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Detecon Management Report 2 / 2015 dmr Transformation & Peoplemanagement Special Interviews mit Thomas Sattelberger Wir können zwar effizient, aber nicht innovativ Prof. Thomas Edig, VW AG HR ist ein starker Partner Dietmar Welslau, Deutsche Telekom AG Future Work verantworten wir gemeinsam Thorsten Unger, GAME e.V. Spieltrieb motiviert digitales Lernen Frank Kohl-Boas, Google Data beats Opinion – bei Google zählt das bessere Argument Uwe Tigges, RWE AG Flexibel auf individuelle Lebenskonzepte eingehen

DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

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Page 1: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

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2015

Detecon Management Report

2 /

2015

dmr

Transformation &Peoplemanagement

Special

Interviews mit

Thomas Sattelberger Wir können zwar effizient, aber nicht innovativ

Prof. Thomas Edig, VW AGHR ist ein starker Partner

Dietmar Welslau, Deutsche Telekom AGFuture Work verantworten wir gemeinsam

Thorsten Unger, GAME e.V.Spieltrieb motiviert digitales Lernen

Frank Kohl-Boas, GoogleData beats Opinion – bei Google zählt das bessere Argument

Uwe Tigges, RWE AGFlexibel auf individuelle Lebenskonzepte eingehen

Detecon ist die Heimat für Beraterinnen und Berater, die über den Tellerrand hinausschauen. Tunnelblick oder gar Karriere-Egoismus helfen nicht, den digitalen Wandel für alle Industrie- und Dienstleistungssektoren global zu gestalten. Unsere Kultur gibt Freiheiten, Möglichkeiten und auch Zeit, sich voll zu entfalten und ein echter Detecon- Consultant zu werden. Das gilt für die Arbeit an allen Firmenstandorten weltweit, genauso wie für das Leben zu Hause. Neugierig? Wir freuen uns auf Deine Bewerbung.

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Wanted:Digital Minds

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Page 2: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

Liebe Leserinnen und Leser,

wir bewegen uns in exponentiellen Zeiten. Brynjolfsson und McAfee, die Autoren von „The 2nd Maschine Age“, nennen es in Analogie zur Geschichte um den Erfinder des Schachbretts „die zweite Hälfte des Schachbrettes“. Sie erklären damit die technologische Bedeutung des Moore’schen Gesetzes, nach dem sich die Rechenleistung eines Computers alle 18 Monate ver-doppelt. Im Zuge dieser rasanten Entwicklung gibt es tatsächlich nahezu kein Produkt mehr, in das nicht ein Chip oder moderne ICT-Technologie einfließt – vom „analogen Dollar“ zum „digitalen Penny“. Gleichzeitig erobern Innovationen und Geschäftsmodelle dank der Netz-effekte immer schneller neue Märkte. Die Innovationsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich laufend neu zu erfinden und bestehende Technologien intelligent zu neuen Produkten zu kombinieren, dabei schneller zu sein als alle anderen, wird überlebensnotwendig. Auf in die „winner takes it all society“! Unternehmen benötigen die besten Talente und ein auf maximale Geschwindigkeit ausgelegtes Umfeld – andernfalls droht der Abfall in die Bedeutungslosigkeit.

Aus Start-up-Sicht mag dies eine zu bewältigende Herausforderung darstellen. Doch was bedeutet diese Anforderung für „die alten Tanker“ und Großkonzerne, die auf „Legacy-Strukturen“ beru-hen und so gar nicht innovativ scheinen, sondern bisher eher dem Trend nach kompromissloser Effizienzsteigerung gefolgt sind? Wir suchen nach Möglichkeiten, wie es auch ihnen gelingen kann, das Kreativitätspotenzial der eigenen Mitarbeiter im Wettbewerb zu nutzen, und unter-suchen, welche Rolle die HR-Funktion in diesem Umfeld spielen kann und muss.

In gewohnter Form beziehen wir nicht nur selbst Stellung, sondern lassen hochkarätige Experten und Topmanager von ihren Erfahrungen berichten und diskutieren mit ihnen Fragen wie:

> Fehlt uns in Deutschland die Fähigkeit zur Basisinnovation und werden wir dadurch mittelfristig abgehängt?> Was sind die Ingredienzen einer erfolgreichen und nachhaltigen Innovationskultur und wie komme ich dort hin? > Wie sieht ein geeignetes Arbeitsumfeld – Stichwort Future Work – aus? > Wie nutze ich Gamification- und Serious-Gaming-Ansätze, um dem Anspruch auf „lebenslanges Lernen“ endlich gerecht werden zu können?> Welche Leadership-Skills sind für nachhaltige Innovationen erforderlich und was können wir hier beispielsweise von den USA lernen?> Wie sollte sich zukünftig der HR-Bereich aufstellen, um Strategie und Innovationen zu unterstützen?

Begeben Sie sich gemeinsam mit uns auf eine spannende Reise rund um ICT, Innovation und die Bedeutung des Faktors „Mensch“! Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und viele praktische Impulse für die digitale Transformation Ihres Unternehmens.

Ihr

Marc WagnerPartnerGlobal Head Transformation, Peoplemanagement & HR

Transformation= Peoplemanagement

1 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Page 3: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

2 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Inhalt

Herausgeber:Detecon International GmbHSternengasse 14-1650676 Köln

[email protected]

Aufsichtsrat:Thilo Kusch (Vorsitz)

Geschäftsführung:Francis Deprez (Vorsitz)Dr. Jens NebendahlHandelsregister: Amtsgericht Köln HRB 76144 Sitz der Gesellschaft: Köln

Druck:Druckerei Chmielorz GmbHOstring 1365205 Wiesbaden-Nordenstadt

Fotos:FotoliaiStockphoto

Impressum:

Detecon Innovationsradar

10 Hypothesen zur Innovation 4

Interview mit Thomas Sattelberger

Wir können zwar effizient, aber nicht innovativ 8

Innovationskultur

Einmal Innovation mit viel Potenzial – 18aber bitte effizient & rentabel!

Interview mit Tom Oliver, Tom Oliver Group

Spaßbremse Arbeit?! 24

Unternehmenskultur

Das Mehr an Möglichkeiten und Ideen 30

Interview mit Jürgen Bock, Otto Group

Eine starke Unternehmenskultur ist wie ein Immunsystem 32

Corporate Social Responsibility

Nachhaltigkeit@British Telecom 38

Interview mit Uwe Tigges, Personalvorstand RWE

Flexibel auf individuelle Lebenskonzepte eingehen 42

Interview mit Dietmar Welslau, Deutsche Telekom AG

Future Work verantworten wir gemeinsam 48

Interview mit Daniel Eckmann, Detecon International GmbH

Leadership ist losgelöst von der Hierarchie 54

Tranformation im Konzern

Die Konzern-Guerilla 58

Interview mit Dr. Thymian Bussemer, VW AG

Ver.di und Silicon Valley sind kein unauflösbarer Widerspruch 62

Interview mit Georg Pepping, T-Systems International GmbH

Die Peripherie um’s Kerngeschäft im Auge behalten 66

Page 4: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

3 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Digitale Transformation im HR-Management

Are you ready for the digital world? 72

Interview mit Prof. Thomas Edig, VW AG

HR ist ein starker Partner 76

Effiziente HR-Prozesse

Pooling oder Automatisierung? 80

Interview mit Dr. Claus Peter Schründer, Deutsche Telekom AG

Standardisierung und Intelligenz sind in Zukunft gefragt 84 Digitales HR-Management

Chancen und Herausforderungen für eine neue 90Generation HR-Managementsysteme

ITIL trifft Cloud

Reality Check für den Betrieb einer HR-Cloud-Lösung 94

HR-IT-Architektur

Blaupause für die HR-IT-Architektur 98

Interview mit Frank Kohl-Boas, Google

Data beats Opinion – bei Google zählt das bessere Argument 102

Interkulturelle Führung

Der erste Eindruck ist entscheidend 108

Interview mit Thorsten Unger, GAME Bundesverband der deutschen Games-Branche e.V.

Spieltrieb motiviert digitales Lernen 112

Implementierung eines integrierten Skill- und Ressourcenmanagement Tools

Agiles und konventionelles Projektmanagement 120erfolgreich kombiniert

Smart Sourcing

Wie Unternehmen an gesuchte Skills gelangen und 124 zukunftsfähig bleiben

Page 5: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

4 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Innovativität kann an jeder Stelle eines Unternehmens beginnen. Unsere 10 Hypothesen zeigen, dass Querdenken, Mut zu Zukunftsvisionen und eine Portion Dreistigkeit die Zutaten für ein Rezept zur Transformation ganzer Branchen sind.

Detecon Innovationsradar

10 Hypothesen zur Innovation

Page 6: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

5 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Tut mir leid, aber an Innovationen

führt kein Weg mehr vorbei – falls

das überhaupt je der Fall gewesen

sein sollte. In Zeiten, in denen Start-

ups nicht nur mit alteingesessenen

Unternehmen konkurrieren, son-

dern ganze Märkte aufmischen, ist

Innovation der einzige Ansatz für

nachhaltigen Erfolg. Wir brauchen

Prozess innovationen genauso wie

Service- oder Produkt innovationen.

Aber vor allem brauchen wir Innova-

tionen in den Bereichen Führung und Unternehmenskultur.

In Deutschland sind wir äußerst vorsichtig, wenn es darum

geht, neue Dinge herauszubringen, von denen wir glauben,

dass „die Zeit dafür noch nicht wirklich reif sei“. Während

wir noch überlegen, was man an einer Erfindung verbessern

könnte, legen Unternehmen in anderen Ländern einfach los

und schauen, wie die Märkte reagieren. Falls es Schwach-

stellen gibt, die korrigiert werden sollten, können Sie immer

noch mit einer Version 2.0 aufwarten. Und wenn Sie dann

noch die Außenwelt in den Prozess einbinden, kann es gut

sein, dass Sie bereits ein paar Kunden gewonnen haben!

Misserfolg wird immer als Gegenteil von Erfolg wahrgenommen. Viel-leicht ist unser Schullernsystem

daran schuld. Fakt ist aber, dass diese Auffassung in den meisten Unternehmen vorherrscht. Doch viele Beispiele – das Herausra-

gendste ist sicher die Entwicklung der Post-it-Aufkleber – zeigen: Der

Misserfolg ist einfach nur der erste Schritt zum Erfolg. Google stellt

sogar die Behauptung auf, dass das Unternehmen nicht ausreichend

innovativ und kreativ ist, wenn die Misserfolgsquote zu niedrig ist.

Natürlich ist nicht der Misserfolg

selbst das Entscheidende, sondern

die damit signalisierte Bereitschaft, etwas Neues zu probieren. Und

ohne Ausprobieren gibt es keine Innovation. So einfach ist das.

Große Unternehmen haben im Vergleich zu Start-ups und

kleinen Unternehmen mehr Schwierigkeiten, wenn es

darum geht, innovativ zu sein. Schnelle Entscheidungen und

die Möglichkeit, für ein paar Wochen einfach etwas Neues

auszuprobieren, scheitern in der Regel an Verwaltungs-

prozessen und hierarchischen Strukturen. Andererseits aber verfügen diese Unternehmen

über die Stabilität, Misserfolge auszugleichen, und über die

Ressourcen, Innovationen viel leichter als Start-ups zu

entwickeln. Der Fokus auf die Cash Cows ist für große

Unternehmen sicherlich wichtig, aber sie sollten mehr Ressourcen für das Forschen bereitstellen und diese beiden

Bereiche trennen. Denn den Forschern könnte es gelingen,

die Cash Cow der Zukunft zu entwickeln.

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NOV

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OR D

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2. JUST DO IT

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OF

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Page 7: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

Viele Unternehmer im Silicon Valley sind „Goodwill CEOs“, die im großen Stil planen und nicht nur das eigent-liche Produkt im Blick haben, sondern es als Schritt in Richtung eines großen Ganzen betrachten. Beispiele sind Elon Musk und seine Träume von der E-Mobilität (Tesla), Mark Zuckerberg mit seiner Vision einer vernetzten Welt und den Internetzugang für jeder-mann (internet.org) sowie viele andere, die nicht nur an einem Produkt arbeiten, sondern an weltverändernden Ideen. Wenn man eine Vision hat, die weit über das jeweilige Produkt oder den Service hinausgeht, kann man zum Beispiel über die konkrete Herstellung eines Automo-bils hinausdenken und Zukunftskonzepte für die Mobilität von morgen entwickeln. Das Planen im großen Stil ermöglicht es, die Komfortzone zu verlassen und Neuland zu betreten. Damit betreten wir den Bereich der Innovation.

Viele junge Mitarbeiter, die

gerade ihr Studium beendet

haben und am Anfang ihrer

beruflichen Karriere stehen,

haben viele Ideen und sind

an sinnstiftender Arbeit

interessiert. Sie sind voller

Energie und Änderungsdrang

und räumen ihren Jobs

große Priorität ein. Diese

Einstellung verflüchtigt

sich häufig während des

ersten Jahres, nachdem

sie Bekanntschaft mit einer

strikten Hierarchie, Befehlen

und Kontrollen gemacht und

festgestellt haben, dass sie

nicht als potenzielle Inno-

vatoren wahrgenommen

werden. Aber statt Talente

zu vernichten und junge

Mitarbeiter in Ihrem Unter-

nehmen zu enttäuschen,

sollten Sie sie fördern und

ernst nehmen. Denn was

sie brauchen, ist nicht viel:

Keine teuren Firmenwagen,

sondern nur eine Plattform,

auf der sie ihre Kreativität

ausleben können und die

ihnen das Gefühl vermittelt,

ernst genommen zu werden.

Das kann doch nicht so

schwer sein.

Wissen Sie, wann hierar-

chische Kontrolle innerhalb

der Corporate Governance

eine gute Idee war? Im

Industriezeitalter! Doch mit

dem Ende dieser Ära hat die

Fähigkeit der Märkte, uns zu

überraschen, enorm zuge-

nommen. Die Beschaffung

marktgerechter Produkte und

Dienstleistungen sowie eine

sehr gute Kenntnis über die

Bedürfnisse des Kunden

haben sich in puncto Markt-

erfolg zu den leistungs-

stärksten Tools entwickelt.

Mittleres Management,

Micromanagement und

Zentralisierung behindern die

Selbstorganisation ebenso

wie agile Strukturen, die in

einer Welt, in der sich dyna-

mische Änderungen voll-

ziehen, unverzichtbar sind.

Lassen Sie anhand von Mehr-

wert und Marktüberlegenheit

ermitteln, wer die Führung

hat, auch wenn der Aufstieg

– wie in der traditionellen

Wirtschaft üblich – nicht

über die Karriereleiter erfolgt.

Möglicherweise ist das ein

Ansatz, der Vielfalt in die Rie-

ge der Führungskräfte bringt

und damit unterschiedliche

Denkweisen fördert.

Danke, dass Sie es gemerkt

haben: Diese Aussage stammt

von Clayton M. Christensen,

der behauptet, dass ein Unter-

nehmen, das einmal sehr inno-

vativ und erfolgreich war, nie

wieder erfolgreich sein wird.

Etablierte und bedeutende

Unternehmen in Deutschland

ruhen sich meistens erst

einmal auf ihren Lorbeeren

aus. „Wir haben das

Automobil erfunden“

beschert Ihnen allerdings

keinen dauerhaften

Erfolg, wenn andere

Unternehmen, die das

Automobil nicht

erfunden haben, Sie

auf Ihrem Fachgebiet

übertreffen. Innovativ

zu sein, erinnert an

einen Seiltänzer, der

vom Seil fällt, wenn

er sich nicht dauerhaft

um die Balance bemüht.

Verfallen Sie nie dem

Glauben, an der Spitze

zu sein, sondern

nutzen Sie dieses

Erfolgsgefühl dazu,

sich noch mehr

anzustrengen.

Nur mit kontinuier-

licher Arbeit

schaffen Sie es,

dem Dilemma

der Innovatoren

zu entgehen.

5. CHANGE THE WORLD

7. THE

THING

ABOUT

HIERARCHY

6. DON’T

KILL THE

INNOVA-

TIVE SPIRIT

8. THE

INNOVATORS

DILEMMA

6 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Page 8: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

Danke, dass Sie es gemerkt

haben: Diese Aussage stammt

von Clayton M. Christensen,

der behauptet, dass ein Unter-

nehmen, das einmal sehr inno-

vativ und erfolgreich war, nie

wieder erfolgreich sein wird.

Etablierte und bedeutende

Unternehmen in Deutschland

ruhen sich meistens erst

einmal auf ihren Lorbeeren

aus. „Wir haben das

Automobil erfunden“

beschert Ihnen allerdings

keinen dauerhaften

Erfolg, wenn andere

Unternehmen, die das

Automobil nicht

erfunden haben, Sie

auf Ihrem Fachgebiet

übertreffen. Innovativ

zu sein, erinnert an

einen Seiltänzer, der

vom Seil fällt, wenn

er sich nicht dauerhaft

um die Balance bemüht.

Verfallen Sie nie dem

Glauben, an der Spitze

zu sein, sondern

nutzen Sie dieses

Erfolgsgefühl dazu,

sich noch mehr

anzustrengen.

Nur mit kontinuier-

licher Arbeit

schaffen Sie es,

dem Dilemma

der Innovatoren

zu entgehen.

Jedes Unternehmen verfügt über eine Menge an Wissen und Kreativität. Aber auch Kunden, Enthusiasten, Exper-

ten und Kreative wissen viel über Ihre Produkte oder Dienstleistungen. Interne und externe Transparenz sind zwei

Dinge, vor denen sich viele Unternehmen fürchten. „Gestern gab es noch eine Wand mit Tesla-Patenten in der Lob-

by unserer Unternehmenszentrale in Palo Alto. Doch das war gestern, inzwischen sind sie abgenommen. Im Geiste

der Open-Source-Bewegung wurden die Patente aufgegeben, um die Elektroautotechnologie zu fördern“, sagt Elon

Musk über Teslas Model S, dass das erste Open-Source-Auto von Teslas wird. Das ist sicherlich ein extremes Bei-

spiel. Wir beobachten jedoch, dass in vielen Unternehmen noch nicht einmal das interne Wissen mit den Mitarbei-

tern geteilt wird. Wer sagt, dass dem Ingenieur, der in der F&E-Abteilung arbeitet, eine bahnbrechende Innovation

einfällt? Auf diese Idee kann eine ganz andere Person kommen, an die Sie nie gedacht hätten. 9. DON’T BE AFRAID OF TRANSPARENCY

Auch wenn viele Faktoren die Innovativität eines Unternehmens beeinflussen, ist die Unternehmenskultur laut der

Forschung* bei Weitem der größte Treiber für Innovation. Es wurde ebenfalls festgestellt, dass die geografische Kultur

oder die Branche, in der das Unternehmen angesiedelt oder tätig ist, nur eine untergeordnete Rolle spielen. Unterneh-

men, die innovativ sind, verfügen im Kern über eine sehr ähnliche Unternehmenskultur. Natürlich ist eine bestehende

Unternehmenskultur nicht im Schnelldurchgang in eine innovativere umzuwandeln, weil dies ein langfristiger Entwick-

lungsprozess ist. Die gute Nachricht ist, dass mit jeder Entscheidung vom Leadership Development zum Portfolio-

Management, vom Mitarbeiter zum Topmanager, jeder einen Beitrag leistet und sich jede einzelne Entscheidung auf die

Unternehmenskultur auswirkt. Es gibt also viele Ausgangspunkte innerhalb eines Unternehmens. Fangen Sie klein an,

aber fangen Sie auf jeden Fall an.

* Gerard J. Tellis, Jaideep C. Prabhu, & Rajesh K. Chandy, 2009.

10. ITS ALL ABOUT THE CULTURE (FOR REAL )

Auch wenn diese 10 Hypothesen zur Innovation inhaltlich locker und eher ober-flächlich formuliert sind, gilt das auf keinen Fall für die Thematik. Große Unter-nehmen aus dem Silicon Valley sind begierig darauf, neue Märkte zu erobern, die auf den ersten Blick nichts mit ihrem Kerngeschäft zu tun haben. Stärke und Er-folg dieser Unternehmen basieren nicht nur auf ihrem Geschäftsmodell und dem Cashflow, sondern in erster Linie auf ihrer Unternehmenskultur.

Wir haben das Detecon Innovationsradar (DIR) entwickelt, um die Innovativität eines Teams, einer Abteilung oder eines ganzen Unternehmens zu messen. Damit unterstützen wir unsere Kunden auf dem Weg in die Zukunft: Wir helfen dabei, einen individuellen Weg zu finden und unterstützen die transformativen Bemü-hungen unserer Kunden, damit sie eine Innovationskultur etablieren können und in ihrem Geschäftsbereich sowie darüber hinaus weiterhin führend bleiben.

So – what is it going to be? ChangeDie

7 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Marc Wagner, Partner, und Elisa Voggenberger, Business Analyst, beraten Unternehmen zum Themenkreis Transformation & Peoplemanagement.

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8 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Interview mit Thomas Sattelberger

„Wir können zwar effizient, aber nicht innovativ“Thomas Sattelberger ist einer der weltweit profiliertesten Personalmanger. Wir hatten Gelegen-heit, mit ihm über die Zukunft der Deutschen Wirtschaft, die Auswirkung von Globalisierung und Digitalisierung auf Unternehmen sowie die Rolle, die der Personalbereich in diesem veränderten Kontext spielen sollte, zu diskutieren.

Page 10: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

9 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

trächtigkeit deutscher Firmen. Was also muss passieren? Ich glaube, viele Unternehmenslenker haben die Entwicklungen er-kannt, sie jonglieren schon elegant mit Phrasen wie „disruptiver Wandel“ und „Transformation“ des eigenen Unternehmens. Sie haben aber nicht verstanden, dass unser Problem nicht die Er-kenntnis ist und die rationale Vermittlung eben dieser, sondern der kulturelle Bruch mit tradierten Mustern. Erlauben Sie mir eine Randbemerkung: Die Erosion der Personalfunktion oder ihre Unfähigkeit, Kulturtransformation mit zu begleiten, spielt dem natürlich voll in die Hände.

DMR: Welche Rolle kann HR spielen, damit dem Predigen konkrete Aktivitäten in Richtung wettbewerbsfähige Unterneh-mensgestaltung folgen?

T. Sattelberger: Ich glaube, dass zuerst der Schmerz der Krise kommen muss, bis etwas geschieht. Erfolgsverwöhnte Unter-nehmen haben – auch wenn der Erfolg viele Jahre zurückliegt – diese Erfolgsverwöhntheit immer noch fest in ihrer Kultur verankert. Bis man realisiert „Wir sind nicht mehr erfolgreich“ tobt draußen schon ein Orkan und erst dann merkt die Or-ganisation, da stimmt etwas nicht mehr. Ich glaube, dass viele unserer erfolgsverwöhnten Großtanker, die mit Erfolg doch eher im letzten Jahrhundert verwöhnt wurden, heute durch eine ganz schwere Zeit fahren. „Sense of Urgency“-Initiativen, Quer-Denker-Schutz, Fehlertoleranz innerhalb moralischer Maßstäbe, Aufbrechen von Seilschaften und Seilschaftsdenke, Frühwarnradar für Talent und Innovation, Diversity-Politik wären einige präventive Maßnahmen.

DMR: Handlungsbedarf besteht also jetzt, da einigen Branchen diese Krise ja noch bevorsteht?

T. Sattelberger: Veränderungsimpulse kommen drastisch an. Rasches Handeln ist angesagt, am besten in der Blüte des Erfolgs! Laut einer Roland Berger Studie im Auftrag des BDI bescheinigen sich fast 70 Prozent der befragten 300 deutschen Industrieunter-nehmen geringe bis mäßige digitale Reife. Deutsche Unterneh-men sind überwiegend mittelständisch und die Studie zeigt, dass sich 45 Prozent der Unternehmen noch gar nicht mit der Digitali-sierung auseinander gesetzt haben! Und diejenigen Unternehmen, die auf dem Gebiet der Digitalisierung handeln, tun dies leider überwiegend mit dem Fokus auf Effizienz und Kosten, entwickeln jedoch keine neuen Geschäftsmodelle. Insofern ist die Herausfor-derung für den Mittelstand eine noch viel größere.

DMR: Wie lautet der Ausweg und von wem kann man ent-sprechend lernen? Wir haben den kulturellen Hintergrund eines asiatischen und amerikanischen Raums, die beide auf ihre Weise anders sind als Deutschland. Gibt es eine Chance, etwas auf die deutsche Wirtschaft zu übertragen?

DMR: Herr Sattelberger, wenn Sie über die Einordnung Deutsch-lands sprechen, benutzen Sie oft den Begriff der „Sandwich Posi-tion“ zwischen chinesischem Maschinenhaus und Digital House USA. Was meinen Sie damit, insbesondere wenn es um die Zu-kunftsfähigkeit von Deutschland im internationalen Kontext geht?

T. Sattelberger: Ich bin sprachlich bildhaft und radikal. Eine acatech spricht in ihrem Schlussbericht zum Thema „Smart Ser-vices“ davon, dass es bedrohliche Entwicklungen der digitalen Abkoppelung Deutschlands gibt und der Präsident des VDMA sagt dem Sinne nach: Der deutsche Maschinenbau ist zuneh-mend zu hochpreisig und overengineered. Das drückt genau mein Bild aus: Das Maschinenhaus China, das schnell gelernt hat und jetzt die Märkte Afrikas und zum Teil Südamerikas bedient, holt uns ein, und das eben nicht im overengineerten hochpreisigen Segment, sondern im Volumensegment. China ist ja inzwischen Exportweltmeister im Maschinenbau und man braucht nur zuzusehen, wie sich das Land ins Premium-segment hinein entwickelt. Die Strategie dahinter sieht man an der Bandbreite an Firmen des deutschen Mittelstands, die die Chinesen akquiriert haben: von einer Firma Putzmeister, die Betonpumpen produziert, bis zur Firma Triumph-Adler, einem Nähmaschinen-Hersteller. Wir hier in Deutschland sind eben-falls ein Maschinenhaus, denn wir haben uns ja vom Thema Biotech und Informationstechnologie weitgehend verabschie-det und unsere Firmen haben das Thema Smart Services nie be-herrscht: Die Amazons, Airbnbs, Spotifys und Googles beherr-schen das Feld. Das ist eine ungemütliche Sandwich Position. Die Soziologie würde das als Pfadabhängigkeit bezeichnen, da man sich hier auf alten erfolgsverwöhnten Bahnen bewegt und in diesen übersieht, dass es noch andere Pfade nach links und rechts gibt, die dann andere gehen, und irgendwann feststellt: Man ist im lock-in.

DMR: Wir hatten auf dem deutschen Kapitalmarkt durchaus die Situation, in puncto Aktienkurse einen Rekord nach dem ande-ren zu verzeichnen. Eigentlich kommt man sich da in einer ganz komfortablen Position vor. Was muss passieren, damit gerade Groß-konzerne das Thema Innovation und Kreativität wieder in den Mittelpunkt stellen?

T. Satteberger: Die Börsenerfolge sind ja nicht dem gelisteten Unternehmen zuzurechnen. Das hat eindeutig mit den Niedrig-zinsen und dem Fall des Euros zu tun, auch mit dem niedrigeren Ölpreis. Hier kommen also volkswirtschaftliche Faktoren ins Spiel, nicht betriebswirtschaftliche. Anders herum: Wenn man sich die Dax 30 Unternehmen anschaut, sieht man, dass mindestens zehn unter ihnen in einer ernsthaften strukturellen Krise stecken: von der Lufthansa über die RWE, die Deutsche Bank, die E.on, die K&S und so weiter. Insofern ist die Börse meiner Meinung nach kein guter Indikator für die Zukunfts-

Page 11: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

10 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

T. Sattelberger: Nach Clayton Christensen ist die Chance für Ozeandampfer relativ gering. Weil einfach die „Great Compa-nies“, die ehemaligen Innovatoren, unfähig werden, sich wieder zu revitalisieren. Demnach müsste das Hauptaugenmerk auf zwei Themen gelegt werden: Erstens, können sich große Kon-zerne frühzeitig dezentralisieren oder aufspalten? Wenn Effi-zienz und Innovation nicht zu vereinigen sind, ist es dann nicht klug, organisatorisch zu trennen und in kleineren Einheiten un-ternehmerische Handlungs- und Experimentierfelder zu haben? Also auch alt und neu voneinander zu separieren? Zweitens, wie schnell können wir Gründerszenen aufbauen und für disrup-tive, nicht nur Rationalisierungsinnovationen sorgen?

DMR: Damit steigen wir in das Thema Innovationskultur ein. Ihre These lautet also: Wir brauchen viel mehr kleine und agile Einheiten, die in der Lage sind, eine Innovationskultur zunächst aufzubauen?

T. Sattelberger: Absolut. Meine Erfahrung ist, dass bürokrati-sierte Effizienzorganisationen keine Lust haben, sich mit Neue-rungen abzugeben – Innovation wird vom Immunsystem gera-dezu abgestoßen oder aufgespeist. Man kann solche Einheiten nur „on arm’s length“ führen. Genauso sehe ich das übrigens, wenn es um das Funding und das Andocken an innovative Start-ups geht. Solche Wege sind für mich trotz hoher Miss-erfolgsquote wichtig, aber da haben wir in Deutschland noch ein zu geringes Wagniskapital und einen zu kurzem Atem.

DMR: Ganz provokativ: Ist die Zeit der Großkonzerne damit vor-bei?

T. Sattelberger: Nein. Aber sie werden noch kurzzyklischer in der Lebensdauer. Die durchschnittliche Lebensdauer einer For-tune 500 Firma hat sich seit den 60er Jahren des letzen Jahr-hunderts von 75 Jahren auf heute 15 Jahre reduziert. Das sieht im Dax 30 genauso aus. Das heißt erstens, dass der Lebens-zyklus der großen Schlachtschiffe signifikant kürzer wird, und zweitens, dass sie, wenn sie überleben wollen, das eben nicht als große Kolosse tun, wo sozusagen ein Torpedotreffer gleich das ganze Unternehmen versenkt. Da ist man doch besser mit fünf schnellen Kreuzern unterwegs. Große Konzerne sind hochgra-dig volatil. Wir haben bei Conti ganz bewusst Dezentralität ge-fördert, damit eine kranke Geschäftseinheit nicht die andere an-stecken kann. Oder anders ausgedrückt: Damit eine innovative Geschäftseinheit nicht vom Monolithen platt gemacht wird. Diese Bereitschaft zur Dezentralisierung und zur radikalen Auf-gabe des One-Company-Gedanken macht Sinn – zumindest was die Struktur betrifft.

DMR: Bei vielen strategischen Initiativen, die wir als Berater in Unternehmen unterstützen, erleben wir Zyklen zwischen Zentrali-

sierung und Dezentralisierung. Es schwingt aber immer mit, dass man diesen One-Company-Gedanken kulturell aufrecht halten und eine Identifikation mit dem Unternehmen gewährleisten möchte. Ist das überhaupt möglich in dem Konstrukt, das Sie beschreiben?

T. Sattelberger: Ich würde Ihre Aussage hinterfragen. Ich glau-be, Topmanager wollen im Wesentlichen die Kontrolle behalten. Und da ist „One Company“ die beste Form als Fiktion wie als Realität. Zudem zielt die in letzten Jahren dominierende „One Company“-Philosophie überwiegend darauf ab, interne Effizi-enzen zu heben, nicht Innovation zu treiben. Ich glaube, Un-ternehmen müssen heute lernen zu fragen: Was ist der kleinste gemeinsame Nenner, der uns zusammenhält? Nicht der größte gemeinsame Nenner, sondern der kleinste gemeinsame Nen-ner. Das stärkt dezentrales Unternehmertum und beschränkt Zentralisierung auf ganz wenige Themen die das Unternehmen finanziell, kulturell und markenpolitisch zusammen halten. Wir kommen eben in eine Wirtschaftsphase, in der es vorteilhafter ist, wenn unabhängigere Einheiten im Wind des Marktes so-zusagen nicht nur ihr effizientes Überleben trainieren, sondern innovativ werden. Gerne als Konföderation unter einem Kon-zerndach.

DMR: Ist das Thema Kontrolle nur auf deutsche Topmanager zu beziehen? Sind uns China und die USA auch in dieser Hinsicht voraus?

T. Sattelberger: Dazu gibt es keine Empirie. Ich vermute, China hat überwiegend Maschinenhausführer und die USA ist wohl eher gespalten. Aus der Roland-Berger-Studie „Akademiker im Chefsessel“ wissen wir zumindest, dass nur vier Prozent aller Dax 30 Vorstände unternehmerische Erfahrung hat. Das ist sehr erhellend und bestätigt, dass angestellte Manager eher risiko-avers sind und sich auf das Managen mit Zielen und Kontrolle konzentrieren.

DMR: Woher kommt es, dass so wenig Risikobereitschaft und Un-ternehmergeist, auch im Sinne von Weitblick, vorhanden ist?

T. Sattelberger: Wir entwickeln böse gesagt schon im Hoch-schulsystem eine Diktatur mechanistisch ausgebildeter Öko-nome und Ingenieure. Beide sind getrimmt, Zukunft beherrsch-bar und planbar zu machen. Die einen müssen eine Maschine konstruieren, die anderen müssen eine Maschine managen. Was ist Ursache, und was ist Wirkung? Ich beobachte zudem, dass das deutsche Hochschulsystem insbesondere auf technischen Gebieten in einem deutlich größeren Umfang als in England, USA und Skandinavien an die Interessen seiner sogenannten Nachfrager angelehnt ist, und das ist die Wirtschaft. Das ist ein „circulus vitiosus“, dass die Hochschule das forscht und ausbil-det, was die Wirtschaft formuliert. Es ist eine wechselseitige

Page 12: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

11 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Befruchtung im Tunnel. Unsere Konzentration aus Juristen, Ökonomen und Ingenieuren im Management, im Vorstand und im Aufsichtsrat findet man übrigens in vielen anderen Län-dern nicht.

DMR: In der Automobilindustrie ist das ja noch dominanter mit den vielen Kaufleuten und Ingenieuren…

T. Sattelberger: Genau. Es fehlt beispielsweise an Naturwissen-schaftlern, Informatikern und Sozialwissenschaftlern. Schaut man sich die Aufsichtsräte und Vorstände an, sieht man, was ich liebevoll „homosoziale Reproduktion“ nenne: Ähnliches sucht Ähnliches. Schmidt sucht Schmidtchen.

DMR: Sie haben in einem Interview gesagt, dass wir mehr Rebellen in der Chefetage brauchen. Im Konzern Deutsche Telekom gibt es einen: John Legere aus den USA. Er hat es geschafft, ein Unterneh-men, das quasi am Boden lag, komplett zu drehen. Wie schafft man Unternehmensstrukturen, die solche Lebensläufe fördern?

T. Sattelberger: Erstens war John Legere weit weg. Man konnte ihm nicht so einfach im Nacken sitzen. Gewährte, erzwungene oder vorhandene lange Leine ist ein erstes Stichwort. Zweitens war dieses Geschäft in einer so hoffnungslosen Lage, dass man bereit war, über den eigenen Schatten zu springen. Normaler-weise kommt man erst gar nicht auf so individuelle und anders-artige Charaktere, weil man bei solchen Jobs eher glaubt, Leute zu brauchen, denen man schon immer vertraut hat. Das ist ein ganz kritisches Thema. Es gilt, die Rekrutierungs- und Beförde-rungmuster zu brechen. Drittens, man könnte Unternehmer-biotope fördern in dezentralisierten, unternehmerischen, frei-heitsliebenden Einheiten.

DMR: Stichwort Loyalität. Eigentlich wird das Thema Seilschaf-ten doch vor allem den Asiaten zugeschrieben. Trotzdem kriegen wir keine erfolgreichen Topmanagement-Teams aufgestellt.

T. Sattelberger: Der Begriff Loyalität ist eine reine Fik tion, weil ein Führer gar nicht alle so bedienen kann, dass sie loyal sind. Und damit kommt es zum Verrat, so wie Brutus Caesar erdolch-te. Außerdem ist der Begriff Loyalität ein Gegner von Differenz oder Unterschied und damit von der Frage: Wie mache ich es anders? Das bedeutet nämlich Irritation und Auseinanderset-zung. Loyalität duldet keinen Konflikt. Der Loyale weiß genau, wo die Grenze ist. Meiner Meinung nach muss man sich vom Loyalitätsdenken trennen. Der klassische deutsche Manager meint immer, das Deckelchen muss aufs Töpfchen passen – also möglichst viel Affinität und Chemie aus der Vergangenheit für die Bewältigung von Herausforderungen, die man heute und morgen hat. Nein, Streitkultur und kreative Unterschiedlichkeit sind nötig.

DMR: Damit kommen wir noch einmal auf die Rolle von HR. Wer anders als HR kann eigentlich in dieser Situation für den Regelungsprozess sorgen, um „andere“ Manager in ein Unterneh-men zu holen. Welche Rolle also kann HR da einnehmen?

T. Sattelberger: Nur wenige Vorstände oder Vorstandsvorsitzen-de interessieren und kümmern sich, wie sich der Talentstrom zusammensetzt, der ganz unten ins Unternehmen hineinströmt. Ich kann natürlich durch die Diversität des Talentstroms – und da meine ich nicht die klassischen Diversity-Dimensionen, son-dern konformes und unkonventionelles Denken – schon eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung schaffen. Ich muss mit der traditionellen Logik brechen, dass beispielswei-se Soziologen und Philosophen in einem Unternehmen nichts zu suchen haben. Oder dass Studienabrecher – wie ich übri-gens – nicht tauglich sind. Oder dass Leute, die sich mit einer eloquenten Präsentation schwer tun, keine Führungsqualitäten haben. Man muss sich von all diesen Schablonen lösen. Und ich weiß schließlich, wovon ich rede: Ich habe in meinem ehema-ligen Telekom-Rekrutierungsbereich das Thema der „krummen Lebensläufe“ angepackt. Als ich auf Widerstand stieß, habe ich gefragt: „Habt ihr eine Geschäftsordnung? Dann schreib‘ ich als Prinzip hinein, dass krumme Lebensläufe akzeptiert und ge-schätzt werden müssen.“ Wie sich das für Bürokratien gehört, muss das natürlich irgendwo hinterlegt sein. [lacht] Der nächste Punkt ist dann aber: Wie schützt man Talent davor, dass es in den ersten 100 Tagen nicht alles verlernt, was es vorher konnte? Damit meine ich das, was man Indoktrinationsprozesse einer Organisation nennt. Auf der einen Seite müssen Menschen na-türlich lernen, wie man sich in einem Unternehmen bewegt und welche Regeln und Sitten gelten. Auf der anderen Seite müssen sie aber ihre Individualität beibehalten. Ich habe unsere dama-lige Nachwuchsinitiative Start-up bei der Deutschen Telekom immer mit dieser ersten Frage begrüßt: Habt ihr genug Freiheit? Das heißt, wir brauchen ein Talentmanagement, das Schutzräu-me bietet für Querdenken, quasi einen Club der toten Dichter.

DMR: Wie kann das aussehen, insbesondere in einer Kultur, in der jeder Freiraum einer Effizienzinitiative zum Opfer fällt?

T. Sattelberger: Ich habe damals verboten, den Begriff „Trainee-programm“ zu verwenden, denn das ist ein besseres Lehrlings-programm mit Geländern gegen das Runterfallen. Die Frage für neue freie Talente ist doch eher: Habe ich einen freiheitsverteidi-genden Machtpromotor? Für junge Talente, die Anders artigkeit in ein Unternehmen bringen sollen, braucht man einen Macht-promotor, der diese Freiräume verteidigt. Sonst kann man es sein lassen!

DMR: Meinen Sie Möglichkeiten zum Experimentieren und Aus-probieren?

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Thomas Sattelberger ist deutscher Topmanager. Nach vorherigen Vorstandspositionen bei

der Continental AG und der Lufthansa Passage war er von 2007 bis 2012 Personalvorstand der

Deutschen Telekom. Sattelberger hat sich als Verfechter des Diversity Managements profiliert,

initiierte die 30-Prozent-Frauenquote für Führungspositionen bei der Telekom und kritisiert

geschlossene Systeme in Konzernen und Gesellschaft. Er gilt als Vordenker zur Zukunft der

Arbeit und beschäftigt sich intensiv mit neuen Architekturen der Arbeit, Chancenfairness und

klonender Homogenisierung der Arbeitswelt.

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T. Sattelberger: Ja, genau. Das muss niemand aus dem Vorstand sein, das kann auch der Controlling-Chef eines Geschäftsfelds sein. Wenn man das alte Modell des Dualismus von Sach- und Machtpromotoren bei Innovationen hernimmt und Innova-tionen nicht nur als Produkte sieht, sondern als Menschen, dann fragt man sich: Wo sind die Machtpromotoren für Inno-vationspotenziale im Menschen?

DMR: Wie können institutionell Freiräume geschaffen werden, um zu vermeiden, dass Leute glattgeschliffen werden, die als Talent in die Organisation kommen?

T. Sattelberger: Ich bin ein überzeugter Verfechter von Hierar-chiearmut. Man muss sich die Frage stellen, wie viele Hierar-chien in einer Organisation überhaupt nötig sind? Hierarchiear-mut heißt aber auch, dass Führungskräfte so viele Leute führen müssen, dass sie diese gar nicht mehr kontrollieren können.

DMR: Das Thema Hierarchie versus Netzwerk wird momentan stark diskutiert. Wie etabliert man Hierarchiearmut?

T. Sattelberger: Bei Gründungen ist das einfacher zu lösen als bei etablierten Organisationen: Mit Sicherheit nicht nur über Hierarchieabbau – aber ohne Hierarchieabbau geht es eben auch nicht. Letztlich muss ich eine horizontale Netzwerkorgani-sation oder -methodik wie SCRUM oder Design Thinking über die alte Organisation legen. Das heißt, ich muss die klassische Hierarchie richtig aushungern. Damit schaffe ich die Vorausset-zungen, um die Hierarchie kriegsentscheidend zu schwächen. Eine Art reale Parallelwelt der Kooperation.

DMR: Wie macht man das? Schafft man Titel ab?

T. Sattelberger: Das ist nicht ausreichend. Das wäre nur wichtige Symbolik. Der Erfolg horizontaler, agiler Kollaborationsformen ermöglicht die radikale Herausnahme von Hierarchieebenen ohne Kompromisse. Das kann schlussendlich nur der Vorstand. Und ich muss Leitungsspannen so breit auslegen, sodass man nicht mehr jeden kontrollieren kann. Die Schnellboot-Analogie auf die individuelle Ebene übertragen.

DMR: De facto bedeutet das doch, dass wir neue Führungsfähig-keiten brauchen, richtig?

T. Sattelberger: Genau. Klassisches Management heißt, sicher-stellen, dass kaskadierte Ziele erreicht werden durch rot, grün, gelbe Ampeln. Dass man jederzeit berichtsfähig ist nach oben. Und dass selbst der ganz oben über das kleinste Detail Bescheid wissen muss. Das kann ich im Grunde nur erreichen, wenn man ganz geringe Leitungsspannen hat, sozusagen ein Modell

von Führung, das da heißt: Ich bin der beste Sachbearbeiter. Klassisches Micro-Management. Ich bin übrigens hier auch ein Sünder gewesen. Im Beurteilungsbogen bei Google, mittels des-sen Mitarbeiter ihre Führungskräfte beurteilen, gibt es einige prominente Merkmale: Eines heißt „He/She does not micro-manage into my business“, das zweite heißt „He/She keeps micro-management away from our unit“ und dann kommen ein paar weitere, die sich fokussieren auf das Thema „He/She is coaching me for my personal and professional development“. Das heißt übersetzt: Die Führungskraft schafft den Rahmen und den Schutzwall, damit begabte Menschen nicht gestört werden. In Gesprächen mit Google-Mitarbeitern habe ich er-fahren, warum Coaching so wichtig ist – sie sagten mir: „Wir haben so viele Nerds, die ständig Gesprächsbedarf an Themen wie persönlicher und beruflicher Weiterentwicklung haben.“ Damit kommt wieder das originär in die Führungsrolle, was wir an Duzende von externen Beratern in jeder Firma outgesourced haben: das Thema Coaching.

DMR: Coaching als zentrale Führungsaufgabe?

T. Sattelberger: Ja. Da könnte ich melancholisch werden. Ich habe 1991 einen Artikel geschrieben, als das Thema externes Coaching zum ersten Mal aufkam. Sinngemäß stand da drin, dass das Aufkommen externer Coaches die Führungsaufgabe ihres Sinnes entraubt und entkleidet.

DMR: Betrifft Ihre Aussage das Thema Beratung generell? Ist es nicht das gleiche, wenn ich eine Beratung brauche, um meine Stra-tegie zu formulieren, wie wenn ich als Führungskraft einen exter-nen Coach brauche, damit meine Mitarbeiter motiviert sind und vernünftig laufen?

T. Sattelberger: Ja, natürlich ist das das Gleiche. Ich habe, von einer Ausnahme abgesehen, nie einen Prozess- oder Strategie-berater engagiert. Diese Ausnahme war die qualitative Personal-planung bei der Deutschen Telekom. Alles andere halte ich für das Outsourcing von Intellekt an andere. Und für eine Kastra-tion der Gehirne von intelligenten Führungsleuten.

DMR: Dann könnte man also fast sagen, dass die Beraterdurch-dringung in Unternehmen letztlich anzeigt, wie wenig das Top-management in der Lage ist, das Geschäft selbst zu managen.

T. Sattelberger: Ja. Mein damaliger Vorstandsvorsitzender bei Conti Manfred Wennemer beispielsweise hat Berater nur aus Höflichkeit empfangen und keinen einzigen engagiert. Die Vorstände mussten selbst denken. Es gab auch keine Stäbe. Es spricht aber nichts dagegen, interne Kreativ- und Projektma-nagementkapazitäten zu nutzen. Und dann müssen Querdenker

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selektiv das System konfrontieren dürfen, damit man nicht im eigenen Saft stecken bleibt. Denn jede Problemlösung führt ja zu neuen Problemen.

DMR: Wie kann man der Entwicklung von HR entgegenwirken, als Supportfunktion zu verkommen? Insbesondere in einer Zeit, in der Menschen als Asset eine wichtige Rolle spielen?

T. Sattelberger: Die Personalfunktion steht aus meiner Sicht an einem wirklichen Scheideweg, der historischer Tiefpunkt oder Chance werden kann. Die Personalfunktion hat sich über die letzten zehn Jahre total verändert: neues Produkt, neuer Service, neuer Prozess. Das war nicht dumm, auch wenn es natürlich im Zeitgeist der Effizienzorientierung von Unternehmen stattfand. Aber wir kommen jetzt an den Punkt, an dem erstens durch Effizienzmanagement immer weniger rauszuholen ist und zwei-tens weniger die Effizienz als eher die Effektivität gefragt ist: nicht mehr „höher, schneller, weiter“, sondern „anders“. Damit ist eine historische Chance gegeben, wieder groß zu denken –das Denken in Organisationsdesigns oder in De signs für Ar-beitswelten. Nicht mehr nur in Produkt, Service und Prozess sowie einer App fürs Recruiting – ich kann es gar nicht mehr hören. Ob danach dann ein großer Schritt kommt, ist eine andere Frage – es können auch viele kleine kommen, aber die Thematik muss groß gedacht werden. Ich habe mir in meiner aktiven Zeit intensiv angeschaut, wie sich Arbeitswelten inno-vativer Unternehmen entwickeln und mir die Frage gestellt: Braucht Innovation 4.0 Arbeitswelt 4.0 oder ist Arbeitswelt 4.0 ein Humus für Innovation 4.0? Sie ist aus meiner Sicht beant-wortet: Es sind Zwillinge. Wir haben 2010 im Personalresort begonnen, so etwas wie Smart Work zu diskutieren. Da werden Sie wahrscheinlich erstaunt sein jetzt...

DMR: Absolut. Das ist eines unserer zentralen Themen...

T. Sattelberger: 2010 haben wir im Gefolge der Frauenquo-te begonnen, Smart Work zu diskutieren. Zum einen wurde klar, dass eine Frauenquote ohne Smart Work nicht funktio-niert, und zum anderen konnte die Frauenquote sowieso nur Teil eines übergreifenden Ansatzes sein, der da heißt: Schaffung einer Organisationskultur, die eher divers, kollaborativ und souverän ist. Das ist eine Diskussion, die natürlich nicht die betriebliche Öffentlichkeit erreicht hat, weil sie auch noch sehr unreif war. Aber dieser wechselseitige Zusammenhang ist ein-deutig und von daher ist die historische Chance einer Personal-funktion gewaltig – aber sie kann sie alleine nicht packen, denn da müssen Ingenieure, Informatiker, Arbeitswissenschaftler und Personalleute und die Betroffenen selbst zusammenkommen –

das ist eine sehr interdisziplinäre Angelegenheit, diese Arbeits-welten müssen partizipativ geklärt und dann geschaffen werden. Und da könnte HR zeigen, wie nützlich es ist.

DMR: Also Smart Work im Sinne von Andersartigkeit und Diver-sität in einem Unternehmen?

T. Sattelberger: Das geht noch viel weiter. Das ist nur ein Strang einer smarten Organisation. Ein zweiter Strang hat mit dem Thema Crowd Working und Open Innovation zu tun, mit der Entgrenzung der Organisation – und das ist nicht nur ein Thema von F&E, sondern von allen Funktionen. Eine dritte Dimension betrifft das Thema Macht, Hierarchie und Demo-kratie. Ein vierter Teil dieses Ansatzes hat mit Souveränität zu tun und damit mit der Frage: Habe ich die Freiheit, Ort, Zeit, Kollaborationsform, Stil der Arbeit oder gar ihren Inhalt selbst zu entscheiden? Ein letzter Punkt ist das Gemeinwohl – das ist dann noch einmal eine ganz andere Betrachtung. Bin ich ein autistisches Unternehmenswesen oder bin ich verbunden als Organ eines Körpers mit der mich umgebenden Gesellschaft? Das wären ein paar beispielhafte Dimensionen, die meiner Mei-nung nach wichtig sind. Wir haben schon damals nicht nur dis-kutiert, dass das Thema Frauenquote in das Thema Diversity eingebettet sein muss, sondern auch, dass das Thema Diversity nur eine von mehreren Dimensionen ist, die für Smart Work entscheidend sind.

DMR: Und warum sind wir doch nur beim Thema Frauenquote gelandet?

T. Sattelberger: Solche Themen werden von denen verantwor-tet, die sie treiben. Wenn sie gehen, wird neu sortiert. Ganz nüchtern. Ich habe mal bei Lufthansa miterlebt, wie mein Nachfolger die gesamte Personalentwicklung den Bach hat run-tergehen lassen. Das ist halt so. Du bist im Grunde ein relatives und vergängliches Wesen. Es gibt keinen linearen Fortschritt in einer Organisation.

DMR: Muss man Diversität, wenn man sie im Hinblick auf High-performing Teams nutzen möchte, verordnen? Das Thema Quote für bestimmte Themen betrifft ja nicht nur Frauen, sondern auch Internationalität im Unternehmen.

T. Sattelberger: Also, ein frommer Spruch bleibt ein frommer Spruch. Diversität ohne Steuerung derselben ist folgenlos oder zufällig. Ich beziffere als Personaler doch so viel im Unterneh-men mit quantifizierbaren Größen, von Durchlaufzeiten für

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eine Bewerbung bis zu Vergütungsspreizung. Für mich ist das eine ganz normale managerielle Steuerung. Gerne auch mit Internationalität. Übrigens löst sich im Kontext von People Analytics das Thema. Shell setzt heute schon Innovationsteams mittels „social footprints“ zusammen. DMR: Muss auch HR messbarer und greifbarer werden als bisher und sich weniger mit kulturellen und esoterischen Themen beschäf-tigen?

T. Sattelberger: Ja und nein. HR muss nachweisen, dass es sich auf dem Territorium „hier und jetzt“ aufhält und sich dort be-währt, aber auch den Nachweis führen, dass es auch Schiffe für eine unbekannte Expedition ausrüsten kann.

DMR: Im Moment bezieht sich HR wohl stärker auf die Rolle der Supportfunktion…

T. Sattelberger: Ja, aber mit Support, Logistik und Service al-leine hat man noch nie einen Krieg gewonnen. Die Reduktion von Menschen auf „die einen machen die Handarbeit und die anderen machen die Kopfarbeit“ oder die einen machen die Umsetzung und den Service und die anderen die Strategie – das sind ja uralte Modelle. Ich hätte jedes Unternehmen verlassen, in welchem ich nicht das Gefühl gehabt hätte, noch genügend Expeditionen machen zu können. Im Bereich Arbeit gilt ja das Gleiche wie im Forschungs- und Entwicklungsbereich. So, wie die Ingenieure Prüfstände bauen oder die Naturwissenschaftler Labore haben, so müssen auch die Personaler für die Zukunft der Arbeit experimentieren.

DMR: Was wäre im Zuge dessen der nächste Schritt für eine HR- Struktur im Unternehmensverbund?

T. Sattelberger: Das Zuschneiden von HR auf eine Support- oder Servicefunktion ist kontraproduktiv. Gerade las ich in einer Studie, dass die IT-Avantgarde-Unternehmen herausra-gende HR-Funktionen bauen. Das muss man so hart sagen. Wer sich geistig einzimmern lässt, der hat es auch nicht anders verdient. Im Grunde muss wahrscheinlich auch ein Stück weit personelle Reform gelingen. Also eine Nachwuchsrevolution im HR-Bereich. Wie auch immer man das hinkriegt, dass gute Menschen an Bord kommen, und zwar sowohl Männer als auch Frauen, die zum einen viel zum Thema Arbeitswelt 4.0 und der Transformation des Unternehmens dorthin beitragen können und zum anderen People Analytics beherrschen, denn die HR-Funktion der Zukunft ist auch digital kompetent.

DMR: Und das bedeutet schließlich auch, dass dies ein CEO mit unterstützt, oder?

T. Sattelberger: Nicht unbedingt. Vor kurzem kam die Per-sonalchefin eines größeren Start-ups zu mir und sagte: „Herr Sattelberger, wir sind jetzt so gewachsen, dass mein CEO und ich Mitarbeitergespräche einführen werden. Wir können das nicht mehr informell auf dem Flur machen. Welche Konzerne führen gute Mitarbeitergesprächs-Trainings durch?“ Da sagte ich: „Hören Sie auf! Der erste Fehler ist bereits, diese Frage zu stellen. Warum holen Sie nicht alle Betroffenen zusammen in ein kleines Laboratorium und lassen sie zwei Tage lang experi-mentieren in wechselnden Rollen.“ Große Konzerne haben das schon alles segmentalisiert. Dort gibt es für Führungskräfte ein Seminar, das „Führen von Mitarbeitergesprächen“ heißt, und wenn die Unternehmen fortschrittlich sind, für Mitarbeiter ein Programm, das „Führen von Gesprächen von unten“ heißt. Und so haben sie die Hierarchie schon „reingestopft“ in die Art und Weise des Lernprozesses.

DMR: Also die Revolution von unten?

T. Sattelberger: Es gibt viel Forschung zu Innovation in Orga-nisationen. Die meisten dieser Forschungen gehen davon aus: Echte innovative Experimente beginnen an der Peripherie und einzelne Mächtige haben es in der Hand, Strukturen zu schaf-fen, die die Autonomisierung von Einheiten und den Abbau hierarchischer Silos fördern. Aber das tatsächliche Innovieren geschieht eher unten oder an der Peripherie in Unterseebooten, Garagen oder Grauzonen.

DMR: Das wäre doch ein schöner Arbeitsauftrag für HR: den Ta-lentstrom, den Sie beschrieben haben, sicherzustellen und den Rah-men zu schaffen, diese Möglichkeiten und Freiräume auch wirklich zu kultivieren.

T. Sattelberger: Die Deregulierung von HR-Prozessen ist dazu Voraussetzung. Diese furchtbaren Prozesse, die nur Zeit kon-sumieren und nicht Mehrwert schöpfen! Hays hat eine Un-tersuchung gemacht, nach der 60 Prozent der Geschäftsführer und Personaler denken, Karrieren werden durch strategische Nachfolgeplanung und gutes Talentmanagement gemacht. Führungskräfte und die Basis dagegen sagen, Karrieren werden durch Seilschaften und dem „zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle sein“ gemacht. Es ist eine interessante Frage: Was kann ich ohne Ersatz aussetzen? Die Nachfolgeplanung ist definitiv unnötig. Damit wird nicht gearbeitet. Im Prinzip hät-

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te ich auch das ganze Thema individuelle variable Vergütung abschaffen und durch einen kollektiven Erfolgsbonus ersetzen müssen, um die Manipulation im System zu verhindern. Man hat ja so viele Manipulationen in diesem Target-Management-Prozess gehabt. Aber auch, um solidarisches Denken zu fördern.

DMR: Was wäre eine Alternative gewesen?

T. Sattelberger: Am Schluss geht es doch nur um ein Ergeb-nis: Man will ein bestimmtes Finanzergebnis erwirtschaften, Mitarbeiter-Commitment haben, Kundenzufriedenheit errei-chen. Und dafür gibt es beispielsweise x Prozent von EBITDA. Diese werden dann auf jeder Ebene in einer bestimmten Logik verteilt.

DMR: Aber schon leistungsabhängig?

T. Sattelberger: Nicht individuelle, sondern geschäftsspezifische Performance! Was ist denn individuelle Performance heute? Wenn Sie sich die Targets anschauen, die ich mit meinen Direct Reports gemacht habe, dann wurden 2/3 irrelevant, weil andere wichtiger wurden. Kreativität wurde gar nicht honoriert, weil sie kaum quantifizierbar ist. Das waren voluntaristisch raus-gesuchte Effizienzziele. Der Apparat, der für die Messung der Ziele benötigt wurde, und die Entsolidarisierungseffekte, die stattfinden durch individuelles Performance Management – das ist absolut veraltet. Ich würde heute auf solidarisch erzielte Er-gebnisse setzen. Die größte Zerstörung wirtschaftlicher Poten-ziale wird durch schlechte Führung und nicht durch schlechte Leistung erzielt. Ich halte Abteilungsstrukturen, Hierarchien und schlechte Führung für die Schlüsseltreiber von schlechter Performance von Organisationen und Individuen.

DMR: Würden Sie sagen, dass es bei Führung primär darum geht, aus Mitarbeitern das Beste rauszuholen, so dass es keine wirkliche Schlechtleistung gibt?

T. Sattelberger: Ja, dass man mit den Menschen arbeitet, die man vorfindet und ihnen Potenzial unterstellt. Ich habe mich in 40 Jahren Führungsarbeit von weniger als zehn meiner Füh-rungskräfte getrennt.

DMR: Das spricht doch gegen die ganzen Abbauprogramme. Sollte man nicht schauen, dass man aus den zur Verfügung stehenden Menschen das Maximum an Leistung rausholt und nicht, wie man sie aus dem Unternehmen bekommt?

T. Sattelberger: Personalüberhänge sind wieder ein anderes Thema. Ich war ein großer Freund von Shape HQ und bin überzeugt davon gewesen, dass dieser Moloch radikal verkleinert werden musste. Ich kann nicht in einem Konzern flache Hie-rarchien implementieren, wenn ich noch einen riesigen feudal aufgestellten Moloch an der Spitze habe. Ich werde nie verges-sen, wie mein alter Vorstandsvorsitzender von Conti bei Autoliv in Schweden war, die ihre Zentrale im vierten Stock eines Bü-rogebäudes hatten. Das Unternehmen hatte über 50 000 Mit-arbeiter, die Zentrale aber nur ein paar Duzend. Ich habe viel Sympathie für extrem schlanke Steuerungscockpits.

DMR: Wir haben noch eine letzte und persönliche Frage an Sie: Wenn Sie zurückblicken auf Ihre doch sehr lange Personalmanager-karriere, worauf sind Sie besonders stolz? Und was lässt sich daraus lernen?

T. Sattelberger: Sie müssen bedenken, dass ich fünf Jahre lang operativer Airline-Vorstand war – denn da habe ich erst gelernt, dass die Operativen auch nur mit Wasser kochen. Deswegen ist es mir auch wichtig, dies anzumerken. Vorher bin ich als Personaler mit einer Underdog-Haltung rangegangen. Nicht ge-genüber dem Finanzbereich, denn rechnen können wir ja alle, sondern gegenüber den Geschäftsverantwortlichen. Dann ver-antwortete ich einen riesigen operativen Bereich bei Lufthansa mit fast 35.000 Beschäftigten und merkte, dass dort simples Managen viel wichtiger war als das Thema der Transforma tion und Innovation – und habe meine Liebe für die HR-Arbeit wie-derentdeckt.

Ich fand Personalarbeit immer eine der komplexesten betrieb-lichen Aufgabenstellungen schlechthin, weil sie die nichtbere-chenbare Seite eines Unternehmens widergespiegelt hat. Man kann in Pricing, in der Produktion, hoch berechenbar sein, aber beim System Mensch oder Arbeit kann man immer nur eine Hälfte der Welt berechnen, die andere Hälfte muss man sozu-sagen erforschen. Dass die Personalarbeit auch das Experimen-tieren im sozialen System ist, fand ich immer das Spannendste, ob als junger Mann in der Ausbildung bei Daimler oder als Per-sonalvorstand mit der Frauenquote bei Telekom. Das habe ich nie aufgegeben.

Das Interview führten Marc Wagner und Elisa Voggenberger.

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Künstler haben unsere Themen neu interpretiert und unsere neue Webseite mitgestaltet.

Besuchen Sie uns unter: www.detecon.com

Transformation@Detecon

Wir stehen mit unseren Geschäftsfeldern

an einer der spannendsten Baustellen unserer Zeit:

Transformationskompetenz ist der kritische Erfolgsfaktor.

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„Einmal Innovation mit viel Potenzial – aber bitte effizient & rentabel!“

Innovationskultur

Lassen volatile Märkte, geprägt durch Preisrivalitäten, Industrie 4.0, Effizienz- und Wett-bewerbsdruck, anspruchsvolle (digitale) Kunden und dynamische Produktlebenszyklen, überhaupt noch Zeit und Raum für Kreativität, agiles Arbeiten und disruptive Ideen? Dieser Frage sollte man nachgehen, denken wir uns, und starten Anfang 2015 eine empirische „Best Practice“-Studie zur Innovationskultur von Konzernen.

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D as Silicon Valley ist zu einer Pilgerstätte für verzweifelte Konzernvorstände außerhalb der USA geworden. Auf der Suche nach dem „heiligen Innovationsgral“ werden Stanford, Tesla, Google, Airbnb und weitere Ikonen der digitalen Entwicklung besucht, es wird diskutiert und eifrig Notizen gemacht.

Ausgestattet mit frischen und überwältigenden Eindrücken aus dem „Mekka der digitalen Revolution“ geht es dann zu-rück nach Hause, um die Mannschaft mit Slogans wie „Wir müssen innovativer, kreativer und agiler werden“ auf die Spur zu bringen – und dann nach wenigen Monaten festzustellen: Die Euphorie ist verpufft und diverse Agilitäts- und Innova-tionsinitativen sind in der Lehmschicht aus starren Strukturen, Komplexität und IT Legacy stecken geblieben. „Ideas are cheap, implementation matters“ – dies gilt insbesondere für das Thema Innovationskultur.

Vor diesem Hintergrund finden wir uns im Januar 2015 mit einer Managergruppe eines DAX Konzerns in einem Work-shop zusammen, um eine Bestandsaufnahme zum Thema „In-novationskultur“ zu machen. Und los geht’s: „Sind Konzerne überhaupt dafür gemacht, innovativ zu sein?“, „Was sind die kritischen Stellschrauben zur Etablierung einer innovativen Un-ternehmenskultur?“, „Wie ist es um die Nutzung von Kreativi-tätspotenzialen unserer Mitarbeiter bestellt?“ sind Fragen, die wir im Rahmen des Workshops heiß diskutieren. Das Ergebnis: fünf Hypothesen und eine Idee. Die hohe Relevanz und Aktua-lität des Themas bewegt uns dazu, weitere Gespräche und Inter-views mit Managern, Innovationsexperten und HR-Vertretern zu führen, um unsere Hypothesen anzureichern und zu über-prüfen. Hier ein erster Vorgeschmack!

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HYPOTHESE 1: Konzerne sind vorrangig auf Effizienz fokussiert und haben ein Immunsystem, das neue Ideen als Bedrohung sieht.Wohl eine der größten Herausforderungen für Konzerne ist die Handhabung des Konflikts zwischen Effizienz- und Innova-tionsfokus gepaart mit einem Immunsystem, das jede neue Idee zunächst wie eine Störung behandelt. „Innovationshebel wie Freiräume für innovatives Denken, Kreativität oder zufällige Begegnungen werden per se vom System und der Kultur elimi-niert. Alles ‚Andersartige‘, was nicht den Standards entspricht, wird vom Immunsystem abgestoßen.“, so ein Topmanager eines DAX Konzerns. Um innovative Projekte fördern zu können, müssen Strukturen geschaffen werden, die einerseits freies und kreatives Arbeiten an disruptiven Ideen ermöglichen, zeitgleich jedoch Zeit- und Ressourcenverschwendung minimieren. Wie Effizienz von Innovationen gedacht werden sollte, erklärt uns Hans Ehm, Head of Supply Chain Innovations der Infineon Technologies AG: „Innovation ist eine Idee, die sowohl erfolg-reich umgesetzt wurde als auch am Markt erfolgreich ist. Die Effizienz ergibt sich bei uns aus dem strukturierten Prozess: Mit dem InnovationNet schaffen wir zunächst Freiraum, um viele potenziell erfolgreiche Ideen zu entwickeln. Die besten Ideen werden dann in Projekten mit einer klaren zeitlichen Agenda umgesetzt und am Markt mit Erfolg etabliert.“

„Nicht die Menschen sind so, sondern das Unternehmen hat sie so gemacht, wie sie sind.“

Frank Rehme, Entrepreneur, Inkubator und Gründer der gmvteam GmbH

HYPOTHESE 2: Konzernen mangelt es bei Innovationsprojekten an Ausdauer und Akzeptanz durch das Management. Konzernen fehlt oftmals der „lange Atem“, wenn es um das ak-tive Vorantreiben von Innovationsprojekten geht. Aufgrund des starren Fokus auf Effizienz und Skalen wird häufig ein kurz-fristiger Break Even erwartet, obwohl die Effekte von (disrup-tiven) Innovationen meist erst nach mehreren Jahren eintreten. Dies führt zu Demotivation und somit häufig zum Abbruch langfristig profitabler Themen. Wie kann dies verhindert wer-den? Erste Erkenntnisse aus unseren Interviews zeigen: Die Anerkennung innovativer Initiativen durch das Top Manage-ment ist bei der Etablierung einer erfolgreichen Innovations-kultur ein wesentlicher Treiber. Gremien und Entscheidungs-träger müssen sowohl die systematischen Rahmenbedingungen schaffen als auch eine Vorbildfunktion im Einklang mit Visi-on und Unternehmensstrategie einnehmen. Durch Akzeptanz und (finanzielle) Unterstützung innovativer Projekte durch das Management kann das Mitarbeiterengagement in diesem Be-reich enorm erhöht werden. Weiterhin erscheint die Leitung des Innovationsprojektes durch den Ideengeber ein kritischer Erfolgsfaktor zu sein, um Motivation und Ausdauer aufrecht-zuerhalten, weiß Frank Rehme von gmvteam und ehemaliger Head of Innovations bei METRO: „Sie finden keinen, der mehr Herzblut in eine Innovation steckt, als der Ideengeber selbst.“

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HYPOTHESE 3: Isoliert operierende Einheiten verhindern die (freiwillige) Formierung interdisziplinärer Innovationsteams.Eine erfolgreiche Innovation steht und fällt mit dem „richtigen“ Innovationsteam. Laut Kotter1 ist „die Armee der Freiwilligen der Treiber des Wandels“ und somit entscheidend für das Vorantreiben innovativer Ideen. Die im Konzern präsent ver-tretene „Silo-Kultur“ führt jedoch oftmals dazu, dass diverse Einheiten mehr oder weniger isoliert an Innovationsprojekten arbeiten und wenig bis kaum (Erfahrungs-)Austausch stattfin-det. Meist bietet das Konzernumfeld nicht ausreichend Raum für zufällige Begegnungen und somit freiwillige Teambildung. Dies resultiert häufig darin, dass Innovationsteams funktions-basiert durch das Topmanagement zusammengestellt werden. Diese Problematik erkennt auch ein Topmanager eines DAX Konzerns: „Oftmals brennen top-down ausgewählte Inno-vatoren nicht genug für ihr Thema. In solchen Fällen ist das Scheitern von Projekten schon vorprogrammiert“. Dabei sind „Energie, Entschlossenheit und echte[r] Enthusiasmus“ zen-trale Attribute eines erfolgreichen Innovationsteams.2 Werden die Heterogenität und „Leidenschaft“ im System erhöht, schafft man die Möglichkeit, klassische Prozesse zu durchbrechen, ein-gefahrene Denkmuster infrage zu stellen und kreativ zu arbeiten. „Der Kern liegt hier in der Persönlichkeit jedes Einzelnen“, weiß Dr. Heinrich Arnold, Global Head of Telekom Innova tion La-boratories (T-Labs). „Die Führung unserer verschiedenen Kom-petenzteams ist sehr heterogen, das ist das Schöne. Aber jeder Einzelne muss mindestens eine außergewöhnliche Eigenschaft weit über das Standardmaß hinaus besitzen: Entweder man weiß fachlich besonders viel oder man ist ein besonders guter Kommunikator oder man ist besonders clever oder gewissenhaft oder charismatisch.“ Weitere Erfolgsfaktoren sind Leidenschaft und eine hohe Eigenmotivation, betont Dr. Arnold: „Wenn bei einem Projektleiter das Feuer der Begeisterung angeht, dann kann es funktionieren. Derjenige, der an der Spitze einer In-itiative als Treiber steht, muss komplett von seinem Projekt überzeugt sein.“ Dies ist ein entscheidender Aspekt, den auch Frank Rehme, langjähriger Head of Innovations der METRO, erkennt: „Sie finden keinen mit mehr Passion, als den, der die Idee hatte. Eines unserer erfolgreichsten Kundenprojekte basiert komplett auf einer End-to-End-Verantwortung bei der Person, die die Idee hatte.“

1. Effizienzfokus und zu starkes

Immunsystem

2. Mangelnde Akzeptanz und Ausdauer

3. Das „richtige“ Innovationsteam

4. Starre Strukturen und komplexe Entscheidungsprozesse

5. Mangelnder Mut und

Selbstvertrauen

1,2 Vgl. Kotter, J.P., Die Kraft der zwei Systeme, in: Harvard Business Manager Spezial, 2015, S. 89.

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HYPOTHESE 4: Die starre Hierarchie- und Gremienlandschaft von Konzernen verhindert, dass Innovationen rechtzeitig am Markt platziert werden können.Einer der größten Innovationsblocker von Konzernen ist deren komplexe Gremienlandschaft. Starke Hierarchien und kompli-zierte Entscheidungsprozesse resultieren in verpassten Chancen und hemmen die Innovativität, denn „Ideen entstehen immer (...) im Austausch mit Menschen“ und diesen Austausch muss man zulassen, meint Jens Bode, International Foresight und In-novation Manager bei Henkel. „Zudem verhindert die Vielzahl an involvierten Entscheidern oftmals, dass Ideen direkt beim Vorstand platziert werden können und fallen somit unter den Tisch“, bestätigt ein Top Manager eines DAX Konzerns. Ein entscheidender Hebel sei hierbei die Größe des Innovations-teams, weiß Frank Rehme von gmvteam GmbH: „Ziel muss es sein, Teamgrößen zu haben, die um eine Pizza herum passen, denn mit der Größe des Teams und der Anzahl der Entscheider verlängert sich auch die Zeit, bis eine Idee am Markt platziert werden kann.“ In dieser Hinsicht wird auch der klassische Stage-Gate Prozess als „unnötiger Zeitfresser“ in unseren Gesprächen kritisiert, da erfahrungsgemäß die meisten erfolgreichen Inno-vationen den „Filter“ nicht durchlaufen. Viel entscheidender sei das offene Innovieren mit Universitäten und Studenten, For-schungsinstituten, Lieferanten oder Kunden, bestätigt uns Jens Bode: „Wir profitieren nicht nur von unserem internen diversen Team, wir wissen auch um das Talent und die Kreativität von Experten außerhalb des Unternehmens.“

„Ziel muss es sein, Teamgrößen zu haben, die um eine Pizza herum

passen, denn mit der Größe des Teams und der Anzahl der

Entscheider verlängert sich auch die Zeit, bis eine Idee am Markt platziert

werden kann.“ Frank Rehme, Gründer der gmvteam GmbH

und ehemaliger Head of Innovations Management, METRO

HYPOTHESE 5: Die Führungskultur von Konzernen hemmt motivierte Freidenker, Innova tionen anzustoßen und langfristig voranzutreiben.

Ein weiterer Innovationsblocker bei Konzernen ist oftmals die Führungskultur, die verhindert, dass „innovative Köpfe“ sich trauen, Initiativen anzustoßen und langfristig voranzutreiben. „Führungskräfte werden nicht ausreichend dazu aufgefordert, ihre Komfortzone zu verlassen und geben diese Einstellung deshalb auch an ihre Mitarbeiter weiter“, meint einer unserer befragten Top Manager. „Mangelndes Selbstvertrauen als poten-zieller Treiber verhindert somit, dass Dinge angepackt und um-gesetzt werden.“ Frank Rehme geht noch einen Schritt weiter: „Viele Innovatoren werden einfach nicht ernstgenommen. Die bekommen dann ein bisschen Budget, damit sie den gewohnten Ablauf nicht stören.“ Die Ursachen hierfür liegen oftmals in ei-ner verneinenden Fehlerkultur, die insbesondere bei deutschen Konzernen vorherrscht. „Fehler machen“ wird typisch deutsch stigmatisiert, anstatt daraus zu lernen. Die amerikanische Kon-zernkultur lebt in dieser Hinsicht etwas anderes vor: Einige der innovativsten Unternehmen3, beispielsweise Apple oder Micro-soft, vergeben sogar Preise und Ehrungen für die besten Ideen, die gescheitert sind. Was zählt, ist das Lernen aus Fehlern sowie die Akzeptanz für lösungsorientierte Experimente. Dr. Heinrich Arnold von den T-Labs brachte in diesem Kontext ein schönes Beispiel an: „Was unterscheidet einen Innovator von einem Ad-ministrator? Der Innovator ist einer, der die Veränderung immer als Möglichkeit (...) sieht und diese immer zum Vorteil nutzen möchte. Die größten Frustrationen des Innovators sind deswe-gen die verpassten Chancen. […] Und das ist der Unterschied zum Administrator. Der hat damit gar kein Problem. Er möchte keinen Fehler machen und sieht eine Veränderung eher als Be-drohung des Standardprozesses an […]. Wir brauchen aber die Grundeinstellung des Innovators bei jedem im Konzern, sodass jeder ein Stück Self-Leadership übernimmt und Veränderungen gegenüber offen ist.“

3 BCG Report: The Most Innovative Companies in https://www.bcgperspectives.com/Images/Most_Innovative_Companies_2014_Oct_2014_tcm80-174313.pdf.

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„Je mehr Köche an einem Brei kochen, desto mehr Erfahrung fließt mit ein, aber das Risiko, dass es letztendlich keinem schmeckt, steigt eben auch.

Dieses Risiko muss man wagen, denn es ist wichtig, dass Innovations-

bemühungen vom Management mit gewissen Freiheiten ausgestattet werden, um Fehler und Learnings

zuzulassen.“

Martin Wintz, ehemaliger Mitarbeiter im Innovationsmanagement von DHL

Seit unserem Workshop im Januar 2015, der die Initialzündung für unsere Forschungsidee war, haben wir bereits viele span-nende Meinungsbilder und Erfahrungen von Innovationsexper-ten kennengelernt. Wir wollen dieses Wissen nicht nur bün-deln, sondern weiter anreichern. Deshalb haben wir im August eine Onlinebefragung mit weiteren Experten und Vordenkern aus dem Konzernumfeld gestartet. Auf diese Weise forcieren wir die Generierung signifikanter, wissenschaftlich fundierter Er-gebnisse hinsichtlich der Auswirkung der Unternehmenskultur auf die Innovationskraft von Konzernen. Kernziel der Studie ist die Ableitung von Best Practices und Handlungsempfehlungen, die zur Förderung einer positiven Innovationskultur beitragen. Die Veröffentlichung der Studienergebnisse ist für Ende des Jahres angesetzt. Man darf also weiterhin gespannt sein.

Marc Wagner ist Partner und Global Head Transformation, Peoplemanage-ment & HR. Er berät nationale und internationale Kunden auf dem Weg der digitalen Transformation.

Tina Riester ist Business Analyst und leitet seit Beginn 2015 die Studie zum Thema „Innovationskultur“. Sie berät die Deutsche Telekom zu den Themen HR-Strategie, Digitalisierung der Arbeitswelt sowie Innovationskultur.

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Spaßbremse Arbeit?!

Interview mit Tom Oliver, Tom Oliver Group

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Tom Oliver, „the Renaissance Man”, ist Keynote Speaker, Buchautor, Gründer und Musiker. McGraw Hill, der größte Verlag der USA, nennt ihn einen „Coach für viele der bekanntesten CEOs der Welt“.

Sein Credo ist die Leidenschaft, sein Erfolgsfaktor Fun, seine Inspirationsquelle das Wasser. Zufriedenheit am Arbeitsplatz sieht er in Deutschland als verpönt an – ein wesentlicher Grund für ihn,

warum das deutsche Innovationspotenzial bei weitem nicht ausgeschöpft wird und auch die Effizienz leidet. Hier diskutiert er über Kreativität, Leadership und die Notwendigkeit der Konzentration auf Stärken.

DMR: Wie definieren Sie persönlich Erfolg und was war bisher Ihr größter Erfolg?

T. Oliver: In vielen Kulturen, auch in Deutschland, wird Erfolg viel zu einseitig definiert. Meiner Ansicht nach muss man Erfolg im Sinne einer 360-Grad-Betrachtung eines Menschen definie-ren. Wenn es um Erfolg geht, geht es nicht nur um das Gehalt oder die Position im Unternehmen, sondern um die Frage, wie es einer Person körperlich und seelisch geht: Bin ich glücklich, indem was ich mache? Habe ich ein Gleichgewicht zwischen Freunden, Familie und Beruf? Halte ich mich fit? Bekomme ich die Interessen untergebracht, die mir jenseits von Arbeit wichtig sind, die mich aber inspirieren und die zu neuen Durchbrüchen in meiner Arbeit führen können? Man muss über den Teller-rand hinaus schauen und die Themen sehen, die einen wirklich begeistern und motivieren. Ich nenne das „Renaissance-Mensch werden“. Erst dadurch erhalte ich wieder Inspirationen sowie „Aha!“-Durchbrüche, die mich in meiner Kernkompetenz und damit in meinem Job weiterbringen.

DMR: Es geht also um eine ganzheitliche Betrachtung?

T. Oliver: Ja. Sehr gut beobachten kann man das bei Führungs-kräften, die große Unternehmen aus dem Boden gestampft ha-ben oder ganze Industriezweige völlig innovativ auf den Kopf stellen. Sie gelten als Vordenker für alle anderen in diesem Be-reich und sind Persönlichkeiten, die sich in vielfältiger Weise als moderne „Renaissance-Menschen“ definiert haben. Steve Jobs beispielsweise sagte, dass sein Kalligraphie-Kurs an der Uni dazu geführt hat, dem Mac das ästhetische Design zu geben, das bis heute die Apple-Kultur so nachhaltig beeinflusst. In Deutsch-land wird das oft missverstanden – viele hier denken, dass man durch zu viele Interessen schnell den Fokus verlieren kann und alles ein bisschen, aber nichts richtig macht. Das ist nur bedingt richtig. Ich kann sehr wohl unterschiedliche Interessen haben, die sich gleichzeitig alle ideal ergänzen und einfach aus meiner Persönlichkeit heraus kommen. Dadurch tragen sie auch zum Erfolg meiner Tätigkeiten bei. Ich selbst bin leidenschaftlicher Kite-Surfer, für mich ist es wichtig, regelmäßig aufs Wasser zu gehen. Zu sagen, dass ich dadurch Zeit für meinen Job verliere,

wäre eine Fehlinterpretation, denn ich habe auf dem Wasser die Art von Intuitionen und Aha-Momenten, die mich, meine Pro-jekte oder meine unterschiedlichen Geschäftszweige fundamen-tal nach vorne bringen.

DMR: Das ist ein spannendes Thema, auch vor dem Hintergrund eines Vergleichs deutscher und amerikanischer Unternehmen. Wie holt man Begeisterung ins Unternehmen, wie weckt man die Kreativität der Mitarbeiter? Was müsste aus Ihrer Sicht getan wer-den, um diese Inspirationsquellen zu erschließen?

T. Oliver: Beginnen wir mit einer kleinen Anekdote. Der HR-Chef von PwC fragte mich: Tom, denkst Du, das Google-Phä-nomen hätte auch in Deutschland passieren können? Meine Antwort lautete: Nein, weil deutsche Unternehmen immer noch denken, dass Innovationen ein lineares Konzept sind und dass man Innovationen planen kann. Innovation und Kreativi-tät sind aber nicht linear. Man muss die Prozesse verstehen, aber auch die Geheimnisse der Innovationen und der Kreativität – und, wie weltweit erfolgreiche Unternehmen wie Google und Apple diese Geheimnisse für sich nutzen. Deutschland muss sich grundsätzlich davon verabschieden, so zu arbeiten, wie bislang gearbeitet wurde. Wer jemals in den Headquaters von Google war, wird den Eindruck haben, dass dort gar nicht gearbeitet wird. Es gibt Schwimmbäder, Massagen, Meditationskurse, Fitness-Center, Videospiele, Billardtische für die Mitarbeiter. Google hat erkannt, dass wir am kreativsten sind, wenn wir in ein Problem gezielt hineingehen, dann aber unsere Gedanken von dem Problem wieder entfernen. Innovative Unternehmen nehmen die 360-Grad-Betrachtung mit ins Unternehmen hinein. Sie beschäftigen sich mit der Sinnfrage: Warum bin ich eigentlich hier? Was mache ich? Diese Unternehmen überlegen, wie Mitarbeiter zu einem Gleichgewicht zwischen Körper und Geist kommen. In Deutschland setzen wir das nicht wirklich um im Unternehmertum. Aus diesem Grund verharren wir oft in alten traditionellen Verhaltensweisen, schauen bewundernd nach Amerika und fragen uns, wie machen die das eigentlich? Ja, sie machen das, indem sie nicht nur intellektuell und theore-tisch die Sachen angehen, sondern sie in die Unternehmenskul-tur einfließen lassen und praktisch umsetzen.

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Tom Oliver berät viele Fortune 500 CEOs und arbeitet mit den bekanntesten Marken der

Welt zusammen – von Johnson & Johnson über Pepsi bis Google, von der Rockefeller-

Familie über die Familie von Warren Buffet bis zu Wirtschaftsführern wie Richard Branson. Basierend auf einem von ihm aus der Taufe

gehobenen Netzwerk gründete Tom Oliver die World Peace Foundation, die Nobelpreisträger

Desmond Tuto als „das bedeutendste Frie-densereignis der Geschichte“ bezeichnete. Als

Inspirator für weltweiten sozialen Wandel ge-lingt es Tom, die unterschiedlichsten Gruppen

von Führungspersönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft zusammenzubringen und auf

eine gemeinsame Vision einzustimmen. Er ist Autor des Bestsellers „Nothing Is Impossible“

und Professor für Innovation und Change Management, gründete den Global Leader-

ship Circle an der renommierten Manchester Business School und referiert an vielen

anderen Business Schools zu den Themen Innovation, Change Management, Leadership, HR und Future Work. Außerdem ist Tom Oliver

leidenschaftlicher Musiker und Musikpro-duzent, der mit Stars wie Ricky Martin und

Mariah Carey den roten Teppich bei den World Music Awards in Monte Carlo teilt.

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DMR: Unserer Ansicht nach gibt es zwei Pole: Auf der einen Seite wünscht man sich Freigeister, möchte Mitarbeiter aus dem gewohnten Trott herausreißen, um auf neue Ideen zu kommen, auf der anderen Seite müssen wir aber Unternehmen auch möglichst effizient gestalten. Wie bekommt man dieses Thema in einem Un-ternehmen ins Gleichgewicht?

T. Oliver: Für mich geht das Hand in Hand. Letzte Woche saß ich mit dem Vorstandsvorsitzenden einer großen Aktien-gesellschaft in Deutschland zusammen. Er sagte: Ich habe mir Top-Leute von Google, Facebook und Microsoft in mein Team geholt. Nun kommen die alt eingesessenen deutschen Mana-ger meiner Führungsspitze zu mir und sagen: Mensch, die sind aber doof. Grund hierfür ist, dass da zwei Unternehmenskul-turen aufeinanderprallen. Es fehlt das Verständnis für eine fort-schrittlichere Unternehmenskultur, die viel bessere Resultate liefert. Für mich sind diese beiden Pole keine entgegengesetzten Pole, eher wie Brüder, die sich die Hand reichen. Schaut man sich Google ganz genau an, merkt man, dass die Mitarbeiter viel mehr als in anderen Unternehmen arbeiten. Beispielsweise auch auf dem Weg nach Hause, denn Google stellt seinen Mit-arbeitern Busse zum Pendeln zur Verfügung, die natürlich mit WiFi ausgestattet sind. Google verlangt von seinen Mitarbeitern nicht, dass sie permanent arbeiten, es ist vielmehr ein fließender Übergang zwischen Work und Life. Damit schafft es das Unter-nehmen, die Mitarbeiter ideal für sich zu gewinnen und darüber hinaus das kreative Potenzialideal zu fördern, gleichzeitig aber die Produktivität zu maximieren. Wieso schafft Google das? Google schafft das, weil das Unternehmen seine Mitarbeiter ständig in das Problem hinein- und dann wieder herausführt. Durch das Hinein- und Herausführen entstehen Durch brüche und Inspirationen. Im Endeffekt ist es ein Konzept, das in Deutschland schon fast verpönt ist: die Zufriedenheit am Ar-beitsplatz.

DMR: Spaß an der Arbeit wirkt also auch auf die Effizienz?

T. Oliver: Aber sicher! Der CEO Tony Hsieh von Zappos Shoes hat sein Unternehmen auf der Maxime gegründet, dass das Un-ternehmen kein Advertising braucht, sondern Mitarbeiter, die mit dem, was sie tun, glücklich sind. Wenn man dieses Konzept einer deutschen Führungsspitze vorlegt, lachen die einen aus. Dieses Konzept hat aber dazu geführt, dass Zappos nicht nur bei den Mitarbeitern, sondern auch bei den Kunden äußerst be-liebt ist. Die Außenwirkung ist blendend und könnte mit keiner ausgeklügelten Marketingstrategie erreicht werden – schon gar nicht mit der Effizienz. Hier sehen wir ein Aufbrechen von al-ten Unternehmensstrukturen, Unternehmensphilosophien und Führungsspielen. Vor allem in Deutschland müssen wir uns öff-nen und von der harten preußischen, linearen Kultur wegkom-

men. Deutschland hat ein fantastisches Potenzial. Wir können die Flexibilität und das kalifornische Freidenkertum mit den gesunden deutschen Maßstäben der Disziplin und Effizienz kombinieren.

DMR: Also sollten wir quasi das Beste aus beiden Welten kombi-nieren?

T. Oliver: Definitiv. Aber ich würde das nicht als Gegensätze definieren, vielmehr gehen beide Ansätze fließend ineinander über. Wie man an dem Beispiel von Google gesehen hat, stei-gern Freiheit und Spaß automatisch Effizienz und Produktivi-tät. Das Problem liegt ja gerade in der sehr deutschen Ansicht, dass das getrennte Bereiche sind. Und da reicht es nicht aus, ein bisschen auf Silicon Valley zu machen und sich einen Billard-tisch hinzustellen. Das Topmanagement muss verstehen, wie es funktioniert, und es top-down leben.

DMR: Das führt uns zur Bedeutung von Leadership in diesem Kontext. Was zeichnet einen erfolgreichen Leader in diesem hoch-dynamischen Umfeld aus?

T. Oliver: Mit Jochen Zeitz, CEO von Puma, habe ich mich darüber unterhalten, wie er die besten Leute für sein Unter-nehmen gewinnt. Jochen meinte, dass er ganz stark nach dem Prinzip geht, ob es ihm Spaß macht, mit der Person zusam-men zu arbeiten. Mit Richard Branson hatte ich ein ähnliches Gespräch, er würde immer diejenigen an die Spitze seines Un-ternehmens setzen, die ein „Ball of Fun“ sind. Diese Konzepte sind leider vielen Führungskräften in Deutschland völlig fremd. Hier passt die deutsche Bierwerbung, die einen Menschen zeigt, der hart schuftet und sich am Ende des Tages zurücklehnt, eine Flasche Bier öffnet und dann wird der Spruch eingeblendet: Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Offensichtlich ist es in der deutschen Mentalität verankert, dass Arbeit kein Vergnügen sein kann. Darin zeigt sich der große Unterschied zwischen der deutschen und der amerikanischen Unternehmenskultur, denn dort ist Vergnügen gleich Arbeit und Arbeit gleich Vergnügen. Der Leader an der Spitze muss das verinnerlichen und leben. Genau aus diesem Grund finden viele Leute Richard Branson so toll, denn er lebt diesen Fun, er ist 95 Prozent Fun und 5 Prozent harter Geschäftsmann. Und das nimmt man ihm ab. Der Spaßfaktor ist sehr wichtig in der Zusammenarbeit, aber auch für das Thema Leadership, für die Personen, die an der Spitze stehen und führen.

Ein weiterer Faktor ist die Sinnfrage. Nicht umsonst rangiert Google in den letzten Jahren konsequent auf Platz 1 der Unter-nehmen, in denen die besten Hochschulabsolventen am liebsten arbeiten möchten. Google beantwortet die Sinnfrage ideal. Die

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Google-Gründer haben ein 10-Punkte-Konzept erstellt, das Credo von Google. Sie haben ein Mission Statement erstellt, das in ein, zwei Sätzen so klar formuliert ist, dass sich jeder da-mit identifizieren kann. Das zieht die Leute zu Google. Noch ein Beispiel: Apple stellt beim Launch der neuen Produkte nicht gut aussehende Models auf die Bühne, sondern Sir Jonathan Ive, den Head Designer von Apple, in einem weißen T-Shirt vor einem weißen Hintergrund. Warum? Weil Sir Jonathan Ive über das neue Apple-Produkt spricht, als sei ein Kind geboren! Der Kunde merkt durch die Leidenschaft, die Authentizität und die Emotionen von Sir Jonathan Ive, dass er das Produkt liebt und absolut überzeugt ist davon – und genau das begeistert den Endkonsumenten. Dieses Denken muss in der DNA eines Un-ternehmens eingebaut und integraler Bestandteil der Führungs-spitze sein.

DMR: In der deutschen Kultur ist auch die Angst, den Job oder Status zu verlieren, weit verbreitet. Gibt es da einen internationa-len Unterschied? Wenn ja, was kann man dagegen tun?

T. Oliver: Angst ist fundamental. In Deutschland wird sich viel zu viel angepasst, man traut sich kaum, seine Individualität zu leben. Das betrifft auch den Führungsstil. Es ist die Angst davor, seiner Intuition zu folgen, selbst wenn man weiß, dass es der richtige Weg ist. Das sieht man auch an der Mentalitätskrank-heit: Man darf keine Fehler machen. Schon in der Schulzeit wird man damit in Deutschland geimpft. Wir haben ja auch Angst vor Nationalbewusstsein. Erst seit kurzem trauen wir uns, beim Fußball eine Flagge rauszuhängen. Wir trauen uns auch nicht, auf uns persönlich stolz zu sein, auf das, was man selbst ist, zu seinen Abneigungen und Vorlieben zu stehen, aber auch zu seinen charakterlichen Defekten und Talenten. Talente müs-sen gelebt werden, man darf nicht versuchen, die Schwächen zu Stärken zu machen. Denn diese können maximal mittelmäßig werden. Wenn man aber seine Stärken voll ausspielt, dann kann man wirklich herausragend werden und ein Vorbild für andere sein. Und so trauen sich auch viele Menschen und Unterneh-men nicht, Ideen nach vorne zu bringen – auch nicht, wenn sie hervorragend sind. Das ist einer der Gründe, warum Richard Branson in seinem Credo geschrieben hat, dass er möchte, das Leute Fehler machen. Er ermutigt Leute, mit neuen Ideen nach vorne zu kommen, auch wenn sie auf den ersten Blick unkon-ventionell erscheinen. Er weiß genau, dass nur dadurch neue Pfade beschritten werden.

DMR: Stärkenbasiert unterwegs zu sein bedeutet ja, in Stärken und Talente zu investieren und Schwächen zuzugeben. Insbeson-dere im Management finden wir aber diese Gleichartigkeit, da das Thema Diversity auch nicht konsequent umgesetzt wird. Was

müsste man tun, um daran etwas zu ändern? Ist das Bildungssystem ein Ansatzpunkt? Wie kann man eine neue Kultur in Deutschland erzeugen, die Stärken und Schwächen beleuchtet?

T. Oliver: Eines der zentralen Themen ist die ideale Entwick-lung der eigenen Persönlichkeit, der Umgang mit der Perso-nal Leadership. Mein Rezept ist ganz einfach: Die Schwächen vergessen und sich nur auf die Stärken konzentrieren, um sich dadurch außergewöhnlich zu machen. Schwächen sollte man durch Menschen ergänzen, die das am besten können, was man selbst am wenigsten kann. Eine Führungspersönlichkeit wie Richard Branson hat eine klare Vision formuliert, die be-schreibt, was er mit seinem Unternehmen erreichen möchte. Nummer eins ist also, eine klare Vision zu formulieren. Num-mer zwei ist, sich ausschließlich auf seine Stärken zu konzen-trieren und sich mit Menschen und Teams zu umgeben, die das ideal ergänzen. In diesem Moment können die Persönlichkeiten scheinen und glänzen und sich voll entfalten. Im deutschen Bil-dungssystem, im deutschen Führungssystem und auch in der Unternehmenskultur müssen also konsequent Stärken gefördert werden. Schwächen sollten definiert, aber nicht betont werden. Jetzt kommen wir zu einem Punkt, den ich auch in meinen Reden immer wieder thematisiere: Ich halte jeden Menschen für ein kreatives Genie! Das ist sehr provokant gesagt, aber ich sage es so, weil ich die absoluten Talente aus den Leuten heraus kitzeln möchte. Menschen sollten sich über Stärken definieren. Auch in unserem Bildungssystem wird ja immer auf die Schwä-chen hingewiesen, und daher versuchen die Menschen, den Weg der Sicherheit zu gehen, um eben keine Fehler zu machen. So entstehen aber keine Innovationen! Das Stärken-Schwächen-Thema ist auch für die Bildung von Teams relevant: Man kann nur ideale Teams bilden, wenn man die absoluten Top-Stärken der einzelnen Personen kennt und diese ideal mit anderen zu-sammenbringt, sodass sich die Stärken und Schwächen optimal ergänzen. Nur dann entsteht ein optimales Team. Ansonsten habe ich Teams, die irgendwie zusammen gewürfelt sind und nicht gut funktionieren, die Folge sind Produktivitätsverlust und Motivationsverlust.

DMR: Der Aspekt des Lernens ist sehr spannend. Schüler, die Pro-bleme im Lateinunterricht haben, bekommen direkt zahlreiche Nachhilfestunden, anstatt sich einfach auf etwas anderes zu kon-zentrieren. Was kann man in einem Unternehmenskontext tun, um dem wieder entgegen zu wirken?

T. Oliver: Ich kann ein ganz klares Unternehmenscredo etablie-ren. Damit meine ich einen Punkteplan, der veranschaulicht, welchen Prinzipien man folgt. Puma hat damals vier fundamen-tale Prinzipien eingeführt und jeder im Unternehmen musste

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sich an diesen Prinzipien orientieren. Ein Unternehmen so zu führen, ist ein sehr radikaler Weg, aber jedes Unternehmen kann das anwenden. Das Credo muss nur manageable wer-den, also greifbar, verständlich und sehr eindeutig definiert sein. Dieser Punkteplan sollte Leute ermutigen, Fehler zu ma-chen, denn dann erst gehen sie aus sich heraus, machen neue Dinge und können sich entfalten. Das auf Schwächen basierte Bildungs- und Erziehungssystem zieht sich wie ein roter Faden durch ganz Deutschland und ist so allgegenwärtig, dass wir es gar nicht mehr wahrnehmen. Ein anderes Beispiel ist das Thema Insolvenz. Richard Branson sagte einmal, dass er kaum einen herausragenden amerikanischen Unternehmer kennt, der nicht einmal eine Insolvenz hingelegt hat. Wir haben hier eine grund-legend andere Denkweise. In Amerika ist es ein Schritt zum Erfolg, Fehler zu machen. Diese Art von Denke müssen wir in Deutschland fördern, denn viele fantastische Unternehmen er-sticken im Keim, da die Leute sich nicht trauen, die Ideen auf den Tisch zu bringen. Jemand, der in Deutschland als Unter-nehmer eine Insolvenz hingelegt hat, wird verpönt. Insolvenz ist nichts anderes als ein markanter, sichtbarer, gegenwärtiger Fehler einer Führungspersönlichkeit. Wir müssen Fehler kom-plett anders definieren.

DMR: Welche Rolle spielt Leadership an dieser Stelle?

T. Oliver: Leadership spielt eine fundamentale Rolle, denn das Management muss es sich nicht nur auf die eigene, sondern auch auf die Flagge des Unternehmens schreiben. Und dann leben. In Deutschland sagen wir zwar oft, dass wir für etwas stehen, aber in der Praxis stehen wir nicht wirklich dafür. Wir machen die Dinge genauso weiter wie immer und verlassen nicht den eingetretenen Pfad, denn wir haben Angst, Fehler zu machen. Wir haben nicht den Mut, unkonventionelle Pfade zu beschreiten.

DMR: Walk the Talk als ganz wesentlicher Punkt?

T. Oliver: Walk the Talk und auch zu verstehen, wovon man redet. Ich hatte ein Gespräch mit einem Vorstand einer großen Aktiengesellschaft in Deutschland, der mir sagte, dass er neue Unternehmen im Ausland aufgekauft hat und ihm das ganze Management weggelaufen ist. Das Management ist weggelau-fen, weil überhaupt kein Verständnis für die unterschiedlichen Unternehmenskulturen da war. Die Unternehmen wurden le-diglich eingekauft, ohne die verschiedenen Unternehmenskul-turen zu integrieren. Die Fähigkeit zur Selbstanalyse ist hier fun-damental wichtig. Das bringt mich zu einem Satz, der mich sehr beeindruckt hat: Als Sony auf seinem Höhepunkt war, sagte der ehemalige Sony-Chef, dass sie jetzt vorsichtig sein müssen. Sony

sollte in sich hinein schauen und sich fragen, was man besser machen kann, sehen, was nicht funktioniert, offen für Fehler und neue Wege sein, auch wenn von außen betrachtet alles wunderbar funktioniert.

DMR: Wir sind mit dem Thema Innovation und Kreativität ein-gestiegen. Können Sie sich noch an einen Moment erinnern, in dem Sie eine wirklich neue und kreative Idee hatten?

T. Oliver: Ich bin ja auch Musikproduzent und die Musik ist ein fantastisches Beispiel für Kreativität und Innovation. In der Musik schafft man ständig Inspirationen aus dem Nichts. Lio-nel Richie hat dieses Phänomen mal das unsichtbare Radio ge-nannt: Wir hören die Musik und wissen nicht woher sie kommt. Letztes Jahr hatte ich die Ehre, zu den World Music Awards in Monaco eingeladen zu werden. Wenn man mit anderen Künst-lern zusammensitzt, ist diese Inspiration, die scheinbar aus dem Nichts kommt, immer wieder das zentrale, faszinierende The-ma. Auf diese Inspiration kann man sich vorbereiten, man kann sie programmieren und herbeiführen, aber man kann sie nicht erzwingen. Man kann ein ideales Umfeld schaffen. Das erinnert mich an die Popgruppe Abba. Was viele Leute nicht wissen ist, dass die meisten Hits der Gruppe Abba von nur einem Mitglied der Gruppe geschrieben wurden. Er hatte immer die gleiche Routine und nannte es „vor der Höhle sitzen und auf den Dra-chen warten“. Er saß jeden Tag mehr oder weniger zur gleichen Zeit im Studio und hat sich auf die Inspirationen vorbereitet. Er hatte sein Werkzeug, also sein Keyboard, dabei und war bereit. Die meisten Tage kam der Drache nicht aus der Höhle, aber an den Tagen, an denen er kam, war er bereit, den Drachen zu töten. Das war für ihn die Metapher, auf Inspirationen zu warten. Zurück zur Frage: Wenn ich im Studio sitze und an neuen Songs schreibe, kommen die Songs aus dem unsichtbaren Radio. Dann formen sich die Akkorde auf dem Piano, der Text kommt von den Lippen, die Hände bewegen sich fast von selbst und der Song kommt von alleine. Ich habe die richtigen Rah-menbedingungen geschaffen – der Rest passiert von alleine.

DMR: Das war ein tolles Schlusswort.

Das Interview führten Marc Wagner und Verena Vinke.

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ine der aufsehenerregendsten Fusionen der letzten 20 Jahre war der Zusammenschluss von Daimler und Chrysler. Im Jahr 1998 hatte Daimler den US-amerikanischen Autobauer für 36 Milliarden Dollar gekauft, um ihn nur neun Jahre später für letztlich eine Milliarde Euro wieder zu verkaufen. Die Ursache für dieses Minusgeschäft liegt zu großen Teilen in der Inkom-patibilität der Unternehmenskulturen, die dazu führten, dass mögliche Synergien nicht gehoben wurden.1 Unternehmenskultur beeinflusst Unternehmenserfolg

Diese missglückte Fusion ist nur ein Beispiel unter vielen, das zeigt, wie wertvoll der sorgfältige Umgang mit der eigenen Un-ternehmenskultur ist. Mehrere Studien belegen, dass diese nicht nur bei einem Zusammenschluss zweier Unternehmen mitbe-stimmend ist, sondern bei einer korrekten Abstimmung mit den strategischen Unternehmenszielen den monetären Erfolg eines Unternehmens signifikant beeinflussen kann.2 Darüber hinaus ist sie, gespiegelt im jeweiligen Arbeitsklima, der entscheidende Faktor im War for Talents. Die Studien besagen auch, dass nach-haltiger Erfolg nur durch eine Steigerung der Innovationsfähig-

E

Unternehmenskultur

Das Mehr an Möglichkeiten und Ideen Unternehmenskultur ist wichtig. Oft wird sie allerdings nicht als wichtig genug erachtet. Mit dem Detecon Cultural Assessment Model kann man das Phänomen „Unternehmenskultur“ strukturiert angehen – auch auf dezentraler Ebene.

keit zu gewährleisten ist und dass die passende Unternehmens-kultur hier als Innovationsinkubator fungiert.

Natürlich birgt die Evaluierung der eigenen Unternehmenskul-tur unter anderem auch das „Risiko“, kritische Themen oder sogar ernsthafte Probleme aufzudecken, die dann kommuniziert werden wollen und für die im Optimalfall Maßnahmen aufge-setzt werden, um eine sichtliche Besserung zu erzielen. Es stellt sich nur die Frage, ob man das wirklich will!? Oder erzeugt es mehr Unmut und Aufruhr unter den Mitarbeitern, als einem Management lieb ist?

So hoch ansetzen muss man gar nicht. Da die Kultur durch einen jeden Mitarbeiter geschaffen wird, reichen bereits Initia-tiven auf Teamebene, um die Kultur maßgeblich zu beeinflus-sen. Diese dezentrale Vorgehensweise kann von vergleichbarem Erfolg gekrönt sein wie ein zentral gestaltetes Maßnahmen-paket. Wie viele positive Reaktionen man durch kleine Signale des Interesses und durch Transparenz allein auslösen kann, ist ein Punkt, der häufig völlig unterschätzt wird, sich nach unseren Erfahrungen aber deutlich in der Unternehmensperformance widerspiegelt. Wenn man dezentral durchgeführte Initiativen und Umfragen unternehmensweit bündeln und tracken würde, wären diese Ergebnisse schon sehr viel Wert.

1 https://hbr.org/2007/05/why-the-daimlerchrysler-merger/.2 Vgl. Journal of Psychology 2010; Vol. 218(4), S. 234–242.

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Detecon Cultural Assessment Model analysiert Status Quo

Unternehmen müssen sich Missständen bewusst werden. Daher ist es aus Detecon-Sicht notwendig, die Problemursachen zu identifizieren und gezielt zu bekämpfen. Das Detecon Cul-tural Assessment Modell stellt eine detaillierte Aufgliederung von Kulturelementen dar, die dabei hilft, den Status Quo einer Unternehmenskultur im Team oder gar in der Organisation zu analysieren. Vom Management entwickelte Strukturen wie Monitoring-Systeme, Organisationsstruktur, Ziel- und Ver-gütungssysteme und Führungsstil beeinflussen hierbei die zwischenmenschlichen Beziehungen der Organisationsmit-glieder und schlagen sich in einer unternehmensspezifischen Kultur nieder. Diese wiederum beeinflusst die Struktur. Wenn man sich nicht aktiv um die Unternehmenskultur kümmert, kann dies zu unerwünschten Auswirkungen auf den Unterneh-menserfolg führen.

Hier gilt es, frühzeitig einzugreifen und positive Entwicklungen zu fördern. Ein strukturiertes Modell kann dabei helfen, heraus-zufinden, an welchen Stellen man „schrauben” müsste, um die größten Schmerzpunkte aufzulösen. Hierauf sollte das Manage-ment sich im nächsten Schritt comitten.

Im Detecon Cultural Assessment Modell werden zuerst die Aufbau- und Ablauforganisation hinterfragt, dann die Rituale, Routinen und Symbo sowie letztendlich der Aufbau der Macht-stuktur, Teamatmosphäre bis hin zum individuellen Com-mitment. Die als „soft” kategorisierten Problempunkte, zum Beispiel Leadership Style oder Knowledge Sharing, sind also in den meisten Fällen immer hart verdrahtet mit strukturellen Gründen und können mit konkreten Maßnahmen angegangen werden. Die positiven Auswirkungen der Investitionen, die hier anfallen, sind den Preis allerdings wert.

Innovationsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft durch Partizipation

Solche Maßnahmen für identifizierte Problemfelder können durchaus auch einen partizipativen Charakter haben. Detecon selbst hat die Einbindung der Mitarbeiter in die aktive Gestal-tung der Unternehmenskultur verprobt und Erfolge damit er-zielt. Diesem Vorgehen zugrunde liegt das Verständnis, dass eine Kultur ohne Mitarbeiter nicht exisitiert. Schafft man also eine Plattform, auf der sich Mitarbeiter konstruktiv austoben und neue Ideen und Vorschläge entwicken können, schafft man das Aktivitätslevel sowie die persönliche emotionale Einbindung der Mitarbeiter, die man für eine gesunde Identifizierung mit dem Unternehmen benötigt. Erst dann lässt sich die Leistung des Gesamtunternehmens steigern.

Peter Gere ist Consultant und unterstützt seine Klienten bei strategischen HR- und HR-IT-Themen in internationalen Rolloutprojekten. Sein Fokus liegt auf Kommunikation, Change Management und Unternehmenskultur.

Elena Rabbow ist Consultant und berät Kunden in Organisations- und Prozess-themen mit dem Schwerpunkt HR, Transformation und Integral Business.

Vielen Dank an Christoph Hauk, Masterand bei Detecon, für die Mitarbeit an diesem Artikel.

3 Bennett, Parks, Struggling to innovate? Examine your structure, systems, and culture. Business Horizons, 2015.

4 McDermott, O’Connor, Peters, Rice, Veryzer, Radical innovation: How mature companies can outsmart upstarts. Boston: Harvard Business School Press, 2000.

5,6 HIGGINS, McALLASTER, Want innovation? Then use cultural artifacts that support it. Organizational Dynamics, 31(1), 2002, S. 74-84.

Implizit fördert dies auch die Innovationsfähigkeit und die Ver-änderungsbereitschaft, was für die Zukunft ein unabdingbares Kriterium eines jeden nachhaltig erfolgreichen Unternehmens ist.

Wie kann man Innovationskraft also sonst noch fördern und Talente binden?

1. Fehler müssen als Chance begriffen werden, nicht als Versagen a Zeit für Innovationen einräumen, ausreichend Ressourcen freigeben3

b. Führungskräfte müssen Ideen fördern, Freiheiten geben und die Entwicklung trotzdem begleiten4

2. Kulturelle Symbole an die gewünschte Kultur anpassen: Informeller Austausch über Teams hinweg muss baulich unterstützt werden5

3. Recrutierung der passenden Köpfe zur gewünschten Unternehmenskultur

4. Zielsysteme auf Kollaboration hin auslegen (Teambonus, Innovationsbonus)6

Die Kultur eines jeden Unternehmens ist äußerst relevant für den nachhaltigen Erfolg. Dies scheint plausibel und doch nicht die ganze Wahrheit zu sein. Funktioniert es auch ohne genaues Hinsehen zu gut, als dass man sich wirklich regelmäßig darum kümmern müsste? Oder reicht der Erfolg allein aus, um eine positive und produktive Kultur aufrecht zu erhalten? Oder wird die Zufriedenheit der Mitarbeiter einfach nicht ernst ge-nug genommen, solange der Umsatz noch stimmt? Die Wett-bewerbssituation auf dem Markt wird es zwangsläufig zeigen. Fest steht jedoch: Das Mehr an Möglichkeiten und Ideen, das eine stimmige Unternehmenskultur bietet, sollte voll und ganz ausgeschöpft werden. Wer nicht weiß, wo er anfangen soll, der fragt seine Mitarbeiter und Kollegen…

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Hat ein familiengeführtes Unternehmen per Definition eine starke Unternehmenskul-tur, die durch den Gründer geprägt ist? Kultur sei immer abhängig von Machtträgern, sagt Jürgen Bock, der in der Otto Group den Bereich Kulturentwicklung und Corpo-rate Values leitet. Bei Otto gelte aber der Grundsatz „die Kraft der Verantwortung“, weshalb die Kultur durch alle Beteiligten geprägt wird. An vielen Beispielen zeigt Bock, wie er Mitarbeiter aller Hierarchien aus ihrer „Komfortzone“ holt, damit sie sich im Kontext der Unternehmenskultur weiterentwickeln.

Interview mit Jürgen Bock, Bereichsleiter Kulturentwicklung und Corporate Values Otto Group

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DMR: Herr Bock, was hat Sie in die Position des Kulturverant-wortlichen für die Otto Group geführt und worin begründet sich Ihre Passion für dieses Thema?

J. Bock: Ich war 13 Jahre lang Leiter der Personalentwicklung. In diesem Kontext hat Unternehmenskultur immer einen Stel-lenwert. Das beginnt mit diversen Führungskräftetagungen, die in gewisser Weise Weichenstellung sind für kulturelle Themen. Dr. Otto gewährte mir schon damals eine relativ große Frei-heit und so konnte ich mit meinen sehr kreativen Mitarbei-tern verschiedene Themen auch emotional in die Organisation hineintreiben. Das Ganze ist dann gewachsen, auch internatio-nal in der Otto Group Academy, die sich an 120 Firmen welt-weit richtet.

Die Leidenschaft zum Thema ist aus einer persönlichen Situ-ation in meiner beruflichen Laufbahn entstanden, in der auch ich unter Einengung und Begrenzung gelitten habe. Wenn die Rahmenbedingungen keine Freiheit in der Gestaltung erlauben, kann man auch sein Talent nicht einbringen. Aus diesem Emp-finden heraus ist der Wunsch entstanden, dazu beizutragen, dass die Kräfte nicht nach innen verwirkt, sondern nach außen ge-bündelt als Kraft auf den Kunden und für den Kundennutzen eingesetzt werden. Silo-Kulturen sollen nicht länger dazu beitra-gen, dass sich das alles in Luft auflöst.

DMR: Mitarbeitern Freiheiten zu geben und letztlich auch deren Potenzial zu wecken – wie spiegelt sich das außerhalb Ihres Bereichs in der Otto Group wieder?

J. Bock: In der Otto Group gibt es zirka 30 größere Firmen. Jede Firma hat ihre eigene Kultur. Wenn wir Firmen übernom-men haben, dann haben wir auch deren Kultur mehr oder we-niger so belassen, es sei denn, es gab etwas, das uns überhaupt nicht gefallen hat. Das heißt also, wir haben viele Subkulturen. Um es einfacher zu machen, betrachten wir mal das Kernun-ternehmen OTTO: Das ist ein Unternehmen mit knapp 4000 Mitarbeitern und vier Geschäftsführern – die von Michael Otto ausgewählt wurden. Ich behaupte, dass bei uns Kultur viel mit der Persönlichkeit von Michael Otto zu tun. Er selbst ist je-mand, der sehr stark vertraut, große Freiheiten gibt, aber auch die Verantwortung sieht, die der- oder diejenige für das Projekt übernimmt. Er ist sehr freundlich im Umgang, sehr hanseatisch und bescheiden – und das sind alles Aspekte, die sich in unserer Kultur wiederfinden. Unsere Devise heißt nicht „Hey, wir sind die Größten!“, sondern wir machen Gutes, wir achten darauf, dass die Arbeitsbedingungen angenehm sind, aber auch, dass wir draußen in der Gesellschaft unseren Beitrag leisten. Wir sind wie eine große Familie. Und in einer Familie hat man eben von vornherein Vertrauen, man unterstellt dem anderen nicht das Schlechteste und ist misstrauisch. Wenn jemand aber die-

ses Vertrauen missbraucht oder die Leistung nicht bringt, dann wird er sicherlich beim nächsten Mal eher an kürzen Zügeln geführt.

DMR: Ihre Kultur ist also auch unheimlich stark abhängig von der Gründerfamilie und von Herrn Otto selbst?

J. Bock: Ja, das ist typisch für solche Unternehmen. Entweder haben sie noch einen Gründer oder es ist jemand aus der Grün-derfamilie da, der eine starke Figur ist – oder es ist ein starker CEO, der über lange Jahre dieses Unternehmen geprägt hat, das könnte auch sein.

DMR: Wir beraten primär Konzerne, in denen es diese Situation nicht gibt. Die Spitze bildet ein gewählter Vorstand, der meist nach einer Amtsperiode von fünf bis acht Jahren weiterzieht. Wie be-kommt man diese kulturellen Elemente in solch einen Konzern-verbund?

J. Bock: Das ist abhängig von den Menschen. Gewählte Fremd-manager sind ja keine schlechte Führungsspitze oder nur auf die Sicherung ihres persönlichen Vorteils aus. Es geht in erster Linie darum, was derjenige für ein Charakter ist und mit welcher Kul-tur er glaubt, die Welt zu erobern. Kultur ist, wenn man so will, entweder etwas, das aus dem tiefsten Inneren kommt, weil es der Persönlichkeit entspricht, oder es wird als Mittel zum Zweck eingesetzt – das ist aber meistens nicht so richtig erfolgreich. Ich glaube, dass Kultur immer abhängig ist von denjenigen, die die Machtträger sind, von ihren Charakteren und ihrer Vision, wie ein Unternehmen funktionieren sollte. Deswegen ist aus meiner Sicht auch jede Führungskraft im Grunde für jede Subkultur verantwortlich – und dafür frei, sie umzusetzen.

DMR: Das spricht für ein hohes Maß an Dezentralität und Autonomie, was die Steuerung betrifft. Gewisse Grundwerte wer-den vorgegeben, was den Rest betrifft, wird maximale Freiheit ge-lassen.

J. Bock: Ja. Das entspricht aber nicht einer Laissez-faire-Hal-tung. Man muss Werte konsequent umsetzen und genau beo-bachten, was da passiert. Ein Beispiel ist ein Führungsfeedback, das sich inhaltlich an den Werten orientiert, die man vorher in die Organisation gegeben hat: Mitarbeiter melden ihrer Führungskraft zurück, ob diese Werte in ihrem Bereich auch so gelebt werden. Dann kann die nächsthöhere Führungskraft mal drauf schauen und sagen: „Was ist denn aus deinem Füh-rungsfeedback geworden? Ich glaube, wir müssen mal reden.“ Aktuell haben wir das Thema „Führung und Zusammenarbeit“ in die Otto-Welt gebracht. Da gibt es eine Art Null-Messung, in der die Mitarbeiter befragt werden, wo Führung heute steht – gemessen an diesen Prinzipien, die wir zukünftig leben wollen.

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Und dann messen wir das zwei Jahre später nochmal, um zu schauen, ob sich etwas verändert hat.

DMR: Also „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“?

J. Bock: Nein. Ich glaube, es ist Interesse und eine Frage von Nachhaltigkeit. Sonst wüsste ich ja gar nicht, wie die Organi-sation dasteht. Wenn man etwas Neues aufsetzt, muss man ja schauen, wo man her kommt und wo es hin führt. Im Moment haben wir nur ein Gefühl – und wollen es genauer wissen.

DMR: Was hat es mit dem Elefanten auf sich, den Sie in diesem Kontext schon einmal erwähnten?

J. Bock: Die Gebrüder Chip und Dan Heath arbeiten in ih-rem Buch „Switch“ mit dem Bild des Reiters und des Elefanten. Der Reiter ist der Verstand, der Elefant das Gefühl. Der Rei-ter braucht im Rahmen eines Veränderungsprozesses ein klares Ziel. „Gute Führung“ reicht nicht aus, weil es zu unbestimmt ist. Es müsste etwas Konkretes sein wie einmal im Jahr ein Füh-rungsfeedback durchzuführen. Der Elefant würde sich vermut-lich gegen dieses Ziel entscheiden, weil es unangenehm für ihn sein könnte. Kritik an seinem Verhalten oder „ein heißer Stuhl“ fühlen sich nicht gut an. Da er bequem ist, würde er vermutlich das Führungsfeedback hinaus zögern. Der Reiter würde immer wieder ermahnen, es doch zu tun, aber der Elefant würde sich schon allein wegen seiner Größe durchsetzen.

Deshalb ist es wichtig, in dem Elefanten ein Gefühl zu erzeu-gen, das noch unangenehmer ist als die Durchführung des Füh-rungsfeedbacks. Das könnte beispielsweise die Einladung zu einer Geschäftsführungssitzung all derjenigen Führungskräfte sein, die das Führungsfeedback im verabredeten Zeitraum nicht gemacht haben. In dieser Sitzung würden diese Führungskräfte gefragt werden, warum sie es nicht für nötig erachten, in einem Jahr ein Feedbackverfahren durch zu führen. Mit Blick auf die weitere Karriere würden sie diese Frage als unangenehm emp-finden und vermutlich das Feedback durchführen. So kann man sich das Zusammenspiel zwischen Verstand und Gefühl im Hinblick auf Veränderungen vorstellen.

DMR: Welche Instrumente setzen Sie noch ein neben den regelmä-ßigen Bottom-up-Feedbacks an Führungskräfte?

J. Bock: Es gibt eine weitere Befragung, den Gesundheitsindex. Wir machen an gesundheitlichen Aspekten fest, wie offensicht-lich die Stimmung, die Kultur in den Bereichen ist. Man kann und muss durchaus Rückschlüsse auf die Arbeitskultur ziehen, wenn in einem Bereich eine hohe Krankheitsquote oder eine

hohe Fluktuation herrscht und Mitarbeiter auf Fragen zu Stress und ähnlichem in bestimmter Form antworten.

DMR: Wie messen Sie die Zufriedenheit von Mitarbeitern?

J. Bock: Die Hauptquelle für Informationen ist das Führungs-feedback, weil das die Beteiligten direkt betrifft. Bei uns gibt es die Mission „Die Kraft der Verantwortung“, was die Spie-gelung dessen ist: Führungskraft und Mitarbeiter kommen in die Selbstverantwortung. Die Mitarbeiter dahingehend, dass sie, wenn sie eine geschönte oder nicht offene Kommunikation mit ihrer Führungskraft pflegen würden, im Rahmen dieses Füh-rungsfeedback bestraft werden. Wenn sie sich aber öffnen und all das sagen, was sie stört und was aus ihrer Sicht geändert wer-den sollte, dann sind sie voll in ihrer Kraft. Und jetzt kommt die Führungskraft in ihrer Selbstverantwortung: Sie muss mithilfe eines Moderators differenzieren, dass es nicht um Kritik an der Person geht, sondern am Verhalten, an dem es offensichtlich noch Verbesserungsbedarf gibt. Der Moderator würde darauf achten und sagen: „Was könnt ihr Mitarbeiter dazu beitragen, dass sich die Kultur hier in Eurem Sinne verbessert?“ Das ist keine Einbahnstraße oder Wünsch-dir-was-Veranstaltung. Inso-fern haben wir eigentlich eine Kultur, die durch alle Beteiligten geprägt wird. Nur, dass die Führungskraft ein bisschen mehr Möglichkeiten hat.

DMR: Feedback und seine Verlinkung zur Leistungsbeurteilung und letztlich auch zum Gehalt wird durchaus sehr intensiv dis-kutiert. Wie ist das bei Otto – ist das Feedback anonym oder nur zugänglich für die Führungskraft?

J. Bock: Die nächsthöhere Führungskraft könnte sagen: „Sie haben doch gerade Ihr Führungsfeedback gemacht, wie ist es denn ausgefallen und könnte ich den Bogen mal sehen?“. In der Regel wird das aber nicht gemacht. Es gibt in dieser Lei-stungsbewertung nur die Frage: „Hast du das Führungsfeedback gemacht oder nicht?“

DMR: Das ist spannend. Denn dadurch hat man die Möglichkeit, wirklich offenes Feedback zu geben, ohne jemandem zu schaden.

J. Bock: Ja. Es geht nicht darum, dass die Mitarbeiter zum Bei-spiel in dem Wissen, ihr Feedback könnte Auswirkungen auf das Entgelt oder die Prämie haben, sagen: „Oh, jetzt wollen wir aber unserem Chef nicht ans Bein pinkeln, nachher kommt er ganz böse und sagt, ich kann mir wegen Dir jetzt nicht mehr den Porsche leisten.“ [lacht]

DMR: Noch einmal zurück zur Kultur – was ist das genau für Sie? Wie würden Sie Unternehmenskultur für sich greifbar machen?

Interview

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J. Bock: Es gibt verschiedene Definitionen. Diese gefällt mir am besten: Kultur ist die Summe der Gewohnheiten einer Organi-sation, mit denen sie sich von ihrer Umgebung unterscheidet. Ich halte viele Vorträge zu diesem Thema und habe inzwischen folgendes Bild entwickelt: Eine starke Unternehmenskultur ist wie ein Immunsystem. Sie sorgt dafür, dass Verhaltensweisen oder Vorgehensweisen abgelehnt werden, die im ersten Moment logisch klingen, aber nicht zum Unternehmen passen. Gleiches passiert mit Menschen: Jemand, der nicht passt, ist meist nach zwei Jahren wieder weg – entweder, weil er selbst erkannt hat, dass er nicht ins Unternehmen passt, oder weil man an anderer Stelle erkannt hat, dass er nicht dazu passt.

DMR: Viele Unternehmen an der Spitze scheitern doch aber, weil sie auf diesem erfolgsverwöhnten Track sind und immer wieder nur Gleiches und Gewohntes in das Unternehmen geholt haben.

J. Bock: Das stimmt. Trotzdem glaube ich, dass es ein Effekt von starker Unternehmenskultur ist, dass sie auch bewahrend wirkt. Gewohnheiten sind der härteste Kleister, den es im Leben gibt! Durch die Generation Y sehen wir aber einer gesunden Veränderung entgegen. Junge Kollegen sind nicht mehr so sehr am Status orientiert, nehmen auch Statusträger gar nicht mehr so ernst – es sei denn, es ist ein guter Typ, ein guter Charakter, ein interessanter Gesprächspartner. Sie nehmen sich das Recht heraus, Dir offen zu sagen, was sie von Deinem Vorgehen den-ken. Dadurch verändert sich schrittweise eine Unternehmens-kultur, sie wird offener. Denn dann kommt es auf den Kern der Führung an: Dass die Führungskraft ein Mensch ist, der Herz und Verstand hat. Allerdings betrachte ich mich selbst, obwohl ich nun schon 63 bin, als jemand der genauso denkt. Das Y hat es wohl schon immer gegeben...

DMR: … und ist jetzt nur stärker ausgebildet?

J. Bock: … und kommt jetzt stärker ins Gespräch. Damit wird es salonfähig und wir öffnen uns. Es ist ebenfalls ein Thema des demografischen Wandels: Die Bewerber, die wir zukünftig haben wollen, werden zahlenmäßig geringer sein. Das wird sich auch auf unsere vorhandenen Mitarbeiter auswirken. Sie ha-ben größere Wechselchancen, deshalb muss ein Unternehmen attraktiv sein von seiner Unternehmenskultur, damit es neue Potenzialträger für sich gewinnen und vorhandene halten kann.

DMR: Warum ist der Aspekt des Unterscheidens in der Kultur so wichtig aus Ihrer Sicht?

J. Bock: Der Vergleich eignet sich nun mal am besten, um deutlich zu machen, was denn das Eigene ist. Es geht in diesem Kontext nicht darum, dass wir besser sind als andere, sondern nur darum, den Unterschied zu anderen zu erkennen.

DMR: Und worin besteht der Unterschied zwischen Otto und an-deren Unternehmen?

J. Bock: Im ersten Moment spürt man so etwas wie eine freund-liche Kultur – hoffe ich jedenfalls. [lacht] Ich fühle mich hier wohl, der Umgang ist entspannt, selbst wenn Kollegen zum Teil unter Druck stehen. Dazu kommt das Thema Vertrauen. Auch bei uns gibt es Egoismen und Wettbewerb, aber nicht so stark ausgeprägt wie in einer Expertenkultur. Wir sind eher eine Ko-operationskultur.

DMR: Sie verbinden das Thema Kultur also auch mit einer Vision. Was wäre diese denn für die Otto Group?

J. Bock: Die Otto Group hat die bereits erwähnte Mission „Die Kraft der Verantwortung“. Sie ist in einem größeren Vorstands-Workshop entstanden, an dem ich auch beteiligt war, und ist wunderbar in Deckung zu bringen mit dem Sohn des Grün-ders, Michael Otto, der das Unternehmen mehrere Jahrzehnte geführt hat und jetzt Aufsichtsratsvorsitzender ist. Er hat immer sehr stark darauf geachtet, dass es bei allen wirtschaftlichen Inte-ressen auch um die Abhängigkeit der vielen Mitarbeiterfamilien vom Unternehmen geht. Dass wir ein gesellschaftliches Umfeld haben, auch bei unseren Lieferanten. Das Thema Verantwor-tung findet sich auch in vielen Projekten wieder. Von daher ist das ziemlich breit aufgestellt, nicht nur im Hinblick auf Nach-haltigkeit.

DMR: Wie partizipieren die Mitarbeiter an diesen Initiativen? J. Bock: Bei der Initiative „The Young Classics“ beispielsweise, einer Konzert-Reihe, brauchen wir ehrenamtliche Helfer. 100 bis 150 Mitarbeiter wirken bei diesen Konzerten mit und be-treuen Kinder, die gerade nicht auf der Bühne stehen, oder was es auch immer sein mag.

Als wir die Mission „Die Kraft der Verantwortung“ einführten, gab es das Ziel, 4000 Initiativen durch Mitarbeiter innerhalb eines Jahres zu generieren. Am 23. Dezember gab es 4000! Wenn wir 10.000 gesagt hätten, hätten wir wahrscheinlich auch 10.000 gekriegt. [lacht]

DMR: Können Sie ein paar Beispiele nennen, um zu zeigen, was Sie unter kultureller Arbeit verstehen?

J. Bock: Es gibt Initiativen bezogen auf den Konzern, auf das Unternehmen und auf einzelne Bereiche. Bei den Bereichen wer-den wir häufig nach Ideen gefragt. Zum Beispiel: „Ich möchte etwas mit 800 Mitarbeitern machen, das gemeinschaftsfördernd ist, wir sind neu zusammengesetzt, ich bin hier der neue Chef und möchte gerne etwas bewegen.“ Mit zwei Künstlern haben

Interview

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wir relativ schnell dieses Bild gefunden: Wer macht denn ei-gentlich diesen Bereich aus – im Grunde die 800 Menschen. In einem stillgelegten Flughafenterminal mit 800 Malplätzen ha-ben wir dann das wahrscheinlich größte Atelier aufgemacht, das es jemals gab! Die Mitarbeiter wurden darin unterrichtet, wie man sich selbst portraitiert. Die Portraits haben wir im Foyer ausgestellt. Alle waren sehr stolz und sagten: „Das sind wir!“ Der ein oder andere sagte: „Wie siehst du denn aus? Ich hab dich gar nicht erkannt!“ Die Aktion machte etwas mit den Menschen. In einem anderen Bereich hatten wir die Idee, die größte Rock-band der Welt zu stellen. Es konnten nicht viele Gitarre spielen – also haben wir die E-Gitarren vorgestimmt und mit farbigen Punkten beklebt, so dass man nur die farbigen Punkte greifen musste. Vorne stand immer einer und sagte: „Jetzt gelb, jetzt rot!“ So kamen wir auf 20 elektrische Bässe, 150 Drums und der Rest waren dann 200 Sänger. Wir haben eine Stunde lang ein tolles Konzert gehabt, es wurde im Intranet und sogar auf YouTube veröffentlicht. Und wieder sagten die Leute: „Boah, das sind wir!“

DMR: Adressieren Sie die Macht von Symbolik und Bildern sowie die Nutzung von Massen?

J. Bock: An allererster Stelle steht immer die Emotion. Die Leute müssen das Gefühl haben: Ich weiß, worum es geht, es macht Spaß, ich empfinde Freude, ich bin stolz! Das geht auch mit zehn Leuten. Manchmal muss man die Leute auch aus ihrer Komfortzone rausholen.

DMR: … also wirklich bewusst etwas anderes machen, was man bislang noch nicht kannte.

J. Bock: Genau.

DMR: Bei der Gestaltung des Detecon-Office haben wir ebenfalls mit Künstlern zusammengearbeitet. Welche Macht oder welche Rol-le kann Kunst aus Ihrer Sicht in diesem Kontext spielen?

J. Bock: Kürzlich habe ich auf dem Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft in Frankfurt vorgetragen. Vertreten waren etwa 50 Unternehmen, darunter auch viele namhafte. Was sie alle bis-lang machen ist, irgendwelche Künstler aufzufordern, die Kunst im Unternehmen zu zeigen, zum Beispiel das Gebäude künst-lerisch zu beleuchten. Eine Art Sponsorship. Dann habe ich ge-sagt, dass ich mit der Kunst eher dahingehend arbeite, dass ich Menschen einbeziehe und daraus einen Kontext schaffe, in dem sich die Menschen vielleicht noch nie bewegt haben. Darüber entwickelt sich etwas an Gemeinschaftlichkeit. Wenn ich mit Managern arbeite, nenne ich es „entrollen“, ich befreie Men-schen von ihrer Rolle. Ich bin dann nicht mehr der Direktor Marketing, sondern der Uwe und ich stehe hier nackt – im Englischen heißt der Vortrag „Get them naked“. Denn dann menschelt es sehr stark, das kann ich mit Kunst ganz gut trans-portieren. Es ist ein Feld, in dem sich die meisten nicht gut auskennen, und die Aufgabenstellungen sind meistens so, dass davon noch nie jemand etwas gehört hat.

Jürgen Bock war neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt fast neun Jahre in der Kon-zernrechtsabteilung der Otto Group aktiv,

zuletzt als Leiter des Juristischen Referats. Danach wechselte er in den Personalbe-

reich und leitete 13 Jahre lang die Perso-nalentwicklung. In dieser Zeit gründete er

die Otto Group Academy, die „Corporate University“ des Konzerns. Seit 2005 verant-wortet er die Bereiche Unternehmenskultur und Corporate Values für Otto und die Otto Group. Daneben ist er für andere Unterneh-

men als Berater für Unternehmenskultur-entwicklung, als Redner sowie als Coach

für Führungskräfte tätig.

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DMR: Haben Sie auch hierzu ein Beispiel?

J. Bock: Wir haben mit 16 Managern aus der ganzen Otto-Welt – also mit unterschiedlichen Nationalitäten – in Berlin einen Film zum Thema „Leadership“ gedreht. An unterschiedlichsten Plätzen haben wir gesucht, wie man das Thema Leadership dort finden kann, auch in der harten Drogenszene, im Kindergar-ten und im Bundestag. Daraus ist ein 50-minütiger poetischer Dokumentarfilm geworden. In unserem Größenwahn ha-ben wir uns damit auf dem Filmfestival in Cannes beworben, allerdings nicht als Manager der Otto Group, sondern als Netz-werk junger Regisseure, die ihren Erstlingsfilm dort platzieren. Absage! Aber wir haben herausgefunden, dass es neben dem Filmfestival palast ein Strandcafé gibt mit 72 Plätzen. Das haben wir gemietet, um dort den Film zu zeigen – obwohl es verbo-ten ist, in Cannes während der Festspiele Filme zu zeigen, die außerhalb des offi ziellen Wettbewerbs laufen. Die Manager ha-ben wir nach Cannes eingeladen mit der Aufgabe, auf der Messe von den 2000 Teilnehmern 72 Journalisten oder Regisseure zu gewinnen, die sich mit unserem Film beschäftigen wollen. Diese Herausforderung haben wir geschafft – 68 sind noch bis zum Schluss geblieben und haben mit uns diskutiert. Wir sind in diesem Projekt intensiv durch Höhen und Tiefen gegangen. Da können Sie sich vorstellen, was diese 16 Geschäftsführer für eine tolle Truppe sind! Und das kann ich mit jeder Truppe machen.

DMR: Es geht also um dieses gemeinsame Erleben von Sachen, die man noch gar nicht geplant hat oder gar nicht gesehen hat. Machen Sie das oft mit Ihren Management-Teams?

J. Bock: Ja, ich habe schon 50 Projekte gemacht. Aktuell finden die meisten in Kreuzberg statt, ein wilder Stadtteil. Da suchen wir uns Themen aus, die noch aufregend sind und unsere Leute aus der Komfortzone zwingen. Und die Projekte haben immer etwas mit der Verantwortung für die Gesellschaft zu tun.

DMR: Nach welchen Kriterien suchen Sie eigentlich Ihre Manager aus?

J. Bock: Ganz stark zählt die Agenda, die derjenige mitbringt. Bei Managern steht schon der Leistungsaspekt im Vordergrund. Natürlich auch der Fit in das Team. Allerdings bin ich nicht bei der Auswahl dabei, ich kann das nur vermuten. Was die Zusammenstellung meines Teams anbelangt, so frage ich mich am Anfang, mit welcher Einstellung ein Mensch unterwegs ist. Kann er sich für die Aufgabe begeistern, ist er/sie auch bereit, die Extrameile zu gehen? Ist er/sie bereit, zu wachsen, dazu zu lernen, Verantwortung zu übernehmen? Ich suche Menschen,

die allein laufen wollen, die ihre Aufgabe selbstständig ausfül-len wollen, die bereit sind, den gegebenen Freiraum und das Vertrauen auch zu nutzen und auszuschöpfen. Und ich unter-stütze sie in ihrem Wachstum, wo ich nur kann. Ich habe einen Hauptschulabsolventen in meinem Team und es ist eine große Freude, zuzuschauen, wie er über sich hinaus wächst. Inzwi-schen ist er angesehener Gesprächspartner für Vorstände und Verbandspräsidenten. Am Ende geht es mehr um die Persön-lichkeit, um die Ausstrahlung, um die Einstellung und weniger um den akademischen Abschluss. Auch wenn dieser natürlich auch für etwas gut und für bestimmte Aufgabenstellungen eine wichtige Voraussetzung ist.

DMR: Stichwort Komfortzone verlassen und Vertrauen als Kulturelement: Impliziert Vertrauen für Sie auch „sich etwas trau-en“? Haben Ihre Mitarbeiter das Gefühl, sie können sich hier etwas trauen?

J. Bock: Sich aus der Komfortzone herauszubewegen hat in er-ster Linie etwas mit Wachstum zu tun. Ich unterstelle, dass ich nicht wachse, wenn ich mich nur innerhalb der Komfortzone bewege. Wenn ich immer nur das mache, was ich immer ge-macht habe, dann ist Wachstum nicht möglich.

Vertrauen und Zutrauen ist eine gute Verknüpfung, die auch sehr viel mit Verantwortung zu tun hat. Es ist sicherlich ein häu-figes Problem, dass Menschen sich fragen „Darf ich das jetzt überhaupt, darf ich das so direkt sagen, darf ich diese Kritik äußern?“ Und ich glaube, dass es uns gut täte, wenn jeder weiß, dass er das darf.

DMR: Sie sagen über Ihre Mitarbeiter, dass viele für ihre Ideen brennen. Wie bringt man Mitarbeiter dazu? Dass sie sich über die Maße einsetzen, dass sie auch andere Leute dazu bringen, sich mit dieser Idee zu identifizieren oder diese mitziehen?

J. Bock: Ich bin kein Wahrsager. Aber ich entwickele ein Ge-fühl, ob jemand hier rein passt, talentiert ist für seine Aufgabe und sich dann eben auch einsetzt dafür. Es hat sicherlich auch etwas mit dem zu tun, was ich selbst vorlebe. Wir sind eine kleine Einheit und wenn ich brenne, dann kriege ich die ande-ren schon zum „Mitglühen“! Und wer nicht mitspielt, der wird relativ schnell merken, dass er hier nicht richtig ist.

Das Interview führten Marc Wagner und Tina Riester.

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Nachhaltigkeit@British Telecom

Corporate Social Responsibility

Nachhaltigkeit ist ein Megatrend. British Telecom ist Vorreiter in Sachen Sustainability Performance. Niall Dunne, CSO bei BT, zeigt, wie der Business Case für Unternehmen UND Gesellschaft gelingen kann.

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D er private Sektor investiert Millionen in ökologisches und soziales Engagement. Ob die damit verbundenen Ausgaben am Ende ein lohnendes Investment für das einzelne Unternehmen sind, bleibt nach wie vor umstritten – unter Investoren und Finanzexperten ist die Diskussion um den Business Case der Corporate Social Responsibility (CSR) oder Unternehmens-nachhaltigkeit nicht abgeschlossen. CSR beeinflusst jedoch eine Anzahl an soliden Wachstumstreibern, die sowohl Nach-haltigkeitsspezialisten als auch konservative Geschäfts leute überzeugen: Umweltfreundlichere Geschäftsprozesse können zusätzliche Einsparungen bewirken, nachhaltige Produkte öff-nen neue Märkte und ziehen zusätzliche Kundengruppen an, gelebte Unternehmensverantwortung wirkt sich positiv auf den

Markenwert aus, Nachhaltigkeitszertifikate stellen immer öfter eine Voraussetzung für den Zuschlag bei öffentlichen Ausschrei-bungen dar.

Im besten Fall entsteht eine Win-win-Situation für Gesellschaft und Unternehmen, doch bisher haben es nur wenige geschafft, dies in die Praxis umzusetzen. Um herauszufinden, was eines der größten Telekommunikationsunternehmen Europas unter-nimmt, um den sogenannten „Share Value“-Ansatz umzusetzen, hat Detecon mit British Telecom (BT) gesprochen. BT ist ein Vorreiter im Thema Sustainability Performance und hat verstan-den, wie ein Unternehmen das Konzept zum Vorteil des eigenen Geschäftserfolgs einsetzen kann.

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NIALL DUNNE, Chief Sustainability Officer (CSO), be-schreibt die Unternehmenskultur mit „leading business with purpose“. Bevor Niall 2011 zur British Telecom kam, leitete er bei Saatchi & Saatchi die Sustainability Practice und startete bei Accenture diverse Nachhaltigkeitsinitiativen. Die Heraus-forderung eines CSOs beinhaltet, den langfristigen Wandel des Ökosystems eines gesamten Unternehmens zu leiten, was nur mit vollständiger Unterstützung des Vorstands gelingen kann. Der CSO ist unmittelbar an strategischen Entscheidungen be-teiligt und Teil der höchsten Entscheidungsgremien. Er muss sich regelmäßig mit den Leitern von Marketing und HR sowie mit dem CFO und CEO abstimmen.

In dieser Funktion verantwortet Niall das Budget für Nachhal-tigkeit von BT, das laut Vorstand mindestens ein Prozent des Gewinns vor Steuern beträgt. Zusammen mit dem Nachhaltig-keitsausschuss gewährleistet er, dass dieses Budget für Initiati-ven verwendet wird, die unmittelbar mit der Mission von BT verbunden sind: „to use the power of communications to make a better world“.

We use the power of communications

to make a better world

Dieser Zweck muss sich in allen Elementen der Unternehmens-strategie widerspiegeln. Dies geht weit über Nialls Funktion als CSO hinaus, und somit beschreibt er es auch als „eine Leidenschaft, die vergleichbar ist mit der, die ich als Athlet in den späten Neunzigern hatte“.

„Als wir BT Sport gründeten“, fährt Niall fort, „war es daher ganz wichtig, dass wir dem Zweck unseres Unternehmens treu blieben, uns aber ebenfalls alles ins Gedächtnis riefen, was wir aus unserem starken Engagement bei den London 2012 Olympic and Paralympic Games gelernt hatten. Schließlich wa-ren wir überzeugt davon, bei der Demokratisierung des Sports eine Rolle spielen zu können, indem wir unseren Kunden BT Sport kostenlos anboten und gleichzeitig gewährleisteten, dass die uns umgebenden Communities für die inhaltliche Pro-grammgestaltung der BT Sport-Kanäle eine zentrale Rolle spielten. Das ist der Grund, warum wir The Supporters Club gegründet haben.

Über unser Joint Venture mit der Wohltätigkeitsorganisation Comic Relief boten wir den BT Sport Kunden die Möglich-keit, monatlich einen kleinen Betrag zu spenden, um jungen Menschen auf der ganzen Welt, die mit größten Herausforde-rungen konfrontiert sind, durch Sport eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Viele Fußball- und Rugby-Clubs der ersten Liga sowie Athleten, mit denen wir zusammenarbeiten, haben sich für diese Ziele eingesetzt und uns bei der Entwicklung überzeu-gender Inhalte für unsere TV-Kanäle unterstützt.

Wir wollten diese Geschichten nicht zurückhalten, sondern sie als Teil der Entwicklung zum Premium-Content für einige un-serer größten Spiele nutzen. Daraus entwickelt sich ein positiver Kreislauf, der damit beginnt und endet, dass unsere Kunden aussagekräftigen sozialen Impact zum Prozess beisteuern. In einem Zeitraum von insgesamt fast zwei Jahren haben wir nun reichlich Anhaltspunkte dafür gesammelt, dass diese Strategie funktioniert und dass wir uns als Unternehmen im Verlauf die-ses Prozesses zum Positiven verändern.“

Um diesen Ansatz vorzuführen hat BT seine Ressourcen dort konzentriert, wo der größte finanzielle Nutzen in Einklang mit positiver sozialer oder ökologischer Einflussnahme erzielt wer-den kann und entsprechende Ziele formuliert.

BTs „Net-Good“-Ziel besteht darin, durch nachhaltige Produkte die dreifache Menge des betriebsbedingten CO2-Verbrauchs einzusparen. Diese Zielsetzung (3:1) ist bereits zur Hälfte er-reicht, das Portfolio der entsprechenden Produkte ist auf einen Jahresumsatz von 3,2 Milliarden GBP gewachsen.

„“

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Letztendlich müssen wir nachweisen, dass die Erstellung von G+V und Bilanz in einer bedachteren Art und Weise

der bessere Weg ist, für Innovation und Wachstum des

Unternehmens zu sorgen.

Weitere Ziele sind, mit Produkten und Dienstleistungen von BT zehn Millionen Menschen dabei zu helfen, soziale Nach-teile zu überwinden, insbesondere durch die Bildung mithilfe digitaler Medien. Hier geht es auch darum, Mitarbeiter mit einzubeziehen: Bereits 66 Prozent lassen sich für ehrenamtliche Zwecke begeistern und sammelten eigenständig Spenden in Höhe von zirka einer Milliarde GBP.

Zur adäquaten Messung der Sustainability Performance defi-niert BT individuelle Ziele für jeden Geschäftsbereich, damit nicht nur die Betriebsabläufe, sondern auch Produkte und Dienstleistungen umweltfreundlich gestaltet werden.

Aber wie sieht dieses Konzept aus, das derartige Ansprüche auch für ein Unternehmen attraktiv und lohnenswert macht? BTs Strategie der werteorientierten Führung „erschließt zusätzliches Geschäftspotenzial und generiert zusätzlichen Umsatz durch Nachhaltigkeit. Ein Beispiel sind Produkte für Bewohner von Sozialwohnungen – der bisher unerschlossene Marktwert wird auf vier Milliarden GBP geschätzt. Durch die CSR-Maßnah-men hat BT Kenntnisse über diesen Markt gewonnen, die zur Entwicklung neuer Produkte und Dienste genutzt werden.“, er-klärt Niall. Das Telekommunikationsunternehmen quantifiziert die Auswirkungen sämtlicher Maßnahmen und misst den Ein-fluss auf seinen Markenwert, der aktuell mit 15 Milliarden US-Dollar angegeben wird. Der Konzern testet eine neue Methode, um zu messen, wie CSR-Maßnahmen den Markenwert beein-flussen. Durch intensiven Austausch und Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen soll schließlich eine effektivere Methode zur Messung des Markenwerts entwickelt werden.

Sophia Frisbie ist Business Analyst mit Schwerpunkt Projekt management im Telekommunikationssektor sowie Expertin für Corporate Responsibility. Ihr Interesse gilt dem Einfluss von Nachhaltigkeit auf das Wachstum von Unter-nehmen. Aktuell leitet sie die Studie „Umsatz potenziale von Nachhaltigkeit“, die in 2016 veröffentlicht wird.

Was strebt ein Chief Sustainability Officer für die Zukunft sei-nes Unternehmens an? „Letztendlich müssen wir nachweisen, dass die Erstellung von G+V und Bilanz in einer bedachteren Art und Weise der bessere Weg ist, für Innovation und Wachs-tum des Unternehmens zu sorgen und Kollegen zu inspirieren. Wenn wir so verfahren und den Erfolg im Bezug auf unseren Aktienkurs nachweisen, dann können aus CSOs auch CEOs werden.“ Laut Niall sind die meisten Unternehmen aber noch nicht auf diesem Level angelangt.

Nialls Intention ist es, den Wandel von innen zu betreiben. Al-lerdings ist ihm bewusst, dass seine Strategie nur für ein Un-ternehmen funktioniert, das sämtliche Nachhaltigkeitsaspekte in sein Geschäft einbettet. „Man muss wissen, wann man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist“. BTs gegenwärtiger CEO denkt in diese richtige Richtung und ist überzeugt, dass es letzt-endlich die Vision beziehungsweise der „Purpose“ ist, was BT von anderen Unternehmen unterscheidet.

Die 1,8 Millionen „Millennials“ leben Nachhaltigkeit stärker und bewusster, als die meisten Generationen zuvor. Um deren Nachfrage bedienen zu können, wird es zunehmend wichtiger, die Logik der Circular Economy und Smart Products zu ver-stehen. Der Informations-/Kommunikationssektor ist damit ein besonders relevanter Bereich für die zukünftige nachhaltige Entwicklung. Wie Niall erklärt, wird mit der Digitalisierung ein bahnbrechender Wandel vollzogen, aus dem neue Markt-dynamiken resultieren. „Denken Sie an Carsharing und an die diversen Mikrounternehmer, die die Sharing Economy bilden und traditionelle Unternehmen verdrängen. Die Circular Eco-nomy dreht sich auf dem Rücken der digitalen Revolution. Diese neuen Konsummodelle sind sehr disruptiv und werden nach unserer Schätzung während der nächsten zwei Jahrzehnte Billionen neuer Umsatzmöglichkeiten schaffen.“

Die künftige Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen wird sich daran entscheiden, ob sie fähig sind, sich an diese Bewe-gung anzupassen, oder ob sie weiter auf den weniger anspruchs-vollen und eher einfallslosen Verbraucher bauen.

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„Flexibel auf individuelle Lebenskonzepte eingehen“

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Interview mit Uwe Tigges, Personalvorstand (CHO), Arbeitsdirektor RWE

Home Office allein reicht nicht mehr aus, um flexibles Arbeiten zu ermöglichen, so Uwe Tigges, Personalvorstand bei RWE. Vielmehr gilt es, als Arbeitgeber unterschiedliche Lebenskonzepte zu

akzeptieren und sich darauf einzustellen. Besondere Anforderungen stellt dieser Wandel an die Führungskräfte: Sie müssen über Vertrauen und Ergebniserwartung führen – und den Umgang

mit permanentem „Nicht-Wissen“ lernen.

DMR: Digitalisierung und Globalisierung sind ganz wesentliche Trends, durch die sich Geschäftsmodelle und Wettbewerbssitua-tionen grundlegend verändern. Disruptiv und digitale Revolution sind hier nur zwei der „Buzzwords“, die diese Entwicklung be-schreiben. Was bedeutet dies aus Ihrer Sicht für die Gestaltung von Arbeit und Arbeitsbedingungen?

U. Tigges: Die Frage ist, wie schnell, wie innovativ wir auf Veränderungen reagieren. Es kommt darauf an, dass wir die Chancen nutzen, die die Innovationen bieten. Natürlich wird der Veränderungszyklus immer rasanter, Politik, Unternehmen, Mitarbeiter und unsere Gesellschaft fordern uns kontinuierlich. Überleben wird der, der sich weiterentwickelt. Deshalb ist es wichtig, ein Klima zu schaffen, das den Menschen Freiraum gibt, Neues zu wagen und sich auf Neuerungen einzulassen. Dabei kommt es nicht allein auf die Arbeitsbedingungen an, weil sich diese zunehmend nicht von unseren Lebensbedingun-gen unterscheiden werden. Digitale Technologien machen da keinen Unterschied mehr. Aufgrund des bisher sehr klassischen Geschäftsmodells der RWE haben viele Mitarbeiter hier im Un-ternehmen „begonnen“ und sind dann auch teilweise bis zur Rente der gleichen Arbeit nachgegangen. Die derzeitige Haupt-aufgabe ist es, unsere Mitarbeiter zu verstehen und sie soweit zu bringen, bei zukünftigen Aufgaben mitzugehen. Im Rahmen unseres „Next Level Leadership“-Programm für unsere Top 300 Führungskräfte haben wir 21 Leitlinien eingeführt – „Aware-ness“ und „Mindfullness“ sind hier die Schlagwörter. Für un-sere Führungskräfte geht es darum, Dinge schnell zu erkennen, Entscheidungen zu treffen, diese über die neue Feedbackkultur anstoßen zu können und sich selbst zu hinterfragen. Grundsätz-lich führen wir nach Zielen, in denen wir unsere Fehlerkultur integriert haben. Über die Leitlinien hinterfragen wir zusätzlich, wie Ziele erreicht wurden.

DMR: Im internationalen Vergleich scheint Deutschland auf den ersten Blick abgehängt zu sein – nahezu alle wirklichen Basisinno-vationen im Technologiebereich kommen aus den USA. Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Gründe dafür?

U. Tigges: Für die Energiewirtschaft ist das differenzierter zu betrachten. Nehmen wir das Beispiel Kraftwerkstechnologie: Hier sind wir viele Jahre Marktführer gewesen. Allerdings sinkt auf Grund der politischen Umstände natürlich das Interesse, weiterhin innovativ in diese Technologie zu investieren. Aber auch die neuen Technologien sind kein „Selbstläufer“. Am Bei-spiel Windkraftanlagen sehen wir, dass deutsche Unternehmen technologisch auf dem höchsten Niveau mitspielen, die Ak-zeptanz, diese Anlagen in der Landschaft zu errichten, jedoch nicht gegeben ist. Selbst wenn wir die Windkraftanlagen vor der Küste errichten, sind jahrelange Diskussionen über die notwen-digen Hochspannungstrassen zu führen, die das wirtschaftliche Risiko, in diese Anlagen im Großmaßstab zu investieren, er-heblich erhöhen. Von daher bestimmen in vielfacher Weise die jeweils lokalen Gegebenheiten, in wieweit oder wie schnell sich innovative Produkte durchsetzen können. Hier lässt sich keine pauschale Aussage USA vs. Deutschland treffen. Grundsätzlich finden wir in den USA eine noch viel stärkere Gründungs- und Venture-Capital-Kultur vor, als dies aktuell in Deutschland der Fall ist. Auch der positivere Umgang mit Fehlern zeichnet das Innovationsumfeld in den USA aus. All dies sind mit Sicherheit Treiber für Innovationen, gerade auch im Technologiebereich.

DMR: Glauben Sie, dass Themen wie Regulierung und Mitbe-stimmung Innovationen in deutschen Unternehmen hemmen? Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zum Thema „Flexibles Ar-beiten“?

U. Tigges: Die Aussage, dass wir in vielen Bereichen in Deutsch-land zu stark reguliert sind, würde ich unterstützen. Aber ob dies der Grund dafür ist, dass der Innovationsmotor blockiert wird und wir hinter den USA anstehen, würde ich in Frage stel-len. Am Beispiel Berlin sieht man ja, dass auch in Deutschland Innovationen erfolgreich stattfinden – hier hat sich eine wirk-liche Gründerkultur und Community entwickelt. Ich glaube eher, dass wir es in Zukunft schaffen müssen, flexibler auf die individuellen Lebenskonzepte einzugehen, gerade im Bezug auf das Thema Arbeitszeit. Dass die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter

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unterschiedlich sind, stelle ich immer wieder in Diskussionen fest – die Interessen einer Generation Y unterscheiden sich schon stark gegenüber den Interessen der Mitarbeitergruppe der 50 jährigen oder Familien. Wir benötigen hier mehr Flexibilität, die die unterschiedlichen Lebensphasen und -zyklen berück-sichtigt – und dies betrifft Unternehmen wie auch die Politik.

DMR: Lassen Sie uns einen Blick auf die Energiebranche selbst werfen: Auch Ihre Branche unterliegt einem radikalen Verände-rungsprozess, der in dieser Form einzigartig ist. Was bedeutet dies für die Ausgestaltung von Arbeit und die Art, wie Ihre Mitarbeiter zukünftig zusammenarbeiten werden?

U. Tigges: Wir erleben die Veränderungen unserer Wettbe-werbssituation vor allem durch das rasante Wachstum der er-neuerbaren Energien und den wachsenden wirtschaftlichen Druck auf die konventionelle Energieerzeugung. Natürlich stel-len wir uns dem Markt, denn wir verfügen grundsätzlich über alle Kompetenzen, innovative Ideen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Unsere Innovationen werden von Menschen gemacht, die miteinander für den Erfolg von RWE arbeiten. Die Arbeitsbedingungen sind dabei treibende Kraft, uns geht es um Vertrauen und Selbstbestimmung. Wir als Arbeitgeber müssen unterschiedliche Lebenskonzepte akzeptieren und uns darauf einstellen.

DMR: Was wird sich zukünftig im Kontext von Digitalisierung und Globalisierung in der Zusammenarbeit in großen Strukturen im Vergleich zu heute ändern?

U. Tigges: Bei RWE haben wir festgestellt, dass harte Struk-turen und Hierarchien aufgebrochen werden und das Thema Vernetzung immer mehr an Bedeutung gewinnt, gerade in in-ternationalen und globalen Projektstrukturen sowie in Teams. In diesem Zusammenhang ist auch noch das Thema Führung und Zusammenarbeit zu nennen. Wir führen nicht mehr über Anwesenheit und Zeit, sondern über Ziele. Als Mitarbeiter in solchen globalen Strukturen muss ich mir zukünftig die Fragen stellen: Wie, wann, wo und mit wem arbeite ich? Digitalisierung beziehungsweise die Nutzung von digitalen Tools kann hierbei optimal unterstützen, nicht zuletzt durch virtuelle Netzwerke, Plattformen und Communities.

DMR: Sie haben in diesem Kontext das Programm „Great Place to Work (GPTW)“ aufgesetzt. Können Sie kurz umreißen, was die Zielsetzung des Programmes ist und was sich nach einer erfolg-reichen Umsetzung für RWE geändert haben sollte?

U. Tigges: „GPTW“ ist Teil unserer „People Strategy“. Wir wollen Arbeitgeber der Wahl sein und deshalb insbesondere Leistungsträger, Talente sowie Inhaber kritischer Funktionen über Führung und Gestaltung eines geeigneten Arbeitsumfeldes binden, mobilisieren und anwerben. Wir wollen eine flexible, herausfordernde und vernetzte Arbeitsatmosphäre etablieren und werden dabei auch die Bedürfnisse zukünftiger Mitarbei-ter-Generationen berücksichtigen. Wichtig ist uns die Motiva-tion und Leidenschaft unserer Mitarbeiter zu erhalten und wei-ter auszubauen – und das Länder übergreifend.

DMR: Welche Auswirkung soll dies auf die Kultur von RWE haben?

U. Tigges: Das ist natürlich ein Kulturthema. Wir wollen we-niger Hierarchie und mehr Mitsprache für den Einzelnen, denn wir brauchen mehr Kreativität und Innovationsvermögen. Das Ergebnis zählt, nicht die Präsenz. Eine wesentliche Grundvo-raussetzung ist dafür insbesondere auch, dass wir unseren Mit-arbeitern maximale Flexibilität und Gestaltungsfreiheit bieten – auch dafür steht mitunter GPTW. Letztlich beruhen alle in diesem Rahmen durchgeführten Aktivitäten auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.

DMR: In Future-Work-Projekten denken wir in den Dimensionen „People“, „Places“ und „Tools“. Wo sehen Sie Ihre wesentlichen Aktivitäten?

U. Tigges: Unsere Leitfrage ist, wann, wo und wie der Einzelne arbeitet. Ganz oben auf der Agenda steht das Thema „Führung“. Führungskräfte müssen eine Atmosphäre schaffen, in der die Mitarbeiter ihre Fähigkeiten am besten entfalten können. Dazu wird das Vertrauen benötigt, dass Mitarbeiter effizient arbeiten, egal, ob im Büro oder außerhalb. Das wiederum bedarf einer anderen Art der Kommunikation und Zusammenarbeit unter-einander. Dazu zählt nicht nur, dass Führungskräfte ergebnis-orientierter führen als bisher. Der Charme der Sache ist, dass der Mitarbeiter im Grunde selbst bestimmen kann, wann und wo er arbeitet. Diese Autonomie macht auch das Zusammenspiel von Arbeit und Familie gestaltbarer. Persönlichen Vorlieben der Mit-arbeiter wird mehr Rechnung getragen. Sie erfahren eine höhere Wertschätzung und bekommen wesentlich mehr Eigenverant-wortung und Gestaltungsspielraum. Das Ganze muss natürlich von IT- und Kommunikationstechnologien begleitet werden, denn der anwenderorientierte Einsatz vorhandener und neuer Technologien mobilisiert die Zusammenarbeit und Kommuni-kation. Auch bei der Umgestaltung der Büroflächen stellen wir

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Uwe Tigges, geboren 1960 in Bochum, absolvierte eine Ausbildung zum Fernmelde-monteur, machte seinen Meister in Elektrotechnik und einen Abschluss als Technischer Betriebswirt. 1977 stieg er bei Standard Elektrik Lorenz ein (heute Alcatel-Lucent Deutschland). In die Energiebranche wechselte er 1984 zunächst als Informations-techniker für die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW). Von 1994 bis 2012 war er freigestellter Betriebsrat beim Energieversorger, der 2000 mit RWE fusionierte. Von 2010 bis 2012 war er Vorsitzender des Konzernbetriebsrats. 2013 wurde er zum Personalvorstand des RWE Konzerns berufen.

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die Förderung der Kommunikation und Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der spezifischen Erfordernisse der jeweiligen Funktionsbereiche in den Vordergrund.

DMR: Wie verbreitet sind in Ihrem Haus „Home-Office-Rege-lungen“ und mobiles oder virtuelles Arbeiten? Welche Erfahrungen haben Sie hiermit gemacht?

U. Tigges: Wir haben bereits seit vielen Jahren bewährte Rege-lungen zum Arbeiten von zu Hause. Damit konnten wir bisher auch recht gut leben, denn wir haben auf organisatorische und persönliche Situationen adäquat reagieren können. Das reicht jetzt aber mit Blick auf die Veränderungen am Markt und den demographischen Wandel nicht mehr aus. Wir müssen den nächsten Schritt machen, um den Anschluss nicht zu verlieren.

DMR: Was bedeutet dies konkret für die Mitarbeiter von RWE und welche Widerstände sind zu erwarten?

U. Tigges: Wir waren bereits sehr frühzeitig mit Führungskräf-ten, Mitarbeitern und Betriebsräten zu GPTW im Gespräch und setzen den Dialog jetzt im „Rollout“ intensiv fort. Wir ver-folgen ganz konsequent den Weg, dass die Teams in den Gesell-schaften nach ihren Bedürfnissen mitgestalten. Es gibt natürlich einige Leitplanken, die wir gerne erreichen wollen, aber die Aus-gestaltung liegt sehr stark in den Händen der Führungskräfte und Mitarbeiter vor Ort. Die jeweiligen Betriebsräte sind auch in dieser Phase eingebunden, so dass wir von vornherein trans-parent und vertrauensvoll miteinander umgehen. Bisher läuft das sehr gut, da alle Beteiligten verstehen, welche Chancen in diesem Thema stecken.

DMR: Welche Veränderungen werden sich für Führungskräfte er-geben und wie begleiten Sie diese im Rahmen des Programmes?

U. Tigges: Vertrauen, permanenter Umgang mit „Nicht Wis-sen“ und Ergebniserwartung – die Herausforderung für Füh-rungskräfte ist nicht zu unterschätzen. Virtuelles Arbeiten und die Verabschiedung von traditionellen Büroformen stellen Füh-rungskräfte mehrfach vor Herausforderungen. Wir sind uns allerdings sicher, dass sich moderne Arbeitswelten für alle aus-zahlen. Das muss aber von Führungskräften auch erst einmal erlebt werden. Wir begleiten sie intensiv auf dem Weg dahin, indem wir sie vor allem selbst befähigen, die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter bestmöglich zu fördern. Das ist bei uns nicht neu, muss aber an die neuen Herausforderungen angepasst werden.

Ein weiteres, wesentliches Thema für uns besteht darin, eine offene und auf Performance ausgelegte Feedbackkultur zu eta-blieren. Ganz entscheidend ist dabei für uns, dass sich die Beur-teilung von Leistung stark an dem „wie habe ich etwas erreicht“ ausrichtet und nicht nur das Ergebnis, das heißt „was habe ich erreicht“, im Vordergrund steht. Nur so kann es uns gelingen, sicherzustellen, dass die von uns definierten Wertvorstellungen gelebt und integraler Bestandteil der Unternehmens-DNA wer-den.

DMR: In Ihrer vorangegangenen Tätigkeit waren Sie für den Kon-zernbetriebsrat von RWE verantwortlich. Wie empfinden Sie die Rolle des Betriebsrates im Kontext von „Great Place to Work“?

U. Tigges: Meine Rolle als Vorsitzender des RWE Konzernbe-triebsrates habe ich nicht zum Selbstzweck gelebt, sondern als Vertreter der Beschäftigten. Dabei sind bei uns die Betriebsräte in allen Projekten involviert – natürlich auch in unserem Pro-gramm „GPTW“. Die Rolle des Betriebsrats besteht in diesem Kontext darin, als „kritischer und konstruktiver“ Vertreter der Mitarbeiter immer wieder aufs Neue die Konzepte in Frage zu stellen und pro-aktiv Impulse einzubringen. Zudem bilden die Betriebsräte eine ganz wesentliche Schnittstelle zu unserer Be-legschaft und haben ein gutes Gespür dafür, welche Maßnah-men für unsere Mitarbeiter einen wirklichen Mehrwert oder Nutzen bieten. Da es sich bei GPTW insbesondere um die Stei-gerung der Flexibilität unserer Mitarbeiter und ein verstärktes „Empowerment“ unserer Mitarbeiter handelt, steht unser Be-triebsrat hinter den Zielen des Programms und unterstützt diese pro-aktiv.

DMR: Wie wird sich zukünftig die Rolle des Personalbereichs un-ter den diskutieren Rahmenparametern verändern? Macht aus Ih-rer Sicht das „Dave Ulrich“-Modell noch Sinn?

U. Tigges: Das ist eine sehr gute Frage. Es gab ja immer schon Kritik an diesem Modell. Wir haben das Konzept immer eher als Ideengeber angesehen und uns deshalb auch konstruktiv damit auseinandergesetzt. Im Ergebnis haben wir das Grund-modell auf unser Geschäftsmodell angepasst und eingeführt – damit leben wir heute gut. Klar ist, dass sich unser HR-Modell kontinuierlich weiterentwickeln muss. Die Frage ist doch, ob wir zukünftig weiterhin in unserer Business-begleitenden Rolle bleiben werden oder verstärkt in die gestaltende Rolle gehen. Im Rahmen der Digitalisierung zeichnet sich ab, dass mehr und mehr traditionelle HR-Funktionen von Mitarbeitern und

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Führungskräften selbst oder sogar Dritten erledigt werden kön-nen. Auch wenn dies heute überwiegend für administrative Aufgaben gültig zu sein scheint, so wird diese Tendenz auch in weiteren HR-Funktionen fortschreiten. Wir können heute schon sehen, dass die Personalentwicklung wieder mehr in die Hände der Fachbereiche zurückverlegt wird und sich HR auf die strategische und konzeptionelle Ausrichtung konzentriert. Diese Entwicklung eröffnet HR neue, zukunftsweisende Hand-lungsfelder. Zukunftsforscher erwarten eine Individualisierung der Gesellschaft. Diese wird natürlich nicht vor den Unterneh-menstoren halt machen. Fragen der demografischen Entwick-lung sind noch längst nicht beantwortet. Wissensmanagement ist ebenfalls eine große Herausforderung und der mit GPTW begonnene Weg zu mehr Eigenständigkeit und Vertrauen geht über die Gleichberechtigung hin zur Demokratisierung. Wun-derbare Handlungsfelder für HR!

DMR: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wenn Sie auf Ihre bisherige Laufbahn bei RWE zurückblicken, was haben Sie erreicht oder verändert, auf das Sie persönlich stolz sind, und wie sehen Sie die Zukunft des Unternehmens auch im Zeichen von „GPTW“?

U. Tigges: Es gibt drei wesentliche Dinge in meiner beruflichen Laufbahn, die ich besonders hervorheben möchte: Stolz bin ich darauf, dass ich in meiner damaligen Funktion Menschen oder ganzen Bereichen helfen konnte. Ob es nun darum ging, neuen Kollegen eine Chance in unserem Unternehmen zu geben oder gar ganzen Unternehmensbereichen in schwierigen Unterneh-mensphasen beiseite zu stehen. Desweiteren bin ich besonders stolz darauf, dass mein Wahlamt über viele Jahre von Menschen bestätigt wurde – gleich, ob es nun Funktionen in Betriebsrä-ten, unter anderem im Konzern Betriebsrat, Europäischer Be-triebsrat, oder Aufsichtsräten waren. Und zu guter Letzt bin ich natürlich besonders stolz, die Interessen unserer Mitarbeiter und des Unternehmens in meiner jetzigen Position vertreten zu dürfen und Kulturveränderungen mitzugestalten. Wenn ich auf unser Programm „GPTW“ zurückblicke, ist die „positive“ Aufbruchsstimmung zu erwähnen. Wir haben HR für RWE komplett neu gestaltet und den Wandel unseres Unternehmens und den HR-Change-Prozess nachhaltig für unser Unterneh-men vorangetrieben. Dies ist definitiv ein großer Erfolg unseres HR-Teams und macht mich stolz.

Das Interview führten Marc Wagner und Andreas Terwellen.

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INTERVIEW mit Dietmar Welslau, Konzernbeauftragter HR Transformation, Deutsche Telekom AG

“Future Work verantworten wir gemeinsam“

In Future-Work-Konzepten ergänzen sich Kulturwandel und Effizienzsteigerung. Dass und auch wie es tatsächlich funk tioniert, weiß Dietmar Welslau, Konzernbeauftragter HR Transformation. Er gibt spannende Einblick, wie Future Work konzernweit in der Deutschen Telekom umgesetzt wird.

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DMR: Welche Entwicklungen in der Telekom führen dazu, dass „Future Work“ als Bedarf entstanden ist?

D. Welslau: Der Bedarf für Future Work ergibt sich aus den rasanten Entwicklungen der Digitalisierung, die Märkte und Arbeitswelt massiv verändert. Der technologische Fortschritt hat unser Kommunikationsverhalten revolutioniert und Markt-kräfte auf den Kopf gestellt. Wir haben es mit einem globalen Arbeitsmarkt zu tun. Wir müssen uns fragen: Wie gewinnen wir in einem zunehmend transparenten, internationalen Ar-beitsmarkt die richtigen Talente und wie halte ich die Top-Per-fomer? Schauen wir uns die jungen Generationen und darunter die High-Potentials an, fordern diese explizit ein flexibles Ar-beitsumfeld sowie Freiheitsgrade zur freien Entfaltung. Starre Strukturen und Hierarchien – klassische Konzernstrukturen – sind hier völlig unattraktiv und gehören der Vergangenheit an. Die Forderung ist, sich das für seine jeweilige Aufgabe pas-sende Arbeitsumfeld aussuchen zu können. Zum anderen ergibt sich die Notwendigkeit durch den enormen Wettbewerbsdruck auf den ICT-Märkten. Restrukturierungen, Kostenkontrollen, Wettbewerbs- und Regulierungsdruck sowie schrumpfende Umsätze sind hier nur einige Stichworte, die unser Marktum-feld beschreiben. Die Digitalisierungswelle, die wir letztlich als Telekommunikationsanbieter mitgestalten, führt zu enormen Produktivitäts- und Effizienzvorteilen. Allerdings können wir mit unseren „digitalen Konkurrenten“ Google, Amazon & Co. nur dann Schritt halten, wenn wir schnell, agil und innova-tionsfähig sind und die Vorteile der Digitalisierung auch in un-seren eigenen Arbeitsprozessen abbilden und konsequent nut-zen. Diese Rahmenbedingungen werden durch Future Work geschaffen. Kulturwandel und Effizienzsteigerung gehen Hand in Hand.

DMR: Sie haben angesprochen, dass die Deutsche Telekom den starken Drang hat, immer effizienter sein zu müssen. Wir haben mit einem anderen Interviewteilnehmer die These aufgestellt, dass wir in Deutschland zwar effizient sind, aber nicht innovativ. Wie würden Sie dies bei der Telekom sehen?

D. Welslau: Ich bin der Meinung, dass wir auch innovativ sein können und an vielen Stellen bereits sind. Dies beweisen viele Innovationen, und zwar nicht nur Netzinnovationen, sondern auch eine Serviceinnovation wie Magenta Eins oder unsere neuen Router. Diese Innovationen sind wirklich anfassbar. Die Schwierigkeit bei Innovationen in Deutschland ist, dass groß auf klein trifft: Eine große, etablierte Sales- oder Marketingor-ganisation, die einen riesigen Bestandsumsatz verantwortet und mit Bestandsprodukten den meisten Umsatz erzielt, trifft auf etwas „noch“ Kleines, eine mögliche Innovation. Das „noch“ Kleine überhaupt in die Prozesse zu integrieren, ist eine große Herausforderung. Allerdings ist es eine noch viel größere

Herausforderung dafür zu sorgen, dass die Innovationsneugier-de unserer Mitarbeiter geweckt wird und Innovationen als rele-vant und überlebensnotwendig angesehen werden. Dies erfor-dert eine Arbeitskultur, die experimentieren und ausprobieren ebenso zulässt wie „Fehler machen und daraus zu lernen“. Die-sen „Nährboden für Innovationen“ gilt es immer wieder zu pfle-gen und unterstützen und auch neue, kollaborative Formen der Innovation zu fördern. Eine ganz entscheidende Rolle spielen in diesem Kontext die Führungskräfte – letztlich sind diese Mul-tiplikatoren und Rollenmodells für ein innovatives Arbeitsum-feld. Durch unser Programm „Future Work“ unterstützen wir dies, in dem den Führungskräften ein ganz besonderer Stellen-wert zukommt und eine aktive Beteiligung der Führungskräfte gefördert und gefordert wird.

DMR: Dieses kulturelle Thema, dass sich etwas in den Köpfen än-dern muss, ist auch im Rahmen von Future Work extrem wichtig. Was umfasst Future Work in Bezug auf die Deutsche Telekom und was sind die Zielsetzungen dahinter?

D. Welslau: Wenn wir in den Rückspiegel schauen, wissen wir, dass die gesamte Telekom-Welt sehr silo-, segment- und auf einzelne Geschäfte zentriert war. Zusammenarbeit im Sinne von „Ende zu Ende“ ist erst in den letzten Jahren wirklich auf die Agenda gekommen, sehr stark unterstützt über Kennzah-lensysteme, Prozesse und Methodik. Ein Prozess im Sinne der Ende-zu-Ende-Zusammenarbeit ist natürlich nur das eine. Dazu kommt die Bereitschaft, mental etwas zu wecken, die Zu-sammenarbeit zu leben und Dinge zu verändern. Da ist Future Work ein wesentlicher Träger. Unser lupenreines Future-Work-Produkt ist dabei das Konzernhaus. Dort sitzen Menschen aus ganz verschiedenen Bereichen zusammen, treffen sich und re-den miteinander. Sie sitzen nicht nur in ihren abgeschlossenen Funktionalzonen, sondern kommen über Raumodule wie Hot Desks mit Menschen anderer Abteilungen in Berührung. Das erzeugt ein ganz anderes Verständnis für das große Ganze: dass wir Future Work gemeinsam verantworten, nicht nur ein ein-zelner Part des Unternehmens. Unser Konzernhaus birgt große Chancen, die wir konsequent auch überall dort umsetzen, wo wir den Bestand modernisieren. Allein durch größere Struk-turen kommt man automatisch in Interaktion – das beste Bei-spiel dafür ist das Büro, indem wir hier gerade sitzen. Die Tür dort vorne ist zu, kein Mensch kommt rein. Alle anderen Türen auf dem Flur sind auch zu, keiner geht dort rein oder raus. Die ganze Dynamik eines größeren Umfeldes geht verloren. Auch die Möglichkeit mobil, also aus der Ferne zu arbeiten, weckt eine ganz andere Bereitschaft, aber auch Notwendigkeit, sich zu öffnen. Das Programm Future Work hat diese zuvor beschrie-benen Anforderungen als folgende Eckpfeiler definiert: Förde-rung von mobilen Arbeiten, offenen Bürowelten, Desksharing und insbesondere auch einer neuen und offenen Führungskultur.

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DMR: Wie bewerten Sie die Rolle von Führungskräften im Kon-text von Future Work?

D. Welslau: Führung ist das A und O. Führung bedeutet nicht das „herbei predigen“ eines Wandels oder die Erzeugung eines Wandels auf dem Papier im Sinne von „Hier ist das Konzept Future Work, bitte umsetzen!“. Change ist mehr als Kommu-nikation und ein Veränderungsbaukasten. Es ist viel mehr das harte Arbeiten an Anforderungen, die sich aus dem virtuellen Führen ergeben. Die Führungskraft muss im Kontext von Fu-ture Work dabei eine ganz neues Mindset mitbringen – hin zu einer offenen, ergebnisorientierten Kultur und in der Rolle viel stärker als „Coach der individuellen Karriereentwicklung“ sei-ner Mitarbeiter. Nur so wird es uns gelingen, Future Work zum Leben zu erwecken.

DMR: Muss eine Führungskraft dieses Mindset mitbringen oder kann man das lernen oder gar „einimpfen“? D. Welslau: Weder das eine noch das andere. Es muss inhaliert und gewollt werden. Es geht um Willingness und Skill. Wir als HR müssen diejenigen sein, die den Impuls für das Inhalieren

und Wollen setzen, denn sonst machst du es nicht zu der ei-genen Sache der Menschen. Und wird die klassische Reaktion folgen: „Ein neues HR Produkt? Das brauche ich nicht, das stört mich nur!“ Die Akzeptanz bleibt komplett auf der Strecke, wenn man etwas per ordre du mufti „einimpft“, oder man split-tet das Unternehmen in zwei Gruppen: die einen, die das toll finden und mitmachen, und die anderen, die es nicht gut fin-den. Dadurch konterkarieren aber wir den Gedanken der „One Company“ und der Kollaboration und bringen Spannungen.

DMR: Führungskräfte sind wesentliche Multiplikatoren sind, kön-nen aber auch sehr viele Widerstände beim Thema Future Work mitbringen, zum Beispiel wenn es um das Aufgeben von Status-symbolen oder von Kontrolle geht. Der wichtigste Ankerpunkt ist oft also auch der, der am schwierigsten zu knacken ist. Welche He-bel gibt es, um auch Führungskräfte zu überzeugen und auf die Future-Work-Reise mitzunehmen?

D. Welslau: Wir brauchen unbedingt gute Referenzen. Beim Thema Future Work schläft die Konkurrenz natürlich auch nicht. Ich habe mich gerade mit einem Ex-Kollegen ausge-tauscht, der vom Erfolg seines Projekts, der guten Sharing-

Dietmar Welslau, ist Konzernbeauftragter HR Trans-formation der DTAG. Von Juni 2010 bis Ende Mai 2015 war Geschäftsführer Personal der Telekom Deutschland GmbH und zuvor Bereichsvorstand Human Resources bei T-Home. 2001 übernahm er die Leitung des Zentral-bereiches Human Resources Management (HRM) und in Personalunion die des Sprechers der Geschäftslei-tung des Competence Center Personalmanagement. Hier hatte er die Personalverantwortung für circa 1.400 Beschäftigte und trat zum 1. Juli 2003 zusätzlich die Lei-tung des konzerneigenen Personaldienstleisters Vivento an. Weitere wesentliche Stationen waren die Leitung des Bereiches "Konditionen Konzern" und der aktive Aufbau des Arbeitgeberverbandes Telekom als konzernweites Steuerungs- und Dienstleistungsorgan einschließlich der Verzahnung mit dem Personalrechtsservice. Mit einem um die Aspekte Soziales und betriebsärztlicher Dienst erweitertem Zuständigkeitsbereich rückte Diet-mar Welslau in die Geschäftsleitung des damaligen Zen-tralbereiches Personalmanagement auf.

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Quote und der Begeisterung der Mitarbeiter erzählt hat. Wir müssen also zeigen, dass das Konzept funktioniert und erfolg-reich ist. Ein gutes Bespiel ist dafür auch Detecon, die die zuvor beschriebenen Future-Work-Dimensionen bereites vollständig umgesetzt hat und hervorragende Ergebnisse in Bezug auf In-novationskraft und Produktivität erzielte.

Wir müssen die Neugier wecken und den Ehrgeiz anspornen. Dies schafft man, indem man mitteilt, dass andere Menschen ähnliche Erfolge erzielen in einer Arbeitswelt, die von den Mit-arbeitern augenscheinlich viel mehr geschätzt wird als die „alte Welt“ mit starren Strukturen.

DMR: Also ist der Druck von extern ein wichtiger Faktor?

D. Welslau: Auch, man kann sehr gut mit externen Benchmarks und Erfahrungswerten arbeiten. Wenn wir Digitalisierung oder Future Work herausheben, dann müssen wir bei diesen Themen vorne sein, das ist unser „right to win“. Zudem ist es wichtig, dass wir auch intern mit belastbaren Beispielen und Testimo-nials zeigen, dass es funktioniert. Einem Kollegen, den man kennt, glaubt man einfach eher als einem eingekauften Berater, der sagt, dass das hier funktionieren wird, weil es anderswo auch funktioniert.

DMR: Sie sprechen das Thema Digitalisierung an. Wie wichtig ist es, Mitarbeiter mit dem State-of-the-art auszustatten, um die eigenen Produkte zu leben?

D.Welslau: Ich bin bekennender Anhänger des Konzepts „bring your own device“, gerade in sehr großen Organisationen. Hier spielt das Thema Stolz eine große Rolle, ebenso wie das Wecken von Neugierde. Mitarbeiter können Geräte nutzen, um die sie Familie, Freunde und Nachbarn beneiden. Damit erzielen wir nicht nur finanzielle Effekte, da wir die Arbeitsplatzaustattung der Mitarbeiter sparen, sondern wir bringen unsere Produkte den Mitarbeitern viel näher, weil sie sie selbst nutzen. So ler-nen Mitarbeiter im familiären Umfeld mit ihren Kindern, was Innovation bedeutet, wie man Social Media nutzt, was unse-re Services sind. Neben dem BYOD-Ansatz sollte aus meiner Sicht grundsätzlich sichergestellt werden, dass Mitarbeiter mit State-of-the Art Tools ausgestattet werden – nur so können sich mitunter die Vorteile der Digitalisierung nutzen. Letztlich sollte beim Thema „Ausstattung“ im Vordergrund stehen, Stolz, Inno-vation und ein „Mitmach-Gefühl“ zu vermitteln und sekundär um Geld zu sparen und die Produktivität zu steigern. Gerade für einen Anbieter von Telekommunikationsprodukten liegt dies auf der Hand und durch den Ansatz „use what you sell“ soll die Identifikation mit dem Unternehmen gestärkt werden.

DMR: Gibt es dafür Beispiele?

D. Welslau: Schauen wir uns Apple an: Jeder Mitarbeiter be-kommt einen Servicevertrag für xy Euro, ein Endgerät zum Te-lefonieren und ein Pad, um seine Arbeit zu erledigen – und um es vorzeigen zu können. Ich halte unheimlich viel von dieser Geste des Unternehmens. Wenn man auf unsere Konkurrenz schaut, dann war das dort ebenfalls ein Treiber. Die Mitarbei-ter sind extrem stolz, dass jeder ein modernes Smartphone hat, einen Laptop und ergänzende Serviceverträge mit Free Data Consumption plus einen hochwertigen Rollkoffer. Für Future Work war das der Durchbruch, weil die Mitarbeiter gesehen haben, dass sich das Konzept auch für sie persönlich lohnt. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt: Mitarbeiter sparen zwar Fahrzeit durch mobiles Arbeiten, viele haben aber gleichzeitig die Sorge, dass sie keine Karriereentwicklung schaffen, weil sie nicht physisch präsent sind. Durch BYOD bekommen die Mitarbeiter das Gefühl, dass die Firma bewusst in sie investiert, um das Konzept zu fördern und eine Verbindung zwischen dem „persönlichen Equipment“ und dem Unternehmen herzustel-len. Diese Geste des Unternehmens sagt mir also, dass ich dazu gehöre und nicht ausgegrenzt werde.

DMR: Neben den Dimensionen People und Tools ist die Dimen-sion Places ein wichtiges Thema von Future Work: Die Bedeutung des Büros wird sich ändern, alleine schon dadurch, dass Mitarbeiter von zu Hause und von unterwegs aus arbeiten. Welche Bedeutung wird das Büro zukünftig haben?

D. Welslau: Das Arbeitsumfeld ist ein ganz wichtiger Faktor in der Überlegung, was die Motivation von Mitarbeitern treibt und deren Identifikation mit Unternehmen. Dies liegt den Menschen noch mehr am Herzen, wenn sie es ein Stück weit zu ihrer eigenen Sache gemacht haben, indem sie es – in Rah-men und Vorgaben – zum Beispiel selbst gestaltet haben. Die Mitmach-Komponente aktiviert und motiviert die Mitarbeiter. Man muss ihnen die Frage stellen, was gut für ihr Arbeitsum-feld wäre, damit sie einen noch besseren Job machen können. Hier können auch wir noch sehr viele Chancen realisieren. Ich meine jetzt nicht unsere Hauptstandorte in Bonn, in denen wir zweifelslos bereits einiges umgesetzt haben. In der Fläche haben wir aber teilweise noch Strukturen, die eher an alte Fernmelde-ämter erinnern. Sie sind natürlich auf einem guten technischen und arbeitsmedizinischen Stand, haben aber nicht dieses „Spaß-mach“-Element. Sie bringen diesen „Wow-Effekt“ noch nicht mit und erzeugen auch keine besondere Stimmung, wenn Mit-arbeiter die Räume betreten. „Das sieht gut aus, das fühlt sich gut an, das hat eine gute Akustik“, diese Verbindung von Ar-beits- und Lebensraum fehlt dort. Ich halte sie aber für sehr wichtig und wir werden hier weiter investieren.

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DMR: Es gibt bereits viele Studien, die zeigen, dass die Produk-tivität signifikant steigt, wenn man Mitarbeitern gewisse Gestal-tungsmöglichkeiten des Arbeitsumfelds ermöglicht. Wie ist das mit Immobilienstrategien vereinbar, die eher Standardisierung und Effizienz fokussieren?

D. Welslau: Das ist sehr polar formuliert. Das Einbringen der Mitarbeiter ist ein wichtiger Faktor, der aber natürlich durch bauliche und finanzielle Möglichkeiten begrenzt ist. Das kann man Mitarbeitern auch sehr gut vermitteln. Wenn man in das Privatumfeld schaut, dann gefällt vielen Menschen eine große Villa mit Pool und Dachterrasse, aber sie brauchen sie nicht unbedingt zum Leben. Ich kann mich auch in einem weniger luxuriösem Umfeld wohlfühlen. So ist es auch in den Büro-welten. Von daher müssen Effizienz oder kostengünstige Lö-sung und produktivitätssteigerndes Umfeld sich definitiv nicht ausschließen. Dies haben Sie ja auch bei Detecon so realisiert.

DMR: Innerhalb der Detecon haben wir die baulichen Strukturen genutzt, die wir hatten, und Lösungen gefunden, die etwas weiter weg vom Standard liegen. Würde dieses Beispiel zu Ihrer Beschrei-bung passen?

D. Welslau: Ja, das glaube ich schon. Allerdings ist es wich-tig, auch bezüglich der konkreten Aufgaben zu differenzieren – schließlich ist das Beratungsgeschäft mit internationalem Klientel ein anderes Geschäft als eine standardisierte Personal-administration. Insoweit müssen gewisse Ausstattungen, Infra-strukturen und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu der Mentalität der Menschen passen. Es ist nicht möglich, einen Baukasten zu verkaufen, der zwar bei Detecon sehr gut funktioniert hat, aber bei anderen Firmen nicht passt. So hängt man Menschen sehr schnell ab. Man muss eine Brücke bauen für Mitarbeiter, die man aus einer klassischen Bürostruktur in ein innovatives Umfeld zieht, in dem sogar erwartet wird, dass man selbst eine große Kreativität in der Mitgestaltung an den Tag legt. Der rich-tige Weg ist also ein differenzierter Angang. Diesen erreiche ich über intensive Analysen und Klarstellungen darüber, was sinnig, notwendig und machbar ist.

DMR: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass beim Thema Future Work eine gewisse „Entzauberung“ wichtig ist. Future Work stellt keine Revolution dar, sondern einen Schritt in die richtige Richtung.

D. Welslau: Es ist immer eine Evolution. Wenn es eine Revo-lution wäre, wäre das traurig, weil wir dann die Entwicklung bereits verschlafen hätten. Im Moment schwimmen wir noch auf der Welle mit und ich hoffe, dass wir später dann vor die Welle kommen. Vor der Welle liegen dann „right to win“, digital work und die anderen Anforderungen und Chancen für unser Unternehmen.

DMR: Hier würde ich gerne auf die Rahmenbedingungen in Deutschland zu sprechen kommen in Bezug auf Arbeitsstätten-verordnungen, Scheinselbständigkeit und external Workforce. Wo sehen Sie Deutschland hier und was muss Deutschland tun, um im internationalen Vergleich aufzuschließen?

D. Welslau: Ich glaube nicht, dass die Regulierung von Ar-beitswelten, also eine Gesetzgebung, Entwicklungen aufhalten kann. Den Versuch, etwas über eine Arbeitsstättenverordnung zu regeln, das sich über Digitalisierung, neue Services und Technologien immer weiter verbreitet, halte ich für nicht rea-lisierbar. Das kann immer nur empfehlenden Charakter haben. Man muss Mitarbeiter über ihren idealen Arbeitsplatz zu Hause aufklären oder ihnen Verhaltensregeln näher bringen, die sie vor Selbstausbeutung schützen. Das sind Aspekte, die über kollek-tive Rahmen gesetzt, aber dann in den Teams konkret ausge-staltet werden. Wir werden das nicht aufhalten. Ich war gerade in Schweden auf der Urlaubsinsel Gotland. Dort habe ich an jedem Haus ein Schild „fiber to the home“ gefunden, das zeigte, dass es hier vorhanden ist. Wie funktioniert das? Die Anwohner dort sind bereit, einen Eigenbeitrag zu leisten, der Rest wird aus Gemeinde- und Staatskassen finanziert. Warum machen die Anwohner das? Sie möchten die Möglichkeit haben, nicht nur in Stockholm oder in anderen großen Städten zu arbeiten, son-dern auch ein paar Tage auf der Ferieninsel zu arbeiten. Dies ist offensichtlich ein großer Treiber, der nicht nur die Infrastruktur vorantreibt, sondern auch die Kultur. Die Menschen passen ihre Arbeitsformen und Erwartungen an das reale Arbeitsleben an. Dies ist auch im Hinblick auf demografische Veränderungen sehr wichtig. Andere Länder sind da also ein ganzes Stück wei-ter.

DMR: Was war im Projektverlauf von Future Work ein positives Erlebnis bezüglich der Interaktion der Projektbeteiligten, das Sie mitgenommen haben?

D. Welslau: Die Geisteshaltung, die Motivation, das Brennen für das Thema, dieses „wir wollen etwas“, „wir arbeiten an etwas Großem, das wir auch zum Erfolg bringen“. Am Anfang hatten wir allerdings auch mit einer großen Problemorientierung zu kämpfen. Diese muss man erstmal an die Seite drücken, ohne die Probleme wegzuwischen oder gelöst zu haben. Man muss eher in Richtung Chance denken und den Blick nach vorne richtigen: Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich für mich daraus?

DMR: Was wäre hier ihr Wunsch in Richtung Kulturveränderung?

D. Welslau: Wir müssen mutiger werden, einfach mal etwas tun und umsetzen. Dies sollte natürlich nicht leichtsinnig sein oder voll auf Risiko und Abenteuer gehen, aber es sollten nicht

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80 Prozent der Zeit damit verbracht werden, Probleme zu lösen, die wir vorher in weiteren 10 Prozent der Zeit mühselig identi-fiziert haben. Für den Blick auf die Zukunft bleiben dann näm-lich nur noch die letzten 10 Prozent.

DMR: Wie kann Future Work dazu beitragen, diese Kultur zu etablieren?

D. Welslau: Offene Bürowelten ermöglichen eine segmentüber-greifende und themenbezogene Zusammenarbeit, Desk Sharing fördert die Kommunikation. Durch mobiles Arbeiten kann der Mitarbeiter seine Arbeit ganz flexibel gestalten. Schließlich ist eine ergebnis- statt präsenzorientierte Führung, in deren Rah-men die Führungskraft dem Mitarbeiter Vertrauen entgegen-bringt, elementar. Wir müssen funktionierende und anfassbare Lösungen liefern. Ein Beispiel hierfür ist die Musterfläche in der Friedrich-Ebert-Allee. Heute beim Mittagessen habe ich fol-gendes mitbekommen: An drei Tischen redete man über Future Work. Ein Tisch war eher von der Immobilienseite getrieben. Die Personen unterhielten sich über die Frage, was man archi-tektonisch am Gebäude verändern könnte. Zwei Tische weiter redeten andere Personen darüber, ob sie an der Umgestaltung auch teilhaben könnten, und am dritten Tisch wurde über die Musterfläche gesprochen. Unsere Mitarbeiter befassen sich mit diesem Thema sowohl rational als auch emotional. Durch den großen Invest mit der Musterfläche haben wir den Start der Be-wegung erreicht. Das Haptische wirkt offensichtlich und sorgt für eine besondere Auseinandersetzung mit dem Thema. Wich-tig ist dabei, dass man Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, selbst mit den neuen Möglichkeiten zu experimentieren und anzupas-sen, also schnell greifbare Lösungen und Ergebnisse liefert.

DMR: Welche Empfehlungen aus ihren bisherigen Erfahrungen mit Future Work können Sie jemandem geben, der sich völlig neu mit diesem Thema beschäftigt?

D. Welslau: Ganz wichtig ist, sich über die eigenen Kultur- und Arbeitsanforderungen klar zu werden und von anderen zu lernen, warum sie bestimmte Aspekte in genau dieser Art und Weise umgesetzt haben. Man kann sich an Referenzen in vergleichbaren Umfeldern oder Branchen orientieren und da-raus den eigenen Weg ableiten und definieren. Man darf nicht glauben, dass Future Work ein Trend ist, den man 1:1 kopie-ren kann. Die umfassende Analytik, die wir in verschiedenen Teilprojekten angelegt haben, war relevant, um Fortschritte zu erzielen und nicht nur ein Strohfeuer.

DMR: Wir sind mit Future Work sehr zentral gestartet und haben dann gemerkt, dass das schnelle Umsetzen im dezentralen Bereich genauso wichtig ist. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen zentralen Themen und dezentralen Umsetzungen?

D. Welslau: Ich bin bekennender Synergetiker. Man sollte die intellektuelle und strategische Arbeit einmal machen. Man muss einmal investieren und das Thema vernünftig vordenken. Genauso wichtig ist es dann, sich auch auf die Veränderungen einzulassen, mitzumachen, das Gefühl zu geben, dass du vor-ne und nicht ganz hinten in diesem Zug bist. Dieses örtlich „Anfassbare“ ist hier total relevant. Da kann man noch so viele Publikationen, Arbeitsgruppen oder Filme durch die Gegend schicken, das ist alles eher oberflächlich und keine Herzensan-gelegenheit. Das unmittelbare Momentum ist, wenn die Füh-rungskraft oder der Bereich vor Ort irgendetwas verändert. Sie sind am Ende des Tages ein Beispiel für die Mitarbeiter. Es ist wichtig, auch dezentral eine gewisse Differenzierung zu finden. Nur Führungskräfte und Mitarbeiter vor Ort können definie-ren, wo sie gerade stehen, welchen Weg sie einschlagen zwischen den Möglichkeiten vor Ort und den Punkten, die man zentral vorgegeben hat. Das muss von den Mitarbeitern an den Stand-orten ausgestaltet und zur eigenen Angelegenheit werden.

DMR: Was wird sich durch Future Work für Ihre Arbeit ändern?

D.Welslau: In Managementpositionen hat man fast immer au-tomatisch eine Future-Work-Komponente, weil man viel unter-wegs ist, sodass „mobiles“ Arbeiten Gewohnheit ist. Eine spür-bare Veränderung erwarte ich in einer größeren Offenheit im Dialog und in Interaktionen mit anderen Menschen. Gerade im Management sind die Büros immer noch durch Vorzimmer vor etwaigen Störungen abgesichert. Da wird sich wahnsinnig viel verändern, wenn solche Büros der Vergangenheit angehören.

DMR: Wenn Sie noch einmal in die Zukunft schauen: Was möch-ten Sie in fünf Jahren mit dem Projekt Future Work erreicht haben?

D. Welslau: In fünf Jahren hoffe ich, dass wir im Interesse des Unternehmens in operativen Einheiten andere „Future Work“- oder „Mobile Working“-Komponenten umgesetzt haben, dass wir nicht zu viel über steuernde, verwaltende Funktionalitäten oder Randaktivitäten sprechen, sondern auf die Demografie, Arbeitskräfte und Spezialisten schauen. Dann haben wir eine ganz große Bereitschaft, auch Kundenserviceprozesse in dieser Form der Arbeitsorganisation zu erledigen. In fünf Jahren wird das Thema Digitalisierung Future-Work-Konzepte nicht nur fördern, sondern auch fordern. Wir werden auch in den heute noch klassischen „Nur-Büro-Arbeitsplätzen“ eine Virtualisie-rung der Arbeit erleben und erlebbar machen. Digitale Interak-tion erlaubt und ermöglicht Future Work. Future Work in fünf Jahren ist der klassische Büroarbeitsplatz von heute.

Das Interview führten Marc Wagner, Lars Attmer und Karla Blanke.

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Wie erklärt man Leadership? Daniel Eckmann leitet bei Detecon den Beratungsbereich Deutsche Telekom und stand Elena Rabbow, Cosultant aus dem gleichen Bereich, Rede und Antwort.

Interview mit Daniel Eckmann, Member of the Executive Board, Detecon International GmbH

“Leadership ist losgelöst von der Hierarchie”

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DMR: Das Thema Leadership hat heute in nahezu jedem Unternehmen einen hohen Stellenwert. Was ist Ihr Verständnis von Leadership und ist Leadership nur auf Führungskräfte begrenzt oder geht es darüber hinaus?

D. Eckmann: Leadership hat für mich mit Motivation zu tun: Wie motiviere ich andere Menschen, etwas mit hohem Engage-ment anzugehen? Das ist für mich völlig losgelöst von Hierar-chie. Vielmehr geht es darum, auf eine Art und Weise zu agie-ren, die Menschen in meinem Umfeld motiviert, mir zu folgen. Deswegen heißt es ja auch „No Leadership without Follower-ship“. Dies kann natürlich mit einer leitenden Funktion einher-gehen, aber prinzipiell geht es um die Ideen und die Motivation.

DMR: Was macht einen guten Leader aus?

D. Eckmann: Ein Leader muss begeisterungsfähig sein. Er muss Leute dazu bewegen können, für eine Sache, ein Thema oder ein Ziel zu kämpfen und sich einzusetzen. Oft hilft eine gewisse Eloquenz, Authentizität und das Wissen, dass man ein gemein-sames Ziel verfolgt. Ich selbst glaube außerdem sehr stark daran, dass man das Ziel positiv formulieren muss und nicht mit nega-tiver Energie vorbelastet. Außerdem sollte ein Leader seine Mit-arbeiter oder Kollegen dazu enablen, Führung zu über nehmen.

Er sollte daran interessiert sein, dass seine Follower stark wer-den. Hierfür muss man sich selbst auch zurücknehmen kön-nen und mehr als Coach fungieren, um seinen Followern die Möglichkeit zu geben, Verantwortung zu übernehmen und sich weiterzuentwickeln.

DMR: Was hat sich in den Zeiten der Globalisierung, Digitalisie-rung, der stärkeren Vernetzung und der Social Media am Leader-ship-Verständnis geändert, was ist wichtiger geworden?

D. Eckmann: Über die Distanz ist es natürlich schwieriger, seine Kollegen und Mitarbeiter zu begeistern, wodurch die Auf-gabe des Führenden anspruchsvoller wird. Vertrauen schenken ist eine weitere Herausforderung, besonders wenn man sich nur selten persönlich begegnet. Man muss sicherstellen, dass man auch den Kollegen, die in einem anderen Land arbeiten oder eine andere Sprache sprechen, absolut das Gefühl gibt, dass sie ein wichtiger Bestandteil des Teams sind.

DMR: Das ist ein spannender Aspekt hinsichtlich Future Work. Was muss man als Führungskraft konkret dafür tun, um die Arbeitsbeziehungen auch in virtuellen Teams positiv beeinflussen zu können oder die Begeisterung für das gemeinsame Ziel aufrecht zu erhalten?

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DANIEL ECKMANN leitet das Beratungsgeschäft für Großkunden im nationalen Telekommunikations markt. Klienten sind unter an-derem die Deutsche Telekom und T-Systems. Er ist Experte für ICT-Services im Telekommunikationssektor und verfügt über 15 Jahre Erfahrung in verschiedenen Führungsfunktionen.

D. Eckmann: Hierfür kann man die neuen Techniken sehr gut nutzen, zum Beispiel Videokonferenz und Telepräsenz. Aber auch das Thema Haltung ist essenziell: Dass man jedem im Team das Gefühl gibt, ein vollwertiges Mitglied und wichtig für das Vorhaben zu sein. Moderne Arbeitsmethoden unterstützen das sehr gut. Respekt und das Vermeiden von Missverständnis-sen sind auch nicht zu vernachlässigen. Regelmäßige persön-liche Treffen sind wichtig, um auch die persönlichen Beziehung aufzubauen und in die Vertrauensbasis hinein zu investieren.

DMR: Können Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrem bisherigen Werdegang beschreiben, das Ihnen in puncto Leadership richtig im-poniert hat? Und auch, welches Sie extrem abgeschreckt hat?

D. Eckmann: Wir haben ein Großprojekt für die Telekom gewonnen, in dem sehr viele große Business Leader innerhalb der Telekom mit vielen unterschiedlichen Interessen involviert waren. Wir haben ein Senior Team etabliert, in das der Kunde

großes Vertrauen hat. Es wurden aber bewusst viele junge Bera-ter in das Projekt gestafft, weil sie dort eine sehr gute Steuerung erleben und immer neue Aufgaben bekommen, an denen sie wachsen können.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass man als Lea-der seine Richtung behält und eine langfristige Vision verfolgt, ist der Aufbau unseres Office in Polen. Dies funktionierte im ersten Jahr sehr gut, im zweiten Jahr kam allerdings eine Krise auf. Wir haben aber ganz klar entschieden, dass wir den Kurs beibehalten, und geschaut: Was können wir verbessern? Wo müssen wir investieren? Und wo kann man unter stützen? Und es hat funktioniert! Mit einer klaren und insbesondere lang-fristigen Guidance sind wir dann doch ans Ziel gekommen. Konsequent ein zuvor gestecktes Ziel auch gegen Widerstände und aus Überzeugung zu verfolgen, ist für mich ein sehr wich-tiges Charakteristikum für Leadership.

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DMR: Wie hoch ist der Stellenwert des Themas Leadership für Ihren eigenen Bereich?

D. Eckmann: Sehr wichtig. People Development macht die Mitarbeiter definitiv wertvoller, für sich selbst, aber auch für das Unternehmen. Außerdem schreiben wir damit eine Hal-tung fest, die jeder unserer Berater haben sollte. Wir halten sie dazu an, eine beratende Meinung dem Kunden zur Verfügung zu stellen, die dem Kunden Orientierung gibt, wie dieser seine Probleme lösen kann. Und damit kann jeder Mitarbeiter von uns das Thema Self-Leadership promoten. Und drittens wol-len wir als Management jedem Mitarbeiter eine klare Guidance geben, wie wir das Unternehmen umbauen, für die Zukunft ge-stalten und für die digitalen Herausforderungen ausrichten. Wir wollen der Motor der digitalen Veränderung sein! Und hierfür geben wir unseren Mitarbeitern die richtige Orientierung mit dem richtigen Leadership-Ansatz, den sie zum Kunden tragen können.

DMR: Was heißt Leadership konkret für jeden einzelnen Mitar-beiter bei Detecon?

D. Eckmann: Wir glauben an Persönlichkeit und wir glauben an Führungsfähigkeit, aber wir glauben nicht an disziplinarische Hierarchie. Deswegen hat jeder Berater bei uns die Möglichkeit, Themen völlig frei zu gestalten. Jeder kann sich selbst sein The-ma suchen und bekommt natürlich Guidance und Rat, wenn er ihn braucht. Aber wichtig ist – neben der Kundenorientierung –, dass wir die positive Energie nutzen und dafür so viele Frei-heitsgrade wie möglich geben. Und hierfür braucht man keine Hierarchien, sondern nur Kollegen, die die gleichen Interessen und das gleiche Committment mitbringen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das „Happy“-Video, dass einige unserer jungen Kolle-gen letztes Jahr gedreht haben. Hier waren keine Führungskräfte oder Senior Manager in die Planung integriert. Das Endergeb-nis ist super und deshalb ein gutes Beispiel für Self-Leadership!

DMR: Ist das Modell auch übertragbar auf größere Unternehmen, die sich außerhalb der Beratung bewegen und wenn ja, was müsste man hier beachten?

D. Eckmann: Ich denke, dass man durch Kreativität und Begeisterung überall besser werden kann, unabhängig von Branche und Unternehmen. Wichtig ist die richtige Mischung aus Freiheitsgraden, Guidance und Verpflichtungen und einem gewissen Maß an Individualität.

DMR: Wie macht sich das konkret bemerkbar, dass Detecon das Thema Leadership auch auf Managementebene ernst nimmt und weiterträgt?

D. Eckmann: Wir machen seit mehreren Jahren regelmäßige Umfragen, um die Produktivität und die Stimmung in unserem Bereich zu messen. Wir glauben daran, dass wir mit positiver Energie wesentlich effizienter arbeiten können. Hierfür verwen-den wir eine Methode der Henley Universität. Darüber hinaus definieren wir Maßnahmen, wie wir identifizierte Schwach-stellen stärken können, welche durch freiwillige Kollegen selbst vorangetrieben werden und auch die Partner integriert. Zudem haben wir ein wesentlich kreativeres Umfeld geschaf-fen, beispielsweise durch umgestaltete Büroflächen und neue Meeting-Formate, in denen wir versuchen, den Kollegen die existierenden Freiheitsgrade aktiv nahe zu bringen. Wir haben natürlich trotzdem noch einen Rahmen, in dem wir auch eine klare Erwartungshaltung an unsere Mitarbeiter kommunizieren und diese regelmäßig überprüfen. Dennoch sind wir ganz klar Output-orientiert: Uns ist der zeitliche Aufwand nicht wichtig, solange die Wirkung und das Resultat am Ende stimmen.

DMR: Woran würden Sie festmachen, dass das angestrebte Leader-ship-Konzept innerhalb der Detecon erfolgreich umgesetzt ist? Was macht es greifbar?

D. Eckmann: Der angestrebte Leadership-Ansatz ist für mich dann erfolgreich aufgesetzt, wenn er innerhalb der Detecon-Kultur spürbar fest etabliert ist. Hierfür ist natürlich besonders das Kunden-Feedback wichtig: Wird auch extern wahrgenom-men, dass wir viel in die Leadership Skills unserer Mitarbeiter investieren? An zweiter Stelle steht das interne Mitarbeiter-Feedback: Stellen wir tatsächlich eine positive Entwicklung fest? Und zuletzt unser Arbeitgeber-Image: Schaffen wir es, die High Potentials unter den Absolventen für Detecon zu begeistern? Es gibt also Faktoren, an denen man den Erfolg unserer Leader-ship-Initiativen deutlich messen kann. Ich glaube fest daran, dass wir die Veränderungen in Zukunft noch deutlicher spüren werden, wenn wir weiterhin so fest an unseren Leadership-Prin-zipien festhalten wie bisher.

Das Interview führte Elena Rabbow.

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Die Konzern-GuerillaTransformation im Konzern

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Transformation – aber wie? In der digitalen Welt ziehen traditionelle top-down-Ansätze nicht mehr. Bottom-up kann sich allerdings auch nicht durchsetzen.

Der Shareground der Deutschen Telekom wählt einen neuen Weg. Und verzeichnet erste Erfolge!

igitalisierung verändert in rasantem Tempo Geschäftsmo-delle, Arbeitsmodelle, ganze Volkswirtschaften – und vor allem Kulturen. Digitale Geschäftsmodelle sind in jeder Industrie mög-lich und ziehen Marktverdrängungen, Strukturwandel sowie Ef-fizienzeinsparungen nach sich. Digitalisierung verändert schnell, aber die Themen sind nicht zwangsläufig neu. Daher gehen viele Unternehmen die Herausforderung der Digitalisierung mit alten Mitteln an: top-down Veränderungsprogramme, überproportio-naler Fokus auf Führungskräfte, Restrukturierung von einer Li-nienform in die andere, Management 1.0 auf 1.1 upgraden statt radikalem Wandel, agil hinschreiben und hierarchisch handeln. Was wir aber tatsächlich brauchen, ist ein Umdenken der Trans-formationsansätze.

Transformation in die neue digitale Welt durch analoge Mittel funktioniert nicht

Beispiel 1: Bei General Electric (GE) ist Six Sigma als Methode für Transformation fest in der Unternehmenskultur verankert. Alle Führungskräfte des Unternehmens haben es über Jahrzehnte in der konzerneigenen Führungsakademie erlernt und wurden darauf verzielt. Effizienzen wurden stringent und schnell geho-ben, aber hat GE den Durchbruch in das digitale Zeitalter ge-schafft? Schafft man durch Prozessmanagement den disruptiven Sprung, ist inkrementelle Effizienzsteigerung und Produktverbes-serung das geeignete Mittel zur Transformation?

Beispiel 2: Hasso Plattner hat der Legende nach in einer Wirt-schaftszeitung über die kalifornische Firma IDEO und ihren Methodenansatz Design Thinking gelesen. 2007 fasste er den Beschluss, mit dieser Methode SAP neu und kundenzentrisch auszurichten. Es wurde zunächst top-down auf Führungsebene verbreitet und dann auf Team- und Projektebene verfestigt. Noch heute ist Design Thinking für einige deutsche Unternehmen eine

neue Entdeckung, bei SAP aber bereits eine gelebte Realität, die sehr vom Miteigner getrieben wurde. Top Sponsorship zieht.

Konzerne lieben top-down. Führungskräfte werden geschult und im Nachgang für die Fortführung der Transformationsansätze als Multiplikatoren vorgesehen. Dieser Ansatz birgt jedoch häu-fig Schwierigkeiten, da die Durchdringung der Methoden oder Transformationsansätze im Unternehmen durch die Führungs-kräfte meist nicht durchgängig gewährleistet werden kann. Per-sonalwechsel, Budgetkürzungen und Managementwechsel filtern den Transformationsstrom, der die breite Masse des Unterneh-mens dann nicht erreicht. Die Verpflichtung, an Trainings teilzu-nehmen, erzeugt darüber hinaus häufig Widerstand, die Reflek-tion der Führungskraft bleibt aus, im schlimmsten Fall werden defensive Positionen provoziert.

Vice versa finden bottom-up Ansätze, die in der Regel durch Mitarbeiterinitiativen getrieben werden und auf die Zündung einzelner Bereiche abzielen, auf Topmanagement-Ebene vielfach keinen Anklang. Strategische sowie kulturelle Transformation ist jedoch entscheidend auch von der Führungsriege zu tragen und zu unterstützen, um erfolgreich zu sein. Ein neuer Transformationsansatz für den digitalen Wandel muss her

Der Shareground der Deutschen Telekom wählt einen anderen Transformationsansatz, der sich durchaus von den bereits ge-nannten Strukturen unterscheidet. Wir nennen ihn „endemisch“ – oder mit anderen Worten „Konzern-Guerilla“. Die Konzern-seite beinhaltet, dass sich der Auftrag von Shareground aus der Unternehmensstrategie ableitet und der Fokus auf strategischen Transformationsprojekten mit immer einem Sponsor aus dem Topmanagement liegt. Der Guerilla-Aspekt spiegelt sich in der

D

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Dr. Reza Moussavian, Head of Shareground, Deutsche Telekom AG, ist ein Weltbürger mit entsprechend internationaler Erfahrung, wenn es um den Launch neuer Markteinsteiger oder um die Transformation führender Betreiber geht. In seiner Funktion als Vice President der Group Transformational Change bei der Deutsche Telekom AG treibt er die Share-ground-Initiative voran, um eine neue Kultur hinsichtlich Zusammenarbeit, Innovation und Umsetzung innerhalb des Unternehmens zu kreieren und zu fördern. Die Magenta MOOC ist nur eines von vielen spannenden Pro-jekten des Shareground. Zuvor war Moussavian Managing Partner für die MENA-Unit der Detecon International GmbH und bei IBM und PWC Con-sulting als strategischer Berater tätig. Für Kunden wie Telefónica, Svyazin-vest, Vodafone, Ooredoo, Etisalat und für Regulierungsbehörden im Nahen Osten und Südamerika sowie für Investoren im asiatisch-pazifischen Raum war er in mehr als 40 Ländern weltweit im Einsatz. Sein Thema war auch hier die Ende-zu-Ende-Transformation.

Abbildung: Wirkmodell

Quelle: Deutsche Telekom

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Herangehensweise wider: Anstatt eines allumfassenden und über-konzipierten (top-down) Ansatz werden wichtige Kristallisations-punkte als Leuchttürme im Unternehmen gesetzt, um auf kon-krete Stellschrauben gezielt einwirken zu können und Wirkung zu demonstrieren. Dazu werden keine formellen Trainings angebo-ten, sondern neue Ansätze „on-the-job“ umgesetzt. Wir machen keine Seminare und Workshops, auch keine Kultur initiativen – wir arbeiten auf den Transformationsprojekten unserer ope-rativen Einheiten in der Technik, im Produkt management, Ver-trieb, Kundenservice, Innovationsmanagement, in Deutschland und unserem europäischen Footprint, auch mal in Südafrika. Wir sind keine Gralshüter wie top-down Transformationsin-stanzen, sondern wollen mit maximaler Transparenz und Offen-heit Kompetenzen, Tools und Methoden von Shareground teilen, denn nur dadurch kann eine Verankerung in der Linienorganisa-tion gewährleistet werden. Unsere Kompetenzfelder richten sich an unserer Strategie aus: Innovationskultur, Nutzerzentrierung, Einfachheit, Agilität, digitale Kulturtransformation.

Wirkmodell: Ableitung aus der Unternehmensstrategie, punktuelle Umsetzung, Training on-the-job

Unser „Wirkmodell“ erstreckt sich dennoch über die ganze Orga-nisation, setzt aber punktuell bei unterschiedlichen Zielgruppen durch eine Varietät von Formaten an. Durch Studien und Kon-zepte, die im Folgenden die Basis für die Entwicklung von For-maten und Programmen bieten, etabliert sich Shareground für den Austausch mit externen Experten, um neues Wissen für die Deutsche Telekom zu generieren. Auch retrospektiv werden neu gewonnene Erkenntnisse, beispielsweise aus Projekten, wieder in die konzeptionelle Arbeit einbezogen und vorhandene Ideen und Konzepte weiterentwickelt.

Die Nachfrage übersteigt unsere Kapazitäten, das Feedback von Vorstandsebene, Führungsebene und Mitarbeiterebene ist über-wältigend. Wir können Erfolge verzeichnen und werden diesen Weg auch weiterhin gehen.

Abbildung: Wirkmodell

Die Initiativen für das Top Management (T³ – Telekom Transformation Team) und Executives stehen unter dem Anspruch der Inspiration und Innovation. Die Formate bieten dazu eine Plattform für externen und internen Austausch zu unseren Themen User Centricity, Innovation, Agili-tät, Einfachheit. Wir arbeiten auf Pull-Basis durch Angebote und Überzeugung, nicht durch verpflichtendes top down.

„Follower“, die davon inspiriert sind und sich in diese Richtung entwickeln wollen, erhalten von Shareground weitere und konkrete Unter-stützung, und zwar nicht als Individuen, sondern für ihre Teams und die dahinterliegende Organisation. Diese findet üblicherweise durch Begleitung kritischer Transformationsprojekte statt, also on the job. Damit wollen wir in den jeweiligen Bereichen zu deutlichen Leistungs- und Qualitätssteigerungen beitragen. Es entsteht eine Sogwirkung: Was in einem Projekt funktioniert, kann auch auf ein anderes übertragen werden – und darüber hinaus auch in das Tagesgeschäft. Auf diese Weise ändert sich stetig und wirksam die gelebte Kultur einer Organisation. Einzelne Erfolgsgeschichten pflanzen sich fort, so dass aus den Kristallisationspunkten kleine Netzwerke entstehen, die sich gegenseitig befruchten und die kulturelle Transformation beschleunigen. Aus der endemischen punktuellen oder viralen Transformation wird so nun ein „epidemischer“ Ansatz, der auf die Breite der Organisation wirken soll.

Wir verstärken die Wirkung auf der Organisationsebene, beispielsweise über Train-the-trainer Ausbildungen sowie Methoden-Baukästen (How-to Guides). Auch Multiplikatoren in den Fachbereichen und bereichsübergreifende Communities spielen eine zentrale Rolle.

Auf Mitarbeiterebene gibt es Formate, beispielsweise den Magenta MOOC, einen Massive Open Online Course, die eine Breiten wirkung im Unternehmen erzeugen. Es wird nicht der Anspruch an ein holistisches allumfassendes Konzept gestellt, sondern konkrete Arbeitsprinzipien, die Shareground sich vorschreibt, gelebt: „Start small but start“.

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Co-Autorin dieses Artikels ist Elisa Voggenberger, Business Analyst, Detecon International GmbH.

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Interview mit Dr. Thymian Bussemer, VW AG

Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im Kontext der Digitalisierung sieht

Dr. Thymian Bussemer durchaus positiv. Individualität und Kundennähe erfordern dezentrale

Entscheidungskompetenz und Entrpreneurship. Dieser Kulturwandel sei in vollem Gang.

„Ver.di und Silicon Valley sind kein unauflösbarer

Widerspruch“

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DMR: Das Stichwort „Digitalisierung“ ist aktuell in aller Munde. Industrie 4.0, Smart-Services oder Big Data sind Ausprägungen dieses Trends. Welche wesentlichen Implikationen auf das Markt- und Wettbewerbsumfeld von Unternehmen leiten Sie hieraus ab?

Dr. Bussemer: Ich glaube, dass die Perspektiven des deutschen produzierenden Gewerbes, seine Montagelinien, die Prozesse in den indirekten Bereichen und insgesamt seine Wertstromflüsse nachhaltig zu digitalisieren, gut sind. Der erste Roboter in der Automobilindustrie wurde schon 1961 eingesetzt. Diese Bran-che hat also eine lange Erfahrung mit Automatisierung, die auch auf andere Bereiche der Industrie abgefärbt hat. Vernetzung, das zweite wichtige Stichwort von Industrie 4.0, müssen wir Deut-schen vielleicht noch besser lernen. Da kommt die Telekom-munikation ins Spiel. Wenn beispielsweise Autos Daten künftig aktiv miteinander teilen würden, wären massive Investitionen in den Netzausbau unumgänglich, wo man sich natürlich fragen muss, wer diese trägt.

Die eigentliche Frage scheint mir aber zu sein, wie sich Produkt und Service künftig zueinander verhalten, ob es uns also gelingt, herausragend gute physische Produkte künftig mit Dienst-leistungsgeschäftsmodellen intelligent zu verbinden. Hier ist uns das Silicon Valley voraus: Die haben zum Teil – siehe Uber – gar keine stofflichen Produkte, rollen aber dennoch ganze Branchen auf.

DMR: Und wie bedingt dies wiederum die Art, wie wir zukünf-tig zusammenarbeiten werden? Was sind konkrete Ausprägungen und konkrete Beispiele für den Einzug von Digitalisierung in das Arbeitsumfeld?

Dr. Bussemer: Die Veränderungen sind vielfältig. Zeit- und Ortsflexibilität können Fluch und Segen zugleich sein. Auf je-den Fall verlangen sie nach Gestaltung. Im Bereich der Produk-tion beschäftigen uns die so genannten Mensch-Roboter-Koo-perationen, also die Frage, wie Arbeiter und Automat künftig auf dem Shopfloor interagieren. Das hat sicherheitstechnische,

aber auch soziale und kommunikative Dimensionen. Bei Audi gibt es in der Produktion ein Team, das ihren Roboter „Adam“ getauft und voll in die Gruppe integriert hat. Das muss aber nicht überall so sein. Auch negativere Haltungen zum Kollegen Roboter sind denkbar. An die Virtualisierung aller Arbeitsbezie-hungen glaube ich übrigens nicht. Die Menschen wollen einen Ort, an dem sie ihre Kollegen treffen und sich austauschen. Das Büro wird es also auch Ende dieses Jahrhunderts noch geben. Und auch die Fabrik der Zukunft lässt sich nicht voll automa-tisieren. Menschen werden dort immer gebraucht – tendenziell übrigens höher qualifizierte als heute.

DMR: Was verbirgt sich in diesem Kontext unter „Arbeit 4.0“?

Dr. Bussemer: Die historische Chance, Arbeit zu humanisie-ren, in dem wir langweilige, belastende, gesundheitsschädliche und nicht kompetenzfördernde Arbeit künftig von Robotern erledigen lassen.

DMR: Was müsste Deutschland aus Ihrer Sicht tun, um in der digitalen Welt zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben? Welche Herausforderungen sehen Sie?

Dr. Bussemer: Es geht aus meiner Sicht um Automatisierung mit Augenmaß. Wir leben in einem Hochlohnland, was auch kein Mensch ändern möchte. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir deswegen einen neuen Arbeitskostenmix: ein Teil der Arbeit muss künftig von den weit billigeren Robis erbracht werden, damit am Ende die Lohnstückkosten stimmen. Gleich-zeitig sollten wir die Arbeit der Menschen aufwerten – durch höhere Qualifikation, aber auch durch gute Entlohnung. Das sind gute Perspektiven für die Arbeit. Und der demografische Wandel hilft uns, diesen neuen Mix von Menschen- und Maschinenarbeit auch beschäftigungspolitisch vertretbar zu gestalten. Mein Chef Horst Neumann, Volkswagen Personal-vorstand, hat hierzu für den VW-Konzern einen Masterplan vorgelegt, der diese Entwicklung für unser Unternehmen genau durchdekliniert.

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Dr. Thymian Bussemer ist in der Konzern Grundsatzabteilung

Personal der Volkswagen AG für das

Thema Industrie 4.0 verantwortlich.

Von 2012 bis Februar 2015

arbeitete er im HR-Bereich der

Deutschen Telekom am Aufbau

von Shareground mit.

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DMR: Lassen Sie uns einmal in den „Mikrokosmos“ von Unter-nehmen eintauchen: Welches sind aus Ihrer Sicht die zukünftig erfolgreichsten Geschäftsmodelle und auch Organisationsformen?

Dr. Bussemer: Ich glaube, es geht darum, dass wir gute Mix- Modelle aus stofflichen Produkten und Smart Services entwickeln. Und da sowohl die Produkte wie die Services im 4.0-Zeitalter tendenziell individueller und kundennäher er-bracht werden müssen, brauchen wir mehr dezentrale Entschei-dungskompetenz und auch mehr Entrepreneurship nah am Kunden.

DMR: Welche Auswirkungen hat dies mitunter auch auf das Ver-hältnis von Führungskräften und Mitarbeitern?

Dr. Bussemer: Idealerweise ist die Führungskraft in diesem neuen Modell die moderierende, motivierende und koordinie-rende Kraft, die am besten selbst noch unmittelbar mitarbeitet und mit den Kunden im Dialog steht. In der Realität gibt es natürlich immer Asymmetrien: Führungskräfte haben oft Er-fahrungs- und Informationsvorsprünge, die zur Folge haben, dass sie intervenieren müssen, wenn einzelne Ansätze und In-itiativen nicht mehr ins „big picture“ passen. Fürchterlich sind dagegen Führungskräfte, die entrückt vom operativen Geschäft immer meinen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.

DMR: Wenn Sie eine Bestandsaufnahme gerade von deutschen Großkonzernen machen müssten: Wo stehen diese in Bezug auf die eben beschriebenen Herausforderungen?

Dr. Bussemer: Ich glaube, der Kulturwandel ist im vollen Gange und wir werden am Ende einen eigenen Weg finden, der den Traditionen des Rheinischen Kapitalismus mit seinen kooperatistischen Traditionen wie der Mitbestimmung ent-spricht und dennoch über eine eigene Modernität verfügt. Ge-rade die Telekom habe ich in meinen Jahren bei der Telekom School of Transformation und bei Shareground hier auf einem guten Weg erlebt: ver.di und Silicon Valley sind kein unauflös-barer Widerspruch.

DMR: Kommen wir mal zur Rolle von HR in diesem Kontext: Was bedeutet das Thema „Digitalisierung“ für HR?

Dr. Bussemer: Zunächst einmal das Potenzial, in administra-tiven Prozessen noch effektiver zu werden. Zudem muss HR natürlich den Kulturwandel vorantreiben und Belegschaften auf volatiler werdende Zeiten vorbereiten. Wir haben das übrigens in einer Shareground-Studie, die die Telekom kürzlich publi-ziert hat, genauer untersucht.

DMR: Hat das „3-Rollen-Modell“ von Dave Ulrich im HR- Bereich ausgedient?

Dr. Bussemer: Es gibt kluge Leute, die sagen, das 3-Rollen-Modell sei die HR-Entsprechung zum neoliberalen Modell der Unternehmensentwicklung gewesen. Und ziehen aus dem allmählichem Abflauen des Neoliberalismus den Schluss, dass nun auch die Zeit des 3-Rollen-Modells vorbei sei. Ich selbst habe von diesem Modell nie allzu viel gehalten, weil es aus mei-ner Sicht zu viele Personaler aus der unmittelbaren Betreuung der Mitarbeiter herausnimmt. Genau diese scheint mir aber der Kern der HR-Arbeit zu sein. Von daher fragen Sie hier den Falschen: Ich sehe dieses Modell ziemlich emotionslos.

DMR: Welche Chancen und Risiken sehen Sie für HR?

Dr. Bussemer: Ich sehe die große Gefahr darin, dass HR institutionell abgewickelt wird, während Kultur- und Menschen-themen in den Unternehmen zu zentralen Werttreibern werden. Mein Rat an die HR-Community: weniger Kauderwelsch, mehr Selbstbewusstsein, sich nicht von allem erschrecken lassen, was das Wort „Business“ aufgepappt hat.

DMR: Wagen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft: Welche Zukunftstrends sehen Sie in den nächsten fünf bis zehn Jah-ren im Bereich der Digitalisierung und welche Auswirkungen wird dies auf unser Arbeitsumfeld haben?

Dr. Bussemer: Augmented Reality wird immer wichtiger, Sen-sorik auch. Wir bei Volkswagen prüfen gerade das Potenzial von virtuellen Assistenzsystemen als Instrument des Wissens-managements. Ray Kurzweil hat letztere als das nächste große Ding identifiziert. Da interessiert uns natürlich, was da dran ist.

Das Interview führten Marc Wagner und Carolin Schmidt.

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T-Systems gehört zu den Unternehmen, die sich intensiv mit der eigenen Transformation auseinandersetzen. Georg Pepping, Geschäftsführer HR, spricht über Agilität, die Relevanz der Verhaltensebene in der Transformation sowie die Notwendigkeit, stets Entwicklungen außerhalb des eigenen Kerngeschäfts im Auge zu haben, um auf Veränderungen früh rea-gieren zu können.

Interview mit Georg Pepping, Geschäftsführer HR, T-Systems International GmbH

Die Peripherie um’s Kerngeschäft im Auge behalten

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DMR: T-Systems in der Dauertransformation – der Druck bleibt permanent hoch. Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Gründe hierfür?

G. Pepping: Ich sehe mehrere Gründe. Der erste Grund ist das Thema Strategie. Unternehmen müssen dauerhafte Wett-bewerbsvorteile aufbauen und unterliegen damit per se einem Anpassungsdruck. Wir haben Anfang 2014 für unser externes Kundengeschäft eine neue strategische Ausrichtung mit der Market Unit beschlossen, die eine Ausrichtung auf das Portfolio und damit auch einen Umbau des Geschäfts und als Folge des-sen auch des Personals zur Folge hat – also eine komplexe Trans-formation. Bei der Telekom IT, die auch unter dem Dach von T-Systems agiert und die konzerninterne IT bereit stellt, haben wir einen hohen Kostenanpassungsdruck, der Wettbewerb ist günstiger. Wir betreiben hier in Zukunft mehr standardisierte Plattformen, mit wesentlich weniger Betriebspersonal. Ein wei-terer Grund für Häufigkeit und Geschwindigkeit der Verände-rungsprojekte liegt darin, dass sich der ICT-Markt im Vergleich zu anderen Branchen sehr viel schneller verändert. Diese Treiber üben zusammen einen stetigen Anpassungsdruck aus. Wir sind in manchen Positionen führend (Stay on top), müssen uns aber sputen diese beizubehalten, in anderen Positionen Catch Up, da haben wir großen und schnellen Aufholungsbedarf. Near-/Off-shore-Kapazitäten, Automatisierung unserer internen Prozesse und Tools aber auch eine globale Abdeckung mit dem inter-nationalen Telekommunikationsgeschäft sind Beispiele dafür. Im Rahmen des Sprungs im globalen Outsourcing-Geschäft 2009/2010 haben wir nach Bewertung unserer Performance mit dem Programm „ZERO Outage“ begonnen sicher zu stel-len, das Big Deals in time, quality und budget geliefert werden. Das war ein schwieriger Prozess, der uns letztlich aber gelang und noch heute ist die Kundenzufriedenheit auf dem höchsten Niveau. Wir sind davon überzeugt, dass je mehr Devices und Anwendungen im „Internet of Things“ miteinander verbunden werden, Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit eine größere Rolle einnehmen. Die Veränderung in Richtung Digitalisierung ist deshalb eine sehr große Chance für uns. Auch Digitalisie-rung bedeutet Veränderung, der Markt wird jetzt relativ schnell verteilt, da wollen wir dabei sein.

DMR: Woran muss man arbeiten, um letztlich die Agilität und Transformationsfähigkeit der T-Systems zu verbessern?

G. Pepping: Augenmerk verdient das Thema Change Manage-ment versus Transformation. Für mich sind das zwei Dinge: Change ist einfach eine Veränderung. Transformation ist kom-plexer. In den letzten zwei Jahren haben wir ein umfangreiches und globales Transformationsprogramm umgesetzt. Wir sind diese tiefgreifende Veränderung entschlossen angegangen und werden sie zu Ende führen. Vor allem muss man im Dialog sein

mit allen Beteiligten – ohne offene und faire Kommunikation geht nichts. Für Agilität selbst benötigen wir entsprechende Strukturen, eine schnellere Entscheidungsfindung und mehr unternehmerische Verantwortung. Das greifen wir beispiels-weise in einer neu geschaffenen Digital Division mit unserem Wachstumsportfolio auf.

DMR: Unterstützungsbedarf besteht sicherlich darin, kulturell et-was zu ändern oder inhaltlich in die Strukturen einzusteigen?

G. Pepping: Transformation heißt für mich, Dinge entweder anders zu tun oder andere Dinge zu tun. Und jede Transfor-mation fängt bei einem selbst an. Unternehmen und Men-schen sind schnell dabei, bei anderen eine Verhaltensänderung einzufordern, sich selbst aber auszunehmen. Liebgewonnene Gewohnheiten abzulegen und sich neue Verhaltensmuster an-zugewöhnen ist schwierig. Eine Kunst heutiger Unternehmens-lenkung ist sicherlich, dass Unternehmen immer weniger Zeit eingeräumt wird, Veränderungen erfolgreich zu durchlaufen. Eine Transformation ohne Performance wird nicht funktionie-ren, da die Erträge nicht erwirtschaftet werden, um die Trans-formation durchzustehen. Performance ohne Transformation wird dazu führen, dass man in einem schnelllebigen, disrup-tiven Markt sehr schnell ins Hintertreffen kommt.

DMR: Neigen wir dazu, das Thema Performance zu stark an das Thema Effizienz zu knüpfen? Im Mittelpunkt müsste doch eine Frage stehen wie die nach einer nachhaltigen leistungsfähigen Mannschaft, die Basisinnovationen an den Markt bringt. Fassen wir den Performance-Begriff in Deutschland möglicherweise zu kurz, indem wir immer auf die Bottom Line gehen?

G. Pepping: Das würde ich für die T-Systems so nicht sagen. Im Outsourcing-Geschäft ist Effizienz, also eine jährliche Pro-duktivitätssteigerung um zehn Prozent, fast schon ein Gesetz. Kann ich versuchen, die Spielregeln zu verändern? In gewissem Maße ja, aber dafür brauche ich einen Differenzierungsfaktor, und den muss ich erst einmal aufbauen. Ich glaube also nicht, dass wir Performance überbetont haben. Die Kunst liegt darin, Effizienz zeitgerecht zu machen. Von der Legitimität her ist es immer einfacher, abzuwarten, bis die Zahlen schlecht sind, um dann zu sagen: Wir müssen was tun! Da kann am Ende auch kein Betriebsrat widersprechen, der Handlungsdruck ist dann offensichtlich und einfach zu vermitteln. Die Begründung für die Veränderung eines Unternehmens, das relativ gut dasteht und trotzdem Kosten und Personal abbauen muss, ist deutlich schwieriger. In einer disruptiven Welt besteht die hohe Kunst des Transformation Managements darin, Veränderungsmaß-nahmen bereits sehr früh einzuleiten. Das erfordert viel Mut und Überzeugungskraft, gerade wenn mein Bestandsgeschäft gute Margen abwirft.

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DMR: Wie gelingt es, eine Führungsmannschaft mit dem „Sense of Urgency“ zu versorgen, so dass gerade in guten Zeiten an der permanenten Veränderung und der nachhaltigen Ausrichtung des Unternehmens gearbeitet wird? Was sind die wesentlichen Hebel, um einer nachhaltigen Bedrohung zuvorzukommen?

G. Pepping: Eine Begründungslinie ist sicherlich das Thema der permanenten, produktiven Unruhe. Andy Grove, Mitbe-gründer der Firma Intel, hat einmal gesagt: „Only the paranoid survive“. Und Prof. Dr. Bolko von Oetinger, ehemaliger Stra-tegiechef von BCG, hat es so ausgedrückt: „Always look at the periphery. History told us many time: The enemy comes from the periphery“. Die eigentliche Bedrohung für Carrier wie die Deutsche Telekom kommt nicht von den klassischen Telekom-munikations- und Kabelunternehmen her, sondern von neuen Spielern wie Apple und Google. Gleiches gilt für die IT. Wer hätte vor Jahren Unternehmen wie Amazon als Wettbewerber im Cloud Geschäft erwartet? Ein wichtiger Punkt ist also, Aus-schau zu halten nach Veränderungen, die möglicherweise von weit draußen auf einen zukommen. Ein zweiter Punkt betrifft die Fähigkeit, als Unternehmen Mittel und Ressourcen entlang der die Transformation schnell und entschlossen um zu allokie-ren. Und der dritte Punkt ist das Selbstverständnis, etwas Besse-res zu schaffen, als bislang da ist. Steve Jobs war sicherlich von einer solchen Unruhe und dem Gestaltungswillen geprägt.

DMR: Was sollte in diesem transformatorischen Kontext die Rolle von HR sein?

G. Pepping: Jeder Manager muss für sich Glaubenssätze ent-wickeln. Meine Glaubenssätze sind, dass eine erfolgreiche Unternehmenstransformation nicht ohne erfolgreiche „Peo-ple Transformation“ funktioniert. Und die beginnt und endet maßgeblich mit einer Veränderung der Führungskultur. Eine der maßgeblichen Herausforderungen für HR ist es, das Thema „Veränderung der Führungskultur“ auf die Agenda zu setzen und auch dort zu halten. Der Spruch ‚Das Personal ist mein wichtigstes Asset‘ ist zwar oft und schnell gesagt, aber in den we-nigsten Unternehmen richtig gelebt. Oft wird das als reines HR-Thema abgetan und einfach an HR delegiert. Meine Haltung dazu ist: Manage Dein Personal genauso gut wie den Return on Invest auf alle anderen Assets. Was sind die Erfolgsfaktoren? Was ist gutes, was ist schlechtes People Management? Zunächst einmal, dass ich dem Thema einen ausreichenden Anteil mei-ner Zeit widme. Viele Manager gerade in fachlich dominierten Branchen wie der IT verwenden zu viel Zeit mit dem opera-tiven Management. Gerade Technologiekonzerne neigen dazu, ihre Ingenieure und Informatiker auf der Sachebene austoben zu lassen, so dass das Thema Führung zu kurz kommt. Bei uns wurden 800 Führungskräfte gefragt, wofür sie ihre Zeit derzeit

Georg Pepping, Jahrgang 1969, begann seinen beruflichen Werdegang im Konzern Deutsche Telekom

1997 als Wirtschaftsjurist bei der T-Data Gesellschaft für Datenkommunikation mbH. Im Jahr darauf übernahm er

dort die Leitung der unternehmensinternen Rechtsabteilung. 1999 wechselte er in die Konzernzentrale der Deutschen Telekom AG in Bonn in den Bereich „Konditionen Arbeit-nehmer Konzern“. Dort war er für die Tarifverhandlungen

im inländischen Konzern verantwortlich. Ab 2001 leitete er den Fachbereich „Entgeltsysteme und Total Compensation“. 2003 übernahm Georg Pepping den Zentralbereich Human Resources Management (HRM) in der Konzernzentrale der

Deutschen Telekom AG. Als Leiter des Competence Centers HRM war er verantwortlich für Compensation & Benefits in

der Telekom Gruppe einschließlich der Sozial-, Tarif- und Mitbestimmungspolitik im Konzern. Seit 1. September 2010 ist Georg Pepping bei T-Systems Geschäftsführer Personal

und Arbeitsdirektor.

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einsetzen (Ist-Zustand) und wofür sie glauben ihre Zeit zum Erreichen der Transformationsziele einsetzen zu müssen und zu wollen (Soll-Zustand): Während für operative Aufgaben rd. die Hälfte der Zeit aufgewendet werden, sollten es in Zukunft nur noch ein Viertel sein. Statt dessen sollten statt derzeit 20% bes-ser 30% der Zeit auf Führung aufgewendet werden. Und statt derzeit nur 14% der Zeit lieber 23% auf die Weiterentwicklung der Einheit. Zeit ist die vielleicht wichtigste Ressource, die ein Manager hat, und wir arbeiten derzeit mit den Führungskräften daran, wie wir diese Veränderung in der Führung umsetzen. DMR: Also sprechen wir eher über ein Steuerungsthema?

G. Pepping: Ja. Es ist aber sicherlich auch ein systemisches Thema. Beispielsweise war das Thema E-Mail vor fünf bis zehn Jahrenein klarer Produktivitätssteigerungsfaktor. Heute ist es meiner Ansicht nach bereits ein Produktivitätskiller. Zuviel Aufmerksamkeit und Zeit fließen in die schnelle Beantwortung von E-Mails, und Meetings werden wegen dem Reiz zum Mul-titasking unproduktiv. Reaktionsgeschwindigkeit ist gut, aber Priorisierung, Fokus und Reflektion, ob wir die richtigen Dinge tun, dürfen nicht zu kurz kommen.

DMR: Welche Kernbeiträge könnte HR hierzu liefern?

G. Pepping: Ich sehe drei Kernbeiträge für HR: Der erste Bei-trag ist, das Thema „People Transformation“ auf die Agenda zu bringen. Denn die Geschäftstransformation gelingt nur, wenn ich auch die Workforce entlang der Transformation nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ verändere. Diese muss ge-nauso strategisch entwickelt werden wie die Technologie, der wir heute sehr viel Aufmerksamkeit schenken. Ein zweiter Bei-trag ist der Aufbau von Expertise im Sinne der Beratung von Führungskräften, sowohl in dem, was sie tun, als auch, wie sie es tun. Der dritte Punkt ist die strategische Weiterentwicklung der Führungs- und Unternehmenskultur und damit die Ver-änderung der Verhaltensebene. Denn Strategie ohne Kultur ist kraftlos und Kultur ohne Strategie ist orientierungslos, wie un-ser CEO, Tim Höttges, gesagt hat.

DMR: Im Headquarter der Deutschen Telekom gab es die unter der Vorgängerin von Dr. Illek gestartete Initiative ‚Way We Work‘ zum Thema: Wie arbeite ich effizienter und wirkungsvoller? Von dieser Initiative hört man heute beispielsweise gar nichts mehr.

G. Pepping: Teile dieser Initiativen sind nach wie vor in der Umsetzung. Ich glaube aber, dass diese Initiativen deshalb noch nicht ihre volle Wirkung entfaltet haben, weil genau wie das Thema Innovation solche Veränderungsprojekte immer aus dem Geschäft heraus kommen sollten. Ich glaube es ist falsch, Innovationen dem Headquarter zu verordnen und zentral vor-

zugeben. Von dort können sicherlich Impulse gesetzt werden. Wo aber passieren die Dinge, wo müssen sie getragen werden? Das ist immer in den operativen Bereichen. Deshalb würde ich derartige Veränderungsprojekte primär auch dort starten und dort pilotieren. Das gilt auch für andere Themen. Beispielsweise führt eine Innovation, die nicht nah am Kunden stattfindet, oft-mals zu nichts und ist daher eine Innovation für den Papierkorb. Sie findet keinen Markt. Wie kann ich also produktiver arbei-ten? Indem ich das Thema ‚Wie organisiere ich mich effektiv in einer Informationsflut, in einer komplexen Matrixorganisation, in einem weltweiten globalen Environment‘ dort platziere, wo viele Faktoren zusammen kommen, wo die Produktivität auch tatsächlich entscheidend ist. Denn nur dort, wo sie spürbar und damit messbar wird, finde ich auch einen Business Owner und bekomme entsprechend Zustimmung und Unterstützung.

DMR: Ein Votum eigentlich für Dezentralität und gegen zentrale Programme?

G. Pepping: Zentrale Programme nicht im Sinne von strate-gischen Schwerpunkten setzen. Also: Setzen von Prioritäten ja, aber Umsetzung immer in den Geschäftseinheiten. Genauso verhält es sich mit den Produkten: immer nah ran an den Kun-den.

DMR: Mittlerweile gibt es Tendenzen, die in eine andere Richtung gehen: Employees first, customer second. Im ersten Schritt ist man aufgefordert, sich erst einmal mit den Mitarbeitern zu beschäfti-gen, um zu schauen wie man sie entsprechend enabled. Im zweiten Schritt geht man davon aus, dass das Kundenwohl sich mehr oder weniger selbst ergibt. Was halten Sie von diesem Ansatz?

G. Pepping: Das sind Schwarz-Weiß-Betrachtungen. An sol-chen Ansätzen ist immer ein Stückchen Wahrheit dran, aber es gibt für mich kein ‚oder‘, sondern ein ‚und‘. Diese Ambiguität finden wir auch im IT-Geschäft wieder, das ein Servicegeschäft ist. Um erfolgreichen Service zu erbringen, brauche ich aber die richtige Einstellung vor dem Kunden. Mitarbeiter machen das gut, was sie gerne machen und wo sie Aufmerksamkeit und Wertschätzung bekommen. Wenn das nicht da ist, wird auch der Kundenservice leiden. Dann wird auch das Thema Extra-meile nicht stattfinden – Service ohne Extrameile wird aber nie ein guter Service sein. Richtig ist aber auch: In guten Unter-nehmen kann man beobachten, dass die Produkte immer auch ein stückweit selbst im eigenen Kontext ausprobiert werden. Verkaufe ich zum Beispiel ‚bring your own device‘ an Kunden, dann sollte ich auch ‚bring your own device‘ im eigenen Kon-text ausprobiert haben. Hier sind wir derzeit nach einem ersten erfolgreichen Piloten in der Multimedia Solutions GmbH in Dresden dabei, eine Ausweitung auf die T-Systems GmbH mit dem Gesamtbetriebsrat zu diskutieren.

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DMR: Den Mitarbeiter zum Fan der eigenen Produkte zu machen und dafür zu sorgen, stolz auf das Unternehmen und die Marke zu sein, ist ein Ansatz, den man häufig in der Hotelerie oder auch im Konsumgüterbereich findet. Was kann man in einem Unternehmen wie der T-Systems tun?

G. Pepping: Jeder Mensch braucht eine Identifikation zu einer Gruppe, das ist tief im Menschen angelegt. Ein Konsumgüter-hersteller hat es sicherlich einfacher, Identifikation herzustellen, da er mit anfassbaren Produkten arbeitet, die im täglichen Ge-brauch eingesetzt werden, als Unternehmen, die an Industriel-ösungen arbeiten. Mit Blick auf unsere jüngste Mitarbeiterbe-fragungen erlebe ich, dass höhere Zustimmungswerte zu den Produkten der Telekom im Privatkundenumfeld existieren als im Geschäftskundenumfeld. Und unsere Mitarbeiter schätzen sehr, Teil der Deutschen Telekom zu sein und zum Beispiel das attraktive Mitarbeiterangebot der Deutschen Telekom in An-spruch nehmen zu können. Nichtsdestotrotz muss und kann ich gerade im Geschäftskundenbereich fehlende Lifestyleprodukte über den Zweck auffüllen. In Südafrika macht die T-Systems zum Beispiel die IT für Transnet und für Eskom, die das ganze Thema Energie und Wasserversorgung in Südafrika regelt. Wir betreiben erfolgreich MAUT-Systeme und implementieren der-zeit ein solches in Belgien. Unsere Arbeit hat für unsere Kunden, aber auch für das Funktionieren einer zunehmend IT-technisch unterstützen Volkswirtschaft eine große Bedeutung. Damit sind wir auch wieder beim Thema Digitalisierung. Nicht nur die Arbeitswelt sondern gesellschaftlich bringt die zunehmende Digitalisierung einiges in Bewegung. Das kann man gut oder schlecht finden. Fakt ist, das Thema wird und das Thema muss uns beschäftigen. Gemeinsam mit der Uni St. Gallen haben wir das als Telekom einmal auf die Arbeitswelt projeziert und uns angeschaut, was sich da alles in Bewegung setzt – und da wollen wir mitgestalten und nicht nur reagieren. Das sind Zusammen-hänge, die der einzelne als Rädchen im Großen gar nicht sieht, die man aber mit Sicherheit herausstellen kann. Jeder möchte gerne an großen Dingen mitwirken und die Zusammenhänge seines Tuns erkennen. Und natürlich sollten wir das, was wir an Produkten haben, auch nach innen anwenden. Beispiel Future Work: Wir beraten und bieten IT-Lösungen an, die Mitarbeiter in die Lage versetzen, von jedem Ort aus mobil zu arbeiten. Technik anzubieten ist das eine, Technik selbst zu nutzen und damit erlebbar zu machen für die Mitarbeiter ist das andere. Hier haben wir schon einiges auf den Weg gebracht, können aber noch stärker agieren.

DMR: Mut und Fehlerkultur sind Begriffe, die sich immer im Kontext von Innovation und Innovationsfähigkeit von Unter-nehmen ranken. Welche Faktoren behindern uns bei der Um-setzung?

G. Pepping: Wir wollen uns bei den Kunden u.a. durch Qua-lität und Sicherheit differenzieren. Dürfen wir deshalb Fehler machen? Nein. Es werden aber trotzdem Fehler gemacht, das ist menschlich. Nur kann ein kleiner Fehler in unserem Geschäft eine große Wirkung haben. Deswegen gilt es, über Routinen, klare Handlungsanweisungen und Prozesse sowie Schulung des Personals die Fehler-Möglichkeiten möglichst auszuschließen sowie klare Abläufe zu haben, wie Störfälle möglichst schnell identifiziert und behoben werden können. Es ist wie beim Flug-zeug, da gibt es auch zwei Piloten. Da wird eine Checkliste im-mer abgearbeitet, obwohl das im Cockpit bereits 100.000 Mal gemacht wurde. Das heißt im Ergebnis, dass wir an der rich-tigen Stelle sehr viel Routine und Disziplin haben müssen. Da wir aber auch neue, innovative Produkte und Services auf den Markt bringen wollen, gibt es natürlich auch Stellen, an denen wir Dinge ausprobieren müssen. Das Spannungsfeld liegt darin, in einem Unternehmen beides zu ermöglichen und zu kultivie-ren. Heisst: Wir brauchen in unterschiedlichen Bereichen un-terschiedliche Fähigkeiten und müssen sowohl in der Kommu-nikation wie den Programmen differenziert sein. DMR: Meist tun sich besonders die Führungskräfte mit einer Feh-lerkultur schwer, weil sie die Verantwortung tragen. Wie können Sie das fördern?

G. Pepping: Persönlich fängt das Thema Fehlerkultur aus mei-ner Sicht damit an, dass ich selbst mit einer reflexiven, selbst-kritischen Einstellung und auch mit der Größe, Fehler zu kommunizieren, agiere. Jeder Manager hat in seinem Leben mit Sicherheit schon Entscheidungen getroffen, die er heute so nicht mehr treffen würde. Die Kunst ist, aus diesen Fehlern zu lernen, und zwar schnell. Man muss Risiken eingehen und Din-ge in einem kalkulierten Umfeld ausprobieren, offen sein und andere ermutigen, ebenfalls so zu handeln. Ich höre zu oft die Befürchtung von Führungskräften, dass ihnen Fehler als Schwä-che ausgelegt werden. Es gibt nur wenige Manager, die offen über Fehlentscheidungen sprechen. Meine Erfahrung ist aber, dass gerade das eine Führungskraft menschlicher und damit authentischer macht. Ein zweiter Punkt besteht darin, systema-tisch nicht nur Best Practices, sondern auch „lessons learned“ zu kommunizieren und so dafür zu sorgen, dass ich einen Fehler in Projekt A nicht ein zweites Mal in Projekt B mache. Das ist in einem Unternehmen wie T-Systems, welches in über 20 Ländern operiert, nicht einfach. Hier setze ich viel auf die in der T-Systems aufgesetzten Communities of Practice, die genau einen solchen globalen Austausch unter den Mitarbeitern zu de-finierten Themen ermöglichen und die Weitergabe von Wissen fördern. Noch ein letzter Punkt zum Thema Innovation: Ich glaube daran, dass mehr Geld nicht unbedingt auch mehr Inno-vationen bringt. Ich glaube, dass Innovationen oft gerade dort

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entstehen, wo ich mit wenigen Mitteln mehr erreichen muss. Nach dem alten Sprichwort „Not macht erfinderisch“.

DMR: Sprechen wir noch einmal über die Rolle von HR. Muss sich der Personalbereich in industriepolitische Diskussionen einzu-bringen?

G. Pepping: Für die Deutsche Telekom ein ganz klares Ja. Die Debatte um die Frage, was Digitalisierung für eine Volkswirt-schaft wie die Bundesrepublik Deutschland bedeutet, hat gerade erst begonnen und sie berührt mit dem Thema „Industrie 4.0.“ und „Internet der Dinge“ den Kern unserer Wirtschaft. Was das für die Arbeitswelt von morgen in den Unternehmen bedeutet, wie wir Technik einsetzen und nutzen können aber auch wollen, sind Kernfragen, zu denen sich natürlich die Deutsche Telekom einbringen kann und muss. Ein gutes Beispiel ist eben erwähnte Studie, die jüngste Veröffentlichung unseres Personalvorstands Christian Illek zu 25 Thesen, wie die Digitalisierung die Ar-beitswelt verändern wird.

DMR: Vom HR Beitrag zum HR Modell: Stichwort Dave Ulrich und das Drei-Rollen-Modell: Passt das Ihrer Meinung nach noch in die heutige Zeit? Viele Diskussionen drehen sich darum, ob wir die drei Rollen heute noch brauchen. Kann man nicht die dritte Rolle, Shared Service Center, de facto komplett outsourcen bzw. zukünftig automatisieren? Brauche ich überhaupt noch das Competence Cen-ter? Wie ist Ihre Einstellung zu diesem Thema?

G. Pepping: In der T-Systems arbeiten wir in dem Drei-Rol-len-Modell – tatsächlich leben wir aber eher ein Vier-Rollen-Modell. Es gibt den klassischen Business Partner, das dezentrale Competence Center und auch die Shared-Service-Funktion. Letztere wird heute zu großen Teilen aus der Deutschen Tele-kom heraus wahrgenommen und von uns bezogen. Bei uns exi-stiert aber auch eine Zwischenfunktion zwischen dem Business Partner und den Shared Service Center, die wir Business Part-ner Operations nennen. Effiziente HR-Arbeit setzt ein hohes Maß an Prozessharmonisierung und Standardisierung voraus. Ich muss HR-Prozesse soweit transformieren, dass sie möglichst als Self-Service automatisiert und standardisiert über mehrere Landesgrenzen hinweg erbracht werden können. Aus meiner Erfahrung ist dieser Sprung zu weit, um ihn direkt aus dem Competence Center heraus zu gestalten. Daher existiert der Zwischenschritt Business Partner Operations. Ich denke, dass am langen Ende IT-Technik dazu führen wird, mit einem Zwei-Rollen-Modell zu leben. Das setzt aber einen hohen globalen Automatisierungsgrad voraus – für ein Großunternehmen ist das ein langer Weg von mindestens fünf bis acht Jahren. Brauche ich ein Competence Center? Ja, davon gehe ich aus. Gestaltung und operatives Management werden immer eigene Schwer-

punkte sein. Aber auch in den Competence Centern werden die Möglichkeiten, die sich zum Beispiel mit Big Data auch im Personalbereich bieten, ihre Spuren hinterlassen. Es wird aber immer einen Generalisten und einen Spezialisten geben.

Aber der jüngst wieder aufgeflammte Streit unter den HR´lern über das richtige Modell ist meines Erachtens überschätzt. Ent-scheidend ist nicht das richtige Modell, sondern dass man Mo-delle mit klugem Sachverstand nachhaltig implementiert. Auch hier ist wieder viel Disziplin und kluge Adaption gefragt. Ein anderer Punkt ist das Thema „Right People for the Right Job“ und hier das Thema Rotation: Wenn Mitarbeiter früh in unter-schiedlichen HR-Rollen Erfahrungen sammeln, sind sie in der Lage, übergreifende Zusammenhänge zu erkennen und Schnitt-stellen anders zu leben. Genau daran scheitert heute noch der Erfolg vieler HR-Organisation. Denn auf dem Papier sieht es gut aus, aber in der Realität funktioniert es nicht. Auch deshalb, weil der HR Business Partner seinen Counterpart im HR Com-petence Center nicht versteht oder zum Beispiel letzterer zu we-nig Ahnung davon hat, wie denn seine Produkte und Services aus dem Shared Service Center geliefert werden. Das gilt aber nicht nur für HR, sondern am Ende für alle Organisationen und hier insbesondere für Matrixorganisationen. Aus diesem Grund finde ich es gut, dass Rotation zu einem der Kernpunkte zählt, die Tim Höttges im Rahmen des neuen Leadership Programms „Lead to Win“ adressiert hat. Die Telekom ist eine Matrixorga-nisation auf dem Weg, ein multinationales funktional gesteu-ertes Unternehmen zu werden. Nur Verständnis führt hier zu einer besseren Zusammenarbeit. Die vernetzte Zusammenar-beit ist aus meiner Sicht eine, wenn nicht sogar DIE Schlüs-selfähigkeit für eine vernetzte Organisation. Damit wären wir beim Thema Future Work. Was die Arbeitsumgebung angeht, ist Future Work nur ein Teilaspekt. Mobiles Arbeiten ist ja eine Antwort darauf, dass ich heute in sehr unterschiedlichen Rollen, an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten, mit unterschiedlichen Mitarbeitern, aus unterschiedlichen Settings zusammenarbeiten kann. Wie bin ich dort erfolgreich und ef-fektiv? Arbeitsort ist das eine, Technik ist das andere, als dritter Punkt kommt das Führungsverständnis hinzu. Hier kommen mehrere Facetten zusammen - das macht es auch so spannend. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir damit die Produktivität steigern.

DMR: People, Places, Tools, die optimale Kombination von allen dreien. Das ist ein schönes Schlusswort.

Das Interview führten Marc Wagner und Verena Vinke.

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Digitale Transformation im HR-Management

Are you ready for the digital world?

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Der Wandel hat begonnen – auch bei Human Resources. Unternehmen müssen die digitalen Fähigkeiten identifizieren, die für die zukünftige

HR-Strategie wichtig sind.

as Internet und eine neue Mobilität verändern die Gesell-schaft in einem rasanten Tempo. Unternehmen verlagern ihre Geschäftstätigkeit in die digitale Welt. Neben den bekannten Portfolien entstehen neue Produkte, neue Partnerschaften er-scheinen als strategisch sinnvoll. Auf den digitalen Märkten tre-ten auch bislang unbekannte Wettbewerber auf und beleben die Konkurrenz. Die digitale Transformation erfordert ein Umden-ken und eine Anpassung des gesamten Unternehmens, um in der scheinbar virtuellen Welt mittel- und langfristig erfolgreich bestehen zu können. Dieser Herausforderung muss sich auch die zukunftsorientierte HR-Abteilung stellen. Die neue strate-gische Ausrichtung muss durch ein zeitgemäßes Personalma-nagement aktiv unterstützt werden. Die Digitalisierung führt zu einer stärkeren Einbindung von HR in das operative Geschäft. Der Personalbereich wird somit das funktionale Silodenken zu-nehmend aufgeben müssen.

Unternehmen, die sich der digitalen Transformation widmen, stellen schnell fest, dass sich die Anforderungen an den Perso-nalkörper verändern und Mitarbeiter mit anderen Kenntnissen und Fähigkeiten als bisher benötigt werden. Die digitale Welt braucht den „Homo Digitalis“ als neue „Mitarbeiterspezies“ – den Menschen, der sich auf das Leben mit dem Computer spezialisiert hat. Dieser Typus Mitarbeiter hat individuelle Fä-higkeiten, und niemand kennt sich besser mit den vielfältigen Chancen und Risiken in der digitalen Welt aus als er. Er hat aber auch individuelle Ansprüche. Er erwartet maximale Mobilität und Flexibilität sowie eine ausgeprägte Work & Life Balance. Der „Homo Digitalis“ ist am Arbeitsmarkt sehr begehrt. Der Personalbereich muss die Fähigkeit ausprägen, die erforder-lichen neuen Kenntnisse und Fähigkeiten zu definieren und den Personalkörper entsprechend zu entwickeln.

Zukunftstrends im HR-Management

Schnell erkennt man in Folge der Transformation, dass die vor-handenen IT-Anwendungen und -Werkzeuge nicht länger ge-eignet sind, um zukünftig eine effiziente Unterstützung der sich verändernden HR Prozesse sicherzustellen. Human Resources braucht neue digitale Fähigkeiten, um das Unternehmen auf seinem Weg in die digitale Welt erfolgreich zu unterstützen.

Aktuelle Studien zeigen folgende HR-Zukunftstrends:

Total Workforce Management und Workforce Analytics: Ent-scheidend beim Total Workforce Management ist die schnelle Bedarfsprognose und Anpassung des Personalkörpers an die sich ändernde Geschäftsstrategie. Der daraus resultierende Mix aus den richtigen Kenntnissen und Fähigkeiten im Personalbe-stand und bei externen temporären Arbeitskräften ist erfolgs-kritisch. HR muss hierfür die richtigen Methoden und Werk-zeuge bereitstellen. Analytische und prädiktive Fähigkeiten sind enorm wichtig, um die Wandlungsfähigkeit des Bestandes be-werten und richtige Impulse zu Weiterbildung und Recruiting geben zu können.

Big Data: Digitale Personaldaten müssen jederzeit und überall verfügbar sein. Analoges Formularwesen bedeutet unerwünsch-ten Medienbruch, das digitale Selbstbedienungsportal liegt im Trend. Es muss nicht nur dem normalen Mitarbeiter ein „always on“ bieten, sondern auch den Führungskräften jederzeit Zu-gang zu wichtigen Daten und Prozessen bieten – natürlich auch mobil. HR wird mit einer Datenflut aus Bewerberdokumenten, Daten aus dem Partnernetzwerk und aus sozialen Netzen kon-frontiert. Es ist wichtig, hieraus die tatsächlich relevanten Daten zu filtern, zu validieren – und das alles unter Einhaltung von Compliance Richtlinien.

Recruiting und Retention: Das Recruiting wird erheblich dyna-mischer. Über „One click apply“ gelangen Bewerberdaten über vielfältige elektronische Wege ins Unternehmen. Der Kandidat erwartet eine zeitnahe Rückmeldung zum Stand seiner Bewer-bung. Neue Auswahlformate wie „Speed Applying“ werden ein-gesetzt, um auf Bewerber interessanter zu wirken. Effiziente Be-wertungsmethoden sind wichtig, um die richtigen Kandidaten zu erkennen und für das Unternehmen zu gewinnen. Einmal gewonnene Talente sollen langfristig an das Unternehmen ge-bunden werden, denn sie sind ein wichtiges Kapital für die ge-schäftsstrategische Weiterentwicklung.

Performance Management: Traditionelle Leistungsbewertungen geraten mehr und mehr in den Hintergrund, da der damit ver-bundene administrative Aufwand hoch und teuer ist. Jährliche

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Quelle: Detecon

Innovation & Transformation

(early) Trend Detection & Evaluation

Management of Collaborative Innovations

Digital Sourcing

Business Exploration

Corporate Transformation Culture Setting & Mgmt

Management of Digital Strategy

Balancing of Incremental vs. Disruptive Innovation

Ethic & Social Responsibility Management

Innovation Implemen-tation & Operation

Skill Development

Knowledge Management

Diversity Management

Digital Process Management Smart Business Network Management

Digital Information Management Cyber Physical Systems

Life Cycle Management

Multichannel & (Partner-) Channel-Integration Mgmt

Information Value Assessment

Support Exploration Management

(End-to-End) Integration & Automation

Customer Experience Management

Analytics Real time Control & Business Activity Monitoring

Value Oriented Process Management

Value Architecture/Depth Design

Information Quality Management

Capability Management

Hybrid Product, Production, Service Inte- gration & Value Creation

Agile Process Modeling & Imple- mentation

Digital & Social CRM/Digital Customer Engagement

Information Sourcing

Operational Integration of CPS

Process Scalability

Intelligent Partner Scouting

Data Life Cycle Management

Hybrid Reality Modeling

Policy Driven Process Management

(real time) Information Exchange & Exposure

Privacy Management

Event Driven Architecture

Digital Delivery

Management of Standards & Interfaces

Multi Layer CRM

Information Processing

Real time Asset Management & Integration (IoT)

Management of Repository/Experience Database

Partner Relationship Management

Presentation/Exposure

Hybrid Reality Simulation

Information Exchange

Management of Adaptive Systems Behavoir

Process Mobility

SLA-Management

Risk & Trust

Operate Control System Management

Risk Management

Information Security Management

Safety Management

Business Resilience

Identity & Profile Management

Trust Management

Identification Management

Cust

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rtnering Products & Services

Enterprise

TransformationInnovation &

Network Managem

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Smart Business

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Risk & Trust

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Abbildung: Die digitalen Fähigkeiten des Digital Navigator

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Mitarbeiter-Rankings sind zudem nicht mehr zukunftstauglich. Mitarbeiter lassen sich ungern festen Leistungsstufen zuordnen. Es setzen sich zunehmend neue innovative Methoden durch, welche neue IT Tools zur Prozessunterstützung erforderlich machen.

Skill Management und Learning: Welche Kenntnisse und Fähigkeiten haben meine Mitarbeiter - sind es die richtigen und zahlen sie auf mein Geschäftsmodell ein? Welche Trainings-inhalte sollen meinen Mitarbeitern zukünftig angeboten wer-den? Für ein Überleben in der digitalen Welt müssen diese Fragen hinreichend beantwortet werden und zwar möglichst in Echtzeit.

Future Workplace und Collaboration: Arbeitsfähigkeit – je-derzeit an jedem Ort, über Ländergrenzen hinweg, mit unter-schiedlichen Endgeräten – ist ein wichtiger Aspekt moderner Arbeitswelten. Wichtig ist hierbei der Zugriff auf Unterneh-mensdaten und -prozesse ohne Rücksicht auf den Aufenthalts-ort des Mitarbeiters. Von mobilen Endgeräten werden Perso-nalprozesse bedient und wichtige Informationen abgerufen. Die Personalabteilung darf sich davor nicht verschließen, sondern muss sich der Herausforderung stellen.

Der Digital Navigator unterstützt bei der digitalen Transformation

Was bedeutet das nun für die digitale Transformation von HR? Wie lässt sich von Trends ableiten, welche digitalen Fähigkei-ten benötigt werden und ob eine Personalabteilung reif für die digitale Welt ist? Dazu ist es wichtig, den Reifegrad der Orga-nisation und der HR IT Landschaft zu analysieren. Die HR-Fachabteilung ist in vielen Fällen nicht in der Lage, diese Ana-lyse autark oder in Zusammenarbeit mit der IT-Abteilung des Unternehmens durchzuführen.

Detecon hat für die Bewertung des Reifegrads ein effektives Hilfsmittel entwickelt: den Digital Navigator. Die Methode, die dahinter steht, unterstützt Unternehmen dabei, die Handlungs-felder herauszuarbeiten und die Fähigkeiten zu bewerten. Ent-lang der folgenden sechs Dimensionen des Digital Navigators wird der Status Quo der digitalen Fähigkeiten hinterfragt und deren Anforderungen herausgearbeitet:

Innovation und Transformation: Ist HR organisatorisch und prozessual als strategische Unternehmensfunktion richtig auf-gestellt und somit in der Lage dem digitalen Wandel des Unter-nehmens Rechnung zu tragen?

Smart Business Network Management: Die Personalabteilung muss sich über die Unternehmensgrenzen hinweg öffnen und neue strategische Partnerschaften eingehen. Sind die notwen-digen Voraussetzungen hierfür vorhanden und welche müssen neu geschaffen werden?

Cyber Physical Systems: Die digitale Transformation verändert die Arbeitswelt. Neben der „Mensch zu Maschine“ Kommuni-kation werden auch zunehmend „Maschine zu Maschine“ In-formationsflüsse relevant, mit direkten Auswirkungen auf das Personal. Was bedeutet das für die digitale Transformation bei HR?

Risk & Trust: Externe Partner und Daten werden auch für den Personalbereich immer wichtiger. Welchen Daten kann ich ver-trauen und welche sind für mich wichtig? Was muss ich unter-nehmen, damit meine Daten von externen Partnern als vertrau-enswürdig eingestuft werden?

Digital Information Management: Die Datenflut nimmt zu. Big Data macht auch vor HR nicht halt. Was ist zu tun, damit ich große Datenmengen validieren, analysieren und verwalten kann?

Digital Business Processes: Die Digitalisierung der vorhandenen Personalprozesse schreitet schnell voran, neue Prozesse kommen hinzu. Sind meine vorhandenen Prozesse effizient und vor allem ausreichend integriert? Ist die Prozesslandschaft zukunftssicher und wo werde ich zukünftig prozessual gefordert?

Anhand des Digitalen Navigaotrs werden die digitalen Fä-higkeiten identifiziert, die für die zukünftige HR-Strategie wichtig sind. Klare prozessuale und technische Handlungs-empfehlungen verdeutlichen, in welchen Bereichen Entwick-lungsbedarf besteht. Mit dem Digital Navigator wird HR reif für die digitale Welt. Wir als Detecon begleiten Sie gern auf Ihrer digitalen Reise.

Jörg Sahlmann, Managing Consultant, berät Klienten aus dem Telekommuni-kationssektor und anderen Industrien zu den Themen HR Transformation und Social Partner Management sowie Digital Transformation und Business Process Engineering.

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Interview mit Prof. Thomas Edig

HR ist ein starker PartnerDer ehemalige Porsche-Personalvorstand Prof. Thomas Edig charakterisiert die Zusammenarbeit zwischen HR und dem Linienmanagement vor allem als partnerschaftlich. Wertschätzung und Vertrauen gewinnt der HR-Bereich, indem das Verständnis der Bedarfe aus der Linie im Vordergrund steht. Dazu gehört außerdem die Beherrschung der admi-nistrativen Prozesse als Basis exzellenter Personalarbeit. Thomas Edig ist seit 1. Oktober 2015 Vorstand bei VW Nutzfahrzeuge. Sein Nachfolger bei Porsche ist Andreas Haffner.

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DMR: Wie wird im Hause Porsche HR seitens des Business angese-hen? Liefert HR aus Sicht des Business einen Mehrwert?

T. Edig: HR ist als der strategische Partner des Managements positioniert und sichert die personelle Anpassungs-fähigkeit der Organisation an strategische Herausfor-derungen. HR bereitet die Mitarbeiter systematisch auf die Zukunft vor und unterstützt das Linienmanagement dabei, seine Ziele zu erreichen. Dazu werden professio-nelle Steuerungsinstrumente eingesetzt und es gibt ein systematisches Monitoring. HR wird vom Linienma-nagement als starker Partner wahrgenommen, der auf „Augenhöhe“ kommuniziert. Wir sprechen von einer Partnerschaft, die auf Verständnis des Geschäfts und der Schlüsselkennzahlen sowie auf Vertrauen, gegenseitiger Wertschätzung und Einbindung, gemeinsamer Verant-wortung und bilateralem Nutzen basiert.

DMR: Was ist in diesem Kontext bei der Besetzung von HR-Posi-

tionen zu beachten?

T. Edig: Bei internen wie externen Besetzungen von Kandidaten mit Berufserfahrung ist darauf zu achten, dass eben ge-nau diese Kompetenz, die Business-Expertise, vorhan-den ist. Für HR-Funktionen geht es uns in diesem Zu-sammenhang insbesondere um die Fachkompetenz in Bezug auf die zu besetzende Stelle und die Automotive-Erfahrung der Bewerber. Je besser HR-Mitarbeiter ihre eigene Funktion und die ihrer Fachbereiche verstehen, umso besser können sie die Fachbereiche kompetent un-terstützen. Neben den fachlichen Kompetenzen spielen daher auch die Kenntnisse über die Fachbereiche und deren Herausforderungen eine große Rolle.

DMR: Wie wird die „Business-Expertise“ sichergestellt?

T. Edig: Durch gezielte Aktivitäten, zum Beispiel im Rahmen der frühzeitigen Einbindung in die entsprechenden Gre-mien des Unternehmens. Ganz grundsätzlich durch die in den Entwicklungsprogrammen für die Personaler fest integrierten Bausteine, etwa Strategie- und Marktkom-petenz, Innovation und Change Management, unter-nehmerisches Denken und Handeln. Darüber hinaus zählen für uns natürlich persönliche Kompetenzen, etwa interkulturelle Offenheit und Kooperations- und Ein-fühlungsvermögen. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die kontinuierliche Rotation von HR auf Business-Funktionen und vice versa. Auch diese Rotation wird bei Porsche seit einigen Jahren intensiv gelebt.

DMR: Wie möchte sich HR vor dem Hintergrund zunehmender Automatisierung und Effizienzsteigerung von HR-Prozes-sen positionieren?

T. Edig: Wir müssen zunächst einmal sicherstellen, dass alle ad-ministrativen Prozesse sehr gut beherrscht werden. Das ist nach wie vor die Basis für exzellente Personalarbeit. Durch die zunehmende Automatisierung und die Steige-rung der Effizienz entstehen Freiräume, die es dem Per-sonalwesen dann ermöglichen, sich mit weitergehenden und wertschöpfenderen Themen für das Unternehmen zu beschäftigen. Um zukünftig erfolgreich agieren zu können, müssen zur Schärfung des HR-Geschäfts-modells die bekannten externen und internen Heraus-forderungen sowie sich ändernde Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, etwa dynamische Märkte, flexible Arbeitsmodelle, virtuelles Arbeiten, flache Hierarchien, Netzwerkstrukturen und mehr.

DMR: Welche Rolle hat HR in Transformationsprogrammen?

T. Edig: HR spielt eine wichtige und aktive Rolle in Trans-formationsprozessen. Als Initiator stößt HR Verände-rungen an. Dies können strukturelle, prozessuale, aber insbesondere auch kulturelle Transformationen sein, die durch neue personalpolitische Instrumente, zum Bei-spiel das Programm „Arbeitsmarkt der Zukunft“, ausge-löst werden. Als Partner begleitet HR die Führungskräfte und Fachbereiche in Tranformationsprozessen. Dies um-fasst unter anderem die Beratung, die Konzeption von Kommunikationsplänen und Erstellung von Change Roadmaps, die Moderation von Veränderungsprozessen, aber auch die Vorbereitung der Mitarbeiter auf verän-derte Anforderungen durch eine nach vorne gerichte-te Qualifizierung. Hier muss HR die Prozesse und die Werkzeuge anbieten, um die Transformation effektiv zu unterstützen.

DMR: Wie gestaltet sich hier das Zusammenspiel mit den Sozial-partnern?

T. Edig: Transformation geht nur gemeinsam mit den Sozial-partnern und muss im engen Schulterschluss zwischen Fachbereich, Personalbereich und Betriebsrat konzipiert und umgesetzt werden. Gelebte Mitbestimmung und of-fene, ehrliche und faire Sozialpartnerschaft sind kritische Erfolgsfaktoren für alle wichtigen Veränderungsprozesse in Unternehmen.

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Professor Thomas Edig trat nach einem Studium an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg mit Abschluss Diplom-Betriebswirt 1986 bei der Alcatel SEL AG in Stuttgart ein. Nach verschiedenen interna-tionalen Führungsfunktionen war er seit 1998 Mitglied des Vorstandes und Arbeits direktor der Alcatel SEL AG in Stuttgart. Anfang 2002 wurde er als Personalchef des Alcatel-Konzerns in den Vorstand der Alcatel S.A. in Paris berufen. Im Mai 2007 wechselte er als Vorstand für Personal - und Sozialwesen zur Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, wo er ab 2009 zudem Stellvertretender Vorstandsvorsitzender war. Seit Oktober 2015 ist er Personalvor-stand bei VW Nutzfahrzeuge.

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DMR: Was wird bei Porsche dafür getan, den Spagat zwischen per-manentem Streben nach Effizienz und Stärkung der Inno-vationskraft zu begegnen?

T. Edig: Für Porsche ist das kein Spagat. Porsche gelingt es, beides in Einklang zu bringen. Das Streben nach Effi-zienz ist gelebter Bestandteil der Porsche Unternehmens-kultur und wird von Mitarbeitern und Führungskräften im operativen Tagesgeschäft umgesetzt sowie durch den Porsche Verbesserungsprozess unterstützt. Innovations-management wird bei Porsche als Unternehmensaufgabe verstanden. Die Aufrechterhaltung und Stärkung der Innovationskraft von Porsche ist in all unseren Abtei-lungen in den einzelnen Unternehmensbereichen ver-ankert. Es ist Aufgabe einer jeden Führungskraft, Inno-vationsmanagement im eigenen Verantwortungsbereich zu praktizieren. Um die Rolle von Führungskräften als Innovationsmanager zu stärken, sind Themen wie In-novationsstrategie und Ideenmanagement wesentliche Inhalte unserer Managementprogramme.

DMR: Stichwort Leadership: Was zeichnet aus Sicht von Porsche und auch aus Ihrer Sicht einen „guten Leader“ aus? Welche Charakteristika sind wichtig?

T. Edig: Die Anforderungen, die Porsche an Führungskräfte stellt, sind in den Porsche Führungsleitlinien verankert. Darunter verstehen wir beispielsweise eine ausgeprägte Kunden- und Qualitätsorientierung, eine leistungs- und vertrauensbasierte Führungskultur, eine ausgeprägte So-zialkompetenz, die ständige und aktive Prozessoptimie-rung, Effizienz, Innovationsstärke und Internationalität.

DMR: In wieweit ist dies in Form von Leadership-Prinzipien und formalen Leadership-Programmen verankert?

T. Edig: Unsere Führungsleitlinien sind die Grundlage für alle Führungsinstrumente und fest in allen Führungs-trainings und Management-Programmen verankert. Zur weiteren Stärkung und zum weiteren Ausbau der Leadership-Kompetenzen haben wir in diesem Jahr mit dem Porsche Advanced Management Programm erst-mals ein internationales Managementprogramm gestar-tet, das wir in enger Kooperation mit weltweit führen-den Business Schools – HEC Paris, MIT Cambridge, CEIBS Shanghai – konzipiert haben. Zentrale Zielset-zung ist der Ausbau der Leadership-Kompetenzen von Top-Führungskräften, um erfolgreich im internationa-len Umfeld zu führen und die strategische Ausrichtung von Porsche in einem globalen, volatilen Marktumfeld aktiv steuern zu können.

DMR: Wie trägt der HR-Bereich von Porsche dazu bei, dass sich Mitarbeiter und Führungskräfte als Unternehmer im Un-ternehmen fühlen und bereit sind, über den Tellerrand hinaus zu schauen und Risiken einzugehen?

T. Edig: Die Porsche Führungskultur ist eine Vertrauenskul-tur. Verantwortung, Sicherheit und Rückendeckung für unsere Mitarbeiter werden dabei groß geschrieben, aber auch, dass wir Fehler offen ansprechen können, um da-raus zu lernen. Diese Kultur wird von HR gestaltet und unseren Nachwuchsführungskräften im Rahmen von Workshops vermittelt.

Das Interview führten Marc Wagner, Dr. Christoph Lymberski und Verena Vinke.

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Die Frage, wie sich die Effizienz von HR-Prozessen steigern lässt, ist Diskussionsgegenstand in vielen HR-Einheiten. Anhand der Gegenüberstellung eines Poolings der HR- Prozesse in einem HR Shared Service Center einerseits sowie eines Ausbaus der HR-Prozessautomatisierung durch eine geeignete HR-IT andererseits werden zwei zentrale Ansätze betrachtet und allgemeine Handlungsempfeh-lungen abgeleitet.

Pooling oder Automatisierung?

Effiziente HR-Prozesse

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D ie Suche nach Möglichkeiten zur Senkung der Prozess-kosten und Steigerung der Prozessqualität ist im HR-Bereich ein Dauer thema. Viele HR-Leiter(innen) haben sich mit dem Auf- oder Ausbau eines Shared Service Centers (SSC) auseinan-dergesetzt und sich ebenso Gedanken um einen Ausbau der vor-handenen HR-IT angesichts einer weitergehenden Prozessauto-matisierung gemacht. Auch wenn zumindest einer dieser beiden Ansätze von vielen HR-Verantwortlichen bereits analysiert wur-de, so gewinnt die Betrachtung durch steigende Lohnkosten in den Nearshore-Regionen auf Seiten des HR SSC sowie der zunehmenden Flexibilität bei der Prozessautomatisierung unter anderem durch Cloud-Lösungen neue Brisanz.

Unabhängig von der gewählten Form – HR SSC oder HR-Prozessautomatisierung – liegen regelmäßig ähnliche Motive für eine Prüfung der Optionen vor. So sollen unter anderem Redundanzen in den Prozessen sowie Reibungsverluste mini-miert, der Zeitaufwand verkürzt und die Bearbeitungsweise vereinheitlicht werden. Ergänzend soll idealerweise die inhalt-liche Flexibilität und quantitative Skalierbarkeit der Prozesse gesteigert werden. Abhängig von der individuellen Situation des Unternehmens können Preis- und Kostentransparenz, stra-tegische Neuausrichtung der HR-Einheit oder die Einführung neuer HR-Funktionsmodelle, wie etwa die zentrale Bündelung der Personalverwaltung und die Lösung komplexer Aufgaben vor Ort, weitere Anforderungen sein.

Um das Thema näher zu beleuchten, werden die Möglichkeiten und Grenzen des HR SSC einerseits und Prozessautomatisie-rung im HR-Bereich andererseits gegenüber gestellt. Dabei werden auf Basis von Voraussetzungen, Vorteilen und Risiken grundsätzliche Handlungsempfehlungen abgeleitet.

Möglichkeiten und Grenzen des HR Shared Service Center

Unter einem HR SSC wird eine eigenständige Organisations-einheit verstanden, die ihre Services anhand eines definierten HR-Leistungs- oder HR-Produktkatalogs anderen Unterneh-menseinheiten anbietet. Sie bündelt somit verschiedene defi-

nierte HR-Geschäftsprozesse und wickelt diese gemäß den Vor-gaben im Leistungs- oder Produktkatalog ab. Ergänzt werden HR SSC regelmäßig durch einheitliche und klare Kommuni-kationskanäle, die gewöhnlich zumindest auf Mitarbeiterebene keine Zuordnung zu einem namentlich bekannten Personal-sachbearbeiter vorsehen.

Voraussetzungen für einen erfolgreichen Aufbau und Betrieb eines HR SSC ist primär ein hohes Harmonisierungspotential in den betrachteten HR-Prozessen. Darüber hinaus ist für eine Auslastung des eingesetzten Personals sowie den Overhead, der mit dem HR SSC verbundenen ist, ein entsprechendes Men-gengerüst erforderlich. Neben Harmonisierungspotential und Mengengerüst in den HR-Prozessen sind die Möglichkeiten zur Nutzung einer einheitlichen HR-IT in Verbindung mit einer übergreifenden und transparenten Governance-Struktur ent-scheidende Voraussetzungen für den Aufbau eines erfolgreichen HR SSC.

Vorteile, die mit einem HR SSC realisiert werden sollen, sind primär Skaleneffekte und eine damit verbundene bessere Ausla-stung der Mitarbeiter. Dies wird häufig durch eine Verlagerung in Länder mit einem niedrigeren Lohnniveau sowie eine Re-duktion der fachlichen Anforderungen durch klare Prozessbe-schreibungen und Standardisierungen unterstützt. Neben einer Steigerung der Effizienz sowie Prozess- und Servicequalität über die Standardisierung werden regelmäßig Vorteile wie Unabhän-gigkeit, Effektivität und Wettbewerbsfähigkeit mit einem HR SSC verbunden.

Risiken können in einer verringerten Möglichkeit der Einfluss-nahme zur Abbildung geschäftlicher Besonderheiten einzelner Unternehmenseinheiten oder möglichen Interessenskonflikten im Rahmen der Prozessharmonisierung liegen. Ergänzend kön-nen wenig tatsächlicher Durchgriff bei Nichteinhaltung von SLAs, fehlende Wettbewerbsfähigkeit bei Zwang der Unterneh-menseinheiten zur Nutzung des HR SSCs beziehungsweise an-dererseits einem nicht Erreichen der geplanten Prozessmengen dazu führen, dass erwartete Vorteile nicht realisiert werden.

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In der Praxis ergeben sich häufig Schwierigkeiten im Umgang mit Ausnahmen oder Sonderfällen, wenn vor dem Ziel der Senkung der Lohnkosten keine dezentralen HR-Einheiten und Mitarbeiter mit Generalisten-Know-how mehr zur Verfügung stehen. Des Weiteren können sich unter anderem operative Schwierigkeiten bei der geforderten kapazitativen Flexibilität sowie bei der Sicherstellung der Erfüllung von Qualitätsanfor-derungen ergeben.

Üblicherweise bietet sich ein HR SSC als eigenständige Orga-nisationseinheit mit wachsender Unternehmensgröße an, da sich erst mit zunehmenden Prozessmengen die oftmals hohen Harmonisierungs- und Implementierungsaufwände rechnen. Ebenso erlauben erst hohe Prozesszahlen eine derartige Stan-dardisierung, dass statt hochwertigen HR-Experten weniger qualifiziertes Personal eingesetzt werden kann. Die Beachtung und Regelung datenschutzrechtlicher Aspekte versteht sich ins-besondere bei Nearshore-Lösungen von selbst.

Möglichkeiten und Grenzen der HR-Prozessautomatisierung

Der Begriff der Automatisierung zielt auf IT-Systeme und IT-Anwendungen zur Erbringung von HR-Leistungen oder die IT-basierte Unterstützung von HR-Prozessen. Typsicherweise han-delt es sich hierbei um automatisierte Workflows, die entweder den HR- oder per Intranet-Portal Mitarbeitern oder Führungs-kräften direkt per Employee Self Service (ESS) oder Manager Self Service (MSS) zur Verfügung gestellt werden. Dabei steht die Automatisierung selbst im Fokus. Ob sie auf Basis konven-tioneller IT- oder Cloud-Lösungen erfolgt und die Bereitstel-lung inhouse oder im Rahmen eines Outsourcings implemen-tiert wird, ist für die praktische Umsetzung sicherlich relevant, liegt aber außerhalb dieser Betrachtung.

Um eine HR-Prozessautomatisierung erfolgreich durchführen zu können, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. So bietet sich eine Automatisierung nur bei geeigneten Prozes-sen an. Geeignet bedeutet in diesem Kontext, dass sich Prozesse durch einen hohen Grad an Standardisierung, eine hohe An-zahl an Wiederholungen und eine geringe Anzahl an Ausnah-men oder Abweichungen vom Standard auszeichnen. Darüber hinaus müssen Transparenz über das HR-Produktportfolio so-wie die zugehörigen HR-Prozesse herrschen und der vorhan-dene Input sowie das gewünschte Ergebnis klar definiert sein.

Für eine HR-Prozessautomatisierung sprechen der einfache Zugang zu HR IT-Systemen und Anwendungen, die gute Ska-lierbarkeit der Systeme, die hohe Verfügbarkeit und die effizi-ente Nutzung. Ferner bietet eine HR-Prozessautomatisierung eine flexible Zugriffsmöglichkeit sowie die Chance der Bildung

durchgehender Prozessketten ohne größere Prozessbrüche. So können HR-Prozesse über eine ESS/MSS-Schnittstelle bis zum Kunden hin verlängert und damit HR entlastet werden. Zu-sätzlich unterstützt die HR-Prozessautomatisierung eine ein-heitliche Datenhaltung und liefert allen Beteiligten die jeweils aktuellen Mitarbeiterdaten.

Neben diesen Vorteilen kann eine HR-Prozessautomatisierung mit verschiedenen Risiken und Schwierigkeiten verbunden sein. So begibt sich das Unternehmen durch den Erwerb einer Soft-ware oder durch ein Outsourcing in eine Abhängigkeit vom jeweiligen Anbieter. Anpassungen an individuelle Unterneh-mensbedürfnisse sind in der Regel aufwendig und kostenin-tensiv. Gleiches kann auftreten, wenn regionale rechtliche und prozessuale Gegebenheiten nicht oder nur unvollständig in den Anforderungen berücksichtigt und über die implementierten Anwendungen entsprechend nicht abgedeckt sind.

Bei einer Thematisierung der Risiken und Schwierigkeiten ist die Frage nach dem Umgang mit Ausnahmen von entschei-dender Bedeutung. Bei der HR-Prozessautomatisierung kann ein hoher Aufwand bei Abweichungen vom Standard entstehen, insbesondere bei geschlossenen HR-Prozessketten, da im Zwei-felsfall abweichende Vorgänge manuell abgearbeitet werden müssen. Ferner stellt der mögliche Verlust von Kompetenzen und Know-how für eine operative Durchführung der Prozesse eine Schwierigkeit dar. Dies wird zwar durch die Möglichkeit, kostengünstiger und mit weniger qualifiziertem Personal arbei-ten zu können, kompensiert, kann jedoch bei später notwendi-gen Anpassungen oder bei der notwendigen manuellen Bearbei-tung von Sonderfällen zu erheblichen Problemen führen.

Insgesamt bietet sich eine Automatisierung der HR-Prozesse an, wenn die Prozesse in hohem Maße mit einer Standardlösung, die von mehreren Anbietern vertrieben wird, abbildbar sind und der Umfang an Customizing (außerhalb der Einführung) sowie die Anzahl an prozessualen und inhaltlichen Besonder-heiten gering ist. Prozessautomatisierung im HR-Bereich eignet sich insbesondere für Unternehmen mit einer geringen regio-nalen oder vertraglichen Diversifikation. Aber auch bei großen Unternehmen und Konzernen kann sie durch die Verwendung mehrerer Instanzen, Buchungskreise oder Systeme das Mittel der Wahl sein, wenn sich in diesem Kontext homogene Grup-pen bilden lassen, die über identische Prozessketten bedient werden können.

Vergleich der beiden Ansätze

Beide Verfahren erfordern eine Vereinheitlichung der HR-Prozesse. Dies setzt jedoch unabhängig von der gewählten Um-

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setzungsform voraus, dass ein definierter HR-Leistungs- oder Produktkatalog existiert, in dem klar festgelegt ist, welche Leis-tungen in welchem Umfang und mit welchen inhaltlichen, zeitlichen, qualitativen und kostenbezogenen Ausprägungen angeboten und über Service Level Agreements mit internen oder externen Partnern vereinbart werden. Damit basieren bei-de Ansätze grundsätzlich auf den gleichen Voraussetzungen. Unterschiede ergeben sich erst bei ergänzenden Anforderun-gen. So kann bei der HR-Prozessautomatisierung die Nähe zum Standard der HR IT-Lösung gefordert sein. Alternativ kann bei einem HR SSC die Verfügbarkeit von Wissen über bestimmte HR-Prozesse eine Rolle spielen.

Ein Vergleich der Vorteile zeigt, dass die HR-Prozessautoma-tisierung gegenüber dem HR SSC eine höhere Flexibilität in Bezug auf die Verfügbarkeit und die kurzfristige Skalierbarkeit bietet. Weitere Aspekte für eine HR IT-Lösung können unter anderem gleichbleibende Prozessqualität sowie sinkende Durch-schnittskosten bei steigenden Prozessmengen sein. Umgekehrt bietet ein HR SSC die Möglichkeit eine limitierte Flexibilität in den Prozessen zügig und mit vergleichsweise geringem Aufwand zu realisieren. Auch kann für ein HR SSC eine höhere Akzep-tanz durch die menschliche Interaktion zwischen betreutem Mitarbeiter und Mitarbeiter des HR SSC sprechen.

Neben dem erwarteten Nutzen aus der Erfüllung der indivi-duellen Anforderungen sind auch immer die Risiken zu be-rücksichtigen. Primär beinhalten sowohl das HR SSC als auch die HR-Prozessautomatisierung unter anderem das Risiko von Know-how Verlusten. Beide wirken sich unter Umständen negativ beim Umgang mit Sonderfällen aus, bergen Risiken hinsichtlich ihrer Akzeptanz innerhalb der Belegschaft und sind gewöhnlich mit einer langfristigen Bindung an die Entschei-dung verbunden.

Insgesamt verdeutlicht bereits diese kurze Gegenüberstellung, dass der im individuellen Fall geeignete Ansatz – HR SSC oder HR Prozessautomatisierung – maßgeblich von den individu-ellen Voraussetzungen und Anforderungen abhängt. Entschei-dend sind gleichwohl weniger Voraussetzungen und Risiken, die in beiden Fällen transparent und geeignet gemanagt werden müssen, sondern vielmehr die Vorteile oder Zielsetzungen, die mit dem Ansatz verfolgt werden.

Abgeleitete Handlungsempfehlungen

Grundsätzlich lassen sich aus obigen Überlegungen, den bishe-rigen Erfahrungen und ohne genaue Kenntnis der Einzelfall-situation folgende Empfehlungen abhängig von der Unterneh-mensgröße ableiten.

Dr. Dirk Simon ist Senior Consultant im Beratungsbereich Deutsche Telekom. Sein Beratungsexpertise umfasst die Themen HR Management, Reorganisation sowie Prozessmanagement.

Clemens Selzer ist Senior Consultant und berät Kunden aus der Industrie zu den Themen Shared Services und Back Office Services, Business Process Outsourcing sowie Customer Service Management.

Vielen Dank an Ulrich Pütz, SAP ERP-Experte mit Schwerpunkt HR, für die Mitarbeit an diesem Artikel!

Bei kleinen und mittleren Unternehmen ist der Aufwand für Aufbau und Betrieb eines eigenen HR SSC oftmals unverhält-nismäßig hoch. Hier ist eine Prozessharmonisierung gegebenen-falls zusammen mit einer neuen Zuordnung und Bündelung bestimmter HR-Prozesse in einzelnen HR-Einheiten sowie eine Fokussierung auf den Ausbau der HR-Prozessautomatisierung die ökonomischere Entscheidung.

Für große Unternehmen, in denen noch keine HR SSC Organi-sation existiert, ist zu analysieren, wie und in welchem Umfang die vorhandene HR-Prozessautomatisierung ergänzt und wie der HR-Leistungskatalog über verschiedene Einheiten hinweg harmonisiert werden kann. Möglicherweise kann hier in einem zweiten Schritt auch der Aufbau einer HR SSC Organisation für ausgewählte Prozesse eine geeignete Wahl sein. In diesem Kontext ist allerdings wiederum zu prüfen, ob eine Bündelung und Umverteilung der Prozesse innerhalb der vorhandenen Ein-heiten nicht eine sinnvolle Alternative bietet.

Bei großen Unternehmen und Konzernen ist häufig bereits ein HR SSC für bestimmte HR-Funktionen vorhanden. Hier ist der Fokus auf einen Ausbau der HR-Prozessautomatisierung zu richten. Möglicherweise ist vor diesem Hintergrund auch zu prüfen, ob der Umfang der HR SSC-Leistungen nach wie vor wirtschaftlich ist oder ob eine anders gestaltete organisatorische Zuordnung der HR-Prozesse eine Alternative darstellt.

Letztlich leitet sich die generelle Empfehlung ab, im ersten Schritt die Möglichkeit eines Ausbaus der Automatisierung der HR-Prozesse zu prüfen und erst in einem zweiten Schritt eine Auslagerung in eine HR SSC Organisation in Betracht zu ziehen. Eine finale Entscheidung für eine der beiden Varianten oder einer mögliche Kombination beider Ansätze bedarf jedoch zwingend einer Abwägung von unternehmensspezifischen Vor-teilen und Risiken im Rahmen einer Einzelfallanalyse.

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SI2 Zii

Der allgemeine Ruf des HR-Bereichs ist oft schlechter als das Kundenfeedback einzelner zu den diversen Leistungen, beklagt Dr. Claus Peter Schründer. Im Inter-

view mit dem DMR erklärt er, wie er die Wahrnehmung von HR als wertschöpfend gestalten und die Positionierung innerhalb des Konzerns verbessern will.

Standardisierung und Intelligenz sind in Zukunft

gefragt.

Interview mit Dr. Claus Peter Schründer

Deutsche Telekom AG

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DMR: Das “3-Rollen-Modell” von Dave Ulrich unterteilt die HR-Organisation in die drei Bereiche Center of Expertise, HR Business Partner und Shared Service Center. Wie sieht Ihre Einschätzung im Hinblick auf das Rollenspiel in der Deutschen Telekom aus?

Dr. Schründer: Das „3-Rollen-Modell“ finden wir innerhalb der Deutschen Telekom AG in den Bereichen HR Business Partner, Competence Center und HR Shared Service Center wieder. Die Vertriebsrolle der Business Partner Organisation, welche das Sprachrohr des Business‘ ist, halte ich für extrem wichtig. Grundsätzlich hat jede einzelne Rolle in diesem Modell absolute Daseinsberechtigung. Die Verteilung von bestimmten Aufgaben zwischen den Rollen kann aber durchaus dynamisch sein. Hier ist die enge Zusammenarbeit – auch auf Augenhöhe – unverzichtbar.

DMR: Welche Rolle spielt HR in einer Organisation? Besteht die Rolle aus einer reinen Support-Funktion, die eine Vorstandsposition gar nicht mehr erforderlich macht?

Dr. Schründer: Gegenfrage: Welchen Wertbeitrag hat eine Querschnittsfunktion wie HR innerhalb eines Konzerns? Und woraus besteht der Wertbeitrag der anderen Querschnittsfunk-tionen? Den Wertbeitrag des Controllings beispielsweise muss man genauso verstehen wie den Wertbeitrag des Personalbe-reichs. Denn in der Regel erfüllt ein Controlling keinerlei ge-setzliche Notwendigkeit. Sein Wertbeitrag liegt viel mehr in der Beantwortung innerbetrieblicher Fragen, wie der Interpretation von (Finanz-)Zahlen und einer Vorhersage. In der Telekom ist der Wertbeitrag des Controllings über verschiedene Jahre und Mechanismen selbstverständlich geworden, man stellt ihn daher weniger in Frage.

Genauso spannend ist die Frage nach dem Wertbeitrag von HR. Für mich persönlich liegt der wesentliche Wertbeitrag des Personalbereichs in seiner Kernfunktion das Total Workforce Management. Mit anderen Worten: Die benötigte Anzahl von Menschen mit den erforderlichen Qualifikationen zu wettbe-werbsfähigen Kosten am richtigen Ort und zum richtigen Zeit-punkt bereitzustellen. Daraus leitet sich alles andere ab. Aktiv und gemeinsam mit dem Business zu bestimmen, wo wir in ein paar Jahren stehen wollen und welche Anforderungen wir hier-für an unser Personal und an die Organisation stellen, um das Personal zielgerichtet und so effizient und effektiv wie möglich bereitzustellen. Das Business muss sich Gedanken machen, wel-che Produkte es anbietet und wer und wo seine Kunden sind. In der Interaktion mit HR wird man schließlich feststellen, ob man mit dem gewählten Geschäftsmodell in Zukunft über-haupt Geld verdienen kann. Entscheidend für den Erfolg eines Geschäftsmodells ist die enge Zusammenarbeit zwischen dem Personalbereich und dem Geschäft selbst. Denn der Personalbe-

reich kann Aussagen zu demographischen, geographischen und Skill-Entwicklungen treffen – und genau dort liegt der bedeu-tende und wettbewerbsentscheidende Wertbeitrag von HR.

In der Vergangenheit habe ich aber oft festgestellt, dass der HR-Bereich auch in DAX Unternehmen seinen eigenen Wertbeitrag daran misst, an wie vielen Meetings er mit der Geschäftsfüh-rung teilnimmt. Eine Selbstdefinition, ein Sich-Selbst-in-Frage-Stellen ist daher wirklich wichtig. Und ganau das wird im Rah-men des „HR Campus“ von Herrn Dr. Illek getan.

DMR: Haben Sie ein Beispiel in der Deutschen Telekom, wo die Interaktion zwischen Business und HR notwendig ist?

Dr. Schründer: Ja, ein Beispiel ist die Konzernstrategie „Euro-pean Leading Telco“. In der Interaktion zwischen Business und HR müssen wir die Fragen beantworten: Was ist notwendig, um genau das werden zu können oder gut darin zu sein? Die Interaktion für die Strategieentwicklung ist also das Spannende. Was für einen Personalkörper brauche ich, um diese Strategie umzusetzen? Ist die Konzernstrategie abgestimmt auf die Mög-lichkeiten des Personalbereichs? Wenn sie das nicht ist, dann ist der Personalbereich in der Tat reines ausführendes Organ.

DMR: Trotz der Kernfunktion wie Total Workforce Management nehmen Bedeutung und Ansehen des Personalbereichs zunehmend ab und rücken hinter die wie etwa von Finance und Controlling. Woran liegt das?

Dr. Schründer: Auf der einen Seite kann es extrem schwie-rig sein, den richtigen Personalkörper bereitzustellen. Auf der anderen Seite haben wir gerade durch die weiter zunehmende Globalisierung und Internationalisierung, die Entwicklungen im Skill-Management sowie den fortschreitenden Siegeszug des Internets – um nur ein paar Beispiele zu nennen – die viel-fältigsten Möglichkeiten und Chancen, sodass das Problem möglicherweise gar nicht existiert. Jedes Unternehmen muss sich viel eher die Frage stellen: Wie strategisch wichtig ist uns unsere Workforce wirklich? Nehmen wir an, in einem Unter-nehmen können 90 Prozent der Mitarbeiter weltweit ihre Tätig-keit innerhalb von drei bis sechs Monaten professionell lernen – wie wichtig ist dann noch strategische Personalplanung für das Unternehmen? Eine Produktionsstätte lässt sich innerhalb kürzester Zeit auf einen anderen Kontinent verlagern. Physische Tätigkeiten finden sich schnell in einem anderen Gebiet wieder. Das heißt, die Notwendigkeit, lange über strategische Perso-nalplanung nachzudenken und diffizile Modelle auszuarbeiten, existiert faktisch gar nicht mehr.

Bei der Deutschen Telekom ist das etwas anders. Ich denke, dass das strategische Total Workforce Management für den Konzern

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SI2iinach wie vor extrem wichtig ist. Als Hochtechnologiekonzern

haben wir sehr hohe Anforderungen an die (Weiter-)Qualifika-tion unserer Beschäftigten, auch wenn wir tendenziell in Summe eher vor einem Abbau- als vor einem Aufbauproblem stehen.

DMR: Hier stellt sich eher die Frage, ob die richtigen Skills in der Deutschen Telekom vorhanden sind, gerade in Bezug auf das The-ma Demographie. Wenn der Abbau vollzogen ist, sind dann noch die richtigen Skills vorhanden?

Dr. Schründer: Wie gesagt, auf der einen Seite stehen wir vor Herausforderungen wie dem demographischen Wandel, stark nachgefragten Skills und so weiter. Auf der anderen Seite haben wir gerade über die internationale Ausrichtung und das Internet so viele Möglichkeiten, dass diese Probleme durchaus ausgegli-chen werden könnten und man sich gar nicht so viele Gedanken machen müsste. Wenn beispielsweise Personen, die IP-Techno-logie beherrschen, fehlen – wo ist das Problem, dieses Know-how nicht innerhalb eines halben Jahres in China oder Indien aufzubauen?

DMR: Aber zeigen denn nicht genau die Erfahrungen der Tele-kom, dass die internationale Zusammenarbeit sehr schwierig ist? In einem internationalen Kontext müssen die richtigen Leute immer-hin erst gefunden und in die Prozesse eingebunden werden.

Dr. Schründer: Und genau darin liegt der Wertbeitrag von HR: Das vorzubereiten, um flexibel zu sein und insbesondere zu blei-ben. Momentan ist das noch nicht in diesem Maße der Fall.

DMR: Wenn Sie sich alle Internationalisierungsbestrebungen anschauen, die die Deutsche Telekom durchgeführt hat, auch mit Blick auf das Headquarter, dann ist die Entwicklung vergleichbar mit einem Immunsystem. Alles, was ein bisschen anders ist, wird abgestoßen. Jede Internationalisierungsbestrebung scheint zu schei-tern. Trügt diese Einschätzung?

Dr. Schründer: Wie bei allen Entwicklungen muss man sich auch hier die Fragen stellen: Was ist das primäre Ziel einer In-ternationalisierung? Liegt der Fokus eher auf der Erschließung neuer Kundenmärkte oder steht viel mehr Global Sourcing im Vordergrund? Wir können nicht aus Selbstzweck internationa-lisieren. Was wird durch die Internationalisierung besser? Wie viel Vereinheitlichung wird hierdurch geschaffen? Ich bin fest davon überzeugt, dass dies in allererster Linie etwas mit Diversi-ty zu tun hat. Man versucht, Denkstrukturen zu internationali-sieren. Allein durch das Einbringen anderer Sichtweisen kommt es oftmals zu besseren, schnelleren, innovativeren Lösungen. Hierin liegt der Gewinn – das muss ich aber nicht Internationa-lisierung nennen. Das ist einfach eine Antwort darauf, wie wir vorteilhaftere Lösungen herbeiführen können.

Wichtig ist die genaue Spezifikation des Problems nach alter Be-ratermethodik: Situation, Complication, Solution. In der Deut-schen Telekom haben wir aber oft eine Situationsbeschreibung, die nicht unmittelbar das Problem beschreibt. Bei der Spezifika-tion des Problems kann übrigens das Controlling sehr hilfreich sein, um dieses messbar zu machen. Es gibt ganze Management-theorien, die besagen: Ein Problem, das nicht quantifizierbar ist, ist nicht existent. Ist das Problem aber messbar, ist auch nach Einführung der Lösung quantifizierbar, inwieweit sich die Situ-ation verbessert hat. Insofern sollte das zu lösende Problem klar beschrieben, und vor allem die Lösung auf das Problem passen.

DMR: Inwieweit quantifiziert denn der HR-Bereich seine Lö-sungen?

Dr. Schründer: HR tut sich grundsätzlich schwer damit, die Lösungen, die es zur Verfügung stellt, in Bezug auf den Business Impact zu quantifizieren, also einen Business Case vorzulegen. Wo ist etwa der Business Case für 15 verschiedene Altersteilzeit-modelle? HR befindet sich oft in der Situation, seine Lösungen nicht zu quantifizieren, sondern schlichtweg zu sagen: „Das ist einfach besser.“ Wird HR damit zum Wohlfühlfaktor der Mit-arbeiter? Ich glaube, die Ansicht, die mittlerweile vorherrscht, ist die: Dass sich Mitarbeiter wohlfühlen, ist Führungsaufga-be und nicht Aufgabe von HR. HR muss aber sagen können, worin der Wertbeitrag pro Produkt oder pro Leistung besteht. Investitionen in Präventionsmaßnahmen lohnen sich etwa des-halb, weil jede Verbesserung der Gesundheitsquote zu einer hö-heren Produktivität führt, die nicht extern eingekauft werden muss. Das ist ein gutes Beispiel, wo das Business erkennt, dass HR sich Gedanken um Gewinn und Erfolg macht.

DMR: Entscheidend ist also die Quantifizierbarkeit des Business Impacts der HR-Leistungen – auch, um sich als HR-Bereich inner-halb des Konzerns zu positionieren.

Dr. Schründer: Richtig. Unterscheiden müssen wir aber zwi-schen drei Ebenen von Leistungen. Die erste Ebene besteht aus den rechtlich notwendigen Leistungen. So befinden wir uns ak-tuell in der rechtlich notwendigen Situation, Beamte zu beurtei-len. Das heißt für den Personalbereich, dass eine knapp dreistel-lige Anzahl an Mitarbeitern damit beschäftigt wird, dienstliche Beurteilungen für Beamte zu erstellen. Diese Tätigkeit lag vor-her verteilt bei tausenden von Führungskräften, ob dies nun ef-fizienter ist als vorher, ist irrelevant, denn dies ist das Verfahren uns rechtlich vorgegeben ist. Also, können wir auf dieser Ebene nur versuchen, den Kostenblock so klein wie möglich zu halten.

Die zweite Ebene beschreibt die sogenannten „Hygienefak-toren“, die zwar rechtlich nicht zwingend umgesetzt werden müssen, die aber so sinnvoll sind, dass sie nicht in Frage ge-

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Zii stellt werden, wie beispielsweise die monatliche Gehaltszahlung.

Möglich wäre auch eine jährliche Gehaltszahlung. Das würde die Kosten des Arbeitsgebers deutlich reduzieren, der negative Impact bei den Beschäftigten (auch den Führungskräften) wäre aber größer als der finanzielle Nutzen.

Auf der dritten Ebene befinden sich schließlich die soge-nannten „Nice-to-have“-Leistungen. Niemand braucht notwendigerweise Altersteilzeit-Regelungen. Hier muss stich-haltig erklärt werden, warum wir Altersteilzeitmodelle anbie-ten. Denn freiwillige Leistungen verursachen nicht nur in der Administration, sondern auch in der Durchführung Kosten. Für solche Leistungen einen Business Case zu erstellen, um zu verstehen, warum diese Leistungen trotz allem das Geschäft un-terstützen – damit tun sich nicht nur in der Deutschen Telekom HR-Bereiche schwer. Die Klarheit über den Business Impact ist ein schwieriges Anliegen. Man kann und sollte aber versuchen, der Sache näher zu kommen. Und genau das ist die Aufgabe des HR Business Partners.

DMR: Nach dem „3-Rollen-Modell“ ist der HR Business Partner die Schnittstelle zum Business, der strategische Berater. Sie sagen, dass der HR Business Partner den Business Case für ein HR-Pro-dukt darstellen muss. Warum tut er das nicht? Haben wir ein Skill-Problem in der Struktur unserer HR Business Partner?

Dr. Schründer: Um die Wirkzusammenhänge eines Produktes zu verstehen, brauchen wir eine klare Strukturierung der Pro-dukte anhand der beschriebenen Ebenen. Das benötigt viel Zeit. Viele Menschen, die im HR-Bereich arbeiten, sehen sich in der Personalentwicklung oder -weiterentwicklung oder im Recruiting. Das sind tendenziell Themen, bei denen man erst über Jahre hinweg den Effekt seiner Tätigkeit für den Konzern oder die Geschäftseinheit spürt, sodass das Verständnis der kla-ren Produktorientierung eher nicht gegeben ist. Die Produkt-orientierung ist möglicherweise etwas, was sich über die Zeit besonders in der HR Business Partner Organisation wiederge-funden hat. Der HR Business Partner hat aber mit 250 Pro-dukten, die wir anbieten, ein riesiges und komplexes Spektrum zu über blicken. Die richtige Qualifikation und die richtige Pri-orisierung sind erforderlich. Wichtig ist zu bedenken: An wel-cher Stelle binde ich HR mit ein? Es gibt Situationen, in denen ich mich selbst daran erinnern muss, HR mit einzubinden. Die Interaktion zwischen HR Shared Service Center und einer Busi-ness Partner oder Competence-Center-Organisation findet zu häufig nur rudimentär oder gar nicht statt.

DMR: „Collaborate“, „Innovate“, „Empower to Perform“ – nir-gendwo werden die Leadership Principles gelebt. Stattdessen treffen wir auf Segmente und Bereiche, die gegeneinander arbeiten. Oft

herrschen Arbeitsstrukturen, die nicht zum Innovativsein anspor-nen. Und auch die Freiheitsgrade der Mitarbeiter erscheinen zu begrenzt, um tatsächlich von „Empower to Perform“ sprechen zu können. Die Frage ist also: Wie messe ich die Wirkung von Themen wie den Leadership Principles?

Dr. Schründer: Das ist in der Tat nicht trivial. Nehmen wir das Beispiel „Collaborate“. Wie viele cross-funktionale Pro-jekte existieren heute? Ein Beispiel für ein cross-funktionales Projekt ist der Bereich Multishared Services. In den Multisha-red Services werden Unternehmensteile zusammenrücken, die heute definitiv noch nicht zusammengerückt sind. Das ist für mich ein praktisches, sichtbares Zeichen von „Collaborate“. Man wird irgendwann auch sehen, wie diese Bereiche tatsäch-lich zusammenarbeiten, dass es keine funktionalen Silos mehr gibt. Wir versuchen, über die Bereitstellung von End-to-End Bearbeitungsketten sicherzustellen, dass zurzeit disjunkte oder zumindest durch strikte organisatorische Grenzen voneinander getrennte Abteilungen oder ganze Konzernbereiche viel näher zusammenrücken. Verschwendung in Prozessen entstehen an Abteilungs- oder Organisationsgrenzen wie Schneewehen an Zäunen. „Collaborate“ heißt für mich auch Unternehmensteile, die heute disjunkt sind, in Projektorganisationen oder in einer permanenten Organisation zusammenzuführen.

DMR: Besteht die Rolle des HR Bereichs nicht auch darin, Impulse zu setzen oder das Ohr an der Organisation zu haben? Bei der An-wendung von Prinzipien zu unterstützen, aber auch zu erkennen, wo es Dinge gibt, die den festgelegten Prinzipien zuwiderlaufen?

Dr. Schründer: Ja. Schauen wir uns das Beispiel „Simplicity“ an. Wir haben 80 verschiedene Tarifverträge, die heute von uns gehandhabt werden müssen. Das ist natürlich alles andere als simpel. Wir als HR-Bereich haben diese alle verhandelt. Also sind wir ebenso für 80 Tarifverträge verantwortlich. Wir hätten auch dafür sorgen können, dass es nur einen Tarifvertrag gibt. Aber das wäre für den Konzern möglicherweise deutlich teurer gewesen. Und jetzt müssen wir die Frage beantworten, wie hoch der Konzernnutzen gegenüber der Verwaltungsarbeit von 80 Tarifverträgen ist.

DMR: Neben den vielen Tarifverträgen existieren auch etliche Ein-zelbetriebsvereinbarungen, die mitbestimmungspflichtig sind und für viele Projekte und Vorhaben eher hinderlich sind. Der Nutzen müsste tatsächlich einmal bewertet werden. Und hier haben wir einen großen Gap – dass eben diese Rolle nicht ausgeführt wird.

Dr. Schründer: Die Reduktion der Anzahl existierender Tarif-verträge und Betriebsvereinbarungen ist eine immerwährende Aufgabe von HR, obgleich höhere Effekte aus der Herausnahme

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der Komplexität der einzelnen Vereinbarungen zu erwarten ist. Darüber hinaus muss eine Reduktion der Produktvielfalt und der Nachfragemengen besser gehandhabt werden als bisher. Um dies umzusetzen, wird HR wahrscheinlich eine sogenannte „Dienstleistersteuerungsrolle“ einführen. Die Umsetzung von Anforderungen aus dem Business im HR Shared Service Center werden wir auch in Zukunft weiterführen durch eine Steuerung des Dienstleisters. Hier geht es um eine Stufe der Professiona-lisierung. Für den Einkauf von Dienstleistungen benötigen wir einen kompetenten Einkäufer, der in der Lage ist, Wirkzusam-menhänge zu verstehen, Trade Offs zu bewerten und auf Ent-

wicklungen zu reagieren. Am Anfang eines Jahres festzulegen, beispielsweise 12.000 Zeugnisse einzukaufen, reicht nicht aus. Was passiert im Laufe des Jahres, wenn sich Anforderungen und Bedingungen ändern? Zu verlangen, die gleiche Menge an HR-Leistungen günstiger herzustellen, reicht genauso wenig aus. Wir werden sicherstellen müssen, dass es sowohl eine Entwick-lung als auch eine kompetente Steuerung sowie eine Abnahme mit der richtigen Verteilung von Verantwortlichkeiten gibt.

DMR: Reingezoomt in die HR Shared Services: Welche Trends se-hen Sie hier?

Dr. Schründer: Die erste Evolutionsstufe ist für mich die Pro-fessionalisierung der bestehenden Dienstleistungen. Das heißt, durch Automatisierung und Standardisierung Kosten zu redu-zieren. Auf der nächsten Stufe geht es dann darum, die Pro-dukte, die wir anbieten, effektiver zu gestalten. Sind es wirklich die richtigen Produkte, die wir anbieten? Können wir an den Produkteigenschaften noch so lange schrauben, bis sie auf den Kern reduziert sind? Und schließlich gilt es, bezogen auf die Produkte, die der HBS heute hat, auch das Marketing zu be-fördern.

Interessant ist, dass der Ruf, den der HR-Bereich heute in der Deutschen Telekom besitzt, überhaupt nicht dem entspricht, was wir an Kundenfeedback erhalten. Im Jahr 2014 hat der HBS seinen Bestwert im Jahresdurchschnitt 7,9 Punkte auf ei-ner 10er-Skala in der Kundenzufriedenheit erreicht. Das haben wir vorher noch nie geschafft. Gleichzeitig nimmt der Ruf der Personalarbeit insgesamt aber nicht unbedingt zu. Wenn Sie einzelne Mitarbeiter befragen, ist das Feedback super. Dennoch haben wir vereinzelt Produkte, über deren Marketing wir uns wirklich Gedanken machen müssen. Dann kommen Aussagen wie „Zeugnisse hat doch jeder schon mal geschrieben“ und „das Zeugnistool, mit dem wir arbeiten, ist nicht gut“. Wenn Sie mehrere Zeugnisse hintereinander angefertigt haben, dann wissen Sie genau, was Sie an dem Tool haben. Sie wählen aus 18.000 einzelnen Textbausteinen aus. Sie bekommen andere Textbausteine, wenn Sie im Call Center arbeiten, als wenn Sie im Querschnitt des Call Centers tätig sind. Diese Textbausteine kosten nicht viel, weil alles standardmäßig eingekauft ist. Trotz-dem scheint der Eindruck im Konzern vorzuherrschen, HR sei kompliziert und schwierig. Unser Ruf ist nicht gut. Das ist für mich ein Thema, bezogen auf den HBS, worauf ich in Zukunft mehr Wert legen werde, um sicherzustellen, dass das Gute, das wir anbieten, auch ein bisschen besser verkauft und schlussen-dlich positiver verstanden wird. Ich möchte, dass HR als wert-schöpfend wahrgenommen wird – und zwar nicht nur in der direkten Interaktion, sondern auch im Ruf.

Dr. Claus Peter Schründer studierte Wirtschaftsinfor-matik an der Fachhochschule Wedel/Holstein und promo-vierte 1996 an der University of Buckingham im Bereich Einkauf. Bis 2002 arbeitete er bei der PricewaterhouseCoo-pers Unternehmensberatung GmbH, zuletzt als Senior Ma-nager (Prokurist). Danach wechselte er zur Deutschen Post AG, wo er in verschiedenen Unternehmensbereichen tätig war. Zuletzt trug er die globale Verantwortung für die konti-nuierliche Verbesserung von Geschäftsprozessen innerhalb der Service Line Finance und HR Operations. 2010 wech-selte er in den Personal Service der Deutschen Telekom AG als Mitglied der Geschäftsleitung sowie Leiter des Bereiches „Mitarbeiter Services“. Seit dem 01.07.2014 ist er Sprecher der Leitung der HR Business Services und Leiter des Ope-rations Bereiches.

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DMR: Welche HR-Leistungen sehen Sie als nicht wertschöpfend an?

Dr. Schründer: Auch hier gilt eine Art Dreistufigkeit. Wenn Sie mich anrufen, weil Sie Ihre Gehaltsabrechnung nicht verste-hen und ich Ihnen diese erklären muss, dann ist das eine nicht-wertschöpfende Tätigkeit. Da muss irgendjemand vorher etwas falsch gemacht haben. Trotzdem haben wir drei- bis vierhundert-tausend Calls pro Jahr, von denen schätzungsweise ein Drittel deshalb entsteht, weil sich etwas im Lebenszyklus des Anrufers verändert hat. Es gibt demnach Tätigkeiten, die komplett unter den Begriff der Verschwendung fallen. Jede Frage ist Verschwen-dung. Mein Mantra. Denn wenn Sie eine Frage haben zu HR, habe ich vorher etwas falsch gemacht oder ich habe etwas nicht kundenfreundlich genug ausgedrückt. Natürlich ist das eine Vi-sion. Es wird immer Menschen geben wie Sie und mich, die Dinge zwar lesen, die sie bekommen, aber trotzdem keine Lust und Zeit haben, sich damit zu beschäftigen und lieber anrufen. Als HR-Bereich in einem Telekommunikationsunternehmen ist es auch schwierig, zu erklären: „Rufen Sie mich bitte nicht an.“ Mich kostet aber jeder Call 30 bis 35 Euro. Ich würde lieber die Telefonate einschränken und Anliegen per E-Mail oder Chat klären. Das ist für mich als Dienstleister günstiger – muss aber für den Kunden auch bequemer sein. So funktioniert es ja auch auf dem externen Markt, Beispiel „Selbsthilfegruppen“. Wenn ich eine Frage zu Congstar habe, gehe ich zu „Telekom hilft“ oder Twitter-Gruppen – hier helfen sich die Menschen selber.

Auf der zweiten Ebene stehen Interaktionen, die durch HR be-fördert wurden. Nehmen wir an, dass eine Gehaltsanpassung vorgenommen werden soll. Hier muss es verschiedene Tätig-keiten wie Performance Management und Lead To Win geben, die eine Interaktion mit HR erfordern. Und die dritte Ebene beinhaltet Tätigkeiten, die von Mitarbeitern initiiert werden, beispielsweise das Informieren des Personalbereiches über eine Heirat.

Auf der ersten Ebene gilt es, die Tätigkeiten so effizient wie möglich zu gestalten, indem beispielsweise für bestimmte Fra-gestellungen ein übersichtlicher FAQ-Katalog oder ein Chat angeboten wird. Und wenn doch Anrufe notwendig sind, dann bei einer bestimmten Stelle oder Person, die durch die vorab standardisierte Dienstleistung weiß, welche Fragen überhaupt noch auf sie zukommen können. Auf der zweiten und dritten Ebene müssen die Interaktionen hingegen so einfach wie mög-lich gestaltet werden, um eine hohe Kundenzufriedenheit bei niedrigen Kosten zu garantieren.

DMR: So ist es auch bei jeder Bank. Die Interaktionspunkte mit dem Kunden müssen so gestaltet werden, dass der Kunde mit einem guten Gefühl rausgeht.

Dr. Schründer: Die Entwicklung von Banken ist ein gutes Bei-spiel, um die Entwicklung der HR Shared Services zu skizzieren. Nehmen wir als konkretes Beispiel einen Kredit zur Immobili-enfinanzierung. Bei einer Hausbank bekämen sie ein 16-seitiges Formular, in dem sie Hemd und Hose ausziehen müssten, um zu erklären, was Sie wollen. Dann stellen Sie einen Antrag. Der wird von Ihrer Filiale begutachtet, mit der Sie übrigens das For-mular gemeinsam ausgefüllt haben, denn alleine hätten Sie das Formular gar nicht ausfüllen können. Das Formular geht zur Zentrale der Bank, dort wird entschieden, ob der Antrag durch-geht oder nicht. Wenn die Bank ja sagt, sind Sie im Vertrag. Wie machen Direktbanken das? Die haben den Prozess umgedreht. Dort schickt die Bank Ihnen ein Angebot zu. Alles geschieht via Internet. Nach meiner Unterschrift ist alles erledigt. Als Kunde fühle ich mich viel besser. Ich bin nicht in der Gängelung der Banken, sondern ich bin selbst in der Kontrolle. Vorteil für die Banken: Keine Berater vor Ort und auch kein kostenintensives, stationäres Filialnetz Vorteil für den Kunden: Standardisierte, kompetente Antworten, auch bei längerem Mailverkehr, und das bei günstigeren Preisen. Keine doppelte Prüfung Ihres An-trages, kein kompliziertes Formularwerk. Rechnet sich für alle. Was die Direktbanken allerdings nicht können: Sonderfälle.

Wohin auch wir als HR-Dienstleister wollen, sind Standard-dienstleistungen, also das, was wirklich gebraucht wird, auch zu erfüllen. Für die zwei Prozent Sonderfälle gibt es einen Son-derweg. Um diese muss sich HR natürlich auch kümmern. Durch die Tatsache aber, dass Sonderfälle hundertprozentig von den Standardfällen separiert werden, wird der Druck aus-geübt, überhaupt zu standardisieren. Wo ist die standardisierte Gehaltsabrechnung im Konzern? Die gibt es nicht. Denn bei 80 verschiedenen Tarifverträgen gibt es tendenziell auch min-destens 80 verschiedene Gehaltsabrechnungen. Wären diese standardisiert, könnten Fragen hierzu entweder automatisch be-antwortet oder aufgrund der Standardisierung zumindest sehr schnell beantwortet werden. Standardisierung und Intelligenz sind in Zukunft gefragt.

Das Interview führten Marc Wagner, Guido Solscheid und Huyen Mi Hua.

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Digitales HR-Management

Chancen und Herausforderungen für eine neue Generation HR-ManagementsystemeDie Einbettung von Technologie in HR-Systeme ebnet den Weg in die digitale Welt. Dies unterstützt nicht nur die HR-Funktion, sondern erleichtert auch HR-Managementprozesse und die Führungsaufgabe.

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ntegrierte Tools und Systeme, Apps und mobile Anwen-dungen haben das digitale HR-Management in eine neue Ära katapultiert. Die Verfügbarkeit von Daten zu jeder Zeit und an jedem Ort sowie der Einsatz von sozialen Medien erlau-ben eine intelligente Zusammenarbeit von HR-Funktion und Linienmanagement. Dies ist ein großer Schritt nach vorne, vor-bei an Makro-beladenen Excel-Dateien oder gedruckten und gescannten Dokumenten der Vergangenheit.

Was aber erwartet ein HR-Manager von einem neuen System? Diskussionen mit Personalern und Linienmanagern zeigen eine klare Erwartungshaltung: Die Systeme sollen die Effizienz der HR-Managementprozesse in einem solchen Umfang steigern, dass sie das HR-Management und die Geschäftsführung auf eine völlig neue Ebene bringen. Natürlich bleibt auch hier nicht aus, dass Erwartungen und Realität nicht immer ganz zusam-mentreffen.

Die gegenwärtige Landschaft

Daher müssen wir der Frage nachgehen, ob die herkömmlichen HR-Prozesse einfach nur vorangetrieben und digitalisiert wur-den oder ob diese Systeme und Tools dem HR-Management tatsächlich neue Möglichkeiten offerieren. Existiert dazwischen ein Graubereich, den wir nicht berücksichtigt haben?

Auf dem Markt werden zurzeit mehrere HR-Management-systeme mit diversen Funktionen angeboten. Die grundlegende Anforderung lautet, Einstellungen, Onboarding, Vergütungen und Zusatzleistungen, Performance & Goal Management, Nachfolgeplanungs- und Lernmanagement über die gesamte Beschäftigungsdauer der Mitarbeiter im Unternehmen zu er-leichtern. Abhängig von den Bedürfnissen und Präferenzen eines Unternehmens können Zusatzfunktionen je nach Bedarf hinzugefügt werden.

Sofern das System zusätzliche Funktionen enthält, ist eine Differenzierung möglich. Ein gutes Beispiel ist Kenexa, IBMs Personal-Analysesoftware, das ein Personalbeurteilungs- und Personalbeschaffungsmodul enthält. Halogen-Software offe-riert darüber hinaus ein Myers-Briggs-Modul – eines der stärker verbreiteten psychometrischen Testverfahren – und ein Modul zur Arbeitsplatzbeschreibung. Abhängig von den HR-Zielen er-möglichen diese Funktionen eine Umgebung, die eine bessere Anpassung der Mitarbeiter an die HR- und Unternehmens-strategie gewährleisten.

I Cloudbasierte Software erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Dies liegt an der Flexibilität und Kostenersparnis eines HR-Systems, das keine On-Premise-Installation erfordert. Etablierte Provider wie SAP und Oracle bieten ihren Kunden cloudbasier-te Installationen in Verbindung mit herkömmlichen On-Pre-mises-Installationen als Option an. Dass die Systeme in einer mobilen Umgebung eingesetzt werden können, geht ebenfalls auf eine neue Entwicklung zurück, die das Anbieten von Lö-sungen in den Mittelpunkt stellt, die mit den sich ändernden Bedürfnissen der Mitarbeiter und einer zunehmend mobilen Belegschaft kompatibel sind.

Wer sind die Spitzenreiter?

Die Marktführer der HR-Management-Systeme sind gleichzei-tig Marktführer bei ERP-Systemen. Diese Unternehmen nutzen ihre Positionen in großen multi nationalen Unternehmen zur Gewinnung eines größeren Kundenstamms. Zugriff auf die be-sten Forschungs- und IT-Ressourcen steigern die Qualität ihrer HR-Management-Software und garantieren diesen Unterneh-men somit ihre Spitzenposition.

Mit mehr als 261.000 Kunden und einem Gesamtumsatz aller SAP-Softwareprodukte von mehr als 20 Milliarden US-Dollar in 2013 hat sich SAP in der Landschaft der Talentmanage-ment-Softwareprodukte mit seinen SuccessFactors-Angeboten ebenfalls an die Spitze katapultiert. Oracle mit einem Gesamt-umsatz seiner Softwareprodukte von mehr als 37 Milliarden US-Dollar in 2013 und einem weltweiten Kundenstamm von mehr als 400.000 Kunden nimmt mit seinem Produkt Taleo im Talentmanagement-Systeme-Markt eine vergleichbare Position ein.

Cornerstone OnDemand bildet unter den großen ERP-Playern, die den Markt für Talentmanagement-Systeme dominieren, die Ausnahme. Als cloudbasierter Anbieter mit einem Kunden-stamm von über 1.800 Kunden, die mehr als 14 Millionen Nutzer repräsentieren, ist Cornerstone OnDemand mit seiner Talentmanagement-Software zu einem Top Player avanciert. Bei diesem Kundenkreis handelt es sich ausschließlich um Kunden im Bereich Talentmanagement. Die im Lernmanagement ver-ankerten Wurzeln lieferten die Grundlage für umfassende, inte-grierte Talentmanagement-Software.

Die steigende Beliebtheit cloudbasierter Anwendungen führt dazu, dass mehr Unternehmen sich Talentmanagement-Soft-

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ware leisten können, die keine mit höheren Kosten verbun-denen Talentmanagement-Systeme vor Ort erfordert. Markt-führer bekommen deshalb gegebenenfalls mehr Konkurrenz von kleineren Playern.

Aus den richtigen Gründen

Nahezu alle Systeme verfügen über eine Funktionsvielfalt, die zu einer wesentlichen Verbesserung der HR-Funktionen und -Prozesse beitragen könnte. Ein angemessenes Kompetenzmo-dell, ein angepasstes Performance Management und angepasste Jobprofile sollte man jedoch nicht aus dem Grund hinzufügen, weil dies als Input für ein IT-System erforderlich ist. Vielmehr sollte man es als Bestandteil eines gelungenen HR-Manage-ments betrachten. In allen Fällen, in denen wir be obachten konnten, dass die Einführung eines neuen Systems scheiterte oder nur einen geringen Mehrwert darstellte, lag es daran, dass diese aus falschen Gründen erfolgte.

Der zweite Aspekt, mit dem diese Systeme und der zugrunde liegende Content regelmäßig konfrontiert werden, ist ein Man-gel an strategischer Ausrichtung. Man stößt erstaunlicherweise immer wieder auf Projekte, die ohne jegliche Berücksichtigung einer Strategie nur auf den Aufbau von HR-Content ausgerich-tet sind. Ohne strategische Verknüpfung ist ein Kompetenz-modell weder sinnvoll noch generiert es Mehrwert. Fehlt die strategische Verknüpfung, können Kompetenzmodelle oder Performance-Management-Systeme oder auch nur Jobprofile dysfunktional sein. Dann wird eher Wert zerstört als geschaffen!

Die richtigen Gründe und die strategische Verknüpfung sind in der Tat ein und dieselbe Sache. Man investiert in Human-ressourcen, wenn dies aus strategischer Sicht sinnvoll ist. Falls Humanressourcen für das Geschäftsmodell keine Rolle spielen, warum sollte man dann überhaupt Geld für ein HR-System ausgeben? Effizienz für notwendige HR-Prozesse würde jedoch trotzdem ein schlagkräftiges Argument sein. In diesem Fall wäre der Business Case der entscheidende Faktor.

Falls eine Effizienzsteigerung die Kosten für Implementierung und Betrieb eines solchen Systems auffangen würde, wäre das Hinzufügen von zusätzlichem Content nicht erforderlich. Es bliebe dann nur noch die Frage, ob ein bestimmtes System die bestehenden HR-Managementprozesse unterstützen und ein Effizienzgewinn erzielt werden könnte.

Grenzen und Erwartungen

Interessant ist das Thema der Erwartungen, die zuweilen mit der Implementierung solcher Systeme verbunden sind. Die Haltung der HR-Verantwortlichen ist nicht selten von einem Optimis-mus geprägt, der sie zu der Überzeugung gelangen lässt, dass sie den Führungsstil erheblich verbessern und für die Mitarbeiter eine neue Welt voller Entwicklungsmöglichkeiten erschließen können. Wir geben zu, dass ein solches Tool hilfreich sein kann, aber wir behaupten auch, dass der zugrunde liegende Content – sofern aus den richtigen Gründen und in der richtigen Weise entwickelt – entscheidend ist.

Doch wie überall ist es auch hier so, dass das Tool nur so gut ist wie die Menschen, die es verwenden. Für ein Unterneh-men kann es sogar nachteilig sein, wenn keine ausreichenden Vorbereitungen getroffen wurden, wenn vernachlässigt wurde, eine passende Strategieverknüpfung herzustellen oder wenn das Management einfach nicht in der Lage ist, die Bedeutung im Umgang mit Mitarbeitern, der Mitarbeiterförderung und des transparenten Performance Managements zu kommunizieren.

Datenschutzrichtlinien und entsprechende nationale Gesetze setzen der cloudorientierten Version gegebenenfalls zusätzliche Grenzen. Einer unserer Kunden bestand darauf, dass „seine“ Anwendung und seine Daten in seinem Land und nicht in den USA gehostet werden sollten. Einige nationale Gesetze bein-halten Einschränkungen in Bezug auf das Hosting bestimmter Daten im Ausland. Jüngste Skandale haben dazu geführt, dass sich einige Kunden durchaus dafür interessieren, wo und wie ihre Daten tatsächlich gehostet werden.

Wenn man sich die Aussagen einiger Personaler anhört, die behaupten, dass die Verbesserung der Führung eine derjenigen Auswirkungen ist, die von der neuen digitalen HR-Welt erwar-tet wird, dann wird es schwierig. Führung und Tool-basiertes HR-Management sind zwei verschiedene Dinge. Die passenden Tools können Führung durchaus erleichtern, aber man muss sich auf jeden Fall weiterentwickeln oder zunächst Führungs-persönlichkeiten finden. Genau das ist eine zentrale Herausfor-derung, die unserer Meinung nach eine viel passgenauere Digi-talisierung erfordert.

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Was man von der Digitalisierung erwarten kann, ist ein neuer Level an Effizienz, Transparenz und Professionalität im HR-Management. Sofern in einen strategischen Prozess eingebettet, kann Digitalisierung sogar die Organisationsentwicklung fördern und damit die Personalentwicklung in einen stärker strategischen Kontext verankern. Leichte Zugänglichkeit und nutzerfreundliche Schnittstellen helfen dabei, die Akzeptanz si-cherzustellen. Vielleicht lassen sich dadurch auch ein oder zwei Bäume retten.

Im Hinblick auf Führung liefern solche Tools zusätzliche Kommunikationsmittel und einen stärkeren Support, um die Mitarbeiter begleiten zu können. Aber täuschen Sie sich nicht – Manager lassen sich mithilfe eines Software-Tools nicht in Führungspersönlichkeiten umwandeln!

Digitales HR-Management?

Die Auseinandersetzung mit Erwartungen und Möglichkeiten zeigt, dass wir trotz allem eine Stufe erreicht haben, die neue Möglichkeiten bietet. Eventuell sind wir sogar in der digitalen HR-Welt angekommen oder haben zumindest um Einlass er-sucht. Wenn die Durchführung von Leistungsbeurteilungen so einfach ist wie das Durchsehen der neuesten Mitteilungen auf Facebook und das Anpassen der Kompetenzmodelle sich ein-fach auf veränderte Arbeitsplatzanforderungen übertragen lässt, dann werden sich diese Dinge in Bezug auf HR-Management auf das Denken der Manager auswirken.

Sämtliche Informationen können verknüpft werden und sind leicht zugänglich. In diesem Fall fungiert Effizienz als ein Enabler für Effektivität. Sofern man leichten Zugriff auf zu-sammenhängende Daten hat, vereinfacht das die Beschaffung zusätzlicher Informationen und man erhält darüber hinaus ein ganzheitlicheres Bild des Mitarbeiters, als wenn man zum Tele-fon greift und den HR-Verantwortlichen – oder den vorherigen Vorgesetzten des Mitarbeiters – um zusätzliche Informationen bittet.

Zwar gibt es keinen Ersatz für persönliche Interaktion und Ma-nagement oder – im besten Fall – Führung, aber die neue Ge-neration von HR-Managementsystemen hat das Potenzial, die Vorteile der digitalen Welt zu nutzen und uns den Einstieg in digitales HR-Management zu ermöglichen.

Auf dem Weg zu einer digitalisierten Arbeitsumgebung und -philosophie

Um sicherzustellen, dass diese neuen Systeme eine möglichst starke Auswirkung auf Unternehmen haben, müssen sie einen Bestandteil des strategischen Prozesses bilden. Nur dann, wenn Unternehmens- und HR-Strategie aufeinander abgestimmt sind, können wir uns die Vorteile dieser neuen Systeme zunutze machen. Ausschlaggebend in diesem Kontext ist die Einstellung hinsichtlich dessen, was man mit der Nutzung dieser Systeme erreichen will und nicht, was das System für einen erreichen kann.

Wenn alle Hausaufgaben erfolgreich erledigt wurden, dann können diese neuen Systeme integraler Bestandteil einer digitalisierten Arbeitsumgebung und -philosophie sein. Da-rüber hinaus kann den Linienmanagern die Erledigung der HR-Management-Aufgaben sogar Spaß bringen. Denn dann könnten sie für immer auf Excel-Tabellen, selbst erstellte Makros und zeitaufwendiges Prüfen von Informationen verzichten.

Björn Menden, Managing Partner, ist Experte für Strategieentwicklung, Organisationsdesign und -entwicklung sowie Restrukturierung. Er berät internationale Kunden auf dem Weg in die digitale Transformation.

Stacey Rukezo arbeitet als Consultant am Detecon-Standort in Johannesburg, Südafrika, und berät Kunden zum Thema digitales HR-Management.

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Reality Check für den Betrieb einer HR-Cloud-Lösung

ITIL trifft Cloud

ITIL ist ein weit verbreiteter Standard zum IT-Management. Doch gilt dieser auch für Cloud-Lösungen, die bereits in vielen Unternehmensbereichen einge-führt sind? Basierend auf Projekterfahrungen und Experten-Interviews wurde dies in Kooperation mit der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg analysiert und daraus interessante Erkenntnisse gewonnen.

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I st der de-facto-Standard ITIL (IT Infrastructure Library) ge-eignet, um IT-Services für Cloud-Lösungen im HR-Bereich zu managen? Ausgehend von wissenschaftlichen Aufsätzen1 wer-den Einschätzungen auf der Basis von Projekterfahrungen abge-glichen mit den Ergebnissen von über 15 Experten-Interviews aus den Bereichen HR, IT und Compliance. Die Interviews wurden in Kooperation mit der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg durchgeführt.

Unabhängig vom IT-Management wird von HR-Experten in diesem Kontext aufgeführt, dass sich ein Unternehmen, bevor es sich für eine HR-Cloud-Anwendung entscheidet, über die Unterschiede zwischen einer Cloud-Lösung und On-Premise-Lösung bewusst werden muss. Schließlich handelt es sich um eine wichtige Anwendung zur Bearbeitung sensibler Daten.

Laut Experten-Aussagen sollte die Cloud-Lösung möglichst passgenau zu den im Unternehmen vorhandenen oder ange-strebten Standardprozessen ausgesucht werden. Die allgemei-nen Charakteristika von Cloud-Lösungen sind bereits umfäng-lich beschrieben.2

Veränderungen in den ITIL-Phasen

ITIL unterscheidet die Phasen „Service Strategy“, „Service Design“, „Service Transition“ und „Service Operation“. Diese Phasen werden in Prozesse unterteilt, die für den erfolgreichen Betrieb von klassischen IT-Lösungen von Bedeutung sind. So-wohl die vier Phasen als auch die dazugehörigen Prozesse kön-nen bei Cloud-Anwendungen ein Prozessänderungspotenzial oder eine Bedeutungsveränderung für den Leistungsabnehmer

1 Vgl. zum Beispiel Pröhl et al., IT-Servicemanagement im Cloud Computing, in: HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik. 2012, S. 6-14.

2 Vgl. zum Beispiel Hafner/Koentges-Simon, HR in der Cloud – Heiter bis wol-kig?, in: DMR Special Tranformation & Peoplemanagement 2015, S. 108-110.

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(Kunden) implizieren. Für die Befragung wurden die beiden Dimensionen – Prozessänderungspotenzial und Bedeutungsän-derung – mit den Merkmalen groß, mittel, klein klassifiziert. Anhand der vier Phasen wird im nachfolgenden der Einsatz von Cloud bewertet.

Service Strategy

Gemäß der Expertenbefragung kommt es in der ITIL-Phase „Service Strategy“ zu Veränderungen insbesondere in den Pro-zessen „Service Portfolio Management“ und „Financial Manage-ment“.

Der Hinweis zum Service Portfolio Management ist einfach nachzuvollziehen. Dieser Prozess dient der optimalen Zusam-mensetzung der im Unternehmen vorhandenen IT-Services. Es ist zu prüfen, welche Services in die Cloud übertragen werden und welche nicht. Gerade durch die Self-Service-Möglichkeit, standortunabhängige Nutzung und Automatisierung, die von den Experten als wichtige Voraussetzungen einer Cloud-Lösung angesehen werden, hat dieser Prozess großes Änderungspoten-zial und damit einen hohen Impact.

Alles rund um die Kostenplanung wird in dem Prozess „Financial Management“ festgelegt. Der von HR- und IT-Be-fragten am meisten genannte Cloud-Vorteil liegt in den abseh-bar geringeren Kosten. Deshalb sind mit dem Cloud-Anbieter vertraglich klare Regelungen abzustimmen, damit auch im spä-teren Betrieb erforderliche Vereinbarungen wie die Service Level Agreements (SLAs) klar und verbindlich geregelt sind.

Service Design

In dieser ITIL-Phase gewährleistet das Management von „Service Catalogue“, „Service Level“, „Capacity“, „Informa-tion Security“ und „Supplier“ einen erfolgreichen Betrieb. „Service Catalogue Management“ beinhaltet alle in die Cloud übertragenen Services und dient als eine Übersicht über alle Services, die betrieben werden sollen. Mit dem „Service Level Management“ werden vertragliche Vereinbarungen ausgehan-delt. Diese beiden Prozesse wurden von den Experten als sehr relevant bewertet. Als wesentlicher Grund wird angeführt, dass alle Parameter wie Verfügbarkeit und Kapazität in die Verträ-ge aufgenommen und im Prozess überwacht werden. Bei der Cloud ist sicherzustellen, dass die Kapazitäten der IT-Services

und der Infrastruktur ausreichen. Um auch bei steigenden Kun-denanforderungen eine gute Qualität liefern zu können, wird dies im Prozess „Capacity Management“ geregelt. In der Cloud kann bei Mehrbedarf die Kapazität flexibel angepasst werden, wodurch wiederum ein großes Änderungspotenzial im Pro-zess entsteht. Der Prozess „Supplier Management“ gewinnt bei der Cloud-Lösung eine hohe Bedeutung, da hier die Auswahl und das Managen des richtigen Cloud-Anbieters passend zu den Unternehmensprozessen erfolgt. Damit ist diese Phase für den erfolgreichen Betrieb einer Cloud-Lösung von hoher Rele-vanz, da hier die Zufriedenheit und die Awareness der IT-User wesentlich positiv gestaltet werden.

Service Transition

Nach Meinung von Pröhl et al. werden die Phasen „Service Transition“ und „Service Operation“ als Aufgabe des Cloud-Anbieters angesehen und hätten folglich für den Kunden und sein IT-Management eine geringe Bedeutung. Nach den Be-fragungsergebnissen wird diese Einschätzung aber nicht ge-teilt. Gemäß der Bewertung aus der Praxis sind vor allem die Change- und Release-Prozesse von hoher unternehmerischer Bedeutung. Ein Change Request erfolgt weiterhin genauso wie im traditionellen Betrieb, nur mit dem Unterschied, dass das Unternehmen für die Umsetzung auf den Lieferanten angewie-sen ist. Einfache Changes können selbst umgesetzt werden. Bei Changes, in denen das Unternehmen nicht auf das System zu-greifen kann, muss der Lieferant einbezogen werden. Damit ist eine Abstimmung- und Koordination erforderlich.

Neue Releases gibt es bei Cloud-Anwendungen meist im Quar-talsrhythmus. Zirka acht Wochen vorher erhalten die Unter-nehmen hierzu detaillierte Release-Notes. Laut Experten ist im alten On-Premise-System ein Release-Wechsel aus Kosten-gründen nicht oft vorgekommen. Im Gegensatz dazu werden Release-Wechsel von den Cloud-Anbietern nach Freigabe ein-gespielt. Für das Unternehmen heißt es, sie müssen den Impact neuer Funktionalitäten im Vorfeld zügig analysieren und bei-spielsweise mit den Sozialpartnern abstimmen. Darüber hinaus muss über optionale Funktionalitäten entschieden werden und alle Neuerungen müssen rechtzeitig an die Nutzer des Systems kommuniziert und diese hierfür befähigt werden. IT-seitig ist ebenfalls zu überprüfen, ob nach dem Release-Wechsel ein reibungsloser Betrieb sichergestellt wird.

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Service Operation

Laut Pröhl et al. verliert auch die „Service-Operation“- Phase bei Cloud-Anwendungen für den Leistungsabnehmer an Bedeutung. Jedoch wird auch hier durch die Expertenaussa-gen deutlich, dass dies in der Praxis durchaus anders gesehen wird. Mit der Service Operation wird der Betrieb gemanagt. Das Incident Management ist einer der wichtigsten Prozesse, der auch bei einer Cloud-Lösung im Unternehmen gut organi-siert werden muss, um eine schnellstmögliche Beseitigung so-wie Minimierung der negativen Auswirkungen von Störungen sicherzustellen. Incident Management sorgt für einen möglichst störungsarmen IT-Betrieb. Hier sollte ein Service Desk für Störungen vorhanden sein: Gearbeitet wird auf der Grundlage eines Support-Konzepts, alle Vorgänge werden dokumentiert. Eine durchgehende Kette zwischen dem Anwender, den in-volvierten Unternehmenseinheiten und dem Cloud-Anbieter ist für die schnelle Behebung unbedingt erforderlich notwen-dig. Vor dem Go-Live sind diese Prozesse für den Betrieb der Cloud-Umgebung anzupassen. Damit ist ein reibungsloser und sicherer Betrieb gewährleistet.

Egbert Koentges-Simon ist Managing Partner im Beratungsbereich Deutsche Telekom.

Uwe Hafner ist Consultant mit den Schwerpunkten SAP/SuccessFactors, Kommunikation, Change Management, Learning und Enterprise Social Collaboration.

Zudem spielt das Thema Vertrauen bei Cloud-Anwendungen eine große Rolle: Vertrauen in den Anbieter, Vertrauen in die Lösung und Vertrauen in die Datensicherheit. Der Einsatz von Cloud-Lösungen ist daher nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch eine Frage des Vertrauens und des gemeinsamen Verständnisses.

Cloud-Lösungen sind Neuland für die meisten Unternehmen. Viele stehen aktuell vor der Aufgabe, eine geeignete IT-Service-Management-Strategie zum Umgang mit Cloud-Lösungen zu entwickeln. Da es noch keinen einheitlichen Standard für das IT-Management von Cloud-Lösungen gibt, setzen viele Unter-nehmen auf ITIL und versuchen, die Prozesse aus ITIL so weit wie möglich zu übernehmen und für den Betrieb einer Cloud-Lösung zu adaptieren. Ansätze hierfür wurden in dieser Analyse des Status Quo dargestellt, der Bedarf an weiteren Ausarbei-tungen ist vorhanden und Kooperationen sind erwünscht.

Erfolgsfaktoren für den Betrieb

Aus Sicht der befragten HR-Experten sind die Cloud-spezifischen Erfolgsfaktoren für den Betrieb:

> Auswahl des richtigen Implementierungspartners, > ortsunabhängiger Systemzugriff mit verschiedenen Endgeräten und > intensive Schulungen für HR-Admins.

Aus der Sicht des IT-Managements sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren:

> die Zusammenarbeit mit dem Cloud-Anbieter, > gute Kontakte zum Schnittstellenpartner> Ausfallsicherheit

Gemeinsam nennen HR- und IT-Experten:

> die schnelle und unkomplizierte Anpassung von Funktionen sowie die Zusammenarbeit bei Störungen mit dem Cloud- Anbieter.

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Die Herausforderungen an eine zukunftsfähige HR-Architektur sind hoch. Um eine vollständige best-in-class HR-IT Architektur zu bauen, muss man mehrere Lösungen von verschiedenen Anbie-tern kombinieren – mit all der Komplexität und allen Integrationskosten.

E ine zukunftsfähige HR-Architektur muss als Service-basier-te Multi-Layer-Architektur aufgesetzt werden, in deren einzel-nen Schichten jeweils spezifische Fähigkeiten ausgeprägt sind. Die Architektur ist modular aus wiederverwertbaren Services mit offenen Interfaces aufzubauen, potenziell unterschiedliche Bereitstellungen – on premise und cloud – einzelner Services müssen möglich sein. Die Bereitstellung und Verteilung der Ser-vices in die unterschiedlichen Interfaces erfolgt abstrahiert über eine eigene Schicht. Spezifische Querschnittfunktionen wie User Management oder Information Security & Privacy sind als eigene Services auszulagern, die alle zentralen Anforderungen an die Infrastruktur jeweils zusammenfassen. Der Zugriff auf die Daten muss über eine einheitliche Integrationsschicht or-

ganisiert werden. Übergreifendes, konsistentes und kohärentes Datenmanagement ist zwingende Voraussetzung für das Funk-tionieren einer übergreifenden HR-IT-Architektur.

User Interfaces & Touchpoints

User Interfaces unterliegen einem steten Wandel. Der Presen-tation Layer muss in der Lage sein, aktuelle Frontend-Trends schnell umzusetzen („Joy of Use“).

Wichtig für die Ausgestaltung der User Interfaces sind Design-Richtlinien und Vorgaben für eine einheitliche User Experience. Idealerweise findet sich der Mitarbeiter immer sofort zurecht,

HR-IT-Architektur

Blaupause für die HR-IT-Architektur

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da er die wichtigen und relevanten Funktionen an jedem Touchpoint in einheitlichem Look & Feel – Namensgebung, Layout-Elemente und Farbgestaltung – vorfindet.

Gleichzeitig sind spezifische Eigenheiten & Anforderungen der einzelnen Touchpoints zu beachten, um das jeweilige Potenzial optimal zu heben.

Die Anzahl unterschiedlicher Endgeräte wächst ständig. Sind heute Apps für mobile Endgeräte sehr hip, haben diese das Problem, dass sie plattformabhängig sind. Ähnlich wie bei klas-sischen Applikationen, die vom Mainframe über den Desktop ins Web gewandert sind, wird die Web-Evolution auch den mo-bilen Softwaremarkt verändern. Dank Techniken wie Respon-sive Design lässt sich eine Webanwendung für die Darstellung auf unterschiedlichen Bildschirmgrößen optimieren und damit der gesamte Wartungsaufwand über alle Touchpoints hinweg deutlich verringern.

Fachliche User Interfaces müssen auf unterschiedlichen tech-nischen „Prosumenten“ abgebildet und aus einer einheitlichen, im Vergleich zu den Frontends langlebigeren Infrastruktur ge-speist werden. Prosumenten ermöglichen den Benutzern, nicht nur Inhalte zu konsumieren, sondern auch Inhalte und Infor-mationen zurück zu geben. Diese wiederum müssen verarbeitet werden. Häufig lassen sich über einen Prosumenten mehrere Touchpoints realisieren, was die Entwicklungs- und Wartungs-aufwände reduziert und es erleichtert, für Konsistenz zwischen den Touchpoints zu sorgen.

Grundsätzlich sollten Nutzer unkompliziert Inhalte in Form von Kommentaren, Fragen und Feedback generieren können (User Generated Content).

Bereitstellung & Verteilung

Wichtig für die Investitionssicherheit ist die Beantwortung der Frage, wie flexibel und schnell neue Services auf unterschied-lichen Kanälen ausgerollt werden können, ohne tiefe Eingriffe in die eigentliche Infrastruktur vornehmen zu müssen.

Die Bereitstellung und Verteilung der Mitarbeiterinterak-tionen in die technischen Kanäle muss deshalb über eine eigene Schicht abstrahiert werden, die Webformate, das native Ent-wickeln von mobilen Apps, aber auch die Integration in klas-sische HR- Applikationen, zum Beispiel SAP HR, ermöglichen. Diese Schicht muss die Inhalte, die die kanalunspezifischen technischen Services der Backends liefern, sehr spezifisch auf die verschiedenen abnehmenden Kanäle mit ihren technischen

Spezialanforderungen wie Formatangaben verteilen. Dieses Orchestrieren, Aufbereiten und Verteilen von Inhalten ist eine Aufgabe, die sich durch spezielle Middleware- Applikationen kapseln lässt.

Die Architektur steht dabei vor der Herausforderung, an der richtigen Stelle Leistung und Lastvermeidung durch intelligente Nutzung von Caches als Puffer-Speicher zu ermöglichen. Im Rahmen der Konzeption ist deshalb klar zu definieren, an wel-chen Stellen Informationen im Cache abgelegt werden können und wo dynamischer oder statischer Content auszuliefern ist.

Administration & Management

Interaktionen sollten in einer Managementschicht erstellt, kon-figuriert und organisiert werden, welche die HR-Architektur „mit Leben“, mit Content und Services, füllt. Zur Unterstüt-zung verschiedener Anwendergruppen, zum Beispiel spezieller HR-Sachbearbeiter, sind Cockpits gefordert, die technische Ser-vices in fachliche Sichten übersetzt. In dieser Schicht steht und fällt alles mit der übergreifenden Prozessunterstützung in der HR-Architektur.

Grundsätzlich müssen Funktionen bereitstehen, die eine Aus-wertung des Nutzerverhaltens ermöglichen. Für Touchpoint- und kanalübergreifende Prozesse ist es wichtig, diese Analysen nicht nur auf die Oberflächen zu begrenzen, sondern mit dem prozessführenden System zu verbinden.

Eine Suchmaschine spielt eine wichtige Rolle. Sie muss sowohl in der Lage sein, die Frontend-Suche für die Nutzer abzubilden als auch Drittsysteme anzubinden. Ein Großteil der Cockpits für Administratoren und Fachanwender ist Abfrage-gesteuert. In Zukunft werden immer mehr Anwendungen auf Basis von Search-Abfragen umgesetzt. Eine Enterprise-Search bietet dabei Funktionen, um Daten aus allen relevanten Backendsystemen zu indizieren und rechteabhängig durchsuchbar zu machen. Die Enterprise-Search vermag jedoch keine Wunder zu vollbringen, sie ist angewiesen auf einen sauberen Datenbestand und gewis-senhafte Indexpflege.

Integration

Der Zugriff auf die Daten muss über eine einheitliche Integra-tionsschicht organisiert werden. Eine der wichtigsten Prämissen für die Entwicklung der HR-Architektur muss sein, dass mög-lichst keine Business-Logik im Self-Service nachzubauen oder parallel zu implementierten ist, sondern dass stets ein Weg zur möglichst abstrahierten und einheitlichen Integration von lo-gikführenden Backend- und Legacysystemen gewählt wird.

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User Interface & Touchpoint

Administration & Management

Backend

SAP-Client ESS MSS etc.

Personal Portal

Richtlinien DB HRApps Communities

Prosumenten

Fat Client Mobile Browser

Native Mobile App

Browser Web Services etc.

Social Media

User-genera-ted Content

Content Management

Search

Recruiting

Compensation Management

Workforce Planning

Skill Management

Learning Management

Payroll Time Manage-ment

Travel Management

Benefits

Talent Management

Analysis & Reporting

Expatriate Management

Master Data

OrganisationManagement

Personal Administration

Analysis Data

UnstructuredData

Workflows Search Indices Services

User/Profiles Meta-data

Use

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Die zentrale Anforderung an den Self-Service ist die Bereitstel-lung von Backend-Informationen, Prozessen und Funk tionen spezialisierter Softwaretools in konsolidierten Sichten. Ein Un-ternehmen muss sich unter Architekturgesichtspunkten die folgende zentrale Frage stellen: Wie wollen wir Applikationen integrieren? Alle weitergehenden Konzepte bezüglich der Kon-nektivität von Anwendungen, dem Messaging & Routing von Informationen folgen. Grundsätzlich sollte die Architektur durch wiederverwertbare Services mit offenen Interfaces und dem Sup-port von Data Federation Technologien modularisiert werden.

Idealerweise kann die HR-Architektur bereits auf eine einheit-liche, service-basierte Integrationslandschaft aufsetzen. Häufig findet man jedoch voneinander unabhängige Silo- Architekturen. Um hier nicht die Zukunftsfähigkeit zu gefährden, sind die De-finition und Bereitstellung von lose gekoppelten Services un-umgänglich, die die Zugriffe auf die Bestandssysteme kapseln.

Backend

Übergreifendes, konsistentes und kohärentes Datenmanage-ment ist eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren einer übergreifenden Architektur.

Ein wichtiger Parameter für die kanalübergreifende Nutzung und Wiederverwendung von Inhalten und Daten ist die ein-heitliche Verwendung von Metadaten, die eine eindeutige Iden-tifizierung von Objekten (Identifier) ermöglicht. Technische Zusatzinformationen wie Format, Typ und Sprache, eine zu-sammenfassende und strukturgebende Beschreibung des Inhalts – Titel, Subjekt, Beschreibung –, Informationen zu Ersteller und Rechten sowie zum Lebenszyklus – Zeitstempel, Gültigkeit –müssen einheitlich definiert und verwendet werden. Meta-daten bieten ungeahnte Möglichkeiten, unstrukturiertem Con-tent einen quasistrukturierten Charakter zu verschaffen und ihn

Abbildung: Detecon HR IT Architecture Blueprint 1.0

Quelle: Detecon

Unified experience

Provision & distribution (coordinate, orchestrate, deploy, distribute, prepare)

Integration (aggregation, access, transfer, integration)

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wiederverwertbar und auffindbar zu machen. Eine besondere Funktion und Rolle haben Quelle, Relation und Audience als Metainformationen zur Vernetzung. Hierüber lassen sich die Zuordnung der Services zu Kanälen und Touchpoints sowie das Verknüpfen einzelner Services organisieren. Metadaten bieten außerdem eine große Flexibilität in der Erstellung von Taxon-omien und alternativen Navigationsbäumen als klassisch hierar-chische Verwaltungsmechanismen.

Querschnittfunktionen

Spezifische Querschnittfunktionen wie die Orchestrierung der Prozesse, das Sicherheitshandling oder die Personalisierung müssen Architekturweit über alle Schichten hinweg zur Verfü-gung stehen.

Bei der Definition dieser Querschnittfunktionen ist besonde-re Sorgfalt gefragt, kleine Änderungen im Kern können immer große Auswirkungen auf die peripheren Services und Funk-tionen haben.

Die Anbindung eines Identitätsmanagementsystems, welches das Rechte- und Rollensystem unterstützt, ist unerlässlich. Sie ist ebenso Grundvoraussetzung für die Umsetzung von AAA(Authentication, Authorization, Accounting)-Konzepten als zentraler Voraussetzung für SSO und die Personalisierung.

Digitale Interaktionen bieten viele unterschiedliche Zugriffs-möglichkeiten auf personalisierte Informationen, Services und Prozesse. Diese Eingangstore sind gleichzeitig auch potenzielle Gefährdungsstellen für die Datensicherheit. Die Architektur muss deshalb umfangreiche Mechanismen der Eingangssiche-rung und Zugangskontrolle, zum Beispiel sicheres SSO (Single Sign On), bedienen, die Verbindungen zwischen Endgerät und Servern verschlüsseln und die Daten entsprechend der Vorga-ben des Datenschutzes verwalten und ablegen. Anforderungen an die Sicherheit sind aber nicht nur soft- und hardwareseitig, sondern auch prozessual zu definieren und abzuprüfen.

Personalisierte Inhalte sind im Kontext von HR-Anwendungen eine Selbstverständlichkeit. Doch welche technischen und funk-tionalen Paradigmen liegen der Personalisierung zugrunde? Wie flexibel können Inhalte und Applikationen auf das Nutzerver-halten hin ausgesteuert werden? Werden Benutzerrechte auf angebundene Inhalte aus Drittsystemen übertragen oder sind diese Systeme weiterhin selbst für das Rechtemanagement ver-

antwortlich? Im Rahmen der Entwicklung der HR-Architektur ist zu klären, ob Personalisierung mit den Rules Engines, zum Beispiel einer Portalsoftware oder einem 3rd Party Personaliza-tion Framework, umzusetzen ist.

Wichtiger Bestandteil einer servicebasierten Architektur ist die Prozessorchestrierung, welche das flexible Kombinieren mehre-rer Services zu einer Services-Komposition, einem ausführbaren Geschäftsprozess, beschreibt. Diese Orchestrierung muss eine Beschreibung der Services, ihre Bedingungen zum Aufruf sowie Abhängigkeiten enthalten. Ohne eine übergeordnete Prozess-orchestrierung kann eine übergreifende Transaktionssicherheit nicht gewährleistet werden. Hier ist das Session Handling eine wichtige Funktion, welche dazu dient, die Nutzer und ihre Aktivität eindeutig im System zu verorten.

HR-IT-Architektur – ein Tool aus einer Hand?

Eine übergreifende HR-Architektur wird sich immer aus Systemen verschiedener Softwareanbieter zusammensetzen. Viele Anbieter vertreiben Komponenten, aber keiner besitzt eine einheitliche Suite über alle Touchpoints und Anwendungs-fälle hinweg. Meist sind die einzelnen Komponenten der Her-steller in sich nicht integriert und echte Innovation findet man eher bei kleinen Anbietern und Nischenanbietern.

Die großen Enterprise-Software-Anbieter verfolgen eine aggres-sive Akquisitionsstrategie. Das Tempo der Integration der er-worbenen Software mit bestehenden Lösungen ist in der Regel langsam, zudem erschwert die oftmals nicht stringente Umset-zung von Cloud Strategien – einige Komponenten sind aus der Cloud verfügbar, andere müssen on-premise betrieben werden – den gemeinsamen und integrierten Einsatz „out of the box“. Mehrere Hersteller haben zudem im Laufe der Akquisitionen erhebliche Doppelfunktionalität aufgebaut.

Um eine vollständige best-in-class HR-IT-Architektur zu bau-en, muss man nach aktuellem Stand mehrere Lösungen von ver-schiedenen Anbietern auf mehreren Technologien und Distri-butionsformen kombinieren, mit all der Komplexität und den anstehenden Integrationskosten.

Steffen Roos ist Managing Consultant und berät Unternehmen aus der Telekommunikationsindustrie zu IT- und HR-Managementthemen.

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Was macht die Faszination Google aus? Frank Kohl-Boas, Head of HR Northwest, Central and Eastern Europe bei Google, differenziert ganz klar:

„Wir haben nicht nur visionäre Unternehmensgründer, sondern bieten Mitarbeitern die Möglichkeit, etwas zu bewegen, sich zu entwickeln und sich

auch im Unternehmen aktiv einzubringen, unabhängig von Hierarchie und Status.“ Im Interview gibt Kohl-Boas spannende Antworten auf viele Fragen,

die am Ende doch auf die eine zentrale hinaus laufen: Was macht Google anders als die anderen?

Interview mit Frank Kohl-Boas, Head of HR Northwest, Central & Eastern Europe Google

Data beats Opinion – bei Google zählt das bessere

Argument

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DMR: Google wurde erneut als weltweit beliebtester Arbeitgeber gewählt. Auch im Bereich der Digitalisierung ist Google ein abso-luter Top Player. Wie unterscheidet sich Google von anderen Un-ternehmen?

F. Kohl-Boas: Google steht mit visionären Gründern und Unter-nehmenslenkern wie Larry Page und Sergey Brin, aber auch Eric Schmidt, an der Spitze der Weiterentwicklung der Digitalisie-rung und den resultierenden Chancen und Herausforderungen. Welcher IT Ingenieur würde nicht gerne dabei mitwirken, das Internet und die auf der Digitalisierung basierenden Techno-logien mit- und weiterzuentwickeln, die später von Milliarden von Menschen weltweit genutzt werden? Diese Faszination gilt auch für uns Googler, die wir nicht in der Produktentwicklung arbeiten. Unsere Produkte und Dienstleistungen verändern in unterschiedlicher Art und Weise Geschäftsmodelle und Gesell-schaften. Meine Kollegen im Vertrieb verkaufen daher nicht nur ein Produkt oder einen Service, sondern beraten Entscheider bei der Frage, wie sie für ihre Unternehmen die digitale Transforma-tion nutzen. Es gibt mit Sicherheit nicht viele Unternehmen, in denen so viele Mitarbeiter direkten Kontakt mit Kunden oder den verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen haben, um Themen rund um die Digitalisierung zu diskutieren.

DMR: In vielen Unternehmen reden wir vom Entrepreneurial Spirit. Wir brauchen mehr Unternehmer in unseren Unternehmen oder zumindest mehr unternehmerisches Denken, mehr Freiheits-grade und ein Verständnis dafür, dass wir als Mitarbeiter an etwas Großem mitwirken können. Das ist immer schön gesagt, aber wie bekommt man diese Freiheitsgrade, dieses unternehmerische Den-ken, diese Kultur ins Unternehmen? Ganz konkret: Wie macht Google das?

F. Kohl-Boas: Unternehmerisches Denken und Handeln von Angestellten einzufordern ist sicherlich sehr schwer. Jeder, der über genügend Entrepreneurial Spirit verfügt, sollte Unterneh-mer sein beziehungsweise werden. Bei Google wollen wir Ange-stellte, die Verantwortung übernehmen und sich so verhalten, als wären die Herausforderungen oder Ressourcen ihre eigenen. Wir haben dazu intern die Aufforderung “act like an owner”. Und damit sind wir beim Thema Selbstverständnis, Unterneh-mensphilosophie und Unternehmenskultur, die sich dann vor allem im Thema “Führung” äußert.

Zunächst einmal haben wir mit Larry Page einen CEO, der sagt: „Wir wissen, dass wir uns in einer wahnsinnig schnellen Industrie befinden. Entwicklungen finden quasi über Nacht statt. Genau aus diesem Grund müssen wir schnell sein. Und wer schnell ist, muss akzeptieren, dass Fehler passieren.” Was

bedeutet diese Aussage konkret? Bei der Datensicherheit gehen wir keinen Kompromiss ein, aber bei Themen wie beispielswei-se der Spracherkennung gibt es häufig eine erste, zweite und auch dritte Version – hier teilen wir mit Mitarbeitern schnell eine Beta Version und testen sie dann. Dadurch bauen Googler im gesamten Unternehmen einen Bezug zu unseren Produkten und Leistungen auf und übernehmen die Verantwortung, diese durch Feedback zu verbessern. Die Fehlerkultur animiert dazu, Risiken einzugehen, über Missgeschicke offen zu berichten und durch gut gemeintes, gleichwohl kritisches Feedback ehrlich und offen miteinander umzugehen.

Ein weiterer Grundsatz, der jedem(r) Googler(in) ungeachtet der Betriebszugehörigkeit, Berufserfahrung und Hierarchieebe-ne die Möglichkeit gibt, sich einzubringen, heißt: “Data Beats Opinion” – Fakten schlagen Meinung. Wenn man nach dem besseren Argument sucht, ist die persönliche Meinung irrele-vant oder zumindest nachrangig. Wir tun viel dafür, dass Mitar-beiter nicht das Gefühl haben, in einer hierarchischen Organi-sation zu arbeiten. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass man bei Google nur sehr wenige Statussymbole findet. Einzelbüros gibt es primär tätigkeits-, nicht hierarchiebezogen, und sie sind gleich groß. Jeder Mitarbeiter bekommt die gleiche technische Ausrüstung: Mobiltelefon, Laptop. Kein Firmenwagen.

Wir suchen Mitarbeiter, die sich in ihrer Arbeit selbstverwirk-lichen und aktiv einbringen möchten und versuchen, dafür das entsprechende Arbeitsumfeld zu bieten. Wenn man es schafft, gute Leute für sich zu rekrutieren und sie zu binden, dann zie-hen diese sehr oft auch weitere gute Leute an. Und beim Rekru-tieren gehen wir konsensbasiert vor. Der Lebenslauf eines Be-werbers ist die Eintrittskarte für ein Bewerberinterview. Danach entscheidet vor allem die Frage, ob ein Mitarbeiter zu Google passt. Wir möchten Menschen beschäftigen, die sich in unserer Kultur wohlfühlen und diese weiter prägen. Larry Page und Sergey Brin geben die Richtung vor, aber circa 57.0000 Men-schen prägen derzeit diese Unternehmenskultur tatsächlich. Die Kultur sieht heute anders aus als gestern und wird sich morgen anders anfühlen aus heute. Deshalb geben wir Mitarbeitern ein hohes Maß an Mitverantwortung bei der kulturellen Weiterent-wicklung. Diese Möglichkeit ist eine unwahrscheinliche Moti-vation und ein Beleg dafür, dass sich Menschen gerne einbrin-gen, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt.

DMR: Sie haben bereits das Beispiel genannt, dass Mitarbeiter Produkte über alle Bereiche hinweg testen. Google ist ja eine Data Driven Company. Wie gelingt es Google, Mitarbeiter zu Fans zu machen?

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F. Kohl-Boas: Ein typisches Google-Schlagwort ist: Default to Open. Viele Unternehmen werden in einem ersten Schritt prü-fen, wer wann was wissen muss beziehungsweise darf. In einem zweiten Schritt wird dann zumeist nach Hierarchielevel und Abteilung entschieden, ob derjenige Mitarbeiter auch Zugang bekommt. Hier denkt Google anders: Vom Grundsatz her hat jeder Mitarbeiter den gleichen Zugang zu allen Informationen und Projekten. Informationen sind nicht Ausdruck von Macht und nicht an Status gebunden. Wenn Mitarbeiter etwas wissen oder sich bei Google einbringen möchten oder eine konkrete Idee haben, dann können sie alles dafür tun.

Wenn wir beispielsweise HR-Prozesse neu einführen, dann kann es durchaus vorkommen, dass ad hoc nicht alles wie ge-plant abläuft. Die Kollegen sind aufgefordert, soviel Feedback wie möglich zu geben, damit wir diesen Prozess verbessern kön-nen. Mit diesem Feedback arbeiten wir und geben dann auch Rückmeldung an die Mitarbeiter. Diese Rückkopplung führt dazu, dass diese Mitverantwortung wahrgenommen wird. Bei den Produkten, zu denen jeder Google-Nutzer Zugang hat, sind wir natürlich stolz, wenn sie sich im Wettbewerb durchsetzen und andere Nutzer ebenso sehr wie uns selbst begeistern.

DMR: Nach welchen Kriterien werden bei Google Führungskräf-te im Rahmen des Performance Management bewertet? Wie stark hängt das Thema Feedback geben und sich einbringen damit zu-sammen und wie ist das Thema abgebildet und operationalisiert?

F. Kohl-Boas: Auch hier gilt “Data Beats Opinion”. Der Sache auf den Grund zu gehen und nicht nur nach dem Bauchge-fühl oder aus der Erfahrung heraus zu entscheiden, verschafft uns innerhalb der Entscheidungsfindung nicht nur ein Mind-set, sondern auch eine unheimlich hohe Schlagkraft. Wir ha-ben in einem internen Projekt die Frage untersucht: Was macht Führung bei Google erfolgreich? Die Ergebnisse waren nicht überraschend. Aber es waren Ergebnisse von uns und für uns. Wir haben sie konsequent für die Auswahl von Führungskräf-ten und deren Beurteilung genutzt und die Trainings daraufhin ausgerichtet. Halbjährlich findet unser Performance-Prozess statt, zwischen den Beurteilungsperioden haben wir den Talent-Review-Prozess. Damit diskutieren wir mindestens alle drei Mo-nate über eine Person und ihr Verhalten, Leistungen und Poten-ziale. Damit kommen wir dem Anspruch eines kontinuierlichen Talent Managements, bei dem Performance Management ein Teil davon ist, ein gutes Stück weit näher. Darüber hinaus er-halten Führungskräfte zweimal im Jahr zu Führungsattributen Feedback von ihren Mitarbeitern. Wir stellen hier Fragen da-nach, ob Manager regelmäßig Feedback geben, Informationen teilen, Karrieregespräche führen, Wertschätzung zeigen. Wenn Führungskräfte gute Ergebnisse erhalten, ist das honorierender

als jede Gehaltserhöhung, denn die Meinung der Mitarbeiter kann man nicht kaufen und auch nur schwer manipulieren. Es gibt natürlich auch Führungskräfte, die eine schlechte Beurtei-lung durch ihre Mitarbeiter bekommen. In beiden Fällen ist der Kontext entscheidend. Niedrige Zustimmungsraten können vor gewissen Situationen verständlich sein. Mein Rat an die Führungskräfte ist es daher, dass sie dieses Feedback ernst, aber nicht zum alleinigen Maßstab ihres Handelns machen sollen.

DMR: Wann ist ein Mitarbeiter ein guter Google-Mitarbeiter? Wie beurteilen Sie das?

F. Kohl-Boas: Erstens haben wir unsere Objective Key Results (OKRs). Diese vierteljährlichen Zielvereinbarungen kommen stark aus dem Projektmanagement. Beim Setzen der OKR geht es mehr um das Definieren ambitionierter Ziele als solcher. Sie geben unserem Handeln eine zielorientierte Richtung und sol-len zum großen Denken animieren. Daneben haben wir die eben angesprochene halbjährliche Performance-Beurteilung, bei der wir vor allem auf gezeigte Verhaltensweisen und Eigenschaf-ten achten. Es geht um die Art und Weise, wie Ziele verfolgt wurden. Das kann auch bedeuten, dass wir einen Mitarbeiter würdigen, der seine eigenen Ziele nicht weiter verfolgt und da-mit verfehlt hat, weil er im Unternehmensinteresse etwas an-deres aktiv begleitete.

DMR: Wie stellt Google sicher, dass Mitarbeiter ein möglichst breites Spektrum an Aktivitäten kennenlernen? Wurde zum Bei-spiel das Thema Rotation bei HR-Mitarbeitern institutionalisiert?

F. Kohl-Boas: Das Thema “Rotation” ist in der Tat ein Kern-bestandteil unserer Personalentwicklungswerkzeuge und sehr populär. Rotationen bieten wir in verschiedenen Formen an. Da wäre zunächst ein institutionalisiertes globales Programm, bei dem sich Mitarbeiter für eine Rotation von drei Monaten – zumeist ein Quartal im Ausland – bewerben. Darüber hinaus bieten wir auch lokale und informelle Rotationen an, die dann Projekt-, Kunden- oder Know-how-basiert erfolgen. Wir möch-ten damit die Zusammenarbeit, den Informationsaustausch und das erfahrungsbasierte Lernen fördern. Denn damit verhin-dern wir ein Denken in Silos. Daneben geben wir den Teilneh-mern die Möglichkeit, ihre hohe geistige Agilität zu bewahren. Wer sich immer wieder auf neue, ungewohnte oder unerwartete Bedingungen, Verhaltens-, Sicht- und Herangehensweisen ein-lässt, entwickelt eine Ambiguitätstoleranz. Daraus folgt zumeist die Fähigkeit, mit Komplexitäten und permanentem Wandel gelassen und selbstbewusst umzugehen, was dazu führt, dass wir die “Employability” der Mitarbeiter auf einem hohen Niveau halten können.

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DMR: Rotationen finden bei Google also proaktiv statt und sind Bestandteil des Talent Managements?

F. Kohl-Boas: Richtig. Natürlich wollen wir Mitarbeiter nicht in eine Rotation kommandieren und sie muss auch als Maßnah-me für die angestrebte Weiterentwicklung passen. Als solches sollte eine Rotation, auf die man sich in aller Regel bewerben muss, das Ergebnis eines Karrieregespräches und einer etwaigen Talentdiskussion sein. Bei uns ist die Rotation auch deshalb so beliebt, weil viele Mitarbeiter aufgrund ihrer familiären Situati-on keine dauerhafte Versetzung andenken wollen oder können. Aus dieser eingeschränkten Mobilität soll nach Möglichkeit kein Entwicklungsnachteil entstehen.

DMR: Wenn es um das Thema interkulturelle Kompetenz geht, spielen auch Auslandsaufenthalte in vielen Unternehmen eine Rol-le. Oftmals ist es so, dass Mitarbeiter mit einem enormen Entwick-lungsschub zurück kommen, aber kein strukturierter Prozess für die Wiedereingliederung existiert, sodass sie auf der Suche nach einer geeigneten Position sind. Plant Google hier langfristiger als andere Unternehmen?

F. Kohl-Boas: Das ist ein komplexes Thema. Ich denke, dass die Wiedereingliederungsfähigkeit vor allem von der Größe des Unternehmens abhängt. Als ehemaliger Expatriate Manager wie auch als Expat selbst basieren meine Erfahrungen auf meiner Zeit als Mitarbeiter von ausländischen Tochtergesellschaften, die oftmals nicht in der Lage waren, den Rückkehrern eine den Erwartungen und Fähigkeiten angemessene Aufgabe anzubie-ten. Das dürfte für Unternehmen, die ihre Zentrale im Land haben, aus dem der entsandte Mitarbeiter kommt, zumeist leichter sein.

Bei Google versuchen wir, dieser Herausforderungen auf drei-erlei Weise zu begegnen: Erstens bieten wir grundsätzlich keine Expat-Packages an. Wenn Mitarbeiter dauerhaft im Ausland arbeiten wollen, dann können sie sich sehr gerne in unserem in-ternen Stellenmarkt bewerben. Im Erfolgsfall wird ihnen dann ein Arbeitsverhältnis zu lokalen Konditionen angeboten. Das sorgt dafür, dass finanzielle Aspekte in der Regel keine Motiva-tion für einen Auslandsaufenthalt sind und sich keine Mitarbei-tergruppe bildet, die ihre Entscheidungen vor allem nach dem “Package” ausrichtet.

Zweitens prüfen wir gründlich, ob und in welchem Ausmaß Auf-gaben mit oder zu einem Mitarbeiter an seinen Arbeitsort hin verlagert werden können. Nach meiner Rückkehr aus Australien wollte ich aus familiären Gründen nicht für den nächsten beruf-lichen Schritt nach London ziehen. Daraufhin hat man mir die Zuständigkeit für die Region “Benelux”, die zuvor aus London

heraus wahrgenommen wurde, übertragen. Und so nehme ich heute vom Standort Hamburg aus die Verantwortung für 20 Büros in 18 Ländern wahr. Es gibt auch Mitarbeiter, die ihre Stelle quasi in ihre Heimat mitgenommen haben. Letztlich wol-len wir Mitarbeitern auf Augenhöhe begegnen. Wenn uns gute Mitarbeiter verlassen, weil sie die nächste Entwicklungsper-spektive extern sehen, dann halten wir Kontakt und freuen uns, wenn wir in der Lage sind, sie zu einem späteren Zeitpunkt mit der gemachten Erfahrung wieder für uns zurückzugewinnen. Ich höre sehr oft, dass gerade in Deutschland Führungskräfte bei Mitarbeiterkündigungen zutiefst beleidigt reagieren. Das halte ich für falsch. Denn wenn ein Mitarbeiter um der eigenen Weiterentwicklung willen das mit der Kündigung verbundene Risiko des Neuanfangs eingeht, ist das in meinen Augen genau die Bereitschaft, die sich Unternehmen unter den Schlagwor-ten “Innovationsfreude“, “Verantwortungsbereitschaft“ und “Ownership” wünschen. Es geht mir bei der Weiterentwicklung von Menschen stets um ihrer selbst willen, selbst wenn dies das Risiko einer Kündigung durch erhöhte Abwerbungsversuche mit sich bringt. Damit sehen Mitarbeiter unsere Wertschätzung als Teil unserer Unternehmenskultur, was für sich genommen schon eine Bindungswirkung entfaltet. Das spricht sich herum und trägt zu unserer Employer Value Proposition bei. Und die-jenigen, die zurückkommen, bringen als Mehrwert die gemach-te Erfahrung ein und setzen mit ihrer Rückkehr zugleich ein positives Signal an die bestehende Belegschaft.

Drittens endet die Verantwortung für einen Mitarbeiter für uns nicht mit dessen Wegzug. Wir versuchen, in Kontakt zu blei-ben und ein- bis zweimal jährlich über sie und ihre privaten und beruflichen Absichten zu sprechen. Damit erkennen wir rechtzeitig Rückkehrmöglichkeiten oder auch die Chance, zum Beispiel eine Deutsche, die aus den USA zurück möchte, auf eine Tätigkeit in der Schweiz oder Irland aufmerksam zu ma-chen. Denn gegebenenfalls reicht die Rückkehr nach Europa, zumindest als Zwischenlösung, um ihre Erwartungen oder Not-wendigkeiten mit unserem Wunsch, sie zu halten oder zurück-zugewinnen, zusammenzuführen. Ich habe alle Mitarbeiter aus meinen Regionen, die nicht in ihrem Heimatland beschäftigt sind, auf meinem latenten “Talent Radar”.

DMR: Den latenten Talent Radar halten Sie auch über die Com-pany hinaus, richtig?

F. Kohl-Boas: Wir versuchen es und können dabei immer noch besser werden. Nicht nur ich versuche, Kontakte zu halten und zu knüpfen. Letztlich hat jeder – und das beschränkt sich nicht nur auf die Führungskräfte – die Aufgabe, das latente Netzwerk im Interesse des Unternehmens zu pflegen und zu erweitern.

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DMR: Bei Google heißt es “Data Beats Opinion”. Wenn man an Führungsentscheidungen oder auch an Einstellungen von Mitarbei-tern denkt, geht da nicht das Bauchgefühl verloren?

F. Kohl-Boas: Daten sind als Fakten sicherlich eine bessere Ent-scheidungsgrundlage als Meinungen, Gefühle und Ansichten. Entscheidend sind meines Erachtens aber nicht die Daten per se, sondern die Fragestellung, die sie damit beantworten wollen, und der Zusammenhang, in dem die Daten stehen, verbunden mit der Frage, ob ein Urteilsvermögen benötigt wird. Nehmen wir einmal an, in einer Mitarbeiterumfrage über Vorgesetzte sind Zustimmungswerte bei einzelnen Vorgesetzten besonders niedrig. Vielleicht ist dies eine Folge des Umstandes, dass der Vorgesetzte schwierige Beurteilungsgespräche führen musste oder er selbst oder aber einige Mitarbeiter neu in der Abteilung waren und sich die Beteiligten daher kein Urteil bilden konnten und “neutral” angekreuzt haben. Nur wenn ich diesen Kontext kenne, kann ich die Daten interpretieren und die richtigen Fra-gen beziehungsweise Rückschlüsse ziehen.

DMR: Werfen wir einen Blick in die HR-Organisation von Google: Dem Unternehmen wird nachgesagt, dass es an der einen oder anderen Stelle datengetriebenen Kontrollwahn in Bezug auf die Steuerung von Mitarbeitern betreibt, welches den einen oder anderen Mitarbeiter enorm unter Leistungsdruck setzt und der Unternehmenskultur durchaus schadet. Was sagen Sie zu dieser Be-hauptung?

F. Kohl-Boas: Wer hat sie denn aufgestellt? Ich habe das bis-her von keinem Mitarbeiter gehört oder erlebt und auch keine Anhaltspunkte dafür. Daten nutzen wir vielmehr dazu, Men-schen Entscheidungshilfen an die Hand zu geben. Wo stehen wir? Sollten wir unsere Zeit für Kunde A oder Kunde B inve-stieren? Deswegen ist ein Datenpunkt eine Entscheidungshilfe, aber kein Entscheidungsersatz und schon gar kein Druckmittel.

DMR: Ist Google ganz klassisch nach dem Dave-Ulrich-Modell strukturiert? Wenn ja, wie prägt dieses Modell Google? Wie muss man sich Ihre HR-Organisation vorstellen?

Frank Kohl-Boas studierte Rechts-wissenschaften an den Universitäten in Passau und Würzburg. 1998 startete er seine berufliche Karriere bei Unilever Deutschland GmbH. Ab März 2003 war er als Head of Remune-ration für Shell Deutschland Oil tätig, bevor er im März 2005 für die Coca-Cola GmbH als Compensation & Operations Manager den Bereich DACH & Nordics übernahm. In 2007 ging er für Coca-Cola nach Australien und wirkte dort vor allem erfolgreich auf eine Unternehmenskultur hin, mit der sich Coca-Cola South Pacific ab 2009 als ein “Great Place to Work” positionieren konnte. Im September 2010 kehrte er nach Hamburg zurück und verantwortet heute für Google als HR Business Partner die Personal arbeit für mittlerweile 20 Standorte in 18 Ländern in Europa.

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F. Kohl-Boas: Wir sind in der Tat nach den drei Säulen des Dave-Ulrich-Modell – Shared-Service Center, Center of Ex-pertise, HR Business Partner – organisiert. Soweit ich es beur-teilen kann, stellen sich danach auch die allermeisten schnell wachsenden Neugründungen auf, sobald sie eine gewisse Größe erreicht haben. Denn das Modell unterstützt sowohl eine Spe-zialisierung, also zum Beispiel Recruitment, als auch eine Ska-lierung der Dienstleistungen. Unser Shared Service Center für EMEA ist in Dublin angesiedelt und kümmert sich um alle administrativen Themen und die Gehaltsabrechnung. Daneben haben wir mehrere Center of Expertise, die ihrerseits thema-tisch aufgestellt sind. So gibt es im CoE Learning & Develop-ment ein Team, das sich um das Coaching kümmert, während andere Teams Themen wie zum Beispiel “Produkttraining”, “Führung”, “Verhandlungstechniken” verantworten. Als HR Business Partner ist es meine Rolle, der zentrale Ansprechpart-ner für alle Personalthemen der Führungskräfte zu sein und die wichtigsten Personalprozesse wie Beurteilungs-, Beförderungs- und Talententwicklungsrunden vor Ort zu verantworten. Da-durch bekommt der interne Kunde einen Ansprechpartner und ich bin in der Lage, aus der Vielfalt der unterschiedlichen The-men einen Kontext zu erkennen und Schwerpunkte und Hand-lungsfelder zu definieren. Dabei hilft es mir in meiner Rolle, dass ich in meinem Werdegang viele verschiedene Facetten und Themen der HR-Arbeit kennengelernt habe und gepaart mit meiner juristischen Ausbildung ein generalistisches Verständnis mitbringe. Daher lebe ich meine Rolle als eine Mischung aus Business Partner und klassischem Personalleiter. Ich kann also bildlich gesprochen die Kollegen im SSC and CoE, ohne das sie an mich berichten, wie in einem Orchester dirigieren, aber auch selbst ein paar Instrumente spielen.

DMR: Welche Skills muss ein HR-Mitarbeiter bei Google haben? Ist klassische HR-Erfahrung wichtig?

F. Kohl-Boas: In der Funktion HR Business Partner haben wir neben einigen klassisch ausgebildeten Generalisten Mitarbeiter aus Beratungsunternehmen, die in der Lage sind, Problemstel-lungen in Konzepte und Szenarien zu übersetzen, und einige Kollegen, die sich aus den CoE in diese Funktion hinein ent-wickeln. Im Shared Service Center und vor allem im Recruit-ment haben wir Berufsanfänger und Quereinsteiger. Und je spezieller das CoE, desto entscheidender sind die spezifischen Wissensanforderungen. In unserer Abteilung “People Analytics” beschäftigen wir auch Statistiker, Mathematiker und Sozial-wissenschaftler. Sie setzen sich mit der Frage auseinander, wie

sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse für unserer Orga-nisations- und Personalentwicklung nutzbar gemacht werden können.

DMR: Zum Selbstverständnis HR: Versteht man bei Google unter HR eine reine Support-Funktion oder findet sich das Thema HR und People in der Strategie des Unternehmens als eigener Punkt wieder?

F. Kohl-Boas: In unserer Selbstwahrnehmung haben wir eine Unterstützungsfunktion. Es ist unsere Aufgabe, Führungskräfte in die Lage zu versetzen, ihrer Führungsaufgabe bestmöglich ge-recht zu werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass unsere Recrui-ter die Aufgabe haben, den Recruitment-Prozess zu organisieren und zu verantworten. Für das erfolgreiche Recruitment selbst ist aber letztlich jeder Vorgesetzte verantwortlich. Wenn man sieht, wie lange Google schon als ein Best Employer bezeichnet wird, ist unsere Unterstützungsarbeit anscheinend ganz erfolgreich und ein Grund, warum wir dem Feedback unserer Führungs-kräfte zufolge eine hohe Reputation genießen.

DMR: Diese Support-Aufgabe als Stärke und auch als Begründung für den Wertbeitrag, den man für das Unternehmen liefert, zu be-trachten, ist ein interessanter Blick.

F. Kohl-Boas: Absolut. Google’s Erfolg hängt entscheidend von seinen Mitarbeitern ab. Wir sind als innovatives Unternehmen nur so gut, wie unsere Produkte es sind – und diese kommen von unseren Mitarbeitern. Im Zeitalter der digitalen Transformati-on bedarf es als Voraussetzung für Unternehmenserfolg keines großen Markennamens, Kapitals oder Infrastruktur. Genau aus diesem Grund wissen bei Google alle um die Bedeutung jedes einzelnen Mitarbeiters. Und deswegen nennen wir uns intern auch nicht “Human Resources”, sondern “People Operations”.

DMR: Wie messen Sie den Erfolg als HR Bereich und was ist Ihrer Ansicht nach der wichtigste KPI?

F. Kohl-Boas: Wir haben eine Vielzahl von Kennzahlen und Zielgrößen. Aber am Ende ist der Unternehmenserfolg auch für unsere HR-Arbeit der wichtigste KPI. Denn letztlich geht es darum als Organisation am Markt erfolgreich zu sein. Daran werden letztlich alle Bereiche unseres Unternehmens gemessen.

Das Interview führten Marc Wagner, Christian Hinrichsen und Verena Vinke.

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Der erste Eindruck ist entscheidend

Interkulturelle Führung

Die Last vergangener militä-rischer und politischer Kon-flikte sowie die wirtschaftlichen Unterschiede können in Bezug auf Geschäftsbeziehungen mit westlichen Europäern innerhalb der CEE-Region starke Vertrau-ensprobleme verursachen. Bei der Ankunft in mittel- und ost-europäischen Ländern (CEE) haben Sie deshalb nur eine ein-zige Gelegenheit, einen ersten Eindruck zu hinterlassen!

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ertrauensvolle Beziehungen mit den Geschäftspartnern vor Ort sind für das Betreiben von Geschäften in Mittel- und Ost-europa unabdingbar. Die Beziehung zwischen West und Ost ist aufgrund vergangener militärischer und politischer Konflikte und durch die nach wie vor bestehenden wirtschaftlichen Un-terschiede belastet. Diese Last kann sich in punkto Vertrauen negativ auf Geschäftsbeziehungen auswirken. Die schlechte Nachricht ist, dass dieses negative Klischee, mit dem Leute aus dem Westen behaftet sind, tief in der CEE-Kultur verankert ist. Aber die gute Nachricht ist, dass sich dieses Klischee durch-brechen lässt, wenn man vertrauensvoll agiert und dadurch das Vertrauen der Geschäftspartner vor Ort gewinnen kann. Einen ersten guten Eindruck hinterlassen ist daher das, worauf es an-kommt. Häufig sind es die ersten fünf Minuten, in denen die Entscheidung fällt, ob das Klischee zutrifft oder nicht.

Wir liefern fünf praktische Tipps, wie man beim Eintreffen in CEE-Länder einen positiven ersten Eindruck hinterlässt, und erklären die Gründe für das Missverstehen Ihrer Sprache und Handlungen.

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1. Verhalten Sie sich beim Eintreffen wie ein Ortsansässiger Der erste Eindruck ist vielleicht schon gewonnen, bevor Sie Ihr Gegenüber überhaupt begrüßt haben.

Wenn es um Kosteneinsparungen geht, stehen Reisekosten ganz oben auf der Liste. Auch wenn es nach wie vor Gründe gibt, die regelmäßige Flüge von Managern und Mitarbeitern rechtferti-gen, bewilligen lokale Geschäftsstellen Auslandsreisen äußerst selten. Für die Geschäftspartner vor Ort, die unabhängig von ihrem persönlichen Einsatz keine Reiseerlaubnis haben, kann es durchaus frustrierend sein, wenn sie sehen, wie ein westlicher Kollege, der gerade vom Flughafen per Taxi eingetroffen ist, seinen Koffer hinter sich herzieht. Es erinnert sie an die wirt-schaftlichen Unterschiede und erhöht ihren Minderwertigkeits-komplex.

Um solche Situationen zu vermeiden, sollten Sie ihren Koffer erst in Ihrem Hotel oder an der Rezeption des Bürogebäudes abstellen. Es empfiehlt sich ebenfalls, nicht direkt vor dem Haupteingang aus dem Taxi zu steigen. Vermeiden Sie am be-sten, die Einzelheiten Ihrer Anreise in Ihren Smalltalk einfließen zu lassen. Auf diese Weise signalisieren Sie, dass die Grundlage für Ihre künftige Arbeit und Beziehung auf Gleichberechtigung basiert.

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2. Der Smalltalk kommt zuerst Die Geschäftspartner vor Ort wollen tatsächlich wissen, wie es Ihnen während des Tages ergangen ist.

Kennen Sie die Irritation, wenn Sie einen Kollegen auf der Bü-roetage treffen und dieser nach einem flüchtigen „Wie geht es Ihnen?“ tatsächlich stehen bleibt und sich ausführlich über das Befinden auslässt? Wenn das zutrifft, sind Sie wahrscheinlich kein Mittel- oder Osteuropäer. Es ist in der Tat so, dass Ost- und Mitteleuropäer während des Smalltalk sehr ausführlich werden.Die Wurzeln des Smalltalk liegen in der kommunistischen Ver-gangenheit und somit in der Aufteilung zwischen den Personen, die die Regierung unterstützten und denen, die der Opposition angehörten. Ein Informationsaustausch mit der „gegnerischen“ Seite konnte ernsthafte Konsequenzen haben, und daher wurde sorgfältig geprüft, ob die Person, mit der man Geschäfte machen wollte, auf derselben Seite wie man selbst stand. Das direkte Nachfragen war natürlich keine Option, und aus diesem Grund sprachen die Leute über allgemeine Themen und achteten sehr genau auf verbale und nonverbale Reaktionen. Beim heutigen Smalltalk ist es nicht anders. Schon ein einfaches Gespräch gibt Ihnen die Möglichkeit, einen ersten Eindruck zu hinterlassen und die Grundlage für den Ausbau einer Geschäftsbeziehung zu schaffen.

Betrachten Sie Personen aus Mittel- und Osteuropa (CEES) nicht als Querulanten oder Unzufriedene, wenn sie während eines Smalltalks, insbesondere mit engen Freunden oder Kolle-gen, auf negative Dinge, erlittene Schmerzen und Verluste oder schockierende Nachrichten zu sprechen kommen. Das ist Teil ihrer Mentalität, die sich historisch begründen lässt. Ihre Länder wurden häufig überfallen und das dadurch Erlebte ist entspre-chend negativ. Der Austausch dieser negativen Erinnerungen mit engen Freunden erleichtert jedoch das Leben.

Beim Besuch eines CEE-Landes sind Sie mit folgenden Small-talk-Themen auf der sicheren Seite: Wetter, Sportthemen und positive Bemerkungen über Infrastruktur, Landschaft und Stadt. Vermeiden Sie Gespräche über geschäftliche Themen, Geschichte, Religion, Politik und alle Themen rund ums Geld.

3. Nichts über die Köpfe der CEEs hinweg bestimmen! Das Zepter liegt jetzt in Ihren Händen ...

Der historische Kontext der West-Ost-Beziehung ist der Grund für den Minderwertigkeitskomplex. CEEs fühlen sich Personen aus dem Westen häufig unterlegen, widersprechen aber gleich-zeitig vehement solchen Aussagen, die die Überlegenheit des Westens bekräftigen. Diese paradoxe Haltung ist der Grund, warum CEEs auf autoritäres Verhalten extrem empfindlich re-agieren.

Hier ein Beispiel: Ein Kollege aus dem Westen trifft in der örtlichen Niederlassung ein und sagt: „Ich freue mich, Sie zu treffen. Ich habe unsere Meetings für die nächsten Tage schon geplant, wir können also gleich anfangen!“ Die enthusiastische Herangehensweise eines gut organisierten und zielorientierten Managers kann falsch aufgefasst und als autoritäres Verhalten wahrgenommen werden („Ich sage Ihnen jetzt mal, wann wir was zu welchem Zeitpunkt tun werden“).

Wenn Sie Ihre CEE-Geschäftspartner daher zum ersten Mal treffen, dann fragen Sie sie nach ihren Plänen anstatt sie mit Ihrer eigenen Agenda zu überfallen. Passen Sie sich zunächst den Gegebenheiten vor Ort an und erstellen Sie die für Ihren Aufenthalt geplante Agenda gemeinsam mit den Geschäftspart-nern vor Ort. Dies bedeutet auf keinen Fall, dass Sie von Ihren eigenen Plänen Abstand nehmen müssen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist vielmehr das richtige Wort zur richtigen Zeit. Insgesamt lautet die goldene Regel: Lassen Sie sie zuerst sprechen und gehen Sie dann entsprechend auf die Beiträge ein.

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Peter Gere ist Consultant und unterstützt internationale Klienten bei stra-tegischen HR- und HR-IT-Themen. Sein Fokus liegt an Kommunikation, Change Management & Unternehmenskultur.

Monika Kaczynska, Consultant, und unterstützt internationale Klienten mit ihrer Expertise in eSourcing-Strategien und -Methoden. Ihren Fokus legt sie auf die strategische Beschaffungsprozesse und IT-Systeme im Einkauf.

Agata Luniewska, Business Analyst, ist bei der Umsetzung der neuen Sourcing Suite der DTAG beteiligt und unterstützt internationale, strategische Aus-schreibungen.

4. Fragen und zurückfragen Auf diese Weise bekommen Sie weitaus mehr als nur Antworten.

Aus Sicht der CEEs steht der Westen mit den Zuschreibungen stärker, wohlhabender, höher entwickelt grundsätzlich im Mit-telpunkt des Interesses und hängt den Osten damit weit ab. Doch wenn man den CEE-Ländern, deren Kultur und Ge-schäftspraktiken mit Aufmerksamkeit und Interesse begegnet, führt das zumindest zu einem ersten guten Eindruck. Während des Smalltalks können Sie Sätze sagen wie „Das Wetter ist wirk-lich schön heute. Ist das hier immer so?“ oder „Ich würde gern die landesübliche Küche kennenlernen, während ich hier bin. Haben Sie eine Empfehlung für mich?“

Bei Ihrem Eintreffen ist es sehr wahrscheinlich, dass der CEE-Geschäftsparter Sie zuerst etwas fragt. Denken Sie in diesem Fall daran, ebenfalls eine Rückfrage zu stellen und damit den Fokus auf Ihren Geschäftspartner vor Ort zu lenken. Auf diese Weise zeigen Sie Ihren guten Willen und Ihre kooperative Einstellung.Die Regel des Fragens und Rückfragens muss sich nicht nur auf den Smalltalk begrenzen. Praktiziert im geschäftlichen Kontext können damit wichtige Informationen gewonnen werden. Sie werden erstaunt sein, welche Einblicke Sie durch einfaches Fra-gen erhalten. Hier ein Beispiel: Wenn Sie gefragt werden „Wie läuft das Projekt?“, dann können Sie antworten „Es gibt eini-ge Herausforderungen, aber wir kommen voran. Wie schätzen Sie den Projektfortschritt aus Ihrer Sicht ein? Welche Auswir-kungen ergeben sich hier für Ihr Unternehmen?” Wenn Sie zu-rückfragen, erhalten Sie eventuell wichtige Informationen, die weit über Ihre eigentliche Frage hinausgehen. Die Zeit, die Sie investieren, zahlt sich aus. Je mehr Hintergrundinformationen Sie erhalten, desto besser werden Sie Ihren Kunden verstehen können.

5. Seien Sie authentisch Verstellen Sie sich nicht ...

Wie bereits zuvor erwähnt, gibt es zwischen westlichen und östlichen Ländern Vertrauensprobleme. Allerdings gibt es auch viele westliche Eigenschaften, die CEEs schätzen, zum Beispiel Kompetenz, Pünktlichkeit, Präzision, stichhaltige Informatio-nen und Arbeitsqualität. Fügt man dem jetzt einige neue Eigen-schaften wie ehrlicher Smalltalk, Bescheidenheit, Offenheit und Interesse an den Mitarbeitern vor Ort hinzu, dann werden Sie für einen CEE-Kollegen zum perfekten Partner.

Der letzte Rat bezieht sich daher auf die Authentizität. Nicht die Nationalität – egal ob aus dem Westen oder Osten –, son-dern die Menschen und das respektvolle Miteinander stehen im Zentrum, und wenn das der vorherrschende Gedanke ist, lässt sich das zunächst Unüberbrückbare am besten überwinden.

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Spieltrieb motiviert digitales Lernen In Unternehmen und Bildungseinrichtungen sieht Thorsten Unger, Geschäfts-führer des Bundesverband der deutschen Games-Branche e.V. GAME ein großes Einsatzfeld für Serious Games. Über den Spieltrieb wird die intrinsische Lernmotivation aktiviert, was zu einem besseren Lernerfolg führt. Unternehmen können darüber hinaus Nutzerprofile für die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter einsetzen.

Interview mit Thorsten Unger, Unternehmer und Geschäftsführer des GAME Bundesverband der deutschen Games-Branche e.V.

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ten der Konsumenten gegenüber deutschen Produkten führt. Dabei ist Deutschland einer der größten Absatzmärkte mit einem aktuell geschätzten Marktvolumen von 3,8 Milliarden an Konsumentenausgaben. Wenn man allerdings die Produk-tionsseite betrachtet, schätzen wir den Umsatzbeitrag der deut-schen Games-Unternehmen auf etwa 1,2 bis 1,4 Milliarden am Weltmarkt. Bei einem Markt, der weltweit zu rund 80 Milliar-den tendiert, kann man nicht von einer volkswirtschaftlichen Glanzleistung sprechen.

DMR: Liegt das auch an der deutschen Gründerkultur?

T. Unger: Es sind viele Faktoren im Spiel: Erstens ist die be-grenzte Verfügbarkeit von Risikokapital ein ganz wesentlicher Punkt. Wir haben in Deutschland keine ausgeprägte Förder-landschaft für Games. Auch die „Digitale Agenda“ wird das nicht nachhaltig verändern. Zweitens sind Gründer in der Regel Kreative und oftmals keine Kaufleute. Deswegen liegt unter-durchschnittlich wenig betriebswirtschaftliches Know-how in der Gründerlandschaft für dieses Segment vor. Unternehmen, die eine gewisse Marktpräsenz erreichen, werden darüber hi-naus von internationalen Konzernen eher aufgekauft und nicht unbedingt weiterentwickelt. Das heißt, wir verlieren diejenigen als nationale Contentproduzenten, die sich über den Dunst-kreis emporheben und in die Visibilität geraten. Drittens ist der Markt an sich sehr kompliziert, weil die Losgröße in der Pro-duktion von großen Triple-A-Computerspielen in Deutschland eigentlich nicht abbildbar ist. Wir haben in Deutschland nur zwei bis drei Studios, die auf Weltmarktniveau Spiele produzie-ren können. Eines der großen Unternehmen ist beispielsweise

DMR: Herr Unger, was ist und macht der GAME Bundesverband?

T. Unger: Der GAME Bundesverband ist der mitgliederstärkste Verband der deutschen Games-Branche. Er verfügt über mehr als 100 Mitgliedsunternehmen und setzt sich aktiv mit den Rahmenbedingungen und der Wahrnehmung von Computer-spielen in der Gesellschaft auseinander. Der Verband vertritt die Interessen von Unternehmen, die Spiele entwickeln oder ver-markten, Spielkomponenten zuliefern oder Spiele in irgendei-ner Art und Weise erforschen beziehungsweise deren Techno-logien in anderen Umfeldern, wie etwa der Bildung, einsetzen. Das Portfolio umfasst damit nicht nur die klassische Entwick-lung. Unter unseren Mitgliedern befinden sich auch Unterneh-men aus angrenzenden Sektoren, etwa KPMG oder Brehm & v. Moers. Universitäten oder Bildungseinrichtungen sind ebenfalls willkommen.

DMR: Wie beurteilen Sie die Lage im deutschen Games-Markt?

T. Unger: Die hiesigen Anbieter sehen sich mit einer schwierigen Marktlage konfrontiert. Deutschland produziert schätzungswei-se 1,2 bis 1,5 Prozent des am Weltmarkt bei Computerspielen gehandelten Marktvolumens. Das ist unterproportional und hat seine Gründe: Es hat etwas mit der Größe des Binnenmarktes zu tun, ist aber auch durch eine stark angelsächsisch geprägte Absatzmarktkultur bedingt, ähnlich wie in der Filmindustrie. Action- oder Fantasy-Filme aus Deutschland haben im Markt einen ebenso schlechten Stand wie Spiele des gleichen Genres, die hier entwickelt wurden. Der Konsument ist medial stark in Richtung USA und UK sozialisiert, was zu gewissen Vorbehal-

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Crytek aus Frankfurt, das andere Yager in Berlin. Unternehmen dieser Größe sind in Deutschland die Ausnahme. Der GAME versteht sich daher wie eine Art Think Tank. Wir haben sehr engagierte, erfahrene und reputatable Mitglieder. Die Kompe-tenz ist da, und wir haben Arbeitskreise, die diese Kompetenz kanalisieren.

DMR: Gaming kennt man ja primär aus dem privaten Umfeld. Können Sie den Bezug zwischen Games und Business-Bereich aus Ihrer Sichtweise genauer erläutern?

T. Unger: Spiele sind eine Technologie. Sie bestehen aus Pro-grammelementen, die in verschiedenen Kontexten einsetzbar sind, beispielsweise die Simulationstechnologie. Ein Flugsimu-lator ist nichts anderes als die Abbildung eines Systems unter Gewinn- und Verlustbedingungen. Weiterhin werden Spiele heute zum Beispiel im Health-Care-Bereich eingesetzt, wo sie zur Rehabilitation von Patienten Bewegungsabläufe immer wie-der nachahmen. Das System bewertet die Qualität dieses Nach-ahmens unter Gewinn- und Verlustbedingungen, in dem es die Abweichung von der Idealausführung ins Verhältnis gesetzt.

In der Bildungsdiskussion zum Schulunterrichtet folgen viele Menschen der Aussage von Richard David Precht, der den „Nürnberger Trichter“, die frontale Konfrontation von Proban-den mit dem Ziel der Wissensvermittlung, als eine der schlech-teren Lernformen beschreibt. Alternativ sollte man den Schü-lern eher Aufgaben geben, die sie bewältigen müssen, indem sie auf der Basis von Informationen eigene Lösungswege ent-decken. Die Findung sollte unterstützt, aber nicht vorgegeben sein. Spiele machen genau das. Wenn man den MINT-Bereich betrachtet, dann lässt sich dies im spielerischen Sinne mit „in-teractive Whiteboards“ sehr gut darstellen, indem man über Versuch und Irrtum seine eigenen Erfahrungen macht.

DMR: Ist das eine Möglichkeit, Games in das Thema „Lernen in der Schule“ einzubringen?

T. Unger: Absolut! Das derzeitige System kontakariert die Kre-ativität und die Freiheit im Denken. Denn wer kann sich selbst verwirklichen, wenn er zu stark reglementiert ist? Sowohl der Geschäftsführer von Amazon als auch die beiden Gründungs-mitglieder von Google waren „Montessori“-Schüler. Wenn man sich dies vergegenwärtigt, dann erklärt das, wie diese Leute heu-te mit Niederlagen, mit Scheitern und mit Fragen umgehen. Sicherlich ist es eine große Herausforderung, wenn man hun-derte Schüler mit einem gewissen Lernstand auszustatten hat. Es ist eine logistische Herausforderung. Aber das bestehende

Lern system appelliert nicht an die intrinsische Motivation. Und darin liegt das Problem.

DMR: Also frei nach Ken Robinson “School is killing Creativity”?

T. Unger: Das ist nachweisbar. Deswegen finde ich den Satz auch treffend. Es lässt sich zum Beispiel auch über die Kenn-zahl des divergierenden Denkens abbilden. Ein nicht im tra-ditionellen Schulbetrieb integriertes Kind kann deutlich mehr Ideen produzieren als es mit Abschluss einer Schulausbildung der Fall ist. Dieser Trend ist über die Anzahl an Schuljahren signifikant abnehmend. Daran geknüpft ist der abnehmende Spieltrieb. Wenn wir auf die Welt kommen, können wir nichts außer interagieren und durch Versuche und Irrtümer herauszu-finden, welche Erkenntnisse wir daraus für unsere weitere Ent-wicklung gewinnen. Sobald wir sprechen gelernt haben, stellen wir Fragen. Wenn wir in die Schule kommen, stellen uns andere Menschen Fragen. Es scheint, als verlernt man damit die Fähig-keit, selbst Fragen zu stellen. Es wird eine Sozialisierung vorge-nommen, die das eigene Denken eher erschwert. Dazu kommen noch gruppendynamische Prozesse zum Tragen. Beispielsweise möchte man sich nicht blamieren und in der Gesellschaft eine akzeptierte Rolle spielen. Es besteht durchaus ein Zusammen-hang, dass im gegebenen Schulmodell die Kreativität zu Lasten der Linearität oder Konformität geopfert wird.

DMR: In Deutschland haben wir generell eher ein Problem mit der Innovationsfähigkeit. Thomas Sattelberger sagte uns in einem Interview: „Wir können zwar effizient, aber nicht innovativ“. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

T. Unger: Die Freiheit des Geistes ist die Grundlage für Kreati-vität. Und Kreativität ist die Grundlage für Innovation. Wobei Innovation im engeren Sinne eine Rekombination von Beste-hendem ist. Fast alle Innovationen von heute basieren auf dem Weiterdenken oder Übertragen von bestehenden Systemen auf andere Anwendungsszenarien. Wenn man das akzeptiert, dann baut man eine Freiheit im Geiste auf. Es gibt Kreativitätstech-niken wie Design Thinking oder Gamestorming, die den spiele-rischen Moment heranziehen, um sich aus den Paradigmen zu lösen. Das halte ich für hochinteressant. Deswegen glaube ich, dass Herr Sattelberger recht hat, wenn er sagt, dass wir effizient können, aber nicht innovativ. Und das können wir nur verän-dern, indem wir mit bestehenden Traditionen brechen. Daher sind Formate wie Bar Camps toll. Menschen kommen dort frei von Konventionen zusammen, ohne zu wissen, was sie an dem Tag erwarten. Sie diskutieren und können ihre Meinung frei äußern. Das ist eine sehr intelligente Form der Konferenzge-staltung, da die Inhalte durch die Community getrieben und

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damit akzeptiert sind. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Benchmarking der Bedarfssituation direkt aus der Teilnehmer-schaft. Es ist letztlich so, dass sich keiner auf irgendein Thema einstellen kann, dann aber situativ entscheiden muss, was er als nächstes macht. Konzepte wie diese kommen augenfälliger Weise meist nicht aus Deutschland – im Land der Dichter und Denker wurden Bereiche der Innovation vernachlässigt und vieles durch Disziplin geschafft und erforscht. Was die Deut-schen aber auch heute gut können, ist die Weiterentwicklung und Erforschung bestehender Ansätze. Gibt man uns aber nur ein weißes Blatt, sind uns viele Länder heute buchstäblich eine Idee voraus.

DMR: Wie können „Gamification“ und „Serious Gaming“ im Business-Umfeld helfen? Vielleicht geben Sie uns vorab eine Be-griffsabgrenzung.

T. Unger: Bei Serious Gaming sprechen wir von konkreten An-wendungen, die Regelwerke abbilden, deren Befolgung oder Nicht-Befolgung zu einem bestimmten Ergebnis führt. Das ist bei jedem Spiel so, aber bei Serious Games wird relevantes Wis-sen in den Kontext der spielerischen Situation gebracht. Das bedeutet – und das ist eine berechtigte Kritik an vielen Anwen-dungen –, dass ein Konstruktionsfehler im Konzept des Spiels vorliegt, wenn es nicht gelingt, unmittelbar den spielerischen Erfolg von der Anwendung des Wissens abhängig zu machen. Als Lerntool ist Serious Gaming sehr hilfreich. Das Beispiel „Planspiel“ ist ja auch hinreichend akzeptiert. Marktmodelle kann man gut über spielerische Anwendungen abbilden. Bei Simulationen wird es grenzwertig – je spielerischer es wird, desto kritischer könnte man es wahrnehmen. Ich habe für eine Reihe größerer Konzerne solche Projekte realisiert und kann aus eigener Erfahrung berichten. Storytelling als Stilmittel in der Informationsvermittlung ist heute ein durchaus akzeptiertes In-strument. Und Interactive Storytelling ist nur die konsequente Fortführung von Geschichten erzählen und der Möglichkeit, diese Geschichte aktiv beeinflussen zu können. Wir sprechen also von ganzheitlichen Lernmedien.

Dagegen abzugrenzen ist „Game-based Learning“, das Elemente des Spiels zur Anreicherung von klassischen Lernmedien heran-zieht. Gamification ist eher eine Philosophie als konkretes Soft-wareprojekt. Wir sprechen nicht von Software, sondern von der prozessualen Betrachtung. Es geht um die zentrale Frage, wie man spielerische Motivationselemente innerhalb eines Prozesses verankern kann. Dafür ist es hilfreich, zu wissen, warum Spiele funktionieren. Mit diesem Wissen kann man dann die einzel-nen Wirkungsmechanismen mit entsprechenden Konzepten adressieren – Selbstverwirklichungstrieb, Belohnung, Ehrgeiz.

Gamification kann man auch als Verstärker verstehen. Men-schen haben ein gewisses Setting. Sie „funktionieren“ auf die ein oder andere Weise. Gamification unterstreicht die persön-liche Motivation und schafft auf diesem Wege Identifikation. Das führt zu einem gemeinsamen Problem, welches sowohl Serious Games als auch Gamification haben: die Herausfor-derung. Sie können aus einem Metzger keinen Profi-Monteur von Fahrzeugtechnik machen, wenn er nicht dazu bereit ist. Gamification hat zudem auch einen manipulativen Charakter, es funktioniert nicht viel anders als Propaganda oder Nudging. Wir reden hier immer über das Steuern von Motivation zur Er-reichung eines externen Ziels. Es ist ja nicht immer mein Ziel, das ich da verfolge…

DMR: …sondern das der Firma. Im Kontext Performance Ma-nagement macht das Leistungsbeurteilungssystem genau das gleiche – nur weniger flexibel.

T. Unger: Genau. Es gibt ja auch Leute, die behaupten, Lob sei per se eine Manipulation. Wenn ich jemanden lobe, dann beglückwünsche ich ihn zu einer nach meinen Erwägungen po-sitive Sache. So wie bei der Verkaufspsychologie handelt es sich um eine Ökonomie, die dahinter steckt. Wir wollen ein Ziel erreichen. Bei Gamification stellt man noch stärker darauf ab, dass sich der Spieler mit dem Ziel identifiziert. Dies kann reali-siert werden, indem man eine Aufgabe auf eine gesamte Gruppe bezieht. Diese identifiziert sich mit der Aufgabe im Sinne des Wettbewerbsgedankens und darüber identifiziert sich auch der Einzelne. Das erfolgreichste Computerspiel der letzten Jahre im deutschen Gamesmarkt ist der Landwirtschaftssimulator. Es erzielt einen sechsstelligen Umsatz im Jahr. Warum ist das so? Die Menschen haben eine gewisse Ambition, etwas zu schaffen, etwas zu gestalten, und das machen sie offensichtlich ganz gerne mit dem Traktor auf dem Feld. Dahinter steht die Sehnsucht nach einem völlig anderen Lebensentwurf als dem, den man im wahren Leben hat. Das Spiel realisiert eine Identifikation mit der Zielgruppe, welche gerne in eine aktive Rolle hineinschlüp-fen, nämlich in die eines Landwirtes. Auf Gamification und Serious Games bezogen beschreibt dies die Aufgabe, etwas zu schaffen, das im beruflichen Kontext eine hohe Identifikation zu dem Thema herstellt. Das ist die Herausforderung, der man sich stellen muss.

DMR: Beispiel: Um den Austausch von Informationen oder Know-how innerhalb des Unternehmens in irgendeiner Form zu fördern, belohnt man über ein Punkte- oder Bonussystem, wenn ein Mitar-beiter etwas auf einer Plattform einstellt. Er bekommt zum Beispiel Credit Points und wenn diese sich angesammelt haben, kann er sich davon ein Training buchen. Das würde doch in die Richtung gehen?

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Thorsten Unger ist Geschäftsführer des Bundesverbands der

deutschen Games-Branche e.V. GAME.

Als Experte für Serious Games entwickelte er

viele, preisgekrönte Projekte dieses Genres und beschäftigt sich in

zahlreichen Fach bei-trägen, Interviews sowie

öffentlichen Diskussionen mit dem Potenzial von Games und deren kul-

tureller und innovations-seitiger Bedeutung. Er ist Gesellschafter von IJsfontein Interactive Media, Gründer des Experten netzwerkes

Wegesrand sowie nach dem Verkauf seines

Unternehmens Zone 2 Connect auch Grün-

dungsgesellschafter von Target Games, einem

Accelerator, welcher viel-versprechende Entwick-lungsstudios identifiziert

und unterstützt.

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T. Unger: Das ist keine Belohnung für das, was der Mitarbeiter im Moment tut, sondern eine Visualisierung, dass er etwas ge-tan hat. Das ist ein kleiner Unterschied. Man muss sich das im Prozess ansehen. Mit einem Wikinomics-Ansatz im Projekt wird beispielsweise verfolgt, das Wissen geteilt wird. Der Anwender erhält unmittelbar etwas zurück. Der Anwender schreibt in die-sem Moment nicht, weil er muss, sondern weil er sich für das Thema interessiert und in diesem Moment etwas dazu beitragen möchte. Diese Punkte, die er damit sammelt, sind für den Ein-zelvorgang nicht maßgeblich. Das, was man aber darüber errei-chen kann, ist eine Art grafische Auflösung des Engagements. Das größte Problem von Mitarbeitern im Unternehmen ist die fehlende Selbstwirksamkeit. Menschen streben letztlich danach, etwas zu schaffen, was von Dauer ist, andernfalls erscheint es als irrsinnig. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, sich über die Aufgabe zu motivieren. Oder man motiviert sich darüber, wie man einen Ablauf so gestaltet, dass man ihn für sich persönlich perfektioniert, um darüber seine Selbstwirksamkeit zu erhö-hen. Aber die Arbeitskraft wird nicht dadurch produktiver, dass ihm dafür Punkte vergeben werden. Deswegen glaube ich auch nicht, dass alleine das Vergeben von Rabattmärkchen irgendeine Art von intrinsischer Lernmotivation nach sich zieht.

DMR: Beim Spiel kann ich aber erfassen, wie der Anwender spielt und was er macht?

T. Unger: Richtig, und zwar zwangsläufig. Ich kann nicht nur erfassen, was er spielt, sondern ich kann auch erfassen, wie er spielt. Und da sind wir bei „Learning Analytics“. Hier geht es um die Bewertung des Lernverhaltens, zumeist erfasst über Kompetenzprofile. Durch spielerische Momente wird es mög-lich, Situationen zu schaffen, in denen sich der Anwender auf die Situation einlässt, ohne darüber nachzudenken, dass er letzt-endlich in einer Prüfungssituation ist. Dieses Nutzerverhalten kann über Fragen nach dem „wie“ und „auf welche Weise“ sich der Nutzer verhält analysiert werden. Das alles kann man erfas-sen und erhält dadurch ein Kompetenzprofil. Man könnte auch durch Handeln innerhalb einer Situation Defizite in einem bestimmten Bereich erfassen. Diese Daten lassen in gewissem Maße Interpretationen zu. Und darum geht es bei „Learning Analytics“. Weiter gedacht führt dies zu der Frage, wie Unter-

nehmen Mitarbeiter auf Basis des Nutzerprofils weiterentwi-ckeln können.

Damit kommen wir zum „Adaptive Learning“. Hier geht es um die Adaption des Lernstoffs auf der Basis von Erkenntnis-sen. Historisch gesehen denken wir in Curricula. Ein statisches Curriculum ist eigentlich aber schon insoweit Ausdruck von Ineffizienz, als dass jeder unabhängig von seinen persönlichen Fähigkeiten und Vorkenntnissen dieses durchlaufen soll. Im Schulsystem beispielsweise richtet sich die Vermittlung des Stoffs immer nach dem Bildungsschwächsten – das wiederrum verlangsamt die Entwicklung derer, die in bestimmten Themen weiter sind. Gefragt wäre folgerichtig auch im Schulsystem ein hochgradig dynamisches Lernen. Das ist im normalen Klas-senverband natürlich nicht darstellbar. Die „Quest School“ in den USA, New York, schneidet beispielsweise in den nationalen Benchmarktests überdurchschnittlich gut ab. Sie hat jedoch keine klassischen Klassen. Die Schüler erhalten Aufgaben, die sie durch Spieltrieb und Phantasie bewerkstelligen müssen. Die Lehrer sind eher Coaches und helfen, die Lösung müssen die Schüler selbst erarbeiten. Zur wirtschaftlichen Dimension: Es gibt Studien, die den Markt für den Einsatz von Gaming-Tech-nologien im Vergleich zum klassischen Unterhaltungssoftware-markt ähnlich groß sehen. Man geht davon aus, dass bis 2020 nahezu jedes größere Unternehmen mit Gamification-Prozessen zu tun haben wird.

DMR: Können Sie ein paar gezielte Beispiele für Serious Gaming und Gamification Ansätze aufzeigen, die Sie bereits mit entwickeln konnten, um das Ganze etwas greifbarer zu machen?

T. Unger: „TechForce“ ist ein schönes Beispiel zum Stichwort Serious Gaming. Dies ist eine interaktive Geschichte, in der es darum geht, jungen Menschen die Metall- und Elektroindus-trie sowie deren Beschäftigungsangebote nahezubringen. Dies erfolgt, indem die Anwender einen Gleiter bauen. Und dieser Gleiter besteht aus verschiedenen Baugruppen, die repräsenta-tiv für die Metall- und Elektroindustrie sind. Der Anwender muss beispielsweise eine Schaltung aufsetzen, einen Sensor pro-grammieren oder ein Bauteil mit einer CNC-Fräse zuschneiden. Man baut einen Gleiter, der letztendlich auch geflogen werden

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kann. Eigentlich ist es aber eine Art Assessment für potenziell geeignete Kandidaten mit der Fragestellung „Wie kann ich die-se Menschen für die Branche interessieren“. In einem anderen Projekt mit dem Namen „Craft“ wird das Lernen an Maschinen spielend einfach, indem prozessuales Wissen vermittelt wird. Hier wird ein Curricula angeboten, welches einen Maschinen-park abbildet. Nebenbei werden Bauteile für eine Achterbahn hergestellt, die der Anwender im Anschluss selbst konstruieren und fahren lassen kann. Die angewendete Didaktik ist sehr vor-teilhaft, um Grundlagen für die Ausbildung an der Maschine zu legen.

Bei Gamification ist ein Projekt hervorzuheben, das aus Sicht des Aufgabenstellers sehr gelungen ist. Das Projekt nennt sich „Mein Burger“ und wird in einem gewissen Turnus von Mc-Donalds veröffentlicht. Ich halte es für sehr gelungen, weil es eine Art Spielplatz ist – ich kann mich mit diesem Burger-Kon-figurator auseinandersetzen und meiner Phantasie freien Lauf lassen. Das hat viel mit Selbstverwirklichung zu tun. Dahinter steckt aber letztlich ein Marktforschungsinstrument. Die Men-schen wollen im Mittelpunkt stehen, sie wollen sich repräsen-tieren, sie wollen produzieren, sie wollen vielleicht auch etwas Lustiges beitragen. Deshalb werden auch einige Burger dabei sein, die man unmöglich essen kann. Aber grundsätzlich wird hier erst mal ein Spieltrieb bedient – freies Gestalten, machen, was man will, Selbstverwirklichung, Wettbewerbsgedanken und Ehrgeiz, den besten Burger zu bauen. Am Ende des Tages ha-ben wir aber eine Big-Data-Anwendung, die auf regiospezifische Gegebenheiten indirekt eingeht, ohne dass die Probanden es wollen. Denn garantiert wird der Schweizer Hüttenkäse in Süd-deutschland stärker frequentiert und die Jalapenos in Regionen, die bevorzugt in Spanien Urlaub machen. Da gibt es Korrela-tionen, so dass man dieses Tool letztendlich nutzen kann, um die Produktplanung für die Zukunft zu gestalten. Das sind sehr sinnvolle Szenarien. Gamification kann letztendlich, da es sich loslöst von der konkreten Aufgabenstellung, einen Indikator dafür liefern, was die Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten für Einsatzmöglichkeiten haben. Es gibt da diesen Satz: „Wenn du wirklich jemanden kennenlernen willst, dann geh‘ mit ihm auf den Sportplatz“. Da ist viel dran.

DMR: Schauen wir mal auf Leadership-Prinzipien oder Guiding Principles: Sind das Anwendungsfälle, um ein Thema zu konkre-tisieren, indem ich Verhaltensweisen simuliere und schaue, wie die entsprechenden Personen reagieren?

T. Unger: Absolut! Da geht es vorrangig um Softskills. Ich glau-be, wir müssen Gamification ein Stück weit als Möglichkeit verstehen, der wahren Persönlichkeit des Einzelnen Ausdruck zu verleihen. Wenn ich Möglichkeiten des eigenen Ausdrucks zulasse, dann fördern diese ja im Zweifel auch zu Tage, was ich gar nicht kundtun will. Deswegen wird es viele Kritiker zu Ga-mification geben. Wenn ich aber grundsätzlich nicht zulasse, dass jeder Mensch verschieden ist und unterschiedliche Ansätze wählt, dann haben wir wieder dieses deutsche Problem, dass wir eine Kultur des Scheiterns vermeiden. Die Akzeptanz von Ga-mification ist von Kritikern in Frage gestellt – obwohl es keiner sagt –, weil es offene Manipulation ist. Es gibt diese Denke, dass Gamification die Herbeiführung eines gewünschten Nutzerver-haltens ist. Wenn ich das mal böse formuliere, heißt das nichts anderes als Manipulation. Versuche ich es positiv zu formulie-ren, sage ich: Jeder ist erst mal frei in seiner Entscheidung.

Gamification kann zum Beispiel im Finanzsektor KPI-gesteuert sehr gut funktionieren. Es gibt viele Leute, die sich über Kenn-zahlen motivieren lassen und ein großes Interesse für den ROI des Unternehmens aufbringen. Andere interessiert dies mögli-cherweise überhaupt nicht. Das Interessante bei Gamification im Sinne der Selbstfindungssicht ist, dass die Persönlichkeit unterstrichen wird. Wir können keinen dazu bringen, etwas zu tun, was er nicht will. Der Grad des Widerstandes bei Gami-fication drückt also aus, wie stark er auf eine Stelle passt oder nicht – zumindest, wenn das Gamification-System, was dahin-ter liegt, korrekt ist.

DMR: Durch Gamification kommt man also dichter an die Per-sönlichkeit heran als durch ein normales Bewerbungsgespräch, in dem sich jemand im Zweifelsfall verstellen kann?

T. Unger: Exakt. Und es wird unglaublich viel Geld ausgegeben für Mimik- und Resonanztraining, um die wahren Beweggrün-de herauszufinden, warum jemand etwas macht. Wenn wir das Thema Gaming richtig spielen – im wahrsten Sinne des Wortes – werden wir sehr viel über die Menschen herausbekommen.

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DMR: Was macht ein gutes Spiel aus?

T. Unger: Letztendlich ist es die Möglichkeit, etwas nach den ei-genen Präferenzen gestalten zu können. Dazu gehört unbedingt die Identifikation mit dem Spiel. Das ist in einem gewissen Maße über geschicktes Heranführen des Spielers, zum Beispiel über Tutorials, zu leisten. Aber wenn sich jemand partout nicht für Fische interessiert, wird es ganz schwierig, ihm ein Fische-Spiel nahezubringen. Trotzdem ist das Tutorial oder die Einfüh-rung von ganz entscheidender Bedeutung. Das ist bei allem, was wir lernen, so: Wenn es nicht gelingt, eine Grundmotivation zu erreichen, dann wird es schwierig. Ein Spiel funktioniert dann besonders gut, wenn es wie eine Art Werkzeugkasten verstanden wird, um dem Spielziel auf eine wie auch immer geartete Art und Weise näherzukommen. Diese muss die Freiheit des Spiels unterstützen. Wenn man zum Beispiel mit einem Editor einen Spielplatz bauen soll, dann darf dieser Editor den Spieler nicht in seiner Kreativität einschränken. Und dann muss ich Publika-tionsmöglichkeiten schaffen, um anderen darüber zu berichten. Leistung wiederum muss man dann in ein faires Bewertungssy-stem übertragen, damit ich die Vergleichbarkeit zum Anderen herstellen kann.

DMR: Kann man die Herausforderungen so schaffen, dass sie sich über einen gewissen Zeitraum steigert?

T. Unger: Das nennen wir Flow-Effekt: Ich schaffe einen Kor-ridor zwischen Über- und Unterforderung. Und beim Spielen gilt: Jedes Spiel muss erst erlernt werden. Das löst ja per se den Widerspruch zwischen Spielen und Bildung auf. Es gibt eine niederländische Unternehmensberatung, die in die Unterneh-men hineingeht und jede Kundensituation als Spiel versteht. Das ist ein interessanter Ansatz. Beispielsweise könnte das Spiel eines Kunden die Herstellung von Schuhen sein. Das Spiel wird dann weiter herunter gebrochen: Wer sind die Gegenspieler? Das sind beispielsweise andere Schuhfirmen. Dann haben wir ein Marktmodell. Wie lassen sich die Produktionsschritte spie-lerisch erfassen? Was bedeutet das für die Supply Chain des Un-ternehmens? Ein mögliches Spiel könnte sein, die günstigsten Lieferanten für qualitativ hochwertige Sohlen zu finden. Die Subspiele ergeben dann das Zusammenspiel. Das ist nichts an-deres als das, was eine klassische Unternehmensberatung auch machen würde, es ist nur eine philosophische Betrachtung des

ganzen. Und mit einem erfolgreichen Spiel – oder Unterneh-men – identifiziert sich die Belegschaft maximal. Dann ist schon mal sehr viel Grundmotivation da, erfolgreicher zu werden und das Geschäft zu optimieren. Übrigens gibt es eine vollständige Korrelation zur Unzufriedenheit im Bildungssystem hin zur Mitarbeitermotivation. Laut einer wiederkehrenden Studie von Gallup gehen lediglich 15 Prozent der Menschen zufrieden durch ihren Berufsalltag. Und dann reden wir über Burn-out und andere Zivilisationskrankheiten. Das erschließt sich mir nicht, aber ich bin auch in einer anderen Rolle. Ich war früher Beteiligungs-Controller und habe irgendwann festgestellt, dass ich mit diesem starren System nicht mehr im Einklang bin. Ich habe dann für mich einfach andere Lösungen gefunden.

DMR: Was auch unsere letzte Frage bezüglich Ihrer Begeisterung für das Thema auf persönlicher Ebene beantwortet hätte ...

T. Unger: Ich bin jemand, der ganz schlecht den Status Quo akzeptieren will. Für mich ist Veränderung das Hinwirken auf einen anderen Zustand. Und wenn ich das für mich vergegen-wärtige, dann kann ich mit Passivität ganz schlecht umgehen. Ich suche Herausforderungen und will an deren Bewältigung wachsen. Deswegen ist Gamification und Serious Gaming eines der dankbarsten Themen für mich, mit denen ich mich gerne beschäftige.

Das Interview führten Marc Wagner und Stefan Nanzig.

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Das Detecon-Vorgehensmodell mit Elementen aus der agilen Software-Entwicklung sicherte die effiziente Implementierung und Akzeptanz der Fachseiten für

die Neuimplementierung. Durch tatsächlich realisiertes Retirement-Budget wurden Mittel für die Neuimplementierung

frei und auf Dauer Kosten eingespart.

Implementierung eines integrierten Skill- und Ressourcenmanagement Tools

Agiles und konventionelles Projektmanagement erfolgreich kombiniert

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ie Ablösung in die Jahre gekommener IT-Tools ist ein übliches Business Szenario in Unternehmen. Oftmals eigenpro-grammierte Lösungen werden durch äquivalente Software eines externen Anbieters abgelöst. Im Rahmen eines von Detecon unterstützten Projekts wurde ein Vorgehensmodell angewendet, das Elemente aus Wasserfallmodell und SCRUM integrierte. Warum dieses besondere Vorgehen für den Projekterfolg wich-tig war, wird im Folgenden aufgezeigt.

Rahmenbedingungen

Im konkreten Fall war eine über viele Jahre eigenentwickelte und fortwährend um weitere Funktionalitäten erweiterte Lösung für das weltweite Skill- und Ressourcenmanagement durch eine kostengünstigere Standardsoftware eines externen Anbieters abzulösen. Die Herausforderung bestand darin, den gewohnten Funktionsumfang zusammen mit weiteren state-of-the-art Zusatzfunktionen wie dem kollaborativen Skill-Ka-talogmanagement in einer Standard-Software (Standard-SW) abzubilden. Der Anspruch an die zu erwerbende Standard-SW lag folglich in einer möglichst umfassenden Abdeckung dieses Funktionsumfangs im Standard. Alle nicht im Standard enthal-tenen Funktionalitäten sollten durch kundenspezifische Erwei-

D

1 Request for information2 Request for proposal3 Proof of concept

terungen ergänzt werden können. Die dadurch erreichte Akzep-tanz bei den Nutzern des Systems garantiert die Realisierung von Einsparpotenzialen bei der termingerechten Abschaltung des Legacy-Systems.

Vorgehensmodell

Der dreistufige Auswahlprozess – RfI1 , RfP2 und PoC3 – wurde unter Beteiligung der Fachseiten durchgeführt. Hervorzuheben ist die frühe Einbindung des Einkaufs, die sich insbesondere bei der späteren Intervention eines namhaften SW-Herstellers gegen die Auswahlentscheidung als hilfreich erweisen sollte. Ebenso wichtig zeigte sich die frühzeitige Information des Sozial partners über das Ablösevorhaben.

Die Wahl des Vorgehensmodells fiel auf eine Kombination aus klassischem Wasserfallmodell und SCRUM. Zur besseren Ver-anschaulichung stellt die Tabelle beide Vorgehensmodelle am konkreten Beispiel gegenüber.

Um die Abbildung bereits vorhandener Kernprozesse des Skill- und Ressourcenmanagements in der neuen SW sicherzustel-len, wurden dem SW-Hersteller entsprechende Dokumente

Quelle: Detecon

Tabelle: Gegenüberstellung der Vorgehensmodelle am Beispiel der Ablösung einer eigenentwickelten Software durch eine Standard-SW

WASSERFALLMODELL SCRUM

Merkmale

Fachkonzept liegt vor (Update bzw. Vollständigkeitsprüfung des Fachkonzepts).

Zielbild des Product Owners bestimmt grundlegende Funktionali-täten – eine detaillierte Beschreibung liegt nicht vor.

Vertragliche Basis definiert Funktionalitäten en Detail zwischen den beiden Vertragspartnern.

Vertragliche Basis definiert Grundfunktionen des Endprodukts. Detaillierte Lösungen werden dem Scrum-Team überlassen.

Vorteile

Bewährtes Vorgehensmodell. Implementierung von Funktionalitäten auch ohne detailliertes Fachkonzept möglich. Einarbeitung von Changes bei Bedarf.

Vertragliche und inhaltliche Sicherheit. Lösung technischer Herausforderungen vor Ort und im Team.

Hohe Akzeptanz sowohl auf IT- wie auf Fachseite. Hohes Maß an Flexibilität (agiles Verfahren).

Nachteile

Detaillierte Beschreibung der Anforderungen verursacht einen hohen Dokumentationsaufwand.

Vertragliche Ausgestaltung in Großkonzernen schwierig, da detaillierte Abnahmekriterien nicht vorhanden sind. Deshalb ist eine Vertrauensbasis beider Vertragspartner essentiell.

Mangelnde Flexibilität bei kurzfristigen Änderungen.

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übergeben, diese in Workshops mit den Fachseiten ausführlich erläutert, Abbildungsvarianten diskutiert und fachliche An-forderungen dokumentiert und vertraglich festgehalten. Im Falle gewünschter Zusatzfunktionen verzichtete man auf eine ausführliche Dokumentation (Fachkonzept) im ersten Schritt. Vielmehr wurden Anforderungen ausgewählter Kernfunktiona-litäten lediglich grob beschrieben und in Workshops diskutiert. Durch den Abgleich vorhandener Kernprozesse/gewünschter Zusatzfunktionen mit dem Funktionsumfang der SW-Software konnten White Spots der Software identifiziert und der Bedarf an kundenspezifischen Erweiterungen ermittelt werden. Allen

kundenspezifischen Erweiterungen lag somit entweder ein dezi-diertes Fachkonzept oder die Beschreibung von Kernfunktiona-litäten zu Grunde. Gerade für den zuletzt genannten Teil wurde in enger Kooperation mit dem SW-Anbieter das Vorgehensmo-dell nach SCRUM gewählt. Der SW-Hersteller wurde gebeten, eigenständig eine Lösung zu entwickeln (Fast Prototyping) und den Fachseiten vorzustellen, zum Beispiel die Ergebnisanzeige einer Ressourcensuche. Anschließend erfolgten die Prüfung der Ergebnisse sowie die Abnahme als Inkrement. In einigen Fäl-len wurde ein weiterer Durchgang absolviert. Die nachstehende Abbildung fasst das gewählte Vorgehensmodell zusammen.

Quelle: Detecon

Abbildung: Detecon-Vorgehensmodell aus Wasserfallmodell und SCRUM-Elementen

• Standard Detaillierte Beschreibung des Funktions- umfangs

• Kunden- spezifische Erweiterungen Grobe Beschreibung der Zusatz- funktionen

• Standard Kofiguration nach Vorgaben

• Kunden- spezifische Erweiterungen SCRUM

• Funktiontests• Migrationstests• Integrationstests• Performance- tests

• Rfl• RfP• PoC

• Vorhandener Funktions- umfang

• Gewünschte Zusatz- funktionen

Ergebnisse:

1. Passung zwischen Software und gewünschten Funktionsumfang • Standard Software erfüllt Funktions- umfang im Standard • Kundenspezifische Erweiterungen Programmierung der Software nach Kundenwunsch

2. Entscheidung für Softwareanbieter

• 1 zu 1 Migration von Skillprofilen der Mitarbeiter und Erstellung des Skillkatalogs

Funktions-umfang

Angebots-prozess

Fachkonzept Realisierung Testing Migration Go live

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Bewertung

Das im Kontext kundenspezifischer Erweiterungen aus SC-RUM entliehene Vorgehenselement hatte für das Projekt fol-gende Vorteile:

1. Durch die grobe Vorgabe gewünschter Zusatzfunktionen (kundenspezifisch) konnte der SW-Hersteller seine ganze Erfahrung und Kreativität zur Entwicklung einer praxisgerechten Lösung einsetzten.

2. Es wurde vermieden, am tatsächlichen Bedarf vorbei zu realisieren.

3. Auf eine detaillierte und zeitraubende Anforderungs- beschreibung der fachlichen Details konnte in der Fach- konzeptphase verzichtet werden.

4. Anhand der vorgestellten Lösung (des SW-Anbieters) konnte in den Fachbereichen zielorientierter an der Lösung gearbeitet werden. Oftmals waren nur marginale Änderungen notwendig (weiterer Zyklus in SCRUM).

5. Insgesamt führte das gewählte Vorgehen zu einer erheblichen Kosten- und Zeitersparnis im Vergleich zu einem traditionellen Vorgehen (Wasserfallmodell).

Eine eingehende Testphase bestehend aus Funktions-, Migra-tions-, Last- und Integrationstest sowie dem gesonderten Ab-nahmetest stellten eine hohe Qualität der SW für den globalen Roll-out sicher. Den Belangen des Datenschutzes und der Da-tensicherheit wurde durch einen intensiven Austausch mit dem Datenschutzbeauftragten und einem detailliert dokumentierten Datenschutzkonzept Rechnung getragen. Der Sozialpartner wurde bewusst in der Anfangsphase des Projekts eingebunden. Dies legte den Grundstein für eine kooperative wie faire Ver-handlung einer neuen Betriebsvereinbarung. Das neue System unterstützt zwar die bekannten Prozesse in vollem Umfang, dies aber unter einer vollkommenen, vor allem userfreundlichen Oberfläche. Darauf bereiteten die intensive Projektkommunika-tion und die zeitnah zum Go-live durchgeführten, zielgruppen-spezifischen Trainingsmaßnahmen alle Mitarbeiter, Führungs-kräfte, Projektleiter und insbesondere die für das Kerngeschäft der Projektbesetzungen zuständigen Ressourcenmanager sowie des Anwendersupports vor.

Erfolgsfaktoren für vergleichbare Aufgabenstellungen:

1. Bewertung aller SW-Anbieter auf Basis einer umfassenden Marktanalyse.

2. Durchführung eines mehrstufigen Auswahlverfahrens bestehend aus RfI, RfP und PoC. Einplanung eines ausreichenden Zeitpuffers für Anbieterpräsentation und Fragesessions.

3. Aktive Einbindung des Einkaufs von Anfang an sicherstellen.

4. Vorausschauende Einbindung und laufende Information der Stakeholder.

5. Frühzeitige Vereinbarung eines Rahmens für die Verhandlungen mit dem Sozialpartner.

6. Begrenzung von Migrationsrisiken. 1:1 Migration von Skillprofilen der Mitarbeiter.

7. Bereinigung oder Überarbeitung des Skillkatalogs erst nach erfolgreicher Systemeinführung.

8. Sorgfältige Vorbereitung und Durchführung der Testphase unter Beteiligung der Fachseiten. Kein Verzicht auf Funk- tional-, Migrations-, Integrations- und Performancetests

9. Zielgruppenspezifische Projektkommunikation und Training der Systemanwender.

Zusammenfassung

Die kundenspezifische Erweiterung einer Standardsoftware in Anlehnung an SCRUM trug im vorliegenden Beispiel einen maßgeblichen Anteil am Projekterfolg bei. Ein Vorgehen rein nach dem klassischen Wasserfallmodell hätte zu lange gedau-ert, viel Abstimmungsaufwand mit der Fachseite erzeugt und viel Zeit für die Dokumentation detaillierter Anforderungen verbraucht. Aber auch das Customizing vorhandener Kern-prozesse ausschließlich unter der Anwendung von SCRUM er-schien nicht erfolgversprechend, so dass sich der hier gewählte Mittelweg – klassisches Vorgehen kombiniert mit Elementen aus SCRUM – als Königsweg erwies.

Matthias Groh ist Consultant im Beratungsbereich Deutsche Telekom mit den Themenschwerpunkten HR-Management und HR-IT.

Joachim Lang ist Managing Consultant mit den Beratungsschwerpunkten HR-Strategie, HR-Management und Geschäftsprozessoptimierung. Aktuell hat er die Einführung eines integrierten Skill- und Ressourcenmanagementsystems für 48.000 Mitarbeiter eines IT-Dienstleisters unterstützt.

Page 125: DMR TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT

Wie Unternehmen

an gesuchte Skills gelangen

und zukunftsfähig bleiben

Unternehmen befinden sich im Wettstreit um die besten Talente. Um im „War for Talents“ an die gesuchten Skills zu gelangen, ist eine neue, smarte Form von Recruiting notwendig. Denn Unternehmen können die Digitalisierung

der HR-Welt für sich nutzen und dadurch zukunftsfähig bleiben.

Smart Sourcing

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ie digitale Transformation der Arbeitswelt macht auch vor HR keinen Halt. Neue HR und Recruiting Trends erfordern von Personalabteilungen, sich neu zu definieren und neue Wege zu gehen. Waren Recruiter früher mit operativen und admini-strativen Tätigkeiten der Personalbeschaffung beschäftigt, ste-hen sie heute einem breiteren und komplexeren Aufgabenfeld gegenüber: Candidate Experience, Social Recruiting, Mobile Recruiting, Active Sourcing und Talent Analytics. Dies sind nur einige aktuelle Themen, die Unternehmen beherrschen müssen, um sich im Wettstreit um die besten Talente zu behaupten. Die digitale Transformation ist eine Herausforderung, die entweder das Bild eines Arbeitgebers negativ beeinflussen kann oder aber die Möglichkeit bietet, in einer zunehmend flexiblen Arbeits-welt die richtigen Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort einzusetzen. Um Möglichkeiten der Digitalisierung zu nut-zen, hat Detecon das Smart Sourcing Modell entwickelt.

Die Grundidee von Smart Sourcing

Die richtigen Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort einzusetzen, stellt in der Praxis eine große Herausforderung dar. Es wird immer schwieriger, flexibel auf die sich ständig än-dernden Marktanforderungen zu reagieren – egal ob Start-up

oder DAX 30 Konzern. Was Unternehmen oft übersehen oder nicht zu lösen wissen, ist, dass sie keine externen Ressourcen rekrutieren müssen, um ihren Skillbedarf zu decken. Wenn bereits intern vorhandene Skills transparent und zugänglich wären, könnten Unternehmen das Potenzial ihrer Mitarbeiter voll ausschöpfen und ein gezieltes Re-Skilling von Teams durch-führen. Erst im zweiten Schritt müssten Unternehmen auf ex-terne Ressourcen zurückgreifen. Voraussetzung hierfür ist ein Mindshift vom Rekrutieren einer Person mit einem vorgefer-tigten Skill-Set hin zum flexiblen Sourcing von Skills, die nicht in einer Person gebündelt sind. Die Lösung bietet ein innova-tiver und dynamischer Marktplatz, der eine Plattform bildet, auf der Angebot und Nachfrage von Skills aufeinandertreffen. Angebotene Skills sowohl interner als auch externer Ressourcen werden mithilfe einer auf HR-Daten basierten Skill-Datenbank erfasst, während der Bedarf an Skills weiterhin aus den Fachab-teilungen kommt. Die Fachabteilung kann ihren Bedarf in einer simplen Beschreibung, zum Beispiel „Wir suchen einen Netz-werktechniker“, in die Skill-Datenbank eingeben. Auf Basis von eingespeisten Datenstrukturen kaskadiert die Skill-Datenbank die Suchanfrage in die gesuchten Skills und schlägt potenzielle Profile vor. Den zentralen Kontaktpunkt zu den Profilen bildet ein Team („Career Advisor“), das durch Einblick in die Skill-

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Quelle: Detecon

Abbildung 1: Smart Sourcing – Flexibles Sourcing von Skills in einer dynamischen Marktplatzumgebung

Effizientes Recruiting

Effizientes RecruitingSkill-Bedarf in der

Fachabteilung

Team „Career Advisor“Zentraler Kontaktpunkt

alle Skill-Bedarfe

AngebotSkill-basierte, integrierte Datenbank mit internen und externen Profilen

MARKETPLACE

EffekteReduzierung Time to hire

Skill-Bedarf Skill-Angebot

KostenersparnisKonsistenteReportings/

Analysen

SkillManagementProzess E2E

Transparenz-steigerung

PositiveRückkopplungSozialpartner

Positive Effektefür Candidate

Experience

Bedarfsanalyse

Recherche in Skill-Datenbank

Suche-Biete-Profil

SocialRecruiting

TalentAnalytics

MobileRecruiting

Smart Screening

Schnittstelle zu externen Plattformen

Individual Skill-Matching

Active Sourcing

Passive Bewerberansprache

125 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

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126 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015

Datenbank intern wie auch extern gezieltes „Active Sourcing“ betreibt. Active, smart, social & mobile – im Folgenden ver-deutlichen wir, wie Unternehmen mit diesem Modell die aktu-ellen Recruiting Trends in eine ganzheitliche digitale Transfor-mationsstrategie integrieren. Den strategischen Bedarf an Skills definieren

Schon heute wird deutlich, dass im Rahmen der digitalen Trans-formation viele Jobs wegfallen, während andere Jobs neu ent-stehen. Faktoren wie Branche, Unternehmensgröße und Wett-bewerber beeinflussen zusätzlich den Bedarf an Skills. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, festzulegen, welche Skills aktuell und in Zukunft benötigt werden. Die Grundidee be-steht darin, zwischen „Basic-Skills“ und „In-Demand-Skills“ zu unterscheiden. „Basic-Skills“ als grundlegende Skills müssen bei jedem Mitarbeiter vorhanden sein. „In-Demand-Skills“ hinge-gen, die aufgrund spezifischer Anforderungen an ein bestimm-tes Aufgabengebiet notwendig sind, müssen nicht von jedem Mitarbeiter beherrscht werden. Die Identifikation, Einordnung und Definition solcher Skills ist zwar zeitintensiv, für ein stra-tegisches Workforce Planning aber unerlässlich. Besonders hilf-reich sind hierbei die Möglichkeiten von Talent Analytics.

Durch die Analyse von Fähigkeiten und Attributen aktueller Leistungsträger in Organisationen bietet Talent Analytics eine Grundlage zur Ableitung des Skillbedarfs. Zum einen kann ana-lysiert werden, welche „Basic-Skills“ im Unternehmen benötigt werden. Dies lässt sich herausfinden, indem beispielsweise Stu-diengänge, Berufserfahrungen und Aufgabengebiete in Relati-on zu Beförderungen, Umsatzzielen oder Fluktuationsraten der Mitarbeiter gestellt werden. Zum anderen lassen sich auch „In-Demand-Skills“ ableiten, wenn die Software beispielsweise eine Verbindung zwischen Produktentwicklung und HR herstellt.

Durch die Einführung eines „Basic-Skillsets“ wird demzufolge ein Grund-Know-how an Skills im Unternehmen je Mitarbei-ter sichergestellt. Dies ist insbesondere aufgrund einer immer stärker geforderten Flexibilität und Dynamik sowohl auf dem Absatzmarkt als auch auf dem Jobmarkt ein enormer Erfolgs-faktor. „In-Demand-Skills“ sind dagegen spezifisch und nur für ein bestimmtes Aufgabengebiet vorgesehen. Ob sie eingekauft oder selbst entwickelt werden, hängt von den Faktoren Zeit und Kosten ab.

Den Fokus der Fachabteilungen auf Skills richten

Zeit und Kosten sind auch die Kernfaktoren des „Skill-Staffing-Prozesses“. In Zukunft geht es nicht mehr darum, eine fest de-finierte Stelle durch eine Person zu besetzen. Denn schon heu-te zeigt sich, dass je nach Komplexität und Spezifizierung des Aufgabengebiets die Stellenbesetzung durch eine einzige Person kaum realisierbar ist. Die Sicherstellung der Wertschöpfung des Unternehmens wird sich deshalb immer stärker in Richtung einer offenen, transparenten Marktplatzumgebung entwickeln, die durch Angebot und Nachfrage geregelt wird. Das Angebot stellt dabei nicht wie bisher eine Person in den Vordergrund, sondern die Skills mehrerer Personen. Dabei geht es nicht da-rum, dass exakt ein Mitarbeiter alle geforderten Skills erfüllt. Die Lösung kann ebenso eine Verteilung der Skill-Anforderun-gen und somit der Aufgabengebiete auf mehrere Personen be-deuten.

Die Nachfrage kommt wie gewohnt aus der Fachabteilung, die Angebotsmöglichkeiten sind aber aufgrund der Ausrichtung auf Skills deutlich vielfältiger als bisher. Waren die klassischen Wege bisher die Einstellung eines neuen festen Mitarbeiters, die Einstellung über Zeitarbeit, eines Freiberuflers oder ein interner Wechsel, so wird zukünftig erst analysiert, welche Skills und vor allem wie lange diese Skills benötigt werden. Insbesondere der zeitliche Bedarf an Skills wird aufgrund von Marktdynamiken und Produktlebenszyklen immer kürzer. Die Lösung kann also zukünftig nicht mehr darin bestehen, einen Spezialisten für ein bestimmtes Thema in Festanstellung über mehrere Jahre einzu-stellen. Sein Wissen muss viel stärker in der Organisation ge-streut werden.

Zudem muss differenziert werden, welche Art von Skills be-nötigt werden. Handelt es sich um sogenannte „Basic-Skills“ oder „In-Demand-Skills“? Über die „Basic-Skills“ sollten alle Mitarbeiter des Unternehmens verfügen, so dass bei einer Be-darfsanfrage ein großes Angebot an internen Kandidaten be-steht, die für einen Wechsel in Frage kämen. Es ist individuell vom jeweiligen Unternehmen abhängig, welche Skills zu den „Basic-Skills“ zählen. Unter „Basic-Skills“ lassen sich beispiels-weise in einer Unternehmensberatung in Markt- und Branchen-Know-how, Projektmanagement- und Consulting-Skills zusam-menfassen. „In-Demand-Skills“ beinhalten spezifische, auf eine konkrete Tätigkeit zugeschnitte Anforderungen. Im Falle des

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oben genannten Netzwerktechnikers wären dies beispielsweise Skills in den Bereichen Storage, Backup oder IT-Security. Für ein flexibles Skill-Staffing ist es von Vorteil, dass der Anteil an „Basic-Skills“ in der Belegschaft höher ist als der Anteil an „In-Demand-Skills“. Um dies zu gewährleisten, müssen kontinu-ierlich die im Unternehmen definierten „Basic-Skills“ mit den aktuellen Anforderungen der Fachabteilungen abgeglichen wer-den. In den letzten Jahren hat sich vermehrt die Meinung manife-stiert, dass zukünftig ein Großteil von Spezialistenpositionen im Unternehmen von Freelancern besetzt wird, Support-Prozesse durch Outsourcing-Partner übernommen werden und nur noch ein Bruchteil von Positionen fest im Unternehmen ver-bleibt („Liquid Workforce“). Bei einem solchen Ansatz bleibt aber offen, ob ein Know-how-Vorsprung gegenüber dem Wett-bewerb generiert werden kann. Dieser wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, insbesondere aufgrund des immer stärker werdenden Wettbewerbs aus den USA, China und auf-strebenden Schwellenländern wie Indien oder Brasilien. Hinzu kommt, dass weder die Generation Y noch die Generation Z als „Nummer“ im Unternehmen wahrgenommen werden will und ein gewisses Mitbestimmungsrecht für sich einfordert. Ist das überhaupt möglich in der Rolle eines Freelancers, der bei unterschiedlichen Kunden auf unterschiedlichen Projekten in kurzen Zeitabständen aktiv ist?

Eine Möglichkeit, die oben beschriebene „Liquid Workforce“ mit den Anforderungen der Generation Y und Z sowie den Gegebenheiten der digitalen Transformation in Einklang zu bringen, ist der Aufbau einer unternehmensinternen Skill-Da-tenbank, die Schnittstellen zu externen Plattformen wie XING besitzt und dadurch größtmögliche Flexibilität und Kandida-tennähe bietet. In der Datenbank werden Skills sowohl interner als auch externer Profile erfasst.

Vorteile ergeben sich für die Unternehmen ebenso wir für die Stellensuchenden: Laut einer Einschätzung der Top-1000 Unternehmen nimmt zukünftig nicht nur die Bedeutung des klassischen Anschreibens, sondern auch die des geradlinigen, lückenlosen Lebenslaufs als Bestandteil einer Bewerbung ab. So-wohl aktuell als auch mit Blick in die Zukunft sind sechs von 10 befragten Teilnehmern der Ansicht, dass ein CV nur die wich-tigsten Informationen beinhalten und kurz gestaltet sein sollte. Gleichzeitig geht die Bewerberseite davon aus, dass Verweise auf Kurzprofile in Karrierenetzwerken als Bestandteil einer Be-werbung zunehmen werden.* Eine Bewerbung ohne CV also? Genau das könnte eine unternehmensinterne Skill-Datenbank

Quelle: Detecon

Abbildung 2: Recruiting Trends zielgerichtet einsetzen zur Implementierung einer effizienten, skillorientierten Smart-Sourcing-Strategie

* Weinert,Wirth, von Stetten, Laumer, Maier, Weitzel, Eckhardt, and Kraft (2015): Recruiting Trends 2015 - Eine empirische Untersuchung mit den Top-1000-Unternehmen aus Deutschland sowie den Top-300-Unternehmen aus den Branchen Finanzdienstleistung, Health Care und IT.

MOBILE RECRUITING bezeichnet die Nutzung von Mobilfunk-technologien zur

Personal-gewinnung.

SMART SCREENINGist eine Personalauswahl-methode auf Basis vordefinierter Ziel-fragen.

ACTIVE SOURCING steht für alle Maßnahmen der

aktiven Identifizierung von poten-ziellen Mitarbeitern auf

dem externen Arbeitsmarkt.

SOCIAL RECRUITING beschreibt eine auf sozialen Netzwerken basierende Methode der Personalbeschaffung.

CANDIDATE EXPERIENCE hat das Ziel, jede Begegnung eines Bewerbers (m/w) mit dem poten-ziellen Arbeitgeber in ein positives

Erlebnis zu wandeln.

TALENT ANALYTICS ist die Anwendung von Data Mining und Business Analytics in Bezug auf HR-Daten.

Effizientes Recruiting durch Smart Sourcing

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ermöglichen, die durch Schnittstellen zu externen Plattformen das zeitaufwändige Verfassen und Einreichen individueller An-schreiben und CV redundant macht und den Fokus auf die wichtigsten Informationen richtet. Ist etwa ein „Suche-Biete-Profil“ auf einer Plattform wie XING angelegt, kann der Stel-lensuchende entscheiden, ob und welche Unternehmen hierauf zugreifen und in ihre unternehmensinterne Skill-Datenbank integrieren können. Unternehmen können wiederum durch „Smart Screening“, etwa dem Einstellen von „Knockout“-Kri-terien oder “must have“-Anforderungen, passende Kandidaten filtern und deren Skills automatisch in ihre Datenbank integrie-ren. Je nach Anforderungen und Zielgruppe lässt sich die Skill-Datenbank an alle möglichen sozialen Netzwerke „andocken“ und ist daher „Social Recruiting“-fähig.

Es versteht sich von selbst, dass vor dem Hintergrund der ak-tuellen Recruiting Trends das Integrieren eines Profils in eine Skill-Datenbank auch mobil möglich sein muss. Funktioniert dies einwandfrei und lassen sich Profile externer Plattformen aus Sicht der Bewerber mühelos und schnell in unternehmensinter-ne Datenbanken integrieren, ist der erste Schritt einer positiven Candidate Experience geschafft.

„Career Advisor“ als zentraler Kontaktpunkt zwischen Ange-bot und Nachfrage

Damit auch der anschließende Prozess sich positiv auf die Can-didate Experience auswirkt und effizient verläuft, übernimmt das individuelle Skill-Matching zwischen Angebot und Nach-frage ein Team aus unternehmensinternen „Career Advisor“. Career Advisor haben exklusiven Zugriff auf die Skill-Daten-bank und können Angebot und Nachfrage von Skills miteinan-der abgleichen. Dabei gilt stets der Ansatz: die richtigen Skills zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und das zur möglichst kostengünstigsten Alternative. Mithilfe von Talent Analytics las-sen sich tagesaktuelle Übersichten erstellen, welche Mitarbeiter mit welchen Skills mit welchen Aufgaben beschäftigt sind und wie lange diese Aufgaben noch ausgeführt werden. Die Über-sichten werden von der Skill-Datenbank automatisiert erstellt. Die künstliche Intelligenz der Datenbank basiert auf der vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Datenbasis.

Den Skill-Bedarf senden die Fachabteilungen vorab an die Skill-Datenbank. Er wird anhand der eingespeisten Datenstrukturen in ein gesuchtes Skill-Profil transformiert. Auf Basis dieses Skill-

Profils erstellt die Skill-Datenbank erste Profilvorschläge. Der Career-Advisor analysiert daraufhin das Skill-Profil. Ist ein Mat-ching vorhanden, wird „Active Sourcing“ – präziser „internal Headhunting“ – betrieben: Externe und interne Kandidaten werden durch den Career Advisor kontaktiert und auf passende Stellen aufmerksam gemacht. Der Career Advisor ist damit der erste Kontaktpunkt und stellt eine wichtige Vertrauensinstanz dar, noch bevor die nachfragende Fachabteilung vom Matching erfährt. Zu diesem Zeitpunkt stehen folgende Fragen im Fo-kus: Ist der Kandidat interessiert? Wann ist er verfügbar? Welche Skills müssen gegebenenfalls anderweitig rekrutiert oder entwi-ckelt werden? Erst nach Einwilligung des Kandidaten wird der Kontakt zwischen ihm und der nachfragenden Fachabteilung hergestellt.

Headhunting im eigenen Unternehmen – ein Gedanke, der zu-nächst befremdlich sein mag und mit Sicherheit einen kulturel-len Wandel im Unternehmen erfordert. Im Rahmen von „Smart Sourcing“ ist das aber ein Ansatz, mit dem Skill-Gaps schneller geschlossen, intern vorhandene Skills voll ausgeschöpft werden und gleichzeitig Wechselinteressierten neue Chancen und eine zusätzliche Kommunikationsplattform bietet.

Impuls für die Zukunft

Das Rekrutieren externer Mitarbeiter ist ein wesentlicher Part der HR-Arbeit. Dieser Artikel soll jedoch ein Impuls dafür sein, sich von der klassischen Besetzung anhand von Stellenprofilen zu lösen. Zukunftsfähig sind Unternehmen erst dann, wenn sie die Vorteile der digitalen Transformation für sich nutzen, um das Optimum aus bereits vorhandenen Skills zu generie-ren. Smart Sourcing ist ein Modell, mit dem die richtigen Skills zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitstehen und mit dem Unternehmen einem möglichen Personalüberhang entgegen-wirken: eine auf Basis von HR-Daten aufgebaute, integrierte Skill-Datenbank, ein interner Skill-Marktplatz, der durch An-gebot und Nachfrage geregelt wird, eine stärkere Ausrichtung auf internes Active Sourcing sowie die Integration aktueller Recruiting Trends in eine ganzheitliche digitale Transforma-tionsstrategie.

Huyen Mi Hua ist Consultant und berät Klienten aus dem Telekommunika-tionssektor zu den Themen HR Transformation, Recruiting und Candidate Experience.

Guido Solscheid ist Consultant und verfügt über eine langjährige Erfahrung in den Bereichen Talent Management, Recruiting und Skill Management. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in HR-Transformationsprojekten im Rahmen der Digitalisierung.

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Detecon Management Report

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Transformation &Peoplemanagement

Special

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Detecon ist die Heimat für Beraterinnen und Berater, die über den Tellerrand hinausschauen. Tunnelblick oder gar Karriere-Egoismus helfen nicht, den digitalen Wandel für alle Industrie- und Dienstleistungssektoren global zu gestalten. Unsere Kultur gibt Freiheiten, Möglichkeiten und auch Zeit, sich voll zu entfalten und ein echter Detecon- Consultant zu werden. Das gilt für die Arbeit an allen Firmenstandorten weltweit, genauso wie für das Leben zu Hause. Neugierig? Wir freuen uns auf Deine Bewerbung.

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Wanted:Digital Minds

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