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BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Plenarprotokoll 21/40 21. Wahlperiode 07.09.2016 40. Sitzung Mittwoch, 7. September 2016 Vorsitzende: Präsidentin Carola Veit, Erster Vizepräsident Dietrich Wersich, Vizepräsidentin Barbara Duden, Vizepräsidentin Antje Möller und Vizepräsidentin Christiane Schneider Inhalt: Mitteilungen der Präsidentin Abwicklung und Änderung der Ta- gesordnung 2695, Gedenkworte und Schweigeminu- te zum Tod von Henning Voscherau am 23. August 2016. 2695, Aktuelle Stunde 2695, SPD-Fraktion: Hamburgs Schulen starten bestens gerüstet in das neue Schuljahr: Höchstzahlen bei Ganztagsanmeldungen, Schülerinnen und Schülern, Pädagoginnen und Pädagogen mit FDP-Fraktion: Start ins Schuljahr: Rabes Schulpolitik braucht dringend eine Generalüberholung Barbara Duden SPD 2696, Karin Prien CDU 2697, 2706, Dr. Stefanie von Berg GRÜNE 2698, Sabine Boeddinghaus DIE LINKE 2699, 2707, Anna-Elisabeth von Treuenfels- Frowein FDP 2700, 2708, Dr. Alexander Wolf AfD 2701, 2709, Dora Heyenn fraktionslos 2702, Dr. Ludwig Flocken fraktionslos 2703, Ties Rabe, Senator 2704, CDU-Fraktion: Tempo 30, Fahrverbote, Park- platzvernichtung: Grüne Ver- kehrsideologie schadet der Mo- bilität in Hamburg (Fortführung am 8. September 2016) GRÜNE Fraktion: Mehr Geld für Hamburgs Grün: Wir machen die Stadt noch at- traktiver (Fortführung am 8. September 2016) Fraktion DIE LINKE: OSZE/G20 werfen sicherheits- politisch ihre Schatten voraus (Fortführung am 8. September 2016) AfD-Fraktion:

BÜRGERSCHAFT DERFREIENUNDHANSESTADTHAMBURG … · BÜRGERSCHAFT DERFREIENUNDHANSESTADTHAMBURG Plenarprotokoll21/40 21.Wahlperiode 07.09.2016 40.Sitzung Mittwoch,7.September2016 Vorsitzende:

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BÜRGERSCHAFTDER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Plenarprotokoll 21/4021. Wahlperiode 07.09.2016

40. SitzungMittwoch, 7. September 2016

Vorsitzende: Präsidentin Carola Veit, Erster Vizepräsident Dietrich Wersich, Vizepräsidentin BarbaraDuden, Vizepräsidentin Antje Möller und Vizepräsidentin Christiane Schneider

Inhalt:

Mitteilungen der PräsidentinAbwicklung und Änderung der Ta-gesordnung 2695,

Gedenkworte und Schweigeminu-te zum Tod von Henning Voscherauam 23. August 2016. 2695,

Aktuelle Stunde 2695,

SPD-Fraktion:

Hamburgs Schulen startenbestens gerüstet in das neueSchuljahr: Höchstzahlenbei Ganztagsanmeldungen,Schülerinnen und Schülern,Pädagoginnen und Pädagogen

mit

FDP-Fraktion:

Start ins Schuljahr: RabesSchulpolitik braucht dringendeine Generalüberholung

Barbara Duden SPD 2696,Karin Prien CDU 2697, 2706,Dr. Stefanie von Berg GRÜNE 2698,Sabine Boeddinghaus DIE LINKE 2699, 2707,

Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP 2700, 2708,

Dr. Alexander Wolf AfD 2701, 2709,Dora Heyenn fraktionslos 2702,Dr. Ludwig Flocken fraktionslos 2703,Ties Rabe, Senator 2704,

CDU-Fraktion:

Tempo 30, Fahrverbote, Park-platzvernichtung: Grüne Ver-kehrsideologie schadet der Mo-bilität in Hamburg

(Fortführung am 8. September 2016)

GRÜNE Fraktion:

Mehr Geld für Hamburgs Grün:Wir machen die Stadt noch at-traktiver

(Fortführung am 8. September 2016)

Fraktion DIE LINKE:

OSZE/G20 werfen sicherheits-politisch ihre Schatten voraus

(Fortführung am 8. September 2016)

AfD-Fraktion:

Brennpunkt Jungfernstieg:Hamburg wieder sicher ma-chen!

(Fortführung am 8. September 2016)

Unterrichtung durch die Präsidentinder Bürgerschaft:

Wahl einer oder eines Deputier-ten der Justizbehörde– Drs 21/1466 – 2709,

und

Unterrichtung durch die Präsidentinder Bürgerschaft:

Wahl einer oder eines Deputier-ten der Behörde für Schule undBerufsbildung– Drs 21/2316 – 2709,

Ergebnis 2724,

Senatsantrag:

Haushaltsplan-Entwurf 2017/2018, Mittelfristiger Finanzplan2016-2020 und Haushaltsbe-schluss-Entwurf 2017/2018 derFreien und Hansestadt Ham-burg– Drs 21/5000 – 2710,

Dr. Peter Tschentscher, Senator 2710,Thilo Kleibauer CDU 2712,Jan Quast SPD 2714,Farid Müller GRÜNE 2716,Norbert Hackbusch DIE LINKE 2718,Jennyfer Dutschke FDP 2720,Dr. Jörn Kruse AfD 2722,

im Vorwege überwiesen an dieFachausschüsse 2724,

Bericht des Ausschusses für Sozia-les, Arbeit und Integration über dieDrucksachen 21/3851 und 21/4048:

Mehr Schutz, Selbstbestim-mung und verbesserte Rah-menbedingungen für Prostitu-ierte – Der Senat muss die Um-setzung eines Prostituierten-schutzgesetzes auf Bundes-ebene unterstützen (Antrag derCDU-Fraktion) undSelbstbestimmungsrechte undSchutz vonProstituierten stärken – Run-den Tisch Prostitution einset-zen (Antrag der Fraktionen derGRÜNEN und der SPD)– Drs 21/5618 – 2724,

Mareike Engels GRÜNE 2724,Annkathrin Kammeyer SPD 2726,Franziska Grunwaldt CDU 2727,Cansu Özdemir DIE LINKE 2728,Jennyfer Dutschke FDP 2729,Dr. Bernd Baumann AfD 2729,

Beschlüsse 2730,

Antrag der Fraktion DIE LINKE:

Mietpreisbremse, aber richtig!– Drs 21/5672 – 2730,

dazu

Antrag der Fraktionen der SPD undder GRÜNEN:

Mietpreisbremse zeigt ersteWirkung – Mieterinnen undMieter bei der Anwendung desGesetzes unterstützen, Evalu-ierung durchführen– Drs 21/5854 – 2730,

Heike Sudmann DIE LINKE 2730, 2737,Dirk Kienscherf SPD 2732,Jörg Hamann CDU 2734,Olaf Duge GRÜNE 2735,Jens Meyer FDP 2736,Dr. Bernd Baumann AfD 2737,

Beschlüsse 2738,

Große Anfrage der FDP-Fraktion:

Hamburgs Unternehmensbetei-ligungen – Welche Unterneh-men besitzt die Stadt und wiegut werden sie gesteuert?– Drs 21/4972 – 2739,

2692 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

mit

Antrag der Fraktionen der SPD undder GRÜNEN:

Hamburger Beteiligungsver-waltung gut aufstellen und dieEmpfehlungen des Rechnungs-hofes umsetzen– Drs 21/5113 – 2739,

Michael Kruse FDP 2739,Markus Schreiber SPD 2741,Thilo Kleibauer CDU 2742, 2746,Dr. Anjes Tjarks GRÜNE 2744,Norbert Hackbusch DIE LINKE 2745,Andrea Oelschläger AfD 2746,

Beschlüsse 2747,

Antrag der AfD-Fraktion:

Öffentlichkeit über Abstim-mungsverhalten im Bundesratinformieren– Drs 21/5423 – 2747,

dazu

Antrag der Fraktionen der SPD undGRÜNEN:

Öffentlichkeit über Abstim-mungsverhalten im Bundesratinformieren– Drs 21/5855 – 2747,

Dr. Jörn Kruse AfD 2747,Olaf Steinbiß SPD 2748,Richard Seelmaecker CDU 2748,Farid Müller GRÜNE 2749,Martin Dolzer DIE LINKE 2749,Michael Kruse FDP 2750,Dr. Alexander Wolf AfD 2750,Heike Sudmann DIE LINKE 2752,

Beschlüsse 2753,

Antrag der CDU-Fraktion:

Besserer Schutz von Minder-jährigen vor Eheschließungenim Kindes- und Jugendalter– Drs 21/5699 – 2753,

Beschlüsse 2753,

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2693

2694 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

Beginn: 15.04 Uhr

Präsidentin Carola Veit:Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutigeSitzung und bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu er-heben.

"Frage nicht, was dein Land für dich tunkann, sondern was du für dein Land tunkannst."

Dieser Satz, meine Damen und Herren, hätte auchvon Henning Voscherau stammen können. Er istheute vor zwei Wochen verstorben, und wir trauernum einen erfolgreichen Bürgermeister, einen ge-wichtigen, langjährigen Fraktionsvorsitzenden, derdas Wohl unserer Vaterstadt stets an die ersteStelle seines persönlichen und politischen Han-delns gestellt hat. Nicht Ruhm, Ehre und persönli-che Bereicherung standen für ihn im Vordergrund,sondern stets das Wohl und Wehe seiner, unsererVaterstadt. Deshalb schmerzt uns der Verlust weitüber die Parteigrenzen hinweg.

Hier vorn war sein Platz in unserem Hause. Natur-gemäß hat er dort für die Position der sozialdemo-kratischen Sache gestritten und Mehrheiten organi-siert, wo es erforderlich war. Das bringt der Job ei-nes Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion so mit sich.Aber er hat beileibe nicht alles hingenommen,wenn er es für falsch hielt, und er war wohl der bis-her einzige Vorsitzende einer Regierungsfraktion,der sogar einen parlamentarischen Untersu-chungsausschuss gegen den eigenen Senatdurchgesetzt hat, weil er damals Informationendarüber hatte, dass bei der Stadtreinigung nicht al-les mit rechten Dingen zuging. Das hat es vor undnach ihm nie wieder gegeben.

Henning Voscherau war als Fraktionsvorsitzenderein entschiedener Verfechter und Vertreter der Ge-waltenteilung. Die Judikative war sein täglich Brotals Notar. Er respektierte sie, auch wenn er sichmanchmal über Entscheidungen der Gerichte dieHaare raufte. Den Senat, die zweite Gewalt imStaate, sah er oft kritisch, und die Rolle der erstenGewalt des von den Bürgerinnen und Bürgern ge-wählten Parlaments verteidigte er als SPD-Abge-ordneter und Fraktionsvorsitzender notfalls mitZähnen und Klauen. Und darauf gründete sich,glaube ich, auch der Respekt, den ihm durchausauch Vertreter der anderen Parteien und Fraktio-nen entgegenbrachten. Und das galt auch fort,nachdem er nicht mehr Bürgermeister war.

Ja, es stimmt, er hat damals auch richtungswei-sende Entscheidungen ohne vorherige Beteiligungdes Parlaments eingeleitet, was heute in Zeitengrößtmöglicher Transparenz und Beteiligung viel-leicht auch gar nicht mehr so möglich wäre.

Die Entwicklung der HafenCity zum Beispiel, eineIdee, die sicherlich auch noch andere Väter hatte,

aber Henning Voscherau hat die Voraussetzungengeschaffen, unser neues Stadtviertel auch wirklichzu bauen. Voscherau hatte Visionen und er hat sieumgesetzt, HafenCity, Hafenerweiterungen, Alten-werder, der gewaltige Ausbau von Airbus in Fin-kenwerder, das sind nur einige Beispiele.

Aber neben diesen großen Themen waren ihmstets auch die kleinen wichtig, übrigens auch die,die er nicht selbst entwickelt hatte. In seiner Zeitals Bürgermeister wurde zum Beispiel in Hamburgdie Verlässliche Halbtagsgrundschule eingeführt,ein Modell, das später in der ganzen Republik ko-piert wurde. Dass er versuchte, stets selbst mög-lichst alles genau und haarklein zu eruieren, dasser, statt sich auf sogenannte Fachleute zu verlas-sen, selbst bis zum Rande der völligen Erschöp-fung arbeitete, ist Legende.

Man konnte dieser Tage wieder nachlesen, dasszu seiner Zeit im Rathaus oft noch nach Mitter-nacht das Licht brannte, weil der Chef Akten stu-dierte. Eine Haltung, die er übrigens auch seinemUmfeld dringend empfahl. Von seinem damaligenFahrer ist überliefert, dass der Chef oft die kurzeZeit zwischen zwei Terminen zu einem Zehnminu-tenschlaf nutzte, um dann nach dem Verzehr einerBanane auch gleich wieder fit zu sein.

Meine Damen und Herren! Vielen meiner Generati-on war und bleibt Henning Voscherau ein Vorbild,und ich glaube, wir können ihm gemeinsam Re-spekt und Anerkennung erweisen für das, was erfür unsere Vaterstadt getan hat. Bitte lassen Sieuns einen Augenblick im Andenken an Hen-ning Voscherau schweigen. – Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden erheben sich von ihrenPlätzen.)

Meine Damen und Herren! Bevor wir nun gleichzur Aktuellen Stunde kommen, habe ich Ihnennoch einige einvernehmliche Abweichungen vonder Empfehlung des Ältestenrats mitzuteilen. Zu-nächst sind die Fraktionen übereingekommen, diefür heute angemeldeten Debatten zu den Tages-ordnungspunkten 18 und 62 zu einer Debatte zu-sammenzufassen. Wir werden also nachher dieDrucksachen 21/4972 und 21/5113 gemeinsam alsvierten Debattenpunkt aufrufen. Darüber hinauswird Tagesordnungspunkt 6, das ist die Wahl einesvertretenden Mitglieds des Hamburgischen Verfas-sungsgerichts, einvernehmlich vertagt. Und ich tei-le Ihnen sehr gern noch mit, dass zu Tagesord-nungspunkt 81 unserer Tagesordnung die FDP-Fraktion ihren Antrag zurückgenommen hat.

Wir kommen zur

Aktuellen Stunde

Dazu sind wie immer sechs Themen angemeldetworden, und zwar von der SPD-Fraktion

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2695

Hamburgs Schulen starten bestens gerüstetin das neue Schuljahr: Höchstzahlen beiGanztagsanmeldungen, Schülerinnen undSchülern, Pädagoginnen und Pädagogen

von der CDU-Fraktion

Tempo 30, Fahrverbote, Parkplatzvernich-tung: Grüne Verkehrsideologie schadet derMobilität in Hamburg

von der GRÜNEN Fraktion

Mehr Geld für Hamburgs Grün: Wir machendie Stadt noch attraktiver

von der Fraktion DIE LINKE

OSZE/G20 werfen sicherheitspolitisch ihreSchatten voraus

von der FDP-Fraktion

Start ins Schuljahr: Rabes Schulpolitikbraucht dringend eine Generalüberholung

und von der AfD-Fraktion

Brennpunkt Jungfernstieg: Hamburg wiedersicher machen!

Das erste und das fünfte Thema wollen wir ge-meinsam debattieren. Zu dieser Debatte rufe ichnun auf. – Frau Duden von der SPD-Fraktion be-kommt das Wort.

Barbara Duden SPD:* Frau Präsidentin, meineDamen und Herren! Die Sommerpause ist vorbei.Das gilt nicht nur für Hamburgs Parlamentarier, diesich zur ersten Sitzung nach der Sommerpausezusammenfinden, das gilt auch für HamburgsSchülerinnen und Schüler. 251 000 Schülerinnenund Schüler beginnen mit dem neuen Schuljahr.Seit gestern sind 16 000 Erstklässler eingeschult,und 15 000 Fünftklässler lernen seit Anfang derWoche ihre neuen Schulen kennen. HamburgsSchulen sind auch mit Blick auf die erneut gestie-genen Schülerzahlen gut aufgestellt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Mehr Schülerinnen und Schüler brauchen mehrLehrerinnen und Lehrer. 728 Vollzeitstellen sinddafür geschaffen worden, um weiterhin kleine Klas-sen und gute Unterrichtsqualität für alle Schülerin-nen und Schüler zu garantieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Man konnte in den vergangenen Tagen in Ham-burgs Tageszeitungen viele junge und engagierteneu eingestellte Lehrerinnen und Lehrer sehen,viele von ihnen selbst mit einem Migrationshinter-grund. Das begrüßen wir ausdrücklich, und wirwünschen ihnen allen viel Freude und Engage-ment bei ihrer neuen Tätigkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Alle 203 Hamburger Grundschulen haben einGanztagsangebot. Über 80 Prozent aller Schülerin-nen und Schüler besuchen den Ganztag anGrundschulen. Diese Zahl zeigt sehr eindrucksvoll,dass Hamburgs Eltern dieses Angebot akzeptierenund annehmen. Es ermöglicht den Familien dieVereinbarkeit von Familie und Beruf.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Diese Zahl zeigt aber auch sehr eindrucksvoll,dass es richtig und wichtig war, das Ganztagsan-gebot weiterhin in großem Tempo auszubauen.Die mit der Volksinitiative Guter Ganztag verein-barten Einigungen werden das Angebot weiterhinqualitativ verbessern. Wir haben gemeinsam ver-einbart, einen Ganztagsfonds mit 25 Millionen Euroauszustatten, um Kantinen und Räume an Schulenan die neuen Anforderungen anzupassen und sieschrittweise zu verbessern. Und wir werden in dennächsten Jahren 17 Millionen Euro für mehr Perso-nal bereitstellen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

All das gehört zum Start ins neue Schuljahr.

Die Zahlen von Schülerinnen und Schülern mitFluchthintergrund sind auf 7 800 Schülerinnen undSchüler gestiegen. Hamburgs Schulsystem stelltsich auch dieser Aufgabe. Circa 1 500 Schülerin-nen und Schüler in Erstaufnahmeeinrichtungenwerden unterrichtet, rund 3 300 Schülerinnen undSchüler in besonderen Vorbereitungsklassen undcirca 3 100 Schülerinnen und Schüler in Berufs-schulen. Hier ist der Schwerpunkt eindeutig derSpracherwerb, denn Zugang zur Bildung ist für unsder Baustein für eine gelungene Integration.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben zu dieser Problematik in der Vergan-genheit in der Bürgerschaft die eine oder andereDebatte geführt, deshalb will ich dieses Thema nurkurz streifen. Auch hier beim Spracherwerb, beider Integration dieser 7 800 Schülerinnen undSchüler, ist das Engagement von Schulen, Lehr-kräften und Mitschülern sehr beeindruckend. Daswill ich noch einmal ausdrücklich bekräftigen, weilSie gleich nach mir mehrfach hören werden, wieschlecht alles ist und dass alles nicht genug ist.

(Dennis Thering CDU: Ist es ja auch! –André Trepoll CDU: Sie wissen also, wieschlecht es steht!)

Und ich will auch noch einmal betonen, dass diedafür benötigten 560 Stellen nicht zulasten vonRegelklassen gehen. Damit dies alles auf hohemNiveau bleibt, gehört weiterhin eine Weiterqualifi-zierung und Fortbildung der Lehrkräfte dazu, damitsie für ihre anspruchsvolle und engagierte Arbeitweiterhin gut gerüstet sind.

Zum Schluss will ich noch ein paar Bemerkungenzum Abitur 2017 machen, weil dies auch dazu ge-

2696 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Präsidentin Carola Veit)

hört. Ein bundeseinheitliches Abitur wird es geben,und es gibt Abituraufgaben in Kernfächern. Es gibtkeinen Hamburger Sonderweg. Hamburg ist imBundesvergleich gut aufgestellt, das Zentralabiturwurde 2014 auf 27 Fächer erweitert. Sie sehen,das neue Schuljahr beginnt und Hamburgs Schul-politik ist gut aufgestellt. – Danke schön.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD undden GRÜNEN)

Präsidentin Carola Veit: Frau Prien von der CDU-Fraktion bekommt das Wort.

Karin Prien CDU:* Frau Präsidentin, meine sehrgeehrten Damen und Herren Kollegen! Ich finde,Frau Duden, das war eine schöne Geste vonseitendes Parlaments, den Hamburger Schülerinnen undSchülern und den Lehrerinnen und Lehrern einenguten Start ins neue Schuljahr zu wünschen. Die-sem Wunsch schließe ich mich ausdrücklich undgern an, aber ansonsten haben Sie mehr die Pres-semitteilung des Senators vom 30. August 2016verlesen. Ich finde, das war ein denkwürdig unpoli-tischer ein Einstieg in die Aktuelle Stunde heute.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei derFDP)

Ich frage mich ernsthaft, wer Ihnen die Idee in denKopf gesetzt hat, mit diesem Thema in die AktuelleStunde zu gehen. Was Sie hier machen, ist nichtsanderes als ein Prahlen mit Zahlen. Sie stellen sichernsthaft heute hin und rühmen sich mit gestiege-nen Schüler- und Pädagogenzahlen, obwohl wirdoch alle sehr genau wissen, dass diese im We-sentlichen dem extrem angewachsenen Zuzug vongeflüchteten Kindern und Jugendlichen zuzu-schreiben ist. Dass Sie viele Lehrer eingestellt ha-ben, ist gut und wichtig,

(Dr. Monika Schaal SPD: Na, also!)

aber Sie konnten aus dem Vollen schöpfen, aufGeld kam es nicht an im letzten Dreivierteljahr, undinsofern ist das nun wirklich nichts, was man sichpolitisch ans Revers heften müsste.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei derFDP – Sylvia Wowretzko SPD: So einQuatsch!)

Sie haben uns etwas vorenthalten heute, Frau Du-den, und das ist dann tatsächlich schon ein wirkli-ches Problem, denn zu den großen Baustellen imHamburger Schulsystem habe ich heute nichteinen einzigen Lösungsansatz gehört. Und das,obwohl wir vor der Sommerpause doch sehr inten-siv über viele dieser Baustellen diskutiert haben.Wir hätten gehofft, und auch die Hamburgerinnenund Hamburger hätten sich erhofft, dass Sie dieSommerpause dazu nutzen, vielleicht einmal deneinen oder anderen Vorschlag vorzulegen, wieman diese großen Probleme angehen kann. Ich

will nur ein paar wenige nennen, weil die Zeit dafürtatsächlich nicht reichen würde, aber wir machengleich noch einmal eine zweite Runde.

Zur Akzeptanzkrise der Stadtteilschule habe ichvon Ihnen keine einzige Silbe gehört. Das scheintfür Sie kein Problem zu sein, aber für die Hambur-gerinnen und Hamburger ist es eines, für die Elternist es eines, für die Stadtteilschulleiterinnen undStadtteilschulleiter ist es eines, für die Lehrerinnenund Lehrer ist es eines, da kommt von Ihnen ein-fach schlicht gar nichts – negativer Dauerton. Ichhabe nichts gehört von Ihnen, Frau Duden, zu derFrage, wie die Integration von geflüchteten Kindernund Jugendlichen in das Hamburger Schulsystemam Ende funktionieren soll. Heute wissen wir, wieviele Schülerinnen und Schüler noch in den Erst-aufnahmen sind und leider nicht eingeschult wor-den sind zum Schuljahresanfang, obwohl das mög-lich und notwendig gewesen wäre. Heute wissenwir, wie viele Schülerinnen und Schüler in den Inte-grationsklassen sind. Wie aber der Übergang funk-tionieren soll in die Regelklassen, wie das gelingenkann, ohne das Niveau insbesondere an denStadtteilschulen weiter zu senken, dazu sind Siebisher jede Antwort schuldig geblieben. Auch hierhätten wir uns in dem Jahr, in dem Schuljahr, indem diese Frage anstehen wird, Antworten von Ih-nen gewünscht. Aber auch hierzu war von Ihnenheute wieder nichts zu hören. Schwaches Bild,Frau Duden.

(Beifall bei der CDU)

Auch zum Thema gerechtere Verteilung, gerechte-re Verteilung der Flüchtlingskinder in der Stadtteil-schule – kein Wort von Ihnen heute. Kein Wortzum Thema, wie wir das eigentlich mit den Raum-kapazitäten in der Stadt schaffen. Auch einmal ei-ne Zahl für Sie: Über 500 Klassen werden im Au-genblick in Containern beschult in Hamburg. Auchdazu hört man von Ihnen nichts. Man sieht zumBeispiel an der Schule meiner Kinder, dass esnach Monaten endlich möglich geworden ist, eineIVK-Klasse einzurichten, auf die sich die Schülerin-nen und Schüler lange vorher vorbereitet haben,genauso wie die Lehrerinnen und Lehrer. WissenSie, wie viele Schülerinnen und Schüler in der IVK-Klasse sind? Vier. Zwei aus Polen, einer aus Russ-land, einer aus China, und eines davon ist auchnoch ein Diplomatenkind. Das ist eine Superleis-tung im Hinblick auf eine gerechte Verteilung vonSchülerinnen und Schüler in Hamburg.

(Dr. Monika Schaal SPD: Wollen Sie mehr,oder was?)

Also, da ist vieles im Argen, und der Sommer hättegenutzt werden müssen, um die Probleme tatsäch-lich anzugehen.

Das Zentralabitur haben Sie immerhin angespro-chen, Lösungsansätze jedoch, wie die HamburgerSchülerinnen und Schüler das wuppen sollen, ha-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2697

(Barbara Duden)

ben Sie nicht geliefert. Sie haben nichts zu demnach wie vor bestehenden Qualitätsverlust in denBereichen Mathematik und Deutsch gesagt, Siehaben nichts zu den Problemen im Ganztag ge-sagt. Da haben Sie nur erwähnt, wie viele dassind. Ja, es sind viele, aber wenn gleichzeitig anmanchen Schulen schon die Eltern aufgefordertwerden, im Ganztag auszuhelfen, dann sieht man,dass es mit der Qualität im Ganztag nicht weit herist.

Insofern war das ein schulpolitischer Fehlstart die-ses Senats in das neue Schuljahr. Es war gewo-gen und für zu leicht befunden, Prahlen mit Zahlenersetzt keine Politik, und deshalb schlage ich vor,dass wir es noch einmal neu versuchen. DenkenSie sich einmal ein paar Lösungsansätze aus,dann kann es auch etwas werden. Wir sind jeden-falls gern bereit, diesen Weg der Lösungsansätzemit Ihnen zu gehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Daniel OetzelFDP)

Präsidentin Carola Veit: Frau Dr. von Berg vonder GRÜNEN Fraktion bekommt das Wort.

Dr. Stefanie von Berg GRÜNE:* Frau Präsidentin,meine Damen und Herren! Es ist das übliche parla-mentarische Spiel, das wir hier gerade erleben, dieRegierungsfraktionen sagen, alles sei super, dieOpposition sagt, alles sei doof, und die Bürgerin-nen und Bürger sind zum Teil etwas gelangweilt.Es wird Sie aber trotzdem nicht verwundern, dassich mir tatsächlich nicht das halb leere, sonderndas halb volle Glas anschaue. Liebe Kollegin Prien,ich möchte auch nicht sagen, dass alles gut undrichtig und völlig problem- und reibungslos läuft,das kann auch gar nicht sein angesichts deskomplexen Feldes Schulpolitik und angesichts deraktuellen Herausforderungen, die wir tatsächlich indieser Stadt zu bewältigen haben. Aber ich finde– und ich kann das wirklich mit gutem Gewissensagen –, ich kann sehr, sehr zufrieden auf die Ver-gangenheit und auch darauf blicken, was wir hierbereits in der Qualität geschafft haben, denn ichmöchte vor allen Dingen nicht auf die Zahlen, son-dern auf die Qualität eingehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Exemplarisch möchte ich dies an drei Punkten tun,denn es ist das eine, dass man mehr Geld in dieHand nimmt, das andere aber ist, was man eigent-lich mit diesem Geld macht und was eigentlich klu-ge Bildungsfinanzierung ist.

Der größte Erfolg, finde ich, liegt tatsächlich in derVerbesserung der Qualität des Ganztags. Wir ha-ben durch unsere Einigung mit der Volksinitiativegeschafft, dass wir Qualitätsstandards bekommen.Wir haben es geschafft, dass es einen Qualitätszir-kel für gutes Essen geben wird. Es wird keine Fi-

nanzierung mit der Gießkanne geben, es wird kei-ne Standardlösungen geben, sondern es wird ge-schaut, was die Konzepte vor Ort machen, was dieSchulen wollen und brauchen. Dafür wird Geld indie Hand genommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir werden dafür sorgen, dass es mehr frisches,gesundes Essen gibt. Wir werden dafür sorgen,dass die Räume kindgerecht werden. Wir werdendafür sorgen, dass die Schulgemeinschaften betei-ligt werden mithilfe des Ganztagsausschusses.Und das alles, um nur diese paar Punkte der Qua-litätsverbesserungen zu nennen, werden wir ge-meinsam auch weiterhin mit der Volksinitiative ma-chen, denn wir sind im Austausch auf unterschied-lichen Ebenen, und ich verspreche Ihnen, das wer-den wir weiterhin tun, weil ich uns als Parlamentschon als Kontrolle unseres Beschlusses auffasse.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und beiDaniel Oetzel FDP)

Bei der großen Generationenaufgabe der Umset-zung der Inklusion haben wir nicht nur mehr Stel-len in die Hand genommen, sondern wir sorgenStück für Stück dafür, dass die Lehrerbildung bes-ser wird, denn es ist nicht nur die Anzahl der Lehr-kräfte, sondern deren Qualifizierung, die entschei-dend ist. Wir sorgen dafür, dass die Kolleginnenund Kollegen immer multiprofessioneller werden,weil wir verschiedene Professionen zur Umsetzungder Inklusion brauchen. Und wir haben nicht zuletztdafür gesorgt, auch wenn es für einige vielleichtein Randthema sein mag, dass es durch die Ein-führung der deutschen Gebärdensprache alsWahlpflichtfach auch gehörbehinderten Kindern er-möglicht wird, an der Gesellschaft, an der Schuleteilzuhaben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Bei dem wirklich großen Thema – das ist, glaubeich, das dickste Schiff, das uns im Moment in derSchulpolitik begleitet –, beim Thema Geflüchtete,sorgen wir als einziges Bundesland dafür, dass esBildung von Anfang an gibt.

(Beifall bei Uwe Lohmann und Sören Schu-macher, beide SPD)

Es ist richtig, Frau Prien, es gibt noch Problemebei der Bildung von internationalen Vorbereitungs-klassen, beim Übergang von Erstaufnahmen indiese Regelklassen oder internationalen Vorberei-tungsklassen, aber ich finde angesichts der Zahl,die wir hier bereits mengenmäßig wirklich bewältigthaben, ist es uns gelungen, das tatsächlich gutumzusetzen, und wir achten auch darauf, dass esQualität hat, keine Schnellschüsse gibt und dieseKinder tatsächlich mit einem guten Blick in die Zu-kunft auch eine neue Schule finden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

2698 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Karin Prien)

Deswegen haben wir bereits in den Erstaufnahmeneinen sehr hohen Prozentsatz an ausgebildetenLehrkräften, anders als in anderen Bundesländern,in denen es häufig Honorarlehrkräfte gibt. Wir ha-ben außerdem auf den Weg gebracht, dassDeutsch als Zweit- und Fremdsprache in die Leh-rer- und Lehrerinnenbildung in der zweiten Phasedirekt eingebettet wird. Und wir haben dafür ge-sorgt, dass junge Geflüchtete in die Ausbildungs-vorbereitung in zwei verschiedenen Schulformengehen können. Das heißt, wir kümmern uns sehrwohl um die Integration.

Noch einmal: Dass nicht alles super wie amSchnürchen klappt, kann man diesem Senat, daskann man auch uns, dem Parlament, zugestehenangesichts dieser wirklich immensen Herausforde-rung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das ist nicht nur ein halb volles Glas, sondern einzumindest drei Viertel volles Glas, und dem Viertelleeren Glas sollten wir uns gemeinsam und kon-struktiv als Parlament annehmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carola Veit: Frau Boeddinghaus vonder Fraktion DIE LINKE hat nun das Wort.

Sabine Boeddinghaus DIE LINKE:* Frau Präsi-dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, daseinzig Positive an dieser Debattenanmeldung ist inder Tat, dass auch wir von der LINKEN den Erst-klässlerinnen und Erstklässlern und ihren Eltern al-les Gute wünschen. Ich meine das wirklich sehr,sehr ernst, und im Grunde sind wir da schon beides Pudels Kern, denn in den Grundschulen isteben in Sachen Inklusion, in Sachen Ganztag wirk-lich vieles überhaupt nicht im Reinen, und von da-her wünsche ich von ganzem Herzen, dass dieKinder einen Schulalltag erhalten, in dem sie wirk-lich individuell gefördert werden, in dem sie nichtbeschämt werden

(Dr. Andreas Dressel SPD: Beschämt? Wasmeinen Sie damit?)

und in dem sie wirklich in ihren Fähigkeiten undFertigkeiten unterstützt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau von Berg hat durchaus eine Tiefe in die De-batte gebracht, aber ich muss jetzt auch auf denBeitrag von Frau Duden eingehen, weil die SPDdieses Thema zur Aktuellen Stunde angemeldethat. Deswegen möchte ich kurz noch etwas zu denZahlen sagen.

Erstens einmal kann ich nicht verstehen, wie mansich als Senat rühmen kann, dass die Erstklässler-und Erstklässlerinnenzahl gewachsen ist. Ich ver-stehe nicht, was das jetzt mit dem Senat zu tun

hat. Vielleicht habe ich auch verpasst, dass derSenat vor sechs Jahren irgendwie ein Familienzu-wachsprogramm aufgelegt hat.

(Dirk Kienscherf SPD: Dass der Senat dasKita-Programm neu aufgelegt hat, haben Sieauch nicht mitgekriegt!)

Auf jeden Fall freuen wir uns über jeden mehr, derin der Schule ist.

Zweitens kann ich nicht verstehen, warum der Se-nat sich als Verdienst ans Revers heftet, dass erdas Schulgesetz umsetzt, und im Schulgesetz sindFrequenzen angegeben, festgelegt, und die musser natürlich einhalten. Wenn die Schüler- undSchülerinnenzahlen wachsen, müssen auch dieLehrer- und Lehrerinnenzahlen wachsen, dafürmuss man sich nicht auf die Schulter klopfen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Anjes TjarksGRÜNE: Man muss es auch bezahlen kön-nen!)

– Man muss es bezahlen müssen, lieber AnjesTjarks. Ich bitte dich.

(Beifall bei der LINKEN)

Und aus welchem Topf die Lehrerinnen und Lehrerbezahlt werden, das werden wir noch im Laufe derHaushaltsberatungen klären. Der Senat tut allesdafür, um das zu verschleiern.

Wenn wir richtig rechnen, dann sind das 473 tat-sächliche, zusätzliche Lehrerstellen, und das istwirklich der sehr berühmte Tropfen auf dem heißenStein; die restlichen nämlich, die der Senat angibt,sind diejenigen, die jetzt auslaufen und die vorn inder ersten Klasse wieder anfangen. Also man sollauch ehrlich sein mit Zahlen, wenn man schon ei-ne reine Zahlendebatte anmeldet. Die 63 Stellenmehr für die Inklusion sind angesichts der Bedarfe,die wir haben, eine lächerliche Größe, und auch imGanztag sind es lediglich 34 Stellen mehr. Und wirwissen noch nicht einmal, ob es nur Lehrerinnen-und Lehrerstellen sind oder wie viele Sozialpäda-goginnen und Sozialpädagogen, Sonderpädago-ginnen und Sonderpädagogen, Erzieherinnen undErzieher noch darunter erfasst sind. Darüber gibtuns der Senat keine Auskunft. Es ist schlimm, dassda so viel Intransparenz herrscht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Karin PrienCDU)

Dann noch einmal zum Ganztag. Wie kann mansich so auf die Schulter klopfen, wenn man von ei-ner Gruppe von Eltern erst einmal in Trab gebrachtwerden musste, um überhaupt endlich etwas fürdie Qualität zu tun? Das kommt sowieso erst näch-stes Jahr. Wir erwarten, dass jetzt schon viel mehrgetan wird für die Verbesserung der Qualität, denndie Erstklässlerinnen und die Erstklässler, die jetztin die Grundschulen kommen, sind noch konfron-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2699

(Dr. Stefanie von Berg)

tiert mit der schlechten Qualität und mit demschlechten …

(Dirk Kienscherf SPD: Wir haben keineschlechte Qualität!)

– Wir haben eine schlechte Qualität, lieber DirkKienscherf, ganz sicher.

(Sylvia Wowretzko SPD: So ein Tüdelkram!)

Sonst hätte sich wohl eine Volksinitiative nicht aufden Weg gemacht und wäre so erfolgreich gewe-sen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Karin PrienCDU)

Also an der Stelle auch einmal ein bisschen mehrSelbstkritik, ein bisschen weniger Eigenlob, daswäre viel beeindruckender.

(Beifall bei der LINKEN und bei Karin PrienCDU)

Ich mache Ihnen einmal ein konkretes Angebot,was man jetzt sofort tun könnte als Senat. Mankönnte nämlich dieses Musterflächenprogrammüberarbeiten. Es gibt zunehmend Schulen, die ihreKlassenräume abvermieten müssen, sie müssensogar Gelände verkaufen, weil sie ihre eigenen Sa-nierungsbaumaßnahmen finanzieren müssen. Dasist ein Unding. Wir brauchen die Räume für einenverbesserten Ganztag.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann noch einmal zur Inklusion: Die Inklusions-quote ist weitaus höher in vielen, vielen Grund-schulen und Stadtteilschulen, als es vom Senatfestgelegt ist. Wir brauchen mehr Lehrerinnen undLehrer in der Inklusion, wir brauchen viel mehrQualität, Fortbildung und Weiterbildung. Das istdas größte Problem. Und wir sind in die Sommer-pause gestartet mit großen kontroversen Debattenin der Schulpolitik, ich habe jedoch den Eindruck,dass die SPD vollkommen ins Sommerloch gefal-len ist und eine Totalamnesie erlitten hat bezüglichder tatsächlichen Probleme, die es an HamburgsSchulen gibt. Da ist die soziale Ungerechtigkeitdurch das Zwei-Säulen-Modell, es ist die Vernach-lässigung der Stadtteilschulen, es ist im Grundedie Bevorteilung der Gymnasien, weil die ebennicht die Inklusion übernehmen, und all solche Din-ge. Der Brandbrief der Schulleiter findet hier über-haupt keinen Platz in der Debatte, sondern es wirdsich auf die Schenkel geklopft über Zahlen, die ge-wachsen sind, aber im Grunde werden die Proble-me nicht angesprochen. Und das werden wir wei-terhin bewegen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsidentin Carola Veit: Jetzt bekommt Frau vonTreuenfels-Frowein von der FDP-Fraktion dasWort.

Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP:*Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen undHerren! Ob das Glas halb voll, viertel voll oder wieimmer auch voll ist, ich glaube, Opposition darf im-mer noch sagen, was sie denkt. Damit fangen wirjetzt an.

Letzte Woche titelte das "Hamburger Abendblatt":

"Schulsenator warnt, das Abitur 2017 hat esin sich."

Teilt der Schulsenator etwa unsere Sorge, dass erseine Schüler nicht gut genug vorbereitet hat?Wenn er das täte, dann hätte er ausnahmsweiseeinmal recht.

(Beifall bei der FDP)

Heute lobt sich nun die SPD selbst – wir haben esschon gehört – unter dem Motto, HamburgsSchulen starten bestens gerüstet in das neueSchuljahr. Höchstzahlen bei Ganztagsanmeldun-gen, Schulen und Pädagogen. Wenn aber fast8 000 Flüchtlingskinder in die Stadt kommen, dannsind 560 dafür eingestellte Lehrer natürlich sinnvollund wir begrüßen das auch, aber ehrlicherweiseändern sie doch nicht wirklich etwas an der Schü-ler-Lehrer-Relation.

Was bleibt also? Die hohe Anmeldequote beimGanztag? Da hilft ein kurzer Blick zurück. Die er-folgreichen Horte wurden vor Jahren sehr voreiliggeschlossen, die Nachmittagsbetreuung im Hau-ruckverfahren in die Grundschulen verlagert.

(Dirk Kienscherf SPD: Die waren doch nurbei 33 Prozent!)

Ganztag, das finden wir auch, ist elementar für dieVereinbarkeit von Familie und Beruf. Daran gibt eskeinen Zweifel. Aber es muss ein guter Ganztagsein. Allerdings ist bei dem rasanten Ausbau dieQualität in Hamburg auf der Strecke geblieben,und erst auf massiven Druck der Volksinitiative, diesich bezeichnenderweise Guter Ganztag genannthat, ist Rot-Grün überhaupt auf die Idee gekom-men, die längst überfälligen Verbesserungen anzu-gehen. Es scheint ein politisches Naturgesetz inHamburg zu sein, dass dieser Senat immer erstdann tätig wird, wenn sich eine Volksinitiative grün-det.

(Beifall bei der FDP und bei Karin PrienCDU)

Das ist schade.

Die SPD kann mit dieser Zahlendebatte aber nichtvon den wirklichen Herausforderungen im Hambur-ger Schulsystem ablenken. Wir brauchen nach wievor, und deswegen habe ich das Thema heute an-gemeldet, eine Generalüberholung in der Schulpo-litik.

(Barbara Duden SPD: Wo habt ihr die denngeneralüberholt?)

2700 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Sabine Boeddinghaus)

Wir haben dafür auch Vorschläge. Das fängt anbei den Lehrern, geht weiter mit fundiertem Wissenfür Qualität im Unterricht und zeigt sich auch beimZentralabitur, um nur einiges zu nennen.

Folgendes wäre ein guter Schulstart. Erstens: Leh-rer. Wir brauchen beste Lehrer für unsere Kinder.

(Barbara Duden SPD: Haben wir!)

Deswegen fordern wir freiwillige Eignungstests fürLehramtsstudenten. Und wir brauchen eine klareZielrichtung für die Reform der Lehrerausbildung.Der Stadtteilschullehrer muss gut vorbereitet wer-den für seine Kernaufgabe, die mittleren Abschlüs-se, die Gymnasien müssen gestärkt werden für ih-ren Bildungsauftrag, die Vorbereitung auf das Stu-dium. Manche denken, dies sei ein alter Hut, aberes ist leider noch nicht geschehen. Die hier vomSenat immerhin angestoßene Reform werden wirgenau begleiten.

Zweitens: Wir brauchen mittlerweile eine Qualitäts-superoffensive für den Unterricht, denn es wirdZeit. Dafür haben wir für morgen einen Antrag vor-gelegt.

(Barbara Duden SPD: Das ist ja spannend!)

Wir fordern darin, dass im Unterricht endlich, end-lich, endlich mehr Inhalte statt Kompetenzen ver-mittelt werden, und dass diese unsinnige Präsenta-tionsprüfung Abitur endlich abgeschafft wird. Dazumorgen mehr.

Drittens: Das Zentralabitur 2017, da haben wir es,die große Messlatte für das Hamburger Leistungs-niveau der Hamburger Schüler. Und hier müssenwir sehr genau hinschauen, damit das, was unterZentralabitur läuft, in Hamburg auch ein Zentralabi-tur wird. Denn wer wie in Hamburg überwiegendauf Kompetenzorientierung setzt, der wird auchhier den leichteren Weg wählen und vielleicht auchwählen müssen. Denn es gibt doch nur einen Auf-gabenpool, aus dem sich die Bundesländer in vierFächern bedienen können, Frau Duden, sie müs-sen es nicht. Hamburg könnte sich also eine biszwei leichte Aufgaben heraussuchen, um dann,wie gehabt, ein Abi light schreiben zu lassen. Er-gänzt wird dies noch durch die sogenannte Prä-sentationsprüfung. Statt der klassischen mündli-chen Prüfung mit 30 Minuten Vorbereitungszeit ha-ben Abiturienten in Hamburg zwei Wochen Zeit.Damit lässt sich problemlos fremde Hilfe organisie-ren, wenn nicht sogar einkaufen. Und das, findeich, ist der traurige Gipfel der Bildungs- und Chan-cenungerechtigkeit sozialdemokratischer Natur.Sehr schlecht.

(Beifall bei der FDP)

Dann wäre zwar, wenn man das so weiterdenkt,das sozialdemokratische Ziel erreicht, flächen-deckendes Abitur für alle, aber was unsere Abituri-enten in der Universität und im späteren Leben er-wartet, das scheint den Sozialdemokraten relativ

egal zu sein. Und diese Kultur des Durchwinkensmuss aufhören. Also bitte, gleich an den Start, zumneuen Schuljahr die dringenden Herausforderun-gen angehen, dann sind wir dabei. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsidentin Carola Veit: Herr Dr. Wolf von derAfD-Fraktion bekommt das Wort.

Dr. Alexander Wolf AfD:* Sehr geehrtes Präsidi-um, liebe Kollegen! Vorab wünschen auch wir na-türlich allen Kollegen, allen Erstklässlern einen gu-ten Start ins neue Schuljahr. Dies vorausgeschickt.

Zur Aktuellen Stunde selbst. Wir von der AfD ha-ben durchaus unseren Humor nicht verloren,

(Ekkehard Wysocki SPD: Ist das so?)

aber es ist ein Witz, und ich zitiere die heutige An-meldung der SPD-Fraktion im Wortlaut:

"Hamburgs Schulen starten bestens gerüs-tet in das neue Schuljahr: Höchstzahlen beiGanztagsanmeldungen, Schülerinnen undSchülern, Pädagoginnen und Pädagogen."

Ganz ehrlich, wenn wir hier überhaupt noch lachenkönnen, dann allerhöchstens zynisch oder bitter.Und nebenbei, es klang auch schon an bei mehre-ren Vorrednern: Es verkommt hier zur regelmäßi-gen Übung, indem die Fraktionen von SPD undGRÜNEN ständig Themen zur Aktuellen Stundeanmelden, die eigentlich in den Bereich Agitpropgehören, Agitation und Propaganda des Senats.Da frage ich mich, muss das sein? Haben Siedenn Ihren Stolz und Ihre Rolle als Abgeordnetean der Rathaustür abgegeben? Verstehen Sie sichzuvörderst als Erfüllungsgehilfe der Exekutive?

(Gerhard Lein SPD: Heul doch!)

Einige von Ihnen ernennen sich neuerdings gernzur Gemeinschaft der Demokraten. Es wäre schön,wenn Sie diese Selbsternennung mit Leben fülltenund sich beispielsweise Ihrer Rolle als Parlamenta-rier wieder bewusster würden. Ein wenig mehr De-mokratie,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN:Thema, Thema!)

auch in einem kritischen Verhältnis zum eigenenSenat – wir hörten vorhin von einem Fraktionsvor-sitzenden, der sogar gegen den eigenen Senat ei-ne Untersuchung durchsetzte –, schadete Ihnennicht.

Nun zum eigentlichen Thema. Der Senator wirduns wohl gleich noch höchst selbst das Märchenvon der deutschlandweit unglaublich erfolgreichenHamburger Bildungspolitik erzählen.

Meine Vorredner haben schon darauf hingewie-sen, circa 7 800 jugendliche Flüchtlinge sind deralleinige Grund für den Anstieg der Schülerzahlen.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2701

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

Wie die Kollegin von der LINKEN vorhin zu Rechtund süffisant, meine ich, anmerkte, ist das keineFolge einer erfolgreichen Geburtenpolitik des Se-nats, sondern es ist das Thema und die Folge ei-ner verfehlten Flüchtlingspolitik.

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Das ha-be ich nicht gesagt! Jetzt geht es wohl los!)

Sich diese Zahl auch noch propagandistisch andas eigene Revers zu heften, das ist schon – jetztwäre mir beinah eine unparlamentarische Formu-lierung herausgerutscht – mehr als sonderbar.Aber eben auch entlarvend.

Sprechen wir über einige hausgemachte Problemeder Hamburger Schulpolitik. Das HamburgerSchulsystem befindet sich in schwerer Schieflage.Sechs Jahre nach Antritt des ersten rot-grünen Se-nats unter Olaf Scholz gerät es immer mehr zurSpielwiese ideologischer Bildungsexperimente.Unter dem Diktum von Vielfalt, Inklusion und Kom-petenzorientierung entstehen immer heterogenerzusammengesetzte Schulklassen. Eine bega-bungsgerechte Förderung der Schüler wird er-schwert, das Lernniveau insgesamt wird gesenkt.Auf Details kommen wir gern noch in der zweitenRunde und in der morgigen Debatte zurück.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Was sind dennIhre Vorschläge?)

Und zu diesen ohnehin schon großen und unge-lösten Problemen, mutwillig herbeigeführten Pro-blemen, möchte man sagen, kommt nun noch dasFlüchtlingsthema hinzu. Ich muss dies ansprechen,es ist ein Teil des von der SPD selbst angemelde-ten Themas. Dass Hamburg, anders als andereBundesländer, hier jeden jugendlichen Migranten,ob mit oder ohne Aufenthaltsstatus, ob mit oderohne Bleibeperspektive, in der jetzigen Weise be-schult und damit die allen bekannten Probleme,angefangen von den fehlenden Räumlichkeiten,dem Fehlen von qualifiziertem Lehrpersonal, bishin zu den bekannten Problemen für Eltern, Schü-ler, Lehrer und nicht zuletzt den Steuerzahler, denSie auch immer wie selbstverständlich für Ihre de-saströs verfehlte Zuwanderungspolitik zur Kassebitten, dass der Senat dies immer weiter treibt, istsicher nicht der Weisheit letzter Schluss, das kannnicht der Weisheit letzter Schluss sein.

(Barbara Duden SPD: Sollen die nicht zurSchule gehen oder was?)

Es ist zu unterscheiden und zu differenzieren,

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Da sind wir abergespannt!)

und was wir hierzu konkret vorschlagen, werde ichgern in der zweiten Runde nachher noch ausfüh-ren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Präsidentin Carola Veit: Frau Heyenn bekommtdas Wort.

Dora Heyenn fraktionslos:* Frau Präsidentin, mei-ne Damen und Herren! Jedes Jahr, wenn dasneue Schuljahr beginnt, gibt der Schulsenator einePressekonferenz, bei der er zu Protokoll gibt, wiegut Hamburg aufgestellt ist, und diesmal ist sogarvon Höchstzahlen die Rede.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Was die Zahl der Schülerinnen und Schüler anbe-trifft, die die staatlichen Schulen besuchen, sind esin der Tat 7 240 mehr als im vorigen Schuljahr.Nur, und das ist auch schon von meinen Vorred-nern gesagt worden, wenn mehr Kinder und Ju-gendliche die Schule besuchen, dann braucht manauch mehr Lehrkräfte und mehr Pädagogen. DerAnstieg der Vollzeitkräfte für Pädagogen beträgtungefähr 3,6 Prozent und entspricht ziemlich ge-nau der Zunahme der Schülerzahlen, also war dieAufstockung eine notwendige Maßnahme. Und esist eine gute Maßnahme, zugegeben, aber keineJubelmeldung.

Auch die Teilnahmequote an den Ganztagsschul-angeboten ist erfreulich, aber, was der Schulsena-tor gern ausblendet, sind die Brüche in der ham-burgischen Schullandschaft. Kurz vor den Som-merferien haben 51 von 53 der Stadtteilschulleite-rinnen und -leiter ihre Sorgen in einem Papierdargelegt. Nur noch 42 Prozent der Schülerinnenund Schüler werden an Stadtteilschulen angemel-det, und das mit stetig sinkender Tendenz. 2020wird mit 70 Prozent Anmeldungen für das Gymna-sium gerechnet. Das umstrittene Zwei-Säulen-Mo-dell gerät immer mehr in Schieflage.

Anstatt mit den Schulleiterinnen und Schulleiternzu sprechen, machen Sie, Herr Rabe, immer ein-fach so weiter, als sei das kein Problem. Dabei gibtes viele Lösungsvorschläge, wir haben einige ebenauch schon gehört, und zwar nicht nur von denSchulleitungen. Jetzt wäre die Zeit vorzubereiten,dass es keine Gymnasialempfehlungen mehr gibt.Ende Januar beginnt die nächste Anmelderunde.Auch die Regelung, dass nach der sechsten Klas-se Schüler und Schülerinnen das Gymnasium ver-lassen müssen aufgrund von Zeugnisnoten, ist er-neut in die Kritik geraten. Ein Rechtsgutachtenvom Institut für Bildungsforschung und Bildungs-recht der Universität Bochum von Wolfram Cremerstellt fest – ich zitiere –:

"dass Noten nie objektiv und daher ungeeig-net sind, um Aussagen über die Eignung fürweiterführende Schulen zu treffen."

– Zitatende.

Seiner Auffassung nach widerspricht die auf Notenbasierende verbindliche Übertrittsempfehlung denRechten der Eltern im Grundgesetz und dem Dis-

2702 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Dr. Alexander Wolf)

kriminierungsverbot. Von unfassbarem Stress inden Familien spricht auch der Vorsitzende des Bil-dungsausschusses des Bayrischen Landtags, Mar-tin Güll. Er ist sozialdemokratischer Abgeordneterund setzt sich dafür ein, dass die Entscheidungenüber die Eignung zu weiterführenden Schulen nichtüber die Noten getroffen werden. In Bayern. DasGrundgesetz gilt aber auch in Hamburg. Herr Ra-be, Sie sollten mit Ihrem Parteifreund Martin Gülleinmal reden.

Und noch einen Problembereich blendet der Senataus, die Ausbildungsplatzsituation. Ich nenne dazueinmal die neuesten Zahlen der Bundesagentur fürArbeit für Ende August 2016. Danach haben vonden 8 902 Bewerberinnen und Bewerbern für eineBerufsausbildung in Hamburg nur 3 252 tatsächlicheinen Ausbildungsplatz bekommen. Das sind36,5 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber.Damit gehört Hamburg zu den Schlusslichtern inder Ausbildungsplatzversorgung. Es besteht ein er-heblicher Handlungsbedarf, und mit einem Weiterso wird man den Jugendlichen nicht gerecht.

Zusammenfassend muss man sagen: An denHamburger Schulen hat sich einiges getan, dasgebe ich zu, aber bestens gerüstet gehen sie nichtin das neue Schuljahr.

(Beifall bei Nebahat Güçlü fraktionslos –Barbara Duden SPD: Doch!)

Präsidentin Carola Veit: Das Wort bekommt HerrDr. Flocken.

Dr. Ludwig Flocken fraktionslos:* Sehr geehrteFrau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete! Be-reits bei der letzten Schuldebatte hieß es: schonwieder das gleiche Theater. DIE LINKE auf dereinen Seite, CDU, FDP, AfD auf der anderen Seite,liefern sich ein ideologisches Scharmützel, und derSenator kann sich genüsslich zurücklehnen. HerrSenator Rabe, Sie sagten einmal in Bergedorf,entscheidend für den Lernerfolg sei nur zu unge-fähr 10 Prozent die Schulform oder die individuelleSchule, 90 Prozent mache der einzelne Lehreraus, seine Persönlichkeit, sein Engagement, seineFähigkeit, einen Funkverkehr zwischen seinen ei-genen Spiegelneuronen und denen seiner Schüleraufzubauen. Deshalb: Unterstützen Sie die Lehrer,belasten Sie sie nicht mit Bürokratie, geben Sie ih-nen keine Hausaufgaben auf in Form von Konzep-ten, die sie erstellen müssen. Gestatten Sie ihnen,sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, und schützenSie sie, wenn möglich, vor den elterlichen Kampf-hubschraubern. Zur Situation in den einzelnen Fä-chern.

Erstens: Biologie. In den ersten Klassen zeigenfast alle Kinder eine natürliche Neugier auf die Na-tur. Zehn Jahre später gilt die Biologie als Weich-spülernaturwissenschaft, weniger anspruchsvollals Physik und Chemie. Dabei könnte ein solides

Wissen um die Deszendenzlehre, um die Entwick-lungsbiologie und eine wissenschaftliche Gesin-nung einen guten Schutz gewähren vor der Gen-derideologie.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Zweitens: Andere Naturwissenschaften und vor al-len Dingen die Mathematik gelten als anstrengend.Ich war erschüttert, als ich im Abi-Heft meinerTochter lesen musste, dass über die Hälfte derAbiturklasse sehr erleichtert war, sich jetzt nichtmehr geistig anstrengen zu müssen.

(André Trepoll CDU: Das haben Sie ihr dochvorgemacht!)

Das ist also das Ergebnis einer zwölfjährigenSchulzeit.

Drittens: Fremdsprachen. Heutige Schüler könnenbesser Englisch als frühere. Was aber ist mit den-jenigen, die mehrere Sprachen zu einem besonde-ren Fokus ihrer Bildung machen wollen? An vielenSchulen besteht ein Sprachprofil nur aus einer wei-teren Fremdsprache. Zitat meiner Tochter: EinSprachprofil mit Englisch, Französisch, Spanischund am besten noch einer ganz anderen Sprachehätte sich gelohnt. Aber es passt zum gegenwärti-gen außenpolitischen Isolationskurs, ein Schmal-spur-Fremdsprachenangebot und ein außenpoliti-scher Konfrontationskurs.

Viertens: Deutsch. 25 Prozent der Jungen sind beiSchulabgang funktionelle Analphabeten. Dieschlecht integrierten Ausländer verschärfen diesein bisschen, aber auch bei den indigenen und so-gar in anderen Ländern, die weitgehend ethnischhomogen sind, sind Jungen schlechter im Lesenund Schreiben als Mädchen. Wie reagiert man da-rauf? In ganz Deutschland gibt es vier Programmezur gezielten Lese- und Schreibförderung von Jun-gen gegenüber 100 Programmen zur gezieltenMINT-Förderung von Mädchen. Eine himmel-schreiende Ungerechtigkeit.

Fünftens: PGW. Die Große Anfrage der AfD bezie-hungsweise die Antwort darauf zeigt leider nichtauf, ob hier ein betreutes Denken oder eine Indok-trination im Gleichschritt mit den Medien verfolgtwird. Ist es ein Ziel, im Sinne von Kant aufzuklären– habe den Mut, deinen eigenen Verstand zu be-nutzen, befreie dich aus deiner selbstverschulde-ten, im Fall von Schülern natürlich noch nichtselbstverschuldeten – Unmündigkeit?

Ein letzter Punkt. Wir wissen wenig über rassisti-sche Übergriffe zum Beispiel auf Juden und Euro-päer. In Berlin weiß man darüber mehr. In Berlingab es mutige Menschen, die das Problem aufge-zeigt haben. Wir wissen wenig darüber, wir wissenaber, dass gnadenlos abgestraft wird, wer den Fin-ger in die Wunde legt. – Vielen Dank.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2703

(Dora Heyenn)

Präsidentin Carola Veit: Das Wort bekommt jetztSenator Rabe.

Senator Ties Rabe:* Frau Präsidentin, meine sehrverehrten Damen und Herren! Hamburg wächst,und das erkennen wir besonders in den Schulen.Die Schülerzahl hat in nur einem Jahr um über7 000 Schülerinnen und Schüler zugenommen.Übrigens: Weil wir eine Bildungsdiskussion führen,wäre ein bisschen Präzision in der Recherche an-gemessen.

(Michael Kruse FDP: Das toppen Sie!)

Nur die Hälfte dieses Zuwachses ist auf die Flücht-linge zurückzuführen, die andere Hälfte sind Men-schen, die aus Reinbek oder Berlin, aus Dortmundoder Düsseldorf hierher ziehen und auch zu Ham-burg gehören. Und das ist eine besondere Ent-wicklung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

In den Siebzigerjahren beklagten wir die Stadt-flucht, heute ist es umgekehrt. Diese BeliebtheitHamburgs, das ist richtig, hat sehr viele Ursachen.Ich bin aber persönlich überzeugt, dass eine dieserUrsachen in der Tat das sehr gute Angebot, insbe-sondere für Familien, im Bereich der Kindertages-stätten und Schulen ist, und das kommt nicht vomHimmel, sondern das hat der Senat maßgeblichmit geprägt.

(Beifall bei der SPD)

Das war nicht immer so. Ich erinnere in diesem Zu-sammenhang an vier Verbesserungen, die auf denWeg gebracht wurden und die im kommendenSchuljahr die Grundlage für eine gute Schule sind.

Erstens: Frau Boeddinghaus hat gesagt, wir muss-ten mehr Lehrer einstellen, weil das doch im Schul-gesetz steht. Ja, Frau Boeddinghaus, aber wer hates da hineingeschrieben? Und das ist das Span-nende. Sie denken immer, das kommt irgendwiealles von selbst.

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Nein!Wer sagt das denn?)

Nein, dafür hat die SPD gekämpft, das hat dieserSenat bewilligt, und wir stellen diese vielen Lehrerund Sozialpädagogen ein. Das machen nicht alleBundesländer, wenn mehr Schüler kommen, son-dern sie vergrößern einfach die Schulklassen. Wirhaben das gemacht, damit die Klassen bei21 Schülerinnen und Schülern im Durchschnitt soklein bleiben, wie es zur Zeit meiner Kinder leiderin Hamburg nicht der Fall war.

(Beifall bei der SPD)

Dann haben wir natürlich aus dem Flickenteppichhöchst unterschiedlicher und überwiegend nichtimmer erfolgreicher Schulformen eine übersichtli-che, eine gute und vernünftige Schulstruktur ge-

schaffen. Vierjährige Grundschulen, gleich vieleund gleich wertvolle Gymnasien und Stadtteil-schulen bieten ein hervorragendes Angebot, undwenn ich die Eltern sehe, dann stehen sie gern vordieser Wahl, und sie freuen sich darüber, weil inanderen Bundesländern eine solche Vielfalt undein solches Angebot nicht vorhanden sind. Auchdiese Schulstruktur ist eine gute Einrichtung, auchsie ist nicht vom Himmel gefallen, sondern von unsbewegt worden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Und natürlich dürfen wir hier die Ganztagsschulennennen. Ich will einmal daran erinnern, dass alleRegierungen Ganztagsschulen hätten einrichtenkönnen. Sie haben sich auch leidlich angestrengt.Für die ersten 50 Ganztagsschulen haben sichsechs verschiedene Regierungen 30 Jahre Zeit ge-lassen. Wir haben in nur drei Jahren die ande-ren 150, die vergessen worden waren, obendraufgesetzt. Und dass das richtig war und dass es so-gar gut ankommt, zeigt die Abstimmung mit denFüßen, da muss man sich nicht einfach davonma-chen und sagen, es konnte doch nicht anders ge-hen, sondern es ist ein Vertrauensbeweis und einQualitätssiegel, wenn 82 Prozent der Kinder undEltern sagen, ja, da will ich mitmachen. Es zeigt,dass wir das auf einen richtigen Weg gebracht ha-ben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Einen letzten Punkt will ich nennen, der jetzt fürdieses Schuljahr trägt. Wir arbeiten Schritt fürSchritt an einer Verbesserung des Unterrichts. Esist ein großes Rad, das dort bewegt wird, und damüssen wir beharrlich sein und viele Maßnahmenineinandergreifen lassen. Ein paar davon will ichnennen.

Unterrichtsausfall: Wir sind die erste Regierung,die das überhaupt überprüft. Das hätten alle auchschon vorher machen können. Wir haben es einge-führt, monatlich klar Rechenschaft abzulegen undanschließend Gespräche zu führen mit denSchulen.

Wir haben auch eingeführt, dass alle zwei JahreHamburgs Schülerinnen und Schüler landesweiteinen Test machen, damit wir einmal genau wis-sen, wo sie stehen, und uns nicht immer gegensei-tig irgendetwas erzählen, sondern Daten haben.Und mit diesen Daten gehen wir dann an dieSchulen und bewegen die Qualität weiter. Das sindDinge, die wir eingeführt haben und von denen ichfest überzeugt bin, da uns das Ergebnis wichtig ist,dass das Hamburgs Schulen voranbringen wird,daran arbeiten wir. Diese Verbesserungen habenwir jetzt zur Grundlage gemacht, und ich finde,dass der Senat hiermit eine gute Grundlage fürdas künftige Schulsystem geschaffen hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

2704 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

Dass das viel Geld kostet und dass wir uns vielMühe geben, sage ich nur nebenbei. Aber ganzdarf man es nicht ausblenden. Seit 2009/2010 hatdie Zahl der Pädagogen an den Schulen von15 000 auf 18 000 zugenommen, es sind3 000 mehr.

(André Trepoll CDU: Die wurden von derSPD eingestellt? Ja?)

Ich will hier einmal ein bisschen in den halbrechtenRaum gucken, der auch einige meiner Vorrednergestellt hat. Ich kann mich daran erinnern, dass esdort mit den Bildungsmaßnahmen, mit dem Lehrer-dasein und vor allem mit dem Geld häufig rück-wärtsging und nicht vorwärts. 3 000 Lehrer mehr,das waren wir, und es wäre schön, wenn das jetztalle gut finden und nicht einige so tun, als hättensie früher mehr gemacht. Nein, da ging es eineWeile rückwärts. Das ist ein Punkt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ein zweiter Punkt ist der Schulbau. Gemessen ander Regierung vor uns haben wir den Schulbauverdoppelt durch die Investitionen. Und wenn Sieso mit leichter Hand sagen, Frau Prien, da ständenso viele Container, dann hätten Sie auch sagenmüssen, dass 200 dieser Container dort nur ste-hen, weil wir die Schulen umbauen und weil sievorübergehend wegen der Bauarbeiten nötig sind.Das war früher in der Tat nicht üblich, weil garnicht gebaut wurde. Auch das haben wir auf denWeg gebracht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Selbstverständlich bleiben für die Zukunft viele,viele Aufgaben. Wir wollen den Schulbau weitervorantreiben, wir wollen die Pädagogen bei der In-klusion unterstützen, die Ganztagsangebote ver-bessern – das ist angesprochen worden –, die Be-rufsorientierung verstärken an den allgemeinenSchulen, für mich sehr wichtig, aber auch die Be-rufsausbildung attraktiver machen und die Schul-form stärken, das ist richtig.

Zwei Aspekte will ich am Ende betonen, weil sieaus meiner Sicht besonders vorrangig sind. Zu-nächst einmal werden und wollen wir weiter ener-gisch daran arbeiten, dass Hamburgs Schülerin-nen und Schüler in der "Bildungsbundesliga" aufAugenhöhe mitspielen. Es gibt schon jetzt Berei-che, in denen wir spitze sind. Wir gewinnen reihen-weise Bundespreise, durchaus bei anerkanntenWettbewerben; in Englisch, das wurde kurz er-wähnt, ist Hamburgs Schulsystem hervorragend.Und auch in einem Bereich, in dem alle immernach Hamburg sehen, aber die Hamburger garnicht merken, was die Schulen dort schaffen, näm-lich das Zusammenleben, die Integration einer he-terogenen Stadtgesellschaft auf den Weg zu brin-gen, leisten unsere Schulen Außerordentliches,sind wir gut.

Aber wir wollen mehr, und dazu zählen Dinge wieMathematik und Deutsch, Lesen und Rechtschrei-bung, Dreisatz- und Prozentrechnung und so wei-ter, die Fähigkeit zum selbstständigen Lernen, dasWissen und die Verknüpfung naturwissenschaftli-cher und gesellschaftlicher Zusammenhänge. Indiesen Bereichen können, müssen und werdenHamburgs Schülerinnen und Schüler besser wer-den.

Kein Bundesland investiert so viel Geld in Bildungwie Hamburg, kein Bundesland hat eine so gutePersonalausstattung. Das ist die Grundlage. Aberjetzt machen wir uns auch daran, mit den Lehrerin-nen und Lehrern den Unterricht Schritt für Schrittzu verbessern. Wenige Punkte seien genannt: Ma-thematikoffensive, Offensive zur Begabungsförde-rung, Rechtschreibung verbessern, Beratungs-teams für die unterrichtenden Kollegen, aber auchAnspruch.

Ja, wir riskieren etwas und sagen, wir wollen einBundesabitur in Hamburg. Und das ist schon et-was – das sage ich Ihnen offen –, was sich nichtalle Kolleginnen und Kollegen anderer Bundeslän-der trauen. Sie haben selbst darauf hingewiesen,dass die Bundesländer auswählen können bei denPrüfungen. Wir haben gesagt, wir machen mit, oh-ne Wenn und Aber, und geben uns redlich Mühe,denn wir müssen darauf setzen, dass in HamburgBildung wichtig ist. Sie öffnet die Türen in eine er-folgreiche Stadtgesellschaft für viele Kinder. Dasist der eine Punkt, der uns sehr, sehr wichtig ist.Und da bleibt viel zu tun.

Und ein zweiter Punkt, mit dem ich schließenmöchte: Wir wollen rund 7 000 Flüchtlingskinderneine Zukunft geben, und gute Bildung ist derSchlüssel dafür. Dazu haben wir Dinge gemacht,die bundesweit durchaus für Aufmerksamkeit ge-sorgt haben.

In den Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es richtigenSchulunterricht, nicht irgendeine Freizeitorganisati-on, sondern richtig 25 bis 30 Schulstunden mitechten Lehrern, mit richtigen Fächern, sogar Testswerden dort geschrieben. Und wir haben über550 Pädagogen nur in diesen besonderen Klasseneingesetzt für Flüchtlinge. Das ist schon eine ge-waltige Kraftanstrengung, weil wir von Anfang an– und da, Herr Wolf, bin ich gespannt, was die AfDdazu eigentlich sagen will, ob Sie die Hälfte derSchüler gar nicht in die Schule schicken wollen –gesagt haben, sobald jemand in Hamburg an-kommt, es ist egal, welchen Status er hat, es istegal, wo er untergebracht wird, es muss sofort Un-terricht beginnen. Das ist aus meiner Sicht ein sehrwichtiger Beitrag für die Integration in der Stadt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zwei Dinge gehören dazu: Die Sprache muss ge-lernt werden, und Deutsch ist eine verflixt schwieri-ge Sprache. Aber noch schwieriger als die Spra-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2705

(Senator Ties Rabe)

che ist unsere Gesellschaft. Das, was wir sozusa-gen alle von selbst mit gelernt haben, das mussdie Schule auch mit den Flüchtlingen lernen: eineZivilgesellschaft, die auf Toleranz, Weltoffenheit,Religionsfreiheit und Gleichberechtigung baut, eineGesellschaft auch, die anstrengend ist, weil sie dasEngagement, die gute Bildung und den Leistungs-willen eines jeden Einzelnen voraussetzt.

Deswegen investieren wir sehr, sehr viel Geld füreinen richtigen Schulunterricht. Die Aufgabe istnicht leicht, aber ich will zum Schluss sagen, dasswir davor keine Angst haben und keine Angst ma-chen sollten.

Als ich in meiner Jugend die "Tagesschau" gese-hen habe – das machte ich, als ich etwas älterwar –, da hießen die Nachrichtensprecher nachmeiner Erinnerung Karl-Heinz Köpcke, WilhelmWieben oder Werner Veigel. Wenn ich heuteNachrichten sehe, dann heißen sie Ingo Zampero-ni, Pinar Atalay und Linda Zervakis. Liebe AfD, ichsage einmal, der Weltuntergang ist ausgeblieben.Im Gegenteil, wir können stolz auf dieses Zusam-menleben sein. Und ich darf zum Schluss sagen,Linda Zervakis hat ihr Abitur an einem HamburgerGymnasium gemacht. So wünschen wir uns Inte-gration. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carola Veit: Herr Senator, Sie habendas Doppelte der Redezeit in Anspruch genom-men, das den Abgeordneten im Rahmen der Aktu-ellen Stunde zur Verfügung steht. – Das Wort be-kommt jetzt erneut Frau Prien von der CDU-Frakti-on. Bitte.

Karin Prien CDU:* Frau Präsidentin, liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Herr Senator, wir sind uns invielem nicht einig, aber in einem will ich Ihnen aus-drücklich zustimmen. Es ist richtig, dass wir inHamburg Schülerinnen und Schüler unter den Ge-flüchteten vom ersten Tag an beschulen. Es istrichtig, dass wir Jugendlichen unter den Flüchtlin-gen die Möglichkeit geben, einen Einstieg in eineAusbildung zu finden, und zwar gerade dann,wenn man unser Asyl- und Flüchtlingsrecht ernstnimmt, und gerade dann, wenn man der Auffas-sung ist, dass viele von denen, die heute hier sind,auch wieder zurück in ihre Heimat gehen sollen.Denn es ist richtig, Kindern und Jugendlichen, dieauf der Flucht sind, die Möglichkeit zur Bildung zugeben. Da gibt es kein Wenn und Aber, und daslassen wir uns von Ihnen auch nicht kaputtreden.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der SPDund der FDP und bei Dr. Anjes Tjarks GRÜ-NE)

Ich schätze Ihre jedenfalls meistens sehr sachlicheHerangehensweise an schulpolitische Fragen,Frau von Berg. Deshalb finde ich es auch völlig

richtig zu sagen, das Glas ist nicht nur halb leer,sondern möglicherweise ist es halb voll. Darüberkann man dann im Einzelfall streiten. Ich hätteauch überhaupt nichts dagegen gehabt, eine sol-che Debatte zu führen. Unsere Kritik richtete sichgegen den Aufschlag der SPD und auch das, wasFrau Duden uns angeboten hat heute. Das warnämlich kein kritischer Einstieg in eine Debatte,und genau die müssen wir miteinander führen.

(Erster Vizepräsident Dietrich Wersich über-nimmt den Vorsitz.)

Und das, finde ich, haben Hamburgs Schülerinnenund Schüler auch verdient.

(Beifall bei der CDU)

Herr Senator, Sie sagen, die Menschen kommen ingroßer Anzahl nach Hamburg, weil das Schulsys-tem und unser Kindertagesstättensystem so groß-artig sind. Nach meiner Erfahrung ist es eher so,dass die Menschen in unsere Stadt kommen, weilHamburg die schönste Stadt der Welt ist. Deshalbkommen die Leute hierher, aber sie kommen trotzdes Hamburger Schulsystems und nicht wegendes Hamburger Schulsystems.

(Wolfgang Rose SPD: So ein Quatsch!)

– Denn, Herr Rose, wechseln Sie einmal von Ham-burg nach Baden-Württemberg, Bayern oder Sach-sen, dann haben Sie ein Problem.

Sie müssen sehr häufig Ihre Schüler ein Jahr wie-derholen lassen. Sich damit nun gerade heute zurühmen ist, glaube ich, ein Bumerang gewesen. Sowerden wir nicht weiterkommen.

Auch das Argument, dass die Schülerkosten inHamburg so hoch sind, stimmt. Die Schülerkostensind sehr hoch in Hamburg. Sie sind im Augenblickdie höchsten in Deutschland, aber entscheidend istehrlich gesagt nicht, was ich vorn hineinstecke,sondern entscheidend ist, was hinten heraus-kommt. Und wenn wir uns anschauen, was an Out-put herauskommt, dann lässt es eben an manchenStellen zu wünschen übrig.

(Beifall bei der CDU)

Herr Senator, ich weiß nicht, wie abgehoben Sieinzwischen sind, aber sich jetzt die Schulstruktur inHamburg auf das SPD-Ticket zu schreiben, istdoch wirklich absurd. Die neue Schulstruktur inHamburg ist in der Enquete-Kommission über zweiJahre lang intensiv beraten und beschlossen wor-den zu CDU-Regierungszeiten. Vieles ist umge-setzt worden zu CDU-Regierungszeiten, zusam-men zum Teil mit den GRÜNEN. Das ist wirklicheine völlige Verklärung der Realität. Das nimmt Ih-nen auch keiner ab. Lassen Sie doch so etwas, esbringt uns gar nicht weiter.

(Beifall bei der CDU)

2706 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Senator Ties Rabe)

Das Gleiche gilt für kleinere Klassen. Das habenSie beschlossen? Das wüsste ich aber, wenn esso gewesen wäre. Auch das ist Geschichtsklitte-rung. Auch das bringt keinen Hamburger Schülerweiter.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das hat OlafScholz da reingeschrieben!)

Ich finde, da sollten Sie bei der Wahrheit bleiben.

(Beifall bei der CDU)

Ich nehme gern noch einmal das Thema Unter-richtsausfall auf. Ich finde es wirklich super, ich fin-de es toll, dass Sie den Unterrichtsausfall in dieserForm dokumentieren lassen. Aber wenn Sie dannso herangehen an die Sache, dass den Schulendie Möglichkeit eröffnet wird, in dubiosen Kategori-en dafür Sorge zu tragen, dass das, was als Ver-tretungsstunde gewertet wird, in Wahrheit nichtsanderes ist, als dass Aufgaben, wenn überhaupt,in der Klasse abgegeben werden, die Lehrkräfteverschwinden und die Schüler hinterher gar nichtsmachen, Herr Senator Rabe, dann ist das keineBekämpfung von Unterrichtsausfall, sondern dasist ein – ich sage es jetzt einmal vorsichtig – Schö-nen von Statistik. Und die ist keine, die man ernstnehmen könnte.

(Beifall bei der CDU und bei Anna-Elisabethvon Treuenfels-Frowein FDP)

Ein letzter Punkt. Wenn Sie es wirklich ernst mei-nen mit dem Testen von Bildungsqualität, warumstellen Sie diese Ergebnisse nicht der Öffentlich-keit vor? Warum machen Sie ein Geheimnis da-raus? Dann könnten wir uns über den Erfolg IhrerPolitik nämlich einmal ernsthaft unterhalten. Dastun Sie nicht. Da verweigern Sie sich mit Zähnenund Klauen. Und deshalb können wir Ihnen dasheute nicht abnehmen. Das läuft einfach nicht gut.Wir wüssten es nur zu gern. Sie verweigern da-rüber regelmäßig die Auskunft, lieber Herr Senator.

Bildungsbundesliga in Hamburg, das wünschtenwir uns alle miteinander. Aber dann hätten Sieeben anfangen müssen, an den Bildungsreden zuarbeiten, und zwar nicht erst jetzt, sondern Sie hät-ten es schon vor Jahren tun müssen. Sie hätten imletzten Jahr anfangen müssen.

(Dirk Kienscherf SPD: 2009 hätten wir an-fangen müssen!)

Sie haben uns im letzten Jahr gesagt, Sie hättenBesseres zu tun gehabt. Ich verstehe nicht, wieman irgendetwas Besseres zu tun haben kann, alsdas Bildungsniveau an den Hamburger Schulen zuheben. Da gibt es Riesendefizite. Da müssen Sieheran. Und dass Sie jetzt an die Änderung desSchulgesetzes herangehen, ohne die wesentlichenThemen auch nur anzusprechen, ist ein Armuts-zeugnis. Wir wünschen uns eine ernsthaftere De-batte.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre-chend): Frau Prien, Ihre Redezeit ist abgelaufen.Kommen Sie bitte zum letzten Satz.

Karin Prien CDU (fortfahrend):* Ich komme zumSchluss. Gern führen wir mit Ihnen eine konstrukti-ve Debatte, werden das an den nächsten beidenTagen auch noch an weiterer Stelle tun. Das je-denfalls war kein guter Anfang.

(Beifall bei der CDU)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich: Alsnächste Rednerin bekommt das Wort Frau Boed-dinghaus von der Fraktion DIE LINKE.

Sabine Boeddinghaus DIE LINKE:* Herr SenatorRabe, wie verzweifelt müssen Sie eigentlich sein,dass Sie noch einmal betonen, es sei im Grundeein Erfolg, dass Sie auf die Einhaltung des Schul-gesetzes achten und dementsprechend Lehrerin-nen und Lehrer einstellen? Ich begreife das wirk-lich nicht und finde es richtig peinlich. Sie müssenziemlich verzweifelt sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann zu dem Aspekt der Ganztagsschulen, undnoch einmal: Dass so viele Eltern die Ganztags-schulen wählen, heißt doch erst einmal, dass sieden Bedarf haben, ihre Kinder den Tag über unter-zubringen und betreut zu wissen, während beideEltern ihrem Beruf nachgehen. Das heißt dochnoch gar nicht, dass sie sofort sagen, das sei einetolle Qualität. Im Gegenteil: Wir wissen von sehr,sehr vielen Eltern, die dabei große Bauchschmer-zen haben und denen es schlecht geht, weil siewissen, dass es eben nicht gut läuft. Vielleicht kön-nen Sie an der Stelle noch einmal sagen, wie esjetzt eigentlich in der Schule Schnuckendrift weiter-geht. Die Eltern waren vor der Sommerpauseschier verzweifelt, weil sie nicht wussten, wie esmit der Ganztagsbetreuung nach der Sommerpau-se weitergeht für ihre Kinder. Das eine hat mit demanderen überhaupt nichts zu tun. Und erst rechtnoch einmal: Wie gut, dass es die Volksinitiativegab.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann zum Punkt Inklusion. Es gibt immer dieseZahlenspielerei mit den Lehrerstellen, wir kriegenes nie ganz auseinandergedröselt. Ich kann nurein konkretes Beispiel nennen. Als es noch inte-grative Grundschulen gab, haben die Schulen dieMittel bekommen, dass sie von montags ersterStunde bis freitags letzter Stunde eine Doppelbe-setzung gewährleisten konnten in ihren inklusiv ar-beitenden Klassen. Jetzt haben sie die Mittel, dasssie gerade einmal sechs Unterrichtsstunden dop-pelt besetzen können. Das ist die Realität. Und ich

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2707

(Karin Prien)

orientiere mich an der Realität und nicht an Zah-lenspielereien.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann zum Schulbau. Sie haben kein Wort davongesagt, dass Sie die Möglichkeit hätten, jetzt dasMusterflächenprogramm zu ändern. Es kann nichtsein, dass Schulen durch Raumvermietung, durchGrundstücksverkäufe, durch Mittel aus eigenenReserven dazu beitragen, dass sie an andererStelle saniert werden. Das kann nicht sein. Unddeswegen muss es hier eine Überarbeitung geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte zum Schluss sagen, Senator Rabe, ichnehme es Ihnen wirklich ab. Ich glaube, dass Siees wirklich ernst meinen mit der Integration der ge-flüchteten Kinder und Jugendlichen. Das ist fürmich keine Frage. Aber umso mehr fände ich esbegrüßenswert, wenn Sie Vorschläge aus der Op-position auch einmal annehmen würden, dass wiruns gemeinsam in den Regionen ansehen, wie esläuft. Leider ist es beispielsweise nicht so, dassauch geflüchtete Kinder und Jugendliche regelhaftin den Genuss der Ganztagsschule kommen. Dasist nicht die Realität. Das ist zwar beschlossen,aber es ist nicht die Realität. Und deswegen möch-te ich noch einmal sagen: Unser Angebot steht,den Schulentwicklungsplan mit den Akteuren vorOrt weiterzuentwickeln. Es ist bitter nötig, und ir-gendwann wird es auch so weit sein. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich: Jetzt hatsich Frau von Treuenfels-Frowein von der FDP-Fraktion gemeldet.

Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP:*Sehr geehrter Präsident! Ich habe noch genau dreiPunkte, auf die ich gern eingehen möchte, aber ichwerde mich nicht am Schulsenator abarbeiten. Ichhabe mir heute einmal etwas anderes vorgenom-men.

Ich wollte einmal erwähnen, was ich schon langevorhatte zu sagen zum Thema Unterrichtsausfall.Sie haben gesagt, daran hätten Sie nun gearbeitet,Sie würden das dokumentieren und so weiter. Wiekann es eigentlich sein, dass unsere Kinder ge-schätzte vier, ich würde einmal sagen, mit Sicher-heit drei Wochen vor den Sommerferien überhauptnichts anderes tun außer Filme oder DVDs zu se-hen?

(Dirk Kienscherf SPD: Bei meinem Kind istdas anders gewesen!)

– Moment einmal, jetzt rede ich.

Und wenn sie Aufgaben haben, dann wird dasnoch nicht einmal abgeprüft. Das nennen Sie Be-kämpfung des Unterrichtsausfalls? Darüber kann

ich nur lachen. Das finde ich wirklich gerade amRande vorbei dessen, was ich hier lieber nicht sa-gen möchte.

(Beifall bei der FDP)

Das Nächste, Thema Hochbegabung. Da stellenSie sich tatsächlich hin und sagen, Sie würdenjetzt dort eine Offensive starten. Darauf warten dieHochbegabten, glaube ich, ziemlich lange, und wiemir scheint, auch vergeblich. Ich will einmal einekleine Studie zitieren, die Sie komischerweise völ-lig anders auslegen als ein Autor dieser Studie.Der Autor dieser Studie sagt, wie wir, das ist nuneinmal so, dass es besser wäre, Hochbegabte– wir sagen an Schwerpunktschulen, er sagt in be-stimmten Klassen – zusammen zu fördern. Wassagen Sie mit dieser gleichen Studie? Das könnenSie im "Spiegel" nachlesen. Da sagt Senator Rabe,es sei toll, Hochbegabte könnten flächendeckendschön alle in einer Klasse – individualisierter Unter-richt, das wäre hier das Stichwort – unterrichtetwerden.

(Dirk Kienscherf SPD: Das gibt aber auchandere Studien!)

Nein, die Studie sagt genau etwas anderes, aberSie benutzen das trotzdem. Wollen Sie uns in denBusch führen, oder was? Ich meine, so kann esdoch echt nicht gehen, oder?

(Dirk Kienscherf SPD: Ich dachte, Sie wollensich nicht am Senator abarbeiten!)

Das Nächste, das ich mir aufgeschrieben habe undwas mir auch wichtig ist: Sie sagen, Sie hätten soviel Geld für die Hamburger Schulen ausgegeben.Das ist doch wunderbar. Wie kann es dann abersein, dass wir bundesweit immer so schlecht ab-schneiden? Was machen Sie denn mit dem Geld?

Wenn wir wirklich eine Qualitätsoffensive in denSchulen hätten, dann hätten wir abgefragt – ichglaube, das war Frau Prien –, wie es sein kann,dass es letztes Jahr beim Vergleich der zehntenKlassen solche unterdurchschnittlichen Noten inden Kernfächern wie Deutsch und Mathematikgab.

(Sylvia Wowretzko SPD: Aber mit den Leh-rern gehen Sie hart ins Gericht!)

Ich erinnere Sie ungern daran. Ich würde das gutfinden. Es gibt neue KERMIT-Ergebnisse, die habeich gerade abgefragt. Das werden Sie bald in derZeitung lesen. Da sind wir auch wieder am unters-ten Rand.

Dann würde ich mich freuen, wenn wir einmal dasErgebnis sehen könnten und Sie nicht immer ver-weigern würden, es zu veröffentlichen, und wir esimmer abfragen müssen, um uns dann an die Zei-tungen zu wenden. Vielen Dank, dass auch einmalgeschrieben wird, dass das eben nicht der Fall ist.

2708 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Sabine Boeddinghaus)

Starten Sie eine solche Offensive. Dann haben Sieuns alle dabei. Wir machen laufend Vorschläge.Morgen machen wir wieder Vorschläge. Vielleichtkönnen Sie sich einmal bemühen, die aufzuneh-men und irgendwie einzuarbeiten. Das würdewahrscheinlich guttun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dennis TheringCDU)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich: Ich habenoch eine Wortmeldung vorliegen. – Herr Dr. Wolfvon der AfD-Fraktion.

Dr. Alexander Wolf AfD:* Sehr geehrter Herr Prä-sident, liebe Kollegen! Ich sprach vorhin schon ei-nige hausgemachte Probleme der hamburgischenPolitik an, nämlich dass das Hamburger Schulsys-tem zu sehr zur Spielwiese ideologischer Bildungs-experimente wird unter dem Diktum von Vielfalt, In-klusion und Kompetenzorientierung.

Drei Punkte hierzu konkret. Erstens: PädagogischeErfahrung wie auch gesunder Menschenverstandsagen, dass Unterricht am besten gelingt, wenndie Schülergruppen möglichst homogen sind.

(Jens-Peter Schwieger SPD: Das ist Un-sinn!)

Die Hamburger Schulpolitik hingegen setzt ausideologischen Gründen auf größtmögliche Vielfaltin den Klassenzimmern, unter anderem auf Ab-schaffung von Sitzenbleiben und so weiter, über-fordert damit die einen und unterfordert die ande-ren Schüler. Insgesamt sinkt das Niveau.

Zweitens: die Inklusion mit der Brechstange, beider wiederum aus ideologischen Gründen dasdeutsche Erfolgsmodell der Förder- und Sonder-schulen mutwillig zerstört wird, wiederum, um einemöglichst große Vielfalt in den Klassen einerSchule am besten für alle herzustellen. In dieserArt und Weise, wie es durchgeführt wird, undiffe-renziert und eben mit der Brechstange, ist es ver-fehlt, überfordert Lehrer vor allem und die Schüler.

Und drittens: Auf den ideologischen Vorrang vonKompetenzvermittlung vor der Vermittlung vonWissen – beides hat seine Berechtigung, aber aufdie richtige Gewichtung kommt es an – kommenwir morgen zurück.

Ich komme aber noch auf den anderen Punkt zu-rück, auf den mich auch Herr Senator Rabe an-sprach, auf das Thema, was wir in Sachen Migran-tenbeschulung vorschlagen. Selbstverständlich solles für diejenigen Migranten – und wichtig ist dieseDifferenzierung, und ich bitte, dies genau zu be-achten –, die tatsächlich nach der rechtsstaatlichgebotenen Anwendung unserer Gesetze, Arti-kel 16 Grundgesetz, Dublin-Abkommen und Gen-fer Konvention, berechtigt hier sind und eine Blei-beperspektive haben, Unterricht geben. Da sind

wir selbstverständlich dabei, diese zu beschulen inder bestehenden Art und Weise, sie so rasch wiemöglich in das normale Schulsystem zu integrie-ren, vorbereitend durch die IVKs, und sie zu hiesi-gen Abschlüssen hinzuführen.

Bei dem großen Teil aber derjenigen, die dieseBleibeperspektive hier nicht haben, halten wir esfür verfehlt, sie in dieser bestehenden Weise aufeine hiesige Integration hinzuführen. Und dasmöchte ich an dieser Stelle ausdrücklich klarstel-len: Wir wollen da genauso eine Beschulung, eineWissens- und Abschlussvermittlung, und sie nichtetwa in irgendwelchen Matratzenlagern liegen las-sen, wie uns schon einmal polemisch und unsach-lich vorgeworfen wurde von der linken Seite diesesHauses. Es geht aber darum, sie zu unterrichten ineiner Art und Weise, die sie möglichst optimal aufihre Rückkehr in ihre Heimatländer vorbereitet, da-mit sie dort tatkräftig mit frisch erworbenen Kennt-nissen und mit unserer Hilfe, auch finanzieller Hilfedort vor Ort, ihre Länder so lebenswert machen,dass eine Flucht hierher als nicht mehr notwendigund als nicht so dringend angesehen wird.

Diese Differenzierung ist notwendig aus sachlichenGründen, um das geltende Recht anzuwenden undum die Schüler, jeden einzelnen, bestmöglich aufseine und ihre Zukunft vorzubereiten. – VielenDank.

(Beifall bei der AfD)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich: MeineDamen und Herren! Mir liegen jetzt zu dem erstenund fünften Thema keine weiteren Wortmeldungenvor. Uns verbleiben nun nur weniger als 15 Minu-ten, um auch das zweite Thema aufzurufen.

(Dirk Kienscherf SPD: Das sind mehr als15 Minuten!)

Wird vonseiten der anmeldenden Fraktionen eineVertagung der Aussprache auf morgen bean-tragt? – Das ist der Fall. Dann vertagen wir das.Damit ist die Aktuelle Stunde für heute beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 und 3 auf, dieDeputationswahlen, Drucksachen 21/1466 und21/2316.

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bür-gerschaft:Wahl einer oder eines Deputierten der Justizbe-hörde– Drs 21/1466 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bür-gerschaft:

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2709

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

Wahl einer oder eines Deputierten der Behördefür Schule und Berufsbildung– Drs 21/2316 –]

Die Fraktionen haben vereinbart, dass die beidenWahlen in einem Wahlgang durchgeführt werdenkönnen. Die beiden Stimmzettel liegen Ihnen vor.Sie enthalten bei den Namen jeweils Felder für Zu-stimmung, Ablehnung und Enthaltung. Sie dürfenauf jedem Stimmzettel ein Kreuz machen, aber bit-te nur eines. Stimmzettel, die den Willen des Mit-glieds nicht zweifelsfrei erkennen lassen oder Zu-sätze enthalten, sind ungültig. Auch unausgefüllteStimmzettel gelten als ungültig.

Bitte nehmen Sie nun Ihre Wahlentscheidung vor.Ich darf die Schriftführung bitten, mit dem Einsam-meln der Stimmzettel zu beginnen.

(Die Wahlhandlungen werden vorgenom-men.)

Sind alle Stimmzettel abgegeben worden? – Dannschließe ich die Wahlhandlung. Die Wahlergebnis-se werden gleich ermittelt. Ich werde sie Ihnen imLaufe der Sitzung bekanntgeben.**

Ich rufe auf Punkt 20a der Tagesordnung, Druck-sache 21/5000, Senatsantrag: Haushaltsplan-Ent-wurf 2017/2018, Mittelfristiger Finanzplan 2016 bis2020 und Haushaltsbeschluss-Entwurf 2017/2018der Freien und Hansestadt Hamburg.

[Senatsantrag:Haushaltsplan-Entwurf 2017/2018, Mittelfristi-ger Finanzplan 2016-2020 und Haushaltsbe-schluss-Entwurf 2017/2018 der Freien und Han-sestadt Hamburg– Drs 21/5000 –]

Diese Drucksache ist bereits am 22. August 2016im Vorwege federführend an den Haushaltsaus-schuss und mitberatend an die zuständigenFachausschüsse überwiesen worden. Zur Einbrin-gung des Haushalts spricht traditionell zunächstder Senat. – Das Wort hat Herr SenatorDr. Tschentscher.

Senator Dr. Peter Tschentscher: Sehr geehrterHerr Präsident, meine Damen und Herren! Der Se-nat bringt heute einen Haushaltsplan-Entwurf fürdie Jahre 2017 und 2018 in die Bürgerschaft ein,der in den Ein- und Auszahlungen ausgeglichen istund zum ersten Mal seit Jahrzehnten kein Finan-zierungsdefizit ausweist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist zugleich der zweite vollständig kaufmänni-sche Produkthaushalt, der die gesamte Vermö-gensentwicklung der Stadt im Blick hat, Abschrei-

bungen berücksichtigt und Rückstellungen fürkünftige Verpflichtungen bildet.

Der Haushaltsplan-Entwurf für die Jahre 2017 und2018 fügt sich in das Finanzkonzept ein, das derSenat 2011 beschlossen und seitdem konsequentverfolgt hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Dabei orientieren wir die Planungen nicht an denaktuell günstigen Steuerschätzungen und verlas-sen uns damit nicht auf anhaltend gute Wirt-schaftsentwicklungen, sondern wir richten die Aus-gabenlinie am langfristigen Steuertrend aus, dereinen realistischen Blick auf die zu erwartendenEinnahmen ermöglicht.

Aufgrund guter Haushaltsdisziplin mit jeweils nurgeringen jährlichen Ausgabensteigerungen konn-ten wir bereits 2014 und 2015 Überschüsse im Ge-samthaushalt erreichen. Dies ist trotz guter Steuer-einnahmen und niedriger Zinsen in Deutschlandnicht selbstverständlich.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es sind nur wenige Länder, die keine neuen Schul-den machen, ohne hohe Zahlungen aus demBund-Länder-Finanzsystem zu erhalten. Kein Euroaus dem Umsatzsteuervorwegausgleich, kein Euroaus dem Länderfinanzausgleich, kein Euro ausBundesergänzungszuweisungen oder Konsolidie-rungshilfen und dennoch Überschüsse im Gesamt-haushalt, das gibt es nur in Bayern, in Baden-Würt-temberg und in der Freien und Hansestadt Ham-burg.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Hamburg hat sich im Länderfinanzausgleich insge-samt wieder deutlicher ins Lager der Geberländerbewegt. Wir rechnen in den kommenden Jahrenmit Zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe. Nunsind Zahlungen an andere wirtschaftlich immer ei-ne Belastung. Aber der Länderfinanzausgleich istein Solidarsystem und anders, als die Oppositionbehauptet, fällt Hamburg im Ländervergleich ebennicht zurück, sondern wir entwickeln uns in derWirtschafts- und Finanzkraft stärker als andereLänder. Und das ist eine gute Grundlage für dieweitere Haushaltskonsolidierung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Denn da sollte sich niemand täuschen, wenn dieZeitungen schreiben, wer alles Überschüssemacht. Die öffentlichen Haushalte in Deutschlandsind unter kaufmännischen Gesichtspunkten deut-lich unter Wasser. Die Länder und der Bund ste-hen in der zahlungsbezogenen Betrachtungsweisenur deshalb gut da, weil sie die künftigen Pensi-onsverpflichtungen nicht ausweisen und keine Ab-schreibungen gegenrechnen. Das macht Hamburgseit 2015 anders.

2710 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Erster Vizepräsident Dietrich Wersich)

JaussSa
Schreibmaschinentext
**Das Wahlergebnis ist auf Seite 2724 zu finden.

Und genauso, wie wir das kamerale Defizit in denletzten Jahren in gleichmäßigen Schritten abge-baut haben, wollen wir in den kommenden Jahrenauch das doppische Defizit abbauen, das trotzÜberschüssen in der Finanzrechnung noch erheb-lich ist.

In diese Betrachtung sind neben dem Kernhaus-halt auch alle anderen wirtschaftlichen Einheiten,Sondervermögen, Landesbetriebe, Anstalten öf-fentlichen Rechts, Unternehmen und Beteiligungeneinbezogen, die sich wirtschaftlich auf das Vermö-gen der Stadt Hamburg auswirken.

Nach den Grundsätzen der staatlichen Doppik las-sen sich keine wirtschaftlichen Belastungen mehrin Nebenhaushalte verlagern, ohne dass dies imKernhaushalt sichtbar wird. Es ist also nicht mehrmöglich, die Haushaltsrechnung durch den Verkaufvon Immobilien, von Krankenhäusern, Hafenunter-nehmen oder Forderungen der Wohnungsbaukre-ditanstalt künstlich zu verbessern. Eine solche Ver-mögensmobilisierung, wie es vornehm heißt, diekurzfristig zu Einnahmen führt, aber auf lange Sichtteuer wird, hat es seit 2011 nicht mehr gegebenund wird es mit diesem Senat auch nicht mehr ge-ben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb beabsichtigt der Senat auch nicht, städti-sche Unternehmen oder Beteiligungen zu verkau-fen, die wichtige Aufgaben der Daseinsvorsorgeübernehmen und positiv zum wirtschaftlichen Er-folg Hamburgs beitragen.

In den Jahren 2011 bis 2014 waren es einschließ-lich des Ergebnisses von Hapag-Lloyd über700 Millionen Euro. Diesen Erfolg lassen wir auchnicht dadurch in Misskredit bringen, dass man daspositive Ergebnis mit der Korrektur von Bilanzie-rungsfehlern von 2010 und den Folgen der HSH-Nordbank-Krise von 2008 verrechnet.

Die Milliardenverluste durch eine gescheiterte Lan-desbankenpolitik des Vorgängersenats lassen sichim Nachhinein nicht ungeschehen machen. Diefaulen Kredite liegen in der Bilanz der Bank undführen weiterhin zu Abschreibung und Verlusten.Die Restrukturierung der HSH und der Aufbau ei-nes gesunden Neugeschäfts sind aber in den letz-ten Jahren gut vorangekommen.

Die Risiken aus der Gewährträgerhaftung sind von65 Milliarden Euro auf mittlerweile unter 3 Milliar-den Euro zurückgegangen. Zur Vorbereitung dervon der EU-Kommission geforderten Privatisierunghaben die Länder einen Teil der Altkredite nunauch direkt in eine Länderanstalt übernommen.Aber nur solche Kredite, für die die Länder ohnehindie volle wirtschaftliche Verantwortung getragenhätten, weil diese Kredite von der Garantie derLänder erfasst sind, die 2009 übernommen wurde.Wir müssen davon ausgehen, dass die Garantie zueinem großen Teil auch in Anspruch genommen

wird, und haben deshalb bereits vor zwei Jahreneine entsprechende Rückstellung in der Bilanz derStadt gebildet.

Wie in früheren Haushaltsplänen hat der Senatauch in dem heute vorgelegten Doppelhaushalt dieerforderlichen Reservepositionen eingeplant. DieSteuererträge werden weiterhin mit Vorsichtsab-schlägen geplant, die den Risiken der konjunkturel-len Entwicklung Rechnung tragen. Die Zinsplanungist konservativ und trifft Vorsorge für einen mögli-chen Zinsanstieg. Neben einer allgemeinen Reser-ve und einer zentralen Investitionsreserve gibt eswieder ein Budget für Haushaltsrisiken im Bereichder gesetzlichen Sozialleistungen und eine zentra-le Verstärkungsposition für die Unterbringung, Ver-sorgung und Integration von Flüchtlingen.

Die gute Bewältigung der Flüchtlingskrise hat ne-ben dem Einsatz finanzieller Mittel und einer groß-artigen ehrenamtlichen Unterstützung durch vieleBürgerinnen und Bürger auch zusätzliches Perso-nal der Stadt erfordert. Deshalb ist der vom Rech-nungshof mittlerweile bestätigte Personalabbauvon über 1 000 Vollkräften der Kernverwaltung inden Jahren 2011 bis 2014 zwar im Jahr 2015 fort-geführt, aber durch die Einstellung zusätzlicher Be-schäftigter für die Flüchtlingsversorgung in den Be-zirken, dem Einwohnerzentralamt und dem Lan-desbetrieb Erziehung und Berufsbildung ergänztworden. Das war beabsichtigt und ist richtig so.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Da wir weiterhin in priorisierten Handlungsfeldernwie im Wohnungs- oder Straßenbau zusätzlichesPersonal benötigen, beruht der Haushaltsplan imVergleich zur bisherigen Orientierungsgröße von250 Vollkräften pro Jahr auf einem moderaterenPersonalabbau im Kernbereich der Verwaltung alsfrüher. Dieser moderatere Personalabbau ist aberweiterhin erforderlich als gesamtstädtische Ver-ständigung auf wirtschaftliches und sparsamesHandeln, aufgabenkritisches Denken und moderneVerwaltung, zum Beispiel durch besseren IT-Ein-satz.

Sehr geehrte Abgeordnete! Der Ihnen in Produkt-gruppen nach Aufwand und Ertrag vorgelegteHaushaltsplan lässt die Schwerpunkte des Senatsdeutlich erkennen. Für den Unterricht an Gymnasi-en sind über 400 Millionen Euro pro Jahr vorgese-hen, für Stadtteilschulen mehr als 500 MillionenEuro und für Grundschulen rund 600 MillionenEuro pro Jahr. Die Kostenermächtigungen für dieKindertagesbetreuung betragen fast 800 MillionenEuro jährlich. Für Hochschulen, Wissenschaft undForschung sind über 1 Milliarde Euro eingeplant.Damit nehmen wir weiterhin einen Spitzenplatz un-ter den Bundesländern in Deutschland ein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Innere Sicherheit soll gestärkt werden durchmehr Mittel für Polizei, Feuerwehr und Justiz. Die

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2711

(Senator Dr. Peter Tschentscher)

Auszahlung für Investitionen für Verkehrsprojekte,Krankenhäuser, den Hafen und andere Bereicheder öffentlichen Infrastruktur betragen rund700 Millionen Euro pro Jahr. Ein weiterer großerTeil der städtischen Investitionen erfolgt zusätzlichüber das Sondervermögen Schulbau, städtischeProjektgesellschaften und öffentliche Unterneh-men, die hierfür die entsprechenden Zuschüsseoder Mietzahlungen aus dem Kernhaushalt erhal-ten.

Mit dem Haushaltsplan 2017/2018 und der Finanz-planung bis 2020 werden die finanziellen Grundla-gen geschaffen, um die Schwerpunktthemen undPrioritäten des Senats umzusetzen: die Fortfüh-rung der Wohnungsbauoffensive für eine wachsen-de Stadt, die Stärkung des Bildungs-, Wirtschafts-und Wissenschaftsstandortes, der weitere Ausbauder Kindertagesbetreuung, die Fortsetzung der Sa-nierung der öffentlichen Infrastruktur, eine Stär-kung der Inneren Sicherheit und die Verbesserungder Lebensqualität durch moderne Verkehrs-,Stadtentwicklungs- und Umweltpolitik.

Der Senat hat einen Haushaltsplan-Entwurf vorge-legt, der den Haushalt konsequent weiter konsoli-diert, aber zugleich die richtigen politischenSchwerpunkte setzt und damit die Voraussetzun-gen schafft für eine gute Entwicklung Hamburgs. –Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich: AlsNächster erhält das Wort Thilo Kleibauer von derCDU-Fraktion.

Thilo Kleibauer CDU:* Herr Präsident, meine Da-men und Herren! Wenn man sich die Haushalts-entwicklung in dieser Stadt ansieht, dann gibt es inder Tat drei Sonderfaktoren, die kein Finanzsena-tor vorher genossen hat und über die sich jederandere Senat wahrscheinlich gefreut hätte. Wir ha-ben seit sieben Jahren steigende Steuern, einenTrend, den es so in dieser Zeitabfolge seit Jahr-zehnten nicht gegeben hat. Wir haben historischeNiedrigzinsen

(Farid Müller GRÜNE: Ist das Neid?)

und wir haben, wenn man sich den Vergleich seit2011 anschaut, 400 Millionen Euro mehr Bundes-mittel, also eine große Unterstützung, die vomBund kommt für diesen Landeshaushalt. Und gera-de in einer solchen Phase muss man doch in derHaushaltspolitik ein solides Fundament auch fürdie schlechteren Zeiten, die wieder kommen wer-den, legen, man darf sich nicht ausruhen. Und beidiesem Senat und bei dieser Haushaltspolitik ha-ben wir leider den Eindruck, dass er sich auf die-sen Zahlen sehr deutlich ausruht.

(Beifall bei der CDU)

Der Rechnungshof hat zum Auftakt dieser Wocheeine sehr lesenswerte Analyse vorgelegt, in derauch die Haushaltspläne 2017/2018 eingeflossensind, das Monitoring Schuldenbremse. Von zwölfAmpeln sind in dieser Situation mit vielen positivenEinnahmefaktoren fünf Ampeln auf Gelb, vor zweiJahren waren es gerade noch vier. Es wird daraufhingewiesen, dass Reserven aufgebraucht wer-den, die Personalstrategie des Senats ist nicht auf-gegangen, die Investitionshöhe ist sehr kritisch zusehen, das Thema Verlagerung von Schulden inTochterorganisationen der Stadt. Es werden sehrviele Haushaltsrisiken dort erwähnt. Lesen Sie sichdiese Analyse durch. Als der Rechnungshof dasvor einem Jahr gemacht hat, hatte ich bei dem Se-nat nicht den Eindruck, dass er ernsthaft daraufreagiert hat. Aber diese Warnhinweise müssen wirernst nehmen, wenn wir uns den Haushalt anse-hen.

(Beifall bei der CDU)

Und ich fand es interessant, Herr Dr. Tschent-scher, dass Sie gesagt haben, das Finanzkonzeptdes Senats werde seit 2011 konsequent durchge-setzt. Ja, da fragt man sich doch, wo ist denn dasKonzept überhaupt noch? Das ist doch gar nichtmehr zu erkennen. Das Konzept ist doch PrinzipHoffnung, und das Prinzip ist Orientierungslosig-keit. Sie haben auch noch gesagt, es gehe darum,den Ausgabenanstieg zu begrenzen. Wir habenauch in den letzten Haushaltsberatungen immernachgewiesen, dass das nur mit Tricks, mit Ver-schiebungen, mit Verlagerungen im Haushaltmachbar ist. Wenn man sich noch einmal die Ent-wicklung ansieht: Seit 2011 haben Sie 1 MilliardeEuro an Zinsen gegenüber der ursprünglichen Pla-nung eingespart. Das wurde zusätzlich ausgege-ben, das wurde verkonsumiert. Sagen Sie alsonicht, dass Sie Ihr Konzept der Ausgabenbegren-zung ganz sicher und souverän über die Jahredurchgehalten haben.

Wenn man sich den Haushaltsplan-Entwurf an-schaut für 2017/2018, dann sehen wir einen deutli-chen Anstieg. Die Ausgaben steigen um über6 Prozent. Das ist nicht nur die Änderung beim Fi-nanzrahmengesetz, wo man den anderen Steuer-trend einbezieht, es werden auch mir nichts, dirnichts einfach noch einmal 300 Millionen Euro zu-sätzlicher Einnahmen eingeplant, unterstellt, diedazu führen, dass das Ausgabenvolumen deutlichsteigt. Es wird immer deutlicher, die Ausgaben fol-gen nicht Ihrem Konzept, sondern dem, was sichkonjunkturell darstellen lässt, Herr Finanzsenator,und das ist zu wenig in diesen Zeiten.

(Beifall bei der CDU)

Die Zahlen Ihrer Ankündigungen, Ihre Konzepte:Sie haben noch einmal hervorgehoben, 2014 habees einen Überschuss von 400 Millionen Euro gege-ben. Als Sie diesen Überschuss angekündigt ha-ben, haben Sie auch gesagt, diese 400 Millio-

2712 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Senator Dr. Peter Tschentscher)

nen Euro würden getilgt. Das war ein leeres Ver-sprechen. Wo können wir denn die Tilgung able-sen? Ende 2013 waren die Schulden nach Ihrer ei-genen Statistik bei 23,2 Milliarden Euro, Ende2014 waren sie bei 23,2 Milliarden Euro, Ende2015 waren Sie bei 23,2 Milliarden Euro und zum30. Juli dieses Jahres waren sie immer noch bei23,2 Milliarden Euro. Da haben Sie offensichtlichden Überblick über die eigene Kassenlage verlo-ren. Das ist ein Widerspruch in Ihren eigenen Zah-len und Aussagen, den Sie uns erklären müssen,Herr Senator.

(Beifall bei der CDU)

Dann haben Sie auch gesagt – das haben Sie imJuni 2016 schon gesagt nach dem Senatsbe-schluss, als der Senat den Haushaltsplan-Entwurfvorgestellt hat –, es gäbe überall mehr Reserven,Vorsichtsabschläge, da ist der Senat sehr vorsich-tig unterwegs. Dann machen wir doch einmal denFaktencheck. Vorsichtsabschlag Steuern: fälltniedriger aus. Beim letzten Doppelhaushalt habenSie 2,9 Prozent der Steuern abgezogen, diesmal2,6 Prozent. Das ist weniger, Herr Senator. Da feh-len 57 Millionen Euro, die Sie sozusagen als Vor-sichtsabschlag herausgenommen haben. ZentraleReservemittel Personal: letztes Mal im Bereich100 Millionen Euro, geht jetzt herunter auf 80 Mil-lionen Euro, im Jahr 2018 sogar nur 60 MillionenEuro. Allgemeine Reserve: war sonst immer im Be-reich 50 Millionen Euro, geht jetzt herunter auf30 Millionen Euro. Gleichzeitig erhöhen Sie die glo-balen Minderkosten in allen Fachbehörden, es gibtzusätzliche Einsparvorgaben. Das ist doch nichttransparent, das wirft Fragen auf.

Sie haben seit Juni 2016 auch noch diverse Umbu-chungen vorgenommen, bei denen man sich auchnoch einmal im Einzelnen überlegen kann, ob dasalles denn so zutreffend ist. Vielleicht galt das imJuni noch, aber spätestens danach wurden die Re-serven noch einmal deutlich abgesenkt, und inso-fern ist es falsch, Herr Senator, wenn Sie sagen,es gäbe sehr viele Reserven und Sicherheitspos-ten in diesem Haushalt. Das ist nicht der Fall.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben zu Recht angesprochen – das debattie-ren wir auch nicht zum ersten Mal in diesemHaus – das große Haushaltsrisiko, das aus derHSH Nordbank resultiert. Und wir sehen, es mate-rialisiert sich immer weiter. Sicherlich sind zu un-terschiedlichen Zeiten unterschiedliche gravieren-de Fehler passiert,

(Wolfgang Rose SPD: Ach, nein!)

die die Stadt lange belasten werden. Aber auch dasollte sich ein Finanzsenator, der seit fünf Jahrenim Amt ist, selbstkritisch fragen, welche Fehler zuseiner Amtszeit entstanden sind, Herr Senator.Und man darf nicht vergessen, dass die HSHNordbank im Jahr 2015 die höchsten Wertberichti-

gungen aller Zeiten, noch höher als im Krisenjahr2009, ausgewiesen hat. Und das war zu IhrerAmtszeit, Herr Senator.

(Beifall bei der CDU)

Bei der Inanspruchnahme aus der Garantie ist diePrognose von Dezember 2015 bis März 2016 ein-mal eben um über 1 Milliarde Euro angehobenworden. Das war zu Ihrer Amtszeit, Herr SenatorTschentscher. Sie geben ein Heidengeld aus fürBerater – das ist sicherlich in Teilen auch notwen-dig, 36 Millionen Euro Beratungsleistungen im Zu-sammenhang mit der HSH Nordbank –, aber dannstellen Sie sich diesem Thema und dann stellenSie sich auch den Fehlern, die in Ihrer Amtszeitdort passiert sind.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben gesagt, es sei nun alles in der doppi-schen Welt, es gebe jetzt gar nichts mehr, mankönne da gar nicht mehr Vermögen mobilisieren etcetera. Dann bleiben wir doch ein bisschen beidem Thema, was neben dem eigentlichen Kern-haushalt ist, wo man immer so schön die Über-schüsse im Haushalt hat, weil da die Steuerein-nahmen in der jetzigen Höhe einfließen. Der Ver-lustausgleich für die HGV – ich glaube, frühere Fi-nanzsenatoren können sich daran erinnern, dassdie HGV etwas abgeliefert hat, nun sind wir in Zei-ten eines Verlustausgleichs – steigt immer weiter.Sie planen bis 2018 ein Rekordvolumen von114 Millionen Euro ein. Wir haben das Thema Be-teiligung später noch einmal auf der Tagesord-nung, ich hoffe, Sie bleiben im Haus, Herr Senator,aber es zeigt sich doch schon an dieser Zahl, dassim Bereich des Beteiligungsmanagements das ei-ne oder andere im Argen liegt.

Die Verschuldung der Nebenhaushalte geht weiterdurch die Decke. Das ist doch auch die Zahl, diewir immer sehr intensiv verfolgen und wo auchvom Statistischen Bundesamt die Zahlen geliefertworden sind. Sie wollen die Bürgschaften auswei-ten auf Bäderland, Sie wollen die Bürgschaften beider HPA erhöhen, Sie wollen f & w fördern undwohnen weiter verschulden. Sie verlagern Proble-me, anstatt sie zu lösen, Sie verschieben die Pro-bleme auf der Zeitachse, und damit schaffen Siedie Gefahr künftiger Sanierungsfälle. Das ist nichtokay in diesen Zeiten.

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich dann von Ihnen höre, wir müssten über-haupt kein Vermögen mobilisieren, dann frage ichmich, warum Sie denn in dieser guten Haushalts-und Einnahmelage Mittel in steigender Höhe ausden Versorgungsrücklagen der Stadt entnehmen.Warum nehmen Sie ansteigende Liquidität ausdem Bereich des Immobilienmanagements? Auchdas ist ein Punkt, bei dem der Rechnungshof zuRecht drauf hingewiesen hat, die Reserven würdenhier aufgezehrt und die Reserven könne man nur

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2713

(Thilo Kleibauer)

einmal nutzen. Und warum nutzen wir sie in demZeitraum, in dem wir Rekordsteuereinnahmen ha-ben, Herr Senator?

(Farid Müller GRÜNE: Das sollten Sie ei-gentlich wissen!)

Das müssen wir auch im Rahmen der Haushalts-beratungen sehr kritisch diskutieren.

Wenn man sich das Thema öffentliche Unterneh-men, Nebenhaushalte, anschaut, müssen wir sa-gen, der Weg zum doppischen Haushalt, zumkaufmännischen Rechnungswesen ist richtig undwichtig, aber wir müssen dann auch etwas weiter-gehen und noch etwas stärker auch die Konzernbi-lanz in den Blick nehmen. Der Kernhaushalt, denwir hier intensiv diskutieren werden, ist an man-chen Stellen wenig aussagekräftig, wenn mannicht auch die Gesamtorganisation einbezieht– auch darauf hat der Rechnungshof hingewie-sen –, und diese Konzernbilanz mit einer deutli-chen Überschuldung, die wir nun einmal haben,dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.

(Beifall bei der CDU)

Herr Senator, ich möchte noch einen Punkt erwäh-nen, zu dem Sie auch etwas gesagt haben, dasThema Personal. Es steht ein wenig davon im Fi-nanzbericht, jetzt stockt man auf, gerade im Be-reich der Bezirke, der Kundenzentren, der Bauprüf-abteilung et cetera.

(Zuruf von Farid Müller GRÜNE)

– Wie bitte?

(Farid Müller GRÜNE: Das haben Sie dochalles gefordert!)

– Ja, aber die Frage ist, was denn da passiert. Damüssen Sie einmal den Finanzbericht zu Ende le-sen, wir stocken jetzt auf, und im Zeitraum der Fi-nanzplanung wird wieder massiv abgebaut.

Es ist eine sehr merkwürdige Strategie, jetzt, wodas Kind in den Brunnen gefallen ist, bessert manbei den Bezirken nach, und gleichzeitig müssendie Bezirke 55 Prozent der Abbauverpflichtungbeim Personal in den nächsten Jahren tragen. Al-so was ist denn daran die Sinnhaftigkeit der Strate-gie, Herr Müller? Das können Sie uns vielleichtgleich einmal erklären.

(Beifall bei der CDU)

Es zeigt sich, dass dieser Haushalt an vielen Stel-len nicht ehrlich ist, dass er intransparent ist, dassauch Vergleichbarkeit bewusst eingeschränkt ist,und das werden wir sicherlich im Rahmen dieserHaushaltsberatungen diskutieren.

Was wir ebenfalls diskutieren sollten: Wir habenam Anfang erwähnt, es gebe gute Steuereinnah-men. Das hat auch etwas mit wirtschaftlicher Leis-tungsfähigkeit zu tun bei denen, die als Angestell-te ihre Einkommensteuer zahlen und sich ab und

zu über eine Entlastung freuen. Ich weiß, wie müh-sam es war, hier den Senator in Richtung Abbauder kalten Progression zu bewegen vor einemJahr,

(Michael Kruse FDP: Oder Ihre Kanzlerinseit 12 Jahren!)

aber es ist auch wichtig, dass wir die Wettbewerbs-fähigkeit dieser Stadt als Basis für künftige Einnah-men im Blick behalten. Und das betrifft natürlich In-frastrukturinvestitionen, die wir sehr kritisch hinter-fragen werden, das betrifft den Bereich Wissen-schaft und Forschung, das betrifft den BereichWirtschaft, was wir im Bereich der Unternehmens-gründungen tun und so weiter. Wenn wir uns auchkünftig über steigende Einnahmen freuen wollen,ist es wichtig, dass wir diese wirtschaftliche Basisfür künftige Einnahmen der Stadt nicht aus demBlick verlieren. In diesem Sinne freue ich michüber kritische, aber auch über konstruktive Haus-haltsberatungen, die wir in diesem Haus und inden Ausschüssen führen werden. – HerzlichenDank.

(Beifall bei der CDU)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich: VielenDank, Herr Kleibauer. – Als Nächster hat HerrQuast von der SPD-Fraktion das Wort.

Jan Quast SPD:* Herr Präsident, meine Damenund Herren! Die zentrale Botschaft dieses Haus-halts ist doch: Wir werden im Kernhaushalt keineneuen Schulden mehr machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Und zwar nicht, wie schon so oft früher verkündet,am Ende einer längeren Periode, sondern schonnächstes Jahr, 2017, nicht mehr. Dieser Haushaltzeigt, Investieren und Konsolidieren geht zusam-men. Das zeigt der uns heute vorgelegte Haus-haltsplan-Entwurf der rot-grünen Koalition, der da-mit in der guten Tradition der auf die Schulden-bremse ausgerichteten Haushalte der letzten fünfJahre steht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kleibauer, wenn Sie von Intransparenz spre-chen, dann kann ich Ihnen wirklich nur empfehlen,die Haushaltsberatungen zu nutzen, um nachzu-fragen. Ich glaube, kein Haushalt der Vergangen-heit ist so transparent, indem er nämlich so sehrZukunftslasten abbildet und Investitionsmaßnah-men abbildet, Abschreibungen dafür aufzeigt, überPensionen informiert wie ein doppischer Haushalt.Sicherlich müssen wir damit noch üben, Sie vor al-len Dingen. Fragen Sie nach, Sie werden so vieleInformationen bekommen, wie wir sie früher niehatten.

(Beifall bei der SPD und bei Farid MüllerGRÜNE)

2714 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Thilo Kleibauer)

Der Rechnungshof hat den Haushaltsplan-Entwurfbewertet. Er hat auch Haushaltsrisiken benannt,Herr Kleibauer, wobei ich in vielen Feldern anderesaus dem Rechnungshofbericht lese, als Sie dashier tun, denn dort steht, dass er eine nachhaltigefinanzwirtschaftliche Strategie des Senats bewertethat, die Einhaltung der Schuldenbremse testiertund auch eine erfolgreiche Umsetzung der Finanz-planung auf Basis des Haushaltsplans weiterhinerwartet. Ihre Interpretation ist doch sehr eigensin-nig, zumal eine weitere Ampel auf Gelb gegangenist, also sich positiv entwickelt hat. Vor dem Hinter-grund verstehe ich auch Ihre Diskussion um dieNebenhaushalte nicht. Dort ist eine grüne Ampel.Es gibt keine rote Ampel, was im Hinblick auf dieVerschuldung in Nebenhaushalten von Ihnen gera-de dargestellt wurde. Das ist im Rechnungshofbe-richt vollkommen anders dargestellt. Vielleicht soll-ten Sie den noch einmal in Ruhe lesen und da et-was sachlicher herangehen.

(Ksenija Bekeris SPD: Ja, guter Tipp!)

Auch das Thema Personal führt der Rechnungshofintensiv aus, das haben Sie eben auch noch ein-mal gemacht, und er sagt dort, es gebe keinen un-gebremsten Personalabbau und die Entwicklungdes Personalaufwands im Haushaltsplan-Entwurfbleibe in einem Rahmen, der die Einhaltung derSchuldenbremse nicht gefährde. Was wollen wirdenn mehr hören?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist richtig, wir haben in den letzten Jahren in ei-nigen Bereichen Personal aufgebraucht, denn wirwerden den Ansprüchen an eine Regierung, die ei-ne prosperierende Metropole mit sich bringt unddie die Bedürfnisse der hier lebenden Menschenmit sich bringen, gerecht. Wir bilden mehr Polizei-und Feuerwehrbeamte aus und investieren so inSicherheit. Wir stärken die Steuerverwaltung durchmehr Ausbildung und investieren so in mehr Steu-ergerechtigkeit. Und wir stellen Lehrerinnen undLehrer ein und investieren damit in Bildung undChancengleichheit. Wer von Ihnen will das kritisie-ren?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben auch mehr Personal aufgebaut, wo esnicht geplant war, nicht planbar war, nämlich vorallem für die Betreuung und Unterbringung vonGeflüchteten. Das war wichtig und ist richtig undorientiert sich an den Bedarfen. Auch da frage ichSie: Wer will das kritisieren?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der heute vorgelegte Finanzplan weist den Wegfür die Zukunft. Wir werden den Personalkörperweiter umbauen, bedarfsgerecht und verantwor-tungsvoll mehr Personal für Bildung und Sicher-heit, mehr Personal für Wohnungsbau und Bürger-service einstellen, weniger Personal in der Verwal-

tung haben in moderaten Abbauschritten unterNutzung der Fluktuation von Aufgabenkritik undstärker IT-gestützten Abläufen. Diese Personalent-wicklung folgt damit den Schwerpunkten unsererKoalition für die kommenden Jahre.

Bildung und Chancengerechtigkeit zu ermöglichenbleibt unser prioritäres Ziel, und das beginnt in derKita. Seit Anfang August wurden die Betreuungs-schlüssel der Kinder im Alter von 25 bis 36 Mona-ten erneut verbessert. 2017 wird das erste kom-plette Jahr sein, in dem diese Verbesserung fruch-tet. Die Verbesserungen erreichen dabei immermehr Kinder, das ist gut für Chancengleichheit,aber es erfordert auch einen ständig wachsendenEinsatz zusätzlicher Mittel, und das leisten wir.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben es eben diskutiert, an den allgemeinbil-denden Schulen stellen wir bei wachsenden Schü-lerzahlen weiter kleine Klassen und hohe Qualitätsicher. Dafür erhalten die allgemeinbildendenSchulen 473 zusätzliche Vollzeitstellen. Gleichzei-tig stärken wir die Inklusion, den Ganztag und dieberufsbildenden Schulen personell und investieren25 Millionen Euro in die ganztagsgerechte Ausstat-tung von Schulkantinen, Räumen und Flächen.Insgesamt, und auch dort greife ich einen Kritik-punkt von Ihnen auf, Herr Kleibauer, investierenwir allein in den Schulbau 2017 400 Millionen Euro,so viel wie noch nie.

(Beifall bei der SPD und bei Farid MüllerGRÜNE)

Wir investieren auch in die Gesundheitsversorgungund erhöhen die Krankenhausinvestitionen auf fast100 Millionen Euro, indem wir zusätzliche Hambur-ger Mittel einsetzen, um auch Mittel des Bundesaus dem Strukturfonds zu generieren.

Beim Wohnungsbau ruhen wir uns nicht auf denErfolgen der letzten Jahre aus, die sich doch wirk-lich von dem unterscheiden, was Sie jemals geleis-tet haben, nein, wir legen noch einmal nach. Füreine bessere Wohnraumversorgung und stabileMieten wollen wir künftig 10 000 neue Wohnungenim Jahr genehmigen, davon mindestens 3 000 öf-fentlich geförderte Wohnungen. Dafür finanzierenwir zusätzliche Stellen in den Bezirken für Planungund Baugenehmigung und erhöhen die Zahlen anunseren Investitions- und Förderbanken für den öf-fentlich geförderten Wohnungsbau. Von 2016 auf2017 steigen die Kosten für Transferleistungen imWohnungsbereich um über 20 Millionen Euro auf144 Millionen Euro in 2017, und 2018 werden esdann fast 160 Millionen Euro sein, die wir hier in-vestieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

All das ließe sich fortsetzen, Sie können aber auchin den Fachausschuss- und Haushaltsaus-schussdiskussionen diese Punkte noch einzeln

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2715

(Jan Quast)

herausarbeiten und besprechen. Ich will das andieser Stelle gar nicht tun. Wir werden uns imHaushaltsausschuss auch intensiv mit den Risikenbeschäftigen, die der Rechnungshof benannt hat,die der Finanzsenator benannt hat, StichpunktHSH Nordbank, das haben Sie selbst gesagt. Undda verstehe ich dann wirklich nicht, Herr Kleibauer,wie Sie dazu kommen, Herrn Tschentscher hierFehler zu unterstellen.

(Karin Prien CDU: Ja, das wäre ja Majes-tätsbeleidigung! – Jörg Hamann CDU: Ichverstehe das nicht! – André Trepoll CDU:Das Schlimme ist, dass Sie das selbst glau-ben!)

Das, was Sie erleben, was wir in den letzten Jah-ren diskutiert haben und ausräumen mussten,

(Thilo Kleibauer CDU: Wer hat denn den jet-zigen Vorstand der Bank ausgesucht?)

ist doch auf den Wahnsinn zurückzuführen, der inden Jahren 2001 bis 2004 vornehmlich durch Fi-nanzsenatoren der CDU veranstaltet wurde.

(Zuruf von Thilo Kleibauer CDU)

Das holt uns alle ein. Und ich finde, wir haben nichtüberall das optimale Ergebnis erreichen können,aber das ist auch nicht die Entscheidung der StadtHamburg allein gewesen. Aber das, was der Fi-nanzsenator, was der Bürgermeister, was die Lan-desregierung in Kiel herausgeholt haben, ist das,was für Hamburg herausholbar war. Das ist ein gu-ter Weg am Ende, einer, der uns zumindest Klar-heit gibt darüber, wo wir landen können. Das, glau-be ich, sollten Sie nicht kleinreden, indem Sie auchnoch die Tatsachen verdrehen bei der Frage, werdas eigentlich angerichtet hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Jeder gute Haushaltsplan-Entwurf lässt sich immernoch verbessern. Ich bin gespannt, ob Sie dazu inder Lage sind. Wir haben schon öfter bewiesen,dass wir gute Ideen haben und diese zusätzlicheinbringen. Die Koalition wird das auch tun. Ein füruns wichtiger Bereich ist in diesem Fall das ThemaKultur. Wir haben dafür gesorgt, dass die Betriebs-kosten der Elbphilharmonie nicht zulasten des Kul-turhaushalts gehen. Und wir haben auch bereitsVerhandlungen mit den Privattheatern geführt, weilwir glauben, dass wir dort am Anfang bei deren Fi-nanzierung für die Spielzeit ab 2017/2018 nocheinmal einen etwas größeren Schritt gehen kön-nen, um diese abzusichern. Wir werden danneinen entsprechenden Antrag im Rahmen derHaushaltsberatungen vorlegen, um diese für Ham-burg doch wichtigen Einrichtungen zu stärken.

Der frühere britische Premierminister Eden hat ein-mal gesagt:

"Jeder erwartet vom Staat Sparsamkeit imAllgemeinen und Freigiebigkeit im Besonde-ren".

(Thilo Kleibauer CDU: Da haben Sie aberlange nach einem Zitat gesucht! – Zuruf vonJörg Hamann CDU)

Ich bin sehr gespannt auf die Haushaltsberatun-gen, insbesondere auf die Opposition, weil sich anden ersten Beratungen in den Fachausschüssenschon abzeichnet, dass das, was Sie hier verkau-fen, Herr Kleibauer, nämlich die Sparsamkeit imAllgemeinen, nichts mit den Forderungen Ihrer Kol-leginnen und Kollegen in den Fachausschüssen zutun hat, die dann die Freigiebigkeit im Besonderenfordern werden. Trotzdem wünsche ich uns erfolg-reiche Haushaltsverhandlungen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich: Das Worterhält jetzt Farid Müller von der GRÜNEN Fraktion.

Farid Müller GRÜNE:* Herr Präsident, meine Da-men und Herren! Wir GRÜNE begrüßen es sehr,dass wir den Doppelhaushalt 2017/2018 ohneneue Schulden beschließen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich sage das deswegen noch einmal, weil esdurchaus nichts Selbstverständliches ist. Sie wis-sen alle, dass die Herausforderungen der Zuwan-derung uns auch finanziell alle – im Bund und inden Ländern, in den Kommunen – sehr fordern,und da wir Stadtstaat sind, uns eben doppelt for-dern.

Herr Kleibauer, Sie haben gefragt, warum wir jetztteilweise an die Reserven gegangen sind, teilweisenicht mehr so viel zurücklegen. Ja, das ist dieKehrseite der Medaille, die Kehrseite von "Wirschaffen das". Wir müssen das ausfinanzieren,was Ihre Kanzlerin gesagt hat. Das tun wir hiergern. Aber wir lassen uns dann von Ihnen nichtvorwerfen, dass das unseriös sei, denn das ist un-seriös, Herr Kleibauer.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Mit Blick auf DIE LINKE, die uns nun die Sorge desRechnungshofs in puncto Investitionen gleich alsTatsache vorwerfen, wir würden nämlich nicht ge-nug investieren in dieser Stadt wegen der Schul-denbremse, kann ich nur sagen, auch das ist eineVerwechslung zwischen einer Befürchtung für dieZukunft – dazu sehen wir momentan überhauptkeinen Anlass –,

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Der Rech-nungshof aber!)

und der Realität in diesem Haushalt. Der Kollegehat es schon ein bisschen angedeutet. Wir undauch andere haben im Länderfinanzranking deut-

2716 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Jan Quast)

lich gesagt, dass Hamburg pro Einwohner mit denInvestitionen an erster Stelle steht in der Republik,und das ohne Strukturmittel aus dem Bund und zu-sätzlich mit der Einzahlung in den Länderfinanz-ausgleich.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmtden Vorsitz.)

Wir stehen an erster Stelle in der Republik bei derInvestition pro Einwohner. Ich finde, da müssen wiruns nicht verstecken, und da braucht man heuteauch keine Sorgen zu haben, dass wir von diesemWeg abgehen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Natürlich muss man das im Blick halten, und ichfinde angesichts dessen die vorgetragene großeSorge larmoyant, was wir nur in Hamburg mit denNebenhaushalten machen würden. Wir sehen jetzteinmal auf den Schulbau Hamburg. Den haben wirzusammen eingerichtet, Herr Kleibauer, unterSchwarz-Grün, die SPD hat das fortgeführt, undwir investieren dort mehr denn je.

Wir haben uns viel vorgenommen. Wir wollen esschneller machen für die Schüler, weil wir mehrSchülerinnen und Schüler haben. Und auch wenndie Kollegin Prien kritisiert, dass dafür nun Contai-ner herumstehen, während wir sanieren und um-bauen, bleibt es doch eine Tatsache, dass dieserWeg von Ihnen mit beschritten wurde und wir ihnjetzt fortführen. Ich kann wirklich nicht verstehen,Herr Kleibauer, warum Sie uns jetzt vorwerfen,dass wir das tun, was Sie angefangen haben.

(Thilo Kleibauer CDU: Ich habe fördern undwohnen gesagt!)

Wir machen es besser und wir machen es intensi-ver als Sie. Und ich finde, das ist kein Grund füreinen Vorhalt, sondern eigentlich wäre das einmalein Grund zumindest für ein leises Lob von der Op-position.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir schieben nicht nur Investitionen aus dem Kern-haushalt an und aus dem Schulbau Hamburg zumBeispiel, sondern wir haben auch noch beschlos-sen, Flüchtlingswohnungen zu initiieren. Das sindInvestitionen, die wir anschieben, bei denen wir zu-rückmieten, die aber nicht gekommen wären, wennwir nicht gesagt hätten, wir wollen, dass die Ge-flüchteten in dieser Stadt nicht irre lange in Contai-nern und Holzhäusern oder gar Zelten schlafenmüssen. Das haben wir angeschoben und dassind noch einmal Hunderte von Millionen Euro anInvestitionen, die durch diesen Senat in Gang ge-setzt werden und wurden. Auch das gehört als Teilder Wahrheit, was wir für die Zukunft in diese Stadtinvestieren, dazu.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Denn die Kehrseite ist doch, dass die Integrationüber die Arbeit und auch über die Schule nur funk-tionieren kann, wenn diese Familien ein richtigesDach über dem Kopf haben und nicht in irgendei-ner Gewerbehalle hausen müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen in diese Richtung gehen. Wir wollen,dass die Integration klappt, aber dafür muss maneben – das ist die Kehrseite der Medaille von "Wirschaffen das" – auch das Geld in die Hand neh-men, damit es etwas wird. Sonst wird es letztlicham Ende teurer.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Und in Richtung DIE LINKE: die Grunderwerbs-steuer. Ich habe, ehrlich gesagt, überhaupt nichtverstanden, warum wir die Grunderwerbssteuerwegen der Investitionsquote noch einmal erhöhensollen, obwohl sie doch gut ist, so hoch wie nie.Das schlagen Sie vor. Ich muss ehrlich sagen, ineiner Situation, in der die Immobilienpreise geradeauch in Hamburg durch die Decke gehen, ist esmir ein völliges Rätsel, wie Sie auf diese Idee kom-men können, das auch noch zu verteuern und an-zuheizen. Ich glaube, das ist keine gute Idee, undwir werden das auch nicht machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die FDP, ich lese es einmal vor, hat einen schönenSatz:

"Es bedarf hier einer endlich wirklichen Auf-gabenbeschreibung […]"

Wir haben Bücher ohne Ende bekommen für dieHaushaltsberatungen, da können wir doch einmalnachsehen, wie viele Aufgabenbeschreibungen dasind – und jetzt kommt es:

"[…] und einer finanzierbaren Personalpoli-tik".

Gerade die FDP hat sich doch in letzter Zeit sehrhervorgetan, uns in den Fachbereichen zu sagen,wir würden viel zu wenig Personal in der Justiz ha-ben, viel zu wenig bei der Polizei und in der Kulturund so weiter.

Ich sage Ihnen, diese Doppelzüngigkeit überlegenSie sich bitte noch einmal in der FDP. Finden Sieeine Linie. Wir haben sie gefunden. Wir werden dainvestieren an Personal, wo es gebraucht wird. Wirsind bezüglich der Einwohnerzahlen eine wach-sende Stadt. Es ist auch klar, dass wir dann in eini-gen Bereichen mit dem Personal hinterherarbeitenmüssen. Das haben Sie immer schon gefordert,aber Sie fordern immer noch einmal eins drauf. Damüssen Sie sich mit Ihren Haushaltspolitikern ein-mal unterhalten, was Sie eigentlich wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es ist ein sehr großer Bereich, der auch schon an-gekündigt worden ist beim Thema Investitionen.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2717

(Farid Müller)

Bei der Wohnraumförderung in dieser Stadt ist unsklar, wenn wir jetzt von 6 000 auf 10 000 Wohnun-gen gehen, dass wir auch investieren müssen indas Grün dieser Stadt. Denn die Verdichtung, diedamit einhergeht in Hamburg, werden wir sonst beiden Baugenehmigungen und vor Ort mit den Bür-gerinnen und Bürgern zusammen nicht mehr ohnegroße Konflikte erreichen. Die Hamburgerinnenund Hamburger lieben ihr Grün und wir wollen,dass sie es weiter lieben können, und sie sollen esauch behalten. Aber dazu muss man ein paar Euromehr in die Hand nehmen. Wir investieren in dasöffentliche Grün mit diesem Haushalt und wir wer-den auch – Sie haben es vielleicht durch die Medi-en mitbekommen – über den Natur-Cent nocheinen Ausgleich für diese weitere Verdichtung aufden Weg bringen, damit Hamburg weiter eine grü-ne Stadt bleibt. Das ist die andere Medaille desWohnungsbaus und es ist eine sehr wichtige, da-mit er gelingt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD –André Trepoll CDU: Davon werden doch kei-ne neuen Grünflächen geschaffen!)

Natürlich wird weiter in Straßen investiert, und wirhaben diese Baustellen. Aber wir haben uns auchvorgenommen, den Radverkehr mehr zu fördern,weil das nämlich die andere Seite der Medaille ist;wir wollen nämlich, dass die Menschen, die ihr Radmehr einsetzen wollen, ob zur Arbeit oder in derFreizeit, dies auch mit vernünftigen Radwegenkönnen. Das kann ebenfalls eine Entlastung be-deuten im Verkehr und natürlich auf den Straßenund kann Platz machen für den Verkehr, der not-wendig ist und der durch diese Stadt rollen muss.Aber es sollen eben auch diejenigen ermuntert undbefähigt werden, umzusteigen auf das Rad, wennsie es wollen. Das haben wir mit diesem Haushaltauf den Weg gebracht, mehr als 30 Millionen Euroin den nächsten Jahren. Auch das ist ein Signal indie Stadt, von dem wir glauben, dass es für die Zu-kunft unabwendbar ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Und zum Schluss – es gäbe noch viele andere Be-reiche, die sind auch schon erwähnt worden – willich gern noch einen Punkt nennen, der uns alsSPD und GRÜNE sehr am Herzen liegt. Es ist be-reits angeklungen: der Kulturhaushalt.

Er wird erstmals richtig steigen, und zwar auch oh-ne die Elbphilharmonie. Und wir werden für die Bü-cherhallen, wir werden ebenfalls für die Stadtteil-kultur mehr Geld in die Hand nehmen und – Siehaben es schon mitbekommen durch die Medienund auch im Ausschuss beraten – auch die Privat-theater werden mehr Geld bekommen, und zwarsehr viel mehr Geld für die nächsten Jahre mit ei-nem sicheren Aufwuchs. Dafür investieren wir inder Kultur. Auch in diesem Bereich sagen wir, dakann es dann nicht bergab gehen, weil alle ande-ren Bereiche stabil langsam aufwachsen. Deswe-

gen freuen wir uns, dass wir in der Kultur ein deut-liches Zeichen setzen können. Wir bauen nicht nurStraßen und Fahrradwege, sondern wir sorgeneben auch dafür, dass die Leute sich in dieserStadt wohlfühlen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Barbara Duden: Das Wort be-kommt Herr Hackbusch von der Fraktion DIE LIN-KE.

Norbert Hackbusch DIE LINKE:* Frau Präsiden-tin, meine Damen und Herren! Haushaltsdebattensind immer ein sehr breites Spektrum aller mögli-chen Fragestellungen, die angesprochen werden.Ich versuche mich dieses Mal zu konzentrieren,auch wenn ich mich darauf gefreut habe, dass eszwei schöne Ankündigungen gibt. Die Kultur be-kommt mehr, und für die Flüchtlinge wird alles aus-gegeben, was notwendig ist. Wir nehmen das fürdie Beratungen gern auf und finden das einenwichtigen Hinweis.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Gegensatz zu allen, die jetzt dazu geredet ha-ben, will ich natürlich deutlich sagen, DIE LINKE,meine Fraktion, sieht den Haushalt und Hamburgnicht als Unternehmen oder dass es das Entschei-dende ist, ob es nun Gewinn macht oder vielleichtVerluste vermeidet oder Ähnliches.

(Michael Kruse FDP: Das ist euch egal,nicht?)

Das habe ich gerade bei mir gemacht im Unterneh-men. Da kann ich auch sagen, eine bestimmte Tä-tigkeit stelle ich dann ein. Für uns ist das Entschei-dende zu sagen, wie der Senat in der Lage ist, mitdem gegenwärtigen Geld, das er zur Verfügunghat, die Aufgaben im sozialen und kulturellen Be-reich in dieser Stadt möglichst gut zu erfüllen. Unddas ist die entscheidende Aufgabe, die wir uns an-sehen in den nächsten Monaten und bei der wirversuchen müssen, eine gewisse Bilanz zu erstel-len, inwieweit das der Senat gut gemacht hat undinwieweit er das will.

Wir sind in einer relativ komfortablen Situation,ebenso der Senat. Wir haben gute Steuereinnah-men gehabt. Wir haben geringe Zinsausgaben.Und dementsprechend würde ich sagen, die Schul-den sind nicht gewachsen. Darüber freue ich michsehr. Es ist nämlich nicht so, dass DIE LINKEmöglichst viel Geld ausgeben will, sondern darüberfreue ich mich sehr, aber das Wichtige muss dieBilanz der Politik sein bei verschiedenen Punkten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erwähne ein gern verbreitetes Vorurteil im Zu-sammenhang mit der LINKEN und Geldausgeben.Ich will Sie noch einmal an die großen Projekte derletzten Jahre erinnern. Wer hat denn dagegen ge-

2718 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Farid Müller)

kämpft, gegen das, was die Olympia-Bewerbungbedeutet hätte für diese Stadt, und hat damit ge-schafft, dass wir viel Geld einsparen?

(Beifall bei der LINKEN)

Wer hat dagegen gekämpft, dass wir diesen Protz-bau Elbphilharmonie hier bauen und auf diese Artund Weise Geld herausschleudern? Wir. Wir sinddagegen aufgetreten. Wir sind aufgetreten dafür,dass wir die HSH Nordbank schon vor einiger Zeithätten abwickeln müssen. Das hätte uns auch etli-ches Geld gespart.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Das heißt, es ist eine andere Situation, als Sie siedarstellen, denn wir sind diejenigen, die viel stärkerfür ein Auskömmliches in dieser Stadt sorgen, alsSie es immer darstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will noch etwas Wichtiges sagen. Das Haupt-problem, das ich mit diesem Senat habe, ist, dassich feststelle, er ignoriert die soziale Situation indieser Stadt.

(Farid Müller GRÜNE: Wie bitte?)

Er macht eine Kampfansage an die Beschäftigten.Und ich finde, dass er intransparent ist bis zum Ab-winken.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will Ihnen das an den einzelnen Punkten ge-nauer darstellen. Herr Scholz und Herr Tschent-scher haben, anders als Herr Tschentscher es ge-genwärtig gesagt hat, bei der Pressekonferenz, beider sie den Haushalt präsentiert haben, gesagt– und das war in allen Zeitungen nachzulesen, daswar ihre wichtige Botschaft –, dass alle Zuwen-dungsempfänger in dieser Stadt hätten, was siebrauchen. Das war die zentrale Aussage von HerrnTschentscher und Herrn Scholz, alle hätten, wassie brauchen.

Und das zweite Wichtige: Es würden an keinerStelle weniger Leistungen gegeben und so wärees auch weiterhin in den nächsten Jahren.

Meine Damen und Herren von der SPD und denGRÜNEN, die jetzt auch mit in der Stadt herumlau-fen,

(Farid Müller GRÜNE: Wir laufen schon län-ger rum!)

was ist denn Ihre Erfahrung – nun hören Sie ein-mal zu – in den Diskussionen mit den Zuwen-dungsempfängern in den letzten Wochen? Wassagen die Ihnen denn?

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Ja, was glaubenSie denn?)

Sie sagen ihnen allen, dass sie ihre Leistung ein-schränken müssten, weil sie seit Jahren nicht mehr

Geld bekommen haben. Und das bedeutet keinenInflationsausgleich, es bedeutet weniger Möglich-keiten, etwas zu machen. Es ist genau das Gegen-teil von dem, was der Senat versprochen hat.

(Jan Quast SPD: Was erwarten Sie denn,was die sagen?)

– Dem Senat.

Genau das haben Sie gesagt. Das heißt, es ist ei-ne Lüge, oder wie sollen wir das bezeichnen?

(Beifall bei der LINKEN)

Ist es das, was sie brauchen? Diskutieren Sie dennmit den Bürgerhäusern, mit den Stadtteilkulturzen-tren?

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Ja! Die kriegenauch mehr Geld!)

Diskutieren Sie darüber und sagen, wir brauchendas nicht, Sie haben alles, was Sie brauchen? Daswar die Aussage von Herrn Scholz und HerrnTschentscher.

Und ich werde Sie in all diesen Diskussionen da-ran erinnern, was die Aussage des Senats undwas Ihre Aussage dazu ist. Mit diesem Wider-spruch müssen Sie zurechtkommen. Sie könnendas nicht einfach so ignorieren und sagen, hier dieSchönwettermeldung, und dann gibt es die ande-ren Diskussionen in den kleinen Diskussionen. Dasfunktioniert überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiterer Punkt ist die Situation im Bereich desPersonals. Ich habe mir diese verschiedenen Dis-kussionen, die eben geführt wurden, angehört.Das Wichtige ist doch: Wenn Sie eine Situationfortsetzen, in der Sie sagen, es darf nicht mehr als1 Prozent ausgegeben werden bei den sozialenProjekten in dieser Stadt, bedeutet das bei den Er-höhungen der Kosten, gerade der Lohnkosten, ei-ne Einschränkung jedes Jahr von 1 oder 2 Pro-zent. Und das bedeutet, dass Sie dort in diesenBereichen eine Reduzierung der Ausgaben vor-schreiben, und zwar für jedes soziale Projekt undfür jede Institution auch innerhalb der Behörden.Und das wissen Sie. Sie sagen, dass dies absolutnotwendig sei. Das ist eine Einschränkung. Und esbetrifft hier einen Bereich, in dem man nun nichtsagen kann, dass die Leute dort gut verdienen unddass es ihnen wunderbar geht, sondern einen Be-reich, bei dem wir doch eigentlich gemeinsam fest-stellen, dass die Leute dort zu wenig verdienen,dass sie beispielsweise in den Kitas zu wenig ver-dienen. Und Sie sagen, das solle noch reduziertwerden. Das ist eine Kampfansage an diese Men-schen. Das ist eine Kampfansage an die Gewerk-schaften.

(Beifall bei der LINKEN)

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2719

(Norbert Hackbusch)

Nehmen wir das Beispiel Transparenz. Es wurdegroß dargestellt. Ich gebe zu, dass wir großeSchwierigkeiten haben mit der Doppik, aber da-rüber will ich jetzt gar nichts sagen. Das wissen Siealle genau, und das brauchen wir nicht genauer zubesprechen. Ich will Ihnen aber sagen, dass esmöglich ist, mehr Transparenz herzustellen. Dazuwill ich auch wieder auf die Pressekonferenz vonHerrn Scholz und Herrn Tschentscher eingehen.Es wurde dort eine schöne Grafik dargestellt nachdem Motto, die Personalkosten wachsen kräftig,und zwar in den verschiedenen Ressorts. Und dierichtige Frage war natürlich, wieso die denn in demBereich Soziales so viel mehr steigen als in demBereich Wirtschaft. Dann hat Herr Tschentschergesagt, das liege doch nicht daran, dass die wirkli-chen Ausgaben stiegen, sondern die Rentenbe-rechnungen seien neu gefasst worden, und auf-grund dessen stiegen die Kosten dort.

Ist das Transparenz? Unter normalen Umständenkann man den Menschen auf der Straße und unsauch sagen, das seien die Kosten, die real gestie-gen seien an Löhnen, und das sei so und so ge-stiegen. Das ist die Berechnung aufgrund dessen,dass die neuen Renten neu zu berechnen sind.Und dann macht man das in zwei verschiedenenTabellen und stellt Transparenz her. So, wie esjetzt ist, stellt man keine Transparenz her. Und die-ses Beispiel gilt nicht nur in diesem Punkt bei derPressekonferenz, sondern wir haben diese Bei-spiele an verschiedenen Punkten im Haushalt. Dasfinde ich unmöglich.

(Beifall bei der LINKEN – Farid Müller GRÜ-NE: Das können wir ja gemeinsam machen!)

– Das werden wir gemeinsam machen.

Wir stehen vor einer Frage: Ist eigentlich dieseStadt sozialer geworden? Eine der sehr wichtigenFragestellungen, die doch insgesamt eine Aufgabefür die SPD ist oder für uns alle, aufgrund der Tur-bulenzen, die wir gegenwärtig haben in dieser Re-publik. Wir müssen uns gemeinsam damit ausei-nandersetzen.

Es gibt einen Gradmesser dafür, der uns in ver-schiedenen Punkten vorgelegt worden ist, der vonallen auch als der richtig wissenschaftlich gemes-sene genannt worden ist, das ist nämlich die Ar-mutsgefährdungsquote. Die ist absolut entschei-dend. Und sie sagt uns folgende Zahlen für Ham-burg: 17,4 Prozent Armutsgefährdungsquote 2005,17,4 Prozent Armutsgefährdungsquote im Jahre2010, 17,6 Prozent im Jahre 2012 und 18 Prozentim Jahre 2014.

Was bedeutet das? Es geht da immerhin um300 000 Menschen in dieser Stadt. Was bedeutetdas? Als Erstes bedeutet es, dass wir die Verunsi-cherung im Allgemeinen, die in dieser Republikvorhanden ist, ernst nehmen müssen, weil nämlichhäufig hier im Parlament vergessen wird, wie die

reale Situation der Menschen ist. Und die ist nichtbesser geworden in weiten Bereichen in dieser Re-publik und in dieser Stadt.

Das bedeutet zweitens übrigens für die SPD, alleVersprechungen, die es einmal gegeben hat, dassHartz IV in der Lage wäre, die soziale Situationdieser Menschen real zu verbessern und sie ausdieser Problematik herauszuholen, falsch waren.Es ist doch eindeutig bewiesen, dass es ein Fehlerwar.

Und das bedeutet aber drittens, dass die SPD,wenn sie schon eine Bilanz ihrer Politik vorlegt,doch sagen muss, wir haben in einem zentralenPunkt versagt und sind nicht vorangekommen. Da-mit müssen Sie sich auseinandersetzen könnenund sagen, wir konnten vielleicht auch nichts ma-chen. Aber die Situation so schönzureden, findeich, gehört sich nicht. Dementsprechend: Es gibtnoch wichtige Aufgaben in den Haushaltsberatun-gen. Wir werden uns damit beschäftigen. Wir ha-ben bestimmte Momente, an denen wir das mes-sen. – Ich bin leider nicht zu allen gekommen, aberich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Barbara Duden: Das Wort be-kommt Frau Dutschke von der FDP-Fraktion.

Jennyfer Dutschke FDP:* Sehr geehrte Frau Prä-sidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Voraus-schauend hörte man von Senator Tschentscher inden vergangenen Jahren immer wieder den Kas-sandraruf, dass Haushalte in guten und nicht inschlechten Zeiten ruiniert würden. Aber wie es mitKassandrarufen nun einmal so ist, sie verhallenungehört und unbeachtet. Unter Rot-Grün scheintjedenfalls genau dieses Ruinieren von Haushaltenin guten Zeiten zum politischen Alltagsgeschäft ge-worden zu sein. Der Kassandraruf des Finanzse-nators ist folglich schon seit Längerem verstummt.Kein Wunder, hat uns der rot-grüne Senat doch mitdiesem Haushaltsplan-Entwurf ein trojanischesPferd vor das Tor des Rathauses gerollt.

(Dr. Monika Schaal SPD: Mein Gott!)

Hier liegt uns ein erschreckendes Paradebeispielfür das Ruinieren eines Haushalts in guten Zeitenvor.

(Beifall bei der FDP)

Und dieses trojanische Haushaltspferd hat es imwahrsten Sinne des Wortes in sich. Der rot-grüneSenat bekommt die Kosten offensichtlich nämlichnicht mehr in den Griff. Der veranschlagte konsum-tive Gesamtaufwand im Ergebnisplan steigt2017/2018 um 1 Milliarde Euro pro Jahr gegenüberdem letzten Doppelhaushalt auf jährlich deutlichmehr als 14 Milliarden Euro. Wohlgemerkt: trotzder allein schon 130 Millionen Euro Ersparnis bei

2720 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Norbert Hackbusch)

den Zinsausgaben gegenüber der damaligen Fi-nanzplanung.

Die Auszahlungen aus Verwaltungstätigkeiten lie-gen dennoch weit über 600 Millionen Euro pro Jahrhöher als seinerzeit geplant und auch gegenüberdem fortgeschriebenen Plan für 2016. Dabei istauch dieser wohl schon jetzt absehbar nur nochMakulatur, jedenfalls wenn man einen Blick in denHalbjahresbericht wirft.

Auch die bereits im Ist 2015 deutlich über Plan lie-genden Auszahlungen aus Verwaltungstätigkeit,nämlich mehr als 12 Milliarden Euro, unterstrei-chen diesen Verdacht. Dabei waren auch dasschon satte 1,1 Milliarden Euro mehr als noch imJahr 2014.

Sehr geehrte Damen und Herren auf der Senats-bank, der Rechnungshof hat es Ihnen gesternnoch einmal attestiert. Sie rollen uns Ihr trojani-sches Haushaltspferd eigentlich auf der blankenHolzfelge vor das Rathaus. Sie haben jegliche Re-serven und Spielräume im Haushalt aufgebrauchtund gleichzeitig noch erhebliche Verschuldung au-ßerhalb des Kernhaushalts aufgebaut. Sie nutzendie Anpassung des Finanzrahmengesetzesschamlos bis zum Anschlag aus und lassen keinenPuffer mehr für Risiken. Im Gegenteil: Der Haus-halt läuft Ihnen aus dem Ruder.

Konsolidierung: Fehlanzeige; Abbau von Risiken:Fehlanzeige; Vorsorge für die Zukunft: Fehlanzei-ge.

(Beifall bei der FDP und bei Karin PrienCDU)

Mit uns Liberalen ist das so nicht zu machen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Lassen Sie mich noch einige Überraschungen, diedas trojanische Haushaltspferd des Senats vor dieTür gestellt hat, darstellen.

Erstens: Der Senat legt seine Personalabbaustra-tegie de facto ad acta. Eigentlich kein Wunder, istsie doch eh krachend gescheitert. Allein zwischenEnde 2010 und Ende 2015 wurde der Personalbe-stand unterm Strich um rund 1 700 Vollkräfte ver-größert. Hinzu kommen noch einmal etwa1 900 Beschäftigte mehr bei öffentlich-rechtlichenTochterorganisationen der Stadt. Das bedeutet al-lein für den Kernhaushalt inklusive Rückstellungs-aufwand strukturell rund 100 Millionen Euro mehrPersonalkosten pro Jahr.

Personalabbau mit Augenmaß unter Rot-Grün al-so: Fehlanzeige; Grün-Ziele und Kennzahlen dazu,was Rot-Grün mit diesem Mehr an Personal biswann erreichen will: Fehlanzeige.

(Beifall bei der FDP – Wolfgang Rose SPD:Mit Augenmaß!)

Zweitens: Dass Sie mehr Personal benötigen, liegtbestenfalls bedingt an Hamburgs wachsender Ein-wohnerzahl. Denn die hat doch gerade erst vor al-lem wegen der Rekordzuwanderung im letztenJahr den Stand erreicht, für den schon 2011 ge-plant wurde, vor der Korrektur durch den Zensus.Der Personalbedarf liegt wohl eher an den per Sal-do etwa 100 neu erlassenen Gesetzen, Verord-nungen und Verwaltungsvorschriften, die allein seitMitte 2011 von diesem Senat gekommen sind.

Bürokratieabbau und Aufgabenkritik auch unterRot-Grün: Fehlanzeige.

(Beifall bei der FDP)

Drittens: Erfreulicherweise werden für den Kern-haushalt erstmals Überschüsse geplant. Allerdingsfallen diese angesichts der sprudelnden Steuerein-nahmen und extrem niedrigen Zinsausgaben vielzu niedrig aus. Zugleich sollen über die Sonderver-mögen Schulimmobilien sowie Stadt und Hafenjährlich weiterhin in dreistelligem MillionenumfangKredite aufgenommen werden. Denen stellt derSenat die Überschüsse des Kernhaushalts gegen-über und spricht dann von einem Haushaltsaus-gleich inklusive der Sondervermögen im Jahr2018. Das ist doch bereits jetzt schon Augenwi-scherei, denn im Wirtschaftsplan des Sonderver-mögens Schulimmobilien wird offen darauf hinge-wiesen, dass man 2017 bis 2019 zusätzliche Kre-ditaufnahmen aus nicht genutzten Kreditermächti-gungsresten der Vorjahre einplant, und zwar imUmfang von rund einer Viertelmilliarde Euro.

Insgesamt sollen so bis 2019 noch einmal 1,1 Milli-arden Euro zusätzlich Schulden aufgenommenwerden, egal ob das nun entsprechend der neuenDiktion unseres Finanzsenators gute oder schlech-te Schulden sein mögen. Auch hierauf werdenkünftig Zinsen zum Beispiel in Form von höherenMieten für die Schulgebäude zu zahlen sein.

(Beifall bei der FDP)

Ende der Neuverschuldung vor 2019: unter Rot-Grün jedenfalls Fehlanzeige.

Viertens: Das größte Risiko außerhalb des Kern-haushalts hat der Senat benannt, es ist die HSHNordbank. Die Summe aller Eventualverbindlich-keiten aus Garantieversprechen Hamburgs geht je-doch weit darüber hinaus. Über 15,4 MilliardenEuro zuzüglich mehr als 1,4 Milliarden US-Dollarwaren es bereits zum 30. Juni 2016. Damit wurdeeigentlich sogar gegen den für den fortgeschriebe-nen Plan 2016 festgelegten Kennzahlenwert ver-stoßen.

Anstatt das im Halbjahresbericht 2016 mitzuteilen,muss man jedoch erst einmal den Finanzberichtzum Haushaltsplan-Entwurf abwarten. Und genaudarin wird die entsprechende Kennzahl dann vomSenat gleich ganz abgeschafft.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2721

(Jennyfer Dutschke)

Risikotransparenz unter Rot-Grün: offenbar Fehl-anzeige.

(Beifall bei der FDP)

Fünftens: Die Eventualverbindlichkeiten der Stadthängen auch mit der teuren Shopping-Tour vomErsten Bürgermeister Scholz zusammen. Der woll-te bekanntlich sein beziehungsweise unser allerHamburger Steuerzahler "Money back". Noch istdavon jedoch kein Cent zurückgeflossen. Im Ge-genteil.

Insbesondere die Beteiligung an Hapag-Lloydzehrt immer mehr am Eigenkapital der HGV. Dasschlägt sich mittlerweile sogar im Ergebnisplan desKernhaushalts nieder. Und die Reederei zeigt wei-terhin keine Dividenden, was wiederum dazu führt,dass noch höhere Verlustausgleichszahlungen ausdem Haushalt und einem Bedarf an Eigenkapital-anlagen in dreistelligem Millionenvolumen bei derHGV anfallen, wie übrigens auch bei anderenTochterunternehmen der Stadt, wo der Senat ausder Substanz lebt.

Letzteres preist Rot-Grün dann allen Ernstes alsAnstieg der Investitionen. Dabei handelt es sichhier schlichtweg um ein Umetikettieren von kon-sumtivem Aufwand in Investitionen.

(Beifall bei der FDP)

Fakt ist jedenfalls: Ohne diesen sogenannten Er-werb von Finanzanlagen liegen die im kommendenHaushalt geplanten Investitionen unterhalb der Ist-Werte der Vorjahre.

Mehr Investitionen in Infrastruktur unter Rot-Grün:de facto Fehlanzeige; Haushaltsklarheit und -wahr-heit unter Rot-Grün: Fehlanzeige.

(Beifall bei der FDP)

Da passt es nun ins Bild, dass im Haushaltsplan-Entwurf wesentliche Teile fehlen, zum Beispiel derInnovationsfonds Digitale Stadt, oder sie werden inSalamitaktik nachgereicht wie dem Stadtentwick-lungsausschuss gerade gestern per Senatsankün-digung ein Gesetz zur Errichtung eines neuenSondervermögens.

Das Fazit dieses Haushaltsplan-Entwurfs in punctoKonsolidierung: Fehlanzeige; Abbau von Risiken:Fehlanzeige; Vorsorge für die Zukunft: Fehlanzei-ge.

(Beifall bei der FDP – Farid Müller GRÜNE:Stimmt doch alles gar nicht!)

Wir als FDP-Fraktion werden Ihnen weiterhin einekonstruktiv kritische Opposition sein,

(Dirk Kienscherf SPD: Was heißt weiterhin?Waren Sie ja nie!)

ob Ihnen das gefällt oder nicht. Wir werden aufFehlentwicklungen hinweisen und Alternativen auf-zeigen, und wir hoffen weiter darauf, dass unsere

Mahnungen und Warnungen im Interesse allerHamburgerinnen und Hamburger eben keine Kas-sandrarufe bleiben. – Vielen Dank. Ich wünscheuns angenehme Haushaltsberatungen.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Barbara Duden: Das Wort be-kommt Professor Dr. Kruse von der AfD-Fraktion.

Dr. Jörn Kruse AfD:* Sehr geehrte Frau Präsiden-tin, sehr geehrte Damen und Herren! Die wirt-schaftliche Lage in Deutschland ist gut trotz dergegenwärtigen Bundesregierung.

Eine florierende Wirtschaft führt zu hohen Steuer-einnahmen. Das gilt vor allem für die boomendeFreie und Hansestadt Hamburg. Insofern ist es ei-gentlich kein besonderer Verdienst des Senats,sondern eine pure Selbstverständlichkeit, dass kei-ne neuen Schulden gemacht werden sollen.

Dabei muss man natürlich zusätzlich berücksichti-gen – auch darauf ist schon hingewiesen wor-den –, dass wir uns in einer Phase außergewöhn-lich niedriger, manipulativ niedriger Zinsen bewe-gen, also alles Dinge, die den Haushalt entlasten,sodass es eigentlich von daher noch viel leichtersein müsste, einen ausgeglichenen Haushalt vor-zulegen.

Trotzdem lobt man natürlich, dass es einen ausge-glichenen Haushalt gibt. Ich will auch noch einmalsagen, auf mich macht das Zahlenwerk durchauseinen soliden Eindruck, wobei ich bekennen muss,dass ich den Haushaltsplan-Entwurf, glaube ich,noch nicht wirklich durchschaut habe. Und ich wür-de gern wissen, wer von sich sagen würde, dass erihn schon durchschaut hat. Wenn sich später he-rausstellt, es sind Risiken enthalten, die wir nichtgesehen haben, würde ich mich jedenfalls für mei-ne Person darüber nicht wundern.

Aber ich will etwas Grundsätzliches sagen, nämlichdass auch dieses wieder das ist, was man sehrhäufig in parlamentarischen Demokratien findetund was ich als Fehler bezeichnen würde, der sys-tematisch angelegt ist, nämlich eine Überbetonungkonsumtiver Ausgaben, die gegenwärtig Akzep-tanz, Medienapplaus und Wählerstimmen bringen,und eine Vernachlässigung von Investitionen in dieZukunft, bei denen der massenhafte Applaus erstspäter kommt. Das verstehe ich in Hamburg umsoweniger, als für mich klar ist – wie wahrscheinlichfür die meisten hier im Hause –, dass die SPD ver-mutlich auch in fünf und zehn Jahren oder nochspäter den Bürgermeister stellen wird. Sie würdenalso für investive Ausgaben die Früchte ernten, dieSie jetzt säen würden.

Ich mache das einmal an zwei Beispielen fest.

(Zuruf von Thilo Kleibauer CDU)

2722 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Jennyfer Dutschke)

– Zu dem Thema, Herr Kleibauer, würde ich michselbst wahrscheinlich von hier aus nicht äußern.

Das erste Beispiel bezieht sich auf die ökonomi-sche Basis der Stadt – das ist für mich als Ökonomnatürlich der Kern der Angelegenheit –, also dieWirtschaftsstruktur. Der Senat rühmt sich seit lan-ger Zeit seiner Clusterpolitik. Das ist grundsätzlichein vielversprechender Ansatz. Vor allem eignet ersich für schöne PR-Begriffe wie InnovationsAllianz,Smart Specialisation und, auch sehr schön, Qua-druple-Helix, das habe ich von entsprechendenWebseiten des Senats heruntergenommen. Dageht doch jedem PR-Texter das Herz auf und derLeser ist beeindruckt, auch ich. Und das ist sicherauch der Sinn der Sache gewesen, dass der Leserbeeindruckt ist. Aber wenn der Clusteransatz mehrsein soll als reine Deskription, wenn er also wirk-lich eine aktive Clusterpolitik sein soll, die tatsäch-lich Wirkung hat, also Unternehmen und Märktebeeinflusst – was man als Ökonom natürlichgrundsätzlich mit Sorgenfalten betrachtet; Eingriffein die marktwirtschaftliche Ordnung –, dann ist derCluster eines: ein Stück weit strukturkonservativund dirigistisch. Vorausschauende Standortpolitiksollte in den Produktzyklen ein Stück früher anset-zen. Was sind die Märkte und Cluster von morgen,die Hamburg übermorgen noch voranbringen undArbeitsplätze schaffen und erhalten? Inhaltlichkann ich Ihnen die Antwort nicht geben, aber ichweiß, wo ich die Antwort suchen würde: an derwissenschaftlichen Forschungsfront der verschie-denen Fächer, und zwar nicht nur in bisherigenClustern, sondern auch darüber hinaus. In techno-logiebasierten Sektoren erfolgen die ersten Schrit-te ins Neuland immer an Universitäten und staatli-chen und privaten Forschungsinstituten, undGrundlagenforschung ist in der Tat eine staatlicheAufgabe. Das ist eine Frage exzellenter Universitä-ten und Forschungseinrichtungen. Da solltenStandortpolitiker, also hier der Hamburger Senat,nicht kleckern, sondern klotzen.

(Beifall bei der AfD)

Was Hamburg da zu bieten hat, ist durchaus nichtschlecht. Ich glaube, auf vieles, was in diesem Be-reich in Hamburg da ist, kann Hamburg durchausstolz sein. Aber auch hier gilt, und das will ich hiereinmal als Schwerpunkt sagen: Viel mehr wärenoch viel besser auf die Zukunft gerichtet, wenn esdarum geht, längerfristig in Hamburg Arbeitsplätzezu schaffen und zu erhalten. Ich persönlich denkedabei immer an das Silicon Valley, das Dutzendevon Produkten geschaffen hat, die wir alle, die wirhier sitzen, täglich nutzen. Es sind Zigtausendevon hoch bezahlten und anderen Arbeitsplätzengeschaffen worden, und das schon seit Jahrzehn-ten. Silicon Valley basiert im Entstehungskontextauf einer einzigen exzellenten Universität, nämlichStanford. Herr Bürgermeister, ich sage nicht, dassSie sich an Stanford orientieren sollen, aber zeigenSie doch einmal den Angebern aus München, was

eine Harke ist in Sachen Universitäten und For-schungseinrichtungen. Hamburg würde die bestenForscher aus Deutschland, Europa und aller Welthierherlocken können, wenn die Arbeitsbedingun-gen gut sind, denn die Softfaktoren für Hamburgsind schon hervorragend. Jeder würde unheimlichgern nach Hamburg kommen, wenn er hier guteArbeitsbedingungen finden würde. Wir beide warenheute Morgen auf einer Veranstaltung, die ein ex-zellentes Beispiel dafür geliefert hat, in welcheRichtung man hier gehen könnte. Also auch dafür,bin ich der Auffassung, sollte man deutlich mehrGeld in die Hand nehmen als wir das bisher tun.Die Steigerung in diesem Bereich halte ich für zuklein. Da sollte man endlich einmal nicht kleckern,sondern klotzen, und das würde sich hier auszah-len, auch in der Zeitspanne, die vielleicht noch inIhrem politischen Horizont liegt.

Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Innere Si-cherheit. Hamburg hat schon jetzt eine unerträglichhohe Einbruchskriminalität mit einer erbärmlichenAufklärungsquote. Und das liegt nicht an der Poli-zei, sondern an der Politik, die der Polizei und denanderen Sicherheitsdiensten die nötigen Mittel ver-weigert. Einbruchs- und andere Formen der Krimi-nalität, einschließlich zum Beispiel Computerkrimi-nalität, werden in den nächsten Jahren noch ge-waltig anwachsen, wenn der Staat nicht entschlos-sen gegensteuert. Der Senat reagiert auch hierzwar vorsichtig auf die kommende Bedrohung – ichwürde nicht Nichtstun vorwerfen –, aber in Anbe-tracht der Größe der Bedrohung einfach zu wenig.Auch hier gilt, dass man an dieser Stelle nichtkleckern, sondern klotzen sollte. Das Gefühl vonUnsicherheit ist bei den Bürgern gravierend ange-wachsen. Wir brauchen also viel mehr Polizisten,mehr Ermittler bei der Kripo, mehr Auswerter vonInternetevidenz bei Polizei und Verfassungsschutz,mehr Sonderkommissionen zur Bekämpfung vonEigentumskriminalität. Jede Bande – ich sage daseinmal ein bisschen überzogen formuliert – ausRumänien und Georgien sollte Hamburg meidenwie der Teufel das Weihwasser. Im Polizeipräsidi-um in Alsterdorf sollten Bildschirmsignale aufleuch-ten, wenn wieder das Auto einer solchen Bandeaus Georgien über die Elbbrücken kommt. Dassind Zukunftsthemen, da man qualifizierte Ermittlerund Verbrechensbekämpfer eben nicht im Katalogbestellt und auch nicht beim Arbeitsamt beziehenkann. Die muss man selbst ausbilden, was Jahredauert. Man muss also den guten Leuten auch An-reize geben und Perspektiven, zur Polizei zu kom-men. Man muss die Möglichkeiten dafür schaffen.Und das kann man natürlich nur tun, wenn mandas im Haushalt entsprechend zum Ausdruckbringt. Natürlich ist es gut, wenn Hamburg vonMünchen und Zürich lernt, wie softwarebasierteCrime Prediction funktioniert. Das sollte so schnellwie möglich in Hamburg getestet und umgesetztwerden. Aber ich würde mir eigentlich wünschen,dass Hamburg hier Vorreiter wäre. Hamburger Me-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2723

(Dr. Jörn Kruse)

thoden der Aufklärung von Einbrüchen und ande-ren Delikten sollten wegweisend sein und Export-schlager werden.

Das will ich nur einmal als zwei wichtige Punktenennen, wo ich ein bisschen vermisse in der Haus-haltspolitik, dass man klare Akzente setzt, die klarzukunftsorientiert sind. – Vielen Dank für die Auf-merksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Barbara Duden: Ich sehe keineweiteren Wortmeldungen mehr.

Da der Senatsantrag bereits im Vorwege an diezuständigen Ausschüsse überwiesen wurde, be-darf es heute keiner weiteren Abstimmung mehr.

Bevor ich Punkt 60 der Tagesordnung aufrufe, binich Ihnen noch zwei Wahlergebnisse schuldig.

Bei der Wahl einer oder eines Deputierten derJustizbehörde sind 96 Stim mzettel abgegebenworden, davon war ein Stimmzettel ungültig, somitsind 95 Stimmen gültig. Herr Justus Burgdorf er-hielt Ja-Stimmen 36, Nein-Stimmen 51, Enthaltun-gen 8. Damit ist Herr Burgdorf nicht gewählt wor-den.

Bei der Wahl eines Deputierten der Behörde fürSchule und Berufsbildung sind 96 Stimmzettel ab-gegeben worden, null Stimmzettel waren ungültig,96 Stimmzettel gültig. Herr Krzysztof Walczak er-hielt Ja-Stimmen 34, Nein-Stimmen 51, Enthaltun-gen 11. Damit ist Herr Walczak nicht gewählt wor-den.

Punkt 60 der Tagesordnung, Drucksache 21/5618,Bericht des Ausschusses für Soziales, Arbeit undIntegration: Mehr Schutz, Selbstbestimmung undverbesserte Rahmenbedingungen für Prostituier-te – Der Senat muss die Umsetzung eines Prosti-tuiertenschutzgesetzes auf Bundesebene unter-stützen und Selbstbestimmungsrechte und Schutzvon Prostituierten stärken – Runden Tisch Prostitu-tion einsetzen.

[Bericht des Ausschusses für Soziales, Arbeitund Integration über die Drucksachen 21/3851und 21/4048:Mehr Schutz, Selbstbestimmung und verbes-serte Rahmenbedingungen für Prostituierte –Der Senat muss die Umsetzung eines Prostitu-iertenschutzgesetzes auf Bundesebene unter-stützen (Antrag der CDU-Fraktion) undSelbstbestimmungsrechte und Schutz vonProstituierten stärken – Runden Tisch Prostitu-tion einsetzen (Antrag der Fraktionen der GRÜ-NEN und der SPD)

– Drs 21/5618 –]

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Frau Engelsvon der GRÜNEN Fraktion, bitte.

Mareike Engels GRÜNE:* Frau Präsidentin, mei-ne Damen und Herren! Ausgerechnet am 2. Juni,am Internationalen Hurentag, fand die erste Le-sung des Prostituiertenschutzgesetzes im Bundes-tag statt. Die Große Koalition hat dieses Gesetznoch kurz vor der Sommerpause beschlossen, ob-wohl klar ist, dass es eine Zumutung für die Men-schen ist, die es eigentlich schützen soll. Mel-deauflagen und verpflichtende Gesundheitsunter-suchungen gefährden die Anonymität, die Sexar-beiterinnen doch so wichtig ist. Aber dieser Zwangzum Outing ist kontraproduktiv. Er führt letztlich zuweiterer Stigmatisierung und drängt noch mehrFrauen und Männer in die Illegalität. Das solltenwir aber verhindern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Debatte in den Medien und in der Politik ist vonMoralvorstellungen dominiert. Es werden paterna-listische und bevormundende Lösungen präsen-tiert. Das bringt die Debatte nicht weiter. Was wirbrauchen, sind mehr Rechte für Prostituierte, undja, das heißt mehr Regulierung in der Prostitution –aber eben so, dass die Prostituierten gestärkt wer-den und diese Regularien selbstbestimmt nutzenkönnen. Das Milieu der Prostitution folgt bestimm-ten Regeln, die besondere Schutzvorkehrungenund Hilfen notwendig machen. Jede andere Wirt-schaftsbranche wird auch reguliert, auch für dieProstitution ist dies dringend notwendig. Die Er-laubnispflicht für größere Prostitutionsstätten istdaher gut, um die Betreiberinnen und Betreiber derBordelle besser kontrollieren zu können. Wir brau-chen Maßnahmen, die die tatsächliche Situationvon Prostituierten verbessern und zu ihrem Schutzbeitragen. Wir brauchen aber keine Scheinmaß-nahmen wie die Kondompflicht. Was wir fordern,sind mehr Selbstbestimmungsrechte und Schutzfür Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind. Daserreicht man nicht durch Repression und Stigmati-sierung, darin sollten wir uns eigentlich endlich alleeinig sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei NebahatGüçlü fraktionslos)

Das Prostituiertenschutzgesetz zielt aber genau indie falsche Richtung. Insbesondere CDU-Politikerin Berlin geben vor, dass das Gesetz Sexarbeite-rinnen schützen soll, doch das Gegenteil ist derFall. Anstatt ihnen Rechte an die Hand zu geben,werden für sie zusätzliche Auflagen geschaffen,die ihre Situation weiter erschweren.

In Hamburg gehen viele Frauen und auch Männerdem Gewerbe der Prostitution nach. Es sind unter-schiedliche Gründe, die sie dorthin geführt haben,und sicherlich ist dies nicht immer der Traumjob,

2724 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Dr. Jörn Kruse)

sondern eben eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.Wir dürfen nicht vergessen: Die Chancen auf unse-rem Arbeitsmarkt sind extrem ungleich verteilt, amEnde des Monats müssen wir aber alle unsereMiete zahlen. Ich bin daher der Überzeugung: Dasbeste Aufstiegsprogramm oder besser noch Nicht-einstiegsprogramm ist der Abbau von Barrierenund Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt sowieder Kampf gegen prekäre Arbeit

(Beifall bei den GRÜNEN)

und eben nicht die Repression derjenigen, die oh-nehin wenige Optionen haben. Und egal, aus wel-cher Motivation heraus Frauen und Männer dieEntscheidung treffen, der Sexarbeit nachzugehen,sollten wir dies respektieren, genauso wie wir wol-len, dass Entscheidungen, die wir für unser Lebentreffen, respektiert werden. Dem widerspricht abernicht die Feststellung, dass die Situation der Sex-arbeiterinnen in Hamburg häufig verbesserungs-würdig ist. Wir haben gute Beratungsstellen inHamburg, wir haben engagierte Menschen sowohlin der sozialen Arbeit als auch in den Berufsver-bänden, die sich für Prostituierte einsetzen, diesich gegen Menschenhandel stark machen undsich für differenzierte Lösungsansätze einsetzen.Wir wollen diese Menschen mit den Vertreterinnenund Vertretern der Behörden und anderen Akteu-rinnen und Akteuren zusammenbringen und ge-meinsam an der Verbesserung der Situation inHamburg arbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt beider SPD)

Mit unserem Antrag bringen wir genau dies auf denWeg. Wir werden heute den zweiten Runden TischProstitution für Hamburg beschließen, und das istein wichtiger und guter Schritt. Der runde Tisch istTeil unseres Koalitionsvertrags und wir haben jetztnoch einmal deutlich gemacht, wie wichtig es unsist, diesen zu starten. Dabei geht es uns keines-falls darum, festgefahrene Meinungen zum ThemaProstitution und Rotlichtmilieu gegeneinander zustellen, der runde Tisch soll sich vielmehr als ler-nendes Gremium begreifen. Er soll die Möglichkeitdes Austauschs bieten und durch externe Experti-se gestützt verschiedene mit dem Thema Prostitu-tion zusammenhängende Probleme erörtern. Derrunde Tisch wird der Bürgerschaft – das ist unswichtig – regelmäßig Bericht erstatten. Es wirdEmpfehlungen an die Politik und an die Verwaltunggeben, die sich jenseits einer Moraldebatte bewe-gen und uns an den Lernprozessen des runden Ti-sches teilhaben lassen.

Die Arbeit des runden Tisches soll von dem Zielgeleitet sein, die Situation und die Selbstbestim-mungsrechte von Sexarbeiterinnen zu verbessern.Es ist uns besonders wichtig, dass Sexarbeiterin-nen dieses Mal selbst mit am Tisch sitzen und vonder Politik, die sie betrifft, nicht ausgeschlossenbleiben. Hier und auch in anderen Punkten neh-

men wir uns ein Beispiel an Nordrhein-Westfalen.Der runde Tisch hat dort nicht zuletzt deshalb sogut funktioniert, weil er wirklich als ein offener undinklusiver Prozess begriffen wurde. Wichtig ist uns,dass es keine zeitliche Befristung für den rundenTisch gibt. Es geht uns darum, permanent im Dis-kussions- und Austauschprozess zu bleiben, so-dass auch besser auf Veränderungen im Milieu,auf der Straße, in der Art und Weise, wie Prostituti-on ausgeübt wird, reagiert werden kann.

Die Behörde arbeitet jetzt an einem genauen Kon-zept, und ich bin zuversichtlich, dass wir den run-den Tisch dieses Mal zum Gelingen bringen, unddas heißt für mich, dass nicht nur das Gremium zuErgebnissen kommt, sondern dass auch wir alsPolitik diese aufgreifen und umsetzen und bereitsind zu lernen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt beider SPD)

Denn in einem ersten Schritt geht es um Erkennt-nisgewinn in diesem komplexen Thema, von demwir viel nicht wissen, und in einem zweiten Schrittaber natürlich auch darum, konkret dort anzu-packen, wo sich etwas verändern muss. In unse-rem Antrag haben wir daher auch eine Evaluationdes Kontaktanbahnungsverbots in St. Georg gefor-dert, und auch das ist ein ganz wichtiger Schritt.Wir GRÜNE haben schon damals kritisiert, dassdie Bußgelder Prostituierten erheblich schadenund sie in Not bringen und aus der Öffentlichkeitverdrängen. Das muss aufhören.

Das Prostituiertenschutzgesetz wird im Juli 2017 inKraft treten und muss von den Ländern und Kom-munen umgesetzt und eben auch finanziert wer-den. Wie setzt man dieses Gesetz, das in derFachöffentlichkeit durchweg kritisiert und abge-lehnt wird, mit möglichst wenig Schaden um? Hierliegt die erste große Aufgabe für den runden Tisch.Mich ärgert, dass wir beispielsweise für verpflich-tende Gesundheitsuntersuchungen … Alle aus dersozialen Arbeit wissen, dass Zwangsmaßnahmennie zu positiven Effekten führen. Wie könnten wirdiese Ressourcen sinnvoller einsetzen? Wir wis-sen, dass wir sie an vielen anderen Stellen brau-chen; die Haushaltdebatte hatten wir gerade eben.

Wir haben die Anträge im Ausschuss schon aus-führlich diskutiert, und ich bin froh, dass im Großenund Ganzen Einigkeit darüber besteht, dass dieserrunde Tisch dringend notwendig ist. Auch die CDUhat letztlich unserem Antrag zugestimmt. Deswe-gen kann ich hier nur noch einmal sagen, dass esjetzt unsere Aufgabe bleibt, das Gremium auchparlamentarisch zu begleiten, uns über die Ergeb-nisse zu informieren und uns für diejenige politi-schen Maßnahmen einzusetzen, die zu einem bes-seren Schutz und für mehr Selbstbestimmung vonProstituierten in Hamburg beitragen. – Dankeschön.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2725

(Mareike Engels)

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt beider SPD)

Vizepräsidentin Barbara Duden: Das Wort be-kommt Frau Kammeyer von der SPD-Fraktion.

Annkathrin Kammeyer SPD: Sehr geehrte FrauPräsidentin, meine Damen und Herren! In Ham-burg und in ganz Deutschland leiden viele Prostitu-ierte unter schlechten Arbeitsbedingungen, Aus-beutung und sozialer sowie gesellschaftlicher Aus-grenzung. Unsere Aufgabe muss es sein, dieSelbstbestimmungsrechte von Prostituierten zustärken und einer Verdrängung in die Illegalität vor-zubeugen. Dabei haben wir sowohl diejenigenProstituierten im Blick, die Opfer von Menschen-handel geworden sind, als auch diejenigen, dieaufgrund einer finanziellen Zwangslage Prostituier-te geworden sind, als auch diejenigen, die sich ausfreier Motivation für den Beruf der Sexarbeiterinentschieden haben. Für diese extrem verschiede-nen Gruppen bedarf es differenzierter Lösungsan-sätze, die sich an den Lebensrealitäten der konkretBetroffenen orientieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zu diesem Zweck haben wir als rot-grüne Regie-rungsfraktion bereits im Koalitionsvertrag die Ein-richtung eines Runden Tisches Prostitution inHamburg niedergeschrieben. Dieser runde Tischsoll sich am erfolgreichen Vorbild aus Nordrhein-Westfalen orientieren; Frau Engels hat es bereitsangedeutet. Dort konnten, obwohl oder geradeweil der runde Tisch aus einem sehr breiten Spek-trum an Vertreterinnen und Vertretern zusammen-gesetzt war, sehr erfolgreich gemeinsame Ver-handlungsempfehlungen für Politik und Verwaltungformuliert werden. Insbesondere waren auchProstituierte selbst an den Beratungen beteiligt. Andiesem Erfolgsprojekt aus NRW wollen wir uns nunmessen lassen.

Der Runde Tisch Prostitution soll mit seiner Exper-tise ergebnisoffen diskutieren und uns als Ent-scheidungsträgerinnen und EntscheidungsträgerLösungsvorschläge für die verschiedenen Pro-blemfelder und Herausforderungen im BereichProstitution an die Hand geben. Im Gegensatz zudem Modell in NRW soll der Runde Tisch Prostitu-tion in Hamburg allerdings als dauerhaftes Gremi-um eingerichtet werden, das nicht nur einmaligeLösungsvorschläge erarbeitet, sondern darüberhinaus auch als dauerhafte Anlaufstelle zum Erfah-rungsaustausch und frühzeitigem Besprechenmöglicher neuer Konfliktlagen dienen soll. Vorbildhierfür sind die in Hamburg schon als dauerhafteEinrichtungen etablierten runden Tische zur häusli-chen Gewalt und Genitalverstümmelung.

Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang zu beto-nen, dass der Runde Tisch Prostitution in Hamburgzwar hinsichtlich der Anzahl der Teilnehmenden

begrenzt sein soll, aber in Bezug auf die Auswahlder Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnerkeinen Closed Shop darstellen wird. Der rundeTisch ist explizit aufgefordert, auch regelmäßig Ex-pertise von zusätzlichen Sachverständigen, aberauch die Meinung und Wahrnehmung von Anwoh-nerinnen und Anwohnern einzubeziehen. Auf dieseWeise schaffen wir ein transparentes, wissensge-stütztes und zielgerichtetes Gremium mit dem kla-ren Ziel, die Situation der Prostituierten in Ham-burg zu verbessern.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Hinsichtlich der Situation von Prostituierten fordernwir den Senat jedoch außerdem auf, das Kon-taktanbahnungsverbot in St. Georg zu evaluieren.Besonderes die Auswirkungen, die das Kontaktan-bahnungsverbot in den letzten Jahren auf denSchutz und die Arbeitsbedingungen der Prostituier-ten hatte, müssen überprüft werden. Anschließendist eine Bewertung dahingehend vorzunehmen, obdie jetzige Regelung einen angemessenen Aus-gleich zwischen den Interessen der Anwohnerin-nen und der Anwohner und der Prostituierten dar-stellt.

Die Situation der Prostituierten in ganz Deutsch-land ist verbesserungswürdig, nicht nur in Ham-burg. Daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, dasssich auf Bundesebene mit dem Prostituierten-schutzgesetz dieses Themas angenommen wird.Schade dagegen ist, dass die Bundesregierungder Hamburger Rechtsauffassung nicht gefolgt istund das Prostituiertenschutzgesetz für nicht zu-stimmungsbedürftig im Bundesrat hält. Zudem wur-den auch die Fragen einiger Länder zur Klärungder mit dem Gesetz einhergehenden Finanzie-rungsfragen nicht beantwortet. Ich möchte an die-ser Stelle Frau Senatorin Leonhard danken, dietrotz der fehlenden formellen Beteiligung versuchthat, im Interesse Hamburgs und der ProstituiertenEinfluss auf unterschiedliche Punkte des Gesetzeszu nehmen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich freue mich, dass wir dieses wichtige Thema derSituation der Prostituierten auch noch einmal aus-führlich im Sozialausschuss beraten haben. Für dieEinsetzung des runden Tisches, Frau Engels hates schon gesagt, gab es eigentlich einen breitenKonsens innerhalb der Fraktionen. Nun bleibt mirzum Schluss nur noch, allen Beteiligten des run-den Tisches viel Erfolg bei ihrer Arbeit zu wün-schen. Wir sind sehr gespannt auf die ersten Er-gebnisse und freuen uns, diese dann auch in Poli-tik umsetzen zu können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Barbara Duden: Das Wort be-kommt Frau Grunwaldt von der CDU-Fraktion.

2726 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Mareike Engels)

Franziska Grunwaldt CDU:* Sehr geehrte FrauPräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ei-gentlich wollte ich hier einmal ein bisschen netterstarten und den Kollegen von den GRÜNEN dan-ken, dass sie dieses Thema zur Debatte angemel-det haben, weil die Diskussionen im Ausschussmich sehr nachdenklich gestimmt haben. Und alsich den Bericht gelesen habe, hat mich das nocheinmal viel nachdenklicher gestimmt. Auch der An-trag: Da wird davon gesprochen, dass die Situationverbesserungsbedürftig sei. Das ist eine Verharm-losung, die für mich schon an Ignoranz und Über-heblichkeit grenzt. Aber, Frau Engels, was Sie hiereben gesagt haben, das hat mich richtig er-schrocken gemacht. Sie wollen einen RundenTisch Prostitution einrichten, der ein Bundesgesetzverhindern soll, bestmöglich –

(Mareike Engels GRÜNE: Quatsch! Das ha-be ich nicht gesagt! – Farid Müller GRÜNE:Hat sie nicht gesagt!)

ein Bundesgesetz, für das nicht nur Marcus Wein-berg als Christdemokrat gestritten hat, sondern fürdas auch die SPD-Familienministerin Frau Schwe-sig sich ganz gewaltig eingesetzt hat. Sie wissensehr genau, wie hart die Diskussionen waren, wieviele Menschen angehört worden sind, auch Be-troffene. Das Ergebnis ist ein Riesenerfolg. Dassdas die Aufgabe des runden Tisches sein soll, er-schreckt mich wirklich.

Und wenn Sie schon auf andere Wirtschaftsbran-chen verweisen, kann ich Ihnen sagen: AndereBranchen kennen ihre Beschäftigungszahlen. Wirschätzen nur. Wir raten nur. Wir gehen davon aus,dass es in Deutschland ungefähr 300 000 Prostitu-ierte gibt – und das sind bestimmt nicht nur diejeni-gen, die sich freiwillig dafür entscheiden, aus freienStücken. Natürlich unterstützen wir die auch, aberdas ist doch nicht die Mehrzahl. Das zu glauben istdoch einfach nur naiv.

(Beifall bei der CDU)

Und eine Kondompflicht als Scheinpflicht zu be-zeichnen, zu sagen, dass es ein Recht sei für dieFrau, sich gegen ungeschützten Geschlechtsver-kehr zur Wehr zu setzen, das finde ich wirklich einabsolut starkes Stück.

Angst vor dem Abrutschen in die Illegalität. DieAngst besteht. Aber ganz ehrlich, diese Angstkann doch nicht bedeuten, dass wir nichts tun.Was ist denn die Alternative zu dem Gesetz? Garkein Gesetz? Das kann doch nun wirklich nicht IhrErnst sein. Ein runder Tisch ist gut und wir habenihn auch gefordert, aber er kann niemals die allei-nige Lösung sein. Und dass er auch erst 2017kommt, wenn das Gesetz schon im Juli in Krafttritt, ist schon relativ spät. Aber er ist ja nur dazuda, um das Bundesgesetz zu verhindern, insoferndürfte das zeitlich ausreichen.

Und was die Stigmatisierung anbelangt, die hierimmer wieder angesprochen wird: Es geht um diebetroffenen Frauen, bei denen gar keine Stigmati-sierung möglich ist, weil sie eben gar nicht am öf-fentlichen Leben teilnehmen. Diese Frauen hat dasGesetz im Auge, und sie zu schützen ist unsereAufgabe. Die SPD-Kollegen im Bundestag und dieBundesfamilienministerin Schwesig, die hier einenhervorragenden Job gemacht haben, haben glück-licherweise den gleichen Blickwinkel und nicht dender hiesigen Regierungsfraktionen.

Klar ist, dass dieses Gesetz nicht das Ende derFahnenstange ist; das wissen wir auch. Aber es isteine Antwort auf eine untragbare Situation und derAnfang der Bekämpfung von Fremdbestimmung inder Prostitution. Diese ist mit der Menschenwürdevöllig unvereinbar. Dieses Gesetz ist ein echter Pa-radigmenwechsel, nämlich weg von der von Rot-Grün im Jahr 2001 geschaffenen Liberalisierung,die zu untragbaren Zuständen im Prostitutionsmi-lieu geführt hat, hin zu mehr Kontrolle, Regulierungund damit zu mehr Schutz für die wirklich Schutz-bedürftigen.

Lassen Sie uns doch noch einmal kurz rekapitulie-ren, was das Gesetz denn heißt. Zentrale Bedeu-tung – das wurde hier schon gesagt und das ist jaauch der große Aufreger – hat die persönliche An-meldepflicht und der damit verbundene Nachweisüber die gesundheitliche Beratung. Aber wir wis-sen doch, dass es hier nicht nur um eine plumpeAnmeldung geht. Es geht doch darum, dass dieFrauen damit eine Kontaktperson außerhalb desMilieus bekommen. Sie werden außerdem über ih-re Rechte aufgeklärt, und manche Frauen, insbe-sondere ausländische Prostituierte, bekommen soüberhaupt erst einmal eine behördliche Identität.Im Moment ist es so: Wenn diese Frauen durch ei-ne Gewalttat verschleppt werden, verschwindenoder Ähnliches, vermisst sie niemand, sie sind völ-lig schutzlos. Das kann man doch nicht ernsthaftwollen.

Weitere Kernpunkte sind die Erlaubnispflicht für dieProstitutionsstätten und die Zuverlässigkeitsprüfun-gen ihrer Betreiber. Nur so kann verhindert wer-den, dass einschlägig Vorbestrafte ein Bordell füh-ren. Keine Betriebserlaubnis erhalten auch Stätten,die Sex mit Schwangeren anbieten. Der Schutz un-geborenen Lebens rückt damit in den Vordergrund.

Meine Damen und Herren, ich kann es gar nicht oftgenug sagen: Ich vermisse nach wie vor ein klaresBekenntnis des Hamburger Senats zu genau die-sem Gesetz, so, wie wir es in unserem Antrag ge-fordert haben. Aber vielleicht kommt das ja noch.

(Beifall bei der CDU)

Das Prostitutionsgesetz ist ein gutes Instrumentari-um für Hamburg, endlich Licht ins Dunkel zu brin-gen und Fremdbestimmung in der Prostitution ef-fektiv und zielgerichtet zu bekämpfen. Diese Chan-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2727

ce sollte Hamburg im Interesse der betroffenenFrauen nutzen. Dafür hat uns, das ist richtig, derGesetzgeber einen straffen Zeitplan auferlegt. DasGesetz tritt, wie gesagt, im nächsten Juli in Kraft.Bis Ende des nächsten Jahres müssen alle Prosti-tutionsstätten ihre Erlaubnis nachweisen und alleProstituierten angemeldet sein. Hamburg muss al-so spätestens im Januar mit der Schulung der zu-ständigen Mitarbeiter beginnen, sonst droht hierdie Umsetzung des Gesetzes zu scheitern. Dafürbenötigen wir dringend ein Ausbildungskonzept.Wir als CDU werden, das kann ich Ihnen verspre-chen – nach diesen Ansagen heute noch vielmehr –, das Einhalten dieses Zeitplans kritischüberprüfen, ebenso natürlich jetzt in den Haus-haltsberatungen, dass die finanziellen Mittel zurVerfügung gestellt werden, damit die Behörden ih-ren Überwachungsbefugnissen, nämlich dass siePersonalkontrollen in den Prostitutionsstätten vor-nehmen können, auch gerecht werden können.Das ist nicht blinde Oppositionspolitik, ganz sichernicht, denn wir haben Ihrem Antrag im Ausschusszugestimmt, obwohl unser Antrag, der selbstver-ständlich abgelehnt worden ist, weitaus präziserformuliert worden ist.

Ich hoffe, dass wir uns nicht in kleinteiligen Debat-ten und in einer, vorsichtig ausgedrückt, Naivitäterschöpfen. Bitte lassen Sie uns im Interesse allerFrauen den Blick auf die Wirklichkeit lenken undversuchen, dieses Gesetz bestmöglich in Hamburgumzusetzen, hierfür alles herauszuholen – undnicht, es zu verhindern; ganz sicher nicht. – VielenDank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Barbara Duden: Das Wort be-kommt Frau Özdemir von der Fraktion DIE LINKE.

(Vizepräsidentin Antje Möller übernimmt denVorsitz.)

Cansu Özdemir DIE LINKE:* Vielen Dank, FrauPräsidentin. – Meine Damen und Herren! Wir ha-ben die Einrichtung des Runden Tisches Prostituti-on von Anfang an unterstützt und werden es auchweiterhin tun. Wir finden es wichtig und richtig,dass die Betroffenen, die Akteure an einen Tischkommen und die Möglichkeit haben, im Sinne derMitbestimmung auch Lösungsvorschläge zu erar-beiten. Das muss gründlich vorbereitet werden. Inder Anhörung im Sozialausschuss, als der Senatberichtet hat, haben wir von einer ausgeschriebe-nen Stelle im Referat Opferschutz gehört, die denrunden Tisch koordinieren soll. Ich habe mir denHaushaltsplan-Entwurf angeschaut – das tun wiralle momentan – und habe festgestellt, dass imBereich Opferschutz kein Zuwachs im Personalbe-reich eingeplant ist, was im Klartext wohl heißenwird: Diese Stelle wird eingerichtet, aber die Stun-

den dafür an anderer Stelle im Bereich Opfer-schutz gestrichen. Das geht so nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Mitarbeit an einem runden Tisch ist nicht nursinnvolle Arbeit, sondern bedeutet eben auchMehrarbeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin den Beratungsstellen und Behörden. Sie kennenunsere Kritik an der Unterbesetzung, an der Ar-beitsverdichtung, an der Unterfinanzierung der Be-ratungsstellen im sozialen Bereich. Das werdenSie während der Haushaltsberatungen auch nochsehr oft von uns hören.

Wenn wir von den Kosten sprechen: Wir haben ei-ne Schriftliche Kleine Anfrage gestellt zu den Aus-wirkungen des Bundesgesetzes auf die Landes-ebene. In seiner Antwort auf diese Anfrage hat derSenat festgestellt, dass auf Hamburg noch einmalzusätzlich 8,1 Millionen Euro zukommen – einSchritt, den die Bundes-SPD unterstützt hat; FrauGrunwaldt sagte es bereits. Wenn man die CDUkritisiert, sollte man auf jeden Fall die SPD mit kriti-sieren, weil sie dieses Gesetz mitgestaltet hat.

Vielleicht noch einmal zu den Auswirkungen in derPraxis. Die betroffenen Sexarbeiterinnen und Sex-arbeiter müssen sich jetzt mit dieser Meldepflichtund einer verpflichtenden gesundheitlichen Unter-suchung auseinandersetzen. Wir finden das sehr,sehr schwierig. Unserer Ansicht nach tragen dieseMaßnahmen zur weiteren Schlechterstellung undeben auch zur Stigmatisierung der Personen, diein diesem Gewerbe tätig sind, bei. Wer sich nichtmelden kann, wird in ungeschützte Räume auswei-chen und Bußgelder in Kauf nehmen müssen, undeine erzwungene gesundheitliche Untersuchunghat den Beigeschmack von Entwürdigung und Ent-mündigung, was wir keineswegs unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt beiden GRÜNEN)

Wir meinen auch, dass Schlechterstellung undStigmatisierung in Hamburg bereits einen Namenhat, nämlich die Sperrgebietsverordnung. In derersten Jahreshälfte 2016 sind schon 472 Bußgeld-bescheide verteilt worden. Ein Bußgeld liegt beimersten Mal immer bei 200 Euro und in der Folgemeist sogar bei einem höheren Betrag. Sie könnensich vorstellen, was für ein finanzieller Druck aufden Frauen und auf den Männern lastet, vor allem,weil sie dieses Geld noch einmal zusätzlich erwirt-schaften müssen. Das kann im Sinne der Ver-besserung der Arbeits- und Lebenssituation vonProstituierten nicht sein, derentwegen wir ja eigent-lich im Ausschuss einstimmig dafür gestimmt ha-ben, dass dieser runde Tisch eingerichtet wird.

Wir werden bei dem Thema nicht lockerlassen undwünschen uns, gerade im Sinne der betroffenenPersonen, dass die Konzeption und Umsetzungdes runden Tisches nun zügig über die Bühnegeht. Aber eines ist uns wichtig dabei, und da kom-

2728 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Franziska Grunwaldt)

me ich noch einmal kurz zurück auf Frau Grun-waldt. Sie haben eben gesagt, dass bei dem Ge-setz auf Bundesebene viele Personen, viele Akteu-re angehört worden seien. Das Problem dabei istaber, dass deren Vorschläge nicht eingeflossensind, dass sie nicht berücksichtigt wurden. UnserWunsch ist – und da werden wir auch hinterhersein –, dass es bei diesem runden Tisch ebennicht nur darum geht, dass Gespräche geführt wer-den, sondern dass die Lösungsvorschläge, die vonden Akteuren kommen, die von den Betroffenenkommen, ernsthaft aufgenommen und gegebenen-falls mit umgesetzt werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Antje Möller: Das Wort bekommtnun Frau Dutschke von der FDP-Fraktion.

Jennyfer Dutschke FDP:* Sehr geehrte Frau Prä-sidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen! Im Julihat der Deutsche Bundestag das besagte Gesetzzur Regelung des Prostituiertengewerbes verab-schiedet. Kernelement ist die hier schon mehrfachzitierte Erlaubnispflicht für alle Prostitutionsgewer-be. Die Erteilung dieser Erlaubnis ist an die Erfül-lung gesetzlicher Mindestanforderungen geknüpft.Ziel dieses Gesetzes war es wohl, Kriminalität undgefährliche Erscheinungsformen in der Prostitutionzu verdrängen und menschenwürdige Arbeitsbe-dingungen zu schaffen. Was Frau Grunwaldt hieran Intentionen vorträgt, ist alles sehr ehrenwert,aber wenn man sich dann dieses Bundesgesetzanguckt, dann wird es dem einfach in Gänze nichtgerecht. Gut gemeint ist an dieser Stelle nämlichleider nicht gut gemacht. Es ist höchst zweifelhaft,dass dieses Gesetz der Zwangsprostitution ein En-de setzen kann oder auch nur eine Zurückdrän-gung erzielt.

Um einige Kernelemente kurz anzusprechen, dieschon die Vielzahl der Vorredner angesprochenhaben: Eine Konsultation öffentlicher Stellen vonBetroffenen in Zwangslagen erfolgt einfach viel-fach nicht. Es ist deshalb fraglich, inwiefern dievorgesehenen Beratungsgespräche hier tatsäch-lich Abhilfe schaffen können. Besonders problema-tisch ist jedoch auch die neue Meldepflicht – dasist ebenfalls angesprochen worden –, denn siestärkt nicht das Vertrauen in öffentliche Einrich-tungen, sondern führt stattdessen zu einer erhebli-chen Stigmatisierung. Viele der Betroffenen ver-heimlichen aus guten Gründen ihre Tätigkeit ge-genüber Kindern, Eltern, Bekannten oder mögli-cherweise auch einem weiteren Arbeitgeber. Nunwerden sie allerdings in ihrer Anonymität einge-schränkt, und das mit allen Konsequenzen, diesich daraus ergeben. Statt massiver Gängelungsollten Beratungsangebote zielgerichtet ausgebautwerden. Zur Evaluation der tatsächlichen Bedarfekann das Instrument des runden Tisches zweck-mäßig sein, denn statt über die Betroffenen kann

so mit den Betroffenen geredet werden, und des-halb stimmen wir dieser Initiative zu.

(Beifall bei der FDP und bei Martin Bill undMareike Engels, beide GRÜNE)

In Nordrhein-Westfalen ist der Abschlussberichtdes Runden Tisches Prostitution bereits im Jahr2014 vorgelegt worden; Frau Özdemir ist ebenschon ansatzweise darauf eingegangen. Die Bun-desregierung hat nämlich die Ergebnisse diesesBerichts beim Prostituiertenschutzgesetz geradenicht umgesetzt beziehungsweise in wesentlichenTeilen schlichtweg ignoriert. Das sollte im Hinblickauf künftige politische Entscheidungen in diesemBereich in Hamburg definitiv anders laufen. DieFreien Demokraten werden daher den Punkten 1.1und 2 der Ausschussempfehlung zustimmen undPunkt 1.2 ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Antje Möller: Nun bekommt HerrDr. Baumann von der AfD-Fraktion das Wort.

Dr. Bernd Baumann AfD:* Frau Präsidentin, mei-ne Damen und Herren! Prostitution war, ist undbleibt eine heikle Sache in bürgerlichen Gesell-schaften. 2002 brachte die rot-grüne Koalition inBerlin ein neues Prostitutionsgesetz auf den Weg,Ausgangspunkt auch der heutigen Diskussion. Ein-geführt wurde unter anderem theoretisch eineKrankenversicherung, was durchaus löblich war,aber praktisch kaum genutzt wurde. Insgesamt hatRot-Grün, das muss man heute so sagen, mitSchlagworten wie Prostitution als normaler Berufwie jeder andere auch, Enttabuisierung undEntstigmatisierung aber auch eine Büchse derPandora geöffnet. Plötzlich gab es einen neuen,explodierenden, völlig ungeordneten Riesenmarktmit immer schrecklicheren Begleiterscheinungen.Prostitution, das zeigte sich jetzt auch in Deutsch-land, wie es sich auch in anderen Ländern zeigt,ist eben kein Beruf wie jeder andere, wie Lehrer,Zugführer oder Anwalt, er war immer mit Kriminali-tät verbunden und bleibt es wohl auch, oft mitschlimmem Zwang und barbarischem Vorgehen,Gesundheitsrisiken für Prostituierte und Kundensind sowieso dabei. Nach dieser kolossalen Markt-öffnung durch Rot-Grün entstanden unter anderemgeradezu großindustrielle Betriebe in Deutschland.Mit Riesenbordellen mit Tausenden Quadratme-tern und europaweitem Marketing kam ein gewalti-ger, brutaler Menschenhandel in Schwung, beson-ders aus Osteuropa. Medien berichteten über or-ganisierten Sextourismus aus der ganzen Welt tiefnach Deutschland hinein, nicht nur aus Nachbar-ländern, auch aus Asien und den USA. Es gab Do-kumentationen – ich erinnere eine von n-tv –, indenen gezeigt wurde, was passiert mit internatio-nalem Marketing: Anzeigen wie "SpottbilligerSechs-Tage-Bordellurlaub in Deutschland", ekelige

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2729

(Cansu Özdemir)

Anzeigen wie "Flatrate-Mädchen für 49 Euro". n-tvresümierte: Auf Online-Auktionen können hierzu-lande Jungfrauen und Schwangere ersteigert wer-den. All das gehört längst zum deutschen Alltag.Dazu kommt Geldwäsche, Schwarzarbeit, fehlen-der Arbeitsschutz. Rot-Grün hatte also dem Marktfür eine Massenproduktion des Rotlichtmilieus denWeg geebnet, der immer größer und in Teilen im-mer entsetzlicher wurde. Das war ein schrecklicherIrrweg linker Politik in diesem Land, mit abscheuli-chen Konsequenzen. So durfte es nicht weiterge-hen.

(Beifall bei der AfD)

Jetzt endlich, im Juli, einigte sich – sehr spät – dieBerliner Koalition, diesen entfesselten Moloch wie-der etwas zu zügeln, vernünftig zu regulieren, wiePolitik bei anderen Märkten mit potenziell schädli-chen Begleiterscheinungen und Gefahren das jaauch tut, vom Finanzmarkt bis zu Gaststätten. Zu-hältern – neuerdings Betreiber, wie sie von dieserSeite genannt werden – wird Anmeldepflicht aufer-legt. Sie müssen Ihre Betriebsstätten der Prostituti-on – so heißt das jetzt – offiziell anmelden. DurchZuverlässigkeitsüberprüfungen kommt man so nä-her an dieses Gewerbe heran und kann es besserüberwachen. Es ist eine Überwachung möglich,sodass vollends menschenverachtende Konzeptewie Flatrate et cetera wegfallen können; vielleichtbekommt man es in den Griff. Außerdem müssenProstituierte selbst sich nicht selbst anmelden, nurihr Gewerbe anzeigen. Die Daten werden abergleich anonymisiert, niemand wird so stigmatisiert.Durch verbindliche Behördentermine, die das mitsich bringt, ist eine Zwangssituation nicht mehrganz so leicht zu verbergen.

Die AfD stimmte dem Antrag der CDU schon imAusschuss zu, um dieses neue Bundesgesetz vonHamburg aus zu unterstützen und so finanziell undpersonell die nötigen Mittel beizeiten bereitzustel-len. Auch den runden Tisch unterstützten wir. Dochnach Ansicht einer vereinigten Linken in diesemHaus, der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN, dies-mal leider auch der FDP, ist das neue Prostituier-tenschutzgesetz des Bundes wieder zu sehr Gän-gelung des Rotlichtmilieus, was die Umsetzung inHamburg sehr erschwert. Parlamente aber, selbstin Ländern wie Schweden und Norwegen, sehendas vollkommen anders. Sonst eigentlich sehr libe-ral, bezeichnen sie den deutschen Sonderwegausdrücklich als Katastrophe; so haben sie es ge-brandmarkt im Parlament. Sie haben selbst ausleidvoller Erfahrung im Land dem Sexkaufmarkt er-heblich staatliche Fesseln angelegt, weil er allzuoft und allzu schwer schlicht gegen die Menschen-würde verstößt. Sie verweisen auch auf den huma-nistischen Auftrag bürgerlicher Politik, dieSchwächsten zu schützen, die bei einem solcheneinmal entfesselten Moloch unter die Räder gera-ten.

Ich möchte schließen mit den Worten der zuständi-gen schwedischen Ministerpräsidentin im Parla-ment, die zur deutschen Praxis sagt, das wider-spreche der Menschlichkeit. Und weiter – ich zitie-re Frau Margareta Winberg –:

"Eine Gesellschaft, die Prostitution einfachnur als normalen Beruf oder Wirtschafts-zweig anerkennt, ist eine zynische Gesell-schaft, die den Kampf für die schutzlosestenund verwundbarsten Frauen und Kinder auf-gegeben hat."

– Danke, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Antje Möller: Weitere Wortmel-dungen sehe ich nicht. Dann kommen wir zur Ab-stimmung.

Wer möchte sich zunächst Ziffer 1.1 der Aus-schussempfehlungen anschließen? – Die Gegen-probe. – Enthaltungen? – Damit ist Ziffer 1.1 ange-nommen.

Wer möchte dann Ziffer 1.2 der Empfehlungen fol-gen? – Auch hier die Gegenprobe. – Enthaltun-gen? – Auch Ziffer 1.2 wurde angenommen.

Und wer schließt sich Ziffer 2 an? – Die Gegenpro-be. – Enthaltungen? – Damit ist auch Ziffer 2 ange-nommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 75, Druck-sache 21/5672, Antrag der Fraktion die LINKE:Mietpreisbremse, aber richtig!

[Antrag der Fraktion DIE LINKE:Mietpreisbremse, aber richtig!– Drs 21/5672 –]

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜ-NEN:Mietpreisbremse zeigt erste Wirkung – Miete-rinnen und Mieter bei der Anwendung des Ge-setzes unterstützen, Evaluierung durchführen– Drs 21/5854 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 21/5854 ein An-trag der Fraktionen der SPD und der GRÜNENvor.

Wird dazu das Wort gewünscht? – Frau Sudmannvon der Fraktion DIE LINKE, Sie bekommen es.

Heike Sudmann DIE LINKE:* Liebe Kolleginnenund Kollegen! Mietpreisbremse – war da was? Er-innern Sie sich? Ein schöner Name, der geschaf-fen wurde, ein Name, der suggeriert, dass der Mie-tenanstieg gebremst wird, also nicht weiter voran-schreitet. Zur Erinnerung: Mietpreisbremse heißt,

2730 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Dr. Bernd Baumann)

dass bei einer Weitervermietung einer Wohnungdie neue Miete maximal 10 Prozent über dem Mie-tenspiegel liegen darf. Das wäre in Hamburg eineerfreuliche Entwicklung, wenn die Miete damit un-ter 9 Euro liegen würde. Aber diese Entwicklunggibt es nicht in Hamburg und auch anderswo nicht,weil nämlich das neue Gesetz dazu gleichzeitigsagt: Wenn die Miete aber schon vorher höher warals 10 Prozent über dem Mietenspiegel, darf sieauch bei der Weitervermietung höher sein. Unddas Gesetz sagt auch: Bei neugebauten Wohnun-gen gibt es gar keine Begrenzung. Aber das hatweder die FDP noch die CDU noch die Wohnungs-wirtschaft vor einem Jahr davon abgehalten zu sa-gen: O Gott, o Gott, o Gott, das ist der Untergangunserer Wohnungswirtschaft, wir machen gar kei-ne Gewinne mehr. So deutlich haben sie es nichtgesagt, aber es ist für sie ein ganz schrecklichesInstrument. Die SPD hat sich vor Selbstlob über-schlagen: Toll, wir machen etwas für die Mieterund Mieterinnen.

Wir als LINKE haben von vornherein gesagt: So,wie diese sogenannte Mietpreisbremse gestaltetist, wird sie wirkungslos sein. Und was stellen wirfest nach einem Jahr? Die Mietpreisbremse hatnichts gebremst, sie hat nicht gewirkt. Der Mieter-verein zu Hamburg hat Ende Juni festgestellt, dassbei circa 40 Prozent der Neu- beziehungsweiseWeitervermietungen in Hamburg die Mietpreis-bremse nicht beachtet wird. Der Mietervereinschätzt, dass dadurch den Mietern und Mieterin-nen ein Schaden in Höhe von 20 Millionen Euroentsteht. Sprich 20 Millionen Euro an Miete neh-men die Vermieter und Vermieterinnen mehr ein,als nach dem Gesetz eigentlich möglich wäre. Das,finden wir, ist ein Unding. Das muss gestoppt wer-den.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun mögen Sie vielleicht sagen: Klar, dass derMieterverein das sagt. Aber auch das Deutsche In-stitut für Wirtschaftsforschung hat am 1. Juni 2016eine Studie veröffentlicht, aus der ich gern einenPassus zitiere, der sagt:

"Weder wurde der Mietpreisanstieg ge-dämpft, noch scheinen Immobilieneigentü-merInnen im derzeitigen Umfeld damit zurechnen, dass die Regulierung"

– die Mietpreisbremse –

"ihre künftigen Ergebnisse substanziell be-schneidet. Die Umgehungsmöglichkeitensind allem Anschein nach so vielfältig, dasssie nicht wirkt."

Genauso ist es. Und genau deswegen sind wir derMeinung, dass diese Mietpreisbremse endlich ge-schärft werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Und was macht der Senat? Was weiß der Senat?In einer Schriftlichen Kleinen Anfrage wollten wirwissen, wie viele Rechtsverfahren es aufgrund derMietpreisbremse gegeben hat. Der Senat hat dazukeine Daten, sondern muss erst einmal eine Um-frage bei den Gerichten starten. Er macht dieseUmfrage, und das Ergebnis ist: Es gibt kein einzi-ges Verfahren. Nun könnte man denken, dann seiwohl alles in Butter. Nein, ist es eben nicht. DasProblem ist nämlich: Um so ein Verfahren anzu-strengen, müssen Sie als Folgemieter oder Folge-mieterin wissen, wie hoch die Vormiete war. Dassagt Ihnen aber keine Vermieterin, kein Vermieter,weil es dazu keine Verpflichtung gibt. Insofern istdas schon einmal die erste Hürde, die sehr schwerzu nehmen ist. Und diese Erkenntnis ist auch beider SPD bekannt, ist auch bei den GRÜNEN be-kannt. Bei der SPD ist es sogar so, dass die Bun-destagsfraktion gerade am letzten Wochenendegenau das aufgenommen hat, was in unserem An-trag steht. Man höre und staune, die SPD sagt: Wirmüssen eine Pflicht aufnehmen für die Vermiete-rinnen und Vermieter, dass die Vormiete bekanntgegeben wird. Wir müssen, wenn denn ein Verfah-ren erfolgreich ist, auf jeden Fall dafür Sorge tra-gen, dass die Miete ab Beginn des Mietvertragszurückgezahlt wird und nicht erst nach Beschreitendes Rechtswegs. Das sagt Ihre Bundestagsfrakti-on.

Ich bin mir sicher, auch Sie hier wissen, dass dieseMietpreisbremse überhaupt nicht wirkt. Und trotz-dem wollen Sie unserem Antrag nicht zustimmen.Das können Sie weder mir noch irgendeiner Miete-rin, irgendeinem Mieter in Hamburg erklären, daszeigt einfach nur, dass Sie nicht bereit sind, für dieMieterinnen und Mieter zu kämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich in Ihrem rot-grünen Zusatzantrag lese,Sie hätten auf Bundestagsebene gerade nicht dieMehrheit dafür, sage ich: Natürlich haben Sie dieMehrheit. Wenn Sie jetzt im Bundestag eine echteMietpreisbremse beantragen würden, hätten Siedie Stimmen der GRÜNEN, Sie hätten die Stim-men der SPD, Sie hätten die Stimmen der LIN-KEN, und auch im Bundesrat würden Sie durch-kommen. Jetzt erst einmal bis zur nächsten Bun-destagswahl abzuwarten, davon haben höchstensSie etwas mit Ihrer Taktiererei – wobei: das wirdsich nächstes Jahr zeigen –; die Mieter und Miete-rinnen haben davon überhaupt nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit dem Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben,kommen genau die Veränderungen in das Gesetz,die fehlen. Es kommt rein, dass die Vormiete vondem Vermieter oder der Vermieterin offengelegtwerden muss. Es kommt rein, dass zu viel gezahl-te Mieten von Anfang an zurückzuerstatten sind.Es kommt auch rein, worauf Sie in Ihrem Antrag,Herr Kienscherf, einen großen Schwerpunkt gelegt

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2731

(Heike Sudmann)

haben, dass natürlich der Mietwucher abgeschafftwird. Natürlich muss der Mietwucherparagraf sogestaltet werden, dass es nicht mehr 20 Prozentüber dem Mietenspiegel liegen darf, es dürfen ma-ximal 10 Prozent sein. Also alles, was wir brau-chen, um diese Mietpreisbremse ein bisschen bes-ser zu machen, ist in dem Antrag drin. Es gibt ei-gentlich gar keine andere Möglichkeit, als ihm zu-zustimmen, wenn Sie wirklich etwas für die Mieterund Mieterinnen tun wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie endlich dafür sorgen wollen, dass ausdiesem Mietpreisbremschen eine richtige Miet-preisbremse wird, dann machen Sie aus diesemPapiertiger eine angriffslustige Katze. Fahren Siedie Krallen aus, die Mieter und Mieterinnen inHamburg werden es Ihnen danken.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Antje Möller: Das Wort bekommtnun Herr Kienscherf von der SPD-Fraktion.

Dirk Kienscherf SPD: Frau Präsidentin, meinesehr geehrten Damen und Herren!

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Wo sind dieKrallen?)

Lieber Herr Hackbusch, liebe Kollegin Sudmann,das war ja wieder einmal eine Rede vollgespicktmit Floskeln für die Galerie.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Ich habe dieSPD zitiert!)

Ich kann nur deutlich sagen: VerantwortungsvolleWohnungspolitik sieht anders aus;

(Heike Sudmann DIE LINKE: Ja, dasstimmt!)

Rot-Grün macht das.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kollegin Sudmann, du hast dir ein bisschenselbst widersprochen. Kollegin Sudmann hat ebenvorgetragen, dass die Mietpreisbremse – und auchdas habe die LINKE ja schon immer gewusst – völ-lig wirkungslos sei. Hamburg habe also ein Instru-ment eingeführt, das völlig wirkungslos sei. Am29. Mai vor anderthalb Jahren war es wiederumdie Kollegin Sudmann, die gesagt hat, die Miet-preisbremse – die, die wir jetzt eingeführt haben,deren Regelungen und auch deren Schwächen be-kannt waren – müsse sofort in Hamburg eingeführtwerden, die Mieterinnen und Mieter würden dieSPD abstrafen, wenn wir das nicht machten. Kolle-gin Sudmann, ein Jahr später erzählst du auf ein-mal, ihr wusstet, dass die Mietpreisbremse immerwirkungslos sei. Das ist Blödsinn. Das ist Veräppe-lung der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der SPD)

Bitte nachher melden. Jetzt bin ich gerade imFluss, aber wenn du dich in drei Minuten meldest,kommst du gern dran.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Ich wollte et-was richtigstellen!)

– Nein, da ist jetzt nichts mit Richtigstellen, son-dern so war es damals.

(Zurufe)

Ich will nur kurz – und das mache ich relativ sach-lich – einfach einmal auf die Historie hinweisen.Warum ist es zur Mietpreisbremse gekommen?Warum hat man sich darum überhaupt bemüht undwarum war das richtig?

Wir haben in Deutschland jahrelang auch den Be-reich der Neuvermietung rechtlich regeln können.Paragraf 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes, der soge-nannte Mietwucherparagraf, hat dafür gesorgt,dass im Bereich der Neuvermietung ebenso wie imnormalen Mietrecht Höchstgrenzen waren. DieserParagraf ist letztendlich durch die Entscheidungdes Bundesgerichtshofs abgeschafft worden. Eshat nämlich eine Beweisumkehr stattgefunden undauf einmal mussten die Mieterinnen und Mieter et-was vorweisen, was sie in der Praxis nicht vorwei-sen konnten.

(Jörg Hamann CDU: Wer hat Ihnen denndas erzählt?)

Das hat dann dazu geführt, dass gerade in den at-traktiven Metropolen wie Hamburg – Herr Hamannkennt sich als Jurist manchmal aus – vor dem Hin-tergrund des angespannten Wohnungsmarkts

(Jörg Hamann CDU: Das hat damit über-haupt nichts zu tun!)

die Neuvertragsmieten hochgegangen sind. Da ha-ben wir Sozialdemokraten gesagt: Es kann nichtsein, dass es in diesem wichtigen Bereich keinenrechtlichen Rahmen gibt. Hier müssen wir handeln.Dafür werden wir uns auf Bundesebene einsetzen.Und ich glaube, es war richtig, dass wir diese ein-deutige Aussage getroffen haben.

(Beifall bei der SPD)

Es war daher gut, dass nach der Bundestagswahlunsere Fraktion und letztendlich die SPD auf Bun-desebene mit der CDU – und, Herr Hamann, daswar damals kein einfaches Geschäft – dafür ge-sorgt hat, dass wir gesagt haben: Auch diesen Be-reich wollen wir rechtlich regeln. Daher kam dannauch die Mietpreisbremse. Wir hätten sie uns auchnoch etwas anders ausgestaltet gewünscht, aberes war in dieser Koalition nicht anders durchzubrin-gen. Aber dass es überhaupt dazu gekommen ist,dass wir jetzt wieder einen rechtlichen Rahmen ha-ben, ist gut für den Wohnungsmarkt und es istauch gut für alle Wohnungssuchenden in dieserStadt und auf Bundesebene. Das können wir fest-stellen.

2732 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Heike Sudmann)

(Beifall bei der SPD und bei Farid MüllerGRÜNE)

Dieses Parlament – und das war auch die SPD-Fraktion, liebe Kollegin Sudmann – hat im Oktober2014 als erstes den Beschluss gefasst, wenn diebundesgesetzlichen Voraussetzungen geschaffenwerden, dann werden wir in Hamburg landesweitdie Mietpreisbremse einführen. Kollegin Sudmannhat immer gesagt, das würden wir sowieso nichttun. Wir haben es gemacht. Wir haben als zweitesBundesland am 1. Juli die Mietpreisbremse einge-führt, und das ist ein großer Erfolg und das kannauch die LINKE einmal anerkennen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wenn sie völlig wirkungslos ist, verstehe ich nicht,dass Sie auf den Mieterverein verweisen, der sagt,in 40 Prozent der Fälle werde die Mietpreisbremsenicht angewandt. Das heißt doch im Um-kehrschluss – Sie waren bei der Pressekonferenznicht da, ich war aber da –, dass sie bei 60 Pro-zent Anwendung findet. Der NDR hat beim Mieter-verein nachgefragt, ob es gut ist, dass die Miet-preisbremse eingeführt wurde, oder ob das über-flüssig gewesen sei, und der Mieterverein hat ganzeindeutig gesagt: Es war gut und richtig, dass dieMietpreisbremse eingeführt worden ist. In 60 Pro-zent der Fälle wirkt sie schon. Nur wollen wir natür-lich auch, dass sich auch bei den anderen Pro-zentpunkten etwas tut. Aber sie ist nicht wirkungs-los.

(Zuruf von Heike Sudmann DIE LINKE)

Und deswegen noch einmal: Es war gut, dass wirdie Mietpreisbremse eingeführt haben.

(Beifall bei der SPD)

Zu den rechtlichen Wirkungen. Auch dazu hat derMieterverein etwas ganz Entscheidendes gesagt.Es ist bei vielen Rechtsverfahren entscheidend– Herr Hamann kennt das –, ob die Schaffung ei-ner rechtlichen Möglichkeit dazu führt, dass dieMieterinnen und Mieter oder wer auch immer daseigentlich anwenden können. Ist das eigentlich einwirksames Instrument? Und auch dazu waren dieAusführungen vom Mieterverein sehr interessant.Der Mieterverein selbst hat in dem Jahr rund20 Fälle gehabt, wo sich Mieterinnen und Mieterbei ihm beschwert haben. In 18 Fällen hat es in-nerhalb von zwei Monaten eine Korrektur des Ver-mieters nach unten gegeben, und in zwei Fällen istman auf gutem Wege.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Das ist bei1 000 Mietverträgen echt eine Leistung!)

Deswegen sagt der Mieterverein – und das habenwir auch in unserem Antrag aufgenommen –, dassdieses Instrument trotz seiner Schwächen einehervorragende Grundlage bietet, um gegen dieVermieter vorzugehen, die sich rechtswidrig ver-halten. Es muss aus unserer Sicht deswegen da-

rum gehen, jetzt die Mieterinnen und Mieter zu stär-ken, dass sie jetzt ihr Recht wahrnehmen können.Sie sollen nicht lange warten müssen auf eine Ge-setzesänderung, sondern wir wollen, dass diesesGesetz mehr Anwendung findet. Wir wollen dieMieterinnen und Mieter unterstützen. Dazu dientunser Antrag und das ist richtig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Kommen wir einmal zu all diesen Änderungsvor-schlägen. Wir haben eine breite Diskussion aufBundesebene. Frau Sudmann, Sie brauchen dieWählerinnen und Wähler nicht zu veräppeln. Siesagen, es gebe eine Mehrheit im Bundestag dafür,wir sollten dafür stimmen. Und unser Koalitions-partner, na ja … Das ist so wie in Hamburg oderüberall, wahrscheinlich auch bei der LINKEN inThüringen: Wenn der Koalitionspartner auf einmalmit dem Rest des Hauses stimmt, dann macht dasder Koalition nichts. Natürlich sind wir in dieser Ko-alition gebunden, wie alle Koalitionsregierungen,und die CDU wird dem nicht zustimmen. Deswe-gen sagen viele Experten: Wenn wir ehrlich sind,wird sich vor der Bundestagswahl 2017 nichts tun.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Nach der Wahlauch nicht!)

Ich glaube, wir brauchen den Menschen in dieserStadt nichts vormachen. Von daher sagen wir, wirsollten diese Zeit nutzen. Wir sollen evaluieren, wirsollen die Mieterinnen und Mieter besser informie-ren, und wir sollen in dieser Zeit auch schauen, obes gegebenenfalls Handlungsnotwendigkeiten gibtund wie sie auszuformen sind.

Und auch da ist etwas sehr spannend, liebe Kolle-gin Sudmann. Der Mieterverein hat im Sommer2016 auf der Pressekonferenz – auf der Sie nichtwaren – einige Vorschläge unterbreitet.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Hast du michso vermisst?)

– Ich vermisse Sie immer, Frau Sudmann, wennSie nicht da sind.

Diese Vorschläge bezogen sich in der Tat auf dieMietpreisbremse. Wie Sie sicherlich gelesen ha-ben, hat der Mieterverein zusammen mit dem Ver-band norddeutscher Wohnungsunternehmen kürz-lich erneut eine Pressemitteilung herausgegeben,in der beide zu der Erkenntnis kommen: Bevor wiran die Mietpreisbremse gehen, würden wir doch ei-gentlich gern an das Wirtschaftsstrafgesetzbuchrangehen und den Paragrafen 5 reformieren. Dazukann ich nur sagen, dass Hamburg 2013 eine Bun-desratsinitiative gestartet hat. Das ist einer unsererWege, das wäre eigentlich fast am besten. Ich willdamit nur sagen, dass es auch beim Mietervereinwie bei den Wohnungsverbänden sehr unter-schiedliche Ansichten gibt, wie wir nun zu dembesten Ergebnis für die Mieterinnen und Mieterkommen.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2733

(Dirk Kienscherf)

Wir finden diese Diskussion gut und wir wollen sieweiterbefördern. Ich will auch ausdrücklich das Pa-pier unserer Bundestagsfraktion loben, ein sehrgutes Papier, das in die richtige Richtung weist.Aber wir sollten den Menschen hier nichts vorgau-keln. Etwas, das auf Bundesebene gelöst werdenmuss und sich nach der Wahl regeln wird – wobeies auch auf die Stimmverhältnisse ankommt, diewir haben werden –, werden wir heute nicht hierregeln können; und deswegen unser Antrag. Wirmüssen darüber nachdenken. Wir müssen auchüber Reformen nachdenken. Aber wir wollen inHamburg fundiert evaluieren. Wir wollen in Ham-burg Mieterinnen und Mieter jetzt unterstützen.Und wir wollen uns dann im Jahr 2017 oder 2018auf Bundesebene dafür einbringen, dass es einegute und eine verträgliche Lösung findet. Ich glau-be, das sind wir den Mieterinnen und Mietern inHamburg schuldig. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Antje Möller: Herr Hamann vonder CDU-Fraktion bekommt nun das Wort.

Jörg Hamann CDU:* Sehr geehrte Präsidentin,liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kien-scherf, Sie meinten, der Kollegin Sudmann vorwer-fen zu müssen, dass ihre Rede eine Rede für dieGalerie gewesen sei. Da haben Sie sicher recht,aber Ihre Rede war es genauso.

(Beifall bei der CDU)

Nichts anderes ist das, was Sie gemacht haben.Sie haben Ihr altes Lied gesungen und nicht ein-mal versucht, es in neue Töne zu packen.

(Martin Bill GRÜNE: Dann liefern Sie jetztmal!)

Warum auch? Es war bisher nicht richtig und eswird auch in Zukunft nicht richtig, was Sie hier ver-künden oder erzählen wollen.

Besonders bemerkenswert finde ich, dass Sie je-des Mal, wenn die LINKEN kommen, so einen An-trag stellen und Ihnen das Stöckchen hinhalten,sofort bereit sind, darüber zu hüpfen. Dann bringenSie einen Antrag ein, noch einmal drei Seiten, aufdenen Sie dann zum x-ten Mal wiederkäuen, wasSie meinen, alles Gutes machen zu wollen. FrauSudmann – Sie mögen sie scheinbar wirklich au-ßerordentlich – kommt mit dem Stöckchen und Siehüpfen jedes Mal darüber. Und so bekommen wirjetzt einen neuen Antrag von Ihnen, der letztlichüberhaupt nichts bringt und der keine Bedeutunghat, wie Sie auch sehr genau wissen.

Wenn Sie mit dem Thema ernsthaft anfangen woll-ten, Sie, Frau Sudmann, oder Sie, Herr KollegeKienscherf, dann würden wir das im Ausschussdiskutieren. Es ist ein klassisches Thema in derTiefe, das wir im Ausschuss diskutieren müssten.

(Zuruf von Heike Sudmann DIE LINKE)

Aber weder die Kollegin Sudmann hat bisher eineÜberweisung an den Ausschuss beantragt nochdie SPD. Sie wollen das gar nicht inhaltlich disku-tieren. Die eine will die Show machen, der anderewill die Show machen. Gut, dann wollen wir einmalzwei Minuten bei der Show mitmachen; mehr istes, ehrlich gesagt, auch nicht wert.

Zu Ihrem Antrag, Frau Kollegin Sudmann. Sieschreiben, die Mieter würden die Antworten vomVermieter nicht automatisch erhalten. Ja, wenn Siedas als Nachteil sehen … Jeder Mieter hat einenAnspruch darauf zu fragen. Dann soll er doch fra-gen. Wer nicht fragt, der will es scheinbar auchnicht wissen.

Dann steht in Ihrem Antrag im Vorspann zur Be-gründung, der Vermieter würde sich sonst bei Re-paraturen zurückhalten. Also das ist ja nun völ-lig … Gaga ist, glaube ich, noch einigermaßen par-lamentarisch. Gut, ich streiche es: Es ist völlig ne-ben der Sache. Auf Reparaturen gibt es einen ver-traglichen und einen gesetzlichen Anspruch: Miet-vertrag, Bürgerliches Gesetzbuch. Es ist etwas ka-putt, es gibt die Vermieterinstandhaltungspflichtund der Vermieter muss es machen. Also das istnun absolut abwegig.

Dann die Geschichte mit dem Mieterverein undden 40 Prozent. Sie selbst, LINKE, GRÜNE, SPD,sagen also: Niemand weiß genau, wie sich dieseMietpreisbremse nun auswirkt. Ein Jahr ist viel zukurz. Die Amtsgerichte haben nichts feststellenkönnen. Aber der Mietverein will festgestellt haben,dass bei 40 Prozent der Neuvermietungen dieMietpreisbremse nicht beachtet worden und einSchaden von 20 Millionen Euro entstanden sei. Ichkann Ihnen aus meiner beruflichen Erfahrung nursagen, dass viele Vermieter bei mir nachgefragthaben, wie sie mit der Mietpreisbremse umzuge-hen und ob sie diese zu beachten hätten. Das fan-den die wenigsten toll, die meisten haben mit denZähnen geknirscht. Ich habe kaum einen in Erinne-rung, der gesagt hat, er mache es trotzdem oder ermache es anders. Das machen die Vermieter imRegelfall nicht. Ich halte diese Zahlen für blankenUnsinn und auch für Propaganda des Mieterver-eins, in der Hoffnung, ähnlich wie mit dieser Inter-net-Homepage neue Mitglieder zu generieren. Dasliegt weit neben der Sache.

Das ist im Wesentlichen Ihr Antrag. Was Sie for-dern, ist in der Sache zum Teil falsch, zum Teil ha-ben wir es schon.

Zum Kollegen Kienscherf. Ich weiß nicht, ob ichnoch in den zwei Minuten bin, sonst gönne ich mireine mehr. Und damit kann ich überleiten zu IhrerDiskussion Paragraf 5, Mietpreiserhöhung. Das ha-ben Sie scheinbar überhaupt nicht verstanden be-ziehungsweise das hat man Ihnen völlig falsch er-zählt. Bei der Rechtsprechung des BGH damals

2734 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Dirk Kienscherf)

ging es um die Frage, ob es in Hamburg ein gerin-ges Angebot gibt und ob sich das geringe Angebotin Hamburg auf die ganze Stadt oder auf Teilmärk-te beziehen muss. Jetzt müssten Sie aufwachen.

(Zuruf von Heike Sudmann DIE LINKE)

Wenn Sie Paragraf 5 Mietpreiserhöhungsgesetzwieder zum Leben erwecken wollen, können Siedas sehr einfach machen. Das geht total simpel.Das können Sie jederzeit, dazu brauchen Sie garkeine Gesetzesnovellierung. Sie müssen nur einGutachten in Auftrag geben. Aber Gutachten – ja,Sie schmunzeln – wollen Sie nicht und auch dieLINKE nicht. Kein Mensch spricht hier von einemGutachten. Lassen Sie ein Gutachten anfertigen,lassen Sie feststellen, wo es in Hamburg Woh-nungsknappheit gibt. Wenn das Gutachten so aus-fällt, wie Sie behaupten, dann haben Sie in ganzHamburg die Wohnungsknappheit. Dann greift wie-der der Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz. Daskönnen Sie von heute auf morgen machen. FragenSie doch einmal Ihre Juristen. Ich weiß nicht, wasdie Ihnen erzählt haben; die BGH-Rechtsprechungist völlig eindeutig. Das lief früher immer durch inHamburg, bis der BGH gesagt hat, wir müssten aufdie ganze Stadt schauen. Und nun? Besorgen SieIhr Gutachten, dann geht das wieder. Nun sind Sieruhig. Also, beschäftigen Sie sich einfach mit derMaterie, bevor Sie hier irgendetwas erzählen. Esist schlichtweg falsch, was Sie sagen. Wenn Sie eswirklich machen wollen, dann können Sie sofort et-was machen. Aber das tun Sie nicht. Denn, wie ge-sagt, Ihr Antrag ist für die Galerie, Ihr Antrag istShow, und nichts anderes ist auch das, was Siehier im Großen und Ganzen sonst noch schreibenund was Sie meinen, was im Einzelnen denn nungemacht werden solle.

Die Mietpreisbremse, das kann ich noch erwäh-nen, wollten Sie angeblich – das haben Sie nunwiederholt behauptet – sofort einführen in Ham-burg. Wir haben das noch in Erinnerung. Sowohldie Kollegin Sudmann als auch die CDU und dieFDP – nein, die FDP nicht, Entschuldigung –, wirhaben uns dafür eingesetzt, dass die Mietpreis-bremse eingeführt wird. Wir haben gefragt, wannder Senat etwas macht. Das war ein Gedrucksemit der damaligen Senatorin. Ich weiß, Sie habenden damaligen Senat in diesem Punkt zum Jagengetragen, insofern haben Sie sich sicherlich einpaar kleine Sternchen verdient. Aber es war allesandere, als dass Ihr Senat das freudestrahlendmachen wollte; das wollte er nicht. Aber das erzäh-len Sie nicht, sondern dann kommt wieder Ihre so-zialdemokratische Geschichtsklitterung.

Schlussendlich: Die Anträge sind beide falsch. Dereine soll der Show dienen, der andere hat über-haupt keine Substanz. Nicht die Mietpreisbremseist Murks, der Antrag ist Murks und das, was Siehier machen wollen. Wir stimmen dementspre-chend nicht zu.

(Zuruf)

– Das habe ich Ihnen die ganze Zeit erklärt. Jetztzum Schluss wachen Sie auf und fragen nach derSache. Lesen Sie sich das zumindest einmaldurch, dann bekommen Sie es auch mit. – VielenDank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei derFDP)

Vizepräsidentin Antje Möller: Das Wort bekommtnun Herr Duge von der GRÜNEN Fraktion.

Olaf Duge GRÜNE: Frau Präsidentin, meine Da-men und Herren! Herr Hamann, ich stelle erst ein-mal fest: Sie möchten Show-Anträge im Ausschussdiskutieren. Das ist nicht die Art und Weise, wie wirim Ausschuss diskutieren.

(Thilo Kleibauer CDU: Nein, das würden wirniemals!)

Wir wollen Anträge mit Inhalt haben

(Dennis Gladiator CDU: Schreiben Sie dochmal welche!)

und keine Show-Anträge. Ich bin mit Ihnen derMeinung, dass dieser Antrag für die Schaufenster-auslage ist. Das ist der Hauptzweck, nicht die In-halte selbst. Das sieht man im Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt beider SPD)

Ich will das kurz erläutern. Lassen Sie mich dasdarstellen. Sie behaupten in dem Antrag, dass derSenat keinerlei Interesse daran habe, hier in ir-gendeiner Art und Weise etwas zu evaluieren. Sietun so, als hätte der Senat eigentlich gar kein Inte-resse an Mieterschutz – in Ihrer Rede haben Siedas deutlich gemacht –, und auch Rot-Grün hättedas nicht. Das ist doch absurd, wenn Sie sich ein-mal die Daten ansehen. Daran wird sehr deutlich,dass dieser Antrag ein Show-Antrag ist, dass Siesich bestimmte Dinge auf Ihre Fahne schreibenwollen, die wir schon längst gemacht haben oder inVorbereitung haben. Und wenn Sie hätten prügelnwollen und aufzeigen wollten, wo es hakt, hättenSie einmal in die rechte, konservative Seite desBundestags schauen müssen. Da sehen Sie, woblockiert wird, aber nicht hier.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt beider SPD)

Sie brauchen sich nur einmal die Dinge ansehen,die wir zum Mieterschutz eingeführt haben. Dasgeht los mit Kappungsgrenze und Bestellerprinzip.Dann waren wir aktiv im Zusammenhang mit demWirtschaftsstrafgesetz Paragraf 5 – das ist ebendiskutiert worden –, dem sogenannten Wucherpa-ragrafen. Wir haben – und sind weiter dabei – eineVielzahl von Sozialen Erhaltungsverordnungen inbesonders gefährdeten Bereichen gemacht, wo die

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2735

(Jörg Hamann)

Mietpreisentwicklung davonläuft. Dort ist Umwand-lungsverbot, dort kann die Luxussanierung ge-stoppt und damit letztlich die Verringerung vonpreiswertem Wohnraum vermieden werden bezie-hungsweise dieser kann erhalten werden.

Sie sagen, die Mietpreisbremse sei gar nicht wirk-sam. Das ist eben schon von Herrn Kienscherf er-läutert worden. Die Dinge, die man verbessernkann, haben wir GRÜNE übrigens bereits im Bun-destag eingebracht in einer Gesetzesvorlage. ImJuni haben die Fraktionsvorsitzenden der Bundes-länder und des Bundestags zusammengesessenund die wunden Punkte darin angesprochen. AberSie brauchen doch niemandem weismachen, wirkönnten das über den Bundesrat ändern,

(Heike Sudmann DIE LINKE: Natürlich kön-nen Sie es ändern!)

bevor im Bundestag andere Mehrheitsverhältnissesind, die es dann ermöglichen, die Lücken zuschließen. Es ist völlig richtig, dass natürlich dieTransparenz für die Mieter, was die Mietverände-rungen betrifft, ein großes Manko ist, dass dieLücken in Bezug auf Mietpreiserhöhungen durchModernisierung noch drin sind und viele andereDinge mehr. Aber tun Sie nicht so, als könnte mandas über eine Bundesratsinitiative ändern.

Wir wollen nicht wie Sie mit dem Kopf gegen dieWand laufen, sondern wir nehmen die Kelle in dieHand und das Lot, loten das aus über die Evaluati-on und stärken die Mieterverbände beziehungswei-se die Mieter, ihre Rechte auch wahrzunehmen.Das ist der richtige Weg, im Gegensatz zu dem,was Herr Hamann sagte. Hier können wir selbst et-was machen, und das werden wir tun. Deswegenist unser Antrag auch derjenige, der eine Perspek-tive ausweist, was unter den jetzigen Verhältnissenmöglich ist. Wir werden also weiter daran arbeitenund die Sache voranbringen. Ich glaube, da ist Luftnach oben; mehr als 60 Prozent werden wir, da binich optimistisch, erreichen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt beider SPD)

Vizepräsidentin Antje Möller: Das Wort bekommtHerr Meyer von der FDP-Fraktion.

Jens Meyer FDP: Verehrte Präsidentin, meinesehr verehrten Damen und Herren! Unter derÜberschrift "Mietpreisbremse, aber richtig!" ver-sucht die SED-Nachfolgepartei,

(Heike Sudmann DIE LINKE: Wo bleiben Ih-re Argumente?)

die schon von Rot-Grün verfehlte

(Beifall bei der CDU)

Wohnungsbaupolitik des Senats nochmals in denSchatten zu stellen

(Beifall bei der FDP und der CDU)

und vertritt an dieser Stelle ein weiteres Mal diereine Lehre regulativer Staatswirtschaft. Allerdingswissen Sie im Gegensatz zum rot-grünen Senatwenigstens, wovon Sie reden. Schließlich konntenSie rund 40 Jahre Erfahrungen auf diesem Gebietsammeln, und so ist es wenigstens konsequent zusagen, wenn schon Staatswirtschaft, dann richtig.

(Beifall bei der FDP)

Dass Sie, liebe LINKE, in Sachen sozialer Markt-wirtschaft aber in den vergangenen 25 Jahrennichts dazugelernt haben, ist allerdings immer wie-der ernüchternd festzustellen;

(Zuruf von Ralf Niedmers CDU)

Ihr Antrag beweist das eindrucksvoll. Ich möchtedeshalb ein weiteres Mal darauf hinweisen, dassnicht etwa ein volkseigener Betrieb für Neubau-wohnungen sorgt, sondern in der Regel private In-vestoren Wohnungsbau betreiben und Immobilienbewirtschaften.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Das löst dieProbleme nicht!)

Das hat gegenüber Ihrem ewig gestrigen und so-zialistischen Weltbild den großen Vorteil, dass sichMenschen um ihr privates Eigentum kümmern, an-statt staatliches Eigentum verkommen zu lassen.Meine Damen und Herren von links, glauben Sieim Ernst, dass Sie mit weiteren regulativen Eingrif-fen in den Mietwohnungsmarkt noch irgendeinenGrundeigentümer motivieren können, sich um sei-ne Immobilie zu kümmern, sie instand zu halten,zu bewirtschaften und damit allen Bewohnern an-genehme Wohn- und Lebensverhältnisse zu ge-währen?

Ein anderer wichtiger Punkt behaglicher Lebens-verhältnisse ist ein entspanntes Mieter-Vermieter-Verhältnis, das nicht nur oder nicht durch Rechts-anwälte – auch wenn es davon hier viele gibt –und Gerichte geprägt ist,

(Heike Sudmann DIE LINKE: Vor allem ent-spannt für das Portemonnaie!)

sondern auf gegenseitiger und persönlicher Wert-schätzung beruht. Wenn ich in Ihrem Antrag lese,Frau Sudmann, dass Mieter aus Ihrer Sicht – Zi-tat –:

"[…] nicht von Beginn an ein zerrüttetes Ver-hältnis zur Vermieterin beziehungsweisezum Vermieter eingehen wollen […]"

– Zitat Ende –, spricht das eigentlich schon Bändeund zeigt Ihre verqueren Vorstellungen eines fried-lichen gesellschaftlichen Miteinanders.

(Beifall bei der FDP)

Aber kommen wir noch einmal auf die von Ihnenso gepriesene sozialistische Wunderwaffe Miet-

2736 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Olaf Duge)

preisbremse zurück, die die Ursachen des ange-spannten Wohnungsmarkts aus Ihrer Sicht per Ge-setz in Luft auflöst. Da fordern Sie den Senat ei-nerseits – und, wie ich finde, zu Recht – auf, dieversprochene Evaluation endlich auf den Tisch zulegen, und andererseits fordern Sie eine Entfris-tung der Mietpreisbremse, wie Sie es nennen. Bei-des passt nicht zusammen. Wenn Sie schon wis-sen, dass die Mietpreisbremse so gut ist, dass sieewig fortbestehen soll, brauchen Sie doch keineEvaluation. Ehrlicher wäre es, die Mietpreisbremse– wie vom Senat ursprünglich versprochen – jetztzu evaluieren. Sie würden dann feststellen, was inder Zwischenzeit auch schon diverse andere Un-tersuchungen ergeben haben, dass die Mietpreis-bremse ungeeignet ist, den angespannten Miet-wohnungsmarkt maßgeblich zu beruhigen und denAnstieg der Mieten zu reduzieren. Es wird Sie des-halb nicht weiter erstaunen, dass meine FraktionIhrem Antrag nicht folgen wird. Wir lehnen ihn inder Sache ab und halten ihn auch für so abwegig,dass wir ihn in keinem Fachausschuss diskutierenbrauchen.

Herr Kienscherf, zu Ihrem Schaufensterantragmöchte ich dann aber auch noch ein paar Wortesagen. Er ist ja sehr kurzfristig eingegangen undHerr Hamann hat eigentlich das Wesentlicheschon erwähnt: Das Stöckchen, das man Ihnenhinhält, wird dann gern übersprungen.

(Beifall bei Jörg Hamann CDU)

Im Grunde ist dieser Antrag völlig überflüssig. Dererste Punkt, weil – und das haben Sie wie ich undHerr Hamann gestern im Stadtentwicklungsaus-schuss im O-Ton von der Senatorin gehört – dieEvaluation 2017 ohnehin kommen wird. Ich weißnicht, warum Sie jetzt den Senat noch einmal ersu-chen, etwas zu tun, was ohnehin schon entschie-den ist. Das ist wirklich Effekthascherei an dieserStelle. Gut, dem kann man natürlich zustimmen –ich glaube, hier ist ziffernweise Abstimmung bean-tragt. Das ist nicht falsch, aber es ist im Grundeselbsterklärend.

Zu den Ziffern 2 und 3. Herr Kienscherf, dass maneine Evaluation in irgendeiner Weise bewertet undHandlungsvorschläge ableitet, liegt in der Naturder Sache, sonst wäre es keine Evaluation. Aberwenn Sie bereits vorher wieder wissen, was Sie fürHandlungsvorschläge ableiten,

(Dirk Kienscherf SPD: Gegebenenfalls stehtda, Herr Meyer!)

dann sind Sie so voreingenommen, dass wir ei-gentlich jetzt schon feststellen können, dass dassowieso keinen Sinn macht. Und der dritte Punktmacht aus unserer Sicht auch keinen Sinn. Siesollten das Mieter-Vermieter-Verhältnis verbesserndurch Ihre Politik und hier nicht weiter Unfriedenstiften. Insofern werden wir den dritten Punkt auchablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Antje Möller: Herr Dr. Baumannvon der AfD-Fraktion bekommt nun das Wort.

Dr. Bernd Baumann AfD:* Frau Präsidentin, mei-ne Damen und Herren! Zum Thema Mietpreis-bremse ist nun wirklich alles gesagt. Die AfD istnoch nicht lange im Parlament, aber in der kurzenZeit ist es jetzt das dritte Mal, dass es auf der Ta-gesordnung steht. Wir kommen auch nicht wirklichweiter in der Sache, denn die Dinge liegen klar zu-tage. Die LINKE und Rot-Grün wollen sich aberpartout mit dem Thema bei der Wählerklientel wei-ter beliebt machen, vielleicht weil ihnen die Wählergerade in großen Scharen davonlaufen. Auf jedenFall haben wir es auf der Tagesordnung.

In den Ohren vieler Menschen ohne tieferen Ein-blick in die verzwickten marktwirtschaftlichen Zu-sammenhänge mag das Wort gut klingen: Miet-preisbremse. Man drückt auf einen Knopf und dieProbleme sind gelöst. Das scheint so einfach. Die-se Menschen wissen nicht um die ordnungspoliti-schen Erfordernisse wirklich erfolgreicher Woh-nungsbaupolitik. Politik, die wirklich hilft, mussdickere Bretter bohren: öffentlich geförderten Woh-nungsbau intensiver betreiben – Sie haben mit derSAGA GWG das größte kommunale Wohnungs-bauunternehmen Deutschlands mit 300 000 Mie-tern –, Baukosten reduzieren bei staatlichen Aufla-gen wie der EnEV, reduzierte Auflagen vereinfa-chen Wohnungsbau, weniger Steuerbelastung– wir kennen das: Grunderwerbs- und Grundsteu-er –, Bauflächen früher und großzügiger auswei-sen, Wohneigentum fördern. Bremen hat 40 Pro-zent Wohneigentum, Hamburg hat 20 Prozent.

Die Mietpreisbremse wirkt da nicht nur nicht, son-dern sie bewirkt genau das Gegenteil, wie jederdauerhafte Staatseingriff mit Preisobergrenze inMärkte hinein. Wir lehnen deshalb den Antrag derLINKEN ab, der diese Regulierung noch verschär-fen will und damit den kleinen Wohnungsmietern inWirklichkeit auf Dauer noch mehr schadet. Wir leh-nen auch Punkt 2 des rot-grünen Antrags ab, derdie Sache noch einmal verschärfen will. – Danke.

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Antje Möller: Das Wort bekommtnun Frau Sudmann von der Fraktion DIE LINKE.

Heike Sudmann DIE LINKE:* Vorab muss ich sa-gen: Es ist schon eine Leistung, dass ich es schaf-fe, alle vier relevanten Fraktionen gegen den An-trag aufzubringen, aber alle vier mit sehr unter-schiedlichen Argumenten. Das ist auch schon et-was wert.

Herr Kienscherf hat versucht, noch einmal die Ge-schichte darzustellen. Herr Kienscherf, Sie haben

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(Jens Meyer)

selbst davon gesprochen, wie schwer es für Sieauf Bundesebene war, diesen Kompromiss zu fin-den. Genauso schwer ist es der LINKEN gefallen,zu beantragen, diese Mietpreisbremse, die Sie alsKompromiss erstritten haben, in Hamburg umzu-setzen. Wir haben von vornherein gesagt – unddas haben Sie eben unterschlagen –, dass dieseMietpreisbremse wichtig ist, aber wirkungslos,wenn sie so kommt, wie sie kommen sollte. Unddas stimmt weiterhin, das haben Sie selbst in IhrerBundestagsfraktion auch erkannt.

Ich zitiere jetzt noch einmal den Mieterverein in ei-ner Pressemitteilung, die er zusammen mit demVerband norddeutscher Wohnungsunternehmenherausgegeben hat. Darin finden Sie den schönenSatz des Mietervereins:

"Ein Jahr nach der Mietpreisbremse stehtfest: sie hat ihre Wirkung verfehlt."

Herr Kienscherf, Sie fahren die Krallen immer ge-gen uns aus, Sie müssten die Krallen gegen dieVermieter und Vermieterinnen ausfahren, die über-höhte Mieten nehmen. Darauf warte ich noch. Damachen Sie immer den Kuschelbären. Das ist nichtgut.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist für Herrn Kienscherf ungewöhnlich, Ku-schelbär, ich weiß.

Sie haben sich eben auch dafür gelobt, dass derSenat 2013 auf Bundesebene versucht hat, Para-graf 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zu verändern.Da helfe ich Ihnen gern noch einmal Ihrem Ge-dächtnis aus. 2011 hat mein Kollege Joachim Bi-schoff einen Antrag zur Wohnungspolitik einge-bracht, in dem unter anderem genau auf diesenWucherparagrafen eingegangen wurde und wir ge-fordert haben, ihn zu verändern. Sie haben dannzwar zwei Jahre gebraucht, um das zu einem eige-nen Antrag zu machen, aber ich freue mich, dassSie das immerhin als positiven Weg anerkennen.

Es ist alles ein bisschen schwierig. Herr Dugespricht von einem Schauantrag und versucht, dengesamten Antrag zu zerpflücken, ohne dabei zumerken, dass die Punkte, die im Antrag stehen– und ich wiederhole das gern noch einmal –, letz-tes Wochenende von Ihrem gewünschten Koaliti-onspartner in spe auf Bundesebene, der SPD, ge-nau so beschlossen wurden. Sie können feststel-len, dass es eigentlich eine breite Bewegung dafürgibt, und ich hatte gedacht, ich könnte auch dieGRÜNEN dort sehen. Ich hatte gedacht, dassauch die GRÜNEN sagen, dieses Mietpreisbrem-sengesetz müsse geändert werden. Aber allemAnschein nach sind Sie gerade auf dem Weg mehrin Richtung wirtschaftsliberal.

(Zuruf von Farid Müller GRÜNE)

Womit ich zu Herrn Meyer komme. Herr Meyer hates heute geschafft, eine Rede zu halten, für die er

eigentlich viel zu jung ist – und eigentlich, dachteich, auch viel zu intelligent. Aber gut, wenn Sie eswollen … Sie meinen, Sie müssten uns hier inHamburg vorwerfen, wir hätten eine SED-Vergan-genheit. Das ist eine gewagte These, aber es magIhnen vielleicht helfen. Aber Sie haben nicht einWort dazu gesagt, was eigentlich aus Ihrer Be-fürchtung geworden ist. Sie haben letztes Jahr im-mer gesagt: Mietpreisbremse, sehr schwierig, sehrproblematisch. Sie haben genau wie Herr Hamannimmer gesagt, das werde ganz übel werden.

Und Sie, Herr Hamann, haben in der letzten De-batte selbst gesagt, es gebe keinerlei Verfahren,die Ihnen bekannt seien. Auch Sie haben von derWirkung der Mietpreisbremse relativ wenig ge-merkt. Insofern hätte ich mich gefreut, wenn dieCDU eine Überweisung beantragt hätte. Ich habemir das gespart, weil ich wusste, dass der rot-grü-ne Zusatzantrag kommt. Aber, Herr Hamann, Siesind jederzeit frei, das zu machen; ich würde gernmit Ihnen, mit der FDP und vor allem mit Rot-Grünim Ausschuss diskutieren.

Wenn Sie sich nicht bewegen und immer sagen,Sie machten das im nächsten Jahr, bin ich mir si-cher, dass Sie nach der nächsten Bundestagswahlsagen werden, Sie hätten wieder keine Mehrheit.Sie sollten wenigstens einmal klar Farbe bekennenund hier in Hamburg alles versuchen, dass dieMieter und Mieterinnen ein besseres Leben haben,weil ihnen nicht so tief in die Tasche gegriffen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Antje Möller: Meine Damen undHerren, jetzt liegen mir keine weiteren Wortmel-dungen vor und wir kommen zur Abstimmung.

Wir beginnen mit dem Antrag der Fraktion DIE LIN-KE.

(Glocke)

Darf ich um ein bisschen mehr Aufmerksamkeit fürdie Abstimmung bitten? – Wir kommen zur Abstim-mung und beginnen mit dem Antrag der FraktionDIE LINKE aus Drucksache 21/5672.

Wer möchte diesem seine Zustimmung geben? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die-ser Antrag abgelehnt.

Nun zum gemeinsamen Antrag der Fraktionen derSPD und der GRÜNEN aus Drucksache 21/5854.Diesen möchte die AfD-Fraktion ziffernweise ab-stimmen lassen.

Wer möchte also nun zunächst Ziffer 1 anneh-men? – Hier die Gegenprobe. – Enthaltungen? –Damit ist Ziffer 1 angenommen.

Wer möchte sodann Ziffer 2 folgen? – Auch hierdie Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist auchZiffer 2 angenommen.

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(Heike Sudmann)

Wer möchte dann Ziffer 3 zustimmen? – Auch hierdie Gegenprobe. – Enthaltungen? – Auch Ziffer 3ist somit angenommen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 18und 62, den Drucksachen 21/4972 und 21/5113,Große Anfrage der FDP-Fraktion: Hamburgs Un-ternehmensbeteiligungen – welche Unternehmenbesitzt die Stadt und wie gut werden sie gesteuert?und Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜ-NEN: Hamburger Beteiligungsverwaltung gut auf-stellen und die Empfehlungen des Rechnungsho-fes umsetzen.

[Große Anfrage der FDP-Fraktion:Hamburgs Unternehmensbeteiligungen – Wel-che Unternehmen besitzt die Stadt und wie gutwerden sie gesteuert?– Drs 21/4972 –]

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜ-NEN:Hamburger Beteiligungsverwaltung gut aufstel-len und die Empfehlungen des Rechnungsho-fes umsetzen– Drs 21/5113 –]

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Wir beginnen mit dernächsten Debatte und ich bitte um etwas mehrAufmerksamkeit.

Die Fraktion DIE LINKE und die FDP-Fraktionmöchten die Drucksache 21/4972 an den Aus-schuss Öffentliche Unternehmen überweisen. Zu-dem liegt zur Drucksache 21/5113 vonseiten derCDU-Fraktion ebenfalls ein Antrag auf Überwei-sung an den Ausschuss Öffentliche Unternehmenvor.

Wer wünscht dazu das Wort? – Herr Kruse von derFDP-Fraktion, Sie bekommen es.

Michael Kruse FDP: Sehr geehrte Frau Präsiden-tin, meine Damen und Herren! Unter BürgermeisterOlaf Scholz hat sich ein Konglomerat von Unter-nehmensbeteiligungen entwickelt, das seinesglei-chen sucht. Seit 2011 ist die Anzahl der Beteiligun-gen um über 20 Prozent gestiegen. Dadurch ist ei-ne Komplexität entstanden, die für den Senat

(Jan Quast SPD: Die FDP-Fraktion eher!)

kaum mehr überschaubar und kontrollierbar ist.Der Senat verstrickt sich mit seiner planlosen Be-teiligungspolitik in immer größere Verantwortlich-keiten, denen er kaum noch gerecht werden kannund bei denen er das Risiko auch nicht mehr über-blickt. Längst hat ein schleichender Kontrollverlusteingesetzt, denn pro Mitarbeiter im Beteiligungs-

management werden immer mehr Unternehmenbetreut. So entfallen auf einzelne Mitarbeiter desBeteiligungsmanagements bis zu elf Aufsichtsrats-mandate. Eine tragfähige Kontrolle der einzelnenBeteiligungen ist so nicht möglich.

(Beifall bei der FDP und bei Norbert Hack-busch und Stephan Jersch, beide DIE LIN-KE)

Und noch schlimmer: Die Hamburgische Bürger-schaft kann die wachsenden finanziellen Risikenaußerhalb des Kernhaushalts – sie wurden vorhinschon angesprochen – kaum effektiv überwachen.Anfragen zu diesen Themen werden insbesonderebei den großen Hamburger Beteiligungen – mithinden großen Hamburger Risiken – HSH Nordbank,HHLA, Hapag-Lloyd mit dem Hinweis auf Geheim-haltung abgebügelt.

Reihenweise Fehler begehen städtische Unterneh-men zudem beim Vergabewesen. Bei zahlreichenMillionen-Vergaben wurde in städtischen Unter-nehmen nicht auf die Einhaltung der Regeln ge-achtet. Auffällig oft sind dabei Monopolisten wiedie HPA oder die Stadtentwässerung im Zentrumvon Vergabeproblemen; all das hat Ihnen derRechnungshof ins Stammbuch geschrieben.

(Arno Münster SPD: Das stimmt doch allesgar nicht!)

– Lieber Kollege Arno Münster, auch Sie solltenden Rechnungshofbericht einmal lesen, er ist ausdem Februar dieses Jahres. Sie haben heuteeinen Antrag dazu eingebracht.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Nicht zur Verga-be! Dazu haben wir keinen Antrag einge-bracht!)

Leidtragende dabei sind der Wettbewerb und dieSteuerzahler. Die stetige Ausweitung einer risiko-haften Staatswirtschaft unter Bürgermeister Scholzund seinem Finanzsenator Tschentscher ist ver-antwortungslos.

(Beifall bei der FDP)

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Scholz undseine Truppe schlechte Unternehmer sind.

(Wolfgang Rose SPD: Reißen Sie sich malam Riemen!)

Viele Hundert Millionen Euro Beteiligungswertewurden so schon versenkt. Die Dummen sind amEnde immer die Hamburger Bürger, denn sie be-zahlen die teuren Bruchlandungen von städtischenUnternehmen.

Und dann wundert es mich ganz besonders, undda möchte ich an die Haushaltsdebatte von vorhinnoch einmal anknüpfen, wenn der Senat bei Kos-ten, die entstehen, und bei Ausgaben, die entste-hen, zum Beispiel bei der HSH Nordbank auf soge-nannte Sondereffekte verweist. Das ist auch sehr

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2739

(Vizepräsidentin Antje Möller)

spannend in der Schriftlichen Kleinen Anfrage, dieich gestellt habe, in der das nämlich drinsteht. Dawird auf Sondereffekte verwiesen,

(Arno Münster SPD: Du musst wissen, wasdas ist!)

wenn die Stadt als Eigentümerin von Unternehmenam Ende die Zeche zahlt, wenn es nicht läuft. Mei-ne Damen und Herren, die Übernahme von Ver-antwortung aus einer Unternehmensbeteiligung istkein Sondereffekt, sondern das ist ganz normalesunternehmerisches Risiko. Und deswegen ist dieAntwort auf diese Anfrage, Herr Senator, gelindegesagt Mumpitz.

(Glocke – Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Antje Möller (unterbrechend):Herr Kruse, einen Moment bitte. Ich würde Ihnengern zu etwas mehr Aufmerksamkeit verhelfen. –Bitte fahren Sie fort.

Michael Kruse FDP (fortfahrend): Vielen Dank. –Es handelt sich also hierbei nicht um Sondereffek-te, sondern schlicht um die Verluste, die städtischeBeteiligungen nun einmal erzielen, und dass mandie übernehmen muss, ist eine Selbstverständlich-keit.

Man muss dazu sagen, dass wir auch noch anderePositionen im Haushalt haben, gerade bei den öf-fentlichen Beteiligungen, wo uns eben auch keinreiner Wein eingeschenkt wird. Beispielsweise ha-ben wir die Beteiligung zu Hapag-Lloyd mit34 Euro in den Büchern stehen. Herr Senator, keinprivates Unternehmen hätte das so hinbekommen.Kein Wirtschaftsprüfer hätte einem privaten Unter-nehmen das so durchgehen lassen.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Der HGV-Ab-schluss ist durch Wirtschaftsprüfer testiert!)

Der Börsenkurs liegt bei 16 Euro, wenn es geradeeinmal gut läuft, bei 17 Euro. Der langfristige Un-ternehmenswert – und da können Sie ganz genauhineinschauen – soll bei 28 Euro liegen, das sagenalle Beratungen.

(Arno Münster SPD: Du hast ja keine Ah-nung!)

Und Sie schreiben ernsthaft 34 Euro zu diesemUnternehmen in Ihre Bücher. Sie wissen sehr ge-nau, dass Sie diese 34 Euro nicht haben. Was Sieda machen, ist stille Reserven aufbauen und damitnatürlich auch kein echtes Bild von den Verlustender Hamburger Beteiligungen zeichnen.

Schauen wir uns einmal im Detail an, wie eigent-lich die Steigerungen zustande gekommen sind.Das ist ganz interessant. Der Kollege Schreiber hatdazu in der Replik ein Interview gegeben und ge-sagt, das liege nur daran, dass neuerdings die klei-nen Beteiligungen ausgewiesen würden. Dazu

kann ich nur sagen: Ja, das stimmt – teilweise.Warum stimmt es nur teilweise? Das gilt für dasJahr 2015. Aber auch in den Jahren davor, seit2011 – genau seitdem Sie regieren –, ist die An-zahl der städtischen Unternehmen ausgeweitetworden, Jahr für Jahr. Schauen Sie in die Anlage 1meiner Großen Anfrage, dann werden Sie auchdas feststellen. Also, bleiben Sie bei der Realität.

Interessant ist, der Rechnungshof hat Ihnen insStammbuch geschrieben, dass Sie endlich ein or-dentliches Beteiligungskonzept vorlegen sollen, ei-ne programmatische Grundlage dafür. Aber genaudas machen Sie jetzt nicht, genau das fordern Sie,liebe rote und grüne Fraktion, von Ihrem Senatnicht ab. Es ist aus meiner Sicht löblich, dass Rot-Grün einen Antrag zu diesem Thema einbringt undden Senat auffordert, sich mit seinen Beteiligungenauseinanderzusetzen. Nur, wenn der Senat aus-schließlich dazu aufgefordert wird, einmal zu über-prüfen, ob er denn in der Vergangenheit alles rich-tig gemacht hat und ob er alles richtig macht, dannkann ich Ihnen die Antwort schon sagen. Es wirddabei keine Überraschung herauskommen. Inso-fern ist Ihr Antrag ehrlich gesagt ein zahnloser Ti-ger. Herr Tschentscher hat vorhin schon gesagt,dass er da nicht heran möchte. Genau das ist derGrund, warum wir in Sorge sind, ob das Geld derSteuerzahler bei Ihnen eigentlich in den richtigenHänden ist.

Wir würden gar nicht sagen, dass Sie all die Ver-luste – und es sind immer noch dreistellige Millio-nen-Verluste jedes Jahr, die im Hamburger Haus-halt aus städtischen Beteiligungen stehen – zu ver-antworten haben, Herr Tschentscher. Selbstver-ständlich haben auch die Vorgängersenate geradebei den Verlusten bei der HSH Nordbank ihren Teildazu beigetragen. Nur: Was ist denn die Konse-quenz daraus? Die Frage ist doch, was die Konse-quenz daraus ist. Die Konsequenz daraus, dassmöglicherweise auch Vorgängersenate eine Ver-antwortung tragen, kann doch nicht sein, dass Siesagen, Sie gingen überhaupt nicht an die Beteili-gungen heran. An dieser Stelle machen Sie nichteinmal das, was der Rechnungshof von Ihnen for-dert. Ehrlich gesagt: Ob wir den Rechnungshofund dessen Arbeit schätzen, entscheidet sich nichteinmal im Jahr, ganz am Ende des Jahres, wennhier ein Dank vorgelesen wird und alle im Hauskräftig applaudieren, sondern es entscheidet sichin den 364 Tagen dazwischen, ob wir seine Arbeiternst nehmen und seine Hinweise auch aufneh-men. Sie nehmen nur sehr wenige dieser Hinweiseauf. Deswegen werden wir diese Drucksache wei-ter im Ausschuss beraten müssen, weil wir dieHoffnung haben, dass daraus dann noch ein paarmehr Arbeitsaufträge für den Senat erwachsenund wir diese programmatische Grundlage endlicherhalten.

Wir fordern: Die Stadt soll alle städtischen Beteili-gungen abstoßen, die nicht der Daseinsvorsorge

2740 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Michael Kruse)

dienen oder ein strategisches Interesse haben.Wenn Sie das nachweisen können, sind wir offendafür. Deswegen freuen wir uns auch auf die De-batte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Antje Möller: Herr Schreiber vonder SPD-Fraktion bekommt nun das Wort.

(Vizepräsidentin Christiane Schneider über-nimmt den Vorsitz.)

Markus Schreiber SPD: Frau Präsidentin, meineDamen und Herren! Der Rechnungshof hat in ver-dienstvoller Art und Weise einen Jahresbericht2016 geschrieben, in dem er sich in großen Teilenmit der Beteiligungsverwaltung auseinandersetzt.Das ist, glaube ich, sehr vernünftig und gut gewe-sen, das muss man loben und sich dafür bedan-ken.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Thema der Beteiligungsverwaltung ist, wieman nachlesen kann, sehr wichtig. Aus dem Be-richt des Rechnungshofs geht hervor, dass die Un-ternehmensbeteiligung, die wir in dem Beteili-gungsbericht 2014 haben, eine Bilanzsumme von29 Milliarden Euro mit 58 000 Mitarbeiterinnen undMitarbeitern – das sind mehr Mitarbeiterinnen undMitarbeiter, als es ansonsten in der Freien undHansestadt Hamburg gibt – und eine jährliche In-vestitionssumme von 1,3 Milliarden Euro im Jahraufweist, das ist doppelt so viel wie der Rest derStadt investiert. Insofern würde ich sagen, ist dieBeteiligungsverwaltung, wenn man sich diese ins-gesamt ansieht, mindestens halb Hamburg, wennnicht mehr. Es ist klug und richtig, darauf einen ge-nauen Blick zu richten, und zwar nicht nur durchden Rechnungshof, sondern natürlich auch durchden Ausschuss Öffentliche Unternehmen. Deswe-gen haben wir, anders als Sie es eben dargestellthaben, die Empfehlung des Rechnungshofs aufge-griffen und gesagt, das, was da empfohlen wird– ich kann das einmal aus diesem Bericht zitie-ren –,

"Der Rechnungshof hält eine solche mög-lichst zeitnahe und die gesamte Beteili-gungsverwaltung umfassende Organisati-onsuntersuchung für erforderlich. Dabei soll-te neben der Frage nach den für die Verwal-tung der städtischen Beteiligungen ange-messenen Ressourcen auch untersucht wer-den, ob die Prozesse und Strukturen wirt-schaftlich und geeignet sind, die von derFHH und ihren Beteiligungen verfolgten poli-tischen, strategischen und operativen Zielezu erreichen."

wollen wir umsetzen. Diese Empfehlung hat die Fi-nanzbehörde in ihrer Stellungnahme zum Rech-nungshofbericht befürwortet und sie für sinnvoll ge-

halten. Wir greifen diese Idee heute auf, habenden Antrag dazu formuliert und gesagt, dass wirdas haben wollen. Wir wollen gern eine Organisati-onsuntersuchung, und zwar nicht durch den Senat,Herr Kruse, wie Sie es eben dargestellt haben,sondern durch eine unabhängige dritte Firma, diefür Geld beauftragt wird und diese Untersuchungdurchführt. Ich glaube, wir als Bürgerschaft sindabsolut klug beraten, diese Organisationsuntersu-chung zu beauftragen, im Ausschuss zu begleitenund am Ende allerdings auch dafür zu sorgen,dass die Empfehlungen, die wir diskutieren müs-sen, wenn sie richtig und gut sind, umgesetzt wer-den. Das wird der schwierige Teil der Operationwerden.

Nicht richtig ist Ihre Darstellung, die Sie jetzt, ichweiß nicht warum, aufgrund Ihrer Großen Anfrageund auch aufgrund unseres Antrags gewählt ha-ben, dass massenhaft öffentliche Unternehmengeschaffen und wir mit Herrn Scholz an der SpitzeGeld vergeuden würden; das ist dummes Zeug.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

In Wahrheit wissen Sie das. Ich habe in den Medi-en gesagt, ein Teil der Zuwächse bei den öffentli-chen Unternehmen sei darauf zurückzuführen,dass jetzt auch Beteiligungen unter 20 Prozent mit-gezählt werden. Deswegen sind über 100 Unter-nehmen hinzugekommen. Was verstehen wir untereinem Unternehmen? Wir haben heute 101 Unter-nehmen, also nicht über 400 oder 460.

Kommen wir zum eigentlichen Kern, nämlich zuder Frage, ob es gut oder nicht gut ist, ein öffentli-ches Unternehmen zu haben. Ich sage, in der Re-gel ist es gut. Wir müssen genau hinsehen, wassie machen. Wir haben in der Vergangenheit gese-hen, dass es bei einem Unternehmen, das heuteschon einige Male zitiert wurde, nämlich bei derHSH Nordbank, nicht immer so klappt und dasSteuerungssystem vielleicht noch optimierbar ist.

(Katja Suding FDP: Das sind ja Kleinigkei-ten!)

Das Steuerungssystem und das Kontrollsystem füröffentliche Unternehmen muss man so gestalten,dass so etwas auf jeden Fall nicht wieder vor-kommt. Das ist richtig. Aber ich glaube, dass öf-fentliche Unternehmen an vielen Stellen eine hoheBerechtigung haben und dass das, was Sie gesagthaben, nämlich erst einmal alle abstoßen,

(Michael Kruse FDP: Das habe ich nicht ge-sagt!)

keine Lösung ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist nicht die Lösung, die wir brauchen, sondernwir gehen da anders ran. Wir brauchen immer eineBegründung. Ein öffentliches Unternehmen hatdann eine Begründung, wenn private es nicht ma-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2741

(Michael Kruse)

chen können. Wir müssen Zielvorgaben machen,aus denen hervorgeht, was wir für die Freie undHansestadt Hamburg brauchen und weshalb esein öffentliches Unternehmen machen muss. Dasist aber in der Regel der Fall. Zufälligerweise habeich heute mit einem Vorstandsmenschen eines öf-fentlichen Unternehmens gesprochen, der aus ei-ner anderen Stadt hierhergekommen ist. Er sagte– das ist ein bisschen ein Kontrapunkt zu dem,was Sie gesagt haben –, im Gegensatz zu demanderen Bundesland, in dem er früher gearbeitethabe und jetzt hierhergekommen sei, um ein öf-fentliches Unternehmen zu leiten, seien die Kulturder öffentlichen Unternehmen und insgesamt dieBeteiligungsverwaltung hier viel besser aufgestelltals in anderen Ländern.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei denGRÜNEN – Wolfgang Rose SPD: Ja, ge-nau!)

Auch im Rechnungshofbericht steht, dass das Ver-antwortungsmodell, insbesondere das erweiterteVerantwortungsmodell, in der Regel funktioniere.Das konnte man Ihren Ausführungen nicht voll-ständig entnehmen. Auch wenn es im Grunde gutfunktioniert, sagen wir, dass es sich aufgrund derBedeutung, der Größe der Beteiligungsverwaltungund der öffentlichen Unternehmen und Beteiligun-gen insgesamt lohnt, da genau draufzugucken. Eslohnt sich, eine Organisationsuntersuchung durch-zuführen, für die wir dem Senat bis Ende nächstenJahres Zeit geben. Dann wollen wir aber auchnicht vom Senat, sondern von dem von uns beauf-tragten Unternehmen Ergebnisse haben.

(Michael Kruse FDP lacht: Ich dachte derSenat macht das!)

– Ich glaube nicht, dass, nur weil ein Unternehmenbeauftragt wird, es nicht das schreibt, was es auchmeint. Das ist ja das, was bei Ihnen dahintersteht.

Natürlich muss man ein ordentliches Unternehmenbeauftragen, das diese Untersuchung absolut un-abhängig durchführt und uns Hinweise gibt, die wirdann zu bewerten und am Ende auch umzusetzenhaben, um die Steuerung der Beteiligungsverwal-tung zu gewährleisten. Das ist eine große Aufga-be. 29 Milliarden Euro Bilanzsumme, 58 000 Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter, 1,3 Milliarden Euro In-vestitionssumme, das sind ja schon Zahlen, die ei-nem auch ein bisschen Ehrfurcht einflößen sollten.Insofern sind wir gut beraten, den Antrag heute zubeschließen und nicht erst an den Ausschussüberweisen. Wir werden ihn aber – das ist, glaubeich, auch richtig – im Nachhinein in den Ausschussüberweisen, damit er dort weiter diskutiert werdenkann. Wir werden Ihre Große Anfrage an den Aus-schuss überweisen, weil es nie schadet, wenn manmöglichst viele Daten hat, um Themen zu diskutie-ren. Das halte ich für richtig und stehe dazu, dassman nicht alles ablehnt, nur weil es von der FDPkommt.

(Beifall bei der FDP – Anna-Elisabeth vonTreuenfels-Frowein FDP: Das ist eine guteIdee!)

Immerhin sind die Hälfte der Großen Anfrage jaauch Antworten, die ja nicht schlecht sein müssen.Insofern kann man das, finde ich, schon diskutie-ren. Ich bitte Sie darum, unserem Antrag zuzustim-men und ihn und die Große Anfrage der FDP an-schließend an den Ausschuss zu überweisen, indem wir das weiterhin fachlich diskutieren wer-den. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Schreiber. – Herr Kleibauer von derCDU-Fraktion, Sie haben jetzt das Wort.

Thilo Kleibauer CDU:* Frau Präsidentin, meineDamen und Herren! Ich glaube, wir sind uns darineinig, dass die öffentlichen Unternehmen für dieStadt, für die Finanzen dieser Stadt, von überra-gender Bedeutung sind. Es gibt sehr unterschiedli-che öffentliche Unternehmen, wir haben klassischekommunale Unternehmen, wir haben Sonderfälle,Banken, Reedereien et cetera im Portfolio, die teil-weise schon angesprochen worden sind. Wir ha-ben relativ viele Aktivitäten im Immobilienbereich.Wir haben einige Zweckgesellschaften, die garnicht mehr für den Zweck vorhanden sind, für densie eigentlich gegründet worden sind, sondern einfröhliches Eigenleben führen. Darüber kann manlang und breit reden, aber in der letzten Legislatur-periode haben wir die richtige Entscheidung getrof-fen, dafür einen eigenen Ausschuss einzusetzen.

(Beifall bei Michael Kruse FDP und Dr. An-jes Tjarks GRÜNE)

Die Ausschussmitglieder haben geklatscht; das fin-de ich gut.

Das Gute ist, dass es einheitliche Vorgaben für dieöffentlichen Unternehmen gibt. Das Schlechte ist,dass sie nicht weiterentwickelt, nicht gepflegt undnicht eingehalten werden. Das Gute ist, dass esZielvorgaben, Zielbilder für die öffentlichen Unter-nehmen gibt. Das Schlechte ist, dass sie völlig ver-altet sind. Ich glaube, dass seit 2011, also seitdemdieser Bürgermeister im Amt ist, für kein wesentli-ches Unternehmen das Zielbild geändert wordenist. Sie sagen immer, Sie machten mit der SA-GA GWG jetzt etwas ganz Tolles, etwas ganz an-deres, aber das Zielbild stammt vom alten Senatvon 2009 oder 2010. Also, so schlecht kann es da-mals doch gar nicht gewesen sein.

(Beifall bei Ralf Niedmers CDU)

Es gibt in vielen Fällen kein einheitliches Risikoma-nagement. Es gibt auch viele Fälle, das kann mananhand vieler Einzelfälle dokumentieren, bei de-nen die Kontrolle der öffentlichen Unternehmen

2742 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Markus Schreiber)

stark vernachlässigt ist. All das, Herr SenatorTschentscher, ist auch ein Versäumnis von Ihnen,der Sie nun seit 2011 die zentrale politische Ver-antwortung für das Beteiligungsmanagement indieser Stadt tragen.

Der Rechnungshof hat in seinem diesjährigen Jah-resbericht die Mängel im Beteiligungsmanagementmassiv kritisiert. Aber, Herr Schreiber, einmal ehr-lich, wir kennen diese Mängel nicht erst seit demJahresbericht 2016 des Rechnungshofs. VieleMängel, viele Kontrollverluste sind seit Jahren be-kannt. Wir hatten viele Fälle, Hamburger Friedhöfe,bei denen die Finanzbehörde sich seit Jahren mitder Umweltbehörde streitet und nebenbei nochversäumt hat, ihren eigenen Platz im Aufsichtsratnachzubesetzen. Wir hatten das Thema serv-Count, ein Tochterunternehmen der Wasserwerke,bei dem einmal eben zweistellige Millionenverlustemit irgendeiner komischen Geschäftsidee entstan-den sind. Wir hatten das sehr eigenwillige Verfah-ren bei der Nachbesetzung von Herrn Elster alsHochbahnchef, bei der die Finanzbehörde fröhlichausgegrenzt worden ist. Nein, Herr Schreiber, daswussten wir nicht erst seit 2016, wir wussten dasseit vielen Jahren. Da besteht Handlungsbedarfund das wurde von diesem Finanzsenator bislangversäumt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich finde Organisationsuntersuchungen durchausgut,

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Also, Zustim-mung!)

wobei ich trotzdem, Herr Tjarks, den Antragschlecht finde. Ein Grundübel vieler Organisations-überprüfungen ist im Übrigen, dass das Amt, dasüberprüft werden soll, häufig selbst den Auftragvergibt. Ob dabei immer so etwas Schlaues he-rauskommt, sei einmal dahingestellt. Auch dasspricht dafür, dass wir uns das genau im Aus-schuss ansehen, ehe wir es als Schnellschuss aufden Weg bringen.

Darüber hinaus hat die Finanzbehörde schon inder letzten Legislaturperiode mehrfach gesagt, die-se Organisationsüberprüfung werde jetzt durchge-führt. Als jemand, der auch in der letzten Legisla-turperiode dabei war, fühle ich mich von den An-tragstellern veralbert. Ich zitiere aus einer Drucksa-che aus dem Jahr 2012, in der der Senat schreibt:

"Unterschiedliche Entwicklungen geben An-lass, das Gesamtsystem der Verfahren undMethoden im Beteiligungsmanagement so-wie deren Organisationen, Fachbehördenund Finanzbehörde auf seine Zukunfts- undLeistungsfähigkeit hin zu überprüfen und ge-gebenenfalls zu optimieren. Dem Senat sollbis zum 31. Dezember 2012 berichtet wer-den."

31. Dezember 2012. Ich habe dann, wie sich dasfür einen guten Abgeordneten gehört, Herr Tjarks,im Januar 2013 einmal nachgefragt, was denn da-raus geworden sei.

"Der Abschluss der Überprüfung sowie einentsprechender Bericht an den Senat sindfür das erste Halbjahr 2013 vorgesehen. DerBericht wird auch Handlungsoptionen zurOptimierung der Beteiligungssteuerung ent-halten."

Also schon 2013 wusste der Senat, dass es Hand-lungsbedarf gibt. Auf die Nachfrage nach Mitte2013 antwortete der Senat regelhaft mit dem Text-baustein:

"Die Überlegungen sind noch nicht abge-schlossen."

Wenn Sie dann heute noch mit so einem Antragkommen und der Senat als Reaktion auf denRechnungshofbericht behauptet, er ändere nun al-les, dann fühle ich mich wirklich sehr veralbert

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Klar, eine solche Untersuchung kann man immermachen. Ich bin dafür, dass wir sie gründlich vor-bereiten. Dafür haben wir jetzt, wenn das Ganzeseit 2012 geplant ist, auch noch die ein, zwei Mo-nate Zeit, das im Ausschuss zu machen. So eineUntersuchung ersetzt nicht politische Entscheidun-gen. Wir haben den Rechnungshofbericht ja auchim Rechnungsprüfungsausschuss beraten.

Die zentrale politische Fragestellung ist doch, obwir eine starke Finanzbehörde wollen oder ob unsdas egal ist. Dazu mag jeder aus seinem Fachbe-reich vielleicht unterschiedliche Auffassungen ver-treten. Aber wenn wir zentrale Vorgaben für dieBeteiligungssteuerung haben, dann muss einezentrale Beteiligungsverwaltung diese auch umset-zen. Wenn uns jetzt die Finanzbehörde erzählt, siesei nur für die Vorgaben, aber nicht für deren Ein-haltung zuständig und sehe sich das nachträglichnicht an, dann ist das schwach. Das sind politischeEntscheidungen, die geklärt werden müssen, be-vor wir diese Organisationsuntersuchungen star-ten.

(Beifall bei der CDU)

Ein letzter Punkt zu Ihrem Antrag: Ich finde esnicht so geschickt, wenn wir als Bürgerschaft sinn-gemäß in den Antrag schreiben, der Senat solledie geeigneten Unterlagen und Informationen prü-fen, die die Bürgerschaft bekommt. Auch dazu soll-ten wir uns vorher eine Meinung bilden. Über Be-richtspflichten an die Bürgerschaft gibt es bereitseine umfangreiche Beschlusshistorie. Das solltenwir nicht mit einem Schnellschussantrag wegdele-gieren und dann diesen Antrag beschließen undjahrelang warten, bis der Senat darauf antwortet. –Vielen Dank.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2743

(Thilo Kleibauer)

(Beifall bei der CDU und bei Carl-Edgar Jar-chow FDP)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Kleibauer. – Jetzt hat Herr Dr. Tjarksvon der GRÜNEN Fraktion das Wort.

Dr. Anjes Tjarks GRÜNE:* Frau Präsidentin, mei-ne Damen und Herren! Wir sind uns darin einig,dass die öffentlichen Unternehmen mit 58 600 Be-schäftigten von 114 000 Beschäftigten des Kon-zerns Hamburg, einem Investitionsvolumen von1,3 Milliarden Euro – doppelt so viel wie der Kern-haushalt – und mit 40 Prozent der Bilanzsummeder Freien und Hansestadt Hamburg sehr sorgfäl-tig betrachtet werden sollten. Ich glaube, dass wiruns in der Sache nicht so uneinig sind, in welcheRichtung das gehen sollte. Insofern kann man vie-les, was gesagt worden ist, abschichten.

Aber, Herr Kruse, der zentrale Knackpunkt der De-batte, die Sie aufgemacht haben, ist die Frage, obwir eigentlich öffentliche Unternehmen wollen, undwenn ja, wohin diese geführt werden sollen. Ichsah mir Ihren Antrag zum letzten Landesparteitagan, in den Sie folgenden Satz hineingeschriebenhaben:

"Nur bei Beteiligungen, die Aufgaben erfül-len, für die es keinen Markt gibt oder sichdieser regulatorisch nicht herstellen lässt,kann auf eine Veräußerung verzichtet wer-den. Andernfalls werden wir privatisieren,insbesondere wenn dies aus ordnungspoliti-schen Gründen geboten ist."

In diesem Satz steckt doch die eigentliche Spreng-kraft der Debatte, denn mit diesem Satz, Wohnensei ein Markt, sagen Sie doch, dass Sie SAGAGWG privatisieren wollen. Genau das steht indiesem Satz, auch wenn Sie jetzt den Kopf schüt-teln. Das steht in Ihrem Leitantrag, Sie haben eseben noch einmal gesagt. Dann müssen Sie docheinmal den Hamburgerinnen und Hamburgern rei-nen Wein einschenken, indem Sie sagen, Sie alsFDP möchten SAGA GWG privatisieren. Ich haltedas für falsch.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das, was Sie möchten, ist falsch für diese Stadt.Es gibt noch andere Unternehmen, die einen Markthaben, die HHLA zum Beispiel.

(Michael Kruse FDP: Da waren Sie auch malprogressiver!)

Das ist ein großer Markt. Man kann sich darüberstreiten, ob das eine staatliche Dienstleistung seinsoll. Aber wenn Sie, Herr Kruse, jetzt sagen, Siewollen sie privatisieren, dann kann ich nur sagen,dass schon einmal HHLA-Anteile für 1,16 Milliar-den Euro privatisiert wurden. Das Gesamtvolumendes Wertes der HHLA ist momentan 1,03 Milliar-

den Euro. Ich weiß nicht, ob Sie nicht dann einfachsagen würden, wir würden öffentliches Vermögenan dieser Stelle verschleudern, weil die HHLA andieser Stelle unterbewertet ist. Auch das wäre totalfalsch unabhängig von der Frage, ob es sinnvoll istoder nicht. Auch da fahren Sie eine Strategie, dienicht nachvollziehbar ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD –Katja Suding FDP: Weil Sie es nicht verstan-den haben, Herr Tjarks!)

Dann haben wir das Thema Hapag-Lloyd. Auch beidiesem Thema haben Sie wieder gesagt, auchwenn der Wirtschaftsabschluss der HGV durchWirtschaftsprüfer testiert wird, also nicht ganz un-rechtmäßig sein kann, es gebe eine Differenz inder Bewertung der Aktien in den Büchern und derrealen Bewertung an der Börse. Sie sagen, wirsollten das jetzt auch verkaufen. Sagen Sie, wirsollten diese Verluste realisieren und dann nichtmehr die Sicherheit haben, dass das Unternehmenam Standort bleibt? Was sagen Sie eigentlich inder Konsequenz dazu, außer dass das alles über-haupt keinen Sinn macht? Wir werden die weitereFusion mit UASC beraten. Aber das ist keine Stra-tegie, wie man öffentliche Unternehmen in Ham-burg führt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD - Mi-chael Kruse FDP: Das haben Sie vor derWahl doch auch noch erklärt!)

– Ich habe nicht erklärt, dass man Hapag-Lloydverkaufen soll, ich habe erklärt, dass ich die zweiteTranche nicht gekauft hätte.

Aber man muss doch damit umgehen, was manmit den gekauften Aktien macht. Man muss dochzur Kenntnis nehmen, dass wir mit der Fusion vonUASC jetzt auf, ich weiß nicht genau, 14 Prozentdes Gesamtanteils schrumpfen. Und wenn wir un-ter 10 Prozent kommen, kann man den Hauptsitzaus Hamburg verlagern. Aber genau das wollenwir doch nicht. Wir wollen doch gemeinsam, dassHapag-Lloyd in Hamburg bleibt. Insofern ist dochder Verkauf keine Option.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt beider SPD)

In der Sache ist es, glaube ich, klar. Wie Herr Klei-bauer gesagt hat, ist die Beteiligungsverwaltung ei-ne komplexe Angelegenheit. Es gibt aus unter-schiedlichen Gründen mehr Unternehmen, es gibteinen leichten Anstieg an Vollzeitkräften, die sichum die Betreuung dieser Unternehmen kümmern,und es wird natürlich auch darum gehen, die Betei-ligungssteuerung neu einzurichten. Es geht um dieFrage, welchen Wert die Fachlichkeit und die fi-nanzielle Kraft haben. Insofern ist dieser Antragder Auftakt, nicht nur für ein Gutachten zu sorgen,sondern nach dem Gutachten stehen auch Ent-scheidungen an. Ich würde mir wünschen, dass wiruns diesbezüglich möglichst gemeinsam auf den

2744 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Thilo Kleibauer)

Weg machen. Deswegen werden wir diesen An-trag und auch Ihre Große Anfrage an den Aus-schuss überweisen, obgleich ich das inhaltlich an-ders sehe. Aber wir sollten gemeinsam für eine Ri-sikominimierung sorgen, auch wenn wir beim Wohlund der Sinnhaftigkeit der öffentlichen Unterneh-men möglicherweise sehr weit auseinanderliegen.– Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Dr. Tjarks. – Herr Hackbusch von derFraktion DIE LINKE hat jetzt das Wort.

Norbert Hackbusch DIE LINKE:* Vielen Dank,Frau Präsidentin! Herr Tjarks hat eben das großeThema aufgemacht, mit dem zumindest der männ-liche Teil der FDP nach der Sommerpause diegroßen Prinzipiendiskussionen aufgemacht hat:Keine Staatswirtschaft mehr in Hamburg, die Woh-nungswirtschaft solle frei organisiert werden. Ichglaube nicht, dass das eine Lösung für Ihre Kriseist, die Sie in den nächsten Monaten haben wer-den. Aber das sollte jetzt kein großes Thema sein.

Wir müssen ernsthaft über das Problem der Beteili-gungsverwaltung diskutieren. Darauf ist HerrTjarks auf die schöne Rede von Herrn Kleibauerhin, der die Genese des Antrags aufgezeigt hat,überhaupt nicht eingegangen. Der Antrag ist dreiJahre alt, wird jetzt noch einmal ausgepackt undals etwas Neues dargestellt. Das hat mit seriöserPolitik nichts zu tun. Dazu kann ich nur sagen, tutmir leid, das ist eigentlich eine gute Idee, aber mankann ja einmal auf sie eingehen.

Ich möchte kurz auf die zwei wichtigen Themen zusprechen kommen. Erstens: Was ist mit derHSH Nordbank schiefgegangen? Zur Erinnerung:Die krisenhafte Entwicklung der HSH Nordbankfand zwar noch unter öffentlicher Beteiligung statt,aber der Sprung in die Privatisierung war bereitsvorgenommen worden. 25 Prozent sind damalsschon privatisiert worden. Man hat die Gewährträ-gerhaftung riesig aufgebläht, um diesen großenPrivatisierungsschritt zu machen. Das heißt, es istweniger eine Bilanz von öffentlicher Beteiligung alsvielmehr eine Bilanz von Privatisierung schiefge-gangen. Darüber müssen wir meiner Meinungnach anders diskutieren. Hätte die HSH Nordbankwie die Bremer Landesbank agiert, wäre das eineandere Situation gewesen. Dann hätte es nichtdiese Katastrophen gegeben, die wir gegenwärtigzu verdauen haben.

Zweitens möchte ich etwas zum Thema Elbphilhar-monie ausführen, denn die Elbphilharmonie wirdgern als Beispiel dafür angeführt, dass öffentlicheUnternehmen damit nicht umgehen können. Wirhaben das im Parlamentarischen Untersuchungs-ausschuss genau untersucht und festgestellt, dassman für die Organisation der Elbphilharmonie Pri-

vate hinzugezogen hat, um den gesamten Staats-apparat möglichst zu umgehen. Das ist kein typi-sches Beispiel dafür, wurde aber als typisches Bei-spiel für ÖPP, also öffentlich-private Partnershipgenannt. Das und nicht die staatliche Beteiligungist in die Hose gegangen. Von daher taugen diesebeiden Bereiche nicht als Beispiele, auch wenn diestaatliche Beteiligung immer zu Fehlern führenkann und das durchaus ein wichtiger Bereich ist.

Die Schlussfolgerungen aus diesen Beispielenmüssen sein, dass wir eine enge politische Steue-rung von öffentlichen Unternehmen haben müs-sen. Dafür müssten Sie sich ein bisschen kritischermit dem Rechnungshofbericht auseinandersetzen,denn der Rechnungshofbericht nennt Ihnen dreikritische Punkte: Erstens: Wir steuern die öffentli-chen Unternehmen über Zielbilder. Das machenSie, wie der Rechnungshof deutlich festgestellthat, aber nicht. Die Zeitbilder sind in weiten Berei-chen nicht entwickelt, nicht aktualisiert und es wirdnicht aktiv danach gehandelt. Das heißt, die ge-samte politische Steuerung findet diesbezüglichnicht statt. Das ist das erste Entscheidende, daswir kritisch diskutieren müssen.

Zweitens – das hat Herr Kleibauer schon deutlichdargestellt – sind die Ressourcen kaum vorhan-den, um das wirklich kontrollieren zu können. Ichwill Ihnen das als praktisches Beispiel nennen,über das wir alle uns geärgert haben. Das war die-se 140-Millionen-Euro-Geschichte, die von HPAund einem Unternehmer, dessen Namen egal ist,in Steinwerder versenkt worden ist. Sie alle kennendieses Beispiel. Bei der Untersuchung dieses Fallsbestand doch die Schwierigkeit des Rechnungs-hofs darin, festzustellen, dass es zu den Vorberei-tungen der Aufsichtsratssitzung der HPA in derWirtschaftsbehörde noch nicht einmal Unterlagendarüber gab, dass wir das kontrollieren konntenund nicht einmal eine Ahnung davon hatten, wasdort geschehen ist. Dort ist keine politische Steue-rung, sondern ein Desaster geschehen.

(Arno Münster SPD: Das war doch der CDU-Kollege! Das müssen Sie nicht der SPD vor-werfen!)

– Ja, ich sage doch nur, dass die Situation der Be-teiligungsverwaltung sich seitdem nicht verbesserthat. Ich befürchte, dass wir an verschiedenenPunkten solche Situationen, wie sie auch derRechnungshof festgestellt hat, bekommen werden.Dementsprechend ist an dieser Stelle etwas zumachen.

Von daher ist das, was Sie machen, ein kleinerSchritt voran; er ist überfällig, wird aber nicht aus-reichen. Wir brauchen eine stärkere Entwicklungvon Zielbildern, denn nur so sind wir in der Lage,öffentliche Unternehmen so zu steuern, dass es zuden anvisierten Ergebnissen kommt.

Ein Beispiel für Arno Münster:

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2745

(Dr. Anjes Tjarks)

(Arno Münster SPD: Ja, gern!)

Worin bestand denn die Steuerung des Staats imZusammenhang mit der HHLA in den letzten Mo-naten? Die HHLA hat einen wichtigen Teil, die Lo-gistik, mehr oder weniger abgestoßen.

(Arno Münster SPD: Halt mal den Ball einbisschen flach!)

– Das hat sie doch so gemacht. Das können wirnoch einmal genauer diskutieren.

Ich merke, er hört gar nicht mehr zu, auch wennman ihn dazu anspricht. Deswegen lasse ich dasan dieser Stelle und wünsche Ihnen noch einenschönen Abend.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Hackbusch. – Frau Oelschläger vonder AfD-Fraktion, Sie haben das Wort.

Andrea Oelschläger AfD: Sehr geehrte Frau Prä-sidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es istschon sehr viel Richtiges gesagt worden. Öffentli-che Unternehmen sind nichts per se Schlechtes.Das Gegenteil kann der Fall sein. In einem Unter-nehmen gibt es klare Verantwortlichkeitsbereiche.Personal wird nicht nach Parteibuch, sondern nachKompetenz eingestellt, zumindest sollte das sosein, und straff von Fachleuten unter Aufsicht derBehörde geführt. Unter diesen Voraussetzungenist ein öffentliches Unternehmen einer Verwaltunggrundsätzlich vorzuziehen. Öffentliche Unterneh-men können deutlich effizienter sein als Behörden.Auch gibt es gute Gründe, wenn zum Beispiel dieMehrheit der Bevölkerung per Volksentscheid be-stimmt, dass bestimmte Aufgaben unter hoheitli-cher Verwaltung für die Gründung öffentlicher Un-ternehmen auszuüben sind. Der Staat sollte sicheinerseits nicht aus den Kerngebieten staatlicherDaseinsvorsorge zurückziehen. Hier sind in vielenFällen nicht unmittelbar hoheitliche Aufgaben inder Organisation eines Unternehmens vorzuzie-hen. Was der Staat aber andererseits auch nichtmachen sollte, ist, sich als der bessere Unterneh-mer zu sehen.

Jenseits der genannten Kerngebiete staatlicherDaseinsvorsorge ist die Privatwirtschaft erfolgrei-cher. Hauptaufgabe des Staats ist das Schaffenpassender Rahmenbedingungen für das Wirt-schaften. Dies vorausgeschickt, ergeben sich wich-tige Schlüsse aus der Senatsantwort auf die Anfra-ge.

Auch eine große Anzahl von öffentlichen Unter-nehmen ist vom Grunde her unproblematisch. Be-dingung ist, dass die Unternehmen sich an die Vor-gaben der Stadt halten und kontrollierbar sind. DerRechnungshof hat in seinem Bericht 2016 zurechtmoniert, dass sich nicht alle öffentlichen Unterneh-

men an diese Vorgaben halten. Als Beispiel wurdedie Gründung einer im Ausland befindlichen Be-triebsstätte angeführt, die dann einmal schnell800 000 Euro Verlust einfuhr. Sie überraschte da-mit die Hauptniederlassung und den Senat. DerHamburger Steuerzahler musste diesen Verlustausgleichen, obwohl die ausländische Niederlas-sung gar nicht hätte gegründet werden dürfen. Die-ses Beispiel zeigt, wie wichtig die Einhaltung vonRegeln und Überwachung der städtischen Unter-nehmen und Beteiligungen ist.

Weiterhin ist Transparenz wichtig. Transparenz ge-genüber der Bürgerschaft und gegenüber den Bür-gern. Hier darf nicht einmal der Verdacht aufkom-men, dass in der Vielzahl der Beteiligungen Haf-tungsrisiken versteckt werden sollen – keineSchattenhaushalte.

Noch einmal: Der Staat ist grundsätzlich einschlechter Unternehmer. Ich darf an dieser Stelledas Bundeskartellamt zitieren:

"Wenn die öffentliche Hand wirtschaftlich tä-tig wird, sollte sie ihre Beweggründe und diemit der wirtschaftlichen Betätigung verbun-denen Vor- und Nachteile vor der Entschei-dung transparent und damit abwägbar ma-chen."

– Zitatende –

Ich möchte hinzufügen, dass die Notwendigkeitstädtischer Unternehmertätigkeit regelmäßig neuzu überprüfen ist. Gerade in einer Stadt, die überJahrhunderte vor allem auch von privatwirtschaftli-chem Engagement profitiert hat und mit ihm ge-wachsen ist, sollte der Senat sich perspektivischvon allen nicht notwendigen Beteiligungen trennen.Das heißt nicht, dass man nach dem Motto, einWohnungsbauunternehmen sei nicht notwendig,handelt. Das heißt nur, dass man das überprüfenmuss. In diesem Zusammenhang begrüßen wir,dass der Senat die Empfehlungen des Rechnungs-hofs in weiten Teilen annimmt. Dem Rechnungshofgebührt Dank für die ausführliche Würdigung derProblematik und die zielführenden Anregungen.Dem Antrag von SPD und GRÜNEN stimmen wirzu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Frau Oelschläger. – Herr Kleibauer von derCDU-Fraktion, Sie haben das Wort.

Thilo Kleibauer CDU:* Frau Präsidentin, meineDamen und Herren! Ohne die Debatte in die Längezu ziehen, möchte ich anmerken, dass ich es sehrangemessen gefunden hätte, wenn der zuständigeSenator das Wort ergreift. Herr Tschentscher, Siesind nicht nur Senator von Haushaltsüberschüs-sen, von steigenden Steuereinnahmen, Sie sindauch unmittelbar betroffen. Es geht um ein Amt Ih-

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(Norbert Hackbusch)

rer Behörde, dem Defizite vorgeworfen werden. Ichfinde, Sie hätten sich bei diesem Antrag der Regie-rungsfraktionen zu Wort melden müssen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei derFDP)

Zwei Argumente möchte ich kurz anführen. Ers-tens: Der Antrag, den die SPD vorgestellt hat, setztvoraus, dass es eine Organisationsuntersuchunggibt. Sie sagen, Sie möchten über die Ergebnisseunterrichtet werden. Ich habe noch einmal genaugeprüft, welche diplomatisch zurückhaltende Stel-lungnahme der Senat abgegeben hat. Der Senatsagt in seiner ganzen Weisheit:

"Die vom Rechnungshof angeregte Organi-sationsuntersuchung wird grundsätzlich fürsinnvoll gehalten."

Ich glaube, der Senat hält grundsätzlich vieles fürsinnvoll. Ich hätte gern von diesem Senator an die-ser Stelle gehört, dass er so eine Untersuchungtatsächlich sinnvoll findet und sie beauftragen wird.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei derFDP)

Zweitens: Vor der Sommerpause haben wir uns imRechnungsprüfungsausschuss in intensiven Bera-tungen mit diesem Thema beschäftigt. Aus Krank-heitsgründen war dabei die Besetzung der Finanz-behörde suboptimal. Auch deswegen wäre es an-gemessen gewesen, dass heute der oberste Chefder Beteiligungsverwaltung hier ist und dazu nochkurz etwas erklärt. – Danke schön!

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der FDPund bei Norbert Hackbusch DIE LINKE)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Kleibauer. – Nun sehe ich keine weite-ren Wortmeldungen. Wir kommen also zur Abstim-mung.

Wer möchte nun zunächst die Drucksache 21/4972an den Ausschuss Öffentliche Unternehmen über-weisen? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? –Dann ist das überwiesen.

Wer schließt sich dann dem Überweisungsbegeh-ren zur Drucksache 21/5113 ebenfalls an den Aus-schuss Öffentliche Unternehmen an? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Über-weisung abgelehnt.

Wir stimmen dann über den gemeinsamen Antragder Fraktionen der SPD und GRÜNEN aus Druck-sache 21/5113 in der Sache ab.

Wer möchte sich diesem anschließen? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann istbei mehreren Gegenstimmen der Antrag angenom-men.

Die Fraktionen der SPD und GRÜNEN möchtendiese Drucksache nun nachträglich an den Aus-schuss Öffentliche Unternehmen überweisen.

Wer möchte so verfahren? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Damit ist die nachträgli-che Überweisung beschlossen.

Ich bedanke mich für die Debatte und wir kommenzum nächsten Tagesordnungspunkt.

(Zuruf)

– Herr Dr. Schulz, bevor Sie jetzt den Plenarsaalverlassen, möchte ich Ihnen im Namen des gan-zen Hauses zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulie-ren. Ich finde es bewundernswert, dass Sie so lan-ge ausgeharrt haben, und wünsche Ihnen nocheinen schönen Abend.

(Beifall bei allen Fraktionen – Rechnungs-hofpräsident Dr. Stefan Schulz: VielenDank!)

Dann kommen wir zum Tagesordnungspunkt 63,Drucksache 21/5423, Antrag der AfD-Fraktion: Öf-fentlichkeit über Abstimmungsverhalten im Bun-desrat informieren.

[Antrag der AfD-Fraktion:Öffentlichkeit über Abstimmungsverhalten imBundesrat informieren– Drs 21/5423 –]

[Antrag der Fraktionen der SPD und GRÜNEN:Öffentlichkeit über Abstimmungsverhalten imBundesrat informieren– Drs 21/5855 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 21/5855 ein An-trag der Fraktionen der SPD und GRÜNEN vor.Die AfD-Fraktion möchte die Drucksache 21/5423an den Ausschuss für Justiz und Datenschutzüberweisen. Wird das Wort gewünscht? – HerrProfessor Kruse von der AfD-Fraktion, Sie habenes.

Dr. Jörn Kruse AfD:* Frau Präsidentin, meine sehrverehrten Damen und Herren! Hamburg hält sichviel auf seine Transparenz zugute. In einigen Be-reichen ist Hamburg dabei sicherlich auch Vorrei-ter, was ich ausgesprochen begrüßenswert finde.Aber ausgerechnet beim AbstimmungsverhaltenHamburgs im Bundesrat herrscht Geheimniskrä-merei.

(Sylvia Wowretzko SPD: Das ist dochQuatsch!)

Das heißt, es wird nicht systematisch und vollstän-dig veröffentlicht. Das ist deshalb erstaunlich, weilsich in den vergangenen Jahren immer mehr Län-der entschlossen haben, ihr Abstimmungsverhal-ten gänzlich offenzulegen. Komplett tun das Bay-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2747

(Thilo Kleibauer)

ern, Bremen, Saarland und Baden-Württembergund teilweise Sachsen und, zumindest gegenüberden Abgeordneten, Nordrhein-Westfalen. Insbe-sondere die rot-grüne Regierung in Bremen istHamburg bezüglich der Transparenz ihrer Bundes-politik weit voraus. In vielen Fällen ist das vongroßem Interesse für die Öffentlichkeit, und zwarnicht nur bei so koalitionsheiklen Themen wie dieEinstufung von Tunesien, Marokko, Algerien als si-chere Herkunftsstaaten. Wir alle erinnern uns nochan die Diskussion, die wir hier geführt haben, undan das Rumgeeiere der Koalitionsfraktionen in die-ser Angelegenheit. Es wäre also in jedem Fall hilf-reich, dass wir das systematisch erfahren. Der vonallen geforderte Anspruch auf weitgehende politi-sche Transparenz von Parlaments- oder Regie-rungsentscheidungen sollte auch in Hamburg kon-sequent umgesetzt werden. Hierzu gehört auchund vor allem die Veröffentlichung des HamburgerAbstimmungsverhaltens zu den einzelnen Vorla-gen im Bundesrat. Deshalb haben wir in unseremAntrag gefordert:

"Die Bürgerschaft möge beschließen, derSenat der Freien und Hansestadt Hamburgwird zukünftig sein Abstimmungsverhaltenzu jedem einzelnen Beratungsgegenstandim Bundesrat kurzfristig nach der jeweiligenBundesratssitzung gegenüber den Medienkommunizieren und gleichzeitig den Medien-auftritt des Senats veröffentlichen."

– Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: SchönenDank, Herr Professor Kruse. – Herr Steinbiß vonder SPD-Fraktion, Sie haben nun das Wort.

Olaf Steinbiß SPD: Sehr geehrte Frau Präsiden-tin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube,ich kann meinen Redebeitrag relativ kurz halten.So ein Antrag passt wieder einmal ins Gefüge derAfD, vor allem, weil wir wissen, was dahintersteht:Es wird so getan, als würde irgendetwas vertuscht

(Dr. Bernd Baumann AfD: Das machen an-dere Länder doch auch!)

oder als hätten wir keine Transparenz. Sieht mansich einmal die gelebte Praxis im Bundesrat an, sogibt es jedes Mal doch schon vor der Sitzung einePressemitteilung der Landesvertretung, aus derdeutlich hervorgeht, wie im Einzelnen abgestimmtwird. Darüber hinaus sind die Sitzungen öffentlich,jeder kann zuschauen, das Fernsehen ist anwe-send,

(Dr. Monika Schaal SPD: Phönix!)

und meistens gibt es sogar schon am Tag nachder Sitzung eine Zusammenfassung, die alle Frak-tionsvorsitzenden höchstwahrscheinlich per Post

zugestellt bekommen, in der Punkt für Punkt ge-nau steht, was im Einzelnen abgestimmt wordenist. Insofern ist mit aller Deutlichkeit dargelegt, wieHamburg abgestimmt hat.

Sie sprachen zu Recht an, dass Hamburg in Sa-chen Transparenz Vorreiter ist. Gerade vor diesemHintergrund wollen wir uns mit unserem Zusatzan-trag dem nicht verschließen und sagen, dann wirdeben noch ein bisschen mehr öffentlich als ohne-hin schon gemacht wird. Im Internet können Sieübrigens immer verfolgen, wie im Einzelnen abge-stimmt wurde. Aber wir verschärfen das jetzt nochetwas. Deshalb haben wir unseren Zusatzantraggestellt, für den ich Sie um Ihre Zustimmung bit-te. – Besten Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Steinbiß. – Herr Seelmaecker von derCDU-Fraktion, Sie haben das Wort.

Richard Seelmaecker CDU: Frau Präsidentin,meine Damen und Herren Kollegen! Auch ich kannes kurz machen. Wir schließen uns dem Zusatzan-trag an. Er ist richtig und gut und nicht nur ausrei-chend, sondern tatsächlich auch besser, denn erbringt zum einen die Transparenz, die dieser An-trag letztlich gewährleisten will, und auf der ande-ren Seite setzt er auch die richtigen Schwerpunkte.Wen es interessiert, der kann die Bundesratssit-zungen im Internet oder live verfolgen. Es ist rich-tig, dass Schwerpunkte gesetzt werden und dabeidie hamburgrelevanten Dinge betont werden. Da-mit erzielt man viel mehr Medienwirksamkeit alsmit einem großen Katalog, in dem vieles aufgeführtist, was letztlich kaum relevant ist. Insofern ist derAntrag von einer Unschärfe gekennzeichnet, denndarin ist die Rede von Entscheidungen. In Wirklich-keit haben Sie Zustimmungsgesetze, Einspruchs-gesetze, Entschließungen – all das sind unter-schiedliche Dinge –, Sie haben auch die Mitwir-kung beim Richterwahlausschuss beziehungswei-se bei der Wahl der Bundesrichter. Das sind alsoviele Dinge, bei denen Schwerpunkte zu setzensind; das ist nichts Neues. Ich fand es toll, dennder Antrag entspricht dem Antrag, den die LINKENin der Bremer Bürgerschaft eingereicht haben.

(Beifall bei Martin Dolzer DIE LINKE)

Da sind wir wieder einmal bei einer Einigkeit zwi-schen ganz rechts und ganz links, ganz erstaun-lich, aber es ist so.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Insofern hat der Antrag sogar etwas Gutes, denner hat mir zweierlei Dinge noch einmal klar aufge-zeigt: erstens, dass es eine unserer wichtigen Auf-gaben ist, die Politik zu transportieren. Wir könnensie aber nur transportieren, wenn wir bei den we-sentlichen Dingen anwesend sind, beispielsweise

2748 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016

(Dr. Jörn Kruse)

gestern im Justizausschuss, wo wir den Haushaltberaten haben. Es wundert mich, dass lediglichFrau Oelschläger einmal kurz vorbeigeschaut undsich hinten in den Zuschauerraum gesetzt hat, an-sonsten aber keiner von der AfD an den Haus-haltsberatungen, dem ureigenen Recht des Parla-ments, wo wir Einfluss nehmen können, teilgenom-men hat. Da müssen wir sein, darum müssen wiruns kümmern, da müssen wir Anträge stellen, damüssen wir fragen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜ-NEN, der FDP und der LINKEN)

Der zweite Denkanstoß, den mir der Antrag aufden Weg gegeben hat, ist, dass wir uns durchausüberlegen müssen, was wir letztlich besser ma-chen können. Das ist in der Tat ähnlich, wie esNordrhein-Westfalen macht und wie wir es hier mitden Vorlagen, die europarechtliche Relevanz ha-ben, machen. Wir können uns überlegen, ob wir ei-ne Konkretisierung der Erweiterungen vornehmen,also das, was in Artikel 31 unserer Verfassungsteht, indem man nämlich festlegt, ab wann unsder Senat über wesentliche Dingen, die er ent-scheidet, informieren muss. Wir wollen diese Infor-mationen nicht in letzter Sekunde, sondern gestaf-felt bekommen. Das haben die Kolleginnen undKollegen in Nordrhein-Westfalen weise und schlaugemacht, und ich glaube, darum müssen auch wiruns kümmern. Das ist aber etwas anderes als zusagen, wir setzen alle Informationen, die es gibt,ins Internet und produzieren Papier, das in Wirk-lichkeit keiner braucht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Seelmaecker. – Herr Müller von derGRÜNEN Fraktion, Sie haben das Wort.

Farid Müller GRÜNE:* Die GRÜNE Fraktionstimmt Herrn Steinbiss voll und ganz zu. Wir wol-len noch öffentlicher machen, was schon längst öf-fentlich ist.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Müller. – Herr Dolzer von der FraktionDIE LINKE, Sie haben jetzt das Wort.

Martin Dolzer DIE LINKE: Zehn Minuten habenwir noch.

(Farid Müller GRÜNE: Aber ohne Metaebe-ne heute!)

– Doch, die Metaebene wird auch bedient.

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, liebe Kol-leginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Wie be-reits Herr Seelmaecker gesagt hat, ist der Antragder AfD in weiten Teilen vom Antrag unserer Kolle-

ginnen und Kollegen aus Bremen abgeschrieben,nur dass Letzterer wesentlich klarer formuliert war.Die Intention, wie sie Herr Kruse in seinem Beitragin einem einzigen Beispiel deutlich gemacht hat,die Drittstaatenregelung Tunesien, Marokko, Alge-rien, ist eine völlig andere. Genau aus diesen unddrei weiteren Gründen, die ich noch aufzählen wer-de, werden wir dem Zusatzantrag von Rot-Grünzustimmen und Ihren AfD-Antrag ablehnen.

Würde die AfD wirklich Transparenz wollen – auchdarauf ist Herr Seelmaecker kurz eingegangen –,gäbe es ganz andere Möglichkeiten. In Thüringenzum Beispiel ist es so, dass ein regelmäßiger Ta-gesordnungspunkt, nämlich Bundesratsangelegen-heiten, im Europaausschuss debattiert wird. HerrWolf als Vorsitzender des Europaausschusses undder AfD könnte im Europaausschuss für mehrTransparenz über das Vorgehen im Bundesrat, derBundesregierung oder der EU-Kommission sorgen.Er tut aber immer das Gegenteil. Immer wenn wirversuchen, in irgendeiner Form Transparenz ein-zufordern, stimmt er dagegen. Das zeigt ein rie-sengroßes Problem mit der AfD auf. Die AfD be-treibt rechtspopulistischen Mumpitz im Parlament,und zwar zielgerichtet, indem sie unsere Bürger-schaft als Bühne nutzt und in den Ausschüssen,wo wirklich Arbeit notwendig wäre, nicht anwesendist. Herr Seelmaecker, in diesem Punkt stimme ichhundertprozentig mit Ihnen überein: Wieso ist in ei-ner Haushaltsberatung der Vertreter des Justizaus-schusses nicht dabei? Wie kann man im Europa-ausschuss gegen Transparenz agieren und gleich-zeitig hier Transparenz einfordern? Das sehe ichals höchst problematisch an.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt beider SPD)

Das zeigt mir etwas. Es gab, gestartet 1964, einefürchterliche Law-and-Order-Sendung: "VorsichtFalle – Nepper, Schlepper, Bauernfänger." Ich binnicht bauernfeindlich, aber wenn ich mir die Politikder AfD vor Augen führe, kann ich Sie, liebe Ham-burgerinnen und Hamburger, nur warnen. FallenSie nicht auf diesen Mumpitz rein. Die AfD stelltauf der Theaterbühne der Hamburgischen Bürger-schaft irgendwelche Anträge, in denen sie vorgibt,die kleinen Leute zu bedienen. In Wirklichkeit abervertritt sie völlig andere Interessen, nämlich dievon nationalistischen Kapitalvertretern und natio-nalistischen Militärs. Das ist aus vielen ihrer hiereingereichten Anträge deutlich geworden.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch etwas zu Ihnen, Herr Seelmaecker: Sie sag-ten, die AfD und die LINKE hätten darin eine Über-einstimmung. Nein, das stimmt nicht.

(Glocke)

Wir stehen wirklich für Demokratie und Transpa-renz, während die AfD dies nur vorgibt.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 21. Wahlperiode - 40. Sitzung am 7. September 2016 2749

(Richard Seelmaecker)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre-chend): Herr Dolzer, würden Sie bitte kurz aufhö-ren? Ich möchte Ihnen Ruhe verschaffen und dasHaus bitten, ein bisschen leiser zu sein. – Danke,Sie können fortfahren.

Martin Dolzer DIE LINKE (fortfahrend): Ich wieder-hole das gern noch einmal: Wir setzen uns wirklichfür Demokratie und Transparenz ein. Der Antragunserer Fraktion ist in Bremen mit einer großenMehrheit, auch von der Regierungskoalition, umge-setzt worden; selbst die Opposition hat, glaube ich,in der Bremer Bürgerschaft zugestimmt. Auch inden Ausschüssen und in der Gesellschaft setzenwir eine derartige Politik um.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-FroweinFDP: Hammerhart!)

Die AfD spiegelt das vor. In letzter Zeit hat sie einbisschen die Praxis der Front National

(André Trepoll CDU: Nun ist aber gut!)

angenommen und versucht, linke Themen zu ad-aptieren, sie populistisch nach rechts zu wenden,um die Wählerinnen und Wähler im Sinne Nepper,Schlepper, Bauernfänger anzulocken. Darauf fal-len wir nicht rein. Deshalb werden wir keinem An-trag der AfD hier zustimmen.

Ich zitiere einmal etwas von Charlotte Knobloch,der Präsidentin des Zentralrats der Juden, das siezur Wahl in Mecklenburg-Vorpommern gesagt hat.

(André Trepoll CDU: Das gehört jetzt abernicht dazu!)

– Das gehört dazu und ist ein Grund dafür, dasswir jeden Antrag der AfD ablehnen und die CDUdazu auffordern,

(Zurufe von der CDU: Zur Sache!)

viele Vorgaben der AfD, insbesondere ausländer-feindliche, abzulehnen, um der AfD keinen Nährbo-den zu verschaffen.

(Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre-chend): Herr Dolzer! Wenn ich mit der Glocke bim-mele, möchte ich Sie wirklich bitten, kurz zu unter-brechen, und zur Sache zu kommen.

Martin Dolzer DIE LINKE (fortfahrend): Aus denvon mir aufgezählten Gründen lehnen wir diesenAntrag ab. Ich ende mit einem Zitat von CharlotteKnobloch, der Präsidentin des Zentralrats der Ju-den:

"Dass eine rechtsextreme Partei, die unver-blümt widerlich gegen Minderheiten hetztund mobilisiert, in unserem Land unge-bremst aufsteigen kann, ist ein wahr gewor-dener Albtraum."

Dieser Antrag ist ein Teil Ihrer Politik, den wir ab-lehnen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: Herr Dol-zer, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wirauch in Zitaten den parlamentarischen Sprachge-brauch wahren. – Herr Kruse von der FDP-Frakti-on, Sie haben das Wort.

Michael Kruse FDP: Meine sehr geehrten Damenund Herren! Inhaltlich ist vieles gesagt worden. Ichversuche einmal, etwas mehr auf das Thema ein-zugehen.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Können Siedoch im Internet nachgucken!)

Unserer Meinung nach lautet die wichtige Frage-stellung der Debatte: Ist der Senat dazu verpflich-tet, künftig alle Entscheidungen öffentlich zu ma-chen, oder entscheidet er weiterhin selbst darüber,was für ihn wichtig ist und was er kommuniziert?Wir haben uns dafür entschieden, dass alle Ent-scheidungen, die der Senat im Bundesrat für Ham-burg trifft, öffentlich gemacht werden. Wir sind indiversen Schriftlichen Kleinen Anfragen an dieGrenze gestoßen, dass der Senat sagt, er erklärenicht, wie er abgestimmt habe, und dass er esauch im Nachgang nicht erklärt. Deswegen haltenwir die Intention des Antrags für richtig. Die Veröf-fentlichung auf der Homepage oder wo auch im-mer muss man dem Senat nicht vorschreiben.Aber reduziert man den Antrag auf den Kern, sohat er ein richtiges Anliegen. Deswegen halten wirdie Überweisung des Antrags für richtig und wer-den ihm, sofern er nicht überwiesen wird, zustim-men. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Jörn KruseAfD)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Kruse. – Herr Dr. Wolf von der AfD-Fraktion, Sie haben jetzt das Wort.

Dr. Alexander Wolf AfD:* Sehr geehrtes Präsidi-um, liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz der zumTeil sehr unsachlichen Ausführungen mehrererKollegen möchte und werde ich sachlich bleibenund den Antrag sowie den Zusatzantrag kurz ana-lysieren.

(Ksenija Bekeris SPD: Muss das sein?)

Vorab: Wir haben unseren Antrag, die Öffentlich-keit über das Abstimmungsverhalten im Bundesratumfassend zu informieren, am 28. Juli 2016 einge-bracht, also vor mehr als einem Monat. Die Regie-rungsfraktionen haben ihren Zusatzantrag heuteVormittag, mehr als einen Monat nach Einbringen

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unseres Antrags und nur wenige Stunden vor Be-ginn dieser Sitzung, eingebracht.

(Dr. Monika Schaal SPD: Das ist aber üb-lich!)

Trotz des späten Einbringens freuen wir uns da-rüber, weil wir es als Zeichen dafür sehen, dass wiraugenscheinlich ein Anliegen in die parlamentari-sche Arbeit eingebracht haben, dem sich auch dieRegierungsfraktionen nicht verschließen können.Wir befürchten dabei, dass Sie Ihren Antrag einmalmehr zu dem taktischen Zweck eingebracht haben,einem von uns, der AfD, aufgebrachtem legitimenAnliegen in der Sache zwar zuzustimmen, es abertrotzdem dabei zu vermeiden, formal einem AfD-Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der AfD)

Wir kennen das auch von anderen Fraktionen, zumBeispiel von der CDU. Darüber mögen sich dieBürger im Lande ihr eigenes Bild machen und inden Wahlen zum Ausdruck bringen. Entscheidendist für mich rein sachlich die Frage, ob es am Endein die richtige Richtung geht, ob es unser Land vo-ranbringt. Ob der Zusatzantrag allerdings in dierichtige Richtung geht und unser Land voranbringt,werden wir gleich, trotz der schon etwas fortge-rückten Stunde, analysieren.

Zu unserem Antrag. Wir beantragen:

"Der Senat wird zukünftig sein Abstim-mungsverhalten zu den einzelnen Bera-tungsgegenständen im Bundesrat kurzfristignach der jeweiligen Bundesratssitzung ge-genüber den Medien kommunizieren undgleichzeitig auf dem Internetauftritt desHamburger Senats veröffentlichen."

Das heißt, umfassend und ohne Einschränkungen.Das ist wichtig; darauf komme ich gleich noch ein-mal zurück.

Wir haben uns dabei, wie bereits angemerkt wur-de, an den Antrag der Fraktion DIE LINKE in derBremischen Bürgerschaft vom 17. Februar 2015angelehnt. Denn wir beurteilen, wie unser Partei-vorsitzender Meuthen vor wenigen Tagen sagte,Anträge sachlich, inhaltlich und nicht in erster Liniedanach, von wem sie stammen.

(Beifall bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Die LINKE beantragte dort – Zitat –:

"Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Se-nat auf, sein Abstimmungsverhalten im Bun-desrat künftig umfassend und zeitnah nachjeder Bundesratssitzung auf der entspre-chenden Webseite der Senatskanzlei öffent-lich zu dokumentieren".

Dieser Antrag wurde in der Bremer Bürgerschaftam 23. April einstimmig, das heißt, von allen dort

vertretenen Fraktionen, auch von der SPD und derCDU, angenommen.

(Zuruf: Hamburg muss nicht nach Bremenschauen!)

– Der Zuruf, Hamburg müsse nicht nach Bremenschauen, ist berechtigt, aber im Ausnahmefall kön-nen wir das ja einmal tun.

(Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre-chend): Herr Dr. Wolf, gestatten Sie eine Zwi-schenfrage?

Dr. Alexander Wolf AfD (fortfahrend):* Nein, ichmöchte zum Ende kommen.

Vor diesem Hintergrund sind wir auf die Abstim-mung über unseren Antrag, der das, was Bremenvor anderthalb Jahren beschloss, in Hamburg er-reichen möchte, sehr gespannt. Und nicht nur Bre-men; es klang bereits an, dass auch eine ganzeReihe anderer Bundesländer deutlich transparen-ter als Hamburg sind. Bayern, Baden-Württembergoder das Saarland haben überhaupt kein Problemdamit, offen und transparent zu sein.

Aber nun, das ist auch spannend und lohnt die Mü-he, zur Analyse des heute kurzfristig eingereichtenAntrags von SPD und GRÜNEN: In der Begrün-dung heißt es im ersten Absatz, dass die Landes-vertretung Hamburgs am Vortag der Bundesratssit-zung in einer Pressemitteilung – Zitat –:

"[…] die zentralen Punkte jeder Sitzung breitvorstellt und erläutert."

Warum, fragt man sich unbefangen, nur zentralePunkte? Wer entscheidet, was zentral ist und wasnicht? Wir sind für eine ungefilterte, freie Informati-on. Sehen wir uns doch einmal an, was in einerderartigen Pressemitteilung steht. Ich greife bei-spielhaft die der Bundesratssitzung vom 16. Ju-ni 2016 heraus. Erster in der Pressemitteilung an-gesprochener Punkt war Tagesordnungspunkt 6,die Debatte zu den Maghreb-Staaten. Hier die ent-scheidende Aussage – Zitat –:

"Hamburg hat eine freie Hand bei der Ab-stimmung beschlossen und wird unmittelbarvor der Sitzung entscheiden, wie es votierenwird."

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Und wie hat esvotiert?)

Da ist man richtig schlauer. Und danach werdenweitere elf Punkte herausgegriffen – die Tagesord-nung der Bundesratssitzung umfasst insgesamt70 Punkte –, und es bleibt regelmäßig unklar, wieHamburg votieren wird. Mit Formulierungen wie:

"Offen ist, ob die Initiative in der Sitzung ei-ne Mehrheit erhalten wird".

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(Dr. Alexander Wolf)

Sehen wir uns den zweiten Absatz der Begrün-dung an. Der zweite Absatz des Zusatzantragsverweist darauf, dass die Bundesratssitzungen öf-fentlich und live sind und per Livestream verfolgtwerden können. Das ist zwar richtig, aber das Ab-stimmungsverhalten wird für den Zuschauer des-halb nicht offenbar. Die LINKE schrieb in ihrerPressemitteilung zur Annahme des Antrags in Bre-men 2015 – Zitat –:

(Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre-chend): Ich möchte Sie kurz unterbrechen und alle,die im Raum sind, bitten, leise zu reden, und zwardraußen. Schönen Dank. – Fahren Sie fort.

Dr. Alexander Wolf AfD (fortfahrend):* Danke. Esist ein trockenes Thema.

"Das Abstimmungsverhalten der einzelnenBundesländer im Bundesrat ist bislang ge-heim. Der Bundesrat gibt dazu keine Aus-kunft. Auch das Protokoll enthält zwar dasErgebnis von Abstimmungen, aber nicht,welche Länder zugestimmt haben."

Also geht auch dieser Hinweis der Begründung derRegierungsfraktionen an der Sache vorbei.

Im dritten und vierten der vier Absätze wird daraufverwiesen, dass im Anschluss an die Plenarsitzun-gen des Bundesrats die Fraktionsvorsitzenden so-wie die Staatsräte, ich verkürze ein wenig – Zitat –:

(Beifall bei Michael Westenberger CDU)

"[…] eine Übersicht über das Votum Ham-burgs zu den zentralen Punkten der Tages-ordnung erhalten und dass diese Übersichtauf Anfrage jedem Interessierten zur Verfü-gung gestellt wird beziehungsweise auf kon-krete Nachfragen hin Auskünfte erteilt wer-den".

Der Antrag der Regierungsfraktionen, lautet dann,dass der Senat ersucht werde,

"[…] die oben genannte Übersicht über dasVotum Hamburgs zu den zentralen Punktender Tagesordnung zu veröffentlichen."

(Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre-chend): Augenblick, bitte, Herr Dr. Wolf. Mein letz-ter Appell hat offensichtlich nicht viel bewirkt. Des-wegen bitte ich alle noch einmal, zu schweigenoder hinauszugehen. – Danke.

Dr. Alexander Wolf AfD (fortfahrend):* Auch hierhaben wir uns die Mühe gemacht, uns die Über-sicht zur Bundesratssitzung vom 17. Juni 2016konkret anzusehen. Das Ergebnis: Es werden17 der 70 Punkte der Tagesordnung als zentral an-

gesehen und herausgegriffen, also nicht mehr nurzwölf, wie in der Pressemitteilung vorab. Es stelltsich aber erneut die Frage, wer nach welchen Kri-terien, was zentral sein solle, entscheidet.

Weiter: Bei mehreren Punkten lässt sich das Ab-stimmungsverhalten Hamburgs dieser Übersichtzwar entnehmen, wenn es zum Beispiel heißt:

"Der Bundesrat hat einstimmig zugestimmt."

Oder ausdrücklich in einem anderen Tagesord-nungspunkt:

"Der Bundesrat hat mit den Stimmen Ham-burgs beschlossen […]"

Häufig wird in dieser Übersicht jedoch lediglich dasErgebnis der Bundesratsabstimmung mitgeteilt.Diese Übersicht ist mithin doppelt unvollständig,zum einen, weil sie sich auf zentrale Punkte be-schränkt, zum anderen, weil selbst bei den Punk-ten, die der Senat als zentral einstuft, das Abstim-mungsverhalten nur zum Teil angegeben und zumTeil weggelassen und ausgeblendet wird.

(Wolfgang Rose SPD: Sag einmal, geht esnoch?)

Ich komme zum Fazit: Der Zusatzantrag der Re-gierungsfraktionen verweist somit letztlich auf denStatus quo, mit dem kleinen Unterschied, dassnicht nur auf Nachfrage, sondern automatisch dieSache eingestellt werden soll. Er enthält aber derÖffentlichkeit nach wie vor wesentliche Informatio-nen vor.

Er ist eine Scheinlösung, der dem selbst gestelltenhehren Anspruch von Transparenz und Offenheitgeradezu Hohn spricht. Wer Transparenz und Of-fenheit wirklich ernst meint und nicht nur als Lip-penbekenntnis im Koalitionsvertrag postuliert, kanngar nicht anders als unserem Antrag zuzustimmen.Wir sind gespannt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: VielenDank, Herr Dr. Wolf. – Frau Sudmann von derFraktion DIE LINKE, Sie haben das Wort.

Heike Sudmann DIE LINKE:*

(Zurufe)

– Nein, an Herrn Wolf und die Konsorten von derAfD gerichtet, möchte ich Ihnen einen Arbeitstippzur Erleichterung geben. Sie finden auf unsererHomepage eine sogenannte Länderdatenbank.Darin befinden sich die Anträge der LINKEN vonganz Deutschland. Wahrscheinlich werden auchdie SPD und die GRÜNEN so etwas haben, undda können Sie dann gucken, welchen Antrag Sie,wie in diesem Fall, mit Copy-and-paste für Ham-burg übernehmen können. Es mag aus Ihrer Sichtein vermeintlich geschickter Schachzug sein. Er

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(Dr. Alexander Wolf)

wird aber nicht davon ablenken können, dass Siein Hamburg weder an der parlamentarischen Arbeitnoch an politischen Inhalten, die nichts mit Frem-denfeindlichkeit zu tun haben, ein Interesse haben.Wenn Sie das machen, können Sie es immer wie-der versuchen, aber es wird mit Copy-and-pastenicht besser werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Christiane Schneider: Wennkeine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommenwir zur Abstimmung.

Wer möchte zunächst die Drucksache 21/5423 anden Ausschuss für Justiz und Datenschutz über-weisen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist die Überweisung abgelehnt.

Wir stimmen in der Sache ab und beginnen mitdem Antrag der AfD-Fraktion aus Drucksache21/5423. Wer diesem folgen möchte, den bitte ichum das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit Mehr-heit abgelehnt.

Wir kommen zum gemeinsamen Antrag der Frak-tionen der SPD und der GRÜNEN, Drucksache21/5855. Wer stimmt diesem zu? – Die Gegenpro-be. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag an-genommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 78, Drucksa-che 21/5699, Antrag der CDU-Fraktion: Besserer

Schutz von Minderjährigen vor Eheschließungenim Kindes- und Jugendalter.

[Antrag der CDU-Fraktion:Besserer Schutz von Minderjährigen vor Ehe-schließungen im Kindes- und Jugendalter– Drs 21/5699 –]

Die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN möch-ten diese Drucksache an den Ausschuss für Justizund Datenschutz überweisen. Zudem liegt vonsei-ten der CDU-Fraktion ein Antrag auf Überweisungan den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integra-tion vor. Die Fraktionen sind übereingekommen,dass auf die Debatte verzichtet wird, und wir kom-men direkt zur Abstimmung.

Wer möchte die Drucksache 21/5699 an den Aus-schuss für Soziales, Arbeit und Integration über-weisen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist die Überweisung abgelehnt.

Wer schließt sich dem Überweisungsbegehren anden Ausschuss für Justiz und Datenschutz an? –Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieÜberweisung beschlossen.

Wir sind zum Ende der Sitzung gekommen. Ichwünsche Ihnen allen einen schönen Abend.

Ende: 20.03 Uhr

Hinweis: Die mit * gekennzeichneten Redebeiträge wurden in der von der Rednerin beziehungsweise vomRedner nicht korrigierten Fassung aufgenommen.

In dieser Sitzung waren nicht anwesend: die Abgeordneten Anna Gallina, Stephan Gamm, Dirk Nocke-mann, Milan Pein und Brigitta Schulz

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(Heike Sudmann)