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120 S.: mit 11 Abbildungen und Karten. Paperback ISBN: 978-3-406-69880-4 Weitere Informationen finden Sie hier: http://www.chbeck.de/16710932 Unverkäufliche Leseprobe © Verlag C.H.Beck oHG, München Bruno Bleckmann Der Peloponnesische Krieg

Bruno Bleckmann Der Peloponnesische Krieg · 2018. 3. 21. · Inhalt Einleitung 7 1. Die historische Bedeutung des Peloponnesischen Krieges: ein Problem 7 2. Thukydides als Historiker

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120 S.: mit 11 Abbildungen und Karten. Paperback ISBN: 978-3-406-69880-4

Weitere Informationen finden Sie hier: http://www.chbeck.de/16710932

Unverkäufliche Leseprobe

 

© Verlag C.H.Beck oHG, München

Bruno Bleckmann Der Peloponnesische Krieg

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Bruno Bleckmann

DerPeloPonnesische

Krieg

Verlag C.H.Beck

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Mit 11 Abbildungen und Karten

Die erste Auflage dieses Buches erschien 2007.

2., durchgesehene und aktualisierte Auflage. 2016

Originalausgabe© Verlag C.H.Beck oHG, München 2007

Satz, Druck und Bindung: Druckerei C.H.Beck, NördlingenUmschlaggestaltung: Uwe Göbel, München

Umschlagmotiv: Aufbruch eines Kriegers (Ausschnitt),um 430, Vulci, Kleophon-Maler, Stamnos.

Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, MünchenPrinted in Germany

isbn 978 3 406 69880 4

www.chbeck.de

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inhalt

einleitung 71. Die historische Bedeutung des Peloponnesischen Krieges:

ein Problem 72. Thukydides als Historiker des Peloponnesischen Krieges 103. Der Peloponnesische Krieg

und der Verlauf der Universalgeschichte 15

Die Ursachen des Peloponnesischen Krieges 201. Der «wahrste» Grund: Die Angst Spartas

vor dem athenischen Aufstieg seit den Perserkriegen 202. Klagen und Beschuldigungsgründe:

Athens Konflikte mit Korinth 273. Athenische Innenpolitik am Vorabend

des Peloponnesischen Krieges: Perikles als Kriegstreiber? 33

Der Archidamische Krieg (431–421) 371. Zum Verlauf des Krieges:

Die Kampagnen von 431 bis 426 372. Flotten- und Hoplitenkampf 453. Mentalitätswandel und Verrohung:

Die Pest und die Stasis von Korkyra 544. Brasidas und Kleon:

Das Ende des Archidamischen Krieges 61

Der nikias-Frieden und die sizilienexpedition(421–413) 67

1. Die mangelnde Umsetzung der Friedensbedingungen 672. Nikias und Alkibiades 703. Die Entsendung der Flotte nach Sizilien im Jahre 415 744. Operationen in Sizilien bis zur Ankunft des Gylippos 775. Die Katastrophe: Syrakus 413 82

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Der Dekeleische Krieg (413–404) 861. Der Abfall der Bundesgenossen

und der oligarchische Umsturz von 411 862. Alkibiades im Hellespont

und die restaurierte Demokratie (411–408) 943. Das zweite Exil des Alkibiades

und die Schlacht bei den Arginusen (407–406) 974. Aigospotamoi (405) 1025. Kapitulation und oligarchischer Umsturz (404) 104

AnhangZeittafel 112Hinweise zur Forschungslageund zu weiterführender Literatur 114Bildnachweis 116Register 117

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einleitung

1. Die historische Bedeutung des Peloponnesischen Krieges:ein Problem

Der von 431 bis 404 ausgefochtene Konflikt zwischen Athenund Sparta ist unter dem Namen «Peloponnesischer Krieg» indie Geschichtsbücher eingegangen. Strenggenommen trifft dieseBenennung nicht zu, da die wichtigsten Entscheidungen nichtauf der Peloponnes fielen. Gemeint ist freilich nur, daß die Athe-ner den Krieg gegen die Spartaner und ihre im sogenannten Pelo-ponnesischen Bund zusammengeschlossenen Verbündeten (diePeloponnesier) austragen mußten. In diesem Sinn heißt es bereitsbeim zeitgenössischen Historiker Thukydides (1,44,2), die Athe-ner hätten schon vor Kriegsausbruch mit der Eventualität eines«Krieges gegen die Peloponnesier» gerechnet. In den einleiten-den Bemerkungen seines Geschichtswerks, in denen Thukydidesden Gesamtkrieg als historische Einheit beschreibt, spricht erallerdings nicht vom Peloponnesischen Krieg, sondern erklärt,den «Krieg der Peloponnesier und der Athener, wie sie ihn ge-geneinander auskämpften,» behandeln zu wollen (Thuk. 1,1).Mit der seit dem Späthellenismus sicher belegten Bezeichnung«Peloponnesischer Krieg» haben aber wohl bereits Redner desvierten Jahrhunderts und Historiker der gleichen Zeit (Ephoros)die athenische Perspektive deutlicher zum Ausdruck gebracht, inähnlicher Form, wie die Römer aus exklusiv römischer Perspek-tive die Konflikte mit den Karthagern nicht als «römisch-puni-sche», sondern als «punische» Kriege bezeichnet haben.

Der Peloponnesische Krieg spielte sich anfangs vor allem inZentralgriechenland und in einigen Teilen der Peloponnes ab,griff dann nach Nordgriechenland aus und wurde zum Schlußin Sizilien, an der kleinasiatischen Ägäisküste und am Mar-marameer ausgetragen. Thukydides hat offenkundig selbst zu-tiefst am Krieg gelitten und das Geschehen als so dramatisch

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empfunden, daß er vermeldet, «der größte Teil der Menschheit»sei vom kriegerischen Geschehen erfaßt und erschüttert worden.Dementsprechend bezeichnet man den Peloponnesischen Krieggerne als «antiken Weltkrieg». Aber das Altertum hat weitausgrößer dimensionierte Konflikte gekannt, von der brutalen Aus-dehnung des assyrischen Großreichs über den Alexanderfeld-zug bis hin zu den punischen Kriegen und zur Eroberung Gal-liens durch Caesar oder zu den Kämpfen, die mit der Konstitu-ierung des chinesischen Kaiserreichs unter Qin Shi Huangdi en-deten. Die Zahl der Kombattanten im Peloponnesischen Kriegist meist überschaubar. Selbst der größte am Krieg beteiligteStaat (Athen) hatte maximal 50 000 Vollbürger. Manchmal ginges im Krieg nur um Kämpfe zwischen wenigen Hunderten Men-schen, erst mit der Sizilienexpedition (415–413) erreichte ervöllig andere Dimensionen. Im letzten Kriegsjahr wurden Flottenvon ca. zweihundert Trieren mit insgesamt ungefähr 40 000 Ru-derern und sonstigen Besatzungen gegeneinander aufgeboten,was die logistischen Möglichkeiten dieser Zeit schon fast über-stieg.

Angesichts der zunächst imposant anmutenden Dauer desKrieges von 27 Jahren ist darauf hinzuweisen, daß viele Gegen-den Griechenlands über Jahre oder Jahrzehnte von kriegerischenAktionen unberührt blieben. Acht Jahre lang währte darüberhinaus zwischen Athen und Sparta zumindest im Mutterland einprekärer Friedenszustand, der sogenannte Nikias-Frieden. DiesePause trennt zwei deutlich unterscheidbare Konfliktphasen von-einander, nämlich den sogenannten Archidamischen (431–421)und den Dekeleischen Krieg (413–404). Beide Konfliktphasenverdanken ihren Namen wieder einer rein athenozentrischen Per-spektive. Die erste Zehnjahresperiode des PeloponnesischenKrieges (bei Thukydides der «Zehnjährige Krieg») wurde beiden attischen Rednern des vierten Jahrhunderts als der «Archi-damische Krieg» bezeichnet, weil aus der Perspektive des einfa-chen athenischen Bürgers der fast alljährliche Einfall des sparta-nischen Heeresaufgebots unter der Führung des Königs Archi-damos das markante kriegerische Geschehen dieses Zeitraumswar, das man von den Stadtmauern aus verfolgen konnte. Das

8 Einleitung

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Gleiche gilt für den Dekeleischen Krieg, der seinen Namen daherhat, daß die Spartaner nun nicht mehr Jahr für Jahr nach Attikaeinfielen, sondern sich dort gleich an Ort und Stelle nördlich vonAthen in der Festung Dekeleia niedergelassen hatten.

Als der Archidamische Krieg 431 ausbrach, lag der letztegroße Konflikt mit Sparta gerade einmal fünfzehn Jahre zurück.Und nach der Kapitulation Athens im Dekeleischen Krieg dau-erte es nur knapp zehn (innen- und außenpolitisch sehr unru-hige) Jahre, bevor der nächste Konflikt, der sogenannte Korin-thische Krieg, ausbrach (395). In diesem Krieg versuchte Athensich zu revanchieren und kämpfte im Bund mit griechischenMittelmächten erneut gegen Sparta. Auch wenn sich Sparta mitvielen Blessuren und letztlich nur durch den Beistand der Perserdann noch einmal durchsetzen konnte, ging die maritime Vor-herrschaft, die Sparta 413/412 erworben hatte, 394 verlorenund wurde 386 nur für kurze Zeit in der Flottenkampagne desAntalkidas zurückgewonnen. Mit guten Gründen könnte mandaher den Dekeleischen Krieg (413–404) nicht mit dem Archi-damischen, sondern mit dem Korinthischen Krieg (395–386)und der Zeit zwischen 404 und 395 zu einer Großepoche ver-binden. Weil im Klassischen Griechenland kriegerische Ausein-andersetzungen regelmäßig wiederkehren, ist jede Zusammen-fassung von Einzelkriegen zu einem Großkonflikt Ermessens-sache. Sie ist, wie dies von jeder Periodisierung gilt, das Ergebniseiner subjektiven, von einer bewußten historischen Analyse aus-gehenden gedanklichen Entscheidung. Daß das Gesamtgesche-hen zwischen 431 und 404 als Einheit, als ein einziger Krieg zubetrachten war, war jedenfalls vielen Zeitgenossen gar nichtbewußt und ist eine (durchaus begründete) Sicht der Dinge, dieerst dem Thukydides und später der griechischen Geschichts-deutung des vierten Jahrhunderts zu verdanken ist.

In der Antike spielte in der Betrachtung der eigenen Vergan-genheit der Peloponnesische Krieg keine herausragende Rolle.Wenn dieser Krieg von Rednern der Kaiserzeit zur Sprache ge-bracht wurde, dann meist nur, weil der Chronist dieses KriegesThukydides eine große, wenn auch umstrittene, stilistische Auto-rität besaß. Aber das herausragende kriegerische Ereignis der

Historische Bedeutung des Peloponnesischen Krieges 9

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Vergangenheit, an das immer wieder erinnert wurde, war derKampf der griechischen Staatenwelt gegen den Perserkönig,nicht das kleinliche, als innergriechischer Bürgerkrieg gelten-de Geschehen des Peloponnesischen Krieges. Allenfalls wurdeneinige Episoden dieses Krieges, wie etwa der Arginusenprozeß,als Belege für die völlige Entartung der athenischen Demokratieangeführt, ohne daß der Kontext noch sehr interessierte. In by-zantinischen Weltchroniken des Mittelalters wurde der Kriegausgeblendet, und man ging von der Geschichte der persischenMonarchie direkt zu Alexander dem Großen über.

2. Thukydides als Historikerdes Peloponnesischen Krieges

Im Rahmen der Universalgeschichte betrachtet, war der Pelo-ponnesische Krieg also vordergründig nur von regionaler Be-deutung, und als historische Einheit (bis hin zur erst später ge-prägten Benennung) muß er strenggenommen als Konstruktgelten. Und dennoch gibt es gute Gründe dafür, sich auch nachzweieinhalbtausend Jahren gerade mit diesem Geschehen aus-einanderzusetzen. Ein und vielleicht der wichtigste Grund liegtsicher darin, daß der Krieg Gegenstand des bedeutendsten Ge-schichtswerks der Antike geworden ist, der Darstellung desThukydides. Sie ist, wenn man mit Hegel sprechen möchte, derGewinn, den die Menschheit aus diesem Krieg davongetragenhat, und mit Hume kann man hinzufügen, daß das erste Blattdes Thukydides den Beginn der wirklichen Geschichte («real his-tory») darstellt.

Thukydides hat nach eigener Aussage sofort bei Ausbruchdes Krieges damit begonnen, Aufzeichnungen zu machen. Ihmkam zugute, daß er den Krieg aus verschiedenen Perspektivenerlebte. Zunächst aktiver athenischer Politiker und Militär,mußte er nach seinem Scheitern als Stratege 424 in die Verban-nung gehen. Dort konnte er von den Erträgen aus thrakischenBergwerken leben, die er als Angehöriger eines der großen atti-schen Adelsgeschlechter mit überregionalen Verbindungen be-saß. Als wohlhabender Exulant hatte er nunmehr die Möglich-

10 Einleitung

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keit, auch von der spartanischen Gegenseite viel in Erfahrungzu bringen. Das Material, das er über die Jahre aufgezeichnetund zusammengestellt hatte, ist in eine Gesamterzählung einge-bracht, die durch die wiederholten Überarbeitungen Brücheaufweist. Einige Passagen seines Werkes (Teile des 5. Buchs unddas gesamte 8. Buch) sind künstlerisch weniger bearbeitet alsandere, die etwa mit Reden der Protagonisten versehen wordensind. Bestimmte Teile verraten noch die Perspektive des Autors,der gerade den Archidamischen Krieg oder die Sizilienexpedi-tion, aber noch nicht das Kriegsende erlebt hatte, andere Passa-gen beschreiben und deuten die Geschichte des Gesamtkriegesaus der Perspektive der Niederlage von 404.

Das unfertige Werk bricht mit dem Jahr 411 ab. Offenkundigist Thukydides, der nach dem Krieg wieder nach Athen zurück-gekehrt war, während der Überarbeitung seiner Schrift gestor-ben. Die letzten, hochdramatischen Jahre des Krieges sind sonicht mehr Gegenstand seiner Erzählung. Für die ersten zwan-zig Jahre bildet dagegen die nach Kriegsjahren (Sommerkam-pagne und Winterpause) chronologisch geordnete Erzählungden Leitfaden, von dem jede moderne Darstellung des Kriegesnicht nur im Faktenmaterial, sondern auch in ihren analytischenund reflektierenden Passagen weitgehend abhängig sein muß.

Die Entscheidung, ob man sich vorbehaltlos Thukydides an-schließen darf oder nicht, hängt von der Beurteilung seiner Qua-litäten als Historiker ab. Sie richtig einzuschätzen, ist deshalb soschwierig, weil Thukydides für die meisten Sachverhalte desKrieges (bis 411) einziger Zeuge ist und paralleles Quellenmate-rial nur für ganz wenige Episoden (etwa für den oligarchischenUmsturz von 411) vorliegt. Insgesamt hat aber eine nunmehrseit Jahrhunderten geführte Diskussion um den Quellenwertkeine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß man Thukydides alsHistoriker grundsätzlich mißtrauen muß. Sein Bericht blendetsicher mitunter Dinge aus, die dem modernen Historiker alswichtig erscheinen, etwa Einzelheiten zur finanziellen Organisa-tion des Attischen Seebundes oder zur Diplomatiegeschichte.Nicht erwähnt wird beispielsweise die für die Kriegführung undKriegfinanzierung zweifelsohne hochrelevante sogenannte «Kle-

Thukydides als Historiker 11

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onschatzung» von 425 (Thoudippos-Dekret), durch die der denBündnern aufgezwungene Tribut vervielfacht wurde. Fernerspielt der Friedensvertrag, den Athen und das Perserreich um448 abgeschlossen haben dürften («Kallias-Frieden»), in derlangen Darstellung, die Thukydides den fünfzig Jahren zwischenden Perserkriegen und dem Peloponnesischen Krieg widmet,keine Rolle. Er wird vielmehr nur ganz en passant im achtenBuch zur Sprache gebracht (Thuk. 8,56,4). Gerade das letzteBeispiel zeigt, daß die vermeintlichen Lücken sich hier wenigermit der Unvollständigkeit des Geschichtswerks erklären lassenals mit der subjektiven Akzentsetzung des Autors, der Dingenur dann erwähnte, wenn er sie für seine Gesamtdarlegung alsbedeutend empfand.

Die Art und Weise, in der Thukydides unmittelbar erlebteoder in Erfahrung gebrachte Zeitgeschichte zum Gegenstandseiner analytischen Darstellung macht, hatte kein unmittelbaresVorbild. Die Aufzeichnungen des unwesentlich älteren Zeitge-nossen Herodot waren beispielsweise gerade nicht zeitgeschicht-licher Natur, sondern behandelten, teilweise in bunten novelli-stischen, teilweise in halb mythologischen Erzählungen, oft exo-tische Ereignisse, die zum Zeitpunkt der Aufzeichnungen schonzwei Generationen oder noch länger zurücklagen. Thukydidesbeschränkte sich dagegen auf den empirisch erfahrbaren eige-nen zeitlichen und räumlichen Horizont und stellte innerhalbdieses Horizonts nur bestimmte politische und militärischeHandlungen hauptsächlich aus athenischer Perspektive dar.

Die Darstellung und Kommentierung des Krieges stand fürihn in unmittelbarer Nachfolge dessen, was er als athenischerPolitiker getan hatte. In den Debatten vor der athenischenVolksversammlung und im Rat hatte sich ein sehr hohes Niveaupolitischer Argumentation etabliert. Jeder Redner, der etwa fürein außenpolitisches oder militärisches Engagement Athens ein-trat, mußte in der Lage sein, eine Skizze der Vorgeschichte die-ser oder jener Situation zu entwerfen. Thukydides wirft zwarder athenischen Volksversammlung vor, sich 415 ohne rechtegeographische und ethnographische Kenntnisse auf das Aben-teuer des Eingreifens in Sizilien eingelassen zu haben. Immerhin

12 Einleitung

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wußten aber die Athener ein wenig von der Vorgeschichte derAuseinandersetzung zwischen den sizilischen Städten Segestaund Selinous, sie wußten auch von der Gefahr, die die imperialeExpansion von Syrakus darstellte, und nach einer späten Tradi-tion zeichneten die Athener in privaten Unterhaltungen Karten-umrisse von den fernen, noch zu erobernden Gebieten in denSand. Im Grunde entsprach damit also auch die Sizilienexpedi-tion dem Regelfall, daß die Athener sich meistens über die Ver-hältnisse, in die sie eingriffen, informierten. Führte man ineinem Jahr militärische Operationen des Vorjahres fort, hatteman Kenntnisse darüber, wie diese Operationen des Vorjahresverlaufen waren. Neben Rat und Volksversammlung gab esauch andere Orte, an denen in konkreter Form politische Sach-verhalte diskutiert wurden, etwa in den aristokratischen Zirkelnder Gegner der Demokratie.

Die Darstellung des Thukydides fügte letztlich hunderte sol-cher meist in Athen diskutierter Situationsdarstellungen, Lage-beurteilungen und analysierender Debatten zusammen, wobeider Historiker in großer Leidenschaft sich nicht zurückhielt,selbst immer wieder (besonders in den Reden der Akteure) seineeigene Sicht der Dinge einfließen zu lassen. Thukydides fühltesich immer in der Konkurrenz mit den von ihm beurteilten athe-nischen Politikern, versuchte aber auch, soweit er Informatio-nen hatte, Argumentationen und Motive der nicht-athenischenPolitiker nachzuvollziehen. In seinem Geschichtswerk betrieb erselbst insofern Politik, als er die athenische Niederlage im Kriegzu analysieren suchte, und gerade auch in der Nüchternheit sei-nes Stils seine überlegene Einsichtsfähigkeit (gnome) demon-strierte, die in seinen Augen als das wichtigste Charakteristikumeines guten Politikers zu gelten hatte. Er wollte, daß den klüge-ren Köpfen seine argumentativ entwickelte Darstellung undDeutung der Ereignisse als zwingend erschien. Im Endergebnisbegründete das Geschichtswerk des Thukydides wegen seinesintellektuellen Anspruchs so trotz einer ursprünglich politischenMotivation eine Konzeption, die sich in einigen Punkten der mo-dernen Auffassung von objektiv-wissenschaftlicher Geschichts-schreibung annähert. Der (hierin zweifelsohne von literarischen

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Vorbildern wie Homer oder Herodot beeinflußte) Umfang sei-ner Aufzeichnungen, die über Jahre genährte und durch die So-phistik geschulte Reflexion über Probleme der Politik sprengtendabei die Dimensionen einer bloßen tagespolitischen Analyseund schufen, wie Thukydides selbst stolz vermerkt, ein «Besitz-tum für immer».

Die ungeheure Bedeutung des Thukydides wird nicht zu-letzt deutlich, wenn man die Quellenlage für die letzten Jahredes Peloponnesischen Krieges würdigt, für die Thukydides fehlt.Gerade für die dramatischsten Jahre des Krieges, in denen Spar-ta, was die Seekriegsführung betrifft, mit Athen gleichgezogenhatte und Flotten von zuvor nicht gekannter Größe sich gegen-über standen, vermißt man einen detaillierten Bericht von derlebendigen Anschaulichkeit des Thukydides. Die Historiker, diedas Geschichtswerk des Thukydides fortgeführt haben, bietenkeinen gleichwertigen Ersatz. Auf der einen Seite berichtet Xe-nophon in seinen Hellenika nur über einzelne Abschnitte desKrieges, wie etwa über den Arginusenprozeß (406) oder überdie Kapitulation Athens (404), relativ detailliert, während eranderes sehr summarisch oder überhaupt nicht behandelt. SeinBericht erlaubt es nicht einmal, die Chronologie der letzten Jahredes Krieges mit Eindeutigkeit zu rekonstruieren. Auf der ande-ren Seite hat man zwar einen ausführlichen Bericht eines ande-ren Historikers, der – teils über Zwischenquellen – von spätenQuellen wie Diodor, Plutarch, Cornelius Nepos ausführlich aus-geschrieben worden ist und von dem für den Dekeleischen Kriegauch einige dürftige Papyrusfragmente erhalten geblieben sind.Dieser Bericht hat freilich den Nachteil, in vielem das exakteGegenteil dessen zu bieten, was der Zeitzeuge Xenophon in Er-fahrung gebracht hat, und es spricht viel dafür, daß man es hiermit dem literarisch-rhetorischen Produkt eines in der Mitte desvierten Jahrhunderts schreibenden Autors zu tun hat, der vonden Realitäten des Peloponnesischen Krieges keine Anschauungmehr hatte und seine ausführlichen Schlachtberichte frei kom-ponierte. Wo bei Thukydides also Zeitgeschichte mit großemErnst und innerem Engagement nachvollzogen wird, bietet dereine seiner Fortsetzer nur spärliche Notizen, der andere ein lite-

14 Einleitung

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rarisches Spiel, das trotz der Imitation thukydideischer Formenmit dem Anliegen des Thukydides nichts zu tun hat.

Thukydides, der schreibende athenische Politiker, stellt alsoin jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung dar. Die Tiefe undPlastizität der von ihm gebotenen Darstellung des realen poli-tischen und militärischen Geschehens ist von keinem späterenantiken Historiker erreicht worden, und der PeloponnesischeKrieg wird aufgrund dieser Qualitäten zum Modellfall des anti-ken Krieges schlechthin. Einige Aspekte der von ihm beschrie-benen Dynamik zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen odermassenpsychologischer Phänomene erscheinen so zeitübergrei-fend, daß sie immer wieder als Anregung eigener historischerReflexion dienen können und auch gedient haben, beginnendmit Thomas Hobbes und endend mit Arbeiten des 20. Jahrhun-derts, die den «Peloponnesischen Krieg» als «antiken Welt-krieg» mit den selbst erlebten Großkonflikten in Verbindungbrachten. Das gilt etwa für das Werk des Literaturkritikers Al-bert Thibaudet mit dem Titel «En campagne avec Thucydide».Es war in den Schützengräben der «Grande Guerre» verfaßtworden und gehörte zu den Bucherfolgen im Frankreich der20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Selbst die amerikanischen«neokonservativen» Denker der heutigen Zeit stützen sich aufwirkliche oder angebliche Lektüre des Thukydides.

Peloponnesischer Krieg und Universalgeschichte 15

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