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Der Parkinson-Schuh BEWEGUNGSANALYSE MIT INTELLIGENTER SOFTWARE Ein Arzt, der Parkinson diagnostiziert, muss sich bisher vor allem auf seine Erfahrung verlassen. Das Softwarehaus ASTRUM IT aus Erlangen arbeitet an einem Sensorschuh, der die Symptome von Parkinson- Patienten an ihrem typischen Gang erkennt. So lassen sich entscheiden- de Informationen aus dem Alltag der Patienten erheben. Tremor wegen Mangel: Zittern ist das bekann- teste Symptom der Bewegungserkrankung Morbus Parkinson. Das liegt an der Unterver- sorgung des Gehirns mit dem Botenstoff Dopamin. 8

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Der Parkinson-SchuhBEWEGunGSanalySE MIt IntEllIGEntER SoFtWaRE

Ein Arzt, der Parkinson diagnostiziert, muss sich bisher vor allem auf seine Erfahrung verlassen. Das Softwarehaus ASTRUM IT aus Erlangen arbeitet an einem Sensorschuh, der die Symptome von Parkinson-Patienten an ihrem typischen Gang erkennt. So lassen sich entscheiden-de Informationen aus dem Alltag der Patienten erheben.

tremor wegen Mangel: Zittern ist das bekann-teste Symptom der Bewegungserkrankung Morbus Parkinson. Das liegt an der Unterver-sorgung des Gehirns mit dem Botenstoff Dopamin.

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Das Zittern kommt erst, wenn schon längst mehr als die Hälfte der betroffenen Ner-venzellen zerstört sind: Plötzlich funktio-

nieren die Hände beim Kämmen, Zähneputzen und Schuhebinden nicht mehr so wie sie sol-len – erst die eine, später dann auch die zweite Hand. Viele Betroffene empfinden es als beschä-mend, wenn bald auch ihre Freunde und Ange-hörigen merken, dass ihnen die oftmals notwen-dige Feinmotorik abhandengekommen ist. Auch der Gang verändert sich dann – und das gibt den ärzten wichtige Hinweise bei der Diagnose: Morbus Parkinson. „Bei dieser neurologischen Erkrankung kommt es zu einem fortschreitenden Untergang von Nervenzellen in einer bestimm-ten Hirnregion“, erklärt Dr. Jochen Klucken, Oberarzt in der Abteilung Molekulare Neurolo-gie am Universitätsklinikum Erlangen. Die Ursa-che ist noch weitgehend unbekannt, und eine ursächliche Therapie existiert noch nicht. Nur so viel ist klar: Weil die Nervenzellen absterben, die Dopamin produzieren und vor allem Bewe-gung steuern, kommt es langfristig zu den typi-schen Beschwerden wie Bewegungsarmut, Mus-kelsteife, Zittern auch in Ruhe und vor allem zu einem unsicheren Gang.

Gangmuster zeigt Krankheitsstadium

Geben frühe unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Depression den betreuenden Medizinern häufig noch keine konkreten Hin-weise auf die Erkrankung, die sich im Gehirn ihrer Patienten breitmacht, erkennen erfahrene Spezialisten die typischen Symptome später recht deutlich – und damit auch das Krankheits-bild Parkinson. Bei der Diagnose und Einstufung der Krankheitsstadien müssen sich die Neuro-logen bisher jedoch auf ihre Erfahrung verlas-sen. Denn es fehlt an objektiven Krankheits-kriterien, die sich mes-sen lassen. „Die Par-kinson-Diagnose ist bislang eher subjektiv und entsteht häufig aus einer Momentaufnahme“, erklärt Chantal Peter, Produkt-Managerin Gesundheitswesen beim Softwarehaus ASTRUM IT. Sie und ihre Kollegen arbeiten deshalb an einem Sensorschuh, der den menschlichen Gang

analysiert und so bereits frühzeitig Hinweise auf eine Parkinson-Erkrankung liefern kann. „Unser Gang ist intuitiv und unverfälscht: Er

lässt sich nicht so bewusst steuern wie etwa eine Armbewe-gung und ist daher sehr gut für die Diagnose-stellung geeignet“,

erklärt Peter. Die Software-Spezialisten von ASTRUM IT forschen in enger Absprache mit ärz-ten und Therapeuten am Universitätsklinikum Erlangen am Sensorschuh. „Wir freuen uns natür-lich sehr, so eine Hilfe an die Hand zu bekom-men“, erklärt Klucken. Denn ein Sensorsystem

Der Sensorschuh könnte eine Früherkennung der Krankheit ermöglichen

Gesundheit

Zerstörung im Gehirn: Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomo-graphie helfen Medizinern bei der Differenzialdiagnose von Parkinson-Patienten.

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könnte Gangveränderungen wie etwa kleinere Schritte oder Schwierigkeiten beim Losgehen viel früher detektieren als das menschliche

Auge dies jemals ver-mag. „Ein Morbus Par-kinson ließe sich dann endlich objektiv und nach besser vergleich-baren Kriterien beurtei-

len“, so der Neurologe. Der Einsatz des Sensor-schuhs wird derzeit vor allem im Hinblick auf die Beurteilung des Krankheitsverlaufs und auf die Wirksamkeit unterschiedlicher Therapie- ansätze getestet: Langfristig könnte er aber

auch bei der Früherkennung helfen und so eine zeitigere Diagnose der Erkrankung als bisher ermöglichen. Heute wird die Krankheit in der Regel erst erkannt, wenn bereits 50 bis 60 Pro-zent der Nervenzellen zerstört sind.Noch befindet sich der Sensorschuh samt Auf-zeichnungs- und Auswertungssystem allerdings im Forschungsstadium. Das Projekt „eGaIT“ (embedded Gait analysis using Intelligent Tech-nology), an dem ASTRUM IT, die Spezialambu-lanz für Bewegungserkrankungen des Univer-sitätsklinikums Erlangen und der Lehrstuhl für Mustererkennung an der Universität Erlangen beteiligt sind, ist auf drei Jahre angelegt. Start war im Frühjahr 2012. Noch ist der Sensor am Prototyp deutlich sichtbar an der Außenseite des Schuhs befestigt, später wird er aber im Inneren – vermutlich in der Sohle – verschwin-den. „Wir haben uns für einen Inertialsen-sor entschieden, der Bewegungsparameter wie Drehwinkel und Beschleunigung registriert“, erklärt Peter. ähnliche Sensoren sind zum Bei-spiel auch in einem Smartphone integriert.Das exakte Messen der Daten ist die eine Her-ausforderung, die Auswertung die andere. Die Software-Ingenieure arbeiten dafür mit mathe-matischen Methoden der Mustererkennung. Das setzt zunächst eine gute Datengrundlage vor-aus. Mittlerweile haben rund 600 Menschen – Patienten und gesunde Kontrollpersonen – den Schuh getragen und klassische Übungen zur Parkinson-Diagnose damit durchgeführt:

Langzeitbeobachtung: Das Sensorsystem im Schuh misst Bewegungsdaten, die später von ärzten ausge-wertet werden können.

Smartphone-Sensoren im Einsatz für die Parkinson-Diagnostik

nachgefragt

Wie könnten Parkinson-Patienten, Thera-peuten und Ärzte in Zukunft von einem Sensorschuh profitieren?

Biosensor-unterstützte Erfassung von Bewe-gungsstörungen, wie sie der Sensorschuh ermöglicht, haben zwei hauptsächliche Funk-tionen: Zum einen können sie ein objekti-ves und vergleichbares Bild der Bewegungs-störung erheben und sind somit unabhängig vom untersuchenden Arzt. Zum anderen sind sie als mobile und unauffällige, in Kleidungs- stücke integrierbare Sensorsysteme in der Lage, die Bewegungseinschränkungen und deren Veränderungen im Tagesverlauf zu erfassen. Dadurch bekommt der Arzt Informa-tionen, die insbesondere in fortgeschrittenen Krankheitsstadien therapeutisch relevant sind und bisher nur sehr unzulänglich erfasst wer-den können.

Für welche anderen Krankheitsbilder könnte ein ähnliches Sensorsystem sinn-voll sein?

Das System der Sensor-basierten Bewegungs-analyse lässt sich auf eine Vielzahl orthopä-discher oder neurologischer Krankheitsbilder übertragen. Das könnte helfen, den Erfolg von Therapien oder Medikamenten objektiv und vergleichbar zu beurteilen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass in Zukunft in Echtzeit Bewegungsdaten aufgezeichnet und ausgewertet werden, die dann eine sofortige Rückmeldung an den Patienten geben. Solche sogenannten Biofeedback-Systeme können dadurch auch eine direkte therapeutische Wirkung haben. Ein Schuh-basiertes Gang-analysesystem könnte dafür mit weiteren Sensoren kombiniert werden, die neben der Bewegung auch Puls, Atmung und Temperatur erfassen.

Dr. Jochen KluckenOberarzt in der Abteilung für Molekulare Neurologie, Universitätsklinikum Erlangen

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Von außen nach innen: Noch ist der Sensor, der den Gang des Patienten analysiert, außen am Schuh angebracht. Später soll er in den Schuh integriert werden.

Sie mussten zum Beispiel zehn Meter mit und ohne Pause gehen, auf der Stelle treten oder mit ihrer Fußspitze einen Kreis zeichnen. „Aus diesen Ergebnissen und vergleichenden Analysen konnten unsere Experten nach und nach Schlüsse ziehen, welches Gangmuster auf welches Krankheitsstadium hindeutet“, erklärt Peter. Dafür nutzten sie auch die Diagnosestel-lungen der ärzte, verglichen sie mit den gemes-senen Bewegungen und gestalteten das System allmählich immer präziser. Peter: „Jetzt kann uns der Schuh erstmals objektive Daten eines Parkinson-Patienten liefern.“ ärzte wiederum können diese Daten nutzen, um das Krankheits-bild und -stadium noch besser einschätzen zu können.Doch nicht nur bei der Diagnose, sondern besonders bei der Erfassung von Langzeitda-ten könnte der Sensorschuh in Zukunft nütz-lich sein. Die Patienten werden den Schuh zum Beispiel auch zu Hause im Alltag tragen, und die ärzte den Gang so über einen längeren Zeit-raum beobachten. „Gerade bei Parkinson ist das ein wichtiger Aspekt“, erklärt Klucken, „denn die Symptome schwanken je nach Tagesform, Einfluss von Medikamenten und Umweltfakto-ren.“ So lassen sich auch der Therapieverlauf und die korrekte Dosierung eines Medikaments besser kontrollieren. Außerdem lässt sich das Fortschreiten der Erkrankung frühzeitig erken-nen – und so zum Beispiel mit einer Gehhilfe dem erhöhten Sturzrisiko vorbeugen.

Viele Einsatzmöglichkeiten

Solch ein Monitoring über einen längeren Zeit-raum wäre auch für andere medizinische Anwen-dungen denkbar: „Objektive Sensorikdaten, wie sie vom sogenannten Parkinson-Schuh ermittelt werden, könnten nicht nur bei neurologischen Erkrankungen hilfreich sein, sondern auch in der Orthopädie oder Chirurgie, wenn ein Medizi-ner zum Beispiel den Heilungsverlauf oder den Effekt einer Rehabilitation überprüfen möchte“, sagt Peter. Aber auch gesunde Menschen könn-ten von einer Ganganalyse zur Prävention von Bewegungsstörungen profitieren. „Wir erfassen die Daten in der Regel dezentral und übermit-teln sie via Bluetooth auf ein mobiles Endgerät, zum Beispiel ein Smartphone oder einen Tab-let-PC“, erklärt Peter. So lassen sich die Bewe-gungsparameter direkt an den Patienten oder über eine gesicherte Internetverbindung an den behandelnden Arzt oder Therapeuten übertra-gen. Peter und ihre Kollegen haben viele Ideen, wie sie ihre Sensortechnik in Zukunft noch einset-zen könnten. Diese Ansätze entwickeln sie auch immer weiter in Gesprächen mit Partnern in der

Region rund um das Medical Valley in Erlan-gen. „Uns sind Austausch und Kontakt zu ande-ren Experten auf unserem Gebiet sehr wichtig“, erklärt Peter. Dafür bietet ihnen die Bayern Innovativ GmbH eines der zentralen Netzwerke. Seit Jahren ist ASTRUM IT deshalb auch Mit-glied im Forum MedTech Pharma e.V. und als Teilnehmer von Fortbildungsveranstaltungen vertreten. „Das Thema IT-Vernetzung findet dort immer mehr Beachtung, auch das Vernetzen von Gesundheitsdienstleistern, etwa zwischen zwei Arztpraxen oder zwischen einem niedergelasse-nen Arzt und dem Krankenhaus“, so die Wahr-nehmung Peters. Das ist ein Trend, der immer komplexeren Krankheitsbildern und der zuneh-menden Subspezialisierung in der Medizin Rech-nung trägt. Deshalb arbeitet das rund 140 Mit-arbeiter starke Softwareunternehmen an einer entsprechenden Integrationsplattform, um wei-tere Anwendungen im Gesundheitswesen abzu-bilden. Denn erst der gemeinsame Blick auf patientenbezogene Informationen gewährleis-tet schließlich eine optimale und integrierte Behandlung für den Patienten – und das nicht nur bei Morbus Parkinson.

Diagnose Parkinson

Morbus Parkinson ist eine langsam fortschreitende Schädigung von Ner-venzellen, deren Symptome behandelbar, die jedoch nicht heilbar ist. Meist erkranken Menschen erst in höherem Alter: Die Diagnose wird in der Regel zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr gestellt. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Die klassischen Symptome sind Bewegungsverlangsamung beziehungsweise -armut (Hypo-, Akinese), Muskelsteifheit (Rigor) und Zittern (Tremor). Deshalb nannte der engli-schen Arzt James Parkinson die Krankheit auch „Schüttellähmung“, als er sie im Jahr 1817 zum ersten Mal beschrieb. Diese Symptome können aber auch bei anderen Erkrankungen wie chronischen Durchblutungs- störungen des Gehirns oder als Nebenwirkung bei der Einnahme bestimmter Medikamente auftreten.

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