Eine gesellschaftlicheEntfremdung wie bei uns gibt es nicht. In unserem Landerwartet man, dass Hilfe geregelt und vorgegeben wird.

Alles geschieht unter einem gewissen Zwang. Dabeibleibt dann oft die Würde des Menschen auf der Strecke.Ist es erstrebenswert in unserem Land alt zu werden?Denken Sie nur an diese Heime, in denen die Menschennur noch als Störfaktor ausgelagert werden. Im Iran gibtes noch Respekt und Achtung vor den alten Menschen,man behält sie im Kreis der Familien. Ich beschäftigemich sehr intensiv mit neuen Lebensformen im Alter, umein würdevolles selbstbestimmtes Altern zu ermöglichen.Die Lösung ist nicht ganz einfach. Die Menschen habensicher klare Vorstellungen darüber, wie und wo sie lebenwollen, wenn sie einmal älter sind. Viele Menschenwerden aber keine Wahlmöglichkeiten haben, da ihreRente gerade für das nötigste im Leben ausreichen wird.Diesen Herausforderungen müssen wir uns auch alsArchitekten und Designer stellen, um die Würde derMenschen im Alter zu bewahren. Ich versuche, dazuneue Ideen zu positionieren.

Sie haben sehr oft Großprojekte geplant undrealisiert. Sind die kleineren Vorhaben in Architekturund Design genauso reizvoll für Sie?

Wir gehen jede Aufgabenstellung mit der gleichenLeidenschaft und Begeisterung an, denn jedes Projekthat seinen Anspruch. Eine kleine Baulücke zu schließen,macht genauso viel Spass wie die großen Aufgaben –Hochhaus, Bahnhof oder Universität. Ausschlaggebendist die Intensität, mit der ich mich einer Sache widme,um die beste Lösung zu finden. Deshalb arbeite ich auchim Produktdesign. Egal ob ich einen Stuhl oder eineTasse gestalte, es geht um maßgeschneiderte Lösungen.Es ist sehr befriedigend, dem Produkt auf jeder Ebeneeinen Mehrwert zu geben: funktional, emotional, langfri-stig ökonomisch und ökologisch. So beschäftige ich michmanchmal auch mit Dingen, die zu Beginn überhauptnicht verlockend erscheinen, wie etwa eine Teppichfliese.Mit der konzeptionellen Neuauflage dieses Produkts wardie Langeweile schnell vom Tisch.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 99

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Wie wichtig ist Ihnen eine sozial nachhaltigeStadtentwicklung, insbesondere in ihrer HeimatstadtHamburg?

Darin sehe ich eine große Herausforderung. Jede gestal-terische Arbeit am Lebensraum des Menschen lebt vonihrer Komplexität, der Vernetzung mit allen Dimensionendarüber und darunter. Deshalb geht es mir stets darum,die Aufgabenstellung des Auftraggebers mit dem Stand-ort zu verknüpfen. Selbst unser Projekt „Dockland“ in derElbe ist kein Icon, sondern wurde aus seiner Umgebungheraus entwickelt. Wir haben uns an den Schiffen, andem naheliegenden Fähranleger orientiert und eine Platt-form gesucht, die den Menschen einen Blick über denHamburger Hafen ermöglicht. Täglich nutzen hunderteMenschen die Freitreppen, um von der große Dachter-rasse in die Ferne zu schauen.

Sehen Sie sich selbst eher als Architekt und Designeroder stehen Sie zur Gleichrangigkeit von Architektur,Design und Kunst?

Erst in der Synthese von Architektur und Design entstehteine gelungene Gesamtkomposition. Im Anspruch desgestalterischen Gesamtkonzepts bin ich den Gedankendes Bauhauses verpflichtet. Städtebau, Architektur, Inte-rior Design und Produkt Design erzielen ihre überzeu-gendste Wirkung nur in einer schlüssigen Synthese. DieKunst liegt auf einer anderen Ebene, weil sie völlig freinicht der Alltagspraxis und dem Gebrauch untergeordnetwerden darf.

Haben Sie Vorbilder?

Im grundsätzlichen, komplexen Gestaltungsansatzdas Bauhaus, unter den Architekten beeindrucken michbesonders Oskar Niemeyer, Le Corbusier und Mies vander Rohe.

Sehen Sie in der Zusammenarbeit mit KITON eininteressantes Spannungsfeld zwischen der Ernst-haftigkeit der Architektur und einer vielleicht nurvermeintlichen Oberflächlichkeit der Mode?

Dieses Spannungsfeld entsteht mit jedem Interior Design.Im Laden- und Messebau ist nichts Bleibendes gefragt.Die Innenräume wechseln regelmäßig ihr Gesicht, dieKunden sind anspruchsvoller geworden und möchtenregelmäßig etwas Neues sehen. Man kann aber dasEine tun, ohne das Andere zu lassen. Wir erarbeiten dieLösungen sehr individuell und spezifisch, Mode mussnicht automatisch oberflächlich sein. Gebäude habenandere Aufgabenstellungen als das Produktdesign.Wenn man das versteht, dann ist man erfolgreich. ImProduktdesign arbeiten wir bis zur Realisierung der Proto-typen. Der für Interstuhl entwickelte Stuhl erreichte fastschon bei der Markteinführung Klassikerstatus. Die opti-malen Proportionen, die zeitlose Ästhetik, das Designund die Materialien vermitteln dem Nutzer pure Wertbe-ständigkeit. Ein Mehrwert mit hoher Anschaulichkeit.Der Barcelona-Chair von Mies van der Rohe, das ist unserAnspruch, auch wenn man heute etwas spielerischermit den Dingen umgehen kann. Das Bauhaus hat ewigenBestand in der Architektur, im Produktdesign und in derMode, das ist meine Überzeugung.

Brücken gelten als Konstruktionen des Verbindensund Überwindens. Sie sind ein großes Thema in derStadtarchitektur. Mit Ihren „Living Bridges“ greifenSie das Thema neu auf. Kann man an dieser Stellevon einer erheblichen Aufwertung des Stadtraumessprechen, woran jede Kommune Interesse habensollte?

Eine Brücke ist ein verbindenes Element, welches für eineAufwertung des Stadtraums steht. Stadtteile, die durchsehr unterschiedliche soziale Strukturen gekennzeichnetsind, werden miteinander verbunden. In der Vergangen-heit waren die sozialen Schichten mit ihren spezifischenStadtvierteln stadtbildprägend. Wenn wir mit Brückennicht nur Wasserwege überspannen und sie nicht nur alsStraßen nutzen, sondern mit einer Living Bridge Stadtge-schichte und -entwicklung vernetzen, wie mit einemMarktplatz, wie mit einem komplexen Stadtquartier, mitallen stadtspezifischen Elementen und vielen Wohnungenmit herrlicher Fernsicht, erreichen wir eine schönere,dichtere und dynamischere Form von Urbanität. Die Rea-lisierung ist zur Zeit ein wenig schwierig, demokratischeAbläufe haben stets einen großen Einfluss. Mit dem er-sten konkreten modernen Beispiel würde die heute schonvorhandene Begeisterung jedoch schnell überwiegen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 100

HAD I T E H E R AN I

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Sehen Sie aus heutiger Sicht die Chance, dass einesIhrer Projekte realisiert wird?

Wir standen in Hamburg schon unmittelbar vor derFreigabe zum Projektstart. Die Politik hatte bereits ihreZustimmung gegeben, selbst Umfragen – via Internet vonProjektgegnern initiiert – befürworteten unser Vorhaben.Da Politik heute vor allem am Machterhalt interessiert istund weniger an der Realisierung von Visionen, zählt aberauch eine Minderheit mit ihren Gegenstimmen. Für eineAufwertung unserer Städte auf diesem Wege gibt esjedoch immer eine Chance.

Sehen Sie Ihren Beruf als Berufung? Worin sehenSie die gesellschaftliche Verantwortung IhrerArchitektur?

Ich würde immer wieder gerne Architekt und Designerwerden. Das ist für mich lebensbestimmend. Ich verspüredas Gefühl, der Menschheit etwas Nachhaltiges zu hinter-lassen. Hautnah erlebe ich das, wenn Schulklassen imKunstunterricht meine Gebäude diskutieren. Hier emp-finde ich Verantwortung, weil ich schon junge Menschenmit meiner Architektur präge. Immer, wenn ich dieChance habe, eine Universität, eine Schule oder einenKindergarten zu bauen, bin ich ganz besonders engagiert.

In welcher Bautypologie haben Sie noch kein Projektrealisiert? Wo würden Sie gern aktiv werden?

Ich habe noch keine architektonische Position zur Kunstgeschaffen, noch kein Museum gebaut. Von dieserHerausforderung träume ich noch. Sonst sind wir schonin allen Gebäude-Typologien vertreten.

Wo sehen Sie sich und Ihr Büro in den kommenden10 bis 15 Jahren? Werden Sie Ihre Projekte nur nochim Ausland realisieren, weil Deutschland mehr oderweniger „fertig gebaut“ ist?

Mein Fokus bleibt Deutschland. Hier gibt es genugRaum für einige gute Architekten. Mein Ziel ist jetzt nichtmehr alles und überall bauen zu müssen. Ich kann mirgut vorstellen, dass ich mir einige gute Themen aussucheund dass das Büro dann auch nicht mehr über 100 Mitar-beiter haben muss. Es wäre für mich ein gelungenerAbschluss meines beruflichen Schaffens, mit einigenbesonders qualitätsvollen Arbeiten neue Maßstäbe zusetzen.

Das Berufsbild des Architekten hat sich in denletzten Jahren verändert. Wenn Sie in die Zukunftblicken, wohin sollte es sich in den nächsten20 Jahren entwickeln?

Das Berufsbild des Architekten als unbestrittener Künstler,als Vertrauensperson des Bauherrn, als Hüter über dieMoral in der Architektur hat sich verändert. Es haben sichSpezialgebiete entwickelt, die dazu führten, dass Auf-tragsleistungen des Architekten, die in der Vergangenheitvon ihm erbracht wurden, heute oft auf ein Minimumreduziert werden. Die ökonomischen Zwänge, die sichentwickelt haben, prägen auch die Arbeit der Architekten.Bauherren erteilen Aufträge sehr oft nur bis zur Leistungs-phase der Baugenehmigung. Selbst die Ausführungs-planung ist heute im Auftragsvolumen des Generalunter-nehmers enthalten. Damit übernimmt der Generalunter-nehmer die komplette Verantwortung für die Ausführungund Realisierung des Bauvorhabens sowie für alle Fragender Wirtschaftlichkeit und Haftung im Projekt. Der Gene-ralunternehmer hat das Ganze in der Hand, an das archi-tektonische Gesamtkunstwerk als Ergebnis denkt dannniemand mehr. Erst, wenn es den Architekten wiedergelingt, Bauherr und Investor mit einer gesicherten Bau-qualität und Wirtschaftlichkeit, mit effektiver Projektsteue-rung und Bauleitung zu überzeugen, wird das alte Ver-trauensverhältnis neu entstehen. Wenn man die Hälfteder Arbeit an einem Projekt abgibt, geht die Hälfte derChancen dieser Architektur verloren. Es geht auch dieIdentifizierung mit dem Projekt verloren. Aus einemarchitektonischen Erlebnis wird dann im besten Fall Funk-tionalität ohne Emotionen. Im Moment sehe ich keinegroßen Chancen zur Umkehr der Entwicklungen. Ichsehe Chancen bei wirklichen Bauherren, die eine Passionhaben, aber beim Investment sehe ich diese noch nicht.Ich habe eine neue Strategie entwickelt, deren Erfolg icherst noch beweisen muss: wir spezialisieren uns jetztauch auf Consulting, Produkt Design, Interior Design undArchitektur. Der Kunde kann ein Projekt als Gesamtkon-zept erhalten oder er beauftragt uns nur für spezielleTeilbereiche. Wenn meine neue Strategie funktioniert, istsie ein gutes Beispiel für andere. Durch die genanntenVeränderungen im Markt haben wir in der Vergangenheitviele gute Mitarbeiter an Projektentwicklungsfirmen, andie Projektsteuerung, an die Bauleitung oder Ausfüh-rungsplanung in anderen Büros verloren. Wir bieten die-sen Leistungsumfang mit unserer neuen Strategie wiederselbst an und wollen den menschlichen Lebensraumumfassend und komplex gestalten.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 101

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HADI TEHERANI GROUPBüronameHadi Teherani GroupArchitecture Interior Design Consulting

BüroinhaberHadi Teherani

Gründungsjahr1991 BRT Bothe Richter Teherani von Jens Bothe,Kai Richter und Hadi Teherani2012 Hadi Teherani GROUP Architecture Interior DesignConsulting von Hadi Teherani

Standorte des BürosHamburg, Moskau, Bangalore, Abu Dhabi

Mitarbeiter60

ProfilOb Möbel, Interior Design, Produkt Design, Architekturoder Städtebau, Hadi Teherani bewegt sich zwischendiesen willkürlichen Gestaltungsgrenzen, um alle dieseKomponenten in einer ästhetischen Gesamtheit zuverbinden. Er baut Hochhäuser, Unternehmenszentralen,Apartmenthäuser, Einkaufswelten, Bahnhöfe, Behördenund Universitäten, zuletzt die Zayed University in AbuDhabi, aber auch Messestände, Showrooms und Flag-shipstores, z. B. für KITON. Architektur und InteriorDesign bilden eine schlüssige Einheit. Ebenso gehören zuseinem vielfach international ausgezeichneten Schaffenaber auch der erfolgreichste Bürostuhl Deutschlands fürInterstuhl, ein E-Bike im eigenen Vertrieb, ein Konferenz-tisch für Thonet, Ledersitzmöbel für Walter Knoll, einemodulare Küche für Poggenpohl, Leuchten für Zumtobelund Louis Poulsen. Das Design ist wie die Architektur:zurückhaltend, einfach und nachhaltig in der Form wie inder Handhabung, aber von großer atmosphärischer Aus-strahlung und emotionaler Eindringlichkeit. Zu den zahl-reichen internationalen Auszeichnungen gehören: dreiMIPIM Awards, Renault Traffic Design Award, DeutscherKritikerpreis, NEPIX Building Award, FIABCI Prix d‘Excel-lence, Dubai Cityspace Award, Green Building DGNB,Office of the Year, Designpreis der BundesrepublikDeutschland, iF Design Award, Reddot Design AwardBest of the Best, NeoCon Gold Winner.

Die wichtigsten GebäudeFernbahnhof Flughafen Frankfurt 1999Bürohaus Berliner Bogen Hamburg 2001Rheinauhafen Kranhaus Köln 2008-2010Zayed Universität Abu Dhabi 2011

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 102

Bürohaus Berliner Bogen Hamburg 2001

Fernbahnhof Flughafen Frankfurt 1999

Foto:JörgHem

pel,Aachen

Foto:JörgHem

pel,Aachen

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 103

Zayed Universität Abu Dhabi 2011

Rheinauhafen Kranhaus Köln 2008-2010

Foto:JörgHem

pel,Aachen

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 104

Hans Hollein & PartnerZT GMBHChristoph Monschein

Christoph Monschein (Jahrgang 1972) studiertenach der Matura an der Höheren TechnischenLehranstalt für Bauwesen in Zeltweg an Universitä-ten in Wien und Lima/Peru. Er lebte und arbeitetewährend dieser Zeit auch in Südamerika und diplo-mierte nach seiner Rückkehr an der Meisterklassevon Prof. Hans Hollein, in dessen Büro er seit 1996arbeitet.

Im Jahr 2010 gründete er, als geschäftsführenderGesellschafter, zusammen mit Hans Hollein dieHans Hollein & Partner ZT-GmbH. Lehraufträge anden Universitäten in Innsbruck und Wien sowieVorträge an internationalen Institutionen ermöglich-ten ihm, die in über 20 Jahren erworbenen Erfah-rungen an komplexen Bauaufgaben weiterzugeben.Er ist staatlich befugter und beeideter Ziviltechnikerund Mitglied bei der Zentralvereinigung der Archi-tekten Österreichs.

Zu den wichtigsten Projekten des Büros zählen derSBF Tower in Shenzhen, das Interbank Headquarterin Lima, der Saturn und der Media Tower in Wien,oder das Vulkanmuseum in Frankreich.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 105

Alles.

Foto:LuzieGiencke

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GROHE: Haben Sie ein persönliches Credozur Architektur? Und wie steht es im Verhältnis zurPhilosophie von Hans Hollein und Partner?

Christoph Monschein: In diesem Fall kann ich nur fürmich sprechen: Architektur muss für mich authentischsein, denn diese Authentizität ist spürbar. Ohnehin sollteein Projekt von der ersten Zeichnung bis zum fertigge-stellten Bau eine gewisse Durchgängigkeit haben – wenndieser Prozess dann noch authentisch ist, wird man dasdem vollendeten Bauwerk ansehen.

Architekten planen in einer und für eine Welt, dievon einer Vielzahl von nicht architektonischen Proble-men geprägt ist: Man denke beispielsweise an dieenergetischen und materiellen Ressourcenengpässe,den Klima- und Umweltwandel, die globale Migra-tion. Leistet die Architektur von heute Ihrer Meinungnach schon ausreichend Lösungen für diese Pro-bleme?

Vereinfacht gesagt gibt es für mich zwei wesentlicheGrundsätze in der Architektur. Erstens die Erhaltung derKörperwärme und zweitens den Ritus. Und es gab undgibt Projekte, die diese Anforderungen erfüllen.Provokant gedacht löst sich jedes Ressourcenproblem,aber zu welchem Nachteil? Ich vermisse ein wenig denAnsporn zur Selbstverantwortlichkeit, denn nichts wäreeinfacher und vor allem logischer, als verantwortungs-bewusst mit dem Gegebenem umzugehen. Lösungengibt es ausreichend, nur scheitert es am zu geringenEinsatz dieser.

CHR I S TO P H MONSCH E I N

DIE ART, WIE NACHHAL-TIGKEIT INTERPRETIERTWIRD, BIRGT DIE GEFAHR,DASS ARCHITEKTUR MITFALSCHEN MAßSTÄBENBEURTEILT WIRD.

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Evaluieren Sie bei Hans Hollein Architekten Architek-tur auf Ihre Klimatauglichkeit?

Wir bauen in unterschiedlichen Regionen der Erde,und müssen dementsprechend auf die Gegebenheitenreagieren. Durch diese Vielfalt entsteht ein selbsterarbei-tetes Know-how, als Basis für zukünftige Projekte.Dieses Wissen dient auch dazu, Anforderungen kritischzu betrachten.

Einige Architekten beschäftigen sich heute bereitsmit dem Umbau der Stadt. Zum Beispiel müsstendie Stadtkerne – so heißt es – , die heute hauptsäch-lich aus Einkaufszentren bestehen, revitalisiertwerden. Wie ist Ihre Einstellung zu dieser Revitali-sierung unserer Städte?

Unsere Städte sind im dauernden Umbau, das halte ichfür keine neue Entwicklung, im Gegenteil, diese ständi-gen Anpassungen an Notwendigkeiten sind überlebens-notwendig für diesen Lebensraum. Kritisch betrachte ichhier eine generelle Herangehensweise. Städte sind wieÖkosysteme, jedes in ihrer Art spezifisch. Wien zumBeispiel hat eine Sonderheit. Es ist eine Stadt, die inerster Linie wegen steigendem Komfortbedürfnis, nichtaufgrund von steigenden Einwohnerzahlen wächst.Schließlich hatte diese Metropole um die letzte Jahrhun-dertwende mehr Einwohner als jetzt, bei geringeremFlächenverbrauch.Wesentlich ist im Zusammenhang mit dieser Frage dasErkennen und Ausnutzen von spezifischen Potenzialen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 107

Welche lobenswerten Beispiele fallen Ihnen dazu ein?

Shigeru Ban baut zum Beispiel öfter mit Papier, das magich. Oder dass Lehm in Regionen, wo er leicht abzubauenist, eine Renaissance erfährt, finde ich interessant. WennHochhäuser, so wie unseres in Shenzhen, zertifiziert wer-den, freu ich mich natürlich auch, und das besonderswenn die Gestaltung im Vordergrund gestanden ist, undnicht der Nachhaltigkeitspokal. Intelligent zu bauen istselbstverständlich, und keine Tugend.

Architektur nimmt nach wie vor eine isolierterePosition als Kunst, Technik und Wissenschaft ein.Für die Bewältigung der erkennbaren Probleme kannnur gemeinsames und solidarisches Handeln vonEntwerfern, Gestaltern, Forschern und Produzenten,von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik helfen.Wie würden Sie den Status Quo dieses notwendigeninterdisziplinären Handelns beschreiben?

Ich sehe Architektur als Verknüpfungselement der er-wähnten drei Disziplinen und die Wurzel des Problemsin der Ausbildung von Architekten. Durch die Dauer desStudiums und die Schwergängigkeit der Lehrpläne beiAnpassung an tatsächliche Erfordernisse sind Architektenoft überfordert, das globale Zusammenwirken der Anfor-derungen zu erkennen und zu koordinieren. Das solidari-sche Handeln wäre fantastisch, würde es nur immerfunktionieren. Ich sehe die Aufgabe des Architekten darin,solche komplexen Aufgaben federführend zu lösen.

Es gibt unterschiedliche Ansätze in der Diskussionum energieeffiziente Gebäude und Klimaschutz.Häufig werden dabei die Themen Energieverbrauchund Energiekennzahlen erheblich überbewertet.Lenkt das nicht von den eigentlichen Aufgaben undProblemen ab?

Ich stimme Ihnen zu. Zu oft wird ein Nachhaltigkeits-zertifikat als Medaille für gute Architektur verstanden.Die Zelebration von Kennzahlen halte ich für übertrieben,die Notwendigkeit, am Stand der Technik zu bauen, aberfür wesentlich.Viel hat es auch mit der Definition der Komfortzone zutun. Stellen Sie sich bitte vor, wie viel Energie zu sparenwäre, wenn sie statt 21° in Büros 20° oder weniger alsideal definieren.Sie können heutzutage jedes Gebäude mit den höchstenZertifikaten bauen, die Frage ist, will man das, oder istes notwendig?

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Wie wird Ihrer Meinung nach die Mobilisierung inunseren Städten in 30 Jahren aussehen? Was undwie wird sie sich verändern?

Sieht man 30 Jahre zurück, merkt man die Möglichkeiteneiner solchen langen Zeitspanne. Ich kann mir vorstellen,dass die Verwendung von Energie in erster Line eine völ-lig andere sein kann. Städte werden womöglich nichtmehr an Schnittstellen von Verkehrsadern geplant, son-dern über Schnittpunkten von Energiefeldern (Wind,Geothermie etc.) oder an Informationssträngen. Ich be-fürchte den Rückzug aus jeglicher persönlicher Öffentlich-keit in ein virtuelles Dasein. Aber dadurch entsteht wiedereine neue Aufgabe für Architekten. Dafür oder dagegenzu entwerfen.

Welche Bedeutung hat für Sie die Schönheitin der Architektur?

Schönheit ist ein dehnbarer Begriff. Es gibt hässlicheArchitektur, die aber trotzdem kritisch sein kann. DieseArchitektur hat unter Umständen trotzdem ihren Wert.Andererseits gibt es schöne Dinge, die einfach schönerscheinen, die aber nicht unbedingt eine hohe Qualitäthaben. Daher kann man die Frage nicht so einfachbeantworten.

Welche Werte sollte Architektur heute verkörpern?

Der Wert der Architektur ist abhängig von der jeweiligenBauaufgabe und bei jedem Objekt individuell zu messen.Generalisierungen halte ich hier für sinnlos. Wenn etwaeine Behausung für Menschen geschaffen werden muss,die diese dringend brauchen, so ist sie auch dann vonWert, wenn sie mit simplen Mitteln verwirklicht wird.Ein anderes Wertesystem liegt hingegen vor, wenn sichjemand mit einem Hochhaus repräsentieren, Dominanzzeigen möchte. Der Wert an sich ist nicht zwingend dasrichtige Maß, um Architektur zu beurteilen, weil sie einenfinanziellen oder einen ideologischen Wert haben kann.

Dominanz durch Höhe – das ist etwas, was sichgerade im arabischen Raum beobachten lässt.In Dubai findet quasi das Wettrüsten um die höch-sten Gebäude statt!

Es geht um eine simple Frage: Wer hat das höchsteGebäude? Das Problem in Dubai ist mittlerweile, dassHäuser abgerissen werden, da die Bauherren ihre Verein-barung mit der Stadt zur Fertigstellung der Bautenschlichtweg nicht einhalten können. Das reicht bereitsaus, um die Gebäude wieder zu beseitigen. Ich war vorkurzem in Dubai auf dem Burj Khalifa. Von dessen höch-stem Punkt hat man einen herrlichen Ausblick und sieht,wie sich die Wüste die Stadt wieder zu Eigen macht, mitSand bedeckt. Hier zeigt sich das interessante Phäno-men, dass eine geplante Stadt – im Gegensatz zu einergewachsenen Stadt – durchaus auch scheitern kann.

Welche Architektur würden Sie als fortschrittlichbezeichnen?

Man kann diese Frage aus der technischen Perspektivebetrachten, da Fortschritt für viele etwas mit dem Standder Technik zu tun hat. Andere sehen es eher aus dergestalterischen Sicht. Mit dem Computer hat man heutein beiden Bereichen ganz neue Möglichkeiten: Zum einen,was die Berechnungsmethoden für Konstruktionen an-geht, zum anderen, was die gestalterische Aufbereitungbetrifft. Gerade junge Architekten müssen sich dieseMethoden aneignen, um damit zielführend arbeiten zukönnen. Ob diese Entwicklung nun unbedingt fortschritt-lich ist, lässt sich aber noch nicht beurteilen.In jedem Fall sollte man trotz des Fortschritts die Bau-geschichte nicht vergessen: Ich etwa bin ein großer Fandes Pantheon und seiner Kuppelkonstruktion, die amEnde nichts anderes ist als eine Halbkugel, und dennochein beeindruckendes Werk darstellt.

Hat aus Ihrer Sicht die breite Bevölkerung einVerständnis von qualitativ hochwertiger Architektur?

Was ist qualitativ hochwertige Architektur überhaupt?Die Öffentlichkeit hat oft ein falsches Bild von diesemBegriff, da nur schätzungsweise 5 % der Gebäude auchmedial diskutiert werden. Es gibt allerdings viele Bau-werke, die unauffällig sind und einfach einen gewissenZweck erfüllen sollen. Wenn beispielsweise ein sozialerWohnbau seinen Zweck erfüllt, dann ist das gut für denNutzer, in diesem Fall den Mieter. Es muss nicht immeralles auf eine besondere Art und Weise gebaut sein,damit es als qualitativ hochwertig angesehen werdenkann.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 108

CHR I S TO P H MONSCH E I N

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Die Bauvorschriften und die damit verbundenenQualitätsparameter sind in Deutschland und Öster-reich unterschiedlich. Ist das für Architekten eineHerausforderung?

Nicht mehr und nicht weniger als eine Grundstücks-grenze oder eine Bebauungslinie. Auch die versucht manauszuloten, teilweise zu umgehen, aber meistens doch zuakzeptieren, und im Endeffekt damit zu arbeiten. Wennbei einem Auftrag die Fassade einen gewissen thermi-schen Wert erfüllen muss, ist das ein Parameter, der sichaus dem technischen Fortschritt herleitet. Wichtig findeich allerdings, dass man die Notwendigkeit der Rahmen-bedingungen stets hinterfragt.

Was sehen Sie bei der Entwicklung qualitativ hoch-wertiger Architektur als das größte Hindernis an –abgesehen vom Kostendruck, mit dem man natürlichoft zu kämpfen hat?

Es gibt fast immer eine Gegebenheit, der man unterliegt,aber es gibt eine selbstauferlegte Hürde, die man über-brücken kann: den Gedanken, man müsse immer zwin-gend etwas Neues machen.

Wenn wir jetzt das Thema „Kosten eindämmen“mit ins Spiel bringen: Wir leben in einer sehr krisen-anfälligen und schnelllebigen Zeit, in der das Systemhauptsächlich auf Gewinnmaximierung ausgelegt ist.Bleibt da aus Ihrer Sicht die Qualität der Architekturmanchmal auf der Strecke?

Im Großen und Ganzen bin ich davon überzeugt, dassgute Architektur das gleiche kostet wie schlechte. Fürmich ist die Frage damit eigentlich beantwortet. An einenbestimmten Rahmen muss man sich ja immer halten,wobei es sich nicht zwingend um einen Kostenrahmenhandeln muss. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warumSchulgebäude meistens auf einem Raster aufgebaut seinmüssen, obwohl Raster an sich heute kein Thema mehrsind. Aufgrund des technischen Fortschritts haben sichdie Verhältnisse ja etwas verschoben: Es ist inzwischengar nicht so unüblich, mit vielen unterschiedlichen Ele-menten zu arbeiten, da das mittlerweile ohne allzu großeKostensteigerungen möglich ist. Vor kurzem habe ichmir das Heydar Aliyev Cultural Centre von Zaha Hadid inBaku, Aserbaidschan, angesehen, bei dem 16.000 ver-schiedene Fassadenelemente verbaut wurden. Auch dasliegt noch im Rahmen der Möglichen, solange sich je-mand findet, der dafür bezahlt.

Wie beurteilen Sie die Qualität der Baukultur inÖsterreich im Vergleich zu anderen europäischenLändern, auch im Hinblick auf Deutschland?

Ich finde, dass die Qualität in Österreich erstaunlich hochist. Es gibt zurzeit auch die These, dass Österreichs größ-tes Kulturgut mittlerweile die Architektur ist – so wie esvor 200 Jahren die Musik war. Dafür, dass Österreich einrelativ kleines Land ist, haben wir sehr viele Architekten,die auch international gefragt sind. Meiner Meinung nachhat diese Tatsache viel mit der Ausbildung zu tun: Erstenshaben wir sehr viele Architektur-Universitäten mit unter-schiedlichen Portfolios und zweitens gibt es in Österreicheher noch die Chance, frei zu denken, da wir nicht sovielen Regulierungen unterliegen. Das sehe ich als denentscheidenden Vorteil in Österreich, mit dem sich dasLand auch international auszeichnet.

In Österreich hat man einen etwas anderen Zugangzum Thema Baukultur. Bislang wurde sie dort ehervon einzelnen Architekten geprägt. Wie denken sieüber dieses Phänomen? Wird dieser Trend weiterge-hen oder wird es noch weitere Einflüsse geben?

Jede Branche braucht Stars, an denen man sich orientie-ren oder sich reiben kann. Das hat viel mit Emotion zutun und wenig bis gar nichts mit der tatsächlichen Quali-tät der Arbeit. Spitzenreiter sind für eine Branche wichtig,da diese jeder kennt, obwohl sie weder berühren, nochinteressieren. Sicherlich gibt es Architekten, bei denender Kult im Verhältnis zur tatsächlichen Leistung übertrie-ben wird, aber dieses Phänomen finden wir in den ver-schiedensten Bereichen.

Das Büro Hollein hat auch international einen gutenRuf. Wie würden Sie Ihr Büro im Hinblick auf diesesPhänomen einordnen?

Hans Hollein, der unser Büro gegründet hat, ist seit 45Jahren auf dem Feld der Architektur tätig und Pritzker-Preisträger. Wir gehören also durchaus auch internationalzu den Spitzenbüros.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 109

Page 109: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

Heute wird die Architektur oft nach ihrer Oberflächebeurteilt – Fassaden sind manchmal wichtiger alsdie dahinter liegenden Räume. In Deutschland etwagab es die Debatte zum Wiederaufbau des BerlinerStadtschlosses. Ein Kollege hat dazu einmal gesagt,es ist ein Ausdruck des Scheiterns, dass die Genera-tion, die heute die Verantwortung trägt, es wagt,die Vergangenheit wie eine Trickkiste zu behandeln,aus der sie mal dieses, mal jenes herauszieht. Wiestehen Sie dazu?

Dieses Phänomen muss differenziert betrachtet werden.Es gibt zum Beispiel in Deutschland rund um David Chip-perfield eine ernstzunehmende Bewegung, die sich inhohem Maße mit der originalgetreuen Renovierung undder Erhaltung auseinandersetzt. Auch die letzte Architek-turbiennale hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Obman das Schloss tatsächlich wieder komplett neu auf-bauen sollte, kann ich nicht sagen, da Architektur vielmit Zeitgenössischem zu tun hat. Aber es wäre in jedemFall besser gewesen, ein Projekt zum Neubau des Stadt-schlosses Berlin auszurufen, und im Rahmen eines Wett-bewerbes herauszufinden, wie sich Architekten heutzu-tage dem Thema widmen. Es ist wichtig, sich mit derGeschichte zu beschäftigen, da aus ihr heraus Vieleserwächst, aber Projekte originalgetreu wieder neu aufzu-bauen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, kanndurchaus zum Scheitern verurteilt sein.

Ist der Nachbau eine reinen Kopie für Sie Architek-tur? Ich denke jetzt zum Beispiel an ein Projekt inChina, wo Teile von Hallstatt eins zu eins nachgebautwurden.

Ich kenne das genannte Projekt bisher nur von Bildernund war leider noch nicht vor Ort. In jedem Fall mussman hier wieder den Zweck im Vordergrund sehen: Ausder Sicht des Investors beispielsweise hat das Projektdurchaus seine Berechtigung. Zudem hat es den Vorteil,dass nicht jeder chinesische Staatsbürger nach Österreichfahren muss, um sich diese Form der Architektur anzu-schauen. Für die Übernahme von Elementen einer ande-ren Kultur gibt es ja hinreichend Beispiele – und fastimmer hat das auch mit dem kulturellen Hintergrund zutun. Das lässt sich etwa auch bei Auswanderern beob-achten, die von Tirol nach Südamerika gegangen sindund völlig losgelöst von den tatsächlichen Notwendigkei-ten und Bedingungen in der neuen Heimat nach ihrerTradition Tiroler Häuser gebaut haben. Da stecken kultu-relle Prägungen dahinter, sei es Heimweh, sei es dieUnfähigkeit, anders zu denken oder zu arbeiten alsgewohnt. Womit wir wieder bei der Frage des Werteseines Bauwerks wären: Was will ich damit erreichen undwird es diesem Zweck am Ende gerecht?

Die historische Architektur hat ja für viele aucheine identitätsstiftende Funktion – mit der Ästhetikder Moderne hingegen können sich die meistenMenschen nur schwer identifizieren. Der breitenMasse fehlt anscheinend das Vertrauen in dieModerne. Wie erklären Sie sich das?

Diese Annahme würde ich bestreiten. Vor kurzem fandeine Abstimmung über die zehn wichtigsten Bauten inAmerika statt, bei der unter anderem auch das SeagramBuilding von Ludwig Mies van der Rohe dabei war, wel-ches man durchaus der Moderne zusprechen kann. Ichglaube, gewisse Dinge brauchen einfach eine Zeit, umsich zu etablieren. Mit manchen Projekten können sichdie Menschen schon identifizieren, wenn sie noch imBau sind, andere architektonische Werke erreichen diesdurch Beständigkeit.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 110

CHR I S TO P H MONSCH E I N

Page 110: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

Nachhaltigkeit ist ja in aller Munde. Es ist das ThemaNr. 1 unserer Zeit. Was hat sich mit der wachsendenBedeutung von Nachhaltigkeit in den letzten Jahrenim Vergleich zu früheren Projekten verändert?

Die Schwierigkeit bei dem Thema liegt schon im Wort ansich, denn „nachhalten“ klingt sehr nach „zurückhalten“.Tatsächlich haben wir ja schon vor dieser Diskussion ver-sucht, Gebäude mit den vorhandenen Mitteln so zubauen, dass sie möglichst lange haltbar sind. Mittlerweilegibt es Regeln, an die man sich hält – oder zumindestmehr hält als vorher –, das ist eben ein zusätzlicher Para-meter der Planung. Die Gefahr liegt darin, dass die Art,wie Nachhaltigkeit interpretiert wird – dazu zähle ich etwadas energieschonende Grüne Bauen oder die hochmo-derne Blue Energy – dazu führt, dass Architektur mit fal-schen Maßstäben beurteilt wird. Man bricht die Qualitäthinunter auf ein Niveau, das für sehr viele Leute schlicht-weg anhand von Werten messbar ist. Wenn ich Zeitun-gen durchblättere und Artikel zu Wohnbauten sehe, indenen argumentiert wird, sie seien deswegen „super“,weil es sich um grüne, ressourcenschonende Architekturhandelt, muss ich diese Entwicklung energisch kritisieren.Eine simple Komponente hat mit der Architektur nichtwirklich etwas zu tun.

Bei einigen Projekten Ihres Büros – etwa beim SBFTower in Shenzhen, der gerade im Bau ist – spielt dasThema Nachhaltigkeit aber doch eine Rolle, zumin-dest werden in die Fassade Photovoltaik-Elementeintegriert.

Bei diesem Projekt geht es nicht in erster Linie um diePhotovoltaik-Elemente, sondern vielmehr um die Tatsa-che, dass das Gebäude sehr klare Strukturen hat. Einfa-che Boxen bilden den Rahmen für sogenannteSky-Garden-Geschosse. Dadurch entsteht eine Formvon Bürowelt, bei der durch Überschneidung völlig neueBereiche geschaffen werden. Der Kontrast zwischen deneinzelnen, klar strukturierten Körpern wird zusätzlich mitverschiedenen Fassadenoberflächen unterstrichen. Es hatsich förmlich angeboten, dass manche dieser Körper mitPhotovoltaik-Elementen bekleidet werden, um zum einenein gewisses Zeichen zu setzen, und zum anderen auszu-probieren, wie dieses System funktioniert. Zudem werdenmit den Solarzellflächen, die im ganzen Gebäude zufinden sind, bei der LEED Gold certification zusätzlicheZertifizierungspunkte erreicht. Die Verwendung der Pho-tovoltaik-Elemente war aber nicht der Ausgangspunktdes Entwurfs und stand nicht im Vordergrund des gestal-terischen Konzepts.

Halten Sie die gesetzlichen Reglementierungenfür neue Wohnbauten, die vorgeben, wie viel Prozentdes Energiebedarfs durch erneuerbare Energie zudecken sind, für sinnvoll?

Ja, langfristig schon. Aber wie schon zuvor erläutert, binich der Meinung, dass es sich bei solchen Vorgaben umParameter handelt, die man untersuchen, hinterfragenund gegebenenfalls aufweichen muss.

Was ist für Sie als Architekt das höchsteKompliment, das man Ihnen aussprechen kann?

„Das ist eine gute Arbeit.“

Und was hat Sie in Ihrem architektonischen Wirkenam meisten geprägt?

Ich bin seit 15 Jahren im Büro von Professor Holleinund mittlerweile Partner. In dieser Zeit habe ich sehr vielvon ihm gelernt. In erster Linie betrifft das die Haltungzu diesem Beruf und die große Hingabe, die manbraucht, um gute Arbeit leisten zu können. Architektzu sein ist aufregend und schön.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 111

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HANS HOLLEIN& PARTNER ZT GMBHBüronameHans Hollein & Partner ZT GmbH

BüroinhaberProf. Hans Hollein, Christoph Monschein

Gründungsjahr2010 von Prof. Hans Hollein, Ulf Kotz undChristoph Monschein

Standort des BürosWien

Mitarbeiter10

ProfilArchitektur

Die wichtigsten GebäudeSBF Tower Shenzhen, InterbankCooperate Service Center Lima, PeruInterbank Lima, PeruVulcania Auvergne, FrankreichSea Mio Taipei, TaiwanDie Welle Wien, ÖsterreichSaturn Tower Wien, Österreich

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 112

Interbank, Lima, 2001

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Saturn Tower, Wien, 2004

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 113

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ingenhoven architectsChristoph Ingenhoven

Christoph Ingenhoven (Jahrgang 1960) wurde inDüsseldorf geboren. Er studierte von 1978 bis 1984an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hoch-schule (RWTH) in Aachen und an der Kunstakade-mie Düsseldorf und gründete im Jahr 1985 dasArchitekturbüro ingenhoven architects.

Eleganz, der ökonomische Umgang mit Ressourcenund ein hohes Maß an ästhetischer Qualität undinnovativer Technologie kennzeichnen die Gebäudevon ingenhoven architects.

Christoph Ingenhoven ist Gründungsmitglied derDeutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen(DGNB) sowie der Bundesstiftung Baukultur undu.a. Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akade-mie der Wissenschaften und der Künste.

Die wichtigen realisierten Bauten sind u.a. dieEuropäische Investitionsbank Luxemburg, dasHQ der Lufthansa in Frankfurt, das HQ der DanielSwarovski Corporation am Zürichsee, das Oecono-micum in Düsseldorf sowie das Hochhaus 1 Blighin Sydney. Im Bau befinden sich u.a. der neueHauptbahnhof Stuttgart und Marina One, ein Hoch-hauskomplex aus Büro- und Wohngebäuden inSingapur, sowie der Neubau für den Lanserhof amTegernsee.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 114

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Wir müssen Weltmeister des interkulturellen,interdisziplinären Arbeitens werden, wenn wirdie Themen lösen wollen, die sich durch50 Jahre Wachstum und teils gedankenloseFast-Food-Architektur sowie anhaltendes

Bevölkerungswachstum aufgetürmt haben.Es muss vor allem schnell gehen, und wir wollen gerne durch unsereErfahrung und die völlige Unvoreingenommenheit, die uns auszeich-net, einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der üblichen Typologienund der leider oft flachen Mittelmäßigkeit heutigen Bauens anbieten.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 115

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

Page 115: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 116

GROHE: Was ist die Aufgabe von Architektur?

Christoph Ingenhoven: Architektur muss diesen Plane-ten wohnlich machen oder wohnlich halten, dort, wo erschon wohnlich ist. Die Mindestfunktion von Architekturist die Erhaltung der Körperwärme. Es ist eine arg mini-malistische Betrachtungsweise, aber ich finde es sehrgut, wenn man sich auf diesem Niveau erst einmal mitArchitektur beschäftigt. Denn das zeigt, dass Architekturetwas Lebensnotwendiges ist. Überleben auf diesemPlaneten ohne Architektur ist nicht möglich. Menschenhaben grundsätzlich die Möglichkeit, auch draußen zuüberleben, aber durch Zivilisations- und Anpassungspro-zesse haben wir natürlich diese Fähigkeit zu einem Teilverloren. Wir haben kein Federkleid, keine Schuppen oderauch kein Fell mehr, wie wir es vielleicht noch gehabthaben, als unsere Affen-Vorfahren uns noch etwas ähnli-cher waren, als es heute der Fall ist. Das führt dazu, dassohne einen gewissen Schutz vor den körperlichen undphysischen Gefahren, vor den Dis-Komfortabilitäten die-ser Welt, ein Überleben auf diesem Globus nicht möglich

CHR I S TO P H I N G ENHOV EN

ICH GLAUBE, WIRWERDEN IN DER LAGESEIN, GEBÄUDE ZUBAUEN, DIE UNS ALSMENSCHEN WIEDER INEINE SITUATIONBRINGEN, IN DER WIRIM EINKLANG MIT DENRESSOURCEN DIESESPLANETEN LEBEN.

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ist. Es zeigt uns, dass am Anfang aller menschlichenZivilisations-, und aller menschlichen Behausungs- oderBeheimatungsbemühungen immer so etwas Ähnlicheswie Architektur stand, in ganz einfacher Form. Architekturfängt da an, wo jemand ein paar Zweige zusammenräumtund sich mit einfachsten Methoden wie einer Tierhautoder ein paar Blättern eine Art Dach konstruiert. Da gibtes auch heute noch beeindruckende Beispiele wie ausdem Amazonasgebiet, von Menschen, die nie mit einemArchitekten oder einem Bauingenieur zusammenkamenund sich dennoch in freier Wildbahn behausen. Sieschaffen es, weil sie sich in irgendeine Bärenhöhle zu-rückziehen, die schon existierte, bei der sie nur noch einpaar Baumstämme vor die Tür rücken mussten. Es gibtMenschen, die von der Besiedelung des Mondes, desMars oder der Tiefsee träumen. Ich habe den Eindruck,es gab vor 20 Jahren viel mehr solcher Phantasien.Ohne eine hoch technisierte oder auch störunanfälligeArchitektur würde man dort aber gar nicht klar kommen.Architekten können einen wesentlichen Beitrag leisten,nicht nur dazu, dass das überhaupt geht, sondern dassdas auf eine besonders gute, nachhaltige oder schöneArt und Weise passiert. Darin sehe ich auch die Haupt-aufgabe der heutigen Architektur. Wenn man sich 2.500Jahre zurück bewegt und sich die damals ausgearbeitet-sten, elaboriertesten Stadt- und Architekturplanungenansieht, dann wird man erkennen, dass zivilisatorischeLeistungen wie beispielsweise das Anlegen von Wasser-versorgung, das Abwasserwesen, das Versorgen mitHeizungen, das Verteilen von Gütern, die ganze Infra-struktur einer Stadt, die Logistik ..., dass das alles Dingesind, die wir zwar heute in diesen Ländern, in denen wirzum Beispiel selber leben, als selbstverständlich anneh-men, die aber damals ganz bestimmt nicht selbstver-ständlich waren. Das war damals ganz großes Kino,wenn man so will, aber heute eben auch noch keineSelbstverständlichkeit. Ich glaube, dass diese sehr grund-sätzliche Herangehensweise deswegen immer noch zuwenig geschätzt wird, weil man sie als eine Sache an-sieht, die anderen überlassen wird, wie zum BeispielIngenieuren, Stadtplanern, Infrastrukturplanern oderMenschen wie Projektingenieuren, die für Luft/Mecha-nik/Sanitär zuständig sind. Es stünde uns Architektenaber sehr gut an, wenn wir uns mit diesen Dingen per-sönlich sehr viel besser auskennen und grundsätzlicherbeschäftigen würden, weil Architektur die Grundlagevon allem ist.

Sie sind jetzt mittlerweile seit 27 Jahren alsArchitekt selbständig. Hat sich im Laufe dieser ZeitIhre Architekturauffassung verändert?

Es hat sich grundsätzlich nichts revolutionär gewandelt,ich hänge heute keiner völlig anderen Überzeugung alsvor 27 Jahren an. Es hat sich ganz viel vertieft und durchdie Erfahrungen, die man gemacht hat, ist man auf dereinen Seite schneller und auf der anderen Seite auchgelassener geworden. Das grundsätzliche Herangehenan ein Problem, ein sehr rationales, ein etwas pragma-tisch geprägtes, ein analytisches Herangehen, das hatsich alles nicht gewandelt. Natürlich sind kein Projektund auch keine Geschichte des Herangehens gleich.Verschiedene Orte haben unterschiedliche Bedingungen,unterschiedliche Auftraggeber, ein unterschiedlichesKlima usw., und verlangen deshalb nach unterschied-lichen Vorgehensweisen. Aber die Grundüberzeugungoder Grundherangehensweise hat sich bei mir nichtverändert.

Was sind die dringendsten Fragen, die die Architekturdes 21. Jahrhunderts zu beantworten hat?

Die dringendste Frage wird sein, wie in unserer Welt diedemnächst circa 9 Milliarden Menschen leben können.In einer Welt, in der die Bevölkerungsdichte extremungleich verteilt sein wird; Afrika wird den größten Bevöl-kerungszuwachs verzeichnen, gefolgt von Südamerikaund Asien. Der ganze so genannte Westen, die zivilisierteWelt, wird bei ungefähr 1 Milliarde stehen bleiben.Da stellen sich unterschiedliche Aufgaben: Während imWesten die Effizienzsteigerung im Vordergrund stehenwird, wird in den anderen südlichen und fernöstlichenLändern die Hauptaufgabe darin bestehen, eine Stadtbau-kultur ans Laufen zu bekommen, die es überhauptermöglicht, in dieser dort vorhandenen Dichte miteinan-der zu leben. Die größte Stadtagglomeration als politischeStadtagglomeration der Welt ist Tokio mit 27 bis 28 Mil-lionen Einwohnern im Großraum, eine im Verhältnis sehr

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friedliche Welt. Man denkt immer, dass große Megacitiesnur in Verbindung mit Dreck, Staub, Tod, Mord usw.möglich sind. Das ist nicht immer der Fall, Tokio ist hiereine best practice dafür, dass Dichte auch anders zulösen ist. Nicht alle Städte sind so wie Sao Paulo oder wieLagos. Neben Tokio gibt es Städte wie Shanghai, Hong-kong, Singapur, New York, die funktionieren und zeigen,dass ein zivilisiertes Leben in dieser Dichte möglich ist.Architekten können zur Lösung dieser Agglomerations-dichten einen immensen Beitrag leisten, einen Beitrag,der das tatsächliche physische, soziale Zusammenlebenüberhaupt erst ermöglicht und begünstigt. Aber aucheinen Beitrag zu einer nicht noch größer werdendenUngleichheit in diesen Städten, einer nicht noch größerwerdenden Privatisierung öffentlichen Raums. Wir habendie vornehme Pflicht, dafür zu sorgen, dass Straße, Platz,Park, Allee, der informelle, der nicht geschlossene, dernicht kommerzialisierte öffentliche Ort geschützt undausgebaut wird. Als Architekten können wir Einiges dafürtun, dass sich Städte demokratisch gegenüber ihrenEinwohnern verhalten – in puncto Benutzbarkeit, Betret-barkeit usw. Wir können dafür sorgen, dass die Luftver-schmutzung in diesen Städten und der Verbrauch vonRessourcen wesentlich geringer sind, als sie bei der Fort-schreibung heutiger Standards der Fall wären. Ganz imGegenteil, wir können dafür sorgen, dass Städte sogarsehr viel sauberer werden. Wir können Null-Energiehoch-häuser bauen, wir müssen uns an der Entwicklung derentsprechenden Technologien beteiligen. Ich bin eingroßer Verfechter von intelligenten Hochhausprojektenund glaube, dass man ohne Hochhausprojekte auf dieserWelt nicht überleben wird. Ohne Hochverdichtung ist esschlicht und ergreifend nicht möglich, zu überleben.Diese Hochhäuser müssen nicht unbedingt 500 m hochsein, aber 80, 120, 200 m werden wir schon brauchen.Das ist eine unserer Aufgaben, dass wir uns mit diesenTechnologien beschäftigen, uns mit den sozialen undtechnischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten ausein-andersetzen, um daraus Konstruktion, Schönheit, Ästhe-tik, alles das, was dazu gehört, gute Architektur zu bauen,abzuleiten.

Viele Ihrer Kollegen beklagen sich über ein zu engesKorsett an Überprüfungen und Verpflichtungen, dieeinzuhalten sind. Bleibt da Ihrer Meinung nach nochwirklich ausreichend Platz für freie Gestaltung?

Es gibt einen sehr bösen Spruch zu dieser Art der Ent-schuldigung: Wenn man nicht schwimmen kann, liegtes nicht an der Badehose. Mir ist das immer etwas zuwohlfeil. Es wird oft gesagt, in den Dritte-Welt-Ländernpassiert und entscheidet sich alles viel schneller. Ich binder Architekt von Stuttgart 21, ich hätte jeden Grund,mich über langwierige und schwierige Verfahren zubeschweren. In dem Fall würde ich es auch tun, abernicht deswegen, weil ich das Verfahren als solches fürzu langwierig halte, sondern deswegen, weil die Projektein Deutschland den viel zu taktischen, politischen, tages-politischen und lokalpolitischen Überlegungen geopfertwerden.Das Unerträgliche sind die sachfremden Argumente.Gewinnt man die Wahl, wenn man gegen dieses Projektstimmt, obwohl man eigentlich nicht gegen das Projektist? Ein solches Projekt wie Stuttgart 21 muss in seinerGröße öffentlich abgestimmt werden und man mussauch mit Widerstand rechnen. Das macht solch einProjekt extrem schwierig und langwierig, wodurch auchFehler in dem Prozess auftauchen.Wahrscheinlich verhindern wir auf die Art und Weisemanchmal auch ein gutes Projekt. Andererseits bewahrenwir uns teils vor Dingen oder sogar Fehlern, die wir dum-merweise gemacht hätten, wenn wir wesentlich schnellerentschieden hätten. Es gibt dafür ein beeindruckendesBeispiel, nicht auf Projekte-, sondern auf Städteebene:Vergleichen wir New York, sicher unzweifelhaft eineattraktive und wahrscheinlich in bestimmter Beziehungeiner der attraktivsten Städte der Welt, mit Shanghai.Wo wäre es wohl leichter ein Projekt zu bauen? DieAntwort lautet: In jedem Fall in Shanghai. Wo geht esschneller? In Shanghai. Wo ist es preiswerter? In Shang-hai. Shanghai gewinnt permanent. Aber wir würdenlieber in New York als in Shanghai wohnen. Jetzt stelltsich die Frage, wie es kommt, dass alle nach New Yorkwollen, obwohl Vieles in Shanghai leichter ist. Es kommtdaher, dass in New York die Dinge nicht so schnell sofalsch gemacht werden können, nicht so schnell voneiner an und für sich authentischen Welt in eine Plastik-welt gedreht werden können. In Shanghai gehört demStaat das gesamte Land. Über die Nutzung von Landwerden überhaupt nur vorübergehende Verträgegemacht. Das führt dazu, dass man in relativ großerGeschwindigkeit riesige Flächen zusammenbekommenhat, weil der Staat alles selber besitzt. Man konnte dieganze Altstadt platt machen. Man konnte Stadtautobah-

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 118

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nen durch die Stadt bauen. Man konnte zwischen 1995und 2005, also innerhalb von 10 Jahren, die Stadt kom-plett planieren. Das bedeutet aber auch, dass die großenFehler, die man innerhalb von 10 Jahren gemacht hat,gigantisch sind. In New York beobachten wir das genaueGegenteil: Ein Luftfoto von New York sieht heute so auswie vor 200 Jahren, das heißt, die Straßen, die Plätze, dieParks, der Broadway usw. sind gleich geblieben. Nimmtman die Stadt heute vom Hudson River auf, sieht man,dass die Häuser von zweigeschossigen Gebäuden bis aufheute 60- bis 70-schossige Gebäude angestiegen sind.Das heißt, das Wachstum hat in der Höhe stattgefunden,der Stadtgrund aber ist stabil geblieben, weil der Grundund Boden privates Eigentum ist. Das heißt, das Landwurde einmal parzelliert, als die Holländer die Landparzel-len eingeteilt haben, man bildete relativ kleine Blocks unddiese Blocks teilte man dann in einzelne Grundstücke.Dann sind Land- und Eigentumsrechte verteilt worden.Es ist heute noch so. Jemand, der einen ganzen Blockzusammenkaufen will, braucht Generationen dafür oderso immens viel Geld, dass es dann auch nicht funktio-niert. Das bedeutet, er muss sich immer an irgendetwashalten. Er hat nie die Möglichkeit, Tabula rasa zu machen.Das ist eine sehr, sehr gute Sache. Die Verlangsamungbzw. die Verkomplizierung von Stadtplanung auf dieseArt und Weise ist eine gute, keine schlechte Nachricht.Ich bin dagegen, Genehmigungsschwierigkeiten wieöffentliche Diskussionen, Abstimmungsprozesse unddemokratische Prozesse als das Problem anzusehen.Trotz dieser Einschränkungen hat die Stadt New York diekreativsten und tollsten Architekturen hervorgebracht.Man kann sicher über einzelne Verfahren diskutieren undüberlegen, was besser zu machen ist. Grundsätzlich binich aber ein großer Skeptiker, wenn Dinge undemokra-tisch in zu geringer Abstimmung und zu schnell entschie-den werden.

Es gibt relativ wenig deutsche Architekten,die so international aufgestellt sind wie Sie.Wie erklären Sie sich das??

Das ist eine einfache Erklärung. Es hat die Nachkriegszeitgegeben, in der alles zerstört war. Danach musste allesneu aufgebaut werden, von der Schule bis zum Kranken-haus, vom Schwimmbad bis zum Einfamilienhaus.Das hat dazu geführt, dass es sehr einfach war, alsArchitekt Karriere zu machen. Es hat wahnsinnig vieleArchitekten gegeben, der Architekt hatte ein positivesImage. Schauen Sie sich einmal eine alte Tatortfolge an.Die Architekten waren immer nett, hatten drei Freundin-nen und besaßen einen Jaguar. Das hatte sogar einenwirklichkeitsbeschreibenden Wert, natürlich nicht aus-schließlich, aber ein wenig. Die Bevölkerung wuchs, dasBruttosozialprodukt wurde gesteigert, immer größereFirmen entstanden, es wurde immer mehr gebaut. EinRiesenboom. 5 Jahre vor der Wiedervereinigung, irgend-wann Mitte der 80er Jahre, ist er geendet. Eine grauener-regende, schlechte Zeit für Architekten. Ende der 80erJahre kam die Wiedervereinigung, die 5, 6 bis 7 Jahreeine Sonderkonjunktur zur Folge hatte. Seit Mitte der90er Jahre ist sie vorbei, gefolgt von der großen Krise.Vorher gab es keinerlei Grund für einen deutschen Archi-tekten, im Ausland tätig zu werden. Ganz im Gegenteil,der Druck hier im Land, auch ausländische Architektenhierher zu holen, war groß. Wenn man nach draußen ge-wollt hätte, wären wir von denen, die zu uns rein wollten,überrannt worden. Es gibt praktisch keinen internationa-len Architekten, der nicht in Deutschland gebaut hat. Erstseit Mitte bis Ende der 90er Jahre gab es also einen ge-wissen wirtschaftlichen Druck, dieses Überpotenzial, daswir hier in Form von Bauindustrie und Planungskapazitäthaben, im Ausland unterzubringen. Es war relativ leichtfür deutsche Architekten, ein Angestelltenverhältnis inausländischen Architekturfirmen zu finden, denn diedeutschen Architekten sind sehr begehrte, gut ausgebil-dete Mitarbeiter. Aber als selbstständige Architekten fehltuns eigentlich die Infrastruktur im Ausland. Sie müssensich vorstellen, dass Sie als Amerikaner von Ihrer Regie-rung als Architekt unterstützt werden. Sie haben nichtnur einen sprachlichen Vorteil, Sie haben auch einenpolitisch, ökonomischen Vorteil, weil überall da, woAmerikaner sich militärisch oder wie auch immer wirt-schaftlich engagiert haben, sie natürlich auch ihre Archi-tekten nachgezogen haben. Zudem haben sie einengroßen Vorteil, da sie mit 200 bis 300 Millionen Einwoh-nern einen großen Heimatmarkt haben. Das führt zugroßen Planungskonglomeraten. Sie finden Architektur-büros in Amerika, die gerne einmal 1000 bis 3000 Mitar-beiter registrieren. Diese haben natürlich auch eine

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Glauben Sie, dass sich der Großteil derdeutschen Architekten zunehmend in RichtungBestandsrenovierer entwickelt? Die Neubauquoteist ja gering in Deutschland.

Das kommt sehr darauf an. Natürlich muss man versu-chen, das große Bild zu sehen und zu schauen, wo diegroßen Bewegungen sind. Aber nach meiner persönli-chen Erfahrung der letzten 20 Jahre kann ich feststellen,dass man schon öfter geglaubt hat, das Bild gesehenzu haben und in Wirklichkeit kam es dann doch anders.Gerne gebe ich ein Beispiel dafür. Man spricht schnellvom Bestandssanierer oder Bestandspflegearchitekt.Im Wohnungsbau ist in den deutschen Ballungszentrennoch eine Menge zu tun. Da gibt es zurzeit gerade einengroßen Bedarf an Innovation, an Verdichtung, an guten,aber bezahlbaren Wohnformen usw. Das findet auch zueinem großen Teil im Neubaubereich statt. Viele Bauträ-ger tun sich wahnsinnig schwer, diesen Bedarf zu erfül-len. Scheinbar verpassen wir eine solche Bewegung oftgern schon mal. Bestandspflege spielt natürlich einegroße Rolle. Warum auch nicht. Im Sinne der Nachhaltig-keit ist das auch eine interessante Geschichte, dass man40 bis 50 Prozent der Baumasse nutzt und einen Teil so-zusagen erneuert, weil der verbraucht ist und ihn wo-möglich recycelt, um ihn teilweise wieder zu verwenden.Solche Konzepte werden sicher eine große Rolle spielen.Und warum soll sich nicht auch ein Teil der deutschenoder europäischen Architektenschaft damit beschäftigen?Das ist völlig in Ordnung, ich sehe hier gar keinen Wider-spruch. Was unsere Konkurrenzfähigkeit anbetrifft, ist esauch eine Frage des Commitments und eine Frage derOffenheit, mit der man Expertise ins Team holt. Natürlichbräuchten wir andere Bürostrukturen in Deutschland.Aber diese Strukturen können auch durch Kollaboration,also durch ein Netzwerk entstehen. Das Netzwerk hateinen großen Vorteil, es ist flexibler. Ich muss die Men-schen nicht alle beschäftigen und füttern. Es hat auchnoch einen anderen großen Vorteil. Spezialisierung ist

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unglaubliche Marktmacht, sie verfügen über ein interna-tionales Netzwerk. Das gilt auch für die Engländer, dieüber die großen Ingenieurbüros ein unglaubliches Netz-werk haben. Das ist faszinierend. Wenn sie ein englischerArchitekt sind und bauen zum ersten Mal in ihrem Lebenin Malaysia, dann erhalten sie jegliche Unterstützung,von der Möglichkeit, ein Büro anzumieten bis zur Lizen-zierung durch gut eingeführte Ingenieurfirmen wie Arupund Happold. Eine derartige Unterstützung erfahren diedeutschen Architekten nicht. Es gibt hier einen höchstqualifizierten Stamm an Ingenieuren, aber partikulär orga-nisiert. Wir haben viele Kleinstbüros mit 15 bis 50 Mannmaximal. Wir haben keine 2000- bis 3000-Mann-Büros.Wir sind in Bezug auf unsere Größenordnungen nicht inder Lage, mit denen zu konkurrieren. Das kann sich än-dern, aber es wird seine Zeit dauern. Heute gibt es sicher-lich bereits einen signifikant höheren Teil an Architektur-export als noch vor 10 Jahren. Kommen tun wir schon,aber eben langsam und gegen eine große etablierteMarktmacht.

Wie ist es Ihnen dann gelungen?

Es ist eine Mischung aus Zufall und Offenheit. Ich per-sönlich war immer sehr daran interessiert, im Ausland zubauen. Der Wille ist immer die Voraussetzung, parallel be-gleitet von Zufällen. Wir haben beispielsweise für Projektein Deutschland mit internationalen Ingenieuren, Beraternund auch anderen Architekten zusammengearbeitet.Dann haben diese Partner auch einmal den umgekehrtenWeg eingeschlagen und haben uns gefragt, ob wir nichtLust hätten, bei ihrem Projekt in Shanghai mitzuwirken.Das war Mitte der 90er Jahre. Wir haben zugesagt undden Wettbewerb gewonnen. Unser Projekt in Sydneyhaben wir bekommen, weil jemand drei Fachbegriffegegoogelt hat und zufällig bei uns auf der Homepagelandete. Das war ein Kollege aus Sydney, der uns dannfragte, ob wir Interesse an dem Projekt haben.

Es ist das Projekt „1 Bligh Street“, für das Sieden Internationalen Hochhauspreis 2012 gewonnenhaben? Wie wichtig ist so ein Preis für Sie?

Der Preis ist wichtig, er hat seine internationale Wirkung.Er verleiht einem ein positives Image und bestätigt dieKompetenz. Die Bauherren fühlen sich sicherer bei derWahl eines ihnen bekannten Architekten. Das ist aucheine Folge dieser Preise..

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nicht unbedingt immer gut, aber sie führt dazu, dassjemand die besten Studenten und jungen Absolventenaus aller Welt in seinem Fach bekommt, weil er z. B.ein exzellenter Tragwerksplaner ist. Die würde ich nichtbekommen, weil ich kein Tragwerksplaner bin. Ichbekomme aber die besten Architekturabsolventen.Die besten Versorgungstechniker, Baubiologen, Physikerbekommen andere Spezialisten. Das heißt, diese etwasflickenteppichartige Landschaft für diese Spezialisten inDeutschland hat den Nachteil, dass man sich organisie-ren muss. Die Organisation hat aber den großen Vorteil,dass sie eine ungeheure Motivation und Talentbeschaf-fungsmaschine ist. Nicht umsonst sind die Leute alleso daran interessiert, mit deutschen Ingenieuren, Archi-tekten und Architekturstudenten zusammenzuarbeiten.Das ist ein Phänomen. Das kommt durch gute Ausbil-dung, durch gute Strukturen.

Sind Sie der Auffassung, dass die deutscheAusbildung einer tiefgreifenden Revolution in Rich-tung interdisziplinären Arbeiten bedarf?Deutsche Architekturstudenten sollten ein besseresGefühl für die Probleme oder die Spezialkenntnisseder anderen Disziplin bekommen.

Was die Ausbildung anbelangt, mag das sein. Aber wasdas tatsächliche Leben anbelangt, sind wir die Extremi-sten des Interdisziplinären. Ich habe 1985 meinen erstengroßen Wettbewerb gewonnen und 1987 den Auftragfür die Oberpostdirektion in Köln erhalten. Diese Post hatuns damals mit einer Generalplanung beauftragt, siefanden es total exotisch und irgendwie interessant. Dasist jetzt 27 Jahre her. Seitdem machen wir Generalpla-nung. Nicht in all unseren Projekten, weil das nicht jederwill, aber in sicher 50 bis 60 Prozent unserer Projekte.Wir haben für Projekte wie Swarovski in Zürich, fürGoogle in Palo Alto, für Stuttgart 21 oder für die EIB inLuxemburg die Generalplanung übernommen. Das be-deutet, wir integrieren alle Ingenieurverträge in unserenVertrag. Das klingt jetzt erst einmal nur technisch, aberes ist ein juristisches Thema, da man alle Parteien wirt-schaftlich integrieren muss. Damit gewinne ich natürlicheine wirtschaftliche und vertragliche Zuständigkeit für sie.Ich muss dafür sorgen, dass deren Qualität tatsächlichdem entspricht, was wir versprochen haben. Das sindharte Facts. Da entsteht dann eine Form der Kollabora-tion, die sehr ernst ist. Ich könnte dem Bauherrn nichtsagen, es tut mir leid, der Tragwerksplaner hat sichverrechnet. Der würde mir entgegnen, Entschuldigung,das ist Ihr Problem. Uns ist es trotz des wirtschaftlichenDrucks immer gelungen, die besten Ingenieure zu be-schäftigen und hervorragend mit ihnen zusammenzuar-

beiten. Diese langfristigen Partnerschaften haben auchdazu geführt, dass unsere Kenntnisse über deren Bedin-gungen und Möglichkeiten sehr hoch sind. Wir trauenuns durchaus zu, mit ihnen auf Augenhöhe über Trag-werksplanung und über Ökologie zu diskutieren. So zuarbeiten, das ist die Zukunft, um Ihre Frage zu beantwor-ten. In Bezug auf die Ausbildung würde ich mir wün-schen, dass es zwischen den einzelnen Disziplinen, diefür das Bauen notwendig sind, sei es der Landschaftspla-ner, der Physiker, der Greenbuilding-Ingenieur oder derTragswerksplaner, überhaupt keine Grenze gibt. Alle Diszi-plinen müssten in dem gleichen Institut gelehrt werden.Einfach zusammen studieren. Punkt.

Was wäre für Sie als Architekt das größteKompliment?

Es freut mich, wenn meine Arbeit ehrlich wertgeschätztwird. Das beste Kompliment ist, wenn diejenigen, die dasGebäude oder die Stadt benutzen, unsere Architektur an-nehmen, wie wir es schon erlebt haben. In Düsseldorfgibt es eine Fakultät für Volks- und Betriebswirtschaft,das so genannte Oeconomicum. Wir haben es vor einigerZeit neu gebaut, seit anderthalb Jahren ist es fertigge-stellt. Es gibt dort eine große Terrasse vor dem See, diewir erfunden haben, sie war nicht Bestandteil des Pro-gramms. Wir konnten das aber durchsetzen. Bei schö-nem Wetter sitzen da hunderte von Studenten, freuensich des Lebens, lernen sich gegenseitig kennen undhalten den Ort quasi für ihren zentralen Studienort. Dasist ein Kompliment, weil Sie die Akzeptanz durch dieStudenten nicht erzwingen können. Es gab schon einmaleine Zeit, in der man solche Orte etwas großzügiger undselbstverständlicher geschaffen hat. Ob es ein Flussufer,wie hier in Düsseldorf, der Englische Garten in Münchenoder der Central Park in New York ist, es gibt viele kleineBeispiele dafür, wie tatsächlich fast uneigennützig ein Ortgeschaffen wurde, der nicht dem Geldverdienen dient,er ist eigentlich eine Gemeinschaftseinrichtung. Es istmeines Erachtens eine Aufgabe von Architekten, dass soein Projekt wie beispielsweise das Oeconomicum dafürzu sorgen hat, etwas an die Menschen zurückzugeben.Um das Projekt oder neben dem Projekt Plätze zu schaf-fen, wo sich Menschen aufhalten, austauschen und lebenkönnen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 121

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Mit der Architektur der letzten Jahrzehnte kann derMensch aber oftmals keine Verbindung aufbauen.

Ist der Grund für diese teils vorzufindende InvestmentArchitektur tatsächlich die Gier oder ist diese Architekturvielleicht auch das Ergebnis der Unfähigkeit bzw.Unwilligkeit der Architekten, die am Markt vorhandeneDynamik zu nutzen. Wir haben in München für einenamerikanischen Projektentwickler, für Gerald Hines, einHochhaus am Mittleren Ring gebaut. Hines ist ein stren-ger und scharfer Rechner. Er hat sich aber von uns Dingesagen lassen, denen er auch gefolgt ist. Wir haben ihmerklärt, dass der Ort für die Menschen, die dort arbeitenund leben, auch eine Aufenthaltsqualität haben muss.Also haben wir einen kleinen Park mit 150 großen Kiefernangelegt, er hat die Idee sofort verstanden und kapiert,dass es auch für ihn und alle, die dort arbeiten, viel bes-ser ist. Weiterhin konnten wir ihn zugunsten einer optima-len Ventilation in dem Hochhaus auch von motorgesteu-erten zu öffnenden Fenstern überzeugen. Ich habe dieErfahrung gemacht, dass man den Bauherren mancheDinge auch erklären muss. Noch niemals in meinemLeben habe ich einen Bauherrn getroffen, der gesagthätte, das ist mir doch alles egal, ich will bloß mehr Geldverdienen. Das gibt es nicht. Natürlich wollen sie Geldverdienen, aber sie wollen auch als ordentliche Men-schen da stehen.

Wie sollte ökologisches Bauen Ihrer Einstellungnach weiterentwickelt werden?

Man könnte in den letzten Jahren fast den Eindruckgewinnen, als ob das ökologische Bauen hauptsächlichdarin besteht, dass man eine lange Liste von technologi-schen Möglichkeiten erfüllt: Photovoltaik, Solarthermieusw. Alles notwendige und wichtige Technologien, abersie sind eben nicht hinreichend. Man muss den gesam-ten Lebenszyklus eines Gebäudes anschauen, man mussauch ganz andere Aspekte berücksichtigen, wie zumBeispiel die Dichte einer Stadt. Wie kann man die vorhan-dene Infrastruktur einer Stadt besser nutzen, wo kannman Verkehre verhindern, um damit Emissionen zu dros-seln. Das können Aspekte sein, die mit der Architekturnur sehr indirekt etwas zu tun haben, die aber viel grund-sätzlicher sind, als die Diskussion über irgendwelchekomplizierten Wärmerückgewinnungstechnologien.Ich denke, im Allgemeinen stehen eigentlich ziemlich alt-backen wirkende Tugenden im Vordergrund: Eine langeLebensdauer eines Gebäudes oder eine hohe Flexibilitäteines Gebäudes beispielsweise. Ich glaube, wir werden inder Lage sein, Gebäude zu bauen, die uns als Menschenwieder in eine Situation bringen, in der wir im Einklang

mit den Ressourcen dieses Planeten leben. Das hat es aufviel niedrigerem technologischem Niveau auch gegeben.Da waren wir keine 5 Prozent der heutigen Weltbevölke-rung, und wir haben dennoch ökologisch sehr nachhaltiggewirtschaftet. Sie können bei Eskimos und nordamerika-nischen Indianern wahrscheinlich bis heute noch beob-achten, dass natürliche Ressourcen bis ins Kleinste hineingenutzt werden. Und dass natürlich nie überfischt, nie zuviel gejagt und nie überforstwirtschaftet wird usw.Den richtigen Umgang haben wir verloren. Sie müssenden Tanker erst einmal zum Stoppen bringen und einenanderen Kurs einschlagen. Da gibt es viele Beteiligte,nicht nur Architekten. Die Architekten befinden sich aberschon an einer sehr entscheidenden Stelle: Wenn manbedenkt, dass 50 Prozent des Abfalls auf der Welt undcirca 50 Prozent des Energieverbrauchs in einem indu-strialisierten Land wie Deutschland durch das Bauen undBetreiben von Häusern zustande kommt, dann muss mansagen, unsere Verantwortung als Architekten kann mangar nicht hoch genug einschätzen.

Interessante Ansätze kommen auch von Architekten,die Wolkenkratzer als Niedrig-Null-Energiehäuserkonzipieren. Sind solche Ansätze zukunftsweisend?

Ich habe bei vielen Kollegen das Bedürfnis, dass man mireinmal etwas genauer und nachvollziehbarer erklärt, wassie unter „Green“ verstehen. Welches Zertifikat haben siedafür erhalten? Wie viel niedriger ist der Energiever-brauch tatsächlich? Wie viel nachhaltiger sind diese Kon-zepte in den nächsten 20 Jahren? Ich bin da ein wenigskeptisch. Es wird wahnsinnig viel Greenwashing imSinne von technologischem Greenwashing betrieben. Dawird viel erzählt. Des Weiteren wird auch sehr viel Green-washing im Sinne von Pflanzen auf dem Haus betrieben.Ich habe überhaupt nichts gegen Pflanzen auf dem Haus,ich mag sie sehr gerne. Aber ich möchte schon wissen,ob es ein echter Beitrag zum Fortschritt oder nur ganz gutangestrichen ist. Grundsätzlich geht es doch darum, denTypus des Hochhauses zu zivilisieren, ob das jetzt biokli-matisch oder wie auch immer heißt. Ein Hochhaus leidetimmer unter einer Art Geburtsfehler. Dieser Geburtsfehlerbetrifft immer die Höhe des Hauses, die man erst einmalüberwinden muss, er umfasst ein gesamtes Paket an zulösenden Problemen. Ein Hochhaus hat zunächst immerein Minus auf dem Konto. Die Frage ist, wie bekommtman das Minus etwas kleiner. Heute kann man technolo-gisch viel tun: Besserer Sonnenschutz und intelligentereBe- und Entlüftung beispielsweise. Letzten Endes wirdman den Nachteil, den ein Hochhaus mit sich bringt, abernur kleiner machen können, man wird ihn nicht gänzlichwegbekommen. Die Höhe bleibt nach wie vor. Also muss

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 122

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man ihn durch Vorteile ausgleichen. Das Hochhaus hateinen gigantischen Vorteil, es verbraucht sehr wenigLand, und es produziert eine sehr hohe Dichte. Man darfes allerdings nicht nur technologisch besser machen,man muss es auch zivilisieren. Es muss dafür gesorgtwerden, dass Menschen im gleichen Haus oder zumin-dest ganz in der Nähe dieses Hauses leben, arbeiten, ein-kaufen und Freizeit verbringen können. Man muss dafürSorge tragen, dass die vorhandene oder die zu entwik-kelnde Infrastruktur einer Stadt besser genutzt wird unddass Verkehre verhindert werden. 20 Prozent der Weltbe-völkerung wohnen in den Megacitys, von denen aber 80Prozent unserer Emissionen stammt, also 80 Prozent desgesamten CO2-Outputs stammt aus diesen Megacities.Da sieht man einmal, was wir so in der Hand haben.Es ist ein riesiges Rad, was da gedreht wird. Abstrakt ge-sprochen heißt das, Hochhäuser müssen vorbildlichstwerden. Man spricht immer von Telekommunikation oderMedizintechnik, sie sind alle Schlüsseltechnologien des21. und 22. Jahrhunderts. Eine Schlüsseltechnologie istaber auch das Bauen hoher, gemischt genutzter, intelli-genter und ökologisch verantwortbarer Häuser. Die kön-nen wir auch nur dann produzieren, wenn wir sie auchim eigenen Land planen und bauen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 123

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INGENHOVENARCHITECTSBüronameingenhoven architects

BüroinhaberChristoph Ingenhoven

Gründungsjahr1985 von Christoph Ingenhoven

Standorte des BürosDüsseldorf, Zürich, Sydney, Singapore,Santa Clara CA

Mitarbeiter80

ProfilArchitektur, Innenarchitektur, Produktdesign

Die wichtigsten GebäudeRWE Hochhaus, EssenLufthansa HQ, FrankfurtEuropäische Investitionsbank LuxemburgSwarovski HQ, ZürichHauptbahnhof Stuttgart1 Bligh, SydneyMarina One, Singapore

P R O F I L

1 Bligh, Sydney

Lichtauge im Schlossgarten, Stuttgart

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 124

Foto:DirkSchellnackj

Foto:DirkSchellnackj

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Marina One, Singapore

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 125

Foto:DirkSchellnackj

Page 125: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

J. MAYER H. ArchitectsJürgen Mayer H.

Jürgen Mayer H. (Jahrgang 1965) ist Architekt undKünstler und leitet das von ihm 1996 gegründeteArchitekturbüro J. MAYER H. in Berlin.Er studierte Architektur an der Universität Stuttgart,The Cooper Union New York und an der PrincetonUniversity. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen in-ternationalen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit demMies-van-der-Rohe-Preis-Emerging-Architect 2003,dem Winner Holcim-Award-Bronze 2005 für nach-haltige Architektur und dem 1. Preis des Audi UrbanFuture Award 2010. Er ist ebenfalls mit Projekten inSammlungen wie dem MoMA NY und dem SFMOMA vertreten. Seit 1996 unterrichtet er an ver-schiedenen Universitäten, u.a. an der Universität derKünste Berlin, am GSD der Harvard University, ander Architectural Association in London, der Colum-bia University in New York und an der UniversitätToronto, Kanada.

J. MAYER H. Architekten arbeiten an den Schnitt-stellen von Architektur, Kommunikationsdesign undNeuen Technologien. Der Einsatz interaktiver Medienund responsiver Materialien spielt bei der Produktionvon Raum eine zentrale Rolle. In kooperativen Teamswird multidisziplinäre Raumforschung zum Verhältnisvon Körper, Natur und Technologie erarbeitet undrealisiert.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 126

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Wir bezeichnen Architektur bei J. MAYER H.als „Activator“, das heißt, dass sie nicht passivist, entstanden aus der bloßen Analyse desOrtes und den Vorgaben des Bauherrn, sondernArchitektur soll auch den umgebenden

Raum/Stadtraum langfristig aktivieren, mit den Nutzern, denBetrachtern und dem städtischen Umfeld kommunizieren und soin einem permanenten Austausch stehen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 127

Foto:PaulGreen

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 128

GROHE: Sie arbeiten an den SchnittstellenArchitektur, Kommunikationsdesign und NeueTechnologien. Damit differenzieren Sie sich klarvon vielen Ihrer Kollegen. Ist Ihnen der Architektur-begriff bei uns generell zu eng gefasst?

Jürgen Mayer H.: Die Veränderungen des Disziplin-begriffs des Architektenberufs sind ja schon seit einigenJahren in vollem Gange, und das ist mittlerweile nichtmehr länderspezifisch. Vorbilder und Referenzen bei unssind Frederik Kiesler Mitte des 20. Jhd. oder DillerScofidioin den 1990ern. Die Herausforderung liegt in der Formu-lierung eines Denk- und Gestaltungsansatzes, der sich injedem Medium und Maßstab erproben lässt. Die Disziplinwird erst in dem Moment relevant, in dem die Arbeitengezeigt, veröffentlicht oder realisiert werden. Und dannbestimmt der Kontext die Wahrnehmung. UnsereProjekte sind keine Lösungen im direkten Sinn, sie sindeher gebaute Fragen und Diskussionsgrundlagen.

J Ü RG EN MAY E R H E RMANN

ARCHITEKTUR ISTIMMER EIN KOMMENTARZU AKTUELLEN TENDEN-ZEN IN UNSERER GESELL-SCHAFT UND EINE ARTPOLITISCHES STATEMENT.

Foto:OliverHelbig

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 129

Ihre Entwürfe fallen auf und sind für ihreungewöhnlichen Formen bekannt. Verfolgen Sie dieIdee, dass Ihre Gebäude anders aussehen, weil sieanders funktionieren?

Unseren Arbeiten liegen bestimmte Fragen zu Raum,Technologie und ihre Beziehung zur Natur und zummenschlichen Körper zugrunde, egal ob bei kleinenKunstprojekten, Designprodukten, Gebäuden oder urba-nen Stadtentwicklungen. Die Kontexte, in denen dieseArbeiten diskutiert werden, sind sehr unterschiedlich,und das wiederum hilft uns, unsere Arbeiten offener zureflektieren und weiterzuentwickeln. Gerade in der Aus-einandersetzung mit den jeweiligen Disziplinen erweiternwir unseren Blick und unsere Forschungsbereiche. Fürden städtischen Raum bedeutet das auch die Einbezie-hung neuer Medien, wie letztes Jahr in Spanien mit der„Protestbewegung der Studenten“ unter anderem auchin Sevilla innerhalb unseres Projektes „Metropol Parasol“zu sehen war. Urbaner Raum heute ist nicht mehr einstatischer Raum, sondern aktiviert.

Sie sind mit Ihren Entwürfen im MOMA vertreten,Sie haben bei AEDES ausgestellt und sind mit IhrenArchitekturskulpturen in Galerien und Museen welt-weit vertreten. Verstehen Sie sich auch als Künstler?

Die Grenzen verlaufen fliesend. Bei der Architektur begin-nen wir meistens mit der Atmosphäre des Raums undder Organisation von Funktionen und dem Bild der Archi-tektur. Erst viel später, manchmal noch während desgenaueren Planungsprozesses, werden die Materialienfür die Konstruktion und Oberflächen festgelegt. Für dieKunstobjekte steht oft ein konkretes Material als Aus-gangspunkt der Entwicklung neuer Potentiale im Design.Während bei der Architektur die meiste Planung im Bürostattfindet, ist bei den Design- und Kunstprojekten derparallele Arbeits- und Forschungsansatz in enger Zusam-menarbeit mit den Entwicklungsabteilungen der Firmenentscheidend. Die Bandbreite unserer Arbeiten reichtvom kleinen Objekt, Kunstinstallationen bis zu Gebäudenund Städtebau. Gerade die zeitgleiche Bearbeitung zeigtparallele Ansätze, die jedoch jeweils individuell projektbe-zogen weiterentwickelt werden und von der Erfahrunggegenseitig profitieren.

Das Leitbild des Architekten, in seinen Projektenals „Dirigent“ aufzutreten, gerät zunehmend in denHintergrund. Welche Erfahrungen können Sie unsdazu übermitteln?

Unsere Architektur ist nur mit großem Engagement allerBeteiligten zu realisieren, vom Bauherrn über Ingenieure,Bauämter bis zu allen beteiligten Baufirmen. Aus diesemTeamarbeitsprozeß heraus entwickeln sich dann mit ganzeigener Dynamik neue Konzepte und überraschendeErgebnisse, diese Informationen laufen alle weiterhinbei dem Architekten zusammen.Ausgehend von einer gemeinsamen Zielsetzung der Qua-lität des Gebäudes, die eine integrative Gestaltung vomBaukörper über Innenraumgestaltung und Landschafts-planung mit einbezieht, entwickeln wir aus den gefunde-nen speziellen Merkmalen des Ortes und den notwen-digen Bauregeln den Entwurf, der konventionelle Erwar-tungen an den Bautypus hinterläuft und innovativeKonzepte als Beitrag auch zum urbanen Raum anbietet.

Sie gelten als Mensch der Zahlen und Daten.Was sind die wesentlichen InspirationsquellenIhrer Entwürfe?

Ich besitze eine große Sammlung verschiedener graphi-scher Muster. Diese Datensicherungsmuster findet manim Alltäglichen, in den Innenseiten von Briefumschlägenzum Beispiel.Die Umsetzung dieser graphischen Datensicherungsmu-ster in räumliche Strukturen beschäftigt uns seit einigerZeit, sie tauchen bei uns in einigen Projekten auf, undsind deshalb so interessant, weil es immer wieder einanderer Kontext ist. Dadurch, dass wir mehrere Projektegleichzeitig bearbeiten passieren jetzt spannende Quer-verweise. Das Transformieren dieser zweidimensionalenMuster passiert hierbei nicht nach einem Schema,sondern wird immer wieder neu erarbeitet und weiter-entwickelt.

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Louisa Hutton äußerte kürzlich in einem Interview:„Sowohl in der Architektur als auch im Städtebaufehlt es am Gestaltungswillen. An der Freude,technische Probleme auf eine künstlerisch inspirierteWeise zu lösen.“ Könnte diese Äußerung auch vonIhnen stammen?

Ich denke, dass Architektur immer ein Kommentar zuaktuellen Tendenzen in unserer Gesellschaft und eine Artpolitisches Statement ist. Und zwar in dem Sinne, wie esim Prinzip auf gesellschaftliche Zusammenhänge ein-wirkt, auch Räume schafft für Benutzung, für andereFormen, vielleicht auch Raum- oder Programmdefinitio-nen. Das ist natürlich immer eine Art Herausforderung,Konventionen zu hinterfragen. Insofern ist Architekturpolitisch und reagiert auch auf soziale und politischeVeränderungen.Ich habe aber ein Problem damit, dass es immer wiederheißt „wenn etwas politisch ist, spielt die Gestaltungkeine Rolle“. Ich denke, dass man ganz im Gegenteildurchaus architektonische Kritik üben kann, die auch eineästhetische Verführungskraft hat. Es herrscht ja auch eineArt ästhetischer Konvention, welche sich die „politischeArchitektur“ angeeignet hat, während Architektur, diesich stärker mit Raumexperimenten im Bereich derÄsthetik-Forschung bewegt, oft als in gewisser Weiseunschuldig oder als naiv bezeichnet wird.

Wieweit kann bzw. sollte Architektur unser Leben,unser Denken und unser Handeln beeinflussen?

Es gibt schon spezielle Themen, die in der Architekturfür mich wichtig sind. Ich hatte meine Architekturausbil-dung in einer Zeit, in der Fragen der Sexualität bedeutendwaren; wo man die Beziehung des Körpers zum Raumoder auch die Positionierung des Körpers in der Gesell-schaft und soziale Repräsentation, also wie man sichselbst darstellt, diskutiert wurden. Und ich glaube, dassmeine Arbeiten eher aus diesem Kontext heraus zu ver-stehen sind. Zum Beispiel die Heat Seats: Experimentemit temperaturempfindlichen Farben, wo es darum ging,eigentlich unsichtbare Teile des Körpers sichtbar zu ma-chen. Das wirft auch die Frage nach Diskretion bzw. In-diskretion auf, bei der es um eine Art von Konstruktionvon Identität innerhalb einer Gruppe, oder Gemeinschaftgeht.

Letztes Jahr eröffnete in Frankfurt a. M. eineAusstellung über die besten deutschen Bauten 2012,sie umfasste u. a. auch die von Ihnen entwickeltenpilzförmigen Schattenspender, die Sie mitten inSevilla aufstellen konnten. Im Architekturjahrbuchzur Ausstellung gibt es dazu einen Artikel über„Konservative Tendenzen in der Gegenwartsarchitek-tur“ – gemeint ist ein Baustil. Allerdings erobertderzeitig scheinbar eine neue Architektenbewegungunsere Städte. Sie baut nicht auf die Ewigkeit, son-dern recycelt Häuser aus modernen Ruinen. Hat dieAusstellung in 2012 diesen internationalen Trendverpasst?

Temporalität spielt bei Architektur immer eine zentraleRolle, sowohl in der Planungs- wie auch Ausführungs-phase wie auch in der Dauerhaftigkeit von Architektur.Zudem interessiert mich im Besonderen, wie Oberflächenvon Gebäuden oder Objekten ihrerseits wiederum Zeitund Nutzung ablesbar machen, speichern und an ihrUmfeld reflektieren.Umnutzungstendenzen und Wiederverwertung von Bau-stoffen sind in europäischen Städten seit Jahren in derUntersuchung. In Zeiten von schrumpfenden Städtenvielerorts und Verlagerung von Produktion ins außereuro-päische Ausland werden innerstädtische Flächen undGebäude frei, oft ehemalige Produktionsorte, die neu mitden Bürgern und der Stadt verhandelt werden müssen.Auch Wohnen und Arbeiten unterliegt einem ständigenWandel, so daß auch die Anforderungen hier an dieUmgebung neu definiert werden.

Sieger der besten deutschen Bauten in 2012 warMax Dudler mit dem Umbau des Hambacher Schlos-ses und dem Restaurantanbau. Dicke Mauern, vielBuntsandstein, ein Bau für die Ewigkeit. Haben wirtatsächlich eine Parallelbewegung in der deutschenArchitekturlandschaft, einerseits der Trend zurEwigkeit, andererseits die Abkehr davon in RichtungWieder- und Umnutzung vorhandener Bauten, dievor allen Dingen freier, einfacher und günstiger seinsollen?

Ich denke, es geht hier um Fragen der „Nachhaltigkeit“,die sich ganz unterschiedlich präsentieren können.Nachhaltig kann sowohl ein dauerhaftes Gebäude ausStein sein, wie auch ein temporäres, das gut recyclebarist oder nur aus vorgefertigten Elementen besteht, wiez. B. unsere temporäre Kunsthalle in München, die„Schaustelle“, gefertigt aus Gerüsten und Baucontainern.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 130

J Ü RG EN MAY E R H E RMANN

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Typisch für die Bauten dieser neuen Architektur-bewegung ist der Gebrauch von Sichtbeton, womitauch der Brutalismus eine Renaissance erfährt.Wie stehen Sie zu dieser als Neobrutalismus bzw.pragmatischen Idealismus zu bezeichnenden Bewe-gung, die weniger einen Stil, sondern eher eineArt Haltung, einen solidarischen Anarchismusdarstellt?

Die Architekturhaltung der 70er Jahre war geprägt voneinem unglaublich positiven Zukunftsbild. FliegendeAutos, Städte in den Wolken, immer fließender Verkehr,keinerlei Rohstoffprobleme. Aus dieser Haltung heraushat sich eine Architektursprache entwickelt, die die histo-rische Stadt als veraltet ansah, diese Brutalismusströ-mung prägt bis heute eindrucksvoll viele Städte. Bis voreinigen Jahren hat diese Architektur große Ablehnunghervorgerufen, neuerdings wird sie allerdings oft wiederpositiv bewertet.

Sie haben in 2010 den Audi Urban Future Awardgewonnen. 2012 wurde das amerikanische Architek-turbüro Höweler + Yoon Architecture für ihr ganz-heitlich gesteuertes Verkehrssystem als Siegerprämiert. Für wie realistisch erachten Sie diese Artvon Konzept?

Der Audi Urban Future Award beschäftigt sich mit Visio-nen in der nahen Zukunft. Die diesjährigen PreisträgerHöweler + Yoon Architecture haben sich wiederum mitder Mobilität in Ballungszentren der Zukunft beschäftigt,am Beispiel von „Boshwosh“ dem verdichteten Ballungs-raum von Boston und Washington. Sie haben hierbeieinen sehr interessanten und plausiblen Ansatz entwik-kelt, wie dieser städtische Raum effektiver und sinnvollergenutzt werden kann. Aus der Analyse der Mobilitäthaben sie Architekturen abgeleitet und auch über alterna-tive Verkehrskonzepte nachgedacht. Alle diese Überle-gungen sind ein wichtiger Beitrag, um städtischeZukunfstszenarien für Ballungszentren zu entwickeln.

In den vergangenen Jahrzehnten entstanden inunterschiedlichsten Ländern – ungeachtet lokalerAlltagskulturen und landschaftlicher Gegebenheiten –die gleichen architektonischen Ungeheuer: gesichts-lose Vorstadtsiedlungen und betongraue Wohn-türme. Wie beurteilen Sie als herausstechendkreativer Architekt diese schleichende Anonymi-sierung unserer Umwelt?

Im außereuropäischen Ausland gibt es teilweise einenschwer zu bändigenden ungeheuren Städtewachstum,z. B. in Asien, Südamerika oder auch Indien. Hier mußin kürzester Zeit viel Wohnraum mit geeigneten Mittelngeschaffen werden. Leider wird dies nicht immer inentsprechender architektonischer Qualität durchgeführt.In letzter Zeit kann ich aber Tendenzen erkennen, dassauch hier ein Umdenken erfolgt.

Was macht für Sie eine gute, eine schöne Stadt aus?Vor welchen Bausünden sollte sich eine Stadt hüten?

Ein Umdenken der urbanen Mobilität ist dringend erfor-derlich. Nach unserer Erkenntnis, beruhend auf den tech-nischen und gesellschafltichen Entwicklungen der letztenJahre, wird der Individualverkehr in den Ballungszentrenimmer weiter auf Care-Sharing Systeme, Mobilitäts-anbieter und den öffentlichen Nahverkehr ausweichen. InGroßstädten werden zudem Fahrradfahrer wieder mehrgefördert, das heisst, neue Radwege werden angelegt,Fahrspuren hierfür verkleinert. Ein Ausbau des Nahver-kehrssystems oder der Bereiche für alternative Fortbewe-gungsmittel wie Fahrräder ist daher zukunfstsweisend,mehr Autospuren innerstädtisch nicht.

In Bezug auf den Wiederaufbau des BerlinerStadtschlosses spalten sich in der Architektenschaftdie Meinungen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Gerade für den Ort des Stadtschlosses hat es eine Reihebemerkenswerter alternativer architektonischer Ansätzedurch Architekten gegeben. Ich denke hier wurde einegroße Chance vertan, städtischen Raum neu zu denken.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 131

Foto:OliverHelbig

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Seit dem Jahr 1900 hat die Menschheit sich ver-vierfacht. Haben das die Politiker Ihrer Meinung nachüberhaupt schon begriffen? Auch die Immobilien-branche reagiert zeitverzögert auf diese Entwicklung.Verschärft wird die Sorge durch die Klimaerwärmungund den steigenden Meeresspiegel. Was ist IhrerMeinung nach zu befürchten?Welche Architektur braucht der Mensch, um dieseFolgen der globalen Erwärmung zu überleben?Gibt es Ihnen bekannte architektonische Konzepte,die maßgeblich zu einer Lösung unserer globalenProbleme beitragen?

Die Diskussion um Klimawandel, begrenzte Ressourcenund Fragen globaler Verteilungsgerechtigkeit rückenimmer stärker ins öffentliche Bewusstsein. Wetterextrememit zum Teil katastrophalen Auswirkungen schärfen denBlick für unsere Zukunft und führen zu einem Nachhaltig-keitsdiskurs, der fast jeden Aspekt des Alltags dominiert.So hat es das Thema „Nachhaltigkeit“ als Schlagwort andie Spitze der Marketing-Rhetorik geschafft und fungiertals wirtschaftstreibende Kraft und als Motor umfangrei-cher technischer Innovationen. Dabei werden die Bewer-tungsgrundlagen für nachhaltiges Handeln fortlaufendneu definiert. Was heute noch im Sinne der Nachhaltig-keit korrektes Verhalten proklamiert, kann morgen als dasGegenteil entlarvt werden. Es gilt in diesem Fall, denhandelnden Menschen nicht durch eine unüberschau-bare Fülle an Informationen und ständig wechselndenHandlungsanweisungen zu überfordern und dem Themagegenüber gleichgültig werden zu lassen. Ein gewissesMaß an Unsicherheit in diesem Bereich ist jedoch pro-duktiv, sensibilisiert es einen wachen Bürger mitzuden-ken, kontinuierlich zu hinterfragen und die Optionenseines Handelns kritisch abzuwägen.

Einige Ihrer niederländischen Kollegen konzentrierensich auf Gebäude auf dem Wasser. Nach dem Motto:„Der Meeresspiegel steigt – wir steigen mit!“Sehen Sie darin einen vernünftigen Lösungsansatz?

Schwimmende Städte sind seit jeher immer wieder einAnsatz von Architekturvisionen. Ich denke, dass sie imentsprechenden Umfeld sicherlich sinnvoll sein können.Inwieweit sie wirklich lebensfähig und zukunftsträchtigsein können, wird sich erst beweisen müssen.

Am 13. April 2013 eröffnete die von Ihnen geplante„Schaustelle” in München, ein temporärer Ersatzbaufür die Pinakothek der Moderne. Bereitet es Ihnennicht Schmerzen bei der Vorstellung, dass dieserKomplex in einigen Monaten wieder abgerissenwird? Hat man sich um eine Zweitverwendbarkeitbemüht? Immerhin kostet der „Übergang“ mehrals 750.000 Euro.

Die Schaustelle wurde von vornherein als temporärerBau entwickelt. Die meisten Bauteile sind geliehen, wieGerüste und Container, und gehen so problemlos wiederzurück und werden weiter genutzt.Im Erdgeschoss der Schaustelle liegt ein großer, freibespielbarer Ausstellungsbereich für die unterschiedlichenPräsentationen der vier Sammlungen. Das offene Raum-gerüst im Außenbereich ist als Projektions- und damit alsweitere Ausstellungsfläche vorgesehen – ein räumlichesGitter, durch das man durchgehen kann und das dabeiimmer wieder neue Einblicke auf die Stadt mit den Inhal-ten der Sammlungen ermöglicht. Begleit- und Abendver-anstaltungen, multimediale Projektionen im Außenbereichund eine Aussichtsplattform zur Innenstadt eröffnen neueBlickwinkel und Perspektiven in und auf das Kunstareal.Die Stiftung Pinakothek der Moderne und die vierMuseen in der Pinakothek der Moderne setzen mit dertemporären Plattform auch ein politisches Signal, um dieRealisierung des 2. Bauabschnitts voranzutreiben.„Die Schaustelle ist operative Plattform und Thing Tankin einem“, so Stiftungsratsvorsitzender Dr. MarkusMichalke.

Sie lehren an verschiedenen Universitäten im In-und Ausland. Was ist es, was jeder Architekt in derAusbildung durch Sie mit auf den Weg bekommt?

Wichtig ist es immer, den Geist offen für neue Eindrückewach zu halten, Bestehendes und Vorgefundenes zuhinterfragen und Mut zu haben, eigenen Wegen undVisionen nachzugehen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 132

J Ü RG EN MAY E R H E RMANN

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Wenn Sie die Möglichkeit hätten, in Ihre Traumstadtzu ziehen, welche Stadt wäre das? Wie sieht dieoptimale Stadt in etwa 40 Jahren aus? Was vermutenbzw. erwarten Sie?

Pokeville natürlich! Pokeville ist unsere exemplarisch ent-wickelte Stadtvision für den Audi urban Future Award2010, den wir gewannen.Die Vision geht davon aus, dass sich bereits im Jahre2030 ein bedeutender Wandel in der individuellenMobilität in Ballungszentren vollzogen hat. Die entwik-kelte Modellstadt der Zukunft, stellvertretend Pokevillegenannt, wird anhand von Bildern und kurzen Textenexemplarisch als die ultimative, digital durchflutete Stadtvorgestellt. Dieser Entwicklung vorausgegangen sind er-hebliche gesellschaftliche und technologische um dieJahrtausendwende beginnende Umbrüche mit dem Auf-kommen der digitalen Medien. Wir gehen davon aus,dass große Fortschritte in den digitalen Technologiendas Wesen des Stadtverkehrs grundsätzlich verändernwerden. So ist denkbar, dass die heute bekannte Eintei-lung in ruhenden und fließenden Verkehr zugunsteneines immer konstant fließenden Verkehrs aufgegebenwerden kann. Daraus folgt, dass Parkplatzflächen verteiltim Stadtraum nicht länger erforderlich sind und dieAutos mit entsprechenden Sendern zum Abruf durch denFahrgast ausgestattet werden. Die Autos selber sind soimmer in Bewegung, konstant fließend im Stadtzentrumund in der näheren Umgebung. Der Vorteil einer elektro-nisch gesteuerten Verkehrsregelung ist, dass Stauungenvermieden und auch die Anzahl der Fahrbahnen deutlichreduziert werden kann. Der so wieder gewonnene Stadt-raum längs des Verkehrsstroms kann dadurch an dieStadt und deren Bürger zur Nutzung zurückgegebenwerden, wodurch die Stadt erstmals nicht nur nachaußen, sondern auch nach innen wachsen wird; die Stadt2030 verdichtet sich gewissermaßen innerhalb desbestehenden Gewebes nach. Dieser neu verfügbare freiwerdende urbane Raum wird nun genutzt, um einenelastischen Raum zu entwickeln, der die Grenzen zwi-schen innen und außen, öffentlich und privat, kommer-ziell und gemeinnützig neu verhandelbar macht. DasAuto selbst würde sich anderen heute bekannten techni-schen „Gadgets“ wie z. B. Smart-Phones in Optik undFunktion angleichen. Die Autoindustrie der Zukunft wäredadurch eng mit der Branche der Telekommunikationverknüpft und würde ein gemeinsames Geschäftsmodellfür mobile Netzwerkanbieter entwickeln. Die im Jahre2030 in Pokeville abrufbaren digitalen Technologien

bieten den Autofahrern neue Möglichkeiten der Interak-tion mit ihrem Umfeld. Vorlieben des Nutzers und anderemaßgeschneiderte virtuelle Informationen werden ab-wechselnd auf die Scheibe als Screen projektiert. DieNutzer der Autos der Zukunft kommunizieren gleichfallsmit ihrem Umfeld während sie sich in der Stadt bewegen.Straßenräume werden so zu einem Ort des allgemeinenInformationsaustausches von Passanten, Autoinsassenund Stadtraum.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 133

Foto:OliverHelbig

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BüronameJ. MAYER H. Architects

BüroinhaberJuergen Mayer H.

Gründungsjahr1996 von Juergen Mayer H.

Standort des BürosBerlin

Mitarbeiter20

ProfilJ. MAYER H. Architects, von Jürgen Mayer H. 1996in Berlin gegründet, arbeiten an den Schnittstellen vonArchitektur, Kommunikationsdesign und Neuen Tech-no-logien. Dabei spielt der Einsatz interaktiver Medienund responsiver Materialien eine zentrale Rolle bei derProduktion von Raum. Aktuelle Projekte sind die VillaDupli.Casa nahe Ludwigsburg, Metropol Parasol – dieNeugestaltung der Plaza de la Encarnacion in Sevilla,und verschiedenen öffentliche und infrastrukturelleBauten in Georgien, wie zum Beispiel der Flughafen inMestia, der Grenzübergang in Sarpi und die Raststättenentlang der neuen Autobahn nahe Gori. In kooperativenTeams wird, von Installationen bis zu städtebaulichenEntwürfen und internationalen Wettbewerben, multi-disziplinäre Raumforschung zum Verhältnis von Körper,Natur und Technologie erarbeitet und realisiert.

Die wichtigsten GebäudeQuartier M, Städtebaulicher Block, Sommer 2014-2018,DüsseldorfLazika Seesteg Wahrzeichen, 2012, Lazika, GeorgienMETROPOL PARASOL, Neugestaltung der Plaza de laEncarnacion, 2004 -2011, Sevilla, SpanienSTADTHAUS SCHARNHAUSER PARK,begr. Wettb., 1998, 1. Preis, Realisierung 2001

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 134

Sarpi Border Checkpoint, Sarpi, Georgia 2011

J. MAYER H. ARCHITECTS

Foto:JeskoM.Johnsson-Zahn,BekaPkhakadze

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Rest Stops, Gori & Lochini, Georgia 2011

JOH3, Berlin 2012

OLS HOUSE, nahe Stuttgart 2011

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 135

Foto:LudgerPaffrath

Foto:JeskoM.Johnsson-Zahn

Foto:DavidFranck

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kadawittfeldarchitekturGerhard Wittfeld

Gerhard Wittfeld (Jahrgang 1968) wurde in Moersgeboren. Von 1989 bis 1995 besuchte er die Rhei-nisch-Westfälische Technische Hochschule in Aachen(RWTH). Im Jahr 1995 erhielt er dort sein Diplom inArchitektur sowie die Auszeichnungen „SpringorumDenkmünze“ und „Hünnebeck-Thyssen-Stiftung“für den Entwurf des Theaters Rostock. Von 1997bis 2004 hatte er einen Lehrauftrag an der RWTHAachen für Architektur und Bautypologie. 1999wurde er Partner im Büro Kada + Wittfeld und grün-dete kadawittfeldarchitektur. Seit 2000 ist er Mitglieddes Bund Deutscher Architekten (BDA) und im er-weiterten Vorstand. Von 2001 bis 2006 war GerhardWittfeld Wettbewerbsberater der ArchitektenkammerNRW. Von 2004 bis 2007 wurde ihm die Vertretungs-professur an der Architekturfakultät der FH Bochum(Lehrstuhl für Gebäudelehre) übertragen. Im Jahr2005 wurde er Mitglied des AKJAA (Arbeitskreisjunger Architekten/-innen). Seit 2006 ist er Architek-tenbeirat der Stadt Aachen sowie Gestaltungsbeiratder Stadt Gummersbach. 2010 wurde er Gründungs-mitglied von „aachen fenster – Raum für Bauen undKultur“.

Zu den wichtigsten Projekten von kadawittfeldarchi-tektur zählen das adidas Laces, Herzogenaurach,die Nürnberg Messe, Nürnberg, die PATRIZIA Head-quarters, Augsburg, das Mercedes Pappas Gebäude,Salzburg, sowie der Salzburger Hauptbahnhof.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 136

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Architektur muss heutzutage erst einmalbegeistern, und zwar nicht nur diejenigen, diedie Architektur beauftragt haben und nichtnur die Städte, die sie in ein planungspolitischesProgramm einbinden, sondern auch die Bürger,

die sich um diese Architektur bewegen. Architektur ist für alle da.Ich glaube, das haben wir aus dem Fokus verloren. Aus dieserNotwendigkeit der Begeisterungsfähigkeit, die Architektur sehrwohl leisten kann, entsteht eine Anforderung an Kommunikations-fähigkeit von Architektur. Die Leute haben ein Anrecht auf Infor-mation und auf die Kommunikation von Architektur im Vorfeld.Diese Kommunikation ist meiner Meinung nach eine sehr wichtigeAufgabe, die wir zu leisten haben. Ich bin sicher, dass darübereine Akzeptanz und im besten Fall auch eine Begeisterung fürArchitektur entstehen kann.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 137

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 138

GROHE: Welchen Stellenwert hat der Architektin unserer Gesellschaft von heute?

Gerhard Wittfeld: Die Architektur befindet sich derzeitigin einer gewissen Befangenheit. Vor zehn Jahren sagteman über einen Architekten, dass er unseren Lebens-raum prägt, heute sind die Architekten diejenigen, dieunsere Umwelt verschandeln. Das ist eigentlich einWahnsinn, denn Architekten kümmern sich heute wienoch nie zuvor um Ökologie und um Nachhaltigkeit.Das Bild eines Architekten in unserer Gesellschaft hateine Tendenz zum Negativen. In den Niederlanden bei-spielsweise gibt es eine viel höhere Planungskompetenz,der Architekt gilt als Experte. Da gibt es den Reichsbau-meister und Gremien, die Architektur begutachten unddem folgt die Politik. In Deutschland ist jeder der Auffas-sung, dass er in Bezug auf Architektur seine persönlicheMeinung quasi zur Allgemeingültigkeit erklären kann.Ich glaube, dass Architektur im Vorfeld kommuniziertwerden muss. Architektur ist für alle da und die Informa-tion aller Beteiligten ist eine sehr wichtige Aufgabe.Damit meine ich nicht nur den Auftaggeber und dieStadt, sondern auch die Bürger. Wenn sie informiert sindund sich qualifiziert äußern können, dann hat das aucheinen Mehrwert und wird auf lange Sicht etwas Positivesin sich tragen.

G E RHARD W I T T F E L D

MAN HAT ALSARCHITEKT EINEUNGLAUBLICHEGESELLSCHAFTLICHEVERANTWORTUNG.ARCHITEKTUR MUSSBEGEISTERN, DENNSIE IST FÜR ALLE DA!

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 139

In der Schweiz wird der Bürger sehr früh inden Projektstatus einbezogen, Architektur hat dortanscheinend einen anderen Stellenwert.

Die Schweiz hat einen Vorsprung, sie hat viel längereErfahrungen mit solchen Beteiligungsverfahren. In derSchweiz wird die Bevölkerung erst einmal gefragt, obsie ein Projekt befürwortet oder nicht. Wenn dann einJA kommt, dann geht es nur noch darum, wie es ge-macht wird. In Deutschland gibt es permanent eineVermischung. Auch in Bezug auf Stuttgart 21 ist manin kein Stadium gekommen, in dem man gesagt hat, esist eine Tatsache, dass das Projekt kommt, jetzt unter-halten wir uns nur noch über die Ausgestaltung. DieseZweistufigkeit fehlt.

Welche Bedeutung hat Innovation in Ihrem Büro?

Innovation ist für mich immer der Versuch, etwas besserzu machen und zwar nicht nur in technischer Hinsicht.Wir versuchen Innovation so zu leben, dass wir andereRäume und andere emotionale Situationen für die Leuteentwickeln. Wir spezialisieren uns auch ganz bewusstnicht auf eine Bauaufgabe bzw. Bautypologie. Die cross-over-Mischung, diese Hybridnutzung von Gebäuden istein sehr interessantes Thema für uns.

Seit 18 Jahren sind Sie als Architekt tätig.Hat sich Ihre Architekturauffassung im Laufe derZeit geändert?

Im grundsätzlichen Verständnis zwischen Architekturund Landschaft hat sich meine Architekturauffassungnicht geändert. Was mich allerdings beeinflusst hat, daswar mein zweijähriger Aufenthalt in Graz und die Aus-einandersetzung mit der Grazer Schule. Dort werden dieBauwerke in einzelne Bauteile zerlegt und darüber findetdie Entgrenzung statt. Bei uns gibt es eher immerFlächenbauwerke, zum Beispiel die adidas-Zentrale oderdie Messe Nürnberg, also großformatigere Projekte. Wirversuchen eigentlich, mit einem strukturellen Elementzu arbeiten.

Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, der wirdsehr schnell verwitwet. Wie sehen Sie das?

Der Zeitgeist hat meiner Meinung nach seine Berechti-gung und er ist wichtig, weil er auch ein Zeitdokumentist. Man muss zwar nicht jedem Rock hinterher laufen,also sich nicht jedem Trend anschließen, aber trotzdemhalte ich den Zeitgeist für wichtig. Viel gefährlicher ist,sich retrospektiv zu bewegen.

Zum Beispiel?

Eine neoklassizistische Fassadenarchitektur, beispiels-weise das Berliner Stadtschloss. Das ist für michschwach. Wir sprechen hier vom Humboldt-Forum undman sollte bedenken, wer Alexander von Humboldt war,wofür er gestanden hat. Alle Dinge, bei denen sich Inhaltund Verpackung extrem voneinander lösen, sind proble-matisch. Das ist dort einfach der Fall, denn hinter einerzitathaften Architektur soll sich ein hochtechnischesGebäude etablieren. Das ist auch ein gesellschaftlichesStatement und wäre wahrscheinlich in Europa nur inDeutschland so zu bauen. Das finde ich viel problemati-scher, weil man damit auch das fehlende Selbstbewusst-sein dokumentiert. Man kann das natürlich immer unterder Verpackung des Stadtraums, der traditionell fortge-schrieben wird, sehen. Nur die Dinge, die zitiert werden,waren damals ultramodern. Das ist für mich der Wider-sinn. Das hat auch eine andere Facette als zum Beispieldie Kirche in Dresden, die viel eher ihre Berechtigung hat,weil sie einen ganz starken emotionalen Wert hat.

Was sind Ihrer Meinung nach die unterschied-lichen Anforderungen an die Architektur des 20./21.Jahrhunderts?

Das Eine ist mit Sicherheit die Endlichkeit von Ressour-cen und die Reduktion von Emissionen. Das ist meinerMeinung nach ein riesiges Thema, dem sich viel zu weniggewidmet wird; man sollte es nicht nur in Form einerBronze-, Silber- oder Gold-Plakette dokumentieren. Dasandere ist die Urbanität. Mehr als die Hälfte der Weltbe-völkerung lebt in den Städten – Tendenz steigend. Dassind alleine zwei Faktoren, die astronomische Auswirkun-gen haben werden. Warum wollen die Leute alle in dieStadt? Heutzutage kann man theoretisch von Zuhausearbeiten, Zuhause leben, sich alles schicken lassen, undüber das Internet ist man bestens informiert. Aber trotz-dem wollen die Leute kompakt wohnen, wollen sichsehen. Ich glaube, das ist eine riesige Chance. Es ist mir

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zum ersten Mal bei der Fußballweltmeisterschaft inDeutschland bewusst geworden. Das war die größteCharme-Offensive einer Nation nach außen. Ich bin vielim Ausland unterwegs und dort waren sich alle einig,dass sich das Bild der Deutschen so nachhaltig positivgeändert hat. Da gab es diese Public Viewings, was einetolle Erfindung ist, bei denen alle gemeinsam teilhaben.Da kann Stadt und Architektur Unglaubliches leisten. Dassind Sachen, die für das 21. Jahrhundert relevant sind.Man hat als Architekt eine unglaubliche Verantwortung,die Gesellschaft zu prägen und zu entwickeln. Das hörtsich ein bisschen großspurig an, aber in Summe ist diesesoziale Verantwortung von Architektur sehr hoch. Wirversuchen, unseren Bauherrn immer wieder zu erklären,dass wir nicht sein Dienstleister sind, sondern versuchen,die bestmögliche Lösung für ihn und für alle anderen imInteressensausgleich zu finden. Die Moderatoren-Rolledes Architekten wird oft unterschätzt. Der Architekt,wenn er ein guter ist, ist nicht der vom Bauherrn alleingeprägte Architekt.

Welche Bedeutung hat Tradition für Sie?

Tradition ist ein fürchterliches Wort, obwohl sich dahinteretwas Tolles verbirgt. Tradition ist das Fundament, aufdem wir uns bewegen und das wir weiterschreiben. Inso-fern haben wir eher ein inhaltliches als ein formales Ver-ständnis von Tradition. Tradition ist eine Art Wertekanon,den wir auch für Gebäude nutzen.

Worüber reden wir heute Ihrer Meinung nachin der Architektur zu wenig?

Mit Sicherheit darüber, wie die Architektur in 10 Jahrenaussieht oder was sie dann noch leisten kann. Ob sieoffen für Veränderungen ist? Ich betrachte Architekturimmer über einen langen Nutzungszeitraum, diesbezüg-lich bin ich sehr wertebewusst. Wir machen beispiels-weise ein Monitoring aller unserer Gebäude. Was geht,was geht nicht, was sagen die Nutzer, was finden sie gutoder verstehen sie die räumliche Idee überhaupt. Manredet viel über Betriebskostenminimierungen, aber manredet zu wenig darüber, wie und ob das Gebäude auchin 10 bis 20 Jahren noch lebt.

Redet man Ihrer Meinung nach zu wenig über dieSchönheit in der Architektur?

Das Gefährliche an Schönheit ist, dass sie eine extrempersönliche Angelegenheit ist. Deswegen gehen alle sovorsichtig mit dem Begriff der Schönheit um. Sicherlichgibt es so etwas wie eine kollektive Schönheit. Warumreisen die Leute heute so gerne in Städte wie Venedig,Rom oder Paris? Weil sie die Schönheit dieser Städtewahrnehmen. Warum gibt es nach wie vor einen wahn-sinnig hohen Wert am Immobilienmarkt für Häuser ausdem 19. Jahrhundert? Warum sehnen sich die Leutenach dem Wiederaufbau alter Viertel, wie beispielsweisedem Marienviertel in Berlin? Doch, weil sie es als schönempfinden. Ich glaube, dass der Begriff der Schönheitauch etwas mit der Akzeptanz zu tun hat. Mit Qualitäten,die diese Städte oder Typologien in sich tragen. Vielleichtist aber Ästhetik ein besserer Begriff als Schönheit. Beiuns im Büro bedeutet Ästhetik auch immer der Versuchder Überwindung der Schwerkraft. Die Leichtigkeit derArchitektur registrieren die Leute sehr wohl. Das wirdauch als schön oder als ästhetisch wahrgenommen.

Wie beurteilen Sie grundsätzlich das Bauen inDeutschland? Müsste es Ihrer Meinung nach stärkermaterial-, energie- oder recycleeffizient gestaltetwerden?

Ich glaube, die Neubauten haben eine enorm hohe ener-getische Effizienz. Schauen wir einmal auf die Automobil-industrie! Es gibt auch die Antithese: Zum Beispiel giltder Porsche 911 in der Autobranche als Drecksschleuder,andererseits fahren noch 75 % aller jemals produzierten911er auf der Straße herum. In dem Sinne ist es dasnachhaltigste und ökologisch beste Auto, weil es einfachnoch nicht wieder in den Verwertungskreislauf eingefügtist. Ein gutes Stück Design, was auch der ganzen zeitli-chen Veränderung standhält. Das Auto kann als absolutökologisch und nachhaltig gesehen werden. Auch wennes eben nicht nur einen Liter, sondern acht Liter Sprit ver-braucht. Das kann man auch auf die Architektur übertra-gen. Das Schlimmste sind Gebäude, die man nichtbrauchen kann. Beispielsweise die berühmten Bürohäu-ser aus den 90er Jahren, die falsche Ausbauraster und zuschmale Tiefgaragenplätze haben. Das war die Zeit dieserSuperoptimierung, die sich als totaler Bumerang heraus-gestellt hat. Dass die Gebäude eine Nutzungsoffenheithaben, ist schon ein wesentlicher Beitrag. Was ich mirwünschen würde, wäre, dass es in der Architektur mehrregionale Bezugnahmen gäbe. Wir planen das Grimm-Museum in Kassel, es ist auf einem Natursteingebirgeaufgebaut. Wenn man diesen Duktus des Ortes benutzt

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– und dazu gehören selbstverständlich nicht nur dieMaterialität, sondern auch eine Maßstäblichkeit oderregionale Typologien –, wird es auch gut. Man merkteinfach, dass das dort an dem Ort verhaftet ist. Einewichtige Sache.

Hat die Architektur für die Bedürfnisse derGegenwart die richtigen Antworten? Wie vorherschon erwähnt, besonders beliebt sind Häuseraus dem 19. Jahrhundert!

Die haben alles, was man gerne hätte: die Räumesind hoch, kein Raum ist kleiner als 20m2, die Wändesind 60-70 cm dick. Sie haben einen Massenspeicher.Also viele Sachen wurden richtig gemacht.

Damit stellt sich doch die Frage, warum bauenwir heute nicht genauso?

Wir haben gerade einen Investor überzeugt, genausoeinen Wohnungsbau mit 200 Wohneinheiten umzu-setzen, auf einem Grundstück mit einer sogenanntenProblemlage, das über viele Jahre keine Verwertung fand.Das ist eines meiner absoluten Lieblingsprojekte, keineRaumhöhe unter 3 m, keine Raumgröße unter 20m2.So etwas gibt es heutzutage kaum noch. Ich glaube,man muss sich antizyklisch bewegen. Gründerzeithäuserkann man auch in die Neuzeit transportieren, die Leutefinden das auf einmal modern. Das Gründerzeithaus hatnur ein Problem: es hat keine Tiefgarage! Abends fahreich 30 Minuten, bevor ich irgendwo im absoluten Halte-verbot einen Parkplatz gefunden habe.

Was können Architekten von heute von derGründerzeit lernen?

Den Nutzer und den Käufer für solche Gründerzeithäusergibt es, man muss eigentlich nur den dazwischen liegen-den Investor überzeugen. Denn er sagt, dass man nurdas verkaufen kann, was zu der Abgeschlossenheitserklä-rung der Wohnung gehört. Aber witzigerweise werdendann Soft-Facts wie Raumhöhe, Raumgröße etc. aufeinmal viel wichtiger. Als wir für adidas gebaut haben,ist uns gesagt worden, dass sie die neue Geschäftsstellenicht nur eines tollen Gebäudes wegen bauen wollen,sondern, dass sie damit die besten Mitarbeiter bekom-men möchten. Architektur als Rekrutierungsstärke.Das ist alles nicht messbar in Geld. Den Gründerzeitvillenwird manchmal die Raumverschwendung vorgeworfen.Aber gerade die Großzügigkeit des Raumes ist ein StückQualität, das die Leute, die dort wohnen, bereit sind,zu bezahlen.

Reflektieren Ihrer Meinung nach die gängigenAuditierungssysteme die Erfordernisse der Nach-haltigkeit?

Wir beschäftigen uns ziemlich stark damit, haben auchzwei Auditoren bei uns im Haus, die für uns arbeiten.Allerdings umfasst dies ja nur die TÜV-Plakette. Mir fehltzum Beispiel die Information, wie viel Energie in die Er-stellung bis hin zum Recyclingprozess verbraucht wird.Ich finde beispielsweise die Schweizer Anforderungenwesentlich zutreffender, sie betrachten den gesamtenMaterialzyklus. Die DGNB finde ich gut, aber es ist fürmich erst ein erster Schritt dieser Betrachtung, allerdingsnoch nicht umfassend.

In einer Fachzeitschrift stand vor einiger Zeit,„Die Deutschen gefährden ihre Baukultur als Welt-meister im Energieeinsparen“. Was sagen Sie dazu?

Es gibt ja diese berühmte Wärmedämm-Verbundsystem-Diskussion. Wenn es sich auf diese Facette bezieht, ist dameiner Meinung nach etwas dran. Wir reden die ganzeZeit über Neubaumaßnahmen. Viel relevanter ist derUmgang mit dem Bestand, diesbezüglich wird relativschnell mit der groben Kettensäge gearbeitet. Das Hausist von außen schnell eingepackt. Das eine Problem istdas Ästhetische, das viel größere aber ist, dass denHäusern nicht wirklich genug Respekt gezollt wird. Siesind zu dicht, sie haben Schimmelbildung, sie funktionie-ren nicht mehr. Oder die ganzen 50er Jahre Gebäude,die thermische Probleme haben, aber über ihre filigranenFassaden und Details noch funktionieren. Wenn sienatürlich eine Standard-Profilfassade bekommen, habensie dann ihre Qualität eingebüßt. Man muss mit denHäusern schon vorsichtiger umgehen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 141

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Moderne Bauten brauchen oft auch eineausgeklügelte Gebäudetechnik. Was ist in IhrenAugen sinnvoll, was unnötig?

Sinnvoll ist es alles, was die Leute, die es später benut-zen, verstehen. Wenn ich mein Telefon benutze, muss eseine selbsterklärende Navigation haben. So muss auchdas Haus funktionieren. Wenn die Leute ihr Fenster nichtaufmachen dürfen, weil das zum Störfaktor der Gebäude-technik wird, finde ich es problematisch. Wenn ein Objekteinen hygienischen Luftaustausch hat, finde ich das gut.Das wird in Zukunft auch automatisch kommen.Die Gebäudetechnik muss sich allerdings noch stärkerauf die Bedürfnisse der Nutzer einstellen und dieseunterstützen.

Nach dem Willen der EU-Kommission sollenNeubauten ab dem Jahr 2020 nicht mehr Energienutzen als sie verbrauchen dürfen oder als sieselbst erzeugen. Ist das realistisch?

Das ist das Perpetuum mobile. Es gibt Ansätze mit Mini-blockheizkraftwerken, Versuche, von denen ich glaube,dass sie in der dezentralen Energieerzeugung weiterfüh-ren könnten. Aber ich bin der Meinung, dass man dieseNull-Energie-Ansprüche nicht auf jedes Gebäude projizie-ren kann. Weil man sich natürlich auch sagt, dass dochalles immer teurer wird. Die öffentliche Hand sollte derVorreiter sein. Ich glaube, wenn das funktioniert, dannwerden die Leute auch nachziehen. Ich finde es schwie-rig, wenn immer neue Novellierungen in die Energieein-sparverordnung kommen, die jetzt jeder Privatmanntragen soll. Aber gleichzeitig gibt es eine politischeDiskussion über die Deckelung von Mieten. UnsereNachbarn aus Holland bauen noch Wohnungsbau für800 Euro pro m2, der sich sehen lassen kann.Das machen sie nicht, weil sie das alles besser können,sondern weil sie viel geringere Anforderungen an denBrandschutz und an energetische Standards haben. Unddiese Häuser sind nicht fürchterlich. Man muss meinesErachtens differenzieren: Der Wohnungsbau ist auf demheutigen Anspruchsniveau schon sehr gut lokalisiert.Ich bin nicht der große Freund davon, dass das auchnoch verschärft wird. Es ist schwer handhabbar. Mit dernächsten Verschärfung, die kommt, muss jedes Woh-nungsgebäude eine Lüftungsanlage haben. Das istschwierig. Ich sehe eher immer diese Vorbildfunktion,das Ganze muss funktionieren. Dann ziehen vielleichteher die Institutionellen und dann auch die allgemeinenkleinen Häuslebauer nach. Das fände ich interessant.Zurückkommend auf Ihre Frage: Ich halte 2020 für völligunrealistisch. Wir haben jetzt die ersten wirklich gut

funktionierenden Passivhäuser gebaut, die das auchwirklich einmal einhalten. Das Eine ist, das Passivhaus zuplanen, das Andere ist, dass es am Ende auch wirklichunter 20 Kilowattstunden verbraucht, ohne dass es einForschungsprojekt ist, sondern einfach ein Haus. Dasläuft jetzt. Wenn ich dann noch einmal an den Sprung inRichtung Null denke, dann wird es schwierig. Wir habenin Aachen gute geothermische Konditionen, hier ist esteilweise einfach, beispielsweise im Bürobereich, überErdwärme genügend Energie zu bekommen und denBetrieb der Wärmepumpen über Sonnenenergie abzu-decken. Das ist ein Projekt, das ich nachvollziehen kann,es funktioniert. Das können wir heute schon bauen.Man muss sich immer ansehen, was lokal vorliegt. Aberflächendeckend wird man es meiner Meinung nachnicht so schnell schaffen.

Werden bei der Vergabe von Grundstückenin der Stadt Aspekte der Nachhaltigkeit zu wenigberücksichtigt?

Es wäre bestimmt gut, wenn es noch mehr Kriteriengäbe, die an so eine Vergabe gekoppelt werden. Alsogerade öffentliche Grundstücke werden auch oft überden Höchstpreis vergeben, und der ist dann zu erzielen,wenn man die höchste Überbauungsdichte realisiert.Ein guter Weg ist immer ein Architektenwettbewerb,ohne ihn kommt man einfach nicht voran. Es wird oftkritisiert, Wettbewerbe seien Geldverschwendung. Nein,Wettbewerbe sind einfach eine kulturelle Grundlage desBauschaffens. Was soll da sonst rauskommen? JederBauherr ist bestens beraten, einen Wettbewerb zu ma-chen. Ich kenne keinen einzigen Bauherrn, der am Endegesagt hätte, der Wettbewerb war unsinnig und zu kost-spielig. Jeder Bauherr ist am Ende froh über verschiedeneBeiträge, denn erst in dem Moment ist er sprachfähig.Und auch den Bürgern sollte man meines Erachtensdiese Varianten präsentieren. Sie gewinnen dann einenÜberblick, welcher Entwurf der beste von der ökologi-schen Seite her ist, welcher am wenigstens Platz ver-braucht, welcher das größte Umnutzungspotenzial hat,welcher der Geeignetste für den jeweiligen Ort ist. Dannhaben alle miteinander ein gutes Gefühl, sich für denbesten Entwurf entschieden zu haben.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 142

G E RHARD W I T T F E L D

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Haben wir im täglichen Architekturgeschehenzu wenig Common Ground à la Chipperfield?

Der Begriff des Common Ground von der letztenArchitekturbiennale 2012 in Venedig hat auch über dieArchitektenszene hinaus seine Beachtung gefunden.Das ist immer gut. Ja, ich glaube, dass es grundsätzlichzu wenig Common Ground in der Architektenszene gibt.Warum? Weil ein Common Ground natürlich immer mitAufwand verbunden ist. Man muss auch andere Meinun-gen zulassen. Es ist der unbequeme Weg. Wir bauenhier in Aachen an der Hochschule für das Institut fürElektrotechnik und Nachrichtentechnik die Fakultät neu.Das sind zwei würfelförmige Gebäude, die einen starrenaußenliegenden Sonnenschutz brauchen, weil man mög-lichst wenig Energieeintrag haben möchte. Es ist einenicht unproblematische Situation, weil auch Teile derFenster quasi verdeckt sind. Wir haben dann gemeinsammit den Elektrotechnikern einen Code entwickelt, nachdem ein Screen aus unterschiedlich breiten Sonnen-schutz-Elementen generiert wird, der das Haus homogenumhüllt. Von Anfang an haben wir mit den Elektrotechni-kern gesprochen und mit ihnen nach einer gemeinsamenLösung gesucht, für die wir später gemeinsam einenWissenschaftspreis erhalten haben. Interessant ist, dieseZusammenarbeit funktionierte und die Akzeptanz dieserFassade liegt bei 100 Prozent. Weil die Elektrotechnikerihren Beitrag geleistet haben und sie von Anfang an invol-viert wurden, haben wir die Leute emotional gefangenund sie für die Architektur begeistern können. Und schonwurde das Haus für gut befunden.

Müssen Ihrer Meinung nach viele der deutschenStädte politisch, sozial und auch ästhetisch andersgedacht werden?

Die Städte, vor allem die mittleren Städte, sollten sichüberlegen, wofür sie eigentlich stehen. Das ist ein Thema,das ziemlich viel Potenzial hat. Wir kennen das Label ausGraz, das „Lebenswert, Südsteiermark, Lebensmittel“.Diese Stadt hat diesen Ruf einer Genussstadt. Das ist un-glaublich gut, weil es damit ein Alleinstellungsmerkmalin der Region hat. Wir in Aachen haben das Thema desBildungsstandortes. Aber wie viele Städte bilden sich dasmit dem Bildungsstandort in Deutschland ein? Es gibthier in Aachen zum Glück auch eine Strategie, diesenhohen Bildungsstandard auszubauen. Das würde ich mirfür viele Städte wünschen. Viele deutsche Städte habendas Potenzial. Im internationalen Vergleich gibt es grund-sätzlich viele große Städte, die über 250.000 Einwohnerhaben und die viel Potenzial haben. Ob ich das immer un-bedingt über ein Museum schaffen muss, weiß ich nicht.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 143

Unsere niederländischen Nachbarn in Maastricht habenz. B. gesagt, wir bringen die Stadt an die Maas, an denFluss, haben konsequent die Stadt dorthin ausgerichtet.Fantastisch. Barcelona hat die Olympischen Spiele dazugenutzt, die Stadt zum Meer zu öffnen und ist jetzt eineder lebenswertesten Städte. Es ist gerade mal 20 Jahreher, da war die Stadt vom Meer abgeriegelt, da gab eseine Hafenmauer. Es ist unvorstellbar, wie in so kurzer Zeiteine Stadt komplett gedreht werden kann. Diese Umwand-lung funktioniert nur dann, wenn ein ganz klares Ziel ange-strebt wird und die Stadt konsequent in die Richtung geht.

Wie stehen Sie zu der Aussage mancher Stadtplaner,der deutsche Städtebau der letzten Jahrzehnte seiein einziges Versäumnis und Versagen?

Ich persönlich tue mich mit solchen Globalaussagen ziem-lich schwer. Der deutsche Städtebau hat in der jüngstenZeit eine relativ robuste Struktur entwickelt, vielleicht istoft ein bisschen zu vorsichtig rangegangen worden. Oftwird Städtebau genutzt, um Architektur zu disziplinieren.Guter Städtebau ist in der Lage, auch schlechte Architek-tur im Zaum zu halten. Ich meine, Architektur und Städte-bau gehören viel enger zusammen. Grundsätzlich sinddie Versäumnisse zu Zeiten gemacht worden, als man dieNutzungen voneinander entflochten hat. Ein Fehler warauch der Versuch, die fehlende Urbanität durch erhöhteDichte zu kompensieren, was nicht funktionierte. Ich binder Meinung, die Mischnutzung ist ein guter Weg, um dieZentrumsfunktion der Städte zu stärken. Diese ist viel-leicht die Antwort auf diese Versäumnisse: Das Modelldes Eigenheims und die damit einhergehende Zersiede-lung ist im Nachkriegs-Deutschland – man denke an die-ses Adenauer-Zitat „Ich muss um meine eigenen vierWände herumgehen können“ – sehr forciert worden,während in anderen Ländern auch ein Appartement als„die eigenen vier Wände“ akzeptiert wird. Zentrale Auf-gabe von Architekten und Städtebauern ist es, mit demAngebot entsprechender Qualitäten zum Umdenken imBereich des individuellen Wohnens anzuregen.

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KADAWITTFELDARCHITEKTURBüronamekadawittfeldarchitektur

BüroinhaberGeschäftsführender Gesellschafter:Gerhard WittfeldGesellschafter:Prof. Klaus Kada, Kilian Kada, Stefan Haass

Gründungsjahr1999 von Gerhard Wittfeld und Prof. Klaus Kada

Standort des BürosAachen

Mitarbeiter80

ProfilArchitekturGeneralplanungInterior DesignProduktentwicklungBüro- und Organisationsplanung

Die wichtigsten Gebäudeadidas Laces in HerzogenaurachKeltenmuseum am Glauberg, GlauburgAachenMünchener Direktionsgebäude, AachenNürnbergMesse, NürnbergPATRIZIA Headquarters, AugsburgMercedes Pappas, SalzburgSalzburger Hauptbahnhof, Salzburg

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 144

adidas Laces, Herzogenaurach, 2011

Keltenmuseum am Glauberg, Glauburg, 2011

Salzburger Hauptbahnhof, Salzburg, Fertigstellung 2013/14

Foto:W

ernerHuthm

acher

Foto:W

ernerHuthm

acher

Foto:kadawittfeldarchitektur

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AachenMünchener

Direktionsgebäude, Aachen, 2010

Kraftwerk Lausward, Düsseldorf

Fertigstellung etwa 2016

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 145

Foto:JensKirchnerr

Foto:kadawittfeldarchitektur

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kister scheithauer grossarchitekten und stadtplanerGmbHProf. Susanne Gross

Professor Susanne Gross (Jahrgang 1960) wurde inMarburg/Lahn geboren. Von 1979 bis 1986 studiertesie Architektur an der Rheinisch-WestfälischenTechnischen Hochschule in Aachen (RWTH). Von1986 bis 1989 war sie im Büro Prof. J. Schürmannin Köln und im Büro Skidmore, Owings & Merrill inLondon tätig. Von 1990 bis 1994 machte sie einAufbaustudium und wurde Meisterschülerin mitAuszeichnung an der Kunstakademie in Düsseldorf.Von 1990 bis 1997 war sie wissenschaftlicheAssistentin am Lehrstuhl für Städtebau der RWTHAachen. Seit 1997 ist Professor Susanne GrossGesellschafterin bei kister scheithauer gross architek-ten und stadtplaner gmbh. Von 2001 bis 2003 nahmsie eine Lehrtätigkeit an der Akademie für Baukunstin Maastricht auf. Seit 2004 hat sie eine Professurfür Entwerfen und Gebäudekunde an der BergischenUniversität Wuppertal.

Zu den wichtigsten Projekten des Büros zählendie Doppelkirche Maria-Magdalena, Freiburg,das Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg, und dieSynagoge am Weinhof, Ulm.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 146

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Architektur muss heute einen gesellschaftlichrelevanten Beitrag leisten, über Technik undÖkonomie hinaus. Und sei es nur, ein kleinesHaus richtig in den baulichen und zeitlichenKontext zu stellen.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 147

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 148

GROHE: So, wie wir vielen Ihrer Gebäude entneh-men konnten, haben Sie bei kister scheithauer grossarchitekten und stadtplaner einen starken Bezug zurTradition. Was bedeutet Tradition für Sie?

Prof. Susanne Gross: Mich interessiert der Teil derTradition, der mit Qualität verbunden ist. Natürlich gibt esgrundsätzlich viel Tradition, auch von Bauten fragwürdi-ger Qualität. 2013 haben wir bereits 60 Jahre hinter uns,in denen es zwar Tradition, aber weniger Qualität gab.Es gibt bestimmte Epochen, wie zum Beispiel die 70eroder auch die 80er, 90er Jahre, die mit Qualität nicht vielzu tun hatten, die einfach nur auf Produktion von Bauwer-ken ausgerichtet waren. Man kann dies nicht nur mit derNotwendigkeit des raschen Wiederaufbaus der kriegszer-störten Städte begründen. Es hat sich – nicht unmittelbarin der Nachkriegszeit, sondern eher seit den 70er Jahren– auch eine Tradition der architektonischen Banalitätherausgebildet. Auf diese wollen wir uns nicht beziehen,sondern auf bestimmte andere Epochen, wie zum Bei-spiel Bauten vornehmlich aus den 50er und 60er Jahren.An manchen Bauten dieser Zeit ist häufig eine gewisseFrische abzulesen, eine Unbekümmertheit. Die Flug-dächer schwingen sich weit hinaus in den Straßenraum,und die Gebäude haben charakteristische formale Merk-male, ohne affektiert zu sein. In meinen Augen warendas sehr gute Zeiten in der Architektur. Und ich habe denEindruck, dass die Architektur in den letzten zehn Jahrenwieder besser wird. Ich weiß nicht genau, woran dasliegt. Vielleicht am Wettbewerbssystem oder auch ander Anonymität der Wettbewerber. Es mag auch an derInternationalisierung liegen und damit an der größerenKonkurrenz der Arbeiten, die bei einem Wettbewerbeingereicht werden.

P RO F . S U S ANN E GROS S

ES GIBT EINE NOCHNICHT AUSREICHENDEBESCHÄFTIGUNG MITDER ÄSTHETISCHENNACHHALTIGKEIT.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 149

Wenn man beobachtet, dass die Halbwertzeit vonzeitgenössischer Architektur bei manchen Bautypolo-gien sukzessive sinkt, dann stellt man sich die Frage,was in der Architektur besser geworden ist?

Es geht bei der von mir vermuteten Qualitätssteigerungweniger um sich wiederholende Bautypologien imWohnungsbau, als um öffentliche Bauten und um derenUmgang mit dem Ort, an dem sie entstehen. Wenn beimKölner Opernhaus des Architekten Wilhelm Riphahn inden 50er Jahren die Balkone über viele Meter weit in denPlatz hinausragen, so ist dies ein Zeichen einer großenGeste in den öffentlichen Raum hinein. Wenn das Mu-seum Kolumba, knapp 200 Meter entfernt, und etwaein halbes Jahrhundert später vom Architekten PeterZumthor gebaut, auf den Ruinen einer zerstörten Kircheaufgebaut wurde, so zeigt dies gerade darin die gleicheWertschätzung für den öffentlichen Raum, in der Be-schränkung auf ein vorgegebenes Grundstück. BeideBauten, vis-à-vis zueinander, liefern für ihre Zeit erstklas-sige Beispiele für den Umgang mit öffentlichem Raum.

Wir zitieren einen Satz aus einer diesjährigenArchitektur-Fachzeitschrift: „Ein Gebäude zu bauen,das mit seinen Charakteristika von Raum und Funk-tionalität die Chance hat, die Altersgrenze von 30 bis40 Jahren zu überstehen, wäre heute schon einSieg“. Können Sie dem zustimmen?

Ihre Frage betrifft eher die technische Seite eines Bauwer-kes, jedoch kann ich Ihnen auch hierin nicht zustimmen.Es ist eine Übertreibung, bei Gebäuden von einer Alters-grenze von 30 Jahren zu sprechen. Ich bin jetzt 53 Jahrealt, meine Generation kommt fast in die Zeit, in der wirunsere eigenen Gebäude betrachten, die wir vor 20 Jah-ren gebaut haben. Sie werden deutlich mehr als weitere30 Jahre halten. Eine so kurze Lebensdauer würde zuRecht kein Bauherr akzeptieren.

Aber es gibt doch auch solche Bauherrenschaft,die ausschließlich renditeorientiert ist?

Ich denke, hier sollte man zwischen einzelnen Bauaufga-ben differenzieren. Das, was Sie sagen, trifft auf mancheGebäude zu, die nicht in einem öffentlichen Verfahrenausgewählt wurden. Für fast jedes öffentliche Gebäudegilt, dass es in seiner Konstruktion und Organisationdurch viele Instanzen gehen muss, bevor es errichtetwird. Wenn ein privater Investor Wohnungen erstellt, ister aus diesem Kriterienkatalog heraus, weil er so baut,wie er es finanzieren kann, beziehungsweise bereit ist,zu finanzieren. Im Wohnungsbau steht die Frage derFinanzierung stark im Fokus und dies kann – muss abernicht – zu Qualitätsverlusten führen.

Wie weit ist es mit Ihrer Kompromissbereitschaftgediehen? Ist es vorgekommen, dass Sie zumBeispiel Aufträge abgelehnt haben, weil Sie nichtdie Luft gehabt hätten, Ihre Qualitätsvorstellungenumzusetzen?

Vielleicht sollte ich am Anfang, bevor ich die Frage gernebeantworte, klarstellen, dass dieses Büro kister scheit-hauer gross von meinem Mann Johannes Kister und mirbetrieben wird. Herr Scheithauer ist unser Seniorpartner.Wir sind zwar ein gemeinsames Büro, aber wir arbeitennicht an gemeinsamen Projekten. Wir entscheiden bei-spielsweise am Anfang, wer den Wettbewerbsbeitrageinreicht. Ist es entschieden, dann realisiert derjenige, seies mein Mann, sei es ich, das Projekt über alle Phasenbis zur Fertigstellung. Im Prinzip ist es so, als ob wir zweiAutoren im Büro wären, die sich allerdings gegenseitigintensiv beraten. Das ist anders als in anderen Büros, wodie Partner viel enger zusammenarbeiten oder innerhalbder Leistungsphasen die Autorenschaft wechseln. Allesdas, was ich jetzt als Antwort gebe, betrifft meine Bauten,die ich hier in den letzten 20 Jahren realisiert habe, nichtunbedingt die meines Mannes.Nun zu Ihrer Frage: Nein, ich habe noch nie einen Auf-trag abgelehnt, weil ich nicht die Luft gehabt hätte, meineQualitätsvorstellungen umzusetzen. Der einzige Grund,den ich mir vorstellen kann, könnte sein, dass es ein zukleiner Auftrag ist, dem ich mich aus wirtschaftlichenGründen nicht in dem Maße widmen kann, den jederAuftrag verdient. In diesem Falle geben wir den Auftragmanchmal an ehemalige Mitarbeiter ab, oder an einkleines Büro, das wir dem Bauherrn empfehlen können.

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Wie genau funktioniert diese von Ihnenbeschriebene Partnerschaft, wie werden Sievon außen wahrgenommen?

Wir entscheiden einfach am Anfang, wer das Projektübernehmen wird. Es gibt natürlich bestimmte Vorlieben.Ich bearbeite zum Beispiel sehr gerne Sakralbauten. Aberauch mein Mann hat Sakralbauen realisiert. Handelt essich um Kirchen, so mag die Konfession auch eine Rollespielen. Ich vermute, dass mir als Katholikin katholischeRäume vertrauter sind und dass dies umgekehrt fürmeinen Mann als Protestanten auch gilt. Aber vielleichtist dies auch gerade ein Nachteil? Jedenfalls sind wir inder Zuteilung der Bauaufgaben nicht festgelegt.Unsere Bauherren nehmen dies übrigens gar nicht wahr,da diese Aufteilung schon sehr früh, in der Konzeptions-findung stattfindet. Die Erfahrung zeigt aber auch, dassviele Bauherren unsere Art der Partnerschaft im Büro alszusätzliche Sicherheit empfinden. Und sie finden es gut,dass der Partner und dessen Team die Vorgänge ausdem jeweils anderen Projekt aus einer gewissen Distanzberatend begleiten.

Sie lehren in Wuppertal „Entwerfen und Gebäude-kunde“. Wie viel Zeit investieren Sie dafür?

Drei Tage bin ich in der Regel vor Ort. Wenn ich aber andie Zeit denke, in der ich am Wochenende und abendsVorlesungen und andere Lehrveranstaltungen vorbereite,sind es manchmal mindestens vier Tage bei einer 7-Tage-woche. Ich arbeite jeden Tag, aber es macht mir nichtsaus.

Sie sind ein Büro, was auch im nationalen undinternationalen Wettbewerb steht. Wie behauptenSie sich heute und morgen, um auch in der Zukunfterfolgreich zu sein?

Ich glaube nicht, dass es da eine durchgehende Strategiegibt, dafür sind die Aufgaben auch zu verschieden.Wenn ich mich an einem Laborwettbewerb beteilige, istdas eine ganz andere Strategie als bei einer Synagogeoder einer Kirche. Bei den Sakralbauten ist das besonderswichtig, was ohnehin für jede Bauaufgabe gilt: den Ortzu kennen. Ich finde es unabdingbar, dass man denGenius Loci, also den Geist des Ortes, wirklich berück-sichtigt und dazu muss man vor Ort gewesen sein. Manmuss sich auf die Stimmung eines Ortes im Hinblick aufdie Bauaufgabe eingelassen haben.Als man den Begriff Genius Loci geprägt hat, hat maneines noch gar nicht so im Auge gehabt. Denn es gehtauch um die zeitliche Einbindung. Zeit im Sinne dergesellschaftlichen und politischen Situation, in der dieBauaufgabe steht, nicht die geographische Situation.Die Stimmung eines Ortes aufzunehmen und sie im posi-tiven Sinne durch ein Bauwerk verändern oder fortsetzenzu wollen, ist ein wesentlicher Teil des Erfolges.Hinzu kommen natürlich noch andere Dinge, welche eineRolle spielen: Funktionalität und Wirtschaftlichkeit, umnur zwei davon zu nennen. Hauptaugenmerk für denEntwurf liegt aber immer auf der Erlebbarkeit, auf dasErleben mit allen Sinnen, auf das Erfahren eines Ortes,der sich mit dem neuen Bauwerk verändern wird. Wirmachen dies im Vorfeld, indem wir uns intensiv mit demGenius Loci auseinander setzen. Und unsere Bauherrenerleben dies dann idealerweise im gebauten Gebäude.

Sie inhalieren also die Dinge vor Ort.

Das ist schön gesagt.

Aber das ist oftmals der Vorwurf an einige IhrerKollegen, den Ort eben nicht zu inhalieren, sondernsich über außergewöhnliche Formensprachenselbst inszenieren wollen.

Ich finde das nicht verwerflich. Vielleicht ist es einegute Selbstinszenierung, von der auch der Ort profitiert.Das ist jedermanns eigene Sache und jedes Büro hat eineindividuelle Strategie. Immerhin bedarf es auch einesAuftraggebers und auch darüber hinaus der Entscheidungeines Preisgerichtes, das in der Regel aus mindestens10 bis 15 Personen besteht.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 150

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Page 150: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

Heute wird oftmals unter einem gelungenenArchitekturobjekt verstanden, dass es kontrastiertdie gegenüberliegende Umgebung reflektiert.

Ich denke, es ist notwendig, dass man als Architekt aufden Ort und die Aufgabe reagieren muss. Das Bauwerkkann dabei durchaus einen neuen Akzent, vielleicht sogarfremden Akzent setzen. Mit einer gekonnten Beiläufigkeitden Ort zu kommentieren, in Kombination mit baukünst-lerischer Qualität und technischer Perfektion, das ist inmeinen Augen ein hohes Ziel für eine Bauaufgabe.

Was ist Ihr persönliches Lieblingsobjekt vonIhren Projekten und was ist Ihr persönlichesLieblingsobjekt anderer Kollegen, mit dem Sie sichbesonders identifizieren können?

Bei meinen eigenen Gebäuden sind es die Doppelkirchein Freiburg und die Synagoge in Ulm. Die Doppelkirchehaben wir 2004 fertig gestellt, die Synagoge wurde imDezember letzten Jahres eingeweiht.Bei den Objekten meiner Kollegen fällt mir spontan dieAusstellungshalle „Topographie des Terrors“ in Berlin ein.In fast vollständiger Abwesenheit von architektonischenMotiven und mit großem Pragmatismus löst diesesGebäude seine Aufgabe, nur Hülle zu sein für eine Aus-stellung über eine geschichtlich überaus bedeutsame Zeitunseres Landes. Dieses Gebäude hat kein Problem mitseiner Nachbarschaft, mit dem prächtigen Martin-Gro-pius-Bau. Es spielt sich nicht auf, es scheint von seinenInhalten mehr als von seiner Hülle zu wissen. Die Nach-barschaft dieser beiden Bauten, die jeweils perfekt ihreAufgabe an ihrem Ort erfüllen, finde ich faszinierend.

Welche Züge charakterisieren Ihrer Meinungnach die Architektur von übermorgen? Was dürfenwir erwarten?

Ich glaube, dass im Moment die technischen Aspekteder Nachhaltigkeit zu Recht sehr im Vordergrund stehenund dass die kulturelle Bedeutung eines öffentlichenBauwerks darunter leidet. Ich hoffe, dass dieses Mankokompensiert wird, dass in 200 Jahren die Frage nach derkulturellen Aussage eines Gebäudes als genauso wichtigbetrachtet wird, wie die technische Nachhaltigkeit heutegesehen wird. Nachhaltigkeit ist ein gängiger Begriff inder Gesellschaft geworden. Jedoch ist selten von einerästhetischen Nachhaltigkeit die Rede. Häufig geht sogardie Beachtung von technischer und ökonomischer Nach-haltigkeit auf Kosten einer ästhetischen Nachhaltigkeit.Man hat den Eindruck, dass erst im Denkmalschutz demGedanken einer ästhetischen Nachhaltigkeit die ange-messene Bedeutung zukommt.

Im Zentrum des Baugeschehens stehen tatsächlichderzeitig Ressourceneinsparungen und Energiekenn-zahlen. Wird die Diskussion um die Schönheit inder Architektur vernachlässigt?

Es scheint uns peinlich zu sein, den Begriff Schönheitin die Architektur einzuführen. Die Erfüllung wissen-schaftlich nachweisbarer, technischer Parameter führtjedoch noch längst nicht zu guter Architektur. Die Archi-tektur muss darüber hinaus immer auch Träger einesGeheimnisses sein.

Hat sich Ihre persönliche Auffassung von Architekturim Laufe der Jahre verändert?

Ja, in zweierlei Hinsicht. Beide betreffen die Art, wie ichals Architektin plane. Ich werde immer wieder überraschtvon der räumlichen Wirkung meiner Bauwerke. Obwohlich alles glaube, geplant zu haben, gibt es Überraschun-gen, wenn das Bauwerk vor mir steht. Diese Überra-schungen liegen sowohl in der Wirkung auf den Stadt-raum als auch im Innenraum. Dort hängen sie meistensmit der Lichtwirkung zusammen. Man kann die Wirkungeines Bauwerkes nie komplett voraussehen. Je mehr ichbaue, desto deutlicher sehe ich das.Das andere, was ich gelernt habe, ist, wie wichtig derBauherr im Planungsprozess ist. Dies habe ich zu Beginnmeiner Tätigkeit unterschätzt. Am Anfang hatte ich dieVorstellung, ich habe meinen Entwurf und wenn jemandihn verändern will, dann ist das auf jeden Fall ein Verlust.Mittlerweile glaube ich, dass der Bauherr, der in der Regelaus einer Gruppe besteht, eine hervorragende Kontroll-instanz für die Qualität eines Entwurfes sein kann. Er ent-deckt die Schwächen und Inkonsequenzen des Entwurfesund spricht sie an. Deshalb ist der Bauherr unendlichwichtig.Ich würde ungern ein Haus für mich selber bauen, weilich weiß, dass ich den kritischen Blick des am EntwurfUnbeteiligten brauche.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 151

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Gerade im öffentlichen Bereich überrascht unsdie Bedeutung des Bauherrn für Sie.

Das ist natürlich ein Lernprozess. Der Bauherr lernt auch,in dem er sein eigenes Gebäude erstellt. Da ist ein ständi-ger Austausch von Argumenten. Natürlich geht es vielum Kosten und um Zeit. Aber ich habe immer die Erfah-rung gemacht, dass der Bauherr mir hinterher sagte:„Ich weiß jetzt mehr über Architektur“.

Jeder arbeitet heute im Netzwerk und interdiszi-plinär. Bei Ihnen wird deutlich, dass Sie die Vorteileklar erkannt haben.

Bei der Doppelkirche in Freiburg war es beispielsweiseso, dass der Pfarrer, der mein Bauherr war, Sichtbeton-seminare besuchte, weil er sich einfach darüber informie-ren wollte. Der Rabbiner der Synagoge in Ulm hat michviel wissen lassen, was in einem jüdischen Gottesdienstwichtig ist, was ich vorher nicht wusste. Ich habe ihmwiederum gesagt, was aus Sicht der Architektur zubeachten ist. So haben wir voneinander gelernt undzusammen das Bauwerk erstellen können.

Sie lehren in Wuppertal. Wie bereiten Sie IhreStudenten auf die Praxis von morgen vor?

Was ich vorhin erwähnt habe, diese erweiterte Auffas-sung des Begriffes Genius Loci, das ist mir besonderswichtig. Ich erwarte selbstverständlich, dass die Studie-renden sich nicht nur im Google Earth das Grundstückansehen, sondern dass sie sich vor Ort ein Bild machenund die Gegebenheiten vor Ort in sich aufnehmen.Wenn sie einmal vor Ort sind, ist ihnen sofort klar, wiewichtig das Erleben des Ortes ist.Ich erlebe die Studierenden als begeisterungsfähigund habe nicht den Eindruck, dass ich dort jemanden fürdie Architektur interessieren muss. Die Begeisterungbringen sie mit.

Sie sind also stolz auf die nachfolgende Generation?

Sie soll eines Tages auf sich selber stolz sein. Es herrschteine sehr gute und auch experimentierfreudige Stimmungunter den Studierenden.

Werden die Studenten Ihrer Meinung nachausreichend auf den Markt vorbereitet, auf demsie sich später behaupten müssen?

Ich glaube, wenn jemand wirklich von seiner Idee über-zeugt ist, spürt man das an der Art, seinen Entwurfvorzutragen. Auch wenn seine Rede technisch vielleichtnicht die beste Art ist und er zu langsam spricht oder zulange braucht, um einen Gedanken zu formulieren. Aberman spürt, dass da eine Seele in dem Gedanken ist, dener äußern will. Das ist die wichtigste Voraussetzung, umein Studium erfolgreich zu absolvieren. Ich glaube nicht,dass man die Studierenden früh schulen muss, um aufdem Markt zu bestehen. Das wird jeder früher oderspäter im Berufsleben erfahren – nicht als Studierender.In den Gremien an der Hochschule, in denen alle Profes-soren vertreten sind, müssen die Studenten auch über-zeugen, auch das ist eine Leistung.Wichtig ist meines Erachtens, dass wir die Studierendensehr früh darauf vorbereiten, dass Architektur ein Berufist, der nicht nur aus schönen Seiten besteht, sondern indem man auch viele Niederlagen erlebt. In einem Wett-bewerb mit 20 Teilnehmern kann nur einer gewinnen.Die anderen 19 erleben eine Niederlage. Das wirdArchitekten immer wieder und wieder so passieren. Es isteine Erfahrung, die man bereits während des Studiumsmacht. Es gibt nur wenige Arbeiten, die das höchsteNiveau erreichen und die eigene muss nicht unbedingtdazu gehören. Man darf also die Studierenden nicht miteiner Illusion ins Berufsleben schicken.

Haben die deutschen Architekturstudentendas Ausmaß der Globalisierung überhaupt schonbegriffen?

Wir können das nicht überblicken, weil wir nicht wissen,was kommt. Aber das ist auch gar nicht notwendig.Lassen wir es auf uns zukommen. Das Studium ist sobreit gefächert, dass alle Möglichkeiten, sich nach demStudium weiter zu orientieren, gegeben sind. Das ist dasFaszinierende an dem Beruf Architektur. Es sind nichtnur die Entwerfer gefragt. Es sind verschiedenste andereBereiche mit abzudecken. Da wird jeder seinen Platzfinden. Kurzfristig ist wichtig: Sind die Studierendenausreichend vorbereitet, um die nächsten Jahre zu schaf-fen? Und das würde ich mit JA beantworten, sie habendie Globalisierung begriffen, vielleicht besser als wir.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 152

P RO F . S U S ANN E GROS S

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 153

Wie empfinden Sie als gebürtige Kölnerin dieStadtentwicklung von Köln?

Kölns Stadtentwicklung hat natürlich viel mit dem Kriegzu tun. Die Innenstadt war ja zu etwa 90 Prozent zerstört.Diese Tatsache prägt das Bild von Köln bis heute.Von daher kann ich verstehen, dass jemand, der vonaußen kommt, Köln als hässlich empfindet. Der BegriffSchönheit passt hier nicht. Die Grundvoraussetzungenfür eine „schöne“ Stadt, die Lagevorteile, sind allerdingsgegeben.

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KISTER SCHEITHAUERGROSSBüronamekister scheithauer gross architekten undstadtplaner GmbH

BüroinhaberProf. Johannes Kister, Prof. Susanne Gross,Reinhard Scheithauer

Gründungsjahr1992 Kister Scheithauer & Partner vonProf. Johannes Kister, Reinhard ScheithauerSeit 1997 Kister Scheithauer Gross Architekten undStadtplaner GmbH von Prof. Johannes Kister,Reinhard Scheithauer und Prof. Susanne Gross

Standorte der BürosKöln, Leipzig

Mitarbeiterca. 50

Profilkister scheithauer gross architekten und stadtplanerstehen für den intensiven Dialog von Ort und Typologie.Aus diesem übergeordneten Kontext entwickeln wiraus abstrakten Visionen konkrete Bauskulpturen, derenZeichenhaftigkeit Ort und Typus prägt.

Unser Aufgabenspektrum umfasst die Planung und Reali-sierung von Hochbauten, das Entwickeln städtebaulicherKonzepte sowie das Erstellen von Gutachten. Als verant-wortlicher Generalplaner wie auch als klassischer Archi-tekt in allen Leistungsphasen ist unser Buro seit nahezu20 Jahren erfolgreich im In- und Ausland tätig. Zurzeitarbeiten wir an unseren beiden Standorten in Köln undLeipzig mit einem Team von ca. 50 Mitarbeitern.

Die wichtigsten GebäudeDie Doppelkirche in Freiburg,das „Siebengebirge“ in Köln,der Masterplan für das Gerling-Areal in Köln,das Forschungsgebäude für Licht und OptischeTechnologien, kurz LION, in Bremen,das Translationszentrum für Regenerative Medizin,die Stadtbibliothek in Leipzig unddie Synagoge in Ulm.

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 154

Synagoge am Weinhof, Ulm

DLR-RY, Bremen

Foto:ChristianRichters

Foto:ChristianRichters

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Synagoge am Weinhof, Ulm

Speichergebäude

Siebengebirge mit Silo, Köln

DLR-RY, Bremen

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 155

Foto:ChristianRichters

Foto:ChristianRichters

Foto:ChristianRichters

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schneider+schumacher |architektenProf. Michael Schumacher

Professor Michael Schumacher (Jahrgang 1957)studierte Architektur an der Universität Kaiserslauternund der Frankfurter Städelschule bei Peter Cook.Bevor er 1988 mit Till Schneider schneider+schuma-cher gründete war er freier Mitarbeiter bei Sir Nor-man Foster in London. Michael Schumacher lehrteals Gastprofessor an der Städelschule, seit 2007 hater die Professur für Entwerfen und Konstruierenan der Fakultät für Architektur und Landschaft derLeibniz Universität Hannover inne. Von 2004 bis 2009war Michael Schumacher Landesvorsitzender desBundes Deutscher Architekten (BDA) Hessen.Zusätzlich zum Hauptsitz in Frankfurt am Main, istdas Büro auch in Wien (Österreich) und Tianjin(China) vertreten. Seit 2008 besteht das Büro ausverschiedenen Gesellschaften. Zu den Aufgabengehören Architektur, Bau- und Projektmanagement,Städtebau, Design, Parametrik sowie Kinetik.

Neben preisgekrönten städtebaulichen und archi-tektonischen Projekten wie dem Westhafen Areal inFrankfurt, zählen zu den jüngsten und prominen-testen Beispielen die spektakuläre Erweiterung desStädel Museums sowie die sensible Sanierungdes Silvertowers beide ebenfalls in Frankfurt.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 156

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Dasselbe, was Architektur zu allen Zeitenleisten sollte, dauerhaft und schön soll sie sein.Das ist unsere Definition für Nachhaltigkeit.Allerdings steht zu befürchten, dass etlicheGebäude, die sich auch mit Hilfe vieler Zertifikate

dieses Label sichern, dies in Wirklichkeit in keiner Weise erfüllen.Architektur ist weit mehr, als sich in komplizierten Tabellenpro-grammen mit eindimensionalen Zahlenwerten ausdrücken lässt.Das macht Sie auch so spannend.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 157

WAS MUSSARCHITEKTUR

HEUTELEISTEN?

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 158

GROHE: Bedarf es Veränderungen in der Architektur?

Prof. Michael Schumacher: Architektur erfordertständige Veränderung und Weiterentwicklung, sei esaufgrund von geänderten Erfordernissen oder aufgrundneuer Materialien oder Konstruktionsmethoden.Heute beschäftigen wir uns besonders mit dem wichti-gen Thema der Nachhaltigkeit. In Bezug auf Architekturmeint dies, den städtischen verdichteten Raum, in demMenschen leben, angemessen zu gestalten. Für uns hatNachhaltigkeit beim Bauen nicht im Wesentlichen mitDämmstoffen, Heizungsbrennern oder Solarkollektorenzu tun. Unser Ziel ist es, Städte mit relativ hoher Dichteund guter Aufenthaltsqualität zu entwickeln. Das sindVeränderungen, die vorangetrieben werden müssen. Pla-kativ gesagt heißt das, wir müssen uns eigentlich wiederdem Modell einer mittelalterlichen Stadt annähern. Siewar kompakt mit einer Mauer umgeben, um die Leute zuschützen. Kompaktheit sollten wir auch anstreben, denndurch sie sind Ressourcen zu sparen. Es ist vorrangigeine architektonische Aufgabe, Raum zu organisieren.

Architektur ist also ein dynamischer Prozess?

Sicherlich ist das so. Seitdem sich der Begriff Nachhaltig-keit etabliert hat, gibt es eine ganze Reihe von weitge-hend technischen Lösungsansätzen. Das greift nachmeiner Meinung häufig zu kurz und führt teilweise zuabsurden Lösungen. In den Alpen stehen sehr durch-dachte Häuser, die aus den Materialien ihrer unmittelba-ren Umgebung errichtet wurden und die mir erheblichnachhaltiger erscheinen, als viele unserer Versuche,etwa durch abstrus voluminöse Wärmedämmungenlanglebige Häuser zu errichten.

P RO F . M I C HA E L S CHUMACH E R

ARCHITEKTUR ISTIMMER EIN TANZ MITFESSELN!

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 159

Wir sprechen von Nachhaltigkeit im Sinne vonLanglebigkeit. Andererseits beobachten wir einesukzessive Abnahme der Halbwertszeit vonImmobilien. Wie beurteilen Sie die Situation?

„Dauerhaft und schön“, das ist unsere einfache Definitionvon Nachhaltigkeit. Wenn es nicht schön ist, warum soll-ten wir damit leben wollen, und dauerhaft, das verstehtsich eigentlich von selbst.Es sind im Wesentlichen zwei Faktoren, die die Halbwert-zeit von Immobilien bestimmen. Erstens die Materialquali-tät und zweitens der Grad an Neutralität in der Nutzung.Soweit wir das beobachten können, werden Häuserabgerissen und ersetzt, wenn man mit ihnen nichts mehranfangen kann, weil sie marode sind oder weil sich heutegewünschte Raumkonzepte nicht realisieren lassen.Etwas größere Geschosshöhen erscheinen sinnvoll, dasie viel Freiheit im Laufe der Jahrzehnte bieten. Materia-lien wie Steinfassaden, gut detaillierte und ausgeführteGlasfassaden können langfristig erhalten werden. Ichfürchte allerdings, dass Wärmedämmverbundsystemewenig zur Dauerhaftigkeit beitragen.

Schlägt sich die Bewertung von ArchitekturIhrer Meinung nach heute zu sehr in Energie-kennzahlen nieder?

Das ist so. Nachhaltigkeit auf die Ingenieurwissenschaf-ten bezogen ist nicht gleich Nachhaltigkeit in Bezug aufdie Architektur. Rom beispielsweise ist eine ziemlichnachhaltige Stadt, sie existiert schon recht lange undman fährt immer wieder gerne hin. Aber man könnte dasniemals in einer DGNB-Zertifizierung nachweisen. Wasich sagen will: Der emotionale Wert der Architektur lässtsich nicht durch Zertifizierungen abbilden.

Stehen Sie dem DGNB-Siegel somit eherkritisch gegenüber?

Nein nicht generell, das DGNB-Siegel ist eines von denbesseren Hilfsmitteln, um das Bauen zu verbessern, aberes garantiert nicht automatisch nachhaltige Architektur.

Was schön ist, das lieben wir. Aber Schönheitwird oft in der gegenwärtigen Architekturdiskussionvernachlässigt.

Schönheit hat den Nachteil, dass man sie nicht tabella-risch beweisen kann. Andererseits ist sie aber auch nichtvöllig subjektiv. Wenn sie Leute fragen, welche Stadtsie lieber besuchen würden, dann wollen wahrscheinlichmehr Leute nach Nürnberg als nach Bochum, weilNürnberg die „schönere“ Stadt ist. Aber wie definiertsich das? Schönheit setzt eine umfangreiche Diskussions-und Bewertungsbereitschaft voraus.

Welche Städte sind für Sie besonders schönund nachhaltig?

Barcelona, Paris, New York, Rom … natürlich auch nichtüberall. Gemeint ist ja häufig der Innenstadtbereich.Ich war gerade in Heidelberg, das ist auch eine schöneStadt. Mir gefällt auch Frankfurt sehr gut, eine Stadt, diesich in den letzten 25 Jahren sehr positiv entwickelt hat.In schönen Städten spürt man eine Art „Spirit“, eineEigenheit, die man als Gesamtgestaltungskriterium wahr-nehmen kann und die Identifikation ermöglicht.

Wie empfinden Sie die Entwicklung von Berlin?

Herr Stimmann hat in seiner Zeit als Planungsdezernentder Stadt insgesamt ein paar vernünftige Richtungenvorgegeben. Darunter fallen beispielsweise die Beibehal-tung des alten Stadtgrundrisses sowie die Einhaltungder Traufhöhen im Innenstadtbereich.Trotzdem sind die Leute nicht so begeistert von dem,was in den Jahren des Wiederaufbaus dort entstand.Die Bauten, die die Traufhöhen respektieren, wirken wieschmucklose Gründerzeitbauten und enttäuschen häufigdurch ihre Kühle. Die spektakulären Bauten etwa amPotsdamer Platz überzeugen mehr im Inneren als imStadtraum. Wirklich furchtbar finde ich den LeipzigerPlatz – die Gebäude schaffen es einfach nicht, dieeigentlich phantastische achteckige Grundstrukturüberzeugend zu fassen.

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Scharfe Stimmen behaupten, Berlin sei architekto-nisch hüfttief in der Architektur des 19. Jahrhundertsstehen geblieben. Das würden Sie so sehen?

Das würde ich so pauschal nicht unterschreiben. DerPotsdamer Platz, auf dem unsere Info-Box gestanden hat,ist offensichtlich ein Berlin des 20. Jahrhunderts. Es stelltsich die Frage nach der Qualität, die sie bietet. Berlin isteine flächenmäßig sehr große Stadt, man muss in ihrOrte mit unterschiedlichen Identitäten schaffen. Was solldenn die Stadt des 21. Jahrhunderts sein? Städte sindschon immer da, wir bauen stetig weiter. Dabei stoßenwir immer auf bestimmte Ecken, die atmosphärisch viel-leicht gänzlich unterschiedlich sind, aber letzten Endeszu einem stimmigen Gesamtbild beitragen.

Die Deutsche Bahn stellt derzeitig sukzessiveauf regenerative Energien um, was das Zugfahrenallerdings nicht teurer macht. Warum kostetNachhaltigkeit in der Architektur Geld und beimZugfahren nicht?

Stimmt das wirklich, was Sie mir da sagen? Vielleichthat die Bahn Kompensationspotenziale durch wachsendeFahrgastzahlen. Wie dem auch sei, beim Bauen ist dieFrage nach den Kosten sehr an den Betrachtungszeit-raum gekoppelt. Wenn Sie 50 Jahre als Renditezeitraumnehmen würden, würde Nachhaltigkeit in der Architekturauch kein Geld kosten. Wählen Sie einen Zehnjahreszeit-raum und vergleichen dann ein Wärmedämmverbund-system mit einer dauerhafteren Lösung, dann kostetletztere mehr.Es ist doch wirklich keine Frage, dass der Weg nur inRichtung regenerative Energien führen kann. Die Erdewird wärmer, es tauchen zunehmend Probleme auf.Fahren sie nach China, können sie dort vor lauter Abga-sen die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Die Frage istnur, was die richtigen Mittel sind, um verantwortungsvollmit der Umwelt umzugehen. Ist es etwa das Passivhausmit der nicht konzeptbedingten, aber in der Praxiswahrscheinlichen Folge unsinniger Styropor-Orgien oderfinden wir sensible Konzepte, um den Häuserbestandsukzessive zu verbessern?.

Einer Ihrer Kollegen äußerte neulich in einemInterview, Architekten der Gegenwart hätten eigent-lich versagt, denn die beliebtesten und teuerstenHäuser auf den Immobilienmärkten seien die Häuseraus dem 19. Jahrhundert. Finden Sie diese Kritikan Ihrem eigenen Berufsstand angebracht?

Ich könnte einige Gegenbeispiele nennen. Es gibtmoderne Häuser, die mit Sicherheit genauso beliebt sindwie die Häuser aus dem 19. Jahrhundert.Ein Unterschied ist für mich offensichtlich: Die Schönheiteines Hauses scheint in anderen Jahrhunderten einegrößere Rolle gespielt zu haben. Nur das erklärt die grö-ßeren Geschosshöhen oder die aufwendigere Gestaltung.Unsere eindimensional, wirtschaftlich optimierte Haltungzum Leben trägt in meinen Augen weit mehr Schuldals unsere Zunft.

schneider+schumacher hat sich innerhalbder Architektenschaft als Marke positioniert.Wie würden Sie Ihre Marke beschreiben?

Architektur gehört zur Landschaft, zum Ort und zur Kul-tur, in der sie errichtet wird. Das ist unsere Haltung zumBauen, und die prägt unsere Art zu planen. Wir entwik-keln für jedes Projekt eine Entwurfsstrategie. Offensicht-lich ist das so überzeugend, dass das als Markewahrgenommen wird. Das freut uns.

Und wie lautet diese Strategie?

Die Strategie ist natürlich unterschiedlich. Der Entwurffür eine Info-Box erfordert eine andere Strategie als füreine Städel-Erweiterung. Die Strategie ist immer geprägtvon einer Suche nach etwas Besserem und nach einemoriginären Ausdruck, der aber nicht unbedingt laut, alsooptisch auffällig sein muss. Wir glauben, dass es demgroßen Teil von Gebäuden gut tut, im Gesamtgewebeselbstverständlich zu erscheinen und dabei qualitätvollzu sein.Ich glaube, wir haben eine spezielle Art, mit kulturellenund örtlichen Zusammenhängen umzugehen. Selbstver-ständlich, aber häufig doch unkonventionell. Wir nennendas „Poetischen Pragmatismus“.

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GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 160

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Architektur kann mitunter eine überaus langwierigeund kräftezehrende Angelegenheit sein. Mit welchemGefühl schauen sie beispielsweise auf den Umbauund die Erweiterung des Städel Museums zurück?

Das Städel war eine sehr erfolgreiche und harmonischeBaugeschichte. Wir haben innerhalb des Budgetrahmensund in verhältnismäßig kurzer Zeit ein ausgesprocheninnovatives und baulich sehr ambitioniertes Museumerrichtet. Der Bauherr und wir sind glücklich mit demVerlauf und dem Ergebnis.

Und zu wie viel Prozent ist es so geworden, wieSie es geplant haben?

Zu 100 %.

Was ist für Sie die Hauptaufgabe der Architektur?Sie muss Funktion erfüllen, sie muss sich harmo-nisch in die Umwelt einfügen. Im Zusammenhangmit dieser Frage: Wie empfinden Sie beispielsweisedas Museum Ihres ehemaligen Lehrers Sir PeterCook in Graz? Kritische Stimmen behaupten, essei eine Anbiederung an den Zeitgeist.

Oscar Niemeyer lernte ich kennen, da war er weit über90 Jahre alt. Sein Credo war, dass es gute und schlechteArchitektur gibt und genauso ist es. Peter CooksGebäude gehört zu den Guten. Zeitgeist hin oder her.

Wer ist der Richter?

Ich schlage vor, ich (lacht) oder andere Leute, die etwasvon der Sache verstehen. Ich will damit Folgendes sagen:Ich finde das Museum in Graz prima, ein „friendly alien“,wie es genannt wird. Es geht nicht um Grundsatzfragen.Es geht um Qualität in der Gesamtbewertung.

Aber meinen Sie nicht, dass sich Architektur beieinem Museum eher zurückhalten sollte?

Das finde ich überhaupt nicht. Ein Museum hat immereine Doppelaufgabe zu erfüllen. Einerseits einen Raumfür Ausstellungen zu bieten und andererseits ein schönesObjekt für sich zu sein. Ich halte nichts von der Idee desgestaltlosen „White Cube“, ganz abgesehen davon,dass es so etwas gar nicht geben kann.

Der Eiffelturm hat ja auch keine Doppelfunktion.Die Kunst sollte der „hero“ sein und nicht umge-kehrt. Wenn die Wände so schief gestaltet werden,dass die Bilder nicht hängen können, dann ist dieArchitektur nicht wirklich die Lösung.

Grundsätzlich entwickelt sich gute Architektur auspraktischen Erfordernissen. Aber in unserer medialgeprägten Gesellschaft scheint es an bestimmten Ortenrichtig zu sein, den Begriff der Funktionalität auf andereGesichtspunkte zu erweitern. Bilbao, Cooks Museumin Graz und auch unsere Städel-Erweiterung folgen inTeilen dieser Kommunikationslogik.

Was ist Ihr Lieblingsprojekt, das Sie mitHerrn Schneider seit Ihrer Selbständigkeitgeschaffen haben?

Für uns war und ist die Info-Box ein wichtiges Projekt,da haben wir einen historischen Zeitpunkt unserer deut-schen Geschichte in einen Entwurf hineingepackt. Vielesagen, die Info-Box war das Gebäude, das die Wieder-vereinigung baulich repräsentiert hat.Die Erweiterung des Städel Museums ist für uns natürlichganz wichtig. Das Museum ist ein Zauberding zwischenunscheinbarer Selbstverständlichkeit und starker Bildhaf-tigkeit. Das ist der Spirit, den wir lieben.An der A 45 bei Wilnsdorf errichten wir gerade eineAutobahnkirche. Die Aufgabe und das Objekt sind sospannend, das fasziniert uns momentan auch sehr.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 161

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Was sind für Sie als Architekt die größtenProbleme, mit denen Sie sich im Alltag auseinander-setzen müssen?

Architektur ist immer ein Tanz mit Fesseln. Die Fixierungauf eindimensionale Parameter beim Bauen, die vieleder Baubeteiligten häufig über komplexe Abwägungenstellen, kann manchmal ziemlich nerven.

Deutsche Architekten haben teils internationalden Ruf, zu schnell zu finden, zu wenig zu suchen.Deshalb gäbe es auch so wenig Innovatives anFormensprache, was aus unserem Land käme.Wie stehen Sie dazu?

Da bin ich anderer Meinung. Wer sagt denn, dass dieseswilde nach Formen suchen für die Architektur taugt?Ich finde, wir deutschen Architekten sind unterbewertet.

Was raten Sie heute Ihren Studenten für dieZukunft? Die Anforderungen an die Architektenhaben sich verändert, aber die Ausbildung hatsich nicht wirklich verändert.

Gott sei Dank! Ich glaube, dass die fünf Jahre Ausbildungmit dem Ziel, einen Spezialisten für das Allgemeine aus-zubilden, – Herr von Gerkan hat das so in etwa treffendbezeichnet – sehr gut sind.Architektur behandelt die Organisation des Raumeszum größten Nutzen und zum größten Vergnügen derBewohner und dem geringsten Aufwand in Errichtungund Unterhaltung. Dazu benötigt man Wissen über dieGrundtypologien des Bauens und darüber, wie manDinge zusammenfügt, die Konstruktion eben. Das sinddie wesentlichen Faktoren. Wenn man das begriffen hat,geht es sowieso mit „lifelong learning“ weiter.Den Studenten rate ich, die Welt genau anzuschauen,ihren Wünschen und Phantasien im Studium Raum zugeben (sie im Gespräch mit Erfahrenen zu verteidigenund zu entwickeln), viel zu reisen und zwischenBachelor und Master in guten Büros zu arbeiten.Und dann ist die Zeit ja auch schon vorbei.

Sind sich die Deutschen des Ausmaßes derGlobalisierung bewusst?

Können wir uns eines Prozesses, der uns einfachmitreißt, überhaupt bewusst sein? Aber ich möchte nichtphilosophisch werden.Sie meinen, ob die deutschen Architekten genug aminternationalen Geschäft teilhaben? Wir tun uns etwasschwerer als andere Nationen. Die englischsprachigenwaren immer etwas im Vorteil, aber wir holen auf.

Deutsche Architekten bauen in China ganze Städte,deutsche Architekten sind auch bei der Planung derWM in 2022 zu Gange. Beim Umbau des StuttgarterHauptbahnhofs hingegen kam es zu bürgerkriegs-ähnlichen Zuständen. Ist unsere Gesellschaft einwenig zu wohlstandsverwöhnt geworden?

Es stimmt, wir drohen durch Lamentieren zum Stillstandzu kommen. Da macht das Planen in China oft wirklichFreude, weil es zügig voran geht. Auf der anderen Seitehat unsere Diskussionskultur und Differenziertheit fürmich einen sehr hohen Wert.Die Herausforderung der Zukunft für uns in Deutschlandliegt darin, Diskussionsformen für komplexe Themenzu finden, die zeitlich und räumlich offen, aber auch prag-matisch begrenzt sind. Das Ziel sollte sein, Problematikenmit allen Aspekten zu beleuchten, zu diskutieren unddann Entscheidungen zu treffen, die sich umsetzenlassen.

Liegt es auch daran, dass man der Bevölkerungdie Notwendigkeit von Großprojekten nicht richtiggut vermittelt?

Was bedeutet richtig vermitteln? In Stuttgart waren dieBürger ja nicht zu spät eingeschaltet. Alle legitimenVerfahren und die Offenlegung sind über 10 bis 15 Jahregelaufen, sie wurden nur nicht zur Kenntnis genommen.Aber es stimmt schon, die langen Zeiträume machen esschwer, sich auf die wesentlichen Gedanken zu konzen-trieren. Die Medien haben natürlich auch einen Anteildaran, dass untergeordnete Einzelaspekte plötzlich alssehr wesentlich erscheinen, wenn Sie etwa durch einenbekannten Schauspieler vorgetragen werden.Wie gesagt, das wird der Prüfstein für die Kommunikati-onskunst des 21. Jahrhunderts in Europa sein: Wie findeich Wege, Komplexität zu vermitteln und zu akzeptiertenEntscheidungen zu gelange?

P RO F . M I C HA E L S CHUMACH E R

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 162

Page 162: WAS ARCHITEKTUR HEUTELEISTEN MUSS - bauberufe.eu · GESPRÄCHSSTOFFARCHITEKTUR Seite8 BaumschlagerEberle Prof. DietmarEberle ProfessorDietmarEberle(Jahrgang1952)wurde inHittisau,Bregenzerwald,Vorarlberggeboren

Sind in unserem föderalen System die Kompetenzenzu sehr zersplittert? Der Flughafen BER Berlin Bran-denburg ist ja auch so ein Desaster!

Ich nehme an, dass es für Großprojekte eine andereKoordinierungsstruktur braucht als für andere Projekte.Das föderale System, was für einen normalen Bauantragrichtig ist, ist wahrscheinlich bei Großprojekten nichtmehr anwendbar.Aus meiner praktischen Erfahrung weiß ich allerdingsauch, dass es schon wirklich helfen würde, wenn Bespre-chungen nicht dazu dienen, um sich zu treffen, sondernum etwas zu entscheiden und dann dazu auch zu stehen.Vielleicht geht es im Kern um solche Dinge.

Sind Sie der Meinung, dass unser gängigesPlanungs- und Baurecht noch den gesellschaftlichenAnforderungen entspricht?

Das Planungs- und Baurecht stammt aus industriellenZeiten, bei denen die Trennung von unvereinbaren Nut-zungen sehr wichtig war. Das hat sich wirklich verändert.Mir scheint, dass da Handlungsbedarf besteht.

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 163

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SCHNEIDER+SCHUMACHER |ARCHITEKTENBüronameschneider+schumacher I architekten

BüroinhaberTill Schneider, Michael Schumacher

Gründungsjahr1988 von Till Schneider und Michael Schumacher

Standorte der BürosFrankfurt am Main, Wien, Tianjin (China)

Mitarbeiter120

Profilschneider+schumacher ist unter einem Dachin einzelnen Gesellschaften organisiert, die engmiteinander kooperieren: Architektur, Bau- undProjektmanagement, Design, Kinetik, Parametrik,Städtebau.

Die wichtigsten GebäudeErweiterung Städel Museum;Autobahnkirche Siegerland,Sanierung Silvertower;Fronius Forschungs- und EntwicklungszentrumWesthafen TowerERCO HochregallagerBRAUN HauptverwaltungInfo-Box Berlin.

P R O F I L

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 164

Foto:KirstenBucher

Sanierung und Umbau

Silvertower, Frankfurt

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Erweiterung Städel Museum, Frankfurt

Autobahnkirche Siegerland

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 165

Foto:NorbertMiguletz

Foto:HelenSchiffer

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Herausgeber: Grohe Deutschland Vertriebs GmbHZur Porta 9, D -32457 Porta Westfalicawww.grohe.de

Konzept und Realisation: Sabine GotthardtDirector Business Development Architecture & Real EstateGROHE Deutschland Vertriebs GmbHTelefon: 08153 984756Mobil: 0175 5881228E-Mail: [email protected]

Mitarbeiter im Team: Sylvia Wengler, Key Account Manager NordBusiness Development Theresa Geyer, Junior ManagerArchitecture & Real Estate:

Gestaltung: Gerhard Schielein, Königsdorf

I M P R E S S U M

GESPRÄCHSSTOFF ARCHITEKTUR Seite 167

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GROHE Deutschland Vertriebs GmbHZur Porta 9D 32457 Porta WestfalicaTelefon +49 (0) 571 3989333Telefax +49 (0) 571 3989999www.grohe.de

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