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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG MITTWOCH, 8. DEZEMBER 2010 · NR. 286 · SEITE N 5 Forschung und Lehre Ernst-Ludwig Winnacker, langjähriger Präsident der Deutschen Forschungsge- meinschaft und erster Generalsekretär des European Research Council in Brüs- sel, erhält die Verdienstmedaille der Na- tionalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Der Biochemiker sei ein „unersetzlicher Wissensträger und Rat- geber“, teilte die Leopoldina mit. Insbe- sondere in den Jahren nach der Wieder- vereinigung habe Winnacker die Leo- poldina als ihr Vizepräsident in wissen- schaftlicher und wissenschaftspoliti- scher Hinsicht weiterentwickelt. Die Medaille wird Winnacker am 14. De- zember in Halle überreicht. F.A.Z. Damit hatte keiner der Beteiligten ge- rechnet: dass aus der Festschrift „300 Jah- re Charité – im Spiegel ihrer Institute“ tatsächlich ein Patchwork von zusam- mengeklauten Flicken aus der medizin- historischen Requisitenkammer wurde. Deshalb hat wohl auch niemand das Buch vor seiner Veröffentlichung im Som- mer auch nur mal überflogen. Selbst die drei offiziellen Autoren, nämlich der aktuelle und der frühere Vor- standschef des Uniklinikums und einer ihrer Oberärzte aus der Psychiatrie, zei- gen sich glaubhaft ahnungslos. Denn sonst wäre ihnen zum Beispiel doch auf- gefallen, dass sie ein kurzes Vorwort zu dritt unterzeichnen, aber darin durchweg von sich als „ich“ sprechen. Solch man- gelndes Wir-Gefühl ist dem Dreigestirn Max K. Einhäupl, Detlev Ganten, Jakob Hein kaum ernstlich zu unterstellen. In einer „Erklärung“, versteckt auf der Jubi- läums-Homepage, schieben sie für alles Missratene vielmehr einen Ghostwriter vor, den stadtbekannten Berliner Litera- ten und Nichtakademiker Falko Hennig. Jetzt will die Charité ein paar hundert angekaufte Exemplare, Ladenpreis sech- zig Euro, in den Reißwolf stecken. Ein Heidelberger Historiker hatte sich über seitenlange Kopien aus seiner Doktorar- beit beschwert. Weggeschmissen ist da- mit auch das Honorar für den diebischen Textmonteur, der rund ein Jahr an seiner Zusammenschau werkelte. Jetzt will die Uniklinik Schadenersatz aus dem Ver- trag mit ihm. Erst mal tritt sie aber für ih- ren kostspieligen Strafrechts- und Me- dienanwalt in Vorlage. Derweil droht der beschuldigte Hen- nig in seinem Internet-Tagebuch mit ei- ner privaten Insolvenz. Der Wissen- schaftsverlag de Gruyter weist jede Mit- verantwortung von sich. Er habe von der Charité ein Fertigprodukt übernommen und das lediglich kulanterweise zu Pa- pier und in den Vertrieb gebracht. Der ist inzwischen natürlich auch gestoppt. Inso- weit verharrt die Qualitätssicherung im Unternehmen Charité auf dem Entwick- lungsstand um 1900: Am Ende werden Fehlprodukte ausgesondert, aber die Ent- stehungsprozesse selber nicht vorsorg- lich kontrolliert. Wieso kam überhaupt ein Ghostwriter ohne jede akademische Erfahrung zum Zuge? Der „Geschäftsbereich Unterneh- menskommunikation“ des Auftragge- bers, landläufig die Pressestelle, teilt auf Nachfrage mit: „Die Charité nimmt zu Vergabeprozessen grundsätzlich nicht öf- fentlich Stellung.“ Bis der Landesrech- nungshof mal nachforscht. Dabei pfeifen die Spatzen längst von allen Klinik- dächern: Dem Oberarzt und Roman- schriftsteller Hein sei die Jubiläumschro- nik neben seiner Tagesarbeit zu viel ge- worden, er habe deshalb seinen Dichter- freund Hennig von der gemeinsamen „Le- sebühne Heim & Welt“ empfohlen. Die Angelegenheit war offenbar Chefsache. So stilisierte Hennig sich im Oktober vo- rigen Jahres auf seiner Homepage zum Hoflieferanten: „Den allgemeinen Teil der Charité-Chronik redigiert, jetzt Au- dienz bei seiner Majestät dem König der Charité“, also ihrem Vorstand. Sofort hätten drei und mehr promovier- te Medizinhistoriker den Auftrag gern übernommen, erklärt der Vorsitzende des Fachverbands Medizingeschichte, Heiner Fangerau, dieser Zeitung. Für ei- nen Fachmann, der Vorberichte aus den einzelnen Instituten sichten und zu ei- nem Ganzen harmonisieren sollte, hätte die Charité allerdings 50 000 Euro in die Hand nehmen müssen, schätzt der Exper- te; für weitergehende Literaturrecher- chen, ein Arbeitspensum von zwei Jah- ren, natürlich das Doppelte. Aber so viel war an der finanzschwachen Charité überhaupt nicht drin. Hennig tat’s für deutlich weniger, sagen Insider. Seine Lie- ferung entspricht offenbar dem Dum- pinglohn. Wir sind von Unterteufeln reingelegt worden, so lautet die Standardausrede von anscheinend untadeligen Gelehrten, wenn sie plötzlich mit Regelverstößen auffallen. Das war schon vor zehn Jahren so, als die Krebsforscher Herrmann und Brach wegen Datenschwindel in großem Stil aufflogen. Jetzt soll nach der Berli- ner Erklärung der Autoren Einhäupl, Ganten und Hein allein der willige Hel- fer Hennig der Schuldige sein. Laut Titel- blatt ist das Werk tatsächlich unter seiner „Mitarbeit“ entstanden. Dazu hat die Deutsche Forschungsge- meinschaft dieser Tage in einem ver- gleichbaren Fall, bei einem plagiierten Förderantrag eines Professors, allerdings ganz unmissverständlich klargestellt: Der „könne sich nicht darauf berufen, dass die Passagen von Mitarbeitern for- muliert worden seien; er selber trage die Verantwortung für den Inhalt“ und wur- de deshalb „schriftlich gerügt“. Demge- genüber haben die Verantwortlichen für die Berliner Panne bislang kein Wort ir- gendeiner Selbstkritik gefunden. Und der Ombudsmann für wissenschaftliches Fehlverhalten legt seine Hände erst mal in den Schoß – so lange, bis der gegen Hennig angezettelte Rechtsstreit geklärt sei. Das kann dauern. Eigentlich hätte die ganze Geschichte einer mehrjährigen Forschungsarbeit und eines vielbändigen Werkes bedurft, sagen die Autoren selber im Vorspann von „300 Jahre Charité“. Deshalb hätte man besser auch auf jede Ersatzlösung verzichtet, meint der Sprecher der deut- schen Medizinhistoriker, Fangerau. Aber die Charité-Spitze entschied sich nach der Maxime: Wenn nicht wirklich for- schen, dann wenigstens so tun, als ob – kopieren geht über studieren. Oder „Ori- ginalität war gestern“, wie einst die Lite- ratin Hegemann unverkrampft wissen ließ. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wünschte dem Experi- ment an der Charité in einem Grußwort „viele Leserinnen und Leser“. Im unver- meidlichen, leider aber falschen Vertrau- en auf die Gewährsleute aus der Klinik. Kaum auszudenken, wenn der Landes- herr die Enttäuschung am Ende wirklich ernst nähme. HERMANN HORSTKOTTE I m Landtag von Mecklenburg-Vor- pommern hat der Bildungsaus- schuss gerade eine Ergänzung zum Hochschulgesetz beschlossen. Mit den Stimmen von SPD, CDU und der Linken. Danach soll eine Hochschule auf Antrag der Studierenden im Fall eines abge- schlossenen Masterstudiums anstelle des Grades „Master“ auch ein Diplom verlei- hen können. Voraussetzung ist, dass die erbrachten Studienleistungen denen ei- nes Diplomstudienganges mindestens gleichwertig sind. Das klingt harmlos. Kann es denn eine Rolle spielen, wie man einen Ab- schluss nennt? Es kann. Denn kaum wur- de dieser Beschluss bekannt, meldete sich der Vizepräsident der Hochschulrek- torenkonferenz (HRK), Micha Teuscher. Die Absicht der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, den akade- mischen Grad des Diploms „wiederaufer- stehen zu lassen“, erklärte er, „lehnen die Präsidenten und Rektoren der Fach- hochschulen in der HRK ab“. Weshalb? Es geht nicht um irgendein Diplom, es geht um den Diplom-Inge- nieur. Die Abschaffung dieses Titels war von Anfang an eine der unverständlichs- ten Folgen der Bologna-Reform. Der ging es angeblich um die internationale Anerkennung akademischer Abschlüsse. Der deutsche Diplom-Ingenieur gehörte zu den anerkanntesten Abschlüssen welt- weit. Die Leute sind von weiß Gott wo- her nach Deutschland gekommen, um ihn zu erwerben. Von Akzeptanzproble- men deutscher Ingenieure im Ausland hatte auch niemand gehört. Worin die Ideen eines sechssemestrigen „Bachelor of Engineering“ als Regelabschluss an Universitäten bestehen sollte, verstan- den die Ingenieursfakultäten auch nicht. Sie widersprachen darum, namentlich die TU9, der Verband der großen Techni- schen Universitäten, von denen drei – Aachen, Karlsruhe und München – zu den Exzellenz-Universitäten gehören. Ihnen ging es dabei vor allem darum, festzuhalten, dass ein wissenschaftlich ausgebildeter Ingenieur, der zu eigener Forschung befähigt ist, nicht im Kurzstu- dium entsteht. Und es ging ihnen um das, was man den Erhalt eines Marken- zeichens nennen kann. In einem Reform- prozess, der viel auf Begriffe wie „Wett- bewerb“, „Profilbildung“, „Autonomie“ und „Differenzierung“ Wert legt, ist das ein ziemlich nachvollziehbarer Wunsch. „Deutschlands Hochschulpolitik“, so der SPD-Abgeordnete Mathias Brodkorb, „ist seit mehreren Jahren sowohl vom Leitgedanken der Hochschulautonomie als auch dem eines europäischen Hoch- schulraums getragen. Beides ist aller- dings miteinander kaum vereinbar. In Wahrheit erleben wir nämlich nicht eine Steigerung der Hochschulautonomie, sondern eine hochschulpolitische Ent- machtung der Länder.“ Insellösung oder Gefahr fürs Ganze? Die Novelle des mecklenburg-vorpom- merschen Hochschulgesetzes ist nun ih- rerseits der Versuch einer echten Profil- bildung. Ein Land, das sicher nicht der größte Magnet für Studierende aus ande- ren Bundesländern ist, hat nachgedacht, wie es seine Hochschulstandorte attrak- tiv machen kann. Das auch von Seiten vieler Studierender präferierte Modell des Diplom-Studiums scheint den dorti- gen Bildungspolitikern eine Chance da- für zu bieten. Ein Musterfall von föde- ralem Wettbewerbsverhalten. André Specht, für die CDU Mitglied im dorti- gen Bildungsausschuss, betont, dass es Anregungen aus den Hochschulen und von den Studierenden selbst waren, die in den Gesetzentwurf eingegangen sind: Wahlmöglichkeit des Diploms und er- leichterter Zugang für Bachelor-Absol- venten zum Masterstudium. Was also hat Micha Teuscher, Fach- hochschulsprecher innerhalb der HRK und selbst Betriebswirt aus dem benach- barten Brandenburg, gegen diese Initiati- ve? Sie stifte „national wie international Verwirrung“ und stelle den Bologna-Pro- zess in Frage. Außerdem habe Mecklen- burg-Vorpommern jährlich nur rund 700 Absolventen eines Ingenieur-Studiums: „Es ist völlig inakzeptabel, dass ausge- hend von diesem kleinen Kreis der Be- troffenen ein derartig gravierender Ein- schnitt in den europaweiten Bologna- Prozess vollzogen werden soll. Das stellt die Qualifikationsziele der europäischen Studienreform in Frage.“ Diese Logik ist ergreifend wider- sprüchlich: Es sind nur ganz wenige, die jene kleine Korrektur betrifft, doch ge- hen von ihr internationale Konsequen- zen aus? Aber die Klugheit der Schweri- ner Initiative besteht ja gerade darin, sich um eine Erhöhung der dortigen Ab- solventen- und Immatrikulationszahlen zu bemühen, indem man einen Titel an- bietet, den viele gerne tragen wollen, weil er einen guten Ruf hat. Verwirrung in Stockholm und Madrid, weil man in Rostock demnächst wieder Diplom-Ingenieur werden kann? Der Schweriner Bildungsausschuss ein galli- sches Dorf, vor dem ganz Bologna-Euro- pa erzittert? So reagieren die vielen An- rufer der Bundesebene, die sich jetzt bei Schweriner Abgeordneten melden, um vor hochschulpolitischem Chaos zu war- nen. Mathias Brodkorb scherzt schon, es handele sich um eine „Intervention raumfremder Mächte“, einen Stellvertre- terkrieg auf mecklenburg-vorpommer- schem Boden. In diesem Versuch, Druck auszuüben, liegt ein ungewolltes Kompli- ment, nur kein sehr durchdachtes. Teuscher spricht davon, dass der Al- leingang Mecklenburg-Vorpommerns „zwangsläufig“ zu einer „Insellösung“ führen würde, die dem Bundesland scha- de. Dazu passt es allerdings nicht, dass in Finnland das Masterstudium nach wie vor mit dem Diplomgrad abgeschlossen wird; in Norwegen und Schweden ist es nicht anders; die französischen Grandes Écoles verleihen ein Ingenieurdiplom; Österreich lässt volle Wahlmöglichkeit im Schweriner Sinne. In Teuschers Auf- schrei steckt insofern mehr die Sorge, auch andernorts könne man sich den Wünschen der TU9 anschließen. Aber dann will das Wort „Insellösung“ nicht recht passen – wenn es eine wäre, die man auch an der TU München, der RWTH Aachen, der TU Darmstadt oder an dem Karlsruher Institute of Technolo- gy akzeptieren würde. Die TU9 hat den Landtagsabgeordneten jedenfalls schon zu ihrem Mut gratuliert. Wettbewerb ernst genommen Im Gesetzestext soll es heißen, „auf An- trag des Studierenden“ könne das Di- plom bei vorliegenden Voraussetzungen verliehen werden. Man will die Studen- ten also nicht als Kinder behandeln, die man vor unüberlegten Taten bewahren muss. Niemand verwehrt es einem Bache- lor-Absolventen, diesen Titel zu wählen oder den Master, wenn er meint, das kom- me auf dem Arbeitsmarkt besser an. An- ders formuliert: Jetzt macht einmal die Hochschulpolitik über Parteigrenzen hin- weg mit dem Autonomie- und Wettbe- werbsgedanken Ernst, und die Ersten, die von Verunsicherung sprechen, sind ein Betriebswirt, der BDI und die Unterneh- merverbände des Landes. Die Industrie- und Handelskammer Rostock hingegen lobt die Wahlmöglichkeit für Studenten. Die Unternehmerverbände haben in einem Brief an alle Schweriner Abgeord- neten betont, dass der Bachelor von den Unternehmen begrüßt werde. Was das mit der Wahlfreiheit zwischen Master- und Diplom-Titel zu tun hat, erschließt sich nicht. Denn wenn mit dem Bache- lor-Master-Modell alles in Ordnung ist, dann wird ja auch kein Student mit Ver- stand – und Ingenieurstudenten sind nicht für besondere Irrationalität be- kannt – von der neuen Wahlfreiheit Ge- brauch machen. Zu Recht hat übrigens der Dekan der Fakultät für Maschinen- bau und Schiffstechnik an der Universi- tät Rostock, Egon Hassel, die Abgeordne- ten des Schweriner Landtages darauf hin- gewiesen, dass kein einziges Bologna- Dokument existiert, das die Weiterfüh- rung des Diploms als international aner- kannten Abschluss verbietet. Die Befürchtung der Unternehmerver- bände, die Gesetzesnovelle werde über die Köpfe der Hochschulen hinweg be- schlossen, kann auch insofern zerstreut werden: Bei einer kürzlich in Rostock von der mecklenburg-vorpommerschen SPD-Landtagsfraktion durchgeführten Expertentagung zum Thema fand sich kein einziger Hochschulvertreter, der sich gegen das Diplom-Studium ausge- sprochen hätte. Dessen Fürsprecher in den Vorstandsetagen großer deutscher Unternehmen von Daimler-Benz bis Lin- de sind überdies bekannt. In Wahrheit sind die Befürchtungen, die vom Fachhochschulsprecher der HRK etwas bemüht geschürt werden, auch ganz andere. Man ist an manchen Fachhochschulen (FHs) in Sorge, die Dif- ferenz zwischen einem Fachhochschul- und einem Universitätsstudium könnte in Form des Titels wieder deutlicher be- tont werden. Diese Sorge aber ist nicht nur unhistorisch: Bis vor kurzem gab es ja noch die unterschiedlichen Titel – Dipl.-Ing. und Dipl.-Ing.(FH) –, ohne dass deswegen den Fachhochschulen die Studenten davongelaufen wären. Die Sorge ist außerdem unbegründet, denn in der Gesetzesnovelle heißt es aus- drücklich, auch FHs könnten bei gleich- wertigen Leistungsvoraussetzungen und Prüfungsleistungen den „Dipl.ing.(FH)“ für einen achtsemestrigen Bachelor ver- leihen. Das war eine Forderung von Mi- cha Teuscher im Vorfeld der Beschlüsse des Bildungsausschusses: Wenn schon Diplom, dann auch für uns. Man muss also Rhetorik und Taktik ins Kalkül zie- hen, wenn angeblich eine Gefahr in Rede steht, die von Schwerin für die euro- päische Bildung ausgehen soll. Die Schweriner Abgeordneten, die sich bald im Plenum mit der Hochschulnovelle be- fassen, können das sehr selbstbewusst tun. In einem Land, dem es, aller Redens- arten zum Trotz, an Wettbewerb und Vielfalt mangelt, habe sie eine gute Chance, die Hochschulen ihrer Region at- traktiv zu machen. JÜRGEN KAUBE Leopoldina ehrt Winnacker Das Verwaltungsgericht Münster hat Ende November ein interessantes Ur- teil zur Vergabe von Studienplätzen ge- fällt. Ein deutscher Student hatte an der Westfälischen Wilhelms-Universi- tät die Zulassung zum Masterstudium der Volkswirtschaftslehre (VWL) bean- tragt. Da er seinen Bachelor an einem College in den Vereinigten Staaten im Fach „Business Administration“ ge- macht hatte, also in Betriebswirt- schaftslehre, befand die Universität, es fehle ihm, der die Anforderung einer Note von 2,5 und besser im Bachelor er- füllte, eine genügende Anzahl an Lehr- veranstaltungen in VWL. Dieser Hinde- rungsgrund, so das Gericht, sei nach Erläuterung seiner in Amerika besuch- ten Seminare hinfällig. Vor allem aber hielt das Verwal- tungsgericht die zweite Stufe der Zulas- sungsprüfung in Münster für rechtswid- rig. Um bei einem Überschuss von Be- werbern über die Zahl der Studienplät- ze zu einer Vergabeentscheidung zu kommen, hatte die Universität durch ein Punktesystem eine Rangfolge der Bewerber ermittelt. Darin ging die Abi- turnote ein, die Bewertung eines Moti- vationsschreibens der Bewerber, die zu- vor auf volkswirtschaftlichem Gebiet erbrachten Studienleistungen sowie die Bachelor-Note. Das Gericht hingegen hält einzig Letzteres für ausschlaggebend. Der im Staatsvertrag festgehaltene „maßgebli- che Einfluss“ der Bachelor-Note erfor- dert es danach, sie mit 51 Prozent in ei- ner Bewertung der Bewerber zu be- rücksichtigen. Das wiederum hat, mag es auch geltendes Recht sein, den Nachteil, dass nun Studierende von Hochschulen mit strengen Bachelor- prüfungen, beispielsweise Münster selbst, beim Übergang ins Masterstudi- um in Nachteil gegenüber anderen, we- niger streng Geprüften geraten. Die größte Wirkung des geltenden Zulas- sungsrechts könnte darum in unfrei- williger Mobilität der Studierenden be- stehen. F.A.Z. Die Stiftung Mercator gründet gemein- sam mit den Universitäten Erlangen- Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Müns- ter, Osnabrück und Paderborn ein Gra- duiertenkolleg für Islamische Theolo- gie. Ziel ist es, wissenschaftlichen Nach- wuchs vor allem für die noch zu etablie- renden Zentren für islamische Studien auszubilden. Das gaben die Stiftung und die Universitäten jetzt bekannt. Das Graduiertenkolleg wird zum Herbst 2011 erste Doktoranden aufneh- men und wird über sechs Jahre mit 3,6 Millionen Euro von der Stiftung Merca- tor gefördert. Ziel der Stiftung, so ihr Geschäftsfüh- rer Bernhard Lorentz, sei es, eine ange- messene Repräsentation von Muslimen in Wissenschaft und Schule sowie die Entstehung des Wissenschaftsfelds Isla- mische Theologie zu unterstützen. Die Stiftung folgt damit Empfehlungen des Wissenschaftsrats vom Januar 2010. Das Graduiertenkolleg wird standort- übergreifend eingerichtet und von Mou- hanad Khorchide koordiniert, der an der Universität Münster Islamische Re- ligionspädagogik lehrt. Es wird aus bis zu fünfzehn Doktoranden bestehen, die an einem der Standorte promovie- ren und am übergreifenden Studienpro- gramm des Kollegs teilnehmen. F.A.Z. Bei einem der spektakulärsten Nach- wuchswettbewerbe für Lebenswissen- schaftler, einer Art Juniorenweltmeis- terschaft für synthetische Biologen, gibt es auch in diesem Jahr einen deut- schen Preisträger: Die 15 Studenten der Universität Freiburg wurden beim „iGEM“ unter 128 Mannschaften aus fünf Kontinenten mit einer Goldmedail- le in der Kategorie Medizinprojekte ausgezeichnet. Die iGEM-Teilnehmer des BIOSS-Exzellenzclusters sind noch im Grundstudium und haben es den- noch geschafft, ein Genprogramm für ein Adenoassoziiertes Virus so herzu- stellen, dass dieses gezielt Krebszellen befällt und abtötet. F.A.Z. Der Schwedische Wissenschaftsrat (Ve- tenskaprådet) hat als der wichtigste Dritt- mittelgeber des Landes vor einiger Zeit entschieden, dass vom Jahr 2011 an alle wissenschaftlichen Aufsätze, die von ihm finanziert worden sind, sechs Monate nach der Publikation frei ins Internet ge- stellt werden müssen. Dagegen haben sich kürzlich mehr als achtzig schwedische Chemiker aller dortigen Universitäten in einer Protestnote ausgesprochen. Das ist insofern bemerkenswert, als mitunter der Eindruck erweckt wird, nur Geisteswissen- schaftler hätten Berührungsschwierigkei- ten mit der „Open Access“-Idee, weil sie veralteten Publikationsidealen anhängen. Die schwedischen Chemiker hingegen hal- ten die Politik ihres Drittmittelgebers für eine, die sich vor allem an den Bedürfnis- sen von Medizinern orientiert, für andere Naturwissenschaften aber wenig brauch- bar ist. Im Einzelnen monieren die Chemiker drei Punkte: Es gebe für ihr Fach keine re- nommierten reinen Open-Access-Journa- le; die existierenden, die der schwedische Wissenschaftsrat empfohlen hatte, wür- den zumeist in Ländern wie Slowenien, Rumänien oder Indonesien betrieben und seien den meisten Chemikern völlig unbe- kannt. Die alternative Publikation in sogenann- ten „hybriden Zeitschriften“, die gegen eine Gebühr Artikel, die für den Druck ak- zeptiert wurden, auch online frei verfüg- bar machen, sei immens kostspielig. Pro Artikel könnten sich die Preise auf bis zu 14 000 Dollar pro Jahr und Chemiker be- laufen. Für ganze Fakultäten gehe das in die Millionenhöhe. Die dritte Möglichkeit sei das Anlegen eigener Archive im Internet. Die großen Wissenschaftsverlage aber erlaubten die- ses parallele Publizieren von Beiträgen, die in ihren Zeitschriften abgedruckt sind, nicht; weder als pre-print (Vorabdruck), noch als post-print (Nachabdruck). Unabhängig von diesen Schwierigkei- ten fragen die Chemiker in ihrer Protestno- te, welchen Sinn es überhaupt haben kön- ne, hochspezialisierte Forschung „allen“ zugänglich zu machen, da mit „alle“ ja gar kein sinnvoller Adressatenkreis solcher Aufsätze umschrieben ist. Die weltweiten Forschergemeinschaften unterhalten auf ihren Spezialfeldern einen regen Aus- tausch untereinander. Die wenigen Inter- essenten, die Originalbeiträge zu nutzen imstande sind, erhalten in der Regel eine der von den Verlagen gewährten kostenlo- sen fünfzig Kopien. Außerdem sei der Bi- bliothekszugang, zumindest in Schweden, für die Öffentlichkeit kostenlos. Bei Einführung von „Open Access“ , so befürchten die Chemiker, würden die Kos- ten des Publizierens umverteilt. Sie zitie- ren den kalifornischen Mikroökonomen Hal Varian: Jedes ökonomische System be- günstige den, der zahle. Wenn Leser oder Bibliotheken zahlen müssten, komme es leichter dazu, dass irrelevante oder fal- sche Informationen gar nicht erst publi- ziert würden. Zahlen hingegen, wie bei „Open Access“, die Autoren, weil die Kos- ten der redaktionellen Überprüfung durch für den Nutzer kostenlose Internet-Journa- le auf sie umgelegt werden müssen, seien Qualitätseinbußen zu erwarten. Es werde dann mehr publiziert, als wünschenswert wäre. Auch die für das Fach Chemie typische Beteiligung von Industrieunternehmen an den Kosten der Zeitschriften – durch Abonnements – gehe dann zurück, zu Las- ten der Forschungseinrichtungen bezie- hungsweise der Forscher. Die schwedi- schen Chemiker beklagen, dass die Ent- scheidung für „Open Access“ ohne Nach- denken über solche konkreten Umstände des wissenschaftlichen Publizierens ge- fällt worden sei. kau Immer diese Unterteufel Die Berliner Charité hat sich eine ergaunerte Jubiläumsschrift geschenkt Ein Lehrstück in Profilbildung Nur die Note zählt: Urteil zum Master-Zugang Ein Islamkolleg für Theologen Weltmeisterliche Biostudenten Chemiker über die Nachteile des „Open Access“ „Wie kommt es, dass wir als Originale geboren werden und als Kopien sterben?“ (Edward Young): Die Anatomie der Charité Foto laif In Schwerin wird ein neues Hochschulgesetz beschlossen. Darin soll stehen, dass die Hochschulen den Titel „Diplom-Ingenieur“ wieder verleihen dürfen. Jetzt wird Druck auf die Abgeord- neten ausgeübt.

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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG MIT T WOCH, 8. DEZEMBER 2010 · NR. 286 · SEITE N 5Forschung und Lehre

Ernst-Ludwig Winnacker, langjährigerPräsident der Deutschen Forschungsge-meinschaft und erster Generalsekretärdes European Research Council in Brüs-sel, erhält die Verdienstmedaille der Na-tionalen Akademie der WissenschaftenLeopoldina. Der Biochemiker sei ein„unersetzlicher Wissensträger und Rat-geber“, teilte die Leopoldina mit. Insbe-sondere in den Jahren nach der Wieder-vereinigung habe Winnacker die Leo-poldina als ihr Vizepräsident in wissen-schaftlicher und wissenschaftspoliti-scher Hinsicht weiterentwickelt. DieMedaille wird Winnacker am 14. De-zember in Halle überreicht. F.A.Z.

Damit hatte keiner der Beteiligten ge-rechnet: dass aus der Festschrift „300 Jah-re Charité – im Spiegel ihrer Institute“tatsächlich ein Patchwork von zusam-mengeklauten Flicken aus der medizin-historischen Requisitenkammer wurde.Deshalb hat wohl auch niemand dasBuch vor seiner Veröffentlichung im Som-mer auch nur mal überflogen.

Selbst die drei offiziellen Autoren,nämlich der aktuelle und der frühere Vor-standschef des Uniklinikums und einerihrer Oberärzte aus der Psychiatrie, zei-gen sich glaubhaft ahnungslos. Dennsonst wäre ihnen zum Beispiel doch auf-gefallen, dass sie ein kurzes Vorwort zudritt unterzeichnen, aber darin durchwegvon sich als „ich“ sprechen. Solch man-gelndes Wir-Gefühl ist dem DreigestirnMax K. Einhäupl, Detlev Ganten, JakobHein kaum ernstlich zu unterstellen. Ineiner „Erklärung“, versteckt auf der Jubi-läums-Homepage, schieben sie für allesMissratene vielmehr einen Ghostwritervor, den stadtbekannten Berliner Litera-ten und Nichtakademiker Falko Hennig.

Jetzt will die Charité ein paar hundertangekaufte Exemplare, Ladenpreis sech-zig Euro, in den Reißwolf stecken. EinHeidelberger Historiker hatte sich überseitenlange Kopien aus seiner Doktorar-beit beschwert. Weggeschmissen ist da-mit auch das Honorar für den diebischenTextmonteur, der rund ein Jahr an seinerZusammenschau werkelte. Jetzt will dieUniklinik Schadenersatz aus dem Ver-trag mit ihm. Erst mal tritt sie aber für ih-ren kostspieligen Strafrechts- und Me-dienanwalt in Vorlage.

Derweil droht der beschuldigte Hen-nig in seinem Internet-Tagebuch mit ei-ner privaten Insolvenz. Der Wissen-schaftsverlag de Gruyter weist jede Mit-verantwortung von sich. Er habe von derCharité ein Fertigprodukt übernommenund das lediglich kulanterweise zu Pa-pier und in den Vertrieb gebracht. Der istinzwischen natürlich auch gestoppt. Inso-weit verharrt die Qualitätssicherung im

Unternehmen Charité auf dem Entwick-lungsstand um 1900: Am Ende werdenFehlprodukte ausgesondert, aber die Ent-stehungsprozesse selber nicht vorsorg-lich kontrolliert.

Wieso kam überhaupt ein Ghostwriterohne jede akademische Erfahrung zumZuge? Der „Geschäftsbereich Unterneh-menskommunikation“ des Auftragge-bers, landläufig die Pressestelle, teilt aufNachfrage mit: „Die Charité nimmt zuVergabeprozessen grundsätzlich nicht öf-fentlich Stellung.“ Bis der Landesrech-nungshof mal nachforscht. Dabei pfeifendie Spatzen längst von allen Klinik-dächern: Dem Oberarzt und Roman-schriftsteller Hein sei die Jubiläumschro-nik neben seiner Tagesarbeit zu viel ge-worden, er habe deshalb seinen Dichter-freund Hennig von der gemeinsamen „Le-sebühne Heim & Welt“ empfohlen. DieAngelegenheit war offenbar Chefsache.So stilisierte Hennig sich im Oktober vo-rigen Jahres auf seiner Homepage zumHoflieferanten: „Den allgemeinen Teilder Charité-Chronik redigiert, jetzt Au-dienz bei seiner Majestät dem König derCharité“, also ihrem Vorstand.

Sofort hätten drei und mehr promovier-te Medizinhistoriker den Auftrag gernübernommen, erklärt der Vorsitzendedes Fachverbands Medizingeschichte,Heiner Fangerau, dieser Zeitung. Für ei-nen Fachmann, der Vorberichte aus deneinzelnen Instituten sichten und zu ei-nem Ganzen harmonisieren sollte, hättedie Charité allerdings 50 000 Euro in dieHand nehmen müssen, schätzt der Exper-te; für weitergehende Literaturrecher-chen, ein Arbeitspensum von zwei Jah-ren, natürlich das Doppelte. Aber so vielwar an der finanzschwachen Charitéüberhaupt nicht drin. Hennig tat’s fürdeutlich weniger, sagen Insider. Seine Lie-ferung entspricht offenbar dem Dum-pinglohn.

Wir sind von Unterteufeln reingelegtworden, so lautet die Standardausredevon anscheinend untadeligen Gelehrten,wenn sie plötzlich mit Regelverstößen

auffallen. Das war schon vor zehn Jahrenso, als die Krebsforscher Herrmann undBrach wegen Datenschwindel in großemStil aufflogen. Jetzt soll nach der Berli-ner Erklärung der Autoren Einhäupl,Ganten und Hein allein der willige Hel-fer Hennig der Schuldige sein. Laut Titel-blatt ist das Werk tatsächlich unter seiner„Mitarbeit“ entstanden.

Dazu hat die Deutsche Forschungsge-meinschaft dieser Tage in einem ver-gleichbaren Fall, bei einem plagiiertenFörderantrag eines Professors, allerdingsganz unmissverständlich klargestellt:Der „könne sich nicht darauf berufen,dass die Passagen von Mitarbeitern for-muliert worden seien; er selber trage dieVerantwortung für den Inhalt“ und wur-de deshalb „schriftlich gerügt“. Demge-genüber haben die Verantwortlichen fürdie Berliner Panne bislang kein Wort ir-gendeiner Selbstkritik gefunden. Und derOmbudsmann für wissenschaftlichesFehlverhalten legt seine Hände erst malin den Schoß – so lange, bis der gegenHennig angezettelte Rechtsstreit geklärtsei. Das kann dauern.

Eigentlich hätte die ganze Geschichteeiner mehrjährigen Forschungsarbeitund eines vielbändigen Werkes bedurft,sagen die Autoren selber im Vorspannvon „300 Jahre Charité“. Deshalb hätteman besser auch auf jede Ersatzlösungverzichtet, meint der Sprecher der deut-schen Medizinhistoriker, Fangerau. Aberdie Charité-Spitze entschied sich nachder Maxime: Wenn nicht wirklich for-schen, dann wenigstens so tun, als ob –kopieren geht über studieren. Oder „Ori-ginalität war gestern“, wie einst die Lite-ratin Hegemann unverkrampft wissenließ. Der Regierende BürgermeisterKlaus Wowereit wünschte dem Experi-ment an der Charité in einem Grußwort„viele Leserinnen und Leser“. Im unver-meidlichen, leider aber falschen Vertrau-en auf die Gewährsleute aus der Klinik.Kaum auszudenken, wenn der Landes-herr die Enttäuschung am Ende wirklichernst nähme. HERMANN HORSTKOTTE

I m Landtag von Mecklenburg-Vor-pommern hat der Bildungsaus-schuss gerade eine Ergänzung zum

Hochschulgesetz beschlossen. Mit denStimmen von SPD, CDU und der Linken.Danach soll eine Hochschule auf Antragder Studierenden im Fall eines abge-schlossenen Masterstudiums anstelle desGrades „Master“ auch ein Diplom verlei-hen können. Voraussetzung ist, dass dieerbrachten Studienleistungen denen ei-nes Diplomstudienganges mindestensgleichwertig sind.

Das klingt harmlos. Kann es denneine Rolle spielen, wie man einen Ab-schluss nennt? Es kann. Denn kaum wur-de dieser Beschluss bekannt, meldetesich der Vizepräsident der Hochschulrek-torenkonferenz (HRK), Micha Teuscher.Die Absicht der Landesregierung vonMecklenburg-Vorpommern, den akade-mischen Grad des Diploms „wiederaufer-stehen zu lassen“, erklärte er, „lehnendie Präsidenten und Rektoren der Fach-hochschulen in der HRK ab“.

Weshalb? Es geht nicht um irgendeinDiplom, es geht um den Diplom-Inge-nieur. Die Abschaffung dieses Titels warvon Anfang an eine der unverständlichs-ten Folgen der Bologna-Reform. Derging es angeblich um die internationaleAnerkennung akademischer Abschlüsse.Der deutsche Diplom-Ingenieur gehörtezu den anerkanntesten Abschlüssen welt-weit. Die Leute sind von weiß Gott wo-her nach Deutschland gekommen, umihn zu erwerben. Von Akzeptanzproble-men deutscher Ingenieure im Auslandhatte auch niemand gehört. Worin dieIdeen eines sechssemestrigen „Bachelorof Engineering“ als Regelabschluss anUniversitäten bestehen sollte, verstan-den die Ingenieursfakultäten auch nicht.Sie widersprachen darum, namentlichdie TU9, der Verband der großen Techni-schen Universitäten, von denen drei –Aachen, Karlsruhe und München – zuden Exzellenz-Universitäten gehören.

Ihnen ging es dabei vor allem darum,festzuhalten, dass ein wissenschaftlichausgebildeter Ingenieur, der zu eigenerForschung befähigt ist, nicht im Kurzstu-dium entsteht. Und es ging ihnen umdas, was man den Erhalt eines Marken-zeichens nennen kann. In einem Reform-prozess, der viel auf Begriffe wie „Wett-bewerb“, „Profilbildung“, „Autonomie“und „Differenzierung“ Wert legt, ist dasein ziemlich nachvollziehbarer Wunsch.„Deutschlands Hochschulpolitik“, so derSPD-Abgeordnete Mathias Brodkorb,„ist seit mehreren Jahren sowohl vomLeitgedanken der Hochschulautonomieals auch dem eines europäischen Hoch-schulraums getragen. Beides ist aller-dings miteinander kaum vereinbar. InWahrheit erleben wir nämlich nicht eineSteigerung der Hochschulautonomie,sondern eine hochschulpolitische Ent-machtung der Länder.“

Insellösung oder Gefahr fürs Ganze?Die Novelle des mecklenburg-vorpom-merschen Hochschulgesetzes ist nun ih-rerseits der Versuch einer echten Profil-bildung. Ein Land, das sicher nicht dergrößte Magnet für Studierende aus ande-ren Bundesländern ist, hat nachgedacht,wie es seine Hochschulstandorte attrak-tiv machen kann. Das auch von Seitenvieler Studierender präferierte Modelldes Diplom-Studiums scheint den dorti-gen Bildungspolitikern eine Chance da-für zu bieten. Ein Musterfall von föde-ralem Wettbewerbsverhalten. AndréSpecht, für die CDU Mitglied im dorti-gen Bildungsausschuss, betont, dass esAnregungen aus den Hochschulen undvon den Studierenden selbst waren, diein den Gesetzentwurf eingegangen sind:Wahlmöglichkeit des Diploms und er-leichterter Zugang für Bachelor-Absol-venten zum Masterstudium.

Was also hat Micha Teuscher, Fach-hochschulsprecher innerhalb der HRKund selbst Betriebswirt aus dem benach-barten Brandenburg, gegen diese Initiati-ve? Sie stifte „national wie internationalVerwirrung“ und stelle den Bologna-Pro-zess in Frage. Außerdem habe Mecklen-burg-Vorpommern jährlich nur rund 700Absolventen eines Ingenieur-Studiums:„Es ist völlig inakzeptabel, dass ausge-hend von diesem kleinen Kreis der Be-troffenen ein derartig gravierender Ein-schnitt in den europaweiten Bologna-Prozess vollzogen werden soll. Das stelltdie Qualifikationsziele der europäischenStudienreform in Frage.“

Diese Logik ist ergreifend wider-sprüchlich: Es sind nur ganz wenige, diejene kleine Korrektur betrifft, doch ge-hen von ihr internationale Konsequen-zen aus? Aber die Klugheit der Schweri-ner Initiative besteht ja gerade darin,sich um eine Erhöhung der dortigen Ab-

solventen- und Immatrikulationszahlenzu bemühen, indem man einen Titel an-bietet, den viele gerne tragen wollen,weil er einen guten Ruf hat.

Verwirrung in Stockholm und Madrid,weil man in Rostock demnächst wiederDiplom-Ingenieur werden kann? DerSchweriner Bildungsausschuss ein galli-sches Dorf, vor dem ganz Bologna-Euro-pa erzittert? So reagieren die vielen An-rufer der Bundesebene, die sich jetzt beiSchweriner Abgeordneten melden, umvor hochschulpolitischem Chaos zu war-nen. Mathias Brodkorb scherzt schon, eshandele sich um eine „Interventionraumfremder Mächte“, einen Stellvertre-terkrieg auf mecklenburg-vorpommer-schem Boden. In diesem Versuch, Druckauszuüben, liegt ein ungewolltes Kompli-ment, nur kein sehr durchdachtes.

Teuscher spricht davon, dass der Al-leingang Mecklenburg-Vorpommerns„zwangsläufig“ zu einer „Insellösung“führen würde, die dem Bundesland scha-de. Dazu passt es allerdings nicht, dass inFinnland das Masterstudium nach wievor mit dem Diplomgrad abgeschlossenwird; in Norwegen und Schweden ist esnicht anders; die französischen GrandesÉcoles verleihen ein Ingenieurdiplom;Österreich lässt volle Wahlmöglichkeitim Schweriner Sinne. In Teuschers Auf-schrei steckt insofern mehr die Sorge,auch andernorts könne man sich denWünschen der TU9 anschließen. Aberdann will das Wort „Insellösung“ nichtrecht passen – wenn es eine wäre, dieman auch an der TU München, derRWTH Aachen, der TU Darmstadt oderan dem Karlsruher Institute of Technolo-gy akzeptieren würde. Die TU9 hat denLandtagsabgeordneten jedenfalls schonzu ihrem Mut gratuliert.

Wettbewerb ernst genommenIm Gesetzestext soll es heißen, „auf An-trag des Studierenden“ könne das Di-plom bei vorliegenden Voraussetzungenverliehen werden. Man will die Studen-ten also nicht als Kinder behandeln, dieman vor unüberlegten Taten bewahrenmuss. Niemand verwehrt es einem Bache-lor-Absolventen, diesen Titel zu wählenoder den Master, wenn er meint, das kom-me auf dem Arbeitsmarkt besser an. An-ders formuliert: Jetzt macht einmal dieHochschulpolitik über Parteigrenzen hin-weg mit dem Autonomie- und Wettbe-werbsgedanken Ernst, und die Ersten, dievon Verunsicherung sprechen, sind einBetriebswirt, der BDI und die Unterneh-merverbände des Landes. Die Industrie-und Handelskammer Rostock hingegenlobt die Wahlmöglichkeit für Studenten.

Die Unternehmerverbände haben ineinem Brief an alle Schweriner Abgeord-neten betont, dass der Bachelor von denUnternehmen begrüßt werde. Was dasmit der Wahlfreiheit zwischen Master-und Diplom-Titel zu tun hat, erschließtsich nicht. Denn wenn mit dem Bache-lor-Master-Modell alles in Ordnung ist,dann wird ja auch kein Student mit Ver-stand – und Ingenieurstudenten sindnicht für besondere Irrationalität be-kannt – von der neuen Wahlfreiheit Ge-brauch machen. Zu Recht hat übrigensder Dekan der Fakultät für Maschinen-bau und Schiffstechnik an der Universi-tät Rostock, Egon Hassel, die Abgeordne-ten des Schweriner Landtages darauf hin-gewiesen, dass kein einziges Bologna-Dokument existiert, das die Weiterfüh-rung des Diploms als international aner-kannten Abschluss verbietet.

Die Befürchtung der Unternehmerver-bände, die Gesetzesnovelle werde überdie Köpfe der Hochschulen hinweg be-schlossen, kann auch insofern zerstreutwerden: Bei einer kürzlich in Rostockvon der mecklenburg-vorpommerschenSPD-Landtagsfraktion durchgeführtenExpertentagung zum Thema fand sichkein einziger Hochschulvertreter, dersich gegen das Diplom-Studium ausge-sprochen hätte. Dessen Fürsprecher inden Vorstandsetagen großer deutscherUnternehmen von Daimler-Benz bis Lin-de sind überdies bekannt.

In Wahrheit sind die Befürchtungen,die vom Fachhochschulsprecher derHRK etwas bemüht geschürt werden,auch ganz andere. Man ist an manchenFachhochschulen (FHs) in Sorge, die Dif-ferenz zwischen einem Fachhochschul-und einem Universitätsstudium könntein Form des Titels wieder deutlicher be-tont werden. Diese Sorge aber ist nichtnur unhistorisch: Bis vor kurzem gab esja noch die unterschiedlichen Titel –Dipl.-Ing. und Dipl.-Ing.(FH) –, ohnedass deswegen den Fachhochschulen dieStudenten davongelaufen wären.

Die Sorge ist außerdem unbegründet,denn in der Gesetzesnovelle heißt es aus-drücklich, auch FHs könnten bei gleich-wertigen Leistungsvoraussetzungen undPrüfungsleistungen den „Dipl.ing.(FH)“für einen achtsemestrigen Bachelor ver-leihen. Das war eine Forderung von Mi-cha Teuscher im Vorfeld der Beschlüssedes Bildungsausschusses: Wenn schonDiplom, dann auch für uns. Man mussalso Rhetorik und Taktik ins Kalkül zie-hen, wenn angeblich eine Gefahr inRede steht, die von Schwerin für die euro-päische Bildung ausgehen soll. DieSchweriner Abgeordneten, die sich baldim Plenum mit der Hochschulnovelle be-fassen, können das sehr selbstbewussttun. In einem Land, dem es, aller Redens-arten zum Trotz, an Wettbewerb undVielfalt mangelt, habe sie eine guteChance, die Hochschulen ihrer Region at-traktiv zu machen. JÜRGEN KAUBE

Leopoldinaehrt Winnacker

Das Verwaltungsgericht Münster hatEnde November ein interessantes Ur-teil zur Vergabe von Studienplätzen ge-fällt. Ein deutscher Student hatte ander Westfälischen Wilhelms-Universi-tät die Zulassung zum Masterstudiumder Volkswirtschaftslehre (VWL) bean-tragt. Da er seinen Bachelor an einemCollege in den Vereinigten Staaten imFach „Business Administration“ ge-macht hatte, also in Betriebswirt-schaftslehre, befand die Universität, esfehle ihm, der die Anforderung einerNote von 2,5 und besser im Bachelor er-füllte, eine genügende Anzahl an Lehr-veranstaltungen in VWL. Dieser Hinde-rungsgrund, so das Gericht, sei nachErläuterung seiner in Amerika besuch-ten Seminare hinfällig.

Vor allem aber hielt das Verwal-tungsgericht die zweite Stufe der Zulas-sungsprüfung in Münster für rechtswid-rig. Um bei einem Überschuss von Be-werbern über die Zahl der Studienplät-ze zu einer Vergabeentscheidung zukommen, hatte die Universität durchein Punktesystem eine Rangfolge derBewerber ermittelt. Darin ging die Abi-turnote ein, die Bewertung eines Moti-vationsschreibens der Bewerber, die zu-vor auf volkswirtschaftlichem Gebieterbrachten Studienleistungen sowiedie Bachelor-Note.

Das Gericht hingegen hält einzigLetzteres für ausschlaggebend. Der imStaatsvertrag festgehaltene „maßgebli-che Einfluss“ der Bachelor-Note erfor-dert es danach, sie mit 51 Prozent in ei-ner Bewertung der Bewerber zu be-rücksichtigen. Das wiederum hat, mages auch geltendes Recht sein, denNachteil, dass nun Studierende vonHochschulen mit strengen Bachelor-prüfungen, beispielsweise Münsterselbst, beim Übergang ins Masterstudi-um in Nachteil gegenüber anderen, we-niger streng Geprüften geraten. Diegrößte Wirkung des geltenden Zulas-sungsrechts könnte darum in unfrei-williger Mobilität der Studierenden be-stehen. F.A.Z.

Die Stiftung Mercator gründet gemein-sam mit den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Müns-ter, Osnabrück und Paderborn ein Gra-duiertenkolleg für Islamische Theolo-gie. Ziel ist es, wissenschaftlichen Nach-wuchs vor allem für die noch zu etablie-renden Zentren für islamische Studienauszubilden. Das gaben die Stiftungund die Universitäten jetzt bekannt.Das Graduiertenkolleg wird zumHerbst 2011 erste Doktoranden aufneh-men und wird über sechs Jahre mit 3,6Millionen Euro von der Stiftung Merca-tor gefördert.

Ziel der Stiftung, so ihr Geschäftsfüh-rer Bernhard Lorentz, sei es, eine ange-messene Repräsentation von Muslimenin Wissenschaft und Schule sowie dieEntstehung des Wissenschaftsfelds Isla-mische Theologie zu unterstützen. DieStiftung folgt damit Empfehlungen desWissenschaftsrats vom Januar 2010.Das Graduiertenkolleg wird standort-übergreifend eingerichtet und von Mou-hanad Khorchide koordiniert, der ander Universität Münster Islamische Re-ligionspädagogik lehrt. Es wird aus biszu fünfzehn Doktoranden bestehen,die an einem der Standorte promovie-ren und am übergreifenden Studienpro-gramm des Kollegs teilnehmen. F.A.Z.

Bei einem der spektakulärsten Nach-wuchswettbewerbe für Lebenswissen-schaftler, einer Art Juniorenweltmeis-terschaft für synthetische Biologen,gibt es auch in diesem Jahr einen deut-schen Preisträger: Die 15 Studenten derUniversität Freiburg wurden beim„iGEM“ unter 128 Mannschaften ausfünf Kontinenten mit einer Goldmedail-le in der Kategorie Medizinprojekteausgezeichnet. Die iGEM-Teilnehmerdes BIOSS-Exzellenzclusters sind nochim Grundstudium und haben es den-noch geschafft, ein Genprogramm fürein Adenoassoziiertes Virus so herzu-stellen, dass dieses gezielt Krebszellenbefällt und abtötet. F.A.Z.

Der Schwedische Wissenschaftsrat (Ve-tenskaprådet) hat als der wichtigste Dritt-mittelgeber des Landes vor einiger Zeitentschieden, dass vom Jahr 2011 an allewissenschaftlichen Aufsätze, die von ihmfinanziert worden sind, sechs Monatenach der Publikation frei ins Internet ge-stellt werden müssen. Dagegen haben sichkürzlich mehr als achtzig schwedischeChemiker aller dortigen Universitäten ineiner Protestnote ausgesprochen. Das istinsofern bemerkenswert, als mitunter derEindruck erweckt wird, nur Geisteswissen-schaftler hätten Berührungsschwierigkei-ten mit der „Open Access“-Idee, weil sieveralteten Publikationsidealen anhängen.Die schwedischen Chemiker hingegen hal-ten die Politik ihres Drittmittelgebers füreine, die sich vor allem an den Bedürfnis-sen von Medizinern orientiert, für andereNaturwissenschaften aber wenig brauch-bar ist.

Im Einzelnen monieren die Chemikerdrei Punkte: Es gebe für ihr Fach keine re-nommierten reinen Open-Access-Journa-

le; die existierenden, die der schwedischeWissenschaftsrat empfohlen hatte, wür-den zumeist in Ländern wie Slowenien,Rumänien oder Indonesien betrieben undseien den meisten Chemikern völlig unbe-kannt.

Die alternative Publikation in sogenann-ten „hybriden Zeitschriften“, die gegeneine Gebühr Artikel, die für den Druck ak-zeptiert wurden, auch online frei verfüg-bar machen, sei immens kostspielig. ProArtikel könnten sich die Preise auf bis zu14 000 Dollar pro Jahr und Chemiker be-laufen. Für ganze Fakultäten gehe das indie Millionenhöhe.

Die dritte Möglichkeit sei das Anlegeneigener Archive im Internet. Die großenWissenschaftsverlage aber erlaubten die-ses parallele Publizieren von Beiträgen,die in ihren Zeitschriften abgedruckt sind,nicht; weder als pre-print (Vorabdruck),noch als post-print (Nachabdruck).

Unabhängig von diesen Schwierigkei-ten fragen die Chemiker in ihrer Protestno-te, welchen Sinn es überhaupt haben kön-ne, hochspezialisierte Forschung „allen“zugänglich zu machen, da mit „alle“ ja garkein sinnvoller Adressatenkreis solcherAufsätze umschrieben ist. Die weltweitenForschergemeinschaften unterhalten aufihren Spezialfeldern einen regen Aus-tausch untereinander. Die wenigen Inter-essenten, die Originalbeiträge zu nutzen

imstande sind, erhalten in der Regel eineder von den Verlagen gewährten kostenlo-sen fünfzig Kopien. Außerdem sei der Bi-bliothekszugang, zumindest in Schweden,für die Öffentlichkeit kostenlos.

Bei Einführung von „Open Access“ , sobefürchten die Chemiker, würden die Kos-ten des Publizierens umverteilt. Sie zitie-ren den kalifornischen MikroökonomenHal Varian: Jedes ökonomische System be-günstige den, der zahle. Wenn Leser oderBibliotheken zahlen müssten, komme esleichter dazu, dass irrelevante oder fal-sche Informationen gar nicht erst publi-ziert würden. Zahlen hingegen, wie bei„Open Access“, die Autoren, weil die Kos-ten der redaktionellen Überprüfung durchfür den Nutzer kostenlose Internet-Journa-le auf sie umgelegt werden müssen, seienQualitätseinbußen zu erwarten. Es werdedann mehr publiziert, als wünschenswertwäre.

Auch die für das Fach Chemie typischeBeteiligung von Industrieunternehmen anden Kosten der Zeitschriften – durchAbonnements – gehe dann zurück, zu Las-ten der Forschungseinrichtungen bezie-hungsweise der Forscher. Die schwedi-schen Chemiker beklagen, dass die Ent-scheidung für „Open Access“ ohne Nach-denken über solche konkreten Umständedes wissenschaftlichen Publizierens ge-fällt worden sei. kau

Immer diese UnterteufelDie Berliner Charité hat sich eine ergaunerte Jubiläumsschrift geschenkt

Ein Lehrstück inProfilbildung

Nur die Note zählt:Urteil zumMaster-Zugang

Ein Islamkollegfür Theologen

WeltmeisterlicheBiostudenten

Chemiker über dieNachteile des„Open Access“

„Wie kommt es, dass wir als Originale geboren werden und als Kopien sterben?“ (Edward Young): Die Anatomie der Charité Foto laif

In Schwerin wird einneues Hochschulgesetzbeschlossen. Darin sollstehen, dass dieHochschulen den Titel„Diplom-Ingenieur“wieder verleihendürfen. Jetzt wirdDruck auf die Abgeord-neten ausgeübt.