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final work of study in the field of edu
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Zur Entwicklung des Verstehens von Wünschen und
Überzeugungen: Elemente der kindlichen Theory of Mind
Inaugural-Dissertation zur
Erlangung der Doktorwürde der Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.
vorgelegt von Julia Kern
aus Groß-Gerau
Sommersemester 2005
Dekan: Prof. Dr. Hans Spada Erstgutachter: Prof. Dr. Hans Spada Zweitgutachter: Prof. Dr. Michael Charlton Drittgutachter: Prof. Dr. Alexander Renkl Tag der Disputation: 11. Juli 2005
Dank I
Dank
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen meiner Tätigkeit in dem DFG-
Forschungsprojekt „Die Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern:
Mikrogenetische Studie und Computermodellierung“ von Dr. Stefan Wahl in der Zeit
vom Januar 2003 bis zum Dezember 2004 am Psychologischen Institut der Albert-
Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
Mein großer Dank gilt Prof. Dr. Hans Spada für seine wertvolle und zielführende
Unterstützung beim Zustandekommen dieser Arbeit.
Ganz besonders danken möchte ich auch Dr. Stefan Wahl für seine engagierte Betreuung
und für zahlreiche hilfreiche Gespräche und Kommentare, von denen ich in vielfacher
Hinsicht profitieren konnte.
Herzlich bedanken möchte ich mich bei den vielen Kindern, Eltern und Kindergärten,
ohne deren Mitarbeit diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.
Für die tatkräftige Hilfe bei der Projektdurchführung und Datenerhebung gilt Ellen
Rückert, Sonja Wahl, Katja Heyduck, Stefanie Büther, Carmen Heckmann, Jasmin
Karius und Julia Schmidt mein Dank.
Bedanken möchte ich mich weiterhin bei den vielen anderen Personen, die auf
unterschiedliche Weise zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben: Nikol Rummel,
Sabine Hauser, Hannah Swoboda, Miriam Bertholet, Anna Ertelt, Andrea Prager, Helene
Greubel, Christine Winkler, Ulrike Lüken und Sanna Einsele.
Bei Prof. Dr. Michael Charlton bedanke ich mich für die Übernahme der gutachterlichen
Tätigkeit.
Abschließend möchte ich mich von ganzem Herzen bei Jörg Heitz und meinen Eltern
Ursula und Rolf Kern für ihre vielfältige Unterstützung beim Zustandekommen dieser
Arbeit bedanken.
Inhaltsverzeichnis II
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung 1
Abstract 3
Einleitung und Überblick 4
1 Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 8
1.1 Begriffsbestimmung 8
1.2 Die Entwicklung einer Theory of Mind in der Kindheit 12
1.2.1 Säuglingsalter 13
1.2.2 Vom 18. Monat bis drei Jahren 14
1.2.3 Das vierte Lebensjahr 16
1.3 Theory of Mind-Aufgaben 17
1.3.1 Die False-Belief-Aufgabe 17
1.3.2 Die Representational-Change-Aufgabe 18
1.3.3 Die Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe 19
1.4 Interindividuelle Unterschiede in der Theory of Mind-Entwicklung 21
1.4.1 Familiäre Rahmenbedingungen 21
1.4.2 Kognitive Faktoren 24
1.4.3 Soziales Verhalten 25
1.4.4 Entwicklungsstörungen 26
2 Erklärungsansätze 29
2.1 Fodor: eine Modultheorie 29
2.2 Theorie-Theorien 31
2.3 Die Simulationstheorie 37
2.4 Exekutive Funktionen Theorie 39
Inhaltsverzeichnis III
3 Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 42
3.1 Die Relation von Wunsch- und Überzeugungsverständnis: verschiedene
theoretische Ansätze 42
3.2 Die Entwicklung des Verstehens von Wünschen: Stand der Forschung 44
3.3 Repräsentationale Unterschiede zwischen den mentalen Zuständen Wunsch und
Überzeugung 54
3.3.1 Repräsentationale Unterschiede zwischen der Conflicting-Desire- und False-
Belief-Aufgabe 57
3.4 Ableitung der Fragestellungen 61
4 Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 64
4.1 Rahmenbedingungen 64
4.2 Fragestellung und Hypothesen 65
4.3 Methode 67
4.3.1 Stichprobe 67
4.3.2 Material 68
4.3.2.1 Die klassischen Theory of Mind-Aufgaben 68
4.3.2.2 Die Wunschaufgaben 78
4.3.3 Versuchsplan 84
4.3.4 Durchführung 88
4.4 Ergebnisse 88
4.4.1 Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 88
4.4.2 Ergebnisse zu den einzelnen Aufgabentypen 91
4.4.3 Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände 97
4.4.4 Vergleichende Betrachtung der Kontroll- und Untersuchungsgruppe 101
4.4.5 Interindividuelle Unterschiede bezüglich der Entwicklungsverläufe von
Wunsch- und Überzeugungsverstehen 103
4.4.6 Zusammenfassung der Ergebnisse der 1. Studie 105
5 Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 107
5.1 Fragestellung und Hypothese 107
Inhaltsverzeichnis IV
5.2 Methode 108
5.2.1 Die Stichprobe 108
5.2.2 Material 109
5.2.3 Design und Durchführung 110
5.3 Ergebnisse 110
5.3.1 Das Verhältnis von Wunschverstehen zu Überzeugungsverstehen 110
5.3.2 Vergleich der Lösungshäufigkeiten von Kindern im Alter von 36 und 42
Monaten 113
6 Diskussion 116
6.1 Das Verhältnis von Wunsch- zu Überzeugungsverstehen 117
6.2 Das Verstehen eigener und fremder Wünsche und Überzeugungen 121
6.3 Die Beeinflussbarkeit der Theory of Mind-Entwicklung durch Lernerfahrungen123
6.4 Individualität der Entwicklungsverläufe 125
6.5 Erhebung des Wunschverstehens 127
6.6 Betrachtung der Stichproben 129
6.7 Fazit und Ausblick 129
Literaturverzeichnis 132
Anhang 142
False-Belief-Aufgaben 142
Representational-Change-Aufgaben 146
Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben 149
Neugier-Aufgaben 152
Conflicting-Desire-Aufgaben 152
Tabellenverzeichnis V
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Entwicklungsstadien des Repräsentationsverständnisses nach Perner (1991a)
13
Tabelle 2: Die drei klassischen Theory of Mind-Aufgaben 20
Tabelle 3: Theoretische Ansätze zur kindlichen Theory of Mind 43
Tabelle 4: Die Aufgaben 70
Tabelle 5: Vergleich False-Belief- und Conflicting-Desire-Aufgaben 79
Tabelle 6: Anzahl der Aufgaben 84
Tabelle 7: Abkürzungen der Aufgabenarten 85
Tabelle 8: Versuchsplan Untersuchungsgruppe 86
Tabelle 9: Versuchplan Kontrollgruppe 87
Tabelle 10: Relative Lösungshäufigkeit von Überzeugungs- und Wunschaufgaben 91
Tabelle 11: Verbesserung der Lösungshäufigkeit über die Zeit 93
Tabelle 12: Relative Lösungshäufigkeiten für Überzeugungs- und Wunschaufgaben 110
Tabelle 13: Anzahl der Lösungen je Aufgabetyp 112
Abbildungsverzeichnis VI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die alltagspsychologische Theorie des Denkens (Astington, 2000)
11
Abbildung 2: Belief-desire-psychology nach Bartsch & Wellman 33
Abbildung 3: Repräsentationaler Unterschied von False-Belief- und Conflicting-Desire-Aufgaben
58
Abbildung 4: False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“ 71
Abbildung 5: Protokollbogen der False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“ 72
Abbildung 6: Protokollbogen der Representational-Change-Aufgabe „Eierkarton“
74
Abbildung 7: Protokollbogen der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe „Pflasterstein“
76
Abbildung 8: Protokollbogen der Conflicting-Desire-Aufgabe „Das Froschspiel
80
Abbildung 9: Protokollbogen der Neugier-Aufgabe „Die zwei kleinen Schachteln“
82
Abbildung 10: Lösungshäufigkeit von Überzeugungs- und Wunschaufgaben im Verlauf der 10 Termine
90
Abbildung 11: Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgabenarten im Verlauf der 10 Termine
92
Abbildung 12: Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgaben, alle Termine zusammengefasst
94
Abbildung 13: Lösungshäufigkeiten der konsistenten Aufgaben 96
Abbildung 14: Verlauf des Verstehens eigener und fremder mentaler Zustände
98
Abbildung 15: Lösungshäufigkeit für Aufgaben Überzeugung und Wunsch eigen und fremd
99
Abbildung 16: Entwicklungsverläufe von Kontrollgruppe und Untersuchungsgruppe
102
Abbildung 17: Entwicklungsverläufe einzelner Kinder 104
Abbildungsverzeichnis VII
Abbildung 18: Lösungshäufigkeit der Aufgabentypen in der zweiten Studie und zur ersten Auswertungseinheit der ersten Studie
113
Zusammenfassung 1
Zusammenfassung
Theory of Mind ist die Fähigkeit sich selbst und anderen mentale Zustände
zuzuschreiben. Als Kernkonzepte der Theory of Mind können Wünsche und
Überzeugungen verstanden werden. Sie ermöglichen es, Verhalten vorherzusagen. Die
Forschung zur Entwicklung der kindlichen Theory of Mind hat sich bisher hauptsächlich
mit dem Überzeugungsverstehen beschäftigt. Die Untersuchung des Wunschverstehens
blieb weitgehend unberücksichtigt. Ziel der vorliegenden Arbeit war die vergleichende
Betrachtung der Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen. Die
zentrale Hypothese der Arbeit lautete: Wunschverstehen ist einfacher als
Überzeugungsverstehen. Dies wurde aus der Darstellung der repräsentationale
Strukturen von Wunsch und Überzeugungen abgeleitet, bei der sich zeigte, dass
Wünsche repräsentational einfachere mentale Zustände sind als Überzeugungen.
Anhand der Daten zu dem Verhältnis der beiden Entwicklungsverläufe wurden nicht nur
die Hypothesen der eigenen Arbeit sondern auch Aussagen verschiedener theoretische
Ansätze zur Theory of Mind-Entwicklung überprüft.
Das Überzeugungsverstehen wurde mit der klassischen False-Belief- und
Representational-Change-Aufgaben erfasst. Die Erhebung des Wunschverstehens
erfolgte mit Aufgaben, die strukturell der False-Belief-Aufgabe glichen.
In einer Längsschnittstudie wurden 42 Kinder im Alter von 3,5 Jahren sieben Monate
lang zu zehn Terminen Wunsch- und Überzeugungsaufgaben vorgelegt. Es zeigte sich,
dass Wunsch- und Überzeugungsverstehen während des Untersuchungszeitraumes
signifikant zunahmen und dass Wunschverstehen signifikant leichter war als
Überzeugungsverstehen. In einer zweiten Studie wurde der Frage nachgegangen, wie
sich Wunsch- und Überzeugungsverstehen bei Kindern im Alter von 3 Jahren darstellt.
Hierzu wurden 41 Kindern zu einem Termin Wunsch- und Überzeugungsaufgaben
vorgelegt. Es zeigte sich, dass beide Aufgabentypen nur von sehr wenigen Kindern
gelöst werden konnten, wobei sich die Lösungshäufigkeit von Wunsch- und
Überzeugungsaufgaben nicht signifikant unterschieden. Die Ergebnisse der beiden
Studien sprechen für eine graduelle Entwicklung des Repräsentationsverständnisses. So
Zusammenfassung 2
beginnen Kinder im Alter zwischen 3 bis 3,5 Jahren langsam die repräsentationale
Struktur von Wünschen zu verstehen und lösen mit 4 Jahren fast alle Wunschaufgaben.
Das Verstehen der Überzeugungsaufgaben beginnt erst im Alter von 3,5 Jahren und ist
mit 4 Jahren noch nicht umfassend entwickelt.
Abstract 3
Abstract
Theory of mind is the ability to impute mental states to oneself and to others. There are
two core mental states which allow to determine human action: desires and beliefs. The
majority of research on the development of theory of mind in children has focused on
the development of belief understanding. There are only a few studies on children’s
understanding of desire. The aim of the present thesis was to study the relationship
between the development of desire and belief understanding. The main hypothesis was
that children understand desire before they understand belief, because the
representational structure of desire is easier.
Two studies were conducted to test the above hypothesis against the background of
different theoretical approaches to theory of mind.
In a longitudinal study standard false-belief tasks, representational-change tasks and
equivalently structured desire tasks were presented to 42 3.5-year-olds for ten times over
a period of seven months. Results showed an increase in performance on all tasks.
Further, the results showed that desire understanding is easier for the children than belief
understanding. In a second study the relationship between desire and belief
understanding in 3-year-olds was investigated. The same desire- and belief-tasks as in
the first study were presented to 41 children but just once. Results showed that 3-year-
olds are not able to solve these tasks.
The findings of this thesis suggest a gradual development of representational
understanding. Between 3 and 3.5 years children begin to understand the
representational structure of desire and almost all 4-year-olds are able to solve the
desire-tasks. Belief reasoning develops later. Between 3.5 and 4 years children only
begin to understand some aspects of the representational structure of beliefs.
Einleitung und Überblick 4
Einleitung und Überblick
In den letzen Jahrzehnten wurde eine Vielzahl an Untersuchungen zur Entwicklung der
kindlichen Theory of Mind durchgeführt. Der Begriff wurde von Premack und Woodruff
(1978) wie folgt definiert: „An individual has a theory of mind if he imputes mental
states to himself and others“ (S. 515). Obwohl sich schon diese Definition auf mehrere
mentale Zustände bezieht, hat die bisherige Forschung vor allem die Entwicklung des
Überzeugungsverstehens untersucht. Mit dem Erwerb einer Theory of Mind lernen
Kinder aber nicht nur, dass Personen Überzeugungen haben, nach denen sie handeln,
sondern sie lernen auch, dass diese Handlungen durch Wünsche und Absichten motiviert
sind. Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit ist, ob im Verlauf der Entwicklung der
kindlichen Theory of Mind das Verstehen von Wünschen vor dem Verstehen von
Überzeugungen möglich ist. Dies könnte insofern plausibel sein, da Wünsche
repräsentational einfachere mentale Konstrukte sind als Überzeugungen. Wünsche
können als Einstellung (wollen, dass) gegenüber einer Proposition (es ist schönes
Wetter) verstanden werden. Sie haben keinen Bezug zur Realität, können also niemals
falsch sein. Auch Überzeugungen sind Einstellungen (denken, dass) gegenüber
Propositionen (es ist schönes Wetter). Darüber hinaus haben sie aber einen direkten
Bezug zur Realität, indem sie versuchen, sie abzubilden. Überzeugungen können somit
falsch sein, Wünsche nicht. Bei Überzeugungen handelt es sich daher um strukturell
schwierigere Repräsentationen als bei Wünschen.
Mehrere Theoretiker haben sich mit der Frage auseinander gesetzt, welcher
Mechanismus der Entwicklung der kindlichen Theory of Mind zugrunde liegt. So geht
Perner (1991a) als ein Vertreter der Theorie-Theoretiker von der Annahme aus, dass der
entscheidende Entwicklungsmechanismus das zunehmende Repräsentationsverständnis
ist. Er kommt somit zu der Vorhersage, dass sich Wunschverstehen vor
Überzeugungsverstehen entwickelt.
Eine ganz andere Erklärung liefert der Ansatz der exekutiven Funktionen. Exekutive
Funktionen sind hier als Handlungskontrolle zu verstehen und beinhalten unter anderem
die Fähigkeit, dominante Antworttendenzen zu hemmen. Vertreter dieses Ansatzes
gehen davon aus, dass eine Zunahme an exekutiven Funktionen dazu führt, dass im
Einleitung und Überblick 5
Laufe der Entwicklung mehr Theory of Mind-Aufgaben gelöst werden können. Hierbei
spielt es keine Rolle, welche Art von mentalem Konstrukt (Wunsch, Überzeugung) die
Aufgaben beinhalten. Entscheidend ist nur die Höhe der exekutiven Anforderungen.
Dieser Ansatz kommt somit zu der Vorhersage, dass Wunschverstehen nicht vor
Überzeugungsverstehen auftritt, vorausgesetzt, zur Erhebung werden Aufgaben mit
vergleichbaren Anforderungen an exekutive Funktionen gestellt.
Zwei weitere theoretische Ansätze machen Aussagen über das Verhältnis der
Entwicklung von Wunschverstehen zur Entwicklung von Überzeugungsverstehen. So
geht Fodor (1987, 1992) in seiner Modultheorie davon aus, dass Wünsche vor
Überzeugungen verstanden werden, die Simulationstheorie (Harris, 1992) hingegen
nimmt wie der Ansatz der exekutiven Funktionen (Moore et al., 1995) an, dass der
Unterschied zwischen den mentalen Zuständen beim Erwerb der Theory of Mind keine
Rolle spielt.
Ziel dieser Arbeit ist es, den Verlauf der Entwicklung des kindlichen Wunschverstehens
im Vergleich zum Verlauf der Entwicklung des kindlichen Überzeugungsverstehens
abzubilden. Aus dem Verhältnis dieser beiden Entwicklungsverläufe können dann
Rückschlüsse auf die Richtigkeit von Annahmen einzelner theoretischer Ansätze
gezogen werden.
Die vorliegende Arbeit wurde ihm Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Die
Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und
Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine
breit angelegte mikrogenetische Studie zur Entwicklung der kindlichen Theory of Mind
(Wahl, 2002). Die mikrogenetische Methode zeichnet sich durch viele Messungen an
einer Stichprobe in einem relativ kurzen Zeitraum aus und zielt darauf ab, ganze
Entwicklungsperioden zu erfassen (Siegler & Crowley, 1991). Die hier vorliegende
Arbeit gliedert sich wie folgt:
Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung. Im ersten Kapitel wird
Theory of Mind als Wissen über mentale Zustände und ihre Auswirkungen auf
Handlungen definiert. Danach wird die Entwicklung der Theory of Mind vom
Säuglingsalter bis hin zum vierten Lebensjahr dargestellt. Anschließend wird ein
Einleitung und Überblick 6
Überblick über drei klassische Aufgaben zur Erfassung der kindlichen Theory of Mind
gegeben. Nachdem der generelle Alterstrend der Entwicklung einer Theory of Mind
aufgezeigt worden ist, wird dargestellt, dass es durch bestimmte familiäre
Rahmenbedingungen, kognitive Faktoren und Entwicklungsstörungen zu
interindividuellen Unterschieden im Entwicklungsverlauf kommen kann.
Erklärungsansätze. Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über theoretische
Erklärungsansätze zur Entwicklung der Theory of Mind, wobei besonders die Aussagen
der einzelnen Theorien zur Entwicklung von Wunschverstehen und
Überzeugungsverstehen betrachtet werden. Dargestellt werden die Modultheorie von
Fodor (1987), die Simulationstheorie (Harris, 1992; Gordon, 1996), die Theorie der
exekutiven Funktionen (Russell, 1996), sowie die Theorie-Theorie (Bartsch & Wellman,
1995; Perner, 1991a), wobei hier ein besonderer Schwerpunkt auf den repräsentationalen
Ansatz von Perner gelegt wird.
Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen. In Kapitel drei wird
zunächst vergleichend dargestellt, zu welchen Vorhersagen die vier theoretischen
Erklärungsansätze bezüglich des Verhältnisses zwischen der Entwicklung des
Wunschverstehens und der Entwicklung des Überzeugungsverstehens kommen.
Anschließend wird ein Überblick darüber gegeben, was bisherige Forschungsergebnisse
über die Entwicklung des Wunschverstehens aussagen. Dann wird der für diese Arbeit
zentrale repräsentationale Unterschied zwischen Wunsch und Überzeugung anhand einer
Systematik von Schwitzgebel (1999b) genauer verdeutlicht. Die Aussage, dass Wünsche
repräsentational einfachere Konstrukte als Überzeugungen sind, wird in Bezug zu dem
theoretischen Ansatz der exekutiven Funktionen und Perners repräsentativem Ansatz
gesetzt und daraus die Fragestellungen der eigenen Arbeit abgeleitet.
Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen. In
Kapitel vier wird die im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Die Entwicklung der
naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und
Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) durchgeführte Studie dargestellt.
Nach der Beschreibung der Stichprobe, des Materials und der Durchführung werden die
Ergebnisse aufgezeigt. Hierbei wird zuerst auf die Entwicklungsverläufe von Wunsch-
und Überzeugungsverstehen eingegangen, bevor die Lösungshäufigkeiten einzelnen
Einleitung und Überblick 7
Aufgabentypen betrachtet werden. Anschließend werden die Ergebnisse zum Verstehen
eigener und fremder mentaler Zustände sowie der Vergleich von Kontroll- und
Untersuchungsgruppe dargestellt. Darüber hinaus findet in diesem Kapitel auch eine
kurze Betrachtung individueller Unterschiede einzelner Entwicklungsverläufe statt.
Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten. Die
Kinder in Studie 1 waren zu Beginn im Durchschnitt 41,6 Monate alt. Sie verfügten
schon am Anfang der Studie über ein deut lich besseres Wunschverstehen als
Überzeugungsverstehen. Um zu erfassen ob sich dieses Differenz auch bei jüngeren
Kindern zeigt, wurde eine zweite Studie mit Kindern im Alter von 36 Monaten
durchgeführt. Diese wird in Kapitel fünf vorgesellt. Nachdem die Methode der Studie 2
beschrieben worden ist, werden zuerst die Ergebnisse bezüglich des Verhältnisses von
Wunsch- und Überzeugungsverstehen dargestellt und anschließend die Ergebnisse der
Studie 2 mit den Ergebnissen der Studie 1 in Verbindung gebracht.
Diskussion. Im letzten Kapitel der Arbeit werden die Ergebnisse zum Verhältnis von
Wunsch- zu Überzeugungsverstehen im Hinblick auf die Aussagen der theoretischen
Ansätze diskutiert, das Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände betrachtet,
Überlegungen zur Veränderbarkeit der Theory of Mind-Entwicklung durch
Lernerfahrungen dargestellt und die Individualität der einzelnen Entwicklungsverläufe
erörtert. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel auch die eingesetzten Aufgaben
bezüglich ihrer Durchführbarkeit kritisch betrachtet. Die Arbeit endet mit einem Fazit
und einem kurzen Ausblick bezüglich weiterer Forschung.
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 8
1 Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung
In diesem Kapitel wird zuerst der Begriff Theory of Mind genauer definiert (1.1).
Anschließend wird ein Überblick über empirische Befunde zur Entwicklung der
kindlichen Theory of Mind gegeben (1.2) und es werden die gängigen Aufgabentypen
zur Erfassung des Überzeugungsverständnisses vorgestellt (1.3). Im Abschnitt 1.4.
werden interindividuelle Unterschiede bei der Entwicklung geschildert, wobei näher auf
den Einfluss der Familie, kognitive Faktoren, den Zusammenhang zwischen Theory of
Mind und Sozialverhalten sowie Entwicklungsstörungen eingegangen wird. Der in
diesem Kapitel dargestellte Verlauf der normalen Entwicklung sowie dabei auftretende
interindividuelle Unterschiede bilden die Befund lage, aus der theoretische
Erklärungsansätze zur kindlichen Theory of Mind entwickelt wurden. Einige dieser
theoretischen Erklärungsansätze, die Aussagen über Ursachen und Wirkmechanismen
der Entwicklung der Theory of Mind machen, werden dann im zweiten Kapitel
beschrieben.
1.1 Begriffsbestimmung
Was verbirgt sich hinter dem Begriff Theory of Mind? Häufig wird er, als feststehende
Bezeichnung, auch im deutschen Sprachgebrauch eingesetzt und mit ToM abgekürzt.
Manche Autoren verwenden aber auch Begriffe wie „Theorie des Denkens“, „Theorie
des Geistes“, „Alltagspsychologie“ oder „naive Psychologie“. All diese Begriffe können
gleichbedeutend eingesetzt werden, in dieser Arbeit wird aber hauptsächlich der Begriff
Theory of Mind verwendet.
Was bedeutet nun aber Theory of Mind inhaltlich? Der Mensch, als soziales Wesen,
versucht, in seinem Alltag die Handlungen und Emotionen anderer Personen für sich
erklärbar zu machen, indem er wie ein Psychologe deren mentale Zustände
berücksichtigt: Erkennt er den Wunsch sowie die Überzeugung einer anderen Person,
kann er daraus ihre Handlung vorhersagen. Handlungen wiederum deutet er als Folge
bestimmter Überzeugungen, Wünsche und Absichten. Er verfügt also über eine
Alltagspsychologie, mit der er das Verhalten und Denken anderer Menschen für sich
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 9
erklärbar machen kann. Die Forschung zu dieser naiven Psychologie wurde maßgeblich
durch einen Artikel von Premack und Woodruff (1978) beeinflusst. Sie gingen der Frage
nach, ob auch Schimpansen über eine Alltagspsychologie verfügen und prägten den
Begriff Theory of Mind, den sie wie folgt definieren:
An individual has a theory of mind if he imputes mental states to
himself and others. A system of inferences of this kind is properly
viewed as a theory because such states are not directly observable, and
the system can be used to make predictions about the behaviour of
others. (S. 515)
Premack und Woodruff behaupteten, dass Schimpansen eine Theory of Mind haben, weil
sie, nachdem sie eine Person in einer Problemsituation beobachtet hatten, aus zwei Fotos
häufiger dasjenige auswählten, welches die Lösung des Problems abbildete. Sie
schlossen daraus, dass die Schimpansen der Person anhand des beobachteten Verhaltens
bestimmte Absichten zuschrieben und somit mentale Zustände berücksichtigen. Infolge
dieser Behauptung schlugen einige Philosophen (Bennett, 1978; Dennett 1978; Harman,
1978) ein experimentelles Paradigma vor, welches zweifelsfrei zeigen soll, ob
Lebewesen über eine Theory of Mind verfügen und somit in der Lage sind, mentale
Zustände als handlungsleitend zu begreifen. Dieses Paradigma griffen die
Entwicklungspsychologen Wimmer und Perner auf und stellten in ihrem
richtungsweisenden Artikel von 1983 die inzwischen klassische False-Belief-Aufgabe
vor. Um sicher zu gehen, dass Kinder sich bei der Verhaltensvorhersage einer anderen
Person auf deren mentale Zustände beziehen und nicht auf die Realität, setzten sie
Aufgaben mit falschen Überzeugungen ein. Hierbei muss das Kind die (falsche)
Überzeugung der Person als handlungsleitend verstehen, kann sich also nicht einfach nur
an der tatsächlichen Situation orientieren. Die wohl bekannteste False-Belief-Aufgabe ist
die Geschichte von Maxi. In einer Bildergeschichte legt Maxi eine Schokolade in den
blauen Schrank und verlässt dann den Raum, um draußen zu spielen. Derweil legt die
Mutter die Schokolade in den grünen Schrank. Nun kommt Maxi wieder und will von
der Schokolade essen. Die Kinder, denen diese Aufgabe vorgelegt wird, werden gefragt,
wo Maxi die Schokolade suchen wird. Bemerkenswerterweise lösen Kinder erst ab etwa
vier Jahren diese Aufgabe richtig. Sie verstehen, dass Maxi dort suchen wird, wo er
fälschlicherweise die Schokolade vermutet. Nahezu alle Kinder unter dreieinhalb Jahren
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 10
beantworten diese Frage jedoch falsch, d.h. sie sagen, dass Maxi dort suchen wird, wo
die Schokolade tatsächlich ist. Diese Ergebnisse sind inzwischen durch eine Vielzahl
weiterer Studien mit False-Belief-Aufgaben bestätigt worden (Wellman, Cross &
Watson, 2001).
In den letzten zwei Jahrzehnten ist das kindliche Verständnis mentaler Zustände unter
dem Begriff Theory of Mind zu einem wichtigen Forschungsgebiet innerhalb der
Entwicklungspsychologie geworden. Eine ganze Fülle an Artikeln, Büchern und
Dissertationen sind zu diesem Thema erschienen (für einen Überblick: Astington, 2000;
Flavell, 2000). Neben den False-Belief-Geschichten fanden noch zwei weitere
Aufgabentypen Einzug in die Theory of Mind-Forschung. Die Representational-Change-
Aufgaben untersuchen, ob das Kind eigene vergangene falsche Überzeugungen
repräsentieren kann (Gopnik & Astington, 1988). Bei den Appearance-Reality-
Distinction-Aufgaben müssen die Kinder zwischen dem Aussehen und der diskrepanten
Identität eines Objektes unterscheiden (Flavell, Flavell & Green, 1983). Die drei
inzwischen klassischen Aufgabentypen werden unter Abschnitt 1.3 ausführlich
dargestellt.
Der False-Belief- und der Representational-Change-Aufgabe ist gemeinsam, dass sie
jeweils das Verständnis von Überzeugungen, sei es von anderen Personen oder vom
Kind selbst, untersuchen. Auch wenn es andere Aufgaben, wie beispielsweise die
Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben gibt, die nicht das Verständnis von
Überzeugungen erfassen, hat doch eine klare Einschränkung des Forschungsfeldes auf
die Fragestellung, ab wann Kinder Überzeugungen verstehen, stattgefunden. Eine
umfassende Theory of Mind beinhaltet aber mehr mentale Zustände als nur
Überzeugungen. So bezeichnet Astington (2000) Überzeugungen und Wünsche als
mentale Kernkonzepte in der Theory of Mind, aus denen Handlungen vorhergesagt
werden können. Eine umfassende Theory of Mind, die Kinder ab dem vierten Lebensjahr
zu entwickeln beginnen und über die jeder gesunde erwachsene Mensch verfügt, ist das
Wissen über verschiedene mentale Zustände und ihre Wechselwirkungen mit
Wahrnehmungen und Handlungen. Eine Theory of Mind ermöglicht es, Verhalten
anderer Personen erklärbar zu machen und wird von Astington (2000) wie folgt
dargestellt:
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 11
Triebe / Emotionen
Überzeugungen
Wahrnehmung
Intentionen
Handlungen
ErgebnisEreignisse in der Umwelt
Wünsche+
Triebe / Emotionen
Überzeugungen
Wahrnehmung
Intentionen
Handlungen
ErgebnisEreignisse in der Umwelt
Wünsche+
Triebe / Emotionen
Überzeugungen
Wahrnehmung
Intentionen
Handlungen
ErgebnisEreignisse in der Umwelt
Wünsche+
Abbildung 1: Die alltagspsychologische Theorie des Denkens (Astington, 2000)
Versucht eine Person die Handlungsweise einer anderen Person zu erklären, greift sie
auf ihr alltagspsychologisches Wissen zurück, was als Theory of Mind bezeichnet wird,
und folgende Inhalte umfasst: Durch die Wahrnehmung eines Ereignisses in der Umwelt
und durch Schlussfolgerungen gelangt eine Person zu Überzeugungen. Darüber hinaus
verfügt eine Person über Wünsche, die ausdrücken, was sie will. Um den Wunsch zu
befriedigen, bildet sich möglicherweise eine Intention zur Handlung, die abhängig ist
von der Überzeugung der Person, wie die Intention realisiert werden kann. Diese
wiederum kann zu einer Handlung führen, die ein Ergebnis in der Welt nach sich zieht.
Der Wunsch kann aber auch ohne Intention und Handlung befriedigt werden, indem das
Ergebnis in der Welt spontan eintritt.
Überzeugungen haben ihren Ursprung in der Umwelt und werden über Wahrnehmungen
vermittelt. Wünsche entwickeln sich zum einen aus Grundbedürfnissen und elementaren
physiologischen Überlebens- und Fortpflanzungstrieben und zum anderen aus
grundlegenden Emotionen sowie aus Emotionen, die das Ergebnis von früheren
Überzeugungen und Bedürfnissen sind. Häufig reicht es aus, die beiden Kernkonzepte
Überzeugungen und Wünsche zu berücksichtigen, um die Handlung einer Person
vorhersagen zu können. Weiß man beispielsweise, dass Maxi die Überzeugung hat, die
Schokolade sei im blauen Schrank und den Wunsch hat, die Schokolande zu essen, kann
man voraussagen, dass er die Schokolade im blauen Schrank suchen wird.
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 12
Mentale Zustände sind also im Rahmen der Theory of Mind verschiedenartige
Konstrukte, die von Personen berücksichtigt werden, wenn sie Verhalten vorhersagen
oder erklären wollen. Eine Theory of Mind ist somit das Wissen einer Person über
mentale Zustände und deren Auswirkungen auf Handlungen. Die Forschung zur Theory
of Mind fokussiert gegenwärtig hauptsächlich die Entwicklung der kindlichen Theory of
Mind, indem sie untersucht, ab wann und auf welche Weise Kinder mentale Konstrukte
begreifen. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse zum Entwicklungsverlauf der
Theory of Mind werden im nächsten Abschnitt dargestellt.
1.2 Die Entwicklung einer Theory of Mind in der Kindheit
Die in diesem Abschnitt dargestellte Entwicklung der naiven Alltagspsychologie ist
eingeteilt in drei Entwicklungsstadien, erstens das Säuglingsalter, zweitens das Alter von
18 Monaten bis zu drei Jahren und drittens das Alter ab dem vierten Lebensjahr. Diese
Einteilung orientiert sich an Perners repräsentationalem Ansatz (1991a), der davon
ausgeht, dass der entscheidende Entwicklungsmechanismus der Theory of Mind das
zunehmende Repräsentationsverständnis ist. Die Entwicklung des
Repräsentationsverständnisses teilt er in drei Stadien ein (siehe Tabelle 1). Perners
repräsentationaler Ansatz wird unter 2.2 genauer dargestellt. Im folgenden Abschnitt
sollen nun die in einer Vielzahl von Studien gefundenen Entwicklungsschritte der
Kleinkinder hin zu einer umfassenden Theory of Mind nacheinander aufgezeigt werden.
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 13
Tabelle 1: Entwicklungsstadien des Repräsentationsverständnisses nach Perner (1991a)
Entwicklungsstadium Repräsentationsleistung Altersbereich
Primäre Repräsentationen Im jeweiligen Augenblick das Wahrgenommene mental abbilden.
Säuglingsalter
Sekundäre Repräsentationen Sich von momentaner Wahrnehmung lösen und vergangene und hypothetische Situationen repräsentieren können.
ab etwa 18 Monaten
Metarepräsentationen Begreifen repräsentationaler Relationen, Verstehen, dass mentale Inhalte nicht direktes Abbild der Realität sind sondern durch Wahrnehmungen und Überlegungen vermittelt à Repräsentationen können sich ändern unabhängig von der Realität, Repräsentationen können falsch sein.
Beginn im vierten Lebensjahr
1.2.1 Säuglingsalter
Säuglinge verfügen über eine angeborene oder sehr früh erworbene Fähigkeit, die eine
wichtige Voraussetzung für soziales Lernen ist: sie erleben menschliche Gesichter,
Stimmen und Bewegungen als besonders interessante Stimuli. So entwickeln Säuglinge
bereits mit etwa einem halben Jahr die Fähigkeit, dem Blick einer anderen Person zu
folgen (Butterworth & Jarrett, 1991) und zu erkennen, was diese betrachtet. Zwischen
neun und zwölf Monaten verbessert sich die Fähigkeit zur triadischen Interaktion
(Interaktion zwischen Kind und Erwachsenem mit Bezug auf ein Objekt). Säuglinge
folgen dem Blick oder der Zeigegeste einer Person und beginnen selbst, die
Aufmerksamkeit einer Person durch Gesten auf bestimmte Objekte zu lenken. Diese
geteilte Aufmerksamkeit ist eine wichtige Form frühkindlicher Interaktion und
Kommunikation.
Weitere Befunde zeigen, wie früh Kinder schon aus dem Verhalten anderer Personen
lernen. So können sie von Anfang an die Stimme der Mutter von anderen weiblichen
Stimmen unterscheiden (Cooper & Aslin, 1989) und bereits in den ersten beiden
Lebensjahren verschiedene Gesichtsausdrücke erkennen (Nelson, 1987). Auch an
menschlichen Handlungen haben Säuglinge scheinbar ein großes Interesse. Sie sind
schon sehr früh in der Lage, Bewegungen von anderen Personen zu imitieren. Melzoff,
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 14
Gopnik und Repacholi (1999) gehen davon aus, dass Imitation eine wichtige Grundlage
für die spätere Entwicklung einer Theory of Mind ist. Auch wenn ein Säugling seine
mentalen Zustände noch nicht bewusst reflektiert, so ist doch sicher, dass er mentale
Zustände hat und von Geburt an in soziale Interaktionen eingebunden ist. Nach Perner
(1991a) verfügt auch schon ein Säugling über primäre Repräsentationen, die es ihm
ermöglichen, die Welt so zu repräsentieren, wie er sie wahrnimmt, d.h. er ist in der Lage,
im Hier und Jetzt die Realität mental abzubilden.
1.2.2 Vom 18. Monat bis drei Jahren
Einen großen Entwicklungsschritt machen Kinder etwa im Alter von 18 Monaten. Sie
können jetzt nicht mehr nur primäre, sondern auch sekundäre Repräsentationen bilden
(Suddendorf, 1999). Dies ermöglicht ihnen, sich von der gegenwärtigen Wahrnehmung
zu lösen und vergangene, zukünftige und hypothetische Situationen, sowie mentale
Zustände anderer Personen zu repräsentieren.
Ab etwa 18 Monaten beginnen Kinder mit dem Symbolspiel, in dem sie fiktive Objekte,
Personen und Handlungen erfinden, die sie von der Realität unterscheiden können
(Leslie, 1987). Das Kind, das eine Banane aufhebt und hineinspricht wie in einen
Telefonhörer, spielt Telefonieren. Dabei löst es sich von der primären Repräsentation
der Banane und stellt sie sich als Telefonhörer vor (sekundäre Repräsentation), weiß
aber, dass die Banane kein Telefonhörer ist.
Während des zweiten Lebensjahrs beginnen Kinder Symbole und Zeichen zu
interpretieren und Sprache zu benutzen. Auch dieser Entwicklung liegt möglicherweise
die Fähigkeit, sekundäre Repräsentationen bilden zu können, zugrunde (Suddendorf,
1999). Als Indiz für ein sich entwickelndes Verständnis für mentale Zustände kann
gesehen werden, dass Kinder während des dritten Lebensjahres zunehmend
mentalistische Begriffe gebrauchen und über ihre Wünsche und Bedürfnisse sprechen
(Bartsch & Wellman, 1995).
Eine weitere Fähigkeit, die sekundäre Repräsentationen verlangt, ist das Erkennen des
Selbst im Spiegel, was Kindern ab etwa 18 Monaten möglich ist (Suddendorf, 1999). Bei
dem klassischen Test, der diese Fähigkeit überprüft, muss das Kind durch Erfahrungen
in der Vergangenheit wissen, wie sein Spiege lbild normalerweise aussieht (sekundäre
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 15
Repräsentation) um realisieren zu können, dass das momentane Spiegelbild (primäre
Repräsentation) anders ist. Wenn das Spiegelbild zum Beispiel einen roten Punkt auf der
Stirn zeigt, wird das Kind diesen nur genauer untersuchen, wenn ihm die Diskrepanz,
zwischen dem, wie es selber normalerweise aussieht und wie es augenblicklich aussieht,
auffällt. In enger zeitlicher Verbindung mit dem Erkennen des Selbst entwickelt sich die
Fähigkeit zur Empathie. So zeigen Kinder, die sich selbst schon im Spiegel erkennen,
angesichts eines Missgeschicks einer anderen Person empathische Anteilnahme und
versuchen, dieser zu helfen (Bischof-Köhler, 1994).
Meltzoff (1995) zeigte, dass bereits im Alter von 18 Monaten einfache Intentionen
verstanden werden können. In einem Experiment wurde Kindern eine Person gezeigt,
die versuchte, eine Handlung durchzuführen, die ihr aber nicht gelang. Später imitieren
die Kinder die intendierte Handlung mit Erreichung des Ziels und nicht die beobachtete
fehlgeschlagene Handlung, d.h. sie hatten die Handlungsintention repräsentiert
(sekundäre Repräsentation) und nicht nur das direkt Beobachtete erinnert und
reproduziert.
Auch ein erstes Verständnis der Wünsche anderer Personen entwickelt sich mit etwa 18
Monaten. Zeigt eine Person deutliches Interesse an Broccoli, geben Kinder in diesem
Alter ihr den Teller mit Broccoli, obwohl sie selbst Kekse bevorzugen. 14 Monate alte
Kinder hingegen reichen der Person den Teller mit Keksen (Repacholi & Gopnik, 1997).
Mit zwei Jahren verstehen Kinder auch etwas davon, wie Wünsche Handlungen
bestimmen. Wellman und Woolley (1990) erzählten Kindern eine Geschichte, in der ein
Junge seinen Hasen finden wollte, um ihn mit zur Schule zu nehmen. Der Junge fand
entweder seinen Hasen oder er fand seinen Hund oder er fand nichts. Kinder ab zwei
Jahren wussten, dass der Junge im ersten Fall in die Schule gehen und in den beiden
anderen Fällen weiter suchen wird.
Mit zweieinhalb Jahren beginnen Kinder zu verstehen, dass eine Person etwas sehen
kann, was sie selbst nicht sehen können. Flavell nennt diese Entwicklungsstufe level 1
perspective taking (Flavell, Everett, Croft & Flavell, 1981). Kinder auf diesem Niveau
können erfassen, ob eine Person etwas sieht, sie verstehen aber noch nicht, dass eine
Sache von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Erst
Kinder auf dem level 2 perspective taking verstehen, dass es unterschiedliche
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 16
Interpretationen der Realität gibt. Flavell et al. (1981) legten das Bild einer Schildkröte
auf den Tisch und fragten Kinder, wie der Versuchsleiter, der ihnen gegenüber saß, die
Schildkröte sehe: auf dem Kopf oder auf den Beinen stehend. Fast alle Dreijährigen
behaupteten der Versuchleiter sehe die Schildkröte wie sie selbst. Die Mehrheit der
Vierjährigen unterschied die beiden Perspektiven aber korrekt. Sie hatten schon einen
wichtigen Entwicklungsschritt gemacht, der im folgenden Abschnitt dargestellt wird.
1.2.3 Das vierte Lebensjahr
During the fourth year children seem to change quite dramatically in
the way they see the world, others, and themselves. Parents observe
that their children begin to make their own plans, have their own long-
term goals (such as what they will do when they grow up), recall what
one told them last week (especially when it contradicts today’s
explanation), consider other people’s minds, deceive and lie, restrain
themselves, start to read and to follow complex story lines, invent their
own stories (generating entirely novel scenarios), their own symbols,
and perhaps an imaginary friend, draw moral conclusions, and actively
ask why and what for in their attempts to make sense of the word.
(Suddendorf, 1999, S.234)
Was liegt dieser Entwicklung zugrunde? Welche neue Fähigkeit haben die Kinder
erworben? Perner (1991a) geht davon aus, dass Kinder während ihres vierten
Lebensjahres lernen, Metarepräsentationen zu bilden. Metarepräsentationen sind
Repräsentationen der repräsentationalen Relationen (Pylyshyn, 1978). Kinder verstehen
nun, dass Menschen nicht danach handeln, wie die Welt ist, sondern wie sie sie
repräsentiert haben. Sie begreifen Repräsentationen als Repräsentationen und verfügen
so über eine repräsentationale Theorie des Denkens.
Auch wenn einige theoretische Erklärungsansätze der Entwicklung der kindlichen
Theory of Mind nicht davon ausgehen, dass der entscheidende Entwicklungsschritt auf
der Fähigkeit Metarepräsentationen zu verstehen beruht, so ist doch unumstritten, dass
Kinder im vierten Lebensjahr lernen, dass Menschen nach ihren Überzeugungen handeln
und dass diese Überzeugungen falsch sein können. Dies spiegelt sich auch in den drei
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 17
klassischen Theory of Mind-Aufgabetypen wieder, die im Folgenden genauer dargestellt
werden sollen, da sie auch in der eigenen Studie zum Einsatz gekommen sind.
1.3 Theory of Mind-Aufgaben
Werden die klassischen Theory of Mind-Aufgaben dreijährigen Kindern vorgelegt, sind
diese noch nicht in der Lage, sie zu lösen. Erst ab dem vierten Lebensjahr beginnen
Kinder zu begreifen, dass es zwei Perspektiven von ein und demselben Sachverhalt
geben kann. Das Unterscheiden von zwei Perspektiven liegt den drei klassischen Theory
of Mind-Aufgaben als gemeinsame Schwierigkeit zugrunde (siehe Tabelle 2).
1.3.1 Die False-Belief-Aufgabe
In der klassischen False-Belief-Aufgabe findet sich die Annahme wieder, dass Kinder
über eine Theory of Mind verfügen, wenn sie falsche Überzeugungen einer anderen
Person, also Missrepräsentationen verstehen. Die wohl bekannteste False-Belief-
Aufgabe ist die Geschichte von Maxi, die bereits unter Abschnitt 1 dargestellt wurde und
auf Wimmer und Perner (1983) zurückgeht.
Um dieses Aufgabenmuster bewältigen zu können, muss erstens
verstanden werden, dass epistemische Zustände in einem spezifischen
Sinne fehlrepräsentieren können, also Überzeugungen falsch sein
mögen, zweitens, dass auch falsche Überzeugungen handlungsleitend
sind, und zudem muss der Proband eine auf diesen Zuschreibungen
beruhende Tun-Prognose gegen sein eigenes Wissen des Ortes, an dem
sich die Schokolade tatsächlich befindet, vornehmen. (Dierstein, 1997,
S. 85-86).
Die False-Belief-Aufgabe ist nicht ohne Grund das meistgenutzte Verfahren zur
Messung der kindlichen Theory of Mind, denn sie bietet nennenswerte Vorteile. Die
Aufgabe ist für die Kinder in der Regel ansprechend und von der Handhabung her
einfach durchzuführen. In einer großen Meta-Analyse (Wellman, Cross & Watson,
2001) konnte gezeigt werden, dass zwar bestimmte Aufgabenvariationen dazu führen,
dass jüngere Kinder die Testfrage häufiger richtig beantworten, dennoch bleibt ein klarer
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 18
Alterstrend bei den untersuchten False-Belief-Aufgaben bestehen. Die Mehrheit der
Kinder mit drei Jahren beantwortete die Testfrage „Wo wird Maxi nach der Schokolade
suchen?“ falsch, d.h. sie antworten so, als wisse Maxi über die Realität Bescheid. Die
Mehrheit der Kinder mit viereinhalb Jahren löste die Aufgaben richtig, indem sie
berücksichtigten, dass Maxi eine falsche Überzeugung hat. Mayes, Klin, Tercyak,
Cicchetti und Cohen (1996) führten eine Studie zur Reliabilität von False-Belief-
Aufgaben durch und kamen zu dem Ergebnis, dass die Aufgaben eine geringe Retest-
Reliabilität haben. In einer neueren Studie konnten Hughes, Adlam, Happe, Jackson,
Taylor und Caspi (2000) aber zeigen, dass False-Belief-Aufgaben in gutem Maße retest-
reliabel sind. Auch die Konstrukt-Validität der Aufgaben scheint gut zu sein, wurden sie
doch durch eine philosophische Analyse entwickelt, die festlegte, dass gerade Aufgaben
mit falschen Überzeugungen sicher stellen, dass Kinder sich bei der
Handlungsvorhersage auf mentale Zustände der handelnden Person und nicht auf die
Realität beziehen (Slaughter & Repacholi, 2003).
1.3.2 Die Representational -Change-Aufgabe
Eine zweite häufig eingesetzte Methode zur Erfassung der kindlichen Theory of Mind ist
die Representational-Change-Aufgabe. Hier soll sie deutlich von der False-Belief-
Aufgabe abgegrenzt werden, auch wenn dies nicht alle Autoren tun. Die beiden
Aufgaben unterscheiden sich wie folgt: Im Fall einer False-Belief-Aufgabe muss das
Kind die falsche Überzeugung einer anderen Person bei der Handlungsvorhersage
berücksichtigen, bei der Representational-Change-Aufgabe gilt es, eine eigene
vergangene falsche Überzeugung zu benennen. Eine bekannte Representational-Change-
Aufgabe ist die so genannte Smartieaufgabe (Gopnik & Astington, 1988). Hier werden
Kinder gefragt, was sie in einer Smartieschachtel vermuten, üblicherweise geben sie
Smarties an. Daraufhin wird die Schachtel geöffnet und dem Kind gezeigt, dass sie einen
Bleistift enthält. Anschließend wird die Schachtel wieder geschlossen und dem Kind
folgende Testfrage gestellt: „Was hast du gedacht, was da drin ist, bevor wir
hineingeschaut haben?“ Fast alle Dreijährigen antworten daraufhin „ein Bleistift“. Erst
mit vier Jahren beginnen Kinder, die eigene vorherige falsche Überzeugung anzugeben.
Durch den Einsatz einer Kontrollaufgabe konnten Gopnik & Astington (1988) zeigen,
dass nicht Gedächtnisprobleme die Ursache für die Schwierigkeiten der Kinder sind.
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 19
Auch eine mögliche Tendenz des Kindes, nicht zugeben zu wollen, dass es zu Beginn
etwas Falsches angenommen hatte, kann laut Wimmer und Hartl (1991) als Ursache für
die Fehler ausgeschlossen werden.
Representational-Change-Aufgaben wie die Smartieaufgabe eignen sich auch, um
zusätzlich das Verständnis falscher Überzeugungen von anderen Personen zu
untersuchen (Hogrefe, Wimmer & Perner, 1986). Nachdem die Kinder nach ihrer
eigenen falschen Überzeugung gefragt wurden, kann durch eine zweite Testfrage
erhoben werden, was sie meinen, was jemand anderes in der Schachtel ve rmutet, der
noch nicht in sie hineingeschaut hat. Kinder unter vier Jahren antworten meistens, dass
die andere Person glaubt, dass der nicht erwartete Gegenstand (Bleistift) in der
Smartieschachtel ist. Diese Fragen beziehen sie auch auf die falsche Überzeugung einer
andern Person und können somit auch als False-Belief-Aufgaben verstanden werden.
Hughes et al. (2000) untersuchten unter dem Begriff Unexpected content first-order false
belief-Aufgabe die Retest-Reliabilität einer Representational-Change-Aufgabe und
kamen zu dem Schluss, dass sie mit einem Kappa-Wert von 0.29 nicht zufrieden stellend
retest-reliabel ist.
1.3.3 Die Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe
Der dritte klassische Aufgabentyp zur Erfassung der kindlichen Theory of Mind bezieht
sich auf die so genannte Appearance-Reality-Distinction. Hier wird erfasst, ob das Kind
zwischen der Identität oder Eigenschaft und dem diskrepanten Aussehen eines Objektes
unterscheiden kann. Dieser Aufgabentyp unterscheidet sich von den beiden anderen
dadurch, dass er nicht das Verständnis von Überzeugungen erfasst. Daher spielt die
Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe im Rahmen dieser Arbeit eine untergeordnete
Rolle.
Flavell, Flavell und Green (1983) setzten als erste Trickobjekte, wie beispielsweise eine
Kerze, die aussieht wie ein Apfel, ein. Bei dieser Aufgabe wird durch eine erste Frage
sichergestellt, dass das Kind das Objekt als Apfel wahrnimmt. Anschließend kann das
Kind das Objekt genauer untersuchen und feststellen, dass es sich um eine Kerze
handelt. Dann wird das Kind gefragt, wie das Objekt aussieht und was es wirklich ist.
Bei einer anderen Form der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe, die auch auf
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 20
Flavell et al. (1983) zurückgeht, verändert sich die Eigenschaft eines Objekts.
Beispielsweise erscheint ein oranger Stift unter einer blauen Folie schwarz oder eine
Kaffeekanne durch eine Linse sehr klein. Die Mehrheit der Dreijährigen und noch viele
Vierjährige bewältigen die Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben nicht.
Im Unterschied zu den beiden anderen klassischen Theory of Mind-Aufgaben können
hier zwei Arten von Fehlern gemacht werden: der realistische und der
phänomenalistische Fehler. Bei Aufgaben mit Trickobjekten wie beispielsweise der
Apfelkerze machen Kinder häufiger den realistischen Fehler, sie nennen also die reale
Identität (Kerze), auch wenn sie nach dem Aussehen (Apfel) gefragt werden. Der
phänomenalistische Fehler hingegen tritt häufiger bei den Aufgaben auf, bei denen sich
scheinbar eine Objekteigenschaft ändert. Dem Objekt wird die Eigenschaft so
zugeschrieben, wie sie aussieht, das heißt die Kinder geben an, dass der orange Stift
schwarz aussieht und auch in Wirklichkeit schwarz sei. Erst mit Ende des vierten
Lebensjahres lösen die meisten Kinder die Aufgaben richtig, indem sie zwischen
„Wirklichkeit“ und „Schein“ unterscheiden.
Tabelle 2: Die drei klassischen Theory of Mind-Aufgaben
Aufgabentyp Erforderliche Repräsentationen Aufgabenbeispiel
False-Belief
- eigene richtige Überzeugung - falsche Überzeugung anderer Person
Maxi Bildergeschichte: - die Schokolade ist im grünen Schrank - die Schokolade ist im blauen Schrank
Representational-Change
- eigene vergangene falsche Überzeugung - eigene richtige Überzeugung
Smartieaufgabe: - Die Schachtel enthält Smarties
- die Schachtel enthält einen Bleistift
Appearance-Reality-Distinction
- Erscheinung - Identität
Apfelkerze: - sieht aus wie ein Apfel - ist eine Kerze
Betrachtet man die mit den verschiedenen Aufgabentypen erhobene Entwicklung der
kindlichen Theory of Mind zusammenfassend, ist ein klarer Alterstrend zu beobachten
(Wellman et al., 2001). So sind Kinder bis etwa zum vierten Lebensjahr naive Realisten,
die die Welt so, wie sie ihnen erscheint, für wahr halten. Sie gehen davon aus, „dass
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 21
auch andere Personen in der gleichen Realität leben, also das gleiche wahrnehmen und
wissen wie sie selbst. Sie begreifen noch nicht, dass andere zum gleichen Sachverhalt
eine andere Meinung haben können. Es gibt für sie also nur eine einzige phänomenale
Welt, an der sie und andere gleichermaßen teilhaben“ (Bischof-Köhler, 2000. S. 11).
Erst im Lauf des vierten Lebensjahres entwickeln Kinder eine repräsentationale Theory
of Mind. Sie beginnen zu verstehen, dass mentale Zustände kein Abbild einer
allgemeinen Realität sind, sondern bei jeder Person individuell durch Wahrnehmung und
Denkprozesse entstandene Repräsentationen. Auch wenn alle gesunden Kinder
spätestens mit fünf Jahren über eine umfassende Theory of Mind verfügen (Garfield,
Peterson & Perry, 2001), gib t es dennoch Faktoren, die deren Entwicklung beeinflussen
und so zu interindividuellen Unterschieden führen. Auf diese interindividuellen
Unterschiede soll im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden.
1.4 Interindividuelle Unterschiede in der Theory of Mind-Entwicklung
Viele Forschungsbefunde zeigen, dass der klare Alterstrend der Entwicklung der
kindlichen Theory of Mind von verschiedenen interindividuellen Faktoren beeinflusst
sein kann. Eine Betrachtung dieser interindividuellen Unterschiede ist im Rahmen dieser
Arbeit von Interesse, da sich hierdurch Rückschlüsse auf die der kindlichen Theory of
Mind zugrunde liegenden Entwicklungsmechanismen ziehen lassen. In den folgenden
Abschnitten sollen die Auswirkungen interindividuell verschiedener Lebensbedingungen
der Kinder auf die Entwicklung ihrer Theory of Mind dargestellt werden, indem der
Zusammenhang zwischen dem Verständnis psychischer Vorgänge und familiären und
kognitiven Faktoren sowie Sozialverhalten dargestellt wird. Darüber hinaus soll kurz auf
die Entwicklung der Theory of Mind bei Kindern mit Entwicklungsstörungen
eingegangen werden.
1.4.1 Familiäre Rahmenbedingungen
Eine Theory of Mind ermöglicht, sich selbst und anderen mentale Zustände
zuzuschreiben und so eigenes und fremdes Verhalten erklärbar zu machen. Sie ist in
hohem Maße verbunden mit sozialer Interaktion und Kommunikation und bildet eine
wichtige Grundlage für das Verstehen sozialer Zusammenhänge. So wundert es nicht,
dass die Entwicklung einer Theory of Mind wiederum von bestimmten sozialen
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 22
Einflussgrößen abhängig sein kann. In einer Vielzahl von Studien konnte gezeigt
werden, dass familiäre Rahmenbedingungen Auswirkungen auf den Verlauf der
kindlichen Theory of Mind-Entwicklung haben können.
Mehrere Untersuchungen über den Zusammenhang des sozioökonomischen Status der
Familie und der Theory of Mind des Kindes führten zu uneindeutigen Befunden. Cutting
und Dunn (1999) fanden einen moderaten positiven Zusammenhang zwischen dem
Bildungsniveau der Mutter und dem False-Belief- sowie Emotions-Verständnis des
Kindes, der sich in anderen Studien so aber nicht zeigte (Dunn, Brown, Slomkowski &
Tesla,1991; Ruffman, Perner & Parkin. 1999). Pears und Moses (2003) fanden, dass das
Bildungsniveau der Mutter ein starker Prädiktor für die Entwicklung der Theory of Mind
beim Kind ist, da es mit dem Verständnis von Wahrnehmung, Wünschen und Emotionen
korreliert. Sie geben zwei mögliche Erklärungen für diesen Zusammenhang an. Zum
einen könnte er indirekt durch die generell höhere kognitive Leistungsfähigkeit des
Kindes zustande kommen, zum anderen direkt dadurch, dass Mütter mit hohem
Bildungsniveau ihren Kindern häufiger und ausführlicher soziale Phänomene erklären
und somit ein frühes Verständnis fördern. Die berufliche Stellung des Vaters war in
einer Studie (Dunn et al., 1991) zwar verbunden mit dem Verstehen von Emotionen
nicht aber mit dem von False-Belief. Insgesamt wurde die Bedeutung der Väter in den
meisten Studien zur kindlichen Theory of Mind vernachlässigt.
Auch die Befundlage zum Einfluss der Geschwister auf die Entwicklung der kindlichen
Theory of Mind ist nicht eindeutig. So fanden Perner, Ruffman und Leekam (1994), dass
das kindliche Verständnis mentaler Vorgänge mit der Anzahl der Geschwister steigt,
unabhängig davon, wie alt diese sind. In einer anderen Studie zeigte sich jedoch, dass
nur ältere, nicht aber jüngere Geschwister einen positiven Einfluss auf Verstehen von
False-Belief-Aufgaben haben (Ruffman, Perner, Naito, Parkin & Clements, 1998). Ein
interessanter Befund stammt von Jenkins und Astington (1996). Sie fanden, dass der
Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Theory of Mind und der Anzahl der
Geschwister nur dann stark war, wenn die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes wenig
entwickelt waren. Möglicherweise kann das Vorhandensein von Geschwistern den
Einfluss langsamer Sprachentwicklung auf die Theory of Mind Entwicklung
kompensieren. Trotz einer Studie, die keinen Zusammenhang zwischen der
Geschwisterzahl und der Entwicklung der Theory of Mind finden konnte (Cutting &
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 23
Dunn, 1999) sprechen einige Forschungsergebnisse für einen positiven Einfluss von
Geschwistern auf die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind. Diesen erklären
Meltzoff, Gopnik und Repacholi (1999) wie folgt: „...siblings provide children with rich
evidence about the mind and particularly about differences in mind. Remember that
much of what the children learn involves the differences between their own minds and
the minds of others.” (S. 37). Dass nicht nur das Vorhandensein von Geschwistern,
sondern auch deren Kommunikation untereinander entscheidend ist, zeigten Foote und
Holmes-Lonergan (2003). Sie brachten Kinder gemeinsam mit einem älteren
Geschwisterkind in eine Konfliktsituation und stellten fest, dass nur das Verwenden von
Argumenten, die das Interesse des anderen Kindes einbeziehen mit False-Belief-
Verstehen korreliert, nicht aber das Verwenden von nur auf sich selbst bezogenen
Argumente.
Auch das Kommunikationsverhalten innerhalb der gesamten Familien findet in Hinblick
auf die kindliche Fähigkeit zur Theory of Mind in vielen Studien Beachtung. So
korreliert die frühe Mutter-Kind-Kommunikation über Gefühle und mentale Zustände
positiv mit dem späteren kindlichen Verständnis psychischer Prozesse (Dunn et al.,
1991; Peterson & Slaughter, 2003), wobei es wichtig ist, dass sich die mentalen
Äußerungen der Mutter adäquat auf den mentalen Zustand des Kindes beziehen (Meins
et al., 2002). Auch das Verhalten der Mutter speziell in Konfliktsituationen scheint einen
Einfluss zu haben. Kinder, die häufig von ihren Müttern aufgefordert werden, die
Gefühle der anderen Person zu bedenken, haben ein besseres Überzeugungsverständnis
als Kinder, deren Mütter generell über die Konfliktsituation diskutieren, oder das Kind
ohne weitere Kommunikation bestrafen (Ruffman et al., 1999). Hughes, Deater-Deckard
und Cutting (1999) zeigten, dass das Verhalten der Eltern genauer in Bezug auf das
Geschlecht des Kindes differenziert werden muss. Sie fanden, dass die emotionale
Wärme der Eltern bei Mädchen mit dem Theory of Mind-Verständnis verbunden ist, bei
Jungen zeigte sich hingegen ein Zusammenhang zwischen dem disziplinarischen
Verhalten der Eltern und dem Verstehen von mentalen Zuständen.
Es wird deutlich, dass trotz eines generellen Alterstrends bei der Entwicklung einer
Theory of Mind interindividuelle Unterschiede auftauchen können, die möglicherweise
durch die sozialen Erfahrungen des Kindes bestimmt sind. Hieraus lässt sich der Schluss
ziehen, dass es sich bei der Entwicklung der kindlichen Theory of Mind nicht um einen
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 24
rein genetisch angelegten Verlauf handeln kann, der sich unabhängig von
Umwelteinflüssen entfaltet. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die
alltagspsychologischen Fähigkeiten zumindest teilweise durch soziale Interaktion erlernt
werden. Wendet man sich nun von der sozialen Lebenswelt des Kindes ab und dessen
eigenen Fähigkeiten und Veranlagungen zu, taucht die Frage auf, inwiefern die
kognitive Leistungsfähigkeit in Zusammenhang mit der Entwicklung einer Theory of
Mind steht. In bisherigen Studien gefundene interindividuelle Unterschiede, die auf
kognitiven Faktoren beruhen, sollen nun im nächsten Abschnitt dargestellt werden.
1.4.2 Kognitive Faktoren
Der häufig vermutete Zusammenhang zwischen Theory of Mind und Intelligenz zeigte
sich in der Münchner Längsschnittstudie LOGIK nicht deutlich. Hier konnten emprisch
nur mäßige korrelative Zusammenhänge gefunden werden (Schneider, Perner, Bullock,
Stefanek, Ziegler, 1999). In weiteren Untersuchungen konnten jedoch Zusammenhänge
zwischen der kindlichen Theory of Mind und anderen kognitiven Fähigkeiten aufgezeigt
werden. Suddendorf und Fletcher-Flinn (1999) zeigten, dass das Lösen von False-Belief-
Aufgaben mit divergentem Denken und Kreativität korreliert. Taylor und Carlson (1997)
fanden einen Zusammenhang zwischen Theory of Mind und der Fantasie des Kindes.
Um die Bedeutung der Gedächtnisleistung beim Lösen von Theory of Mind -Aufgaben
beurteilen zu können, ist eine differenzierte Betrachtung sinnvoll. So wurde nur
zwischen verbalem Gedächtnis und False-Belief-Verständnis ein Zusammenhang
gefunden, nicht aber zwischen nonverbalem Gedächtnis und False-Belief-Verstehen
(Jenkins & Astington, 1996). Für alle Zusammenhänge zwischen Theory of Mind und
kognitiven Faktoren gilt, dass Kinder, die über ein hohes Verständnis mentaler
Vorgänge verfügen, auch höhere Ausprägungen der anderen kognitiven Faktoren
aufweisen. Der durch eine Vielzahl von Studien wohl am besten abgesicherte
Zusammenhang ist der zwischen Theory of Mind und Sprachfähigkeit (Cutting & Dunn,
1999; Jenkins & Astington, 1996; Ruffman, Slade, Rowlandson, Rumsey & Garnham,
2003). Was diesen Zusammenhang bewirkt ist nicht eindeutig geklärt, es ist aber
unwahrscheinlich, dass er nur durch die sprachlichen Anforderungen der Theory of
Mind-Aufgaben zustande kommt (Jenkins & Astington, 1996). Durch eine
Langzeitstudie gelang es Astington und Jenkins (1999), etwas über die Richtung dieses
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 25
Zusammenhangs auszusagen. Sie fanden, dass die frühe Sprachfähigkeit das spätere
Theory of Mind -Verständnis vorhersagt, das frühere Theory of Mind -Niveau nicht aber
die spätere Sprachentwicklung. Diese Ergebnisse wurden durch eine Längsschnittstudie
von Lockl, Schwarz und Schneider (2004) bestätigt. Die Sprachfähigkeit scheint also
einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind zu haben.
1.4.3 Soziales Verhalten
In den vorherigen Abschnitten wurde deutlich, dass es beim Erwerb der kindlichen
Theory of Mind zu interindividuellen Unterschieden kommen kann. Was bedeutet dies
für das einzelne Kind? Wirken sich die Unterschiede zwischen den Kindern in deren
sozialer Lebenswelt aus? Besteht ein Zusammenhang zwischen der kognitiven Fähigkeit
zur Perspektivenübernahme und der sozialen Kompetenz des Kindes? Diese und
ähnliche Fragen wurden in neueren Studien untersucht, die somit zu der Forderung
passen, Zusammenhänge zwischen Theory of Mind und Verhalten in der realen Welt zu
erforschen (Dunn, 2000). Die Überlegung liegt nahe, dass Kinder durch ein besseres
Verständnis mentaler Zustände die Wünsche und Gedanken anderer Personen besser
verstehen und dies wiederum einen Einfluss auf ihre soziale Kompetenz hat (Keenan,
2003).
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass eine bessere Theory of Mind-Fähigkeit
mit höherer sozialer Kompetenz und größerer Beliebtheit bei Gleichaltrigen
zusammenhängt (Capage & Watson, 2001; Slaughter, Dennis & Pritchard, 2002;
Watson, Nixon, Wilson & Capage, 1999), dass die Häufigkeit von gemeinsamer
Kommunikation beim Spielen mit einem Freund positiv mit False-Belief-Verstehen
korreliert (Slomkowski & Dunn, 1996) und dass das Vorhandensein einer stabilen
Freundschaft mit besserer Theory of Mind-Fähigkeit einhergeht (Peterson & Siegal,
2002). Bei all diesen Untersuchungen handelt es sich um Korrelationsstudien, so dass
keine Aussage über die Richtung des Zusammenhangs gemacht werden kann.
Möglicherweise führt besseres Theory of Mind-Verstehen zu höherer sozialer
Kompetenz. Es könnte aber auch sein, dass kompetente soziale Interaktion zu häufigerer
Kommunikation führt und so zum besseren Verstehen mentaler Zustände beiträgt. Einen
ersten empirischen Hinweis über die Richtung der Beeinflussung gibt die
Längsschnittstudie von Jenkins und Astigton (2000). Sie fanden, dass False-Belief-
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 26
Verstehen zum ersten Messzeitpunkt das spätere Spielverhalten vorhersagt, das frühe
Sozialverhalten aber nicht die spätere Theory of Mind -Fähigkeit. Ein gutes Verständnis
mentaler Zustände scheint sich somit positiv auf das Sozialverhalten auszuwirken. Es
gibt aber auch Belege für ungünstige Zusammenhänge: Kinder, die früher eine
umfassendere Theory of Mind entwickeln, sind später empfindsamer gegenüber der
Kritik ihres Lehrers (Cutting & Dunn, 2002). Anführer von Gruppen, die andere Kinder
schikanieren, haben höhere Theory of Mind-Fähigkeiten als Mitläufer in der Gruppe oder
Opfer (Sutton, Smith & Swettenham, 1999). Der Zusammenhang zwischen Theory of
Mind und Sozialverhalten scheint demnach komplexer und vielschichtiger zu sein als
häufig angenommen.
1.4.4 Entwicklungsstörungen
Neben den eben beschriebenen interindividuellen Unterschieden normaler Kinder bei
der Entwicklung einer Theory of Mind finden sich massive Unterschiede zwischen
gesunden und entwicklungsgestörten Kindern. Dieser Sachverhalt ist nicht nur an sich
von Interesse, sondern er birgt auch die Möglichkeit, etwas über die grundlegenden
Entwicklungsmechanismen beim Erwerb einer Theory of Mind zu erfahren.
Autismus ist die im Zusammenhang mit Theory of Mind am häufigsten diskutierte
Störung. Es handelt sich hierbei um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die nach
ICD-10 dann vorliegt, wenn folgende drei Auffälligkeiten vor dem Alter von drei Jahren
auftreten: 1) Beeinträchtigung der reziproken sozialen Interaktion, 2) Beeinträchtigung
der Kommunikation und 3) stereotypes, repetetives Verhalten. Das auffälligste Symptom
ist die Unfähigkeit, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten. Was die
Beeinträchtigung der Kommunikation angeht, liegen sowohl ein Defizit bei der
Sprachentwicklung, als auch eine Beeinträchtigung der Fähigkeit, ohne Sprache zu
kommunizieren, vor. Autistische Kinder zeigen auch kein Symbolspiel. Ihr Umgang mit
Spielsachen ist geprägt von Wiederholungen und Zwangshandlungen (Astington, 2000).
Als erste zeigten Baron-Cohen, Leslie und Frith (1985), dass autistische Kinder mit
einem Intelligenzalter von mindestens vier Jahren nicht in der Lage waren, falsche
Überzeugungen zu repräsentieren, während die Kontrollgruppe, bestehend aus Down-
Syndrom-Kindern mit vergleichbarem Intelligenzalter, die Aufgaben wie normal
entwickelte Kinder löste. Infolge dieser Studie kam es zu einem regen Interesse an
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 27
Autisten hinsichtlich ihrer Theory of Mind-Entwicklung. Happe (1995) betrachtete die
Ergebnisse von 27 Studien und fügte darüber hinaus die Befunde ihrer eigenen
Untersuchung hinzu. Sie entdeckte, dass Kinder mit Autismus ein höheres verbales
Intelligenzalter als normale Kinder erreichen müssen, um Theory of Mind-Aufgaben
lösen zu können. Mit einem verbalen Intelligenzalter von 3,5 Jahren lösten normale
Kinder 25 Prozent der Theory of Mind-Aufgaben, mit einem Intelligenzalter von 4,5
schon 80 Prozent. Autisten hingegen erreichen selbst bei einem Intelligenzalter von 9
Jahren nur eine Lösungswahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Interessanterweise sind
Autisten in der Lage, „Falsche-Fotografie-Aufgaben“ zu lösen. Hierbei wird eine
Situation fotografiert, z. B. eine Puppe in einem roten Kleid. Während das Foto
entwickelt wird, wird die Szene verändert (der Puppe wird ein grünes Kleid angezogen).
Dann wird das Kind gefragt, welche Farbe das Kleid auf dem Bild hat (Leekam &
Perner, 1991). Da Autisten diese Aufgabe lösen können, scheinen sie nicht generell mit
Repräsentationen Schwierigkeiten zu haben, sondern spezielle Defizite beim Verstehen
mentaler Repräsentationen aufzuweisen.
Ganz ähnliche Schwierigkeiten wie Autisten scheinen taube Kinder, die in einer
hörenden Familie aufwachsen, zu haben. Bei Theory of Mind-Aufgaben erreichen sie im
Vorschulalter etwa nur das Niveau von autistischen Kinder. Sie schneiden damit deutlich
schlechter ab, als taube Kinder die bei tauben Eltern aufwachsen. Diese unterscheiden
sich bezüglich des False-Belief-Verstehens nicht von normalen Kindern (Peterson &
Siegal, 1999; Woolfe, Want & Siegal, 2002). Was könnte für diese deutliche Diskrepanz
verantwortlich sein? Auch wenn hörende Eltern sich große Mühe geben, Zeichensprache
zu lernen, erreichen sie nicht das muttersprachliche Niveau von tauben Eltern. Die
meisten tauben Kinder mit hörenden Eltern erlernen Zeichensprache erst fließend, wenn
sie in die Schule kommen (Garfield et al., 2001). Durch diese verzögerte
Sprachentwicklung wird mit tauben Kindern hörender Eltern in der Vorschulzeit nur
wenig über mentale Zustände kommuniziert, das heißt die Kinder haben kaum
sprachlich vermittelte Erfahrungen mit Emotionen, Wünschen und Überzeugungen
anderer Personen gemacht (Peterson & Siegal, 1999). Allerdings erlangen auch taube
Kinder hörender Eltern ein umfassendes Verständnis von mentalen Vorgängen, wenn
ihre Kommunikationshäufigkeit und Sprachflüssigkeit im Lauf der Schulzeit zunimmt
(Garfield et al., 2001).
1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 28
Die Befunde zur Theory of Mind-Entwicklung bei Autisten, die Unterschiede zwischen
tauben Kindern aus hörenden Familien und tauben Kindern mit tauben Eltern, sowie die
Auswirkungen der sozialen Erfahrungen wie beispielsweise der Kommunikationsstil und
das Vorhandensein von Geschwistern innerhalb der Familie sehen Garfield et al. (2001)
als Belege für ihre Theorie über die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind.
„...ToM is jointly dependent upon language and social experience, and is produced by a
conjunction of language acquisition with children’s growing social understanding,
acquired through conversation and interaction with others.” (S. 494). Als entscheidende
Determinanten der Theory of Mind-Entwicklung sehen sie die soziale Interaktion und
Sprachentwicklung des Kindes. Der Ansatz bezieht explizit die soziale Welt mit ein, da
sie als entscheidender Faktor menschliche Kognitionen beeinflusst. In überzeugender
Form ist es Garfield et al. (2001) gelungen aus Befunden über interindividuelle
Unterschiede theoretische Überlegungen bezüglich der Wirkmechanismen der
Entwicklung der kindlichen Theory of Mind abzuleiten. Auch andere Autoren
beschäftigen sich intensiv mit den der Theory of Mind zugrunde liegenden
Entwicklungsmechanismen. So gibt es eine Reihe theoretischer Ansätze, die auf sehr
unterschiedliche Weise die Entstehung der Theory of Mind erklären. Einige dieser
theoretischen Ansätze sollen im nächsten Kapitel nun genauer betrachtet werden.
2. Erklärungsansätze 29
2 Erklärungsansätze
Die bisher dargestellten empirischen Befunde über die Entwicklung der kindlichen
Theory of Mind sind weitgehend unbestritten. Zur Frage, auf welchem Mechanismus
diese Entwicklung basiert, gibt es derzeit aber unterschiedliche Positionen. In diesem
Kapitel werden einzelne Erklärungsansätze der Theory of Mind-Entwicklung
beschrieben. Ein Ziel dieser Arbeit ist es, die eigenen empirischen Ergebnisse in Bezug
zu diesen theoretischen Erklärungsansätzen zu setzen, wobei besonders das Verhältnis
von Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen im Mittelpunkt stehen wird. Daher
werden, die einzelnen Theorien hier hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt dieser
Fragestellung dargestellt. Zu Beginn (2.1) wird der Ansatz von Fodor (1987) als
Vertreter der „Modultheoretiker“ beschrieben. Abschnitt 2.2 beinhaltet die Sichtweise
der „Theorie-Theorie“, wobei dem repräsentationalen Ansatz von Perner (1991a) im
Rahmen dieser Arbeit besondere Aufmerksamkeit zukommt. Anschließend (2.3) werden
die „Simulationstheoretiker“ vorgestellt. Im letzten Abschnitt (2.4) wird ein Ansatz
beschrieben, der die Verbesserung der exekutiven Funktionen beim Kind als Ursache für
den Zuwachs an Theory of Mind-Kompetenz ansieht.
2.1 Fodor: eine Modultheorie
Der Ansatz von Fodor (1987, 1992) gehört neben den Theorien von Leslie (1994) und
Baron-Cohen (1991a) zu den Modultheorien. In seiner nativistischen Theorie geht Fodor
von angeborenen, genetisch programmierten Modulen als Grundlage der Theory of Mind
aus.
Here is what I would have done if I had been faced with this problem
in designing Homo sapiens. I wound have made a knowledge of
commonsense Homo sapiens psychology innate; that way nobody
would have to spend time learning it. … The empirical evidence that
God did it the way I would have isn’t in fact, unimpressive. (Fodor,
1987, S. 132)
2. Erklärungsansätze 30
Was versteht man nun im Bereich der Theory of Mind-Entwicklung unter einem Modul?
„Der Begriff steht für einen neuronalen Mechanismus, auf dem die Kompetenz in einem
bestimmten psychologischen Bereich basiert.“ (Bischof-Köhler, 2000, S. 14). Nach
Fodor (1992) verfügen auch Säuglinge schon über die entsprechenden angeborenen
Module, die im Verlauf der Entwicklung keine qualitative Veränderung erfahren. Die
mit steigendem Alter eintretende Zunahme der Lösungshäufigkeit von Theory of Mind-
Aufgaben erklärt Fodor durch die Zunahme an informationsverarbeitenden Ressourcen.
Er geht davon aus, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene über zwei Heuristiken
verfügen mit denen sie das Verhalten anderer Personen vorhersagen können. Diese
Heuristiken lauten wie folgt:
Erste Heuristik (H1): Menschen werden so handeln, dass ihre Wünsche erfüllt werden.
Zweite Heuristik (H2): Menschen werden so handeln, dass ihre Wünsche erfüllt werden,
wenn ihre Überzeugungen zutreffend sind.
Nach Fodor verwenden dreijährige Kinder H1, wenn sie eine eindeutige
Verhaltensvorhersage ermöglicht. H2 setzen sie nur ein, wenn Verhalten nicht eindeutig
vorhergesagt werden kann.
Da mit zunehmendem Alter die Verfügbarkeit operationaler
Ressourcen steigt, können die älteren Kinder und Erwachsenen die
erhöhte Komplexität von H2 zugunsten einer höheren
Vorhersagegenauigkeit in Kauf nehmen. Sie verwenden H1 nur noch,
wenn sie denken, die Überzeugungen der anderen Person seien wahr.
Falls sie von einer falschen Überzeugung ausgehen oder über die
Wahrheit der Überzeugung nichts wissen oder unsicher sind,
verwenden sie H2. (Wichmann, 1995, S. 64)
Nach Fodor (1992) scheitern jüngere Kinder also an Theory of Mind-Aufgaben, weil sie,
immer wenn eine einfache Verhaltensvorhersage mit H1 möglich ist, diese Heuristik
verwenden und somit die Überzeugung des Akteurs nicht berücksichtigen. Wimmer und
Weichbold (1994) konnten aber zeigen, dass auch wenn eine einfache
Verhaltensvorhersage nicht möglich war, da Maxis Schokolade an zwei Orten versteckt
wurde, Kinder False-Belief-Aufgaben nicht besser lösen konnten als in der klassischen
2. Erklärungsansätze 31
Aufgabenversion. Auch Bartsch (1996) zeigte, dass Kinder bei Aufgaben die keine
eindeutigen Verhaltensvorhersagen erlaubten, nicht vermehrt die Überzeugungen
anderer Personen berücksichtigen. Die theoretische Annahme Fodors scheint somit
fragwürdig.
Fodor geht davon aus, dass Wünsche und Überzeugungen Teile einer angeborenen
Theorie des Denkens sind. Wobei die Verhaltensvorhersage aufgrund von Wünschen
(H1) deutlich einfacher ist, als die Vorhersage von Verhalten, wenn auch die
Überzeugung des Akteurs berücksichtigt werden muss (H2). Daraus lässt sich ableiten,
dass Theory of Mind-Aufgaben, die nur Wünsche von Akteuren enthalten, für Kinder
leichter zu lösen sein sollten als Aufgaben, die die Berücksichtigung der Überzeugung
des Akteurs erfordern.
2.2 Theorie-Theorien
Die beiden wichtigsten Theorieansätze, die das Feld der Theory of Mind-Forschung
zurzeit beherrschen, werden als „Theorie-Theorie“ und als „Simulationstheorie“
bezeichnet, wobei die Theorie-Theorie im Augenblick den dominierenden Ansatz
darstellt. Theorie-Theoretiker gehen davon aus, dass unser Wissen über mentale
Vorgänge und deren Auswirkungen auf Verhalten theorieartig organisiert ist und dass
Kinder eine solche Theorie entwickeln, indem sie vorhandenes Wissen testen,
modifizieren und reorganisieren (Astington, 2000; Gopnik & Meltzoff, 1997; Perner,
1991a, Bartsch & Wellman, 1995). Vor allem durch das Wahrnehmen von
Gegenbeweisen ist das Kind gezwungen, seine Theorie weiter zu entwickeln (Gopnik &
Wellman, 1994). Von Theorie-Theoretikern wird aber keineswegs die Ansicht vertreten,
dass das Kind seine Theorie explizit formuliert oder reflektiert, sie gehen vielmehr
davon aus, dass es sich um eine intuitive Theorie handelt. Solche intuitiven Theorien
sind bereichspezifisch, sie beziehen sich beispielsweise auf physikalische, biologische
oder eben alltagspsychologische Zusammenhänge und verfügen über drei Eigenschaften
(Sodian, 1998):
Erstens machen sie ontologische Festlegungen, d.h. Festlegungen darüber, welche Dinge
existieren. In einer Theorie des Denkens sind dies zum Beispiel Überzeugungen,
Wünsche, Intentionen und Emotionen.
2. Erklärungsansätze 32
Zweitens enthalten sie bereichsspezifische Kausalgesetze wie etwa, wenn eine Person
einen Gegenstand will, wird sie ihn dort suchen, wo sie ihn zu finden glaubt.
Und drittens handelt es sich um ein System von in Wechselbeziehung stehenden
Konzepten und nicht um eine Sammlung unverbundener Inhalte. Tatsächlich ist unser
Wissen über die einzelnen mentalen Zustände stark miteinander verbunden. Um
menschliches Verhalten erklärbar zu machen, beziehen wir uns immer wieder auf
kausale Zusammenhänge zwischen mentalen Zuständen, Wahrnehmungen und
Handlungen. So gehen die Theorie-Theoretiker davon aus, dass alle drei Bedingungen,
die eine intuitive Theorie erfüllen sollte, auf die Theory of Mind zutreffen (Falvell,
1999).
Ausgehend von der Theorie-Theorie wurde in den letzten Jahren viel geforscht und so
wichtige Entwicklungsschritte der Kinder auf ihrem Weg zu einer umfassenden Theory
of Mind gefunden. Bartsch und Wellman (1989) vertraten anfangs die Auffassung, dass
es sich um eine zweistufige Entwicklung handelt und Kinder von einer einfachen
„desire-psychology“ zu einer „belief-desire-psychology“ kommen. Mit ihrer neueren
Untersuchung mentalistischer Sprache bei Vorschulkindern liefern Bartsch und Wellman
(1995) jedoch Hinweise für einen dreistufigen Entwicklungsverlauf. Im Alter von zwei
Jahren sprechen Kinder über Wünsche und erwerben eine „desire-psychology“. Diese
ermöglicht ihnen ein einfaches, nicht repräsentationales Verständnis von Wünschen,
Emotionen und Wahrnehmungen. Kinder verstehen, dass Wünsche handlungsleitend
sind, begreifen aber noch nicht, dass es sich dabei um mentale Repräsentationen handelt.
Im Alter von drei Jahren beginnen Kinder, auch über Überzeugungen zu sprechen und
scheinen zu verstehen, dass dies mentale Repräsentationen sind, die wahr oder falsch
und von Person zu Person unterschiedlich sein können. Dennoch treffen sie
Verhaltensvorhersagen immer noch auf der Basis von Wünschen und berücksichtigen
Überzeugungen nicht ausreichend. Bartsch und Wellman (1995) bezeichnen dieses
Stadium als „desire-belief-psychology“. Erst mit dem Alter von vier Jahren scheinen
Kinder zu begreifen, dass Überzeugungen und Wünsche handlungsleitend sind und
verfügen jetzt über eine „belief-desire-psychology“, die in Abbildung 2 dargestellt ist.
2. Erklärungsansätze 33
Abbildung 2: Belief-desire-psychology nach Bartsch & Wellman (1995) S. 7
Dreijährige Kinder befinden sich nach Bartsch und Wellman (1995) noch im Stadium
der „desire-belief-psychology“. Ihnen ist es noch nicht möglich, False-Belief-Aufgaben
richtig zu lösen. Sie verfügen zwar schon über repräsentationale Konzepte von
Wünschen und Überzeugungen, bei der Verhaltensvorhersage dominiert „desire“ aber
immer noch über „belief“. Werden sie gefragt, wo ein Akteur nach einem Gegenstand
suchen wird, beziehen sie sich auf dessen Wunsch bezüglich des Objektes und sagen
eine Handlung in Übereinstimmung mit dem Wunsch voraus, ohne seine Überzeugung
in ausreichendem Maß zu berücksichtigen. Nach der Theorieauffassung von Bartsch und
Wellman müssten Aufgaben, die nur durch die Berücksichtigung des Wunsches des
Protagonisten zu lösen sind einfacher zu lösen sein als Aufgaben, die auch
Überzeugungen beinhalten, wie etwa die False-Belief-Aufgabe.
Perner, der auch als Theorie-Theoretiker einzuordnen ist, legt in seiner
Theorieauffassung einen etwas anderen Schwerpunkt. In seinem Buch „Understanding
the representational mind“ von 1991 zeigt er schlüssig auf, dass die Entwicklung der
kindlichen Theorie des Denkens ihren Ursprung in der Veränderung des
Repräsentationsverständnisses hat. Er geht davon aus, dass die Kinder drei Stadien von
primären über sekundäre Repräsentationen zu Metarepräsentationen durchlaufen (siehe
Tabelle 1).
Im ersten Lebensjahr befinden sich die Kinder noch im Stadium der primären
Repräsentationen. Ihre mentalen Zustände sind abhängig von der direkten
2. Erklärungsansätze 34
Wahrnehmung der Gegenwart. Etwas anderes als die momentan gegebene Realität kann
nicht repräsentiert werden.
Im Alter von etwa eineinhalb Jahren beginnt sich, laut Perner (1991a), ein System von
sekundären Repräsentationen zu entwickeln. Dies ermöglicht dem Kind, sich mental von
der direkten Realität zu lösen und sich hypothetische oder vergangene Situationen
vorzustellen. Dadurch entwickelt das Kind unter anderem ein gewisses Zeitverständnis
und beginnt mit dem Symbolspiel, indem es „als-ob“-Situationen repräsentiert. In
diesem Entwicklungsstadium begreift das Kind, dass andere Menschen durch visuelle
Betrachtung Dinge wahrnehmen, geht aber davon aus, dass sie dasselbe sehen wie es
selbst. Das Kind versteht auch, dass Menschen so handeln, dass ihre Bedürfnisse
befriedigt werden. Perner betont, dass das Kind zwar Repräsentationen bildet, diese aber
noch nicht als Repräsentationen versteht: „...young children can represent different
situations, real and imagined, but have no conception of something representing these
situations“ (Perner, 1991a, S. 215). Er bezeichnet Zwei- und Dreijährige als
„Situationstheoretiker“, die Wünsche und Überzeugungen in direkter Verbindung zur
Umwelt sehen. Dadurch verfügen sie über eine „quite powerfull theory of action“
(Perner, 1991b, S. 148), die es ihnen ermöglicht, Verhalten aufgrund von Situationen
vorherzusagen.
Mit etwa vier Jahren werden laut Perner (1991a) aus den kleinen
„Situationstheoretikern“ „Repräsentationstheoretiker“. Sie beginnen nun,
Metarepräsentationen zu verstehen, d.h. sie können Repräsentationen als
Repräsentationen begreifen, haben also eine Vorstellung von repräsentationalen
Relationen. Wichtiges Merkmal repräsentationaler Relationen ist laut Perner (1991a) die
Unterscheidung zwischen Repräsentat und Repräsentandum. Repräsentandum ist das
Objekt oder die Situation, auf die der Gedanke bezogen ist, also das, was abgebildet
wird; Repräsentat ist das mentale Abbildungsergebnis. Entscheidend für das Verständnis
repräsentationaler Relationen ist das Wissen, dass das Repräsentat nicht dem
Repräsentandum entsprechen muss. Kinder beginnen also mit etwa vier Jahren zu
begreifen, dass ein mentaler Inhalt nicht ein direktes Abbild der Realität ist, sondern
durch Wahrnehmung und Überlegungen vermittelt ist und somit als Bewusstseinsinhalt
nicht von allen Menschen geteilt wird, sondern subjektiv ist und die Realität falsch
abbilden kann (Bischof-Köhler, 2000). Die Möglichkeit, dass eine Person eine
2. Erklärungsansätze 35
Überzeugung über einen Zustand in der Welt hat und glaubt, dass diese Überzeugung
wahr ist, obwohl sie nicht der Realität entspricht, wird von Kindern nun verstanden. Die
Entwicklung des metarepräsentationalen Verständnisses ermöglicht das Verstehen von
falschen Überzeugungen und somit das Lösen der klassischen Theory of Mind-
Aufgaben.
Der Entwicklungsverlauf von sekundären Repräsentationen zu Metarepräsentationen
lässt sich auch auf der Ebene von propositional attitudes betrachten. Mentale Zustände
bestehen aus einer Proposition (es ist schönes Wetter) und einer Einstellung dazu
(Attitüde: denken, dass; wollen, dass) (Perner, 1999). Handelt es sich bei der Einstellung
um eine belief-Relation, ist es laut Perner (1991b) wichtig, zwischen „denken dass“ und
„denken an“ zu unterscheiden. Denkt man an etwas, muss dieser Gedanke keinen Bezug
zur Realität haben. Beispielsweise „ich denke an schönes Wetter“ ist unabhängig von
der aktuellen Wetterlage. Denkt man hingegen, dass etwas der Fall ist (Repäsentat), so
bezieht sich der Gedanke immer auf die Wirklichkeit (Repräsentandum) und kann somit
auch falsch sein. Der Satz „ich denke, dass schönes Wetter ist“ kann der Realität
entsprechen oder nicht. Um diesen Satz wirklich verstehen zu können, braucht das Kind
metarepräsentationales Wissen. „Denken an“ erfordert kein Verständnis von
Metarepräsentationen und sollte laut Perner (1991b) schon von jüngeren Kindern im
Stadium der sekundären Repräsentationen verstanden werden. Ein wirkliches
Verständnis von „denken dass“ ist erst möglich, wenn Metarepräsentationen begriffen
werden, also etwa ab dem Alter von vier Jahren. Perner schreibt:
Without conception of mental states as representation the child cannot
understand think that. The child has a theory of thinking but can only,
at best, assimilate think that to thinking of. This inability to understand
thinking that provides the basis for understanding why children find
wants so much easier to understand than beliefs. Understanding most
relevant behavioral and emotional implications of desire does not need
the understanding of that. For belief, this understanding is essential.
(Perner, 1991b, S. 149)
Wünsche können also ohne die Einsicht in metarepräsentationale Relationen verstanden
werden. So geht Perner (1991a) davon aus, dass ein einfaches Wunschverständnis schon
2. Erklärungsansätze 36
im Stadium der sekundären Repräsentationen besteht. Die Kinder begreifen also, dass
Wünsche handlungsleitend sind und dass Personen sich freuen, wenn sie ihre Wünsche
erreichen und traurig sind, wenn ihnen dies nicht gelingt (Yuill, 1984). Da Wünsche
eben nicht „für etwas stehen“, also keine Repräsentate sind, können sie auch nicht falsch
sein. So kann das Kind Handlungen aufgrund von Wünschen korrekt vorhersagen, noch
bevor es Metarepräsentationen versteht. Als „Situationstheoretiker“ gleicht es den
Wunsch direkt mit der eingetretenen Situation ab. Wird das Kind mit etwa vier Jahren
zum „Repräsentationstheoretiker“, erfährt auch sein Wunschverständnis eine
Entwicklung hin zu mehr Komplexität. Erst jetzt scheinen Kinder zu verstehen, dass
Wünsche nicht allgemein erstrebenswert sind, sondern dass es subjektive
Erfahrungsunterschiede geben kann, ob etwas wünschenswert ist oder nicht (Perner,
2004). Darüber hinaus sind sie jetzt auch in der Lage, Wünsche als Repräsentationen zu
begreifen, und können somit verstehen, dass Wünsche sich unabhängig von der Situation
ändern können (Perner, 1991a).
Perner, als Theorie-Theoretiker, vermutet, dass Kinder ihr Wissen über mentale
Zustände und ihren repräsentationalen Charakter theorieartig verwenden und so zu
Verhaltensvorhersagen kommen können. Seiner Ansicht nach verändert sich im
Vorschulalter vor allem das Repräsentationsverständnis des Kindes. Was aber ist
ursächlich für diese Veränderung? Perner betont, dass „although babies are innately
predisposed to attend to expressions of mental states, they are not born with a
conception of mental states” (Perner, 1991a, S. 283). Er geht also nicht, wie
beispielsweise Fodor (1992), von angeborenen Modulen aus, sondern vielmehr davon,
dass Kinder ihre naive Theorie ohne Einfluss von außen nicht weiter umstrukturieren
würden. Sie gelangen von einer Situationstheorie zu einem repräsentationalen
Verständnis des Mentalen durch permanente Auseinandersetzung mit Anderen.
Was bedeutet nun die von Perner (1991a) aufgezeigte Entwicklung vom
Situationstheoretiker hin zum Repräsentationstheoretiker in Bezug auf einzelne
Aufgabenarten? Desire-Aufgaben, bei denen eine Verhaltensvorhersage durch die
Berücksichtigung eines einfachen Wunsches möglich ist, sollten schon
Situationstheoretiker lösen können, da hier eine einfache Verbindung des Wunsches mit
der Situation ohne metarepräsentationales Verständnis möglich ist. Wunsch-Aufgaben,
die eine Veränderung des Wunsches unabhängig von der Situation beinhalten, erfordern
2. Erklärungsansätze 37
ein repräsentationales Verständnis von Wünschen und sollten somit erst von Kindern,
die bereits Repräsentationstheoretiker sind, gelöst werden können. Gleiches gilt für
Aufgaben, die falsche Überzeugungen beinhalten, wie die False-Belief- und
Representational-Change-Aufgaben. Auch sie sollten erst von Kindern gelöst werden,
die bereits über ein Konzept von Metarepräsentationen verfügen.
2.3 Die Simulationstheorie
In der momentanen Diskussion über die Entwicklung der kindlichen Theorie des
Denkens, gibt es neben der Theorie-Theorie eine zweite einflussreiche theoretische
Position, die Simulationstheorie. Perner beschreibt den Unterschied zwischen den beiden
theoretischen Ansätzen folgendermaßen: „Die Theorietheorie ist extrem anti-
introspektiv, während die traditionelle Simulationstheorie auf der Fähigkeit zur
Introspektion aufbaut.“ (Perner, 1999, S. 411). Simulationstheoretiker gehen davon aus,
dass das Kind Vorhersagen über Gefühle, Gedanken und Handlungen anderer Personen
machen kann, indem es die Perspektive der anderen Person einnimmt und simuliert, was
es selbst in der entsprechenden Situation denken, fühlen oder tun würde (Harris, 1992).
Bei den simulationstheoretischen Positionen können zwei Richtungen unterschieden
werden, der introspektive Ansatz von Goldman (1993) und Harris (1992) und der nicht-
introspektive Ansatz von Gordon (1996).
Der introspektive Ansatz geht von der kartesianischen Intuition aus, also davon, dass wir
unmittelbaren Zugang zu unserem eigenen geistigen Geschehen haben. Um das
Verhalten anderer verstehen oder vorhersagen zu können, werden eigene mentale
Zustände im Als-ob-Modus generiert und auf die andere Person übertragen. Man
simuliert also, wie man sich selbst unter diesen Umständen verhalten würde und
überträgt dann das Ergebnis auf die andere Person. Goldman (1993) geht davon aus,
dass das Verständnis mentaler Begriffe Voraussetzung für die Simulation ist. Dies stellt
ein Problem des Ansatzes dar, denn „soweit Simulation aber die Beherrschung der
mentalen Begrifflichkeit voraussetzt, kann sie nur als Heuristik gelten. Sie mag eine
wichtige Fähigkeit im kognitiven Sys tem sein, sie kann aber nicht begründen wollen,
wovon sie immer schon Gebrauch macht.“ (Sachs-Hombach, 1993, S. 173). Weitere
Schwierigkeiten ergeben sich aus der Vorhersage dieses Ansatzes, dass eigene falsche
2. Erklärungsansätze 38
Überzeugungen einfacher zu verstehen sein sollten als falsche Überzeugungen anderer
Personen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Kinder ihre eigenen mentalen Zustände
und die anderer Personen zur gleichen Zeit verstehen lernen (Gopnik & Astington, 1988;
Wimmer & Hartl, 1991). Harris (1992) löst dieses Problem durch eine Erweiterung der
einfachen Simulationstheorie. Er betont, dass direkter introspektiver Zugriff nur auf
gegenwärtige mentale Zustände möglich ist. Um eigene vergangene oder zukünftige
Zustände begreifen zu können, bedarf es einer Selbstsimulation, d.h. der vergangene
Zustand muss simuliert werden und der Zugriff auf ihn erfordert somit die gleichen
Fähigkeiten wie die Simulation eines mentalen Zustandes einer anderen Person.
Auch der nicht- introspektive Ansatz (Gordon, 1996) geht davon aus, dass wir uns in die
Situation des Anderen hineindenken. Gordon betont aber, dass die Simulationsinhalte
nicht als mentale Zustände wahrgenommen werden, sondern dass wir die Situation mit
den Augen des anderen sehen und aus dieser unmittelbaren Betrachtung den anderen
verstehen und sein Verhalten vorhersagen können. Um Verhalten zu erklären, muss man
also nicht von der eigenen Simulation auf die andere Person schließen. „... wäre ein
Schluß nötig, ließe sich argumentieren, daß die Simulation eine theoretisch fundierte
Tätigkeit ist, und dann würde zweifelhaft, ob die Simulationstheorie überhaupt eine
Alternative zur Theorie-Theorie liefert.“ (Sachs-Hombach, 1997).
Wie erwirbt nun aber ein Kind die Fähigkeit zu simulieren? Welcher Mechanismus treibt
die Entwicklung voran, so dass Kinder mit vier Jahren in der Lage sind, mentale
Zustände anderer zu simulieren? Die Simulationstheoretiker gehen davon aus, dass die
Fähigkeit zur Simulation ihren Ursprung in einer angeborenen, genetischen Ausstattung
hat. Diese wird unterschiedlich beschrieben, etwa als „the ability to imagine; the ability
to think counter-factually; the ability to entertain suppositions; or the ability to take
one’s practical reasoning system ‘off- line’” (Carruthers & Smith, 1996, S. 4).
Simulationstheoretiker gehen aber auch davon aus, dass sich die Simulationsfähigkeit im
Verlauf der Entwicklung durch Lernprozesse verbessert.
Betrachtet man nun die Aussagen der Simulationstheorien in Bezug auf spezifische
Schwierigkeiten der Kinder beim Lösen der Aufgaben, so findet man ein anderes Muster
als das von der Theorie-Theorie vorhergesagte. Nach der Simulationstheorie sollten
Kinder einen leichteren Zugang zu eigenen mentalen Zuständen haben, wohingegen das
2. Erklärungsansätze 39
Berücksichtigen fremder mentaler Zustände ihnen mehr Schwierigkeiten bereiten sollte.
Die Verschiedenheit der einzelnen mentalen Zustände sollte aber keine Rolle spielen, da
unabhängig von der Art (Wunsch, Überzeugung) auf eigene mentale Zustände direkt,
auf fremde durch Simulation zugegriffen werden kann. „At a young age, from a
simulation perspective, reading off one’s own beliefs and one’s own desires should be
equally easy; attributing beliefs and attributing desires to someone else should be equally
problematic, and equally subject to egocentric error when the other person’s beliefs and
desires conflict with one’s own.” (Gopnik & Wellman, 1994, S. 277). Nach den
Vorhersagen der Simulationstheorie sollten also Aufgaben, die sich auf eigene
Überzeugungen und Wünsche beziehen für Kinder leichter zu lösen sein, wohingegen
Aufgaben, die sich auf fremde Wünsche und Überzeugungen beziehen, beide in gleicher
Weise eine höhere Schwierigkeit darstellen sollten.
2.4 Exekutive Funktionen Theorie
Der Ansatz der exekutiven Funktionen geht davon aus, dass die Zunahme an Theory of
Mind-Fähigkeit mit dem Alter von vier Jahren das Ergebnis von sich verbessernden
exekutiven Funktionsfähigkeiten ist (Russell, 1996). Exekutive Funktionen sind hier als
Handlungskontrolle zu verstehen und beinhalten die Fähigkeit, sich von alten Strategien
zu lösen und neue zu praktizieren, sowie dominante Antworttendenzen zu hemmen. Mit
anderen Worten: „Unter exekutiver Funktion versteht man die Prozesse bei der
Verhaltenskontrolle, die notwendig sind, um auf ein mental repräsentiertes Ziel zu
fokussieren und die Zielrealisation gegen konkurrierende Handlungsalternativen
abzuschirmen.“ (Sodian, 2003, S. 94). Exekutive Funktionen sind im Alltag von
Bedeutung bei Planungs- und Entscheidungsaufgaben, bei Fehlerkontrolle, bei neuen
Handlungstendenzen, bei schwierigen Handlungen und beim Überwinden einer
präpotenten Handlungstendenz. Moore et al. (1995) gehen davon aus, dass Kinder unter
vier Jahren noch nicht über ausreichende exekutive Funktionen verfügen, um False-
Belief-Aufgaben zu lösen. False-Belief-Aufgaben beinhalten hohe exekutive
Anforderungen. Um die Aufgabe richtig zu lösen, muss das Kind das eigene Wissen
über den Ort des Gegenstandes (Schokolade ist im grünen Schrank) hemmen, um so
berücksichtigen zu können, was der Protagonist fälschlicherweise glaubt (Schokolade ist
im blauen Schrank). Russell (1991, 1996) geht davon aus, dass exekutive Funktionen die
2. Erklärungsansätze 40
Vorraussetzung dafür sind, die eigene Person als Agent zu erleben und dass dieses
Selbstbewusstsein wiederum Voraussetzung für das Verstehen mentaler Konzepte bei
sich selbst und anderen ist. Somit führt die Entwicklung der exekutiven Funktionen zur
Entwicklung einer Theory of Mind.
Eine andere theoretische Position über den Zusammenhang exekutiver Funktionen und
Theory of Mind wird von Perner und Lang (1999) vertreten. Sie nehmen eine
umgekehrte Richtung der Beeinflussung an. Die Entwicklung einer Theory of Mind ist
entscheidende Vorraussetzung für die Entwicklung von exekutiven Funktionen, da die
Hemmung von konkurrierenden Hand lungsschemata metarepräsentationale Kontrolle
voraussetzt. Diese Theorie macht auf der Grundlage des repräsentationalen Ansatzes von
Perner (1991a) eine Aussage über die Entwicklung der exekutiven Funktionen. Sie stellt
somit keinen neuen Ansatz zur Erklärung der Theory of Mind dar, weswegen hier nicht
weiter auf sie eingegangen wird.
Russel (1996) und Moore et al. (1995) verstehen ihren Ansatz gerade in Abgrenzung zu
Perners repräsentativem Ansatz als neue Erklärung der Theory of Mind-Entwicklung. Sie
kommen somit auch zu anderen Vorhersagen bezüglich der Schwierigkeit einzelner
Aufgabetypen. Jüngere Kinder haben Probleme mit Theory of Mind-Aufgaben, nicht
weil Überzeugungen an sich berücksichtigt werden müssen, sondern weil sie vom Kind
verlangen, das Verhalten eines Agenten (andere Person oder selbst) vorherzusagen,
wenn die Überzeugung des Agenten der momentanen Überzeugung des Kindes
widerspricht. Nach den Vorhersagen des Ansatzes der exekutiven Funktionen sollten
jüngere Kinder Schwierigkeiten haben, alle mentalen Zustände anderer Personen zu
berücksichtigen, solange sie im Widerspruch zu ihren eigenen mentalen Zuständen
stehen. Die gleichen Schwierigkeiten wie bei False-Belief-Aufgaben sollten bei
Aufgaben auftauchen, die vom Kind erfordern, auf den Wunsch einer anderen Person zu
schließen, wenn es selbst einen starken anderen Wunsch hat (Moore et al., 1995). Auch
das Erinnern eines vorherigen eigenen Wunsches, wenn er in Widerspruch zu dem
jetzigen Wunsch steht, sollte problematisch für jüngere Kinder sein. Die Theorie der
exekutiven Funktionen geht nicht davon aus, dass die Schwierigkeit der False-Belief-
Aufgaben darin liegt, mentale Zustände anderer Personen zu repräsentieren, sondern sich
von eigenen dominanten mentalen Zuständen zu lösen.
2. Erklärungsansätze 41
Welche Voraussage macht nun der Ansatz der exekutiven Funktionen bezüglich der
Schwierigkeit einzelner Aufgabetypen? Alle Aufgaben, bei denen der mentale Zustand
des Kindes im Widerspruch zum mentalen Zustand des Agenten steht, die also gleiche
exekutive Anforderungen stellen, sollten unabhängig von der Art des mentalen
Zustandes (Wunsch, Überzeugung) gleich schwer zu lösen sein.
Nachdem nun einzelne theoretische Ansätze vorgestellt wurden, die in ihrer Erklärung
der Entwicklung der kindlichen Theory of Mind eine Aussage zu dem Verhältnis von
Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen machen, sollen im nächsten Kapitel nach
einer kurzen Zusammenfassung der theoretischen Ansätze Studien zum kindlichen
Verständnis von Wünschen vorgestellt werden und die repräsentationalen Unterschiede
zwischen den mentalen Zuständen Wunsch und Überzeugung diskutiert werden.
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 42
3 Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen
Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit ist, wie sich das Verständnis für Wünsche und
Überzeugungen bei Kindern entwickelt und wie die Relation dieser beiden
Entwicklungsverläufe in Bezug auf die im vorherigen Abschnitt dargestellten
theoretischen Ansätze zu sehen ist. Besondere Bedeutung kommt in dieser Arbeit dabei
dem Vergleich von Perners repräsentationalem Ansatz mit dem Ansatz der exekutiven
Funktionen zu. Zu Beginn dieses Kapitels sollen die Aussagen der einzelnen
theoretischen Ansätze bezüglich des Verständnisses von Wünschen und Überzeugungen
überblickartig zusammengefasst werden (3.1). Anschließend werden
Forschungsergebnisse zur Entwicklung des Wunschverstehens dargestellt und einige
Wunsch-Aufgaben beschrieben (3.2). Im Abschnitt 3.3 soll genauer betrachtet werden,
wie sich die mentalen Zustände Wunsch und Überzeugung repräsentational
unterscheiden und was dies bezüglich der theoretischen Ansätze bedeutet. Am Ende
dieses Kapitels (3.4) sollen aus den vorangegangenen Überlegungen die empirischen
Fragestellungen dieser Arbeit abgeleitet werden.
3.1 Die Relation von Wunsch- und Überzeugungsverständnis: verschiedene
theoretische Ansätze
Im vorherigen Kapitel wurden mehrere theoretische Ansätze vorgestellt, die die
Entwicklung der kindlichen Theory of Mind erklären und dabei explizit die beiden
mentalen Zustände Wunsch und Überzeugung berücksichtigen. Sie alle teilen die
Ansicht, dass es wichtig ist, das Wunschverstehen zu untersuchen und dessen
Entwicklung mit der Entwicklung des Überzeugungsverstehens zu vergleichen. Sie
unterscheiden sich jedoch bezüglich ihrer Vorhersage über das Verhältnis von Wunsch-
und Überzeugungsverstehen sowie ihren Erklärungen zu den Ursachen der Theory of
Mind- Entwicklung. Die Aussagen der einzelnen theoretischen Ansätze bezüglich des
Wunsch- und Überzeugungsverstehens werden in Tabelle 3 im Überblick dargestellt.
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 43
Tabelle 3: Theoretische Ansätze zur kindlichen Theory of Mind
Ansatz Vertreter Vorhersage bezüglich des Verhältnisses von Wunsch- und Überzeugungsverstehen
theoretische Annahme
Modultheorie Fodor Wunschverstehen leichter als Überzeugungsverstehen
H1 leichter als H2
Theorie-Theorie Bartsch & Wellman
Wunschverstehen leichter als Überzeugungsverstehen
desire-psychology und desire-belief-psychology vor belief-desire psychology
Theorie-Theorie Repräsentationaler Ansatz
Perner Wunschverstehen leichter als Überzeugungsverstehen
Wunsch repräsentational einfacher als Überzeugung
Simulationstheorie Gordon, Goldman, Harris
Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen gleich schwer
müssen gleichermaßen simuliert werden
Exekutive Funktionen
Russel, Moore Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen gleich schwer
wenn Aufgaben gleiche exekutive Anforderungen haben
Modultheorie, Theorie-Theorie und Perners repräsentationaler Ansatz gehen davon aus,
dass Aufgaben die nur ein Verständnis von Wünschen verlangen, für jüngere Kinder
einfacher zu lösen sind als Aufgaben, die auch ein Verständnis von Überzeugungen
erfordern. Die Simulationstheorie und der Ansatz der exekutiven Funktionen betonen,
dass die Prozesse, die das Kind beim Lösen von Theory of Mind-Aufgaben leisten muss
unabhängig von der Art des mentalen Zustandes gleich sind. Somit sollten Wunsch-
Aufgaben, bei ansonsten gleichen Anforderungen, gleich schwer zu lösen sein wie
Überzeugungs-Aufgaben.
Es zeigt sich also, dass allein aus dem Vergleich des kindlichen Wunschverstehens mit
dem Überzeugungsverstehen wichtige Hinweise auf die Gültigkeit der einzelnen
theoretischen Ansätze zur Theory of Mind gewonnen werden können. Wie sieht nun das
Verhältnis von Wunschverstehen zu Überzeugungsverstehen aus? Zu welchen
Ergebnissen die bisherige Forschung bezüglich dieser Fragestellung gekommen ist, soll
im nächsten Abschnitt genauer betrachtet werden.
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 44
3.2 Die Entwicklung des Verstehens von Wünschen: Stand der Forschung
Wie sich das Wunschverstehen im Verhältnis zum Überzeugungsverstehen entwickelt,
ist in der Theory of Mind-Forschung umstritten. Über den Verlauf des
Überzeugungsverstehens gibt es inzwischen eine breite Wissensbasis, wobei hier die
meisten Ergebnisse aus Studien mit False-Belief-Aufgaben stammen (Wellman et al.,
2001). Ab wann Kinder über ein fundiertes Wunschverstehen verfügen, das es ihnen
ermöglicht einzuschätzen wie Wünsche Handlungen von Personen leiten und wie
Wünsche sich verändern können, ist hingegen deutlich weniger untersucht worden. Dies
ist aber wichtig, um ein umfassendes Bild der Entwicklung der kindlichen Theory of
Mind zu erhalten. Das Wissen über die Entwicklung des Wunschverstehens kann
wichtige Voraussetzung für das Verstehen des Zusammenhangs zwischen der kindlichen
Theorie des Denkens und dem kindlichen Sozialverhalten sein, da besonders
motivationale Zustände in der alltäglichen Interaktion interpretiert werden (Astington,
2001). Ein großer Teil der sozialen Interaktionen von Kindern beinhaltet die
Kommunikation über ihre Wünsche oder Absichten sowie den Umgang mit Konflikten,
die häufig auf unterschiedlichen Bedürfnissen der Beteiligten beruhen. Ein umfassendes
Konzept von Wünschen ermöglicht es dem Kind, nicht nur zu verstehen, wie
individuelle Bedürfnisse Handlungen leiten, sondern ermöglicht ihm auch Einsicht in
anderen Bereichen. So konnten beispielsweise Yuill und Pearson (1998) zeigen, dass
Wunschverstehen eine Voraussetzung ist, um individuelle Charakterzüge als Ursachen
von unterschiedlichen Handlungen begreifen zu können. Die Bedeutung des
Wunschverstehens für die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind wird von vielen
Autoren betont (Bartsch & Welman, 1995; Perner, 1991a; Ziv, 1999). Dennoch gibt es
bisher keine klassischen Aufgabentypen, die eine genaue Untersuchung des
Wunschverstehens ermöglichen. Astington (2001) fordert von zukünftiger Theory of
Mind-Forschung, sich mehr dem Verstehen von Wünschen und Intentionen zuzuwenden.
There is a danger in letting a single task become a marker for a
complex development. Future work should focus on developing tasks
that assess children’s understanding of desire and intention that are as
clear and compelling as the false-belief task. (S. 687)
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 45
Im Folgenden werden nun Studien vorgestellt, die sich explizit mit der Entwicklung des
Wunschverstehens beschäftigt haben. Die gefundenen Ergebnisse und Alterstrends
lassen sich teilweise nur schwer vergleichen, da sie meist mit sehr unterschiedlichen
Aufgabentypen erhoben wurden.
Eine Studie, die zeigt, dass scheinbar schon sehr junge Kinder Aspekte von
unterschiedlichen Wünschen verstehen, stammt von Repacholi und Gopnik (1997). Hier
standen zwei Nahrungsmittel zur Auswahl, Kräcker und Brokkoli. Bei dieser Auswahl
bevorzugten alle Kinder Kräcker. Dann zeigte eine erwachsene Person deutliche Freude
und Genuss beim Essen von Brokkoli und deutliches Missfallen und Ekel beim Essen
der Kräcker. Anschließend machte die Person durch Gestik und Sprache deutlich, dass
sie etwas haben wollte. Die meisten 14 Monate alten Kinder boten dem Erwachsenen
das an, was sie selbst bevorzugten, also die Kräcker. 18 Monate alte Kinder hingegen
reichten dem Erwachsenen Brokkoli. Repacholi und Gopnik (1997) schließen daraus
Folgendes bezüglich der Fähigkeit der 18 Monate alten Kinder: „Children not only
inferred that another person held a desire, but also recognized how desires are related to
emotions and understood something about the subjectivity of theses desires” (S. 12).
Diese Ergebnisse sind schwer zu bewerten, da es bisher keine weitere Studie gibt, die
das Wunschverstehen von so jungen Kindern untersucht hat.
Wellman und Woolley (1990) fanden mit ihrer Studie Belege für ihre Theorie, dass
schon Zweijährige Verhaltensvorhersagen aufgrund einer einfachen desire psychology
treffen können. So konnten sie zeigen, dass Zweijährige verstehen, dass eine Person, die
einen speziellen Gegenstand haben möchte, so lange sucht, bis sie ihn gefunden hat und
die Suche nicht einstellt, wenn sie nichts oder einen anderen Gegenstand findet.
Problematisch bei diesen Aufgaben ist, dass das Kind möglicherweise den gleichen
Wunsch hat wie der Protagonist und somit nicht dessen Verhalten, sondern sein eigenes
voraussagt. Um dieses Problem zu umgehen, setzten Wellman und Woolley (1990) in
einem zweiten Experiment so genannte Not-Own-Desire-Aufgaben ein. Entscheidendes
Merkmal dieser Aufgaben ist, dass der Wunsch des Kindes sich vom Wunsch des
Protagonisten unterscheidet. Dem Kind werden Bildergeschichten wie die folgende
vorgelegt:
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 46
Ein Protagonist hat zwei Möglichkeiten etwas zu tun, er kann beispielsweise im Pool
schwimmen oder mit einem Hund spielen. Das Kind wird gefragt was es selbst lieber tun
möchte. Danach wird erklärt, dass der Protagonist, die andere Tätigkeit ausführen
möchte, er hat also nicht den gleichen Wunsch wie das Kind. Das Kind wir dann gefragt,
was der Protagonist nun tun wird (zum Pool gehen oder zum Hund gehen). Um das
Verhalten des Protagonisten richtig vorherzusagen genügt es also nicht, dass das Kind
seinen eigenen Wunsch berücksichtigt, es muss vielmehr in der Lage sein, den Wunsch
des Protagonisten einzubeziehen. Wellman und Woolley (1990) konnten zeigen, dass
schon ältere Zweijährige die Not-Own-Desire-Aufgaben richtig lösen können,
wohingegen sie mit vergleichbaren Not-Own-Belief-Aufgaben deutliche Schwierigkeiten
haben.
Flavell, Flavell, Green und Moses (1990) zeigten, dass bereits dreijährige Kinder Value-
Belief-Aufgaben lösen können, wohingegen sie größtenteils bei Fact-Belief-Aufgaben
scheitern. Bei einer Value-Belief-Aufgabe wählt das Kind einen Keks aus, den es gerne
mag, und probiert ihn. Anschließend probiert eine andere Person und zeigt deutliche
Abscheu gegen den Geschmack. Dann wird das Kind unter anderem gefragt, ob die
andere Person denk t, dass der Keks lecker sei. Bei einer Fact-Belief-Aufgabe wird dem
Kind und einer anderen Person eine Packung Milch gezeigt. Während die andere Person
sich ein Glas holt, wird die Milch im Beisein des Kindes aus dem Karton geschüttet.
Wenn die andere Person wieder kommt, wird das Kind unter anderem gefragt, ob die
Person denkt, dass Milch in dem Karton ist. Diese Aufgabe war für dreijährige Kinder
deutlich schwieriger. Die Autoren interpretieren die Ergebnisse wie folgt: Kinder haben
die Value-Belief-Aufgabe eher als Wunsch- oder Präferenz-Frage verstanden und da
Kinder in diesem Alter Wünsche besser verstehen als Überzeugungen, ist die Value-
Belief-Aufgabe für sie einfacher zu lösen als die Fact-Belief-Aufgabe.
Aus Untersuchungen mit Representational-Change-Aufgaben ist bekannt, dass Kinder
unter vier Jahren Schwierigkeiten haben, ihre eigene zuvor angenommene falsche
Überzeugung zu benennen (Gopnik & Astington, 1988). Gopnik und Slaughter (1991)
gingen in zwei Experimenten der Frage nach, ob Kinder auch Probleme haben, andere
vergangene eigene mentale Zustände korrekt anzugeben. Sie stellen zwei Aufgaben vor,
bei denen sich der Wunsch nach einem Objekt verändert und das Kind, nachdem die
Veränderung eingetreten ist, nach dem ursprünglichen Wunsch gefragt wird. Die erste
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 47
Aufgabe sieht wie folgt aus: Dem Kind werden zwei Bilderbücher gezeigt, von denen es
eines auswählen kann, welches ihm dann vorgelesen wird. Anschließend kann es wieder
ein Buch wählen. Es zeigte sich, dass alle Kinder nun das andere Buch auswählen. Dann
wird das Kind gefragt welches Buch es ganz am Anfang lesen wollte. 12 von 18
Dreijährigen und 14 von 18 Vierjährigen beantworteten diese Frage richtig. Der bei
Representational-Change-Aufgaben gefundene Effekt, dass Dreijährige signifikant
schlechter abschneiden als Vierjährige konnte sich hier also nicht zeigen. Auch wenn
diese Ergebnisse auf den ersten Blick so erscheinen, als würden Kinder ein Verständnis
von Wünschen entwickeln, bevor sie über ein Überzeugungsverständnis verfügen,
sollten sie mit Vorsicht interpretiert werden. Moore et al. (1995) kritisieren an dieser
Aufgabe, dass der Wunsch nach einem Buch sich gerade bei kleinen Kindern mit dem
einmaligen Lesen nicht befriedigen muss, so dass zum Zeitpunkt der Kontrollfrage
möglicherweise immer noch auch ein Bedürfnis nach dem ersten Buch vorhanden ist.
Die zweite von Gopnik und Slaughter (1991) vorgestellte Aufgabe überwindet diese
Schwäche der ersten Aufgabe. Diese Aufgabe spielt im Rahmen dieser Arbeit eine
besondere Rolle, da sie in leicht veränderter Form in der eigenen Studie eingesetzt wird.
Die Aufgabe sieht konkret wie folgt aus: Das Kind kann zwischen zwei Schachteln
wählen und dann die gewünschte Schachtel öffnen. Es kann sich den Inhalt in Ruhe
anschauen, danach wird die Schachtel wieder geschlossen. Nun wird es erneut gefragt,
in welche Schachtel es schauen möchte (alle Kinder wählten nun die andere Schachtel).
Anschließend wird die Testfrage gestellt, welche Schachtel das Kind zu Beginn, als es
noch in keine Schachtel geschaut hatte, öffnen wollte. Es ist zu vermuten, dass sich bei
dieser Aufgabe der Wunsch des Kindes, wissen zu wollen, was in der Schachtel ist,
deutlich ändert, nachdem in eine Schachtel geschaut worden ist. Gegenüber der Aufgabe
mit den zwei Büchern bietet sie den Vorteil, dass sich der Wunsch des Kindes schnell
ändert und es dann direkt befragt werden kann. So können Gedächtnisprobleme als
mögliche Ursache der Ergebnisse ausgeschlossen werden. In der Studie von Gopnik und
Slaughter (1991) bereitete das Angeben des eigenen vergangenen Wunsches
Dreijährigen sichtliche Schwierigkeiten. So konnte nur die Hälfte der Dreijährigen (6
von 12) die Testfrage richtig beantworten. 10 von 12 Vierjährigen hatten hiermit keine
Probleme. Diese Aufgabe scheint für Dreijährige also schwieriger zu sein als die
Aufgabe mit den zwei Büchern und vergleichbar schwer wie Representational-Change-
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 48
Aufgaben. Angesichts der geringen Fallzahlen kann aber keine endgültige Aussage
getroffen werden.
Eine weitere Wunsch-Aufgabe, die auch im Rahmen der eigenen Studie eingesetzt wird,
stammt von Moore et al. (1995). Die Autoren gehen, als Vertreter des Ansatzes der
exekutiven Funktionen, von der Annahme aus, dass die Schwierigkeit der False-Belief-
Aufgaben das Hemmen des eigenen dominanten Wissens ist. Sie konzipierten eine
Desire-Aufgabe, die gleiche exekutive Anforderungen wie die False-Belief-Aufgabe hat
und dieser strukturell sehr ähnlich ist. Nach dem Ansatz der exekut iven Funktionen
sollte diese Aufgabe für Kinder gleich schwer sein wie die False-Belief-Aufgabe. Der
von Moore et al. (1995) als Conflicting-Desire-Task bezeichneten Aufgabe liegt
folgende Struktur zu Grunde: Der Protagonist (in diesem Falle eine Handpuppe) und das
Kind beginnen die Aufgabe mit dem gleichen Wunsch. Nachdem sich das Bedürfnis des
Kindes geändert hat, soll es das unveränderte Bedürfnis des Protagonisten vorhersagen.
Konkret sieht diese Aufgabe wie folgt aus: Das Kind spielt ein Spiel gegen eine Katze
(Handpuppe). Ziel ist es, als erster ein Frosch-Puzzle fertig zu haben. Das Puzzle besteht
aus drei Teilen, einem Körperteil, einem Kopf und Augen, die aufeinander gelegt
werden müssen. Zu Beginn erhalten das Kind und die Katze je ein Körperteil. Das erste
Ziel ist somit für jeden Spieler, einen Kopf zu bekommen. Erst wenn man den Kopf hat,
kann man die Augen darauf legen und damit das Spiel gewinnen. Die Köpfe liegen in
einer roten Schachtel, die Augen in einer blauen. Kind und Katze ziehen abwechselnd
Karten von einem Stapel. Ist die Farbe der Karte weiß dürfen sie nichts nehmen, bei rot
dürfen sie den Kopf und bei blau die Augen nehmen, vorausgesetzt sie haben den Kopf
schon. Die Reihenfolge der Karten ist vom Versuchsleiter so manipuliert, dass das Kind
zuerst einen Kopf gewinnt. Damit ändert sich der Wunsch des Kindes. Wollte es vorher
eine rote Karte ziehen, hofft es nun auf eine blaue. Dem Kind werden jetzt zwei
Testfragen gestellt: „Welche Farbkarte will die Katze jetzt?“ und „Welche Farbkarte
hast du das letzte Mal gewollt?“ Die Ergebnisse von Moore et al. (1995) zeigen, dass die
Mehrheit der dreijährigen Kinder diese Testfragen nicht richtig beantworten kann. Der
Vergleich mit einer False-Belief-Aufgabe zeigt, dass die Conflicting-Desire-Aufgabe für
Dreijährige eine vergleichbar hohe Schwierigkeit hat.
Russell, Saltmarsh und Hill (1999) verwendeten die gleiche Conflicting-Desire-Aufgabe
wie Moore et al. (1995) in einer Studie mit autistischen Kindern. Sie konnten zeigen,
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 49
dass auch hier die Conflicting-Desire-Aufgabe den gleichen Schwierigkeitsgrad hatte
wie die False-Belief-Aufgaben. Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen sowie den
Befunden, dass Autisten einfache Aspekte von Wünschen verstehen (Baron-Cohen,
1991b), dass das Problem autistischer Kinder nicht das Verstehen der repräsentationalen
Anforderung der Aufgaben ist, sondern vielmehr die hohen exekutiven Anforderungen.
Yuill, Perner, Pearson, Peerbhoy und van den Ende (1996) untersuchten, ab wann
Kinder verstehen, dass Wünsche subjektiv erstrebenswert sind, unabhängig davon, ob
die angestrebte Handlung zu einem schlechten oder zu einem neutralen Ergebnis führt.
Die von Yuill (1984) entwickelten Aufgaben sehen wie folgt aus: Kinder bekommen
Bildergeschichten mit einem Motiv, einer Handlung und einem Ergebnis gezeigt. Das
Motiv ist entweder neutral (Ball zu jemandem werfen) oder schlecht (jemanden mit Ball
am Kopf treffen). Es gibt zwei mögliche Ausgänge für die Geschichten:
1. Match: Das Ergebnis entspricht dem Wunsch (Ball wird zur beabsichtigten Person
geworfen, Ball wird beabsichtigter Person an den Kopf geworfen).
2. Mismatch: Das Ergebnis entspricht nicht dem Wunsch (Ball wird zur falschen Person
geworfen, Ball wird falscher Person an den Kopf geworfen).
Nachdem die gesamte Geschichte erzählt ist, wird das Kind gefragt, ob der Protagonist
nun froh oder traurig ist. Die Ergebnisse zeigen, dass schon Dreijährige bei den
Aufgaben mit neutralem Kontext Wunsch und Ergebnis bei der Bewertung der
Zufriedenheit verbinden können. Dies gelingt ihnen aber nicht, wenn es sich um ein
„böses“ Motiv handelt. Erst 4-5-Jährige können die Emotion eines Akteurs (happy or
sad) in Relation zum Wunsch auch in einem negativen Kontext richtig einschätzen.
Perner (2004) erklärt die Ergebnisse von Yuill et al. (1996) wie folgt: „Erst mit 4 bis 5
Jahren lernen die Kinder verstehen, dass „erstrebenswert“ subjektiv verschieden gesehen
werden kann. Das heißt, der Protagonist kann das objektiv Verwerfliche subjektiv
erstrebenswert finden, und sich deshalb freuen, obwohl der Rest der Welt es verwerflich
findet“ (S. 206). Perner geht davon aus, dass Kinder unter 4 Jahren „wollen“ als
„allgemein wünschenswert“ verstehen. Er berichtet von neutralen Geschichten mit
Zielkonflikten. Beispielsweise fahren zwei Jungen auf einem Floß, der Fluss gabelt sich,
der eine Junge will rechts fahren, der andere links. Das Floß fährt dann nach links. Die
Kinder werden dann gefragt: „Welcher der beiden Jungen ist froh darüber?“ „Ist der
andere Junge auch froh darüber?“ Dreijährige Kinder beantworten die zweite Frage
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 50
meistens falsch. Kinder, die diese Frage richtig beantworteten, lösten meistens auch die
False-Belief-Aufgaben richtig. Es zeigt sich also, dass die Subjektivität von
„erstrebenwert“ erst verstanden wird, wenn metarepräsentationales Wissen vorhanden
ist.
Nguyen und Frye (1999) untersuchten das kindliche Verständnis für falsche
Überzeugungen und Wünsche in einem sozialen Kontext. Hierzu entwickelten sie so
genannte Social-Activity-Desire-Aufgaben, die wie folgt aussehen:
Kindern werden Bildergeschichten gezeigt, bei denen zwei Personen etwas zusammen
tun, z.B. Bilder malen, singen usw. Die eine Person verlässt das Zimmer und geht in
einen anderen Raum. Die verbleibende Person ändert ihre Aktivität, z.B. Schlafen,
Musik hören. Die Kinder werden dann gefragt: „Was will die Person, die den Raum
verlassen hat, tun: Bilder malen oder schlafen?“. Dreijährige lösen diese Aufgabe
meistens falsch. Erst Fünfjährige verstehen, dass die abwesende Person vermutlich
immer noch die erste Aktivität präferiert.
Nguyen und Frye (1999) setzten auch eine strukturell sehr ähnliche Social-Activity-
False-Belief-Aufgabe ein. Der Ablauf der Bildergeschichten entspricht dem der Social-
Activity-Desire-Aufgaben. Die Testfrage lautet hier: „Was denkt die Person, die den
Raum verlassen hat, was die Person im Raum tut: Bilder malen oder schlafen?“. Es
zeigte sich, dass diese Aufgabe schwerer als eine normale False-Belief-Aufgabe ohne
sozialen Kontext ist. Sie ist aber gleich schwer wie die Social-Activity-Desire-Aufgabe.
Beide können erst von fünfjährigen Kindern mehrheitlich gelöst werden. Die Autoren
betonen, dass beide Social-Activity-Aufgabentypen, wie auch die Conflicting-Desire-
Aufgabe von Moore et al. (1995) einen Konflikt enthalten. „Conflicting desires may
provide the best comparison to belief because false belief always entails a conflict. The
child’s true belief about the situation is always at odds with the character’s false belief
about it” (Nguyen & Frye, 1999, S. 77). Aus ihren Ergebnissen ziehen Nguyen und Frye
den Schluss, dass Wunschverstehen nicht prinzipiell einfacher ist als
Überzeugungsverstehen, vielmehr scheint der Konflikt zwischen den mentalen
Zuständen, unabhängig von der Art des mentalen Zustandes, die Schwierigkeit
auszumachen. Diese Ergebnisse passen auf den ersten Blick recht gut zu denen von
Moore et al. (1995). Dennoch lassen sie die theoretische Überlegung dieser
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 51
Forschergruppe, dass die exekutiven Anforderungen der Aufgaben die Schwierigkeit
ausmachen, problematisch erscheinen. Der nach dem Ansatz der exekutiven Funktionen
entscheidende Vorgang, das Hemmen des eigenen Wunsches, taucht in den Social-
Activity-Desire-Aufgaben nicht auf. Sie scheinen aber mindestens genauso schwierig zu
sein wie die Conflicting-Desire-Aufgaben von Moore et al. (1995).
Auch Ziv (1999) geht davon aus, dass ein entscheidendes Merkmal von False-Belief-
Aufgaben der in ihnen enthaltene Konflikt zwischen dem Wissen des Kindes über die
wahre Situation und der falschen Repräsentation des Protagonisten ist. In ihrer Studie
geht auch sie der Frage nach, ob Wunschverstehen, wenn ein Konflikt beachtet werden
muss, gleich schwer wie False-Belief-Verstehen ist. Hierfür entwickelt sie Conflict-in-
Desire-Aufgaben, bei denen den Kindern Szenen wie die folgende mit kleinen Figuren
vorgespielt werden:
Ein Hund und ein Pferd werden vorgestellt. Das Pferd spielt gerne mit Bauklötzen und
macht nicht gerne Puzzle, der Hund macht gerne Puzzle und spielt nicht gerne mit
Bauklötzen. Der Hund will jetzt mit dem Pferd spielen. Nach dieser Schilderung werden
dem Kind drei Fragen gestellt: „Wird der Hund das Pferd fragen, ob es mit ihm mit
Bauklötzen spielen will, oder ob es mit ihm ein Puzzle machen möchte?“
(Handlungsfrage), „Will der Hund alleine spielen oder will er mit dem Pferd spielen?“
(Zielfrage), „Mit was spielt der Hund wirklich gerne, mit Bauklötzen oder mit Puzzles?“
(Wunschfrage). Die Ergebnisse zeigen, dass die Handlungsfrage schwerer ist als eine
klassische False-Belief-Aufgabe. Dies ist angesichts der unklaren Struktur der Aufgabe
nicht verwunderlich. Dennoch interpretiert Ziv (1999) ihre Ergebnisse wie folgt:
Überraschenderweise konnten selbst fünfjährige Kinder die Conflict-in-Desire-Aufgabe
noch nicht richtig lösen. Erst Kinder im Alter von sechs Jahren verstanden, dass der
Agent dem Partner anbieten muss, mit den Dingen zu spielen, die der Partner bevorzugt.
Ziv (1999) zieht aus ihren Ergebnissen den Schluss, dass Kinder zwar schon früh
einfache Desire-Aufgaben lösen können, Verständnis für einen Konflikt zwischen zwei
Wünschen aber erst sehr viel später entwickeln. Wie Nguyen und Frye (1999) verwendet
auch sie Aufgaben, bei denen der Konflikt zwischen zwei Protagonisten besteht. Bei
beiden Aufgabentypen bleibt das Kind mit seinen eigenen Wünschen unbeteiligt im
Gegensatz zu den Aufgaben von Moore et al. (1995) und Gopnik und Slaughter (1991),
bei denen der Wunsch des Kindes eine wichtige Rolle spielt.
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 52
Einige weitere Studien haben sich mehr oder weniger explizit mit der Entwicklung des
kindlichen Wunschverstehens beschäftigt. Die in der bekannten Studie von Bartsch &
Wellman (1995) gefundenen Ergebnisse, dass Kinder zuerst über Wünsche sprechen,
bevor sie über Überzeugungen sprechen, konnten inzwischen von anderen Autoren
bestätigt werden (Ferres, 2003; Ruffman, Slade & Crowe, 2002). Rieffe, Terwogt,
Koops, Stegge und Oomen (2001) fanden, dass bei der Vorhersage der Emotion eines
Akteurs in Abhängigkeit von dessen Wunsch sowohl der Abstand dieses Wuns ches zum
Wunsch des Kindes als auch kulturelle Normen bezüglich geschlechtsbedingter
Präferenzen eine Rolle spielen. Ab wann Kinder komplexere Szenarien mit mehreren
gleichzeitigen Wünschen verstehen, untersuchten Bennett und Galpert (1993). Die
jüngsten Kinder in ihrer Studie waren fünf Jahre alt. Sie zeigten schon ein deutliches
Verständnis für multiple Wünsche, so dass zu vermuten ist, dass dieses Wissen auch
schon für jüngere Kinder verfügbar ist.
Etwas Klarheit in die recht unterschiedlichen Befunde über den Zusammenhang von
Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen zu bringen, versucht die Arbeit von
Wellman und Liu (2004). In einer Metaanalyse, in der 45 Studien beachtet wurden,
untersuchten sie das Verhältnis des kindlichen Verstehens von mehreren mentalen
Zuständen. Sie fanden folgende Entwicklungsreihenfolge: Wunschverstehen ist leichter
als Überzeugungsverstehen, Überzeugungsverstehen ist leichter als das Verstehen von
falschen Überzeugungen. Das Ergebnis der Metaanalyse bezüglich des Verhältnisses
von Wunsch- und Überzeugungsverstehen beruht auf der Betrachtung der bereits in
diesem Abschnitt vorgestellten Arbeiten von Flavell et al. (1990), Gopnik und Slaughter
(1991), Wellman und Woolley (1990) sowie einer Studie von Ruffman et al. (2002), in
welcher gezeigt werden konnte, dass Kinder früher über Wünsche sprechen als über
Überzeugungen. Die Interpretation der Ergebnisse der Metaanalyse bezüglich des
Wunschverstehens erscheint schwierig, da in den einzelnen Studien sehr
unterschiedliche Aufgaben verwendet wurden. Hinzu kommt, dass die meisten
Aufgaben strukturell kaum Ähnlichkeit mit False-Belief-Aufgaben hatten, so dass die
Metaanalyse keine Hinweise auf das Verhältnis von Wunschverstehen und False-Belief-
Verstehen liefe rn kann. Wellman und Liu (2004) entwickelten eine Skala mit sieben
Aufgaben zu verschiedenen mentalen Zuständen, die die in der Metaanalyse gefundene
Entwicklung abbilden sollte. Das Wunschverstehen wurde hierbei mit der folgenden,
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 53
sehr einfachen Wunschaufgabe erfasst. Auf einem Blattpapier waren eine Karotte und
ein Keks zu sehen. Dem Kind wurde eine Spielzeugfigur gezeigt und es wurde gefragt
was es selbst am liebsten möge, Karotte oder Keks. Dann wurde gesagt, die
Spielzeugfigur möge das andere Nahrungsmittel lieber. Anschließend wurde das Kind
gefragt, welches Nahrungsmittel die Spielzeugfigur wählen wird. In ihrer Studie legten
Wellman und Liu (2004) diese Diverse-Desire-Aufgabe, sowie eine Diverse-Belief,
Knowledge-Access, Content-False-Belief, Explicit-False-Belief, Belief-Emotion und
Real-Apparent-Emotion-Aufgabe Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren vor. Die
Ergebnisse dieser Studie bestätigen die in der Meta-Analyse gefundene
Entwicklungsreihenfolge. Die meisten Kinder, die eine innerhalb der Skala weiter hinten
liegende Aufgabe lösen konnten, hatten alle vorherigen Aufgaben richtig gemacht.
Wellman und Liu (2004) fassen ihre Ergebnisse wie folgt zusammen:
Empirically, the findings demonstrate an understanding of desire that
precedes an understanding of beliefs; in particular, children become
aware, that two persons can have different desires for the same object
before they become aware that two persons can have different beliefs
about the same object. They also demonstrate an understanding of
diverse beliefs before false beliefs; that is, children can judge that they
and someone else can have differing beliefs about the same situation
(when the child does not know which belief is true and which is false)
before they judge that someone else can have a false belief about a
situation (where the child thus knows which belief is true and which is
false). Finally, the results show that differentiating between real and
apparent emotion is a late-developing understanding within the
preschool years. (S. 536)
Auch wenn die Ergebnisse von Wellman und Liu (2004) dafür sprechen, dass
Wunschverstehen vor der Entwicklung von Überzeugungsverstehen möglich ist, gibt es
dennoch eine Reihe von Studien, die zeigen, dass komplexe Wunschaufgaben, die einen
Konflikt beinhalten, für Kinder ähnlich schwierig sind wie die False-Belief-Aufgaben
(Moore et al., 1995; Nguyen & Frye, 1999; Ziv, 1999). Die Unterschiedlichkeit der
Befunde kann möglicherweise auf die uneinheitlichen Aufgabentypen zurückgeführt
werden. Beispielsweise die von Wellman und Liu (2004) eingesetzte Diverse-Desire-
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 54
Aufgabe kann nicht sicherstellen, dass das Kind wirklich den Wunsch nach einem der
beiden Lebensmittel hat. Auch findet nicht, wie bei der False-Belief-Aufgabe, eine
Veränderung des mentalen Zustandes statt. Um das Wunschverstehen in Relation zum
False-Belief-Verstehen setzen zu können, ist es aber unumgänglich, strukturell
vergleichbare Wunschaufgaben einzusetzen. Bei False-Belief-Aufgaben ändert sich
beispielsweise die Überzeugung des Kindes. Demnach sollte sich bei vergleichbaren
Wunschaufgaben der Wunsch des Kindes ändern. Die im Rahmen der vorliegenden
Arbeit eingesetzten Wunschaufgaben entsprechen strukturell den False-Belief-
Aufgaben. Somit können aus dem Verhältnis der Lösungshäufigkeit der
Wunschaufgaben zur Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgaben Rückschlüsse auf
die, im zweiten Kapitel dargestellten, theoretischen Erklärungsansätze gezogen werden,
wobei im Rahmen dieser Arbeit vor allem eine vergleichende Betrachtung von Perners
Ansatz mit dem Ansatz der exekutiven Funktionen vorgesehen ist. Daher soll im
folgenden Abschnitt etwas genauer auf einen Unterschied zwischen den beiden Ansätzen
eingegangen werden und zwar darauf, wie sie die repräsentationale Verschiedenheit von
Wünschen und Überzeugungen werten.
3.3 Repräsentationale Unterschiede zwischen den mentalen Zuständen Wunsch
und Überzeugung
Perner (1991a) betont, dass Überzeugungen repräsentational einen höheren
Schwierigkeitsgrad aufweisen als Wünsche. Dies ist für ihn ursächlich für die
unterschiedlichen Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen.
Nach dem Ansatz der exekutiven Funktionen ist es nicht nötig, diese repräsentationalen
Unterschiede zu berücksichtigen. Entscheidend ist lediglich, dass der eigene mentale
Zustand im Widerspruch zu dem des Akteurs steht, unabhängig von der Art des
mentalen Zustandes. Um den für Perners Ansatz so wichtigen repräsentationalen
Unterschied zwischen Wunsch und Überzeugung etwas genauer zu definieren, wird in
diesem Abschnitt eine Unterteilung von Schwitzgebel (1999b) vorgestellt.
Das Wort Repräsentation wird nach Schwitzgebel (1999b) in der philosophischen und
entwicklungspsychologischen Literatur nicht eindeutig gebraucht. Viele Autoren,
besonders auch im Bereich der Theory of Mind-Forschung, legen nicht genau fest, was
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 55
sie unter einer Repräsentation verstehen. Schwitzgebel (1999b) leitet aus der Literatur
zwei Definitionen für Repräsentationen ab, contentive und indicative Repräsentationen.
1. „I shall call an account of representation contentiv just in case it treats as
representational anything meeting the following condition: (A) It has
propositional (alternatively: intentional or semantic) content” (Schwitzgebel,
1999b, S. 158).
2. Indicative accounts of representation require a further condition. Not only must
any representation or representational state have “content” [condition (A)], but
also: (B) The content of a representation is supposed to match up (alternatively,
in “normal” conditions matches up) with the way things are in the word. If it
does not, misrepresentation (itself a type of representation) has occurred.
(Schwitzgebel, 1999b, S. 159)
Als contentiv bezeichnet Schwitzgebel alle Ansätze, die folgende Konstrukte als
Repräsentationen verstehen: propositional attitudes wie Überzeugungen und Wünsche,
Sätze und Bilder. Geht man von einem indicativen Repräsentationsverständnis aus, dann
kennzeichnet Repräsentationen das, was Searle (1987) „Geist-auf-Welt“-Ausrichtung
nennt. Dies bedeutet, dass wenn Welt und Repräsentation nicht übereinstimmen, immer
die Repräsentation und nicht die Welt falsch ist. Die Repräsentation muss die Welt
abbilden, wie sie ist, ansonsten kommt es zu Missrepräsentationen. Diese indicative
Repräsentationsdefinition trifft auf Überzeugungen zu, die etwas abbilden wie es in der
Welt ist. Indicatives Repräsentationsverständnis steht aber in direktem Gegensatz zu
Wünschen, die nicht widerspiegeln, wie die Dinge in der Welt sind, sondern darauf
abzielen, wie sie sein sollten. Searl (1987) bezeichnet daher die Ausrichtung von
Wünschen als „Welt-auf-Geist“, d.h. die Realität soll sich den Wünschen anpassen. Es
wird also deutlich, dass Wünsche nach einem indicativen Repräsentationsverständnis
keine Repräsentationen sind. Wird aber von einem contentiven
Repräsentationsverständnis ausgegangen, sind auch Wünsche als Repräsentationenen zu
verstehen.
Die Einteilung von Schwitzgebel (1999b) liefert wichtige Hinweise dafür, dass Wünsche
repräsentational einfachere Konstrukte als Überzeugungen sind. Im Sinne eines
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 56
contentiven Repräsentationsverständnisses muss nur der propositionale Inhalt von
Wünschen verstanden werden. Um hingegen Überzeugungen als indicative
Repräsentationen verstehen zu können, muss neben dieser Bedingung des
proposit ionalen Inhaltes auch noch ein Bezug zu den Dingen, wie sie in der Welt sind,
hergestellt werden. Um das Konzept Überzeugung verstehen zu können, müssen Kinder
also eine weitere Bedingung berücksichtigen. Dierstein (1997) fasst den
repräsentationalen Unterschied zwischen den beiden mentalen Zuständen wie folgt
zusammen:
Volitive Zustände haben Erreichens- oder Eintretensbedingungen,
epistemische weisen hingegen Wahrheitsbedingungen auf. Die Art der
Erfüllungsbedingungen wird durch die Modi („Wollen“, „Glauben“)
festgelegt. Die Wahrheitsbedingungen erfordern ein repräsentationales
Verstehen; wer verstehen will, dass Überzeugungen falsch sein
können, muss ein Konzept von „Fehlrepräsentationen“ haben, also zur
Metarepräsentation fähig sein. Ein Verstehen der Funktion volitiver
Zustände ist indes ohne Metarepräsentation möglich, da diese keine
Wahrheitsbedingungen, sondern Erreichungsbedingungen aufweisen.
(S. 88-89)
Perner (1991a) geht davon aus, dass Wünsche repräsentational einfachere Konstrukte
sind als Überzeugungen. Sie können nach seiner Theorie von Kindern schon im Stadium
der sekundären Repräsentationen begriffen werden, wohingegen
Überzeugungsverständnis erst im Stadium der Metarepräsentationen verfügbar ist.
Perner macht allerdings keine klare Angabe darüber, ob er von einem contentiven oder
indicativen Repräsentationsverständnis ausgeht. Seine Aussagen hierzu sind
widersprüchlich. So bezeichnet er auch Wünsche als Repräsentationen (contentiv),
definiert Repräsentationen aber als Abbild einer gegebenen Situation, das auch falsch
sein kann (indicativ). Er geht davon aus, dass Kinder Wünsche anfangs nicht als
Repräsentationen verstehen, dann aber dieses Konzept repräsentational erweitern. „They
treat desire first as relations to desired situations and than as mental representations of
situations. Treating desires as mental representations becomes necessary for
understanding how desires change and how they can be controlled” (Perner, 1991a, S.
205). Kinder können also schon als Situationstheoretiker ohne metarepräsentationales
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 57
Verständnis aus Wünschen Verhalten vorhersagen. Wenn sie, wie von Perner
angenommen, im Laufe der Entwicklung Wünsche als repräsentational begreifen,
müsste es sich dabei, nach der Einteilung von Schwitzgebel (1999b), um contentive
Repräsentationen handeln.
Ganz anders wird die Bedeutung des repräsentationalen Unterschieds zwischen
Wünschen und Überzeugungen von Vertretern des Ansatzes der exekut iven Funktionen
bewertet (Moore et al., 1995; Russel, 1996). Sie gehen davon aus, dass beim Lösen von
Theory of Mind-Aufgaben die Art des mentalen Zustandes und somit auch die
repräsentationale Schwierigkeit des mentalen Konstrukts keine Rolle spielt. Die
Probleme beim Lösen der Aufgaben beruhen ihrer Ansicht nach darauf, dass der mentale
Zustand des Kindes im Widerspruch zu dem mentalen Zustand des Akteurs steht und das
Kind seinen eigenen mentalen Zustand hemmen muss, um den Zustand des Akteurs
benennen zu können. Dies ist bei den False-Belief-Aufgaben der Fall. Das Wissen des
Kindes entspricht nicht dem Wissen des Protagonisten. Auch für Wünsche lassen sich
Aufgaben konzipieren, bei denen der Wunsch des Kindes nicht dem des Akteurs
entspricht. Eine Variante dieser Aufgaben, ist die von Moore et al. (1995) eingeführte
und unter 3.2 dargestellte Conflicting-Desire-Aufgabe, welche strukturell vergleichbar
mit der klassischen False-Belief-Aufgabe ist. Sie bedeutet eine vergleichbare exekutive
Anforderung wie die False-Belief-Aufgabe und sollte somit, nach den Vorhersagen des
exekutiven Ansatzes, vergleichbar schwer sein.
3.3.1 Repräsentationale Unterschiede zwischen der Conflicting-Desire- und False-
Belief-Aufgabe
Hier soll nun betrachtet werden, wie sich die Conflicting-Desire-Aufgabe, bei der der
Wunsch des Kindes nicht dem Wunsch des Akteurs entspricht, repräsentational von der
False-Belief-Aufgabe, bei der die Überzeugung des Kindes nicht der Überzeugung des
Akteurs entspricht, unterscheidet. Darüber hinaus soll dargestellt werden, zu welcher
Vorhersage der repräsentationale Ansatz und zu welcher Vorhersage der Ansatz der
exekutiven Funktionen bezüglich der Schwierigkeit der beiden Aufgaben kommt.
Abbildung 3 zeigt, was das Kind zum einen beim Lösen einer False-Belief-Aufgabe und
zum anderen beim Lösen einer Conflicting-Desire-Aufgabe repräsentieren muss. Die
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 58
gelbe Gedankenblase stellt hierbei den mentalen Inhalt des kindlichen Bewusstseins dar.
Bei beiden Aufgaben entspricht der mentale Zustand des Kindes nicht dem mentalen
Zustand des Akteurs. Im Fall der False-Belief-Aufgabe ist das Kind der Überzeugung,
dass der Stern rot ist, was mit der Realität übereinstimmt, der Akteur glaubt
fälschlicherweise, dass er blau sei. Bei der Conflicting-Desire-Aufgabe will das Kind
den roten Gegenstand, der Akteur hingegen den blauen.
falsch
richtig
False-Belief-Aufgaben Conflicting-Desire-Aufgaben
falsch
richtig
False-Belief-Aufgaben Conflicting-Desire-AufgabenConflicting-Desire-Aufgaben
Abbildung 3: Repräsentationaler Unterschied von False-Belief- und Conflicting-Desire-Aufgaben
Im Fall der Conflicting-Desire-Aufgabe muss das Kind also wissen, was es selbst will
(rotes Gesicht) und begreifen, dass die andere Person etwas anders möchte (blaues
Gesicht). Es muss nicht bewertet werden, ob einer der Wünsche richtig oder falsch ist,
da es sich hier eben nicht um indicative Repräsentationen handelt. Die unterschiedlichen
Wünsche stellen keinen Konflikt dar, da das Kind problemlos den roten Gegenstand und
der Akteur den blauen bekommen kann. Insofern ist der Name der Aufgabe von den
Autoren (Moor et al., 1995) etwas unglücklich gewählt, denn die Aufgabe beinhaltet
lediglich zwei unterschiedliche Wünsche und keinen Konflikt in dem Sinne, dass sich
die Erfüllung der beiden Wünsche gegenseitig ausschließt.
Ganz anders sieht die repräsentationale Anforderung bei False-Belief-Aufgaben aus.
Hier muss das Kind verstehen, dass es selbst und der Akteur jeweils eine Überzeugung
haben, die einen real existierenden Sachverhalt abbilden (in der Abbildung als roter
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 59
Stern außerhalb der Gedankenblase dargestellt). Das Kind geht davon aus, dass seine
Überzeugung wahr ist. Gleichzeitig muss es begreifen, dass die Überzeugung des
Akteurs falsch ist, dieser aber glaubt, dass sie wahr sei und sein Verhalten danach
richten wird. Die Überzeugung des Kindes steht im Widerspruch zur Überzeugung des
Akteurs. Da sich beide auf denselben Sachverhalt beziehen, kann nur eine Überzeugung
richtig sein.
Die im Vergleich zur False-Belief-Aufgabe einfachere repräsentationale Struktur der
Conflicting-Desire-Aufgaben wurde anhand der Abbildung 3 deutlich gemacht. Was
bedeutet dies nun für die Aussagen des repräsentationalen Ansatzes? Aus der Sicht des
Ansatzes von Perner kann zwischen einem einfachen und einem repräsentationalen
Wunschverstehen unterschieden werden (Perner, 1991a). Schon „Situationstheoretiker“
verfügen über ein einfaches Wunschverstehen. Sie können anhand der Information, was
eine Person möchte, deren Handlung vorhersagen, indem sie Wünsche als eine direkte
Verbindung zwischen einer Person und einer erwünschten Situation verstehen.
The explanatory and predictive power of commonsense desire
psychology remains the same whether we view people as attracted by
desired situations or whether this attraction is mediated by a mental
representation of that situation.
An important developmental consequence of these considerations is
that children can understand much of the psychology of desire before
they have an understanding of representation. There are limits,
however, since parts of our commonsense psychology do take a
representational view of the mind. (Perner, 1991a, S. 118)
Es gibt also laut Perner Aspekte bezüglich des mentalen Konstrukts Wunsch, die erst
begriffen werden können, wenn ein repräsentationales Verständnis vorhanden ist.
Welches sind nun diese Aspekte? Was man wünschenswert findet, ist nicht ein Objekt
an sich, sondern die Repräsentation des Objektes. Daraus folgt, dass sich der Wunsch
nach einem Objekt ändern kann, auch wenn das Objekt gleich bleibt, da sich eben nur
die Repräsentation verändert hat. Um also wechselnde Erwünschtheit bezüglich eines
Objektes verstehen zu können, muss das Kind den repräsentationalen Charakter von
Wünschen verstanden haben (Gopnik & Slaughter, 1991).
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 60
Bei den Conflicting-Desire-Aufgaben ändert sich der Wunsch des Kindes und wird
somit unterschiedlich zu dem der Handpuppe. Um diese Aufgaben richtig lösen zu
können, müssen Kinder also über ein repräsentationales Verständnis von Wünschen
verfügen. Dies sollte ihnen jedoch, wie oben dargestellt, leichter fallen als das
repräsentationale Verstehen von Überzeugungen, da es sich bei Wünschen um
contentive Repräsentationen handelt, die somit keine Wahrheitsbedingung aufweisen
(Gopnik & Slaughter, 1991). Für das repräsentationale Verstehen von Wünschen braucht
das Kind lediglich ein Konzept von Repräsentationen. Um Überzeugungen vollständig
repräsentational begreifen zu können, muss das Kind bereits über ein Konzept von
Fehlrepräsentationen verfügen. Im Fall von Überzeugungsverstehen muss das Kind ein
Element mehr berücksichtigen als im Fall von Wunschverstehen, da es neben dem
propositionalen Inhalt auch dessen Bezug zur Realität überprüfen muss.
Moore et al. (1995) gehen in ihrer Studie davon aus, dass das Lösen der Conflicting-
Desire-Aufgabe kein repräsentationales Verständnis von Wünschen voraussetzt. Sollte
dies der Fall sein, müssten aus Sicht des repäsentationalen Ansatzes von Perner (1991a)
auch schon „Situationstheoretiker“ die Frage nach dem Wunsch der Handpuppe richtig
lösen können. Dies würde bedeuten, dass die Conflicting-Desire-Aufgabe auch schon
von Kindern unter drei Jahren gelöst werden sollte. Demnach sollten nach der
Vorhersage des repräsentationalen Ansatzes die Conflicting-Desire-Aufgaben einfacher
sein als die False-Belief-Aufgaben, unabhängig davon, ob nun ein repräsentationales
Verständnis von Wünschen vorausgesetzt wird oder nicht. Das Alter der Kinder, die die
Conflicting-Desire-Aufgaben lösen können, kann möglicherweise etwas darüber
aussagen, ob die Aufgabe ein repräsentationales Wunschverständnis erfordert oder nicht.
Können schon Kinder unter drei Jahren, die laut Perner (1991a) noch über kein
repräsentationales Wunschverständnis verfügen, die Conflicting-Desire-Aufgabe lösen,
scheint ein repräsentationales Verständnis hier nicht notwendig zu sein. Sollten Kinder
aber erst im Laufe ihres vierten Lebensjahres die Conflicting-Desire-Aufgabe lösen
können, wäre das ein Hinweis darauf, dass ein repräsentationales Wunschverstehen
erforderlich ist.
Im Gegensatz zu der Erklärung des repräsentationalen Ansatzes steht die Aussage des
Ansatzes der exekutiven Funktionen. Moore et al. (1995) gehen davon aus, dass die
Schwierigkeit der False-Belief-Aufgabe nicht auf ihrem metarepäsentationalen
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 61
Charakter beruht, sondern durch die hohen exekutiven Anforderungen der Aufgabe
zustande kommt. Die von ihnen entwickelte Conflicting-Desire-Aufgabe weist die
gleichen exekutiven Anforderungen auf wie die False-Belief-Aufgabe. Die Aufgaben
unterscheiden sich also nur in Bezug auf den mentalen Zustand Wunsch oder
Überzeugung. Laut den Vertretern des exekutiven Ansatzes muss das Kind bei beiden
Aufgaben die gleiche exekutive Leistung erbringen. Im Fall der False-Belief-Aufgabe
muss es sein eigenes dominantes Wissen (großer roter Stern) hemmen, um das Wissen
des Akteurs berücksichtigen zu können. Bei der Conflicting-Desire-Aufgabe muss es
seinen eigenen dominanten Wunsch (rotes Gesicht) zurückstellen um den Wunsch des
Akteurs richtig benennen zu können. Somit sollte nach den Überlegungen des
exekutiven Ansatzes die Conflicting-Desire-Aufgabe vergleichbar schwer sein wie die
False-Belief-Aufgabe.
Es wurde deutlich, dass aus dem Vergleich des Entwicklungsverlaufes des
Wunschverstehens mit dem Entwicklungsverlauf des Überzeugungsverstehens wichtige
Rückschlüsse auf die einzelnen theoretischen Ansätze zur Erklärung der kindlichen
Theory of Mind gezogen werden können. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht hierbei die
Betrachtung des repräsentationalen und exekutiven Ansatzes. Sollte die Conflicting-
Desire-Aufgabe vergleichbar schwer sein wie die False-Belief-Aufgabe, würde dies die
Aussagen des Ansatzes der exekutiven Funktionen bestätigen. Sollte aber die
Conflicting-Desire-Aufgabe leichter sein als die False-Belief-Aufgaben, spricht dies
eher für die Annahmen des repräsentationalen Ansatzes. Darüber hinaus kann aus dem
Alter der Kinder, die die Conflicting-Desire-Aufgabe lösen können, abgeleitet werden,
ob die Aufgabe ein repräsentationales Wunschverständnis erfordert oder nicht. Die aus
den bisherigen Überlegungen abgeleiteten konkreten Fragestellungen der Arbeit werden
im nächsten Abschnitt dargestellt.
3.4 Ableitung der Fragestellungen
Die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind ist gegenwärtig ein lebhaftes
Forschungsfeld innerhalb der Entwicklungspsychologie. Bisher wurde besonders der
Entwicklung des Überzeugungsverständnisses viel Aufmerksamkeit geschenkt, wobei
aber fast alle Daten aus Querschnittsstudien stammen, die die Fähigkeit verschiedener
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 62
Altersgruppen vergleichend betrachten. Somit fehlt es an Studien, die die Entwicklung
des Überzeugungsverständnisses über die Zeit hinweg an einer Gruppe von Kindern
untersuchen. Dennoch können anhand der Fülle von Querschnittstudien zum
Überzeugungsverstehen fundierte Aussagen über dessen Entwicklung gemacht werden.
Ganz anders sehen die Forschungsbemühungen bezüglich des Wunschverstehens aus.
Obwohl es ein ebenso wichtiger Bestandteil der kindlichen Theory of Mind ist wie das
Verstehen von Überzeugungen, wurde es bisher kaum untersucht. Bei den wenigen
vorhandenen Untersuchungen handelt es sich ausschließlich um Querschnittstudien, die
mit sehr unterschiedlichen Aufgaben versuchen das Wunschverstehen zu erfassen (siehe
Abschnitt 3.2). Daher ist es nicht möglich anhand dieser sich teilweise
widersprechenden Einzelergebnisse Rückschlüsse auf die Entwicklungsabfolge des
Wunschverstehens zu ziehen. Für ein differenziertes Verständnis der Entwicklung der
kindlichen Theory of Mind erscheint es dringend erforderlich, die Entwicklung des
Wunschverstehens genauer zu untersuchen. Dies wird im Rahmen der vorliegenden
Arbeit getan. Hierbei wird nicht nur erstmalig eine Längsschnittstudie zum
Wunschverstehen durchgeführt, sondern auch, wie bisher noch nicht geschehen,
gleichzeitig die Entwicklung des Wunschverstehens und des Überzeugungsverstehens
mit strukturell vergleichbaren Aufgaben über mehrere Monate hinweg an einer Gruppe
von Kindern erfasst. Somit liefert die vorliegende Arbeit einen wichtigen Beitrag zu
einem breiteren Verständnis der Entwicklung der kindlichen Theory of Mind, indem sie
das Verhältnis der Entwicklung von Wunsch- und Überzeugungsverstehen untersucht.
Ziel dieser Arbeit ist aber nicht nur die Erfassung der Entwicklungsverläufe. Darüber
hinaus sollen aus dem Vergleich von Wunsch- und Überzeugungsverstehen
Rückschlüsse auf die verschiedenen theoretischen Erklärungsansätze gezogen werden,
indem die von ihnen gemachten Aussagen über die Relation dieser
Entwicklungsverläufe mit den in der eigenen Studie gefundenen Daten verglichen
werden. Bei dieser Analyse werden zwei theoretische Erklärungsansätze im Mittelpunkt
stehen: der Ansatz der exekutiven Funktionen und der repräsentationale Ansatz, die, wie
in Abschnitt 3.3 ausgeführt, zu unterschiedlichen Vorhersagen bezüglich der Relation
von Wunsch- und Überzeugungsverstehen kommen. Darüber hinaus soll betrachtet
werden, ab welchem Alter Kinder die Conflicting-Desire-Aufgabe lösen können und
somit über ein repräsentationales Wunschverstehen verfügen. Besonders in der
3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 63
Diskussion um die Simulationstheorie (2.3) ist es von Interesse, inwiefern sich das
Verstehen eigener mentaler Zustände von dem fremder mentaler Zustände unterscheidet.
Daher soll dies sowohl für Wünsche als auch für Überzeugungen im Rahmen dieser
Arbeit untersucht werden.
Die Forschungsfragen dieser Arbeit lauten demnach konkret wie folgt:
1. Wie verhält sich der Entwicklungsverlauf des Wunschverstehens zu dem
Entwicklungsverlauf des Überzeugungsverstehens?
2. Welche Rückschlüsse auf theoretische Erklärungsansätze zur kindlichen
Theory of Mind lassen sich aus dem Ergebnis bezüglich des Verhältnisses der
beiden Entwicklungsverläufe ziehen? Sprechen die Daten eher für den
Ansatz der exekutiven Funktionen oder eher für den repräsentationalen
Ansatz?
3. Ab welchem Alter lösen Kinder Conflicting-Desire-Aufgabenn und verfügen
somit über ein repräsentationales Wunschverstehen?
4. Wie verläuft die Entwicklung des Verstehens eigener und fremder mentaler
Zustände? Unterscheidet sich diese Entwicklung bezüglich Wunsch- und
Überzeugungsverstehen?
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 64
4 Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungs-
verstehen
Die vorliegende Arbeit setzt sich aus zwei empirischen Studien zusammen. Bei Studie 1
handelt es sich um eine Längsschnittstudie. Über einen Zeitraum von sieben Monaten
wurden 42 Kindern zu zehn Terminen Wunsch- und Überzeugungsaufgaben vorgelegt.
Die Kinder waren zu Beginn der Untersuchung im Durchschnitt 41,6 Monate alt. Studie
1 bildet den Entwicklungsverlauf von Wunsch- und Überzeugungsverstehen ab. Die
Daten ermöglichen sowohl Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Wunsch-
und Überzeugungsverstehen als auch auf die Frage nach dem Verstehen eigener und
fremder mentaler Zustände. Studie 1 wurde im Rahmen des DFG-Projektes „Die
Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogene tische Studie und
Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) durchgeführt. Hierdurch war das
Alter der Kinder, die an der Studie teilnahmen, bereits im Vorfeld festgelegt. Um auch
Aussagen über das Wunsch- und Überzeugungsverstehen jüngerer Kinder machen zu
können, wurde Studie 2 durchgeführt. Hierbei wurden 41 Kindern im Alter von 36,4
Monaten Wunsch- und Überzeugungsaufgaben zu einem Termin vorgelegt. Studie 2
ergänzt somit das Wissen über den Entwicklungsverlauf von Wunsch- und
Überzeugungsverstehen und gibt Antwort auf die Frage, ab welchem Alter Kinder über
ein repräsentationales Wunschverstehen verfügen.
Studie 2 wird im nächsten Kapitel dargestellt. Dieses Kapitel widmet sich der
Beschreibung der Studie 1, wobei zuerst die Rahmenbedingungen dargestellt werden
(4.1), bevor die Fragestellungen und Hypothesen (4.2), die Methode (4.3) und
anschließend die Ergebnisse (4.4) der Studie beschrieben werden.
4.1 Rahmenbedingungen
Wie bereits erwähnt wurde die vorliegende Studie im Rahmen des DFG-Projektes „Die
Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und
Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) durchgeführt. Hierbei handelt es
sich um ein dreijähriges Projekt, welches im Zusammenhang mit vorangegangener
Forschung zur Entwicklung der kindlichen Theory of Mind am Institut für Psychologie
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 65
der Albert-Ludiwigs-Universität in Freiburg (Wahl & Spada, 2000; Wichmann, 1995;
Wichmann, Opwis & Spada, 1996) entstanden ist. Die hier vorliegende Studie 1 wurde
im Rahmen einer Datenerhebungswelle des DFG-Projektes im Jahre 2004 durchgeführt.
Im Rahmen des DFG-Projektes wurden den Kinder False-Belief-, Representational-
Change- und Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben vorgegeben. Im Rahmen der
eigenen Arbeit wurden Wunschaufgaben entwickelt, die den Kindern neben den
klassischen Theory of Mind-Aufgaben vorgelegt wurden. Durch die Anbindung der
eigenen Datenerhebung an das DFG-Projekt waren Rahmenbedingungen der
Untersuchung wie etwa Alter der Kinder, Häufigkeit und Abstand von Erhebungen
sowie die klassischen Theory of Mind-Aufgaben bereits festgelegt.
Die aus den allgemeinen Fragestellungen des vorherigen Kapitels abgeleiteten konkreten
Hypothesen der Studie 1 werden im folgenden Abschnitt beschrieben.
4.2 Fragestellung und Hypothesen
Ziel der Studie 1 war es, die kindliche Entwicklung von Überzeugungsverstehen und
Wunschverstehen abzubilden und in einem zweiten Schritt aus dem Verhältnis der
beiden Entwicklungsverläufe Rückschlüsse auf einzelne theoretische Erklärungsansätze
zur Theory of Mind zu ziehen. Hierzu wurden 42 Kindern über einen Zeitraum von
sieben Monaten zu 10 Terminen Theory of Mind-Aufgaben vorgelegt. Neben dieser
Untersuchungsgruppe gab es eine Kontrollgruppe, die nur zu Beginn und am Ende der
sieben Monate an je einem Termin teilnahm. Die allgemeinen Fragestellungen für die
gesamte Arbeit wurden bereits unter 3.4 dargestellt. Hier werden nun die daraus
abgeleiteten konkreten Hypothesen für die Studie 1 dargestellt.
Hypothese 1 lautet:
Die Lösungshäufigkeit aller Aufgabentypen nimmt im Verlauf der zehn Termine zu.
Die Kinder, die an der Studie teilnahmen, wurden so ausgewählt, dass sie sich in dem
Altersbereich befanden, in dem viele Studien eine natürliche Theory of Mind-
Entwicklung abbilden konnten (Wellman et al., 2001). Es kann somit davon
ausgegangen werden, dass während des Untersuchungszeitraumes von sieben Monaten
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 66
die Fähigkeit zur Theory of Mind zunimmt, was im Verlauf der Zeit zu durchschnittlich
höheren Lösungshäufigkeiten aller Aufgaben führen sollte.
Hypothese 2 lautet:
Aufgaben, die das Überzeugungsverständnis erfassen (False-Belief- und
Representational-Change-Aufgaben) sind für die Kinder schwieriger zu lösen als
Aufgaben, die Wunschverstehen erfassen (Conflicting-Desire- und Neugier-Aufgaben).
Basierend auf den in Abschnitt 3.3 aufgezeigten repräsentationalen Unterschieden
zwischen Überzeugungs-Aufgaben und Wunsch-Aufgaben, wird davon ausgegangen,
dass Wunsch-Aufgaben aufgrund ihrer einfacheren repräsentationalen Struktur für die
Kinder leichter zu lösen sind als Überzeugungs-Aufgaben. Sollten die Daten dieses
Muster zeigen, würde das für den repräsentationalen Ansatz von Perner (1991a)
sprechen. Ausgehend von der Vorhersage der Vertreter des exekutiven Ansatzes (Moore,
et al., 1995) sollten Wunsch- und Überzeugungs-Aufgaben gleich schwer zu lösen sein.
Hypothese 3 lautet:
Das Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände ist gleich schwer.
Die Frage, ob Aufgaben, bei denen eigene vergangene mentale Zustände benannt
werden müssen, gleich schwer sind wie Aufgaben, bei denen mentale Zustände anderer
Personen repräsentiert werden müssen, ist entscheidend in der Diskussion der Theorie-
Theorie und Simulationstheorie (Gopnik & Wellman, 1994). Aus dem Verhältnis des
Verstehens eigener und fremder mentaler Zustände lassen sich Rückschlüsse auf die
Richtigkeit der Annahmen der beiden theoretischen Ansätze ziehen. Sollte es sich
zeigen, dass das Verstehen eigener mentaler Zustände leichter ist als das Verstehen
fremder, würde dies eher für die Simulationstheorie sprechen. Vertreter der Theorie-
Theorie gehen davon aus, dass das Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände
gleich schwer ist.
Hypothese 4 lautet:
Kinder der Kontrollgruppe lösen am Ende des Untersuchungszeitraumes weniger
Aufgaben richtig als Kinder der Untersuchungsgruppe.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 67
Wie bereits erwähnt, wird neben der eigentlichen Untersuchungsgruppe eine
Kontrollgruppe einbezogen, die nur zu Beginn und am Ende des siebenmonatigen
Untersuchungszeitraumes Aufgaben vorgelegt bekommt. Da mehrere Studien gezeigt
haben, dass Theory of Mind-Fähigkeit trainierbar ist (Appelton & Reddy, 1996; Melot &
Angeard, 2003; Slaughter & Gopnik, 1996), besteht die Möglichkeit, dass sich durch das
über 10 Termine wiederholte Darbieten vergleichbarer Aufgaben, zusätzlich zu der
normalen Entwicklung ein Lerneffekt einstellt. Bei den Kindern der Kontrollgruppe
sollte sich dieser zusätzliche Lerneffekt nicht zeigen. Dies bedeutet, dass aus der
vergleichenden Betrachtung der Ergebnisse der Untersuchungsgruppe und der
Kontrollgruppe Informationen darüber gewonnen werden können, inwiefern die
Entwicklungsverläufe der Untersuchungsgruppe der „natürlichen“ Entwicklung
entsprechen, bzw. inwiefern zusätzliche Lerneffekte in diese Entwicklungsverläufe
einfließen.
Die Beeinflussbarkeit der Theory of Mind durch Lernerfahrungen kann wiederum in
Bezug zu einzelnen theoretischen Ansätzen diskutiert werden. So geht gerade die
Theorie-Theorie davon aus, dass der Entwicklung ein Lernprozess zugrunde liegt (siehe
2.2), woraus geschlussfolgert werden kann, dass durch häufige Auseinandersetzung mit
dem entsprechenden Material die Entwicklung schneller verlaufen sollte. Besonders aus
der Perspektive der Modultheorie (siehe 2.1) sollten hingegen keine Lerneffekte zu
beobachten sein, da Reifung als der zugrunde liegende Entwicklungsmechanismus
angenommen wird.
4.3 Methode
4.3.1 Stichprobe
Vom Amt für Statistik und Einwohnerwesen der Stadt Freiburg wurden die Adressen
von Familien, die ein Kind im Alter von drei bis dreieinhalb Jahren hatten, bereitgestellt.
Es wurden 221 Familien angeschrieben. Die Eltern von 67 Kindern erklärten sich dazu
bereit, ihr Kind an der Studie teilnehmen zu lassen. Diese Kinder wurden für einen
Vortest zuhause besucht, bei dem ihnen neun Aufgaben vorgelegt wurden. Da es Ziel
der Studie war, den Entwicklungsverlauf abzubilden, wurden Kinder, die bereits
mehrere Aufgaben lösen konnten, ausgeschlossen, da bei ihnen die Entwicklung schon
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 68
zu weit fortgeschritten war. Weitere Ausschlusskriterien waren mangelnde
Konzentration oder die Weigerung, auf Fragen zu antworten. Insgesamt wurden 55
Kinder in die Studie aufgenommen, die nach Alter, Geschlecht und Lösungshäufigkeit
des Vortests parallelisiert in Untersuchungs- und Kontrollgruppe eingeteilt wurden. 44
Kinder wurden der Untersuchungsgruppe zugeteilt, 11 der Kontrollgruppe. Zu Beginn
der Hauptstudie entschieden sich zwei Familien aufgrund von familiären Problemen
nicht an der Studie teilzunehmen, so dass 42 Kinder in der Untersuchungsgruppe
verblieben. Insgesamt nahmen also 53 Kinder an der Studie teil, davon 27 Mädchen und
26 Jungen. Beim ersten regulären Erhebungstermin der siebenmonatigen Studie waren
die Kinder zwischen 39 und 45 Monaten alt und hatten ein Durchschnittsalter von 41,6
Monaten.
Die Stichprobe der an der Studie teilnehmenden Kinder kann nicht als repräsentativ für
die Gesamtpopulation aller Kinder in dieser Altersgruppe betrachtet werden, da die
Eltern, die sich bereit erklärten, an der Studie teilzunehmen über ein sehr hohes
Bildungsniveau verfügten. So hat die Mehrheit der Mütter und Väter die Allgemeine
Hochschulreife und etwas mehr als die Hälfte verfügt über ein abgeschlossenes
Hochschulstudium. Dies wird bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen sein.
4.3.2 Material
In der vorliegenden Studie kamen fünf verschiedene Aufgabentypen zum Einsatz (siehe
Tabelle 4). Hierbei handelt es sich zum einen um klassische Theory of Mind-Aufgaben,
und zum anderen um bisher wenig untersuchte Wunschaufgaben, die teilweise im
Rahmen dieser Studie weiterentwickelt wurden. Zuerst sollen die klassischen Theory of
Mind-Aufgaben vorgestellt werden (4.3.2.1), anschließend erfolgt die Betrachtung der
verwendeten Wunschaufgaben (4.3.2.2).
4.3.2.1 Die klassischen Theory of Mind-Aufgaben
Zu den klassischen Theory of Mind-Aufgaben gehören die False-Belief- und die
Representational-Change-Aufgaben, die beide Überzeugungsverstehen erfassen. Des
Weiteren kann die Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe zu den klassischen Theory
of Mind-Aufgaben gezählt werden. Sie erfasst, ob ein Kind zwischen der Identität und
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 69
dem diskrepanten Aussehen eines Objektes unterscheiden kann. Da sie also weder
Wunsch- noch Überzeugungsverstehen abbildet, ist sie für die vorliegende Arbeit nur
von geringer Bedeutung.
Die Kinder in Studie 1 bekamen zu jedem der 10 Erhebungstermine eine Version von
jedem klassischen Aufgabentyp vorgelegt. Es war somit nötig, mehrere Versionen von
jedem Aufgabentyp zu entwickeln. Dabei wurde immer die Grundstruktur des jeweiligen
Aufgabentyps beibehalten und es wurden nur die Geschichten oder das gezeigte Objekt
verändert (siehe Anhang). Zu den drei klassischen Aufgabentypen erhielten die Kinder
kurze Rückmeldungen. Dies war im Rahmen des DFG-Projektes festgeschrieben. Für
die eigene Arbeit spielen diese Rückmeldungen keine Rolle und sollen daher nicht näher
betrachtet werden.
Durch das wiederholte Darbieten vergleichbarer Aufgaben und die dazu gegebene
Rückmeldung ergibt sich folgendes Problem: Es könnte sein, dass Kinder nicht aufgrund
von echtem Verständnis, sondern aufgrund von gelernten Antworttendenzen die
Aufgaben richtig lösen. Möglicherweise stellt ein Kind fest, dass immer gerade die
Antwortalternative, die es nicht wählen würde, richtig ist und antwortet in Zukunft nach
diesem Muster. Um solche Antworttendenzen zu verhindern, wurden in der Studie für
alle klassischen Aufgabentypen, auch jeweils eine so genannte konsistente
Aufgabenversion vorgegeben. Konsistente Aufgaben gleichen von der Struktur der
Aufgabendurchführung den im Folgenden als inkonsistenten bezeichneten Theory of
Mind-Aufgaben, unterscheiden sich von diesen aber wesentlich bezüglich der
Anforderung an Theory of Mind-Fähigkeit. Bei konsistenten Aufgaben kommt es nicht
zu zwei diskrepanten mentalen Repräsentationen, es muss also keine Theory of Mind
vorhanden sein um diese Aufgaben lösen zu können. Dies bedeutet, dass das Kind,
ausgehend von der eigenen Repräsentation, die Testfrage richtig beantworten kann.
Somit ist durch das Darbieten von inkonsistenten und konsistenten Aufgaben
sichergestellt, dass Kinder die Aufgaben nicht aufgrund von einfachen gelernten
Antwortmustern lösen können. Zu den beiden Wunschaufgaben (siehe 4.3.2.2), die nur
zu jedem zweiten Termin eingesetzt wurden, erhielten die Kinder keine Rückmeldung.
Daher wurde auf konsistente Aufgabenversionen verzichtet, da die Kinder nicht
feststellen konnten, ob ihre Antworten richtig waren und somit auch keine gelernten
Antwortmuster entwickeln konnten. Darüber hinaus machte auch die geringe Anzahl der
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 70
Aufgaben und die Länge der Zeit zwischen den Terminen die Entstehung gelernter
Antwortmuster unwahrscheinlich. Im Folgenden soll nun anhand von je einem Beispiel
die Struktur jedes Aufgabentyps verdeutlicht werden.
Tabelle 4: Die Aufgaben
Aufgabenart: Aufgabe erfasst: Anzahl der Testfragen
Aufgabenversionen Häufigkeit der Darbietung
False-Belief (FB) Überzeugungs-verstehen
eine eine
inkonsistent konsistent
jeder Termin
Representational-Change (RC)
Überzeugungs-verstehen
eine eine
inkonsistent konsistent
jeder Termin
Conflicting-Desire (CD)
Wunschverstehen zwei inkonsistent jeder zweite Termin
Neugier-Aufgabe (N)
Wunschverstehen zwei inkonsistent jeder zweite Termin
(Appearance-Reality-Distinction (AR))
(Unterscheidung: Identität und Aussehen)
eine eine
inkonsistent konsistent
jeder Termin
Die False-Belief-Aufgaben:
Die False-Belief-Aufgaben wurden den Kindern in Form von Bildergeschichten oder
Szenen mit kleinen Spielfiguren vorgegeben. Bei der inkonsistenten False-Belief-
Aufgabe „Annas Puppe“ wurden dem Kind nacheinander vier Bilderkarten vorgelegt
(siehe Abbildung 4). Dazu wurde von der Versuchleiterin, mit Hilfe des Protokollbogens
(siehe Abbildung 5), die entsprechende Geschichte erzählt.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 71
Karte 1
Karte 2
Karte 3
Karte 4
Abbildung 4: False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“
Direkt auf dem Protokollbogen wurde von der Versuchsleiterin durch Ankreuzen der
grünen Antwortalternativen die Antwort des Kindes festgehalten. Die jeweils richtigen
Antwortalternativen sind durch Unterstreichung auf dem Protokollbogen
gekennzeichnet.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 72
Annas Puppe
Karte 1: Das ist Anna. Sie spielt hier mit ihrer Puppe. Als sie genug gespielt hat, legt sie die Puppe in ihr Bett unter die Decke. Dann geht Anna raus in den Garten.
Kontrollfrage: Wo hat Anna die Puppe hingelegt?
O Bett => weiter mit Karte 2
O andere oder keine Antwort => Karte 1 noch mal erklären
Karte 2: Jetzt kommt Jan, der Bruder von Anna ins Zimmer. Er nimmt die Puppe aus dem Bett und spielt mit ihr.
Karte 3 Als er genug gespielt hat, legt er die Puppe in den Schrank und macht die Türe zu. Dann geht er aus dem Zimmer. Anna weiß nicht, dass die Puppe jetzt im Schrank ist.
Karte 4 Jetzt kommt Anna wieder in ihr Zimmer . Sie möchte mit ihrer Puppe spielen.
Testfrage: Wo wird Anna zuerst nach ihrer Puppe suchen? Im Bett oder im Schrank (zeigen)?
O Bett O Schrank O keine Antwort O sonstige
Puppe kommt raus und stellt
Realitätsfrage: Wo ist die Puppe? Im Bett oder im Schrank (zeigen)?
O Bett O Schrank O keine Antwort O sonstige
Abbidung 5: Protokollbogen der False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“
Insgesamt wurden den Kindern bei jeder False-Belief-Aufgabe drei Fragen gestellt.
Durch die Kontrollfrage wurde erhoben, ob das Kind wusste, an welchem Ort sich der
Gegenstand befand. Nur wenn die Kontrollfrage richtig beantwortet wurde, konnte mit
dem weiteren Verlauf der Aufgabe fortgefahren werden. Andernfalls musste die bisher
gegebene Information nochmals wiederholt werden. Die Testfrage erfasste, ob das Kind
in der Lage war, die Perspektive der anderen Person (im Beispiel Anna) zu
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 73
berücksichtigen und obwohl es selbst wusste, dass diese Perspektive falsch war, daraus
die Handlung des Protagonisten (Anna) vorherzusagen. Die Realitätsfrage stellte sicher,
dass das Kind den Ortswechsel des Gegenstandes auch wirklich begriffen hat. Nur wenn
sie auch richtig beantwortet wurde, wurde die Testfrage als richtig interpretiert.
Um sicher zu stellten, dass die Reihenfolge der angebotenen Antwortalternativen bei
Test- und Realitätsfrage keinen Einfluss auf die Messung hat, wurde diese über alle
Aufgaben hin variiert, so dass bei einer Hälfte der Aufgaben die richtige
Antwortalternative zu Beginn und bei der anderen Hälfte die falsche Antwortalternative
zu Beginn genannt wurde. Darüber hinaus wurden diese Antwortalternativen nur den
Kindern angeboten, die nicht direkt von sich aus auf die Fragen antworteten.
Die dargestellte Aufgabe „Annas Puppe“ war inkonsistent, da sich das Wissen des
Kindes von dem Wissen des Protagonisten (Anna) unterscheidet. In einer konsistenten
Aufgabe hätte Anna beispielsweise gesehen, dass Jan die Puppe in den Schrank gelegt
hat. Somit wäre es nicht zu zwei unterschiedlichen Repräsentationen gekommen, weil
Anna dann dasselbe Wissen gehabt hätte wie das Kind.
Die Representational -Change-Aufgaben:
Bei den inkonsistenten Representational-Change-Aufgaben kommt es zu zwei
unterschiedlichen Repräsentationen, weil sich die Überzeugung des Kindes im Verlauf
der Aufgabe ändert. Diese Überzeugungsveränderung wurde meist dadurch erreicht,
dass dem Kind eine Verpackung vorgegeben wurde, die einen bestimmten Inhalt
erwarten ließ, welcher sich aber nicht in der Verpackung befand. In dem hier
vorgestellten Beispiel wurde dem Kind ein Eierkarton gezeigt, der Tischtennisbälle
enthielt. Bei wenigen Aufgaben wurde die Überzeugungsveränderung dadurch erreicht,
dass ein Gegenstand andere Eigenschaften hatte, als er vermuten ließ. Der genaue
Ablauf der Beispielaufgabe geht aus dem Protokollbogen in Abbildung 6 hervor.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 74
Eierkarton
Versuchsleiterin nimmt Eierkarton aus der Tasche. Eierkarton dem Kind zeigen, aber nicht geben. Schau mal, was ich da habe.
Kontrollfrage: Was glaubst Du, was da drin ist?
O Eier O Bälle => Ersatzaufgabe nehmen O keine Antwort, weiß nicht => Ersatzaufgabe nehmen O sonstige................................
Okay, schauen wir mal nach.
Vl öffnet den Eierkarton. Zeigt die Tischtennisbälle. Oh! Da sind kleine Bälle drin.
Vl schliesst den Eierkarton wieder.
Testfrage: Als ich Dir vorhin diese Schachtel gezeigt habe, bevor wir sie aufgemacht haben, was hast Du gedacht, was da drin ist? Eier/Antwort des Kindes auf Kontrollfrage oder Bälle?
O Eier O Bälle O keine Antwort O sonstige...................................
Puppe kommt raus und stellt
Realitätsfrage Was ist in Wirklichkeit in dieser Schachtel? Eier/Antwort des Kindes auf Kontrollfrage oder Bälle?
O Eier O Bälle O keine Antwort O sonstige...................................
Abbildung 6: Protokollbogen der Representational-Change-Aufgabe „Eierkarton“
Auch bei allen Representational-Change-Aufgaben wurden den Kindern drei Fragen
gestellt. Mit der Kontrollfrage wurde festgestellt, was das Kind als Inhalt der
Verpackung angenommen hatte. Die Verpackungen legten immer einen bestimmten
Inhalt nah, hier im Beispiel Eier. Wenn das Kind diesen Inhalt oder einen anderen Inhalt
(diskrepant zum tatsächlichen Inhalt) angab, konnte die Aufgabe fortgeführt werden.
Wurde ein sonstiger Inhalt z.B. Schokolade angegeben, wurde dies unter sonstige
notiert. Wichtig für die Struktur der Aufgabe war, dass die anfängliche Überzeugung des
Kindes bezüglich des Inhalt s der Verpackung falsch war. Gab ein Kind den tatsächlichen
Inhalt der Schachtel an (hier Bälle) oder sagte nichts, konnte die Aufgabe nicht
fortgesetzt werden. Um fehlende Werte zu vermeiden, wurden in diesen Fällen
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 75
Ersatzaufgaben durchgeführt. Die Testfrage erfasste, ob das Kind in der Lage war, seine
eigene ursprüngliche Überzeugung zu benennen, nachdem es die dazu diskrepante
Repräsentation bezüglich des tatsächlichen Inhalts aufgebaut hatte. Die Realitätsfrage
stellte sicher, dass das Kind wusste, was sich tatsächlich in der Verpackung befand. Nur
wenn sie auch richtig beantwortet wurde, wurde die Testfrage als richtig interpretiert.
Auch bei den Representational-Change-Aufgaben wurde die Reihenfolge der
angebotenen Antwortalternativen bei Test- und Realitätsfrage über alle Aufgaben hin
variiert, so dass bei einer Hälfte der Aufgaben die richtige Antwortalternative zu Beginn
und bei der anderen Hälfte die falsche Antwortalternative zu Beginn genannt wurde.
Die hier vorgestellte Beispielaufgabe „Eierkarton“ war inkonsistent weil sich der
tatsächliche Inhalt von dem erwarteten Inhalt unterschied. In einer konsistenten Aufgabe
hätten sich in der Verpackung tatsächlich Eier befunden. Damit die beiden
Repräsentationen (Überzeugung bevor in die Schachtel geschaut wurde, Überzeugung,
nachdem in die Schachtel geschaut wurde) konsistent sind, müsste das Kind zu Beginn
sagen, dass es denkt, dass Eier in der Schachtel sind.
Die Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben:
Die Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben erfassen, ob ein Kind zwischen der
Identität oder Eigenschaft und dem diskrepanten Aussehen eines Objekts unterscheiden
kann. Es müssen somit zwei inkonsistente Repräsentationen gebildet werden, zum einen
wie das Objekt aussieht und zum anderen wie es wirklich ist. Die Diskrepanz zwischen
dem Aussehen und der Eigenschaft wurde erreicht, indem mit Trickobjekten gearbeitet
wurde, wie hier im Beispiel mit einer Kerze, die aussah wie ein Stein. Bei einigen
Aufgaben wurde auch die Eigenschaft eines Objektes verändert, beispielsweise seine
Farbe dadurch, dass es unter einer farbigen Folie präsentiert wurde oder seine Größe
durch Verwenden einer Lupe. Der genaue Ablauf einer Beispielsaufgabe geht aus dem
Protokollbogen in Abbildung 7 hervor.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 76
Pflasterstein (Kerze)
Kerze etwas vom Kind weghalten, Finger auf Docht, Unterkante für Kind nicht sichtbar. Schau mal, was ich hier habe.
Kontrollfrage : Was glaubst Du, was das ist?
O Stein O Kerze => Ersatzaufgabe nehmen O keine Antwort, weiß nicht => Ersatzaufgabe nehmen O sonstige......................................
Kerze dem Kind aus der Nähe zeigen. Da, Du kannst es Dir einmal anschauen.
Den Docht und die Unterkante zeigen. Das ist gar kein Stein. Das ist eine Kerze.
Kerze wieder wie am Anfang halten. Schau noch mal.
Testfrage: Wie sieht das aus , wenn man es nur so mit den Augen anschaut? Wie eine Kerze oder wie ein Stein/Antwort des Kindes auf Kontrollfrage?
O Stein O Kerze O keine Antwort O sonstige.......................
Puppe kommt raus und stellt
Realitätsfrage: Was ist es in Wirklichkeit? Eine Kerze oder ein Stein/Antwort des Kindes auf Kontrollfrage?
O Stein O Kerze O keine Antwort O sonstige........................
Abbildung 7: Protokollbogen der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe „Pflasterstein“
Auch bei der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe wurden den Kindern drei Fragen
gestellt. Die Kontrollfrage stellte fest, ob die Täuschung gewirkt hatte. Nur wenn die
tatsächliche Identität oder Eigenschaft des Objektes beim ersten Betrachten nicht erkannt
wurde, konnte die Aufgabe fortgesetzt werden. War dies nicht der Fall, musste eine
Ersatztaufgabe bearbeitet werden. Mit der Testfrage wurde erfasst, ob das Kind das
Aussehen des Gegenstandes noch repräsentieren konnte, nachdem es die tatsächliche
Identität kannte. Die Realitätsfrage klärte ab, ob das Kind trotz diskrepantem Aussehen
die tatsächliche Identität des Objektes benennen konnte.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 77
Auch bei den Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben wurde die Reihenfolge der
angebotenen Antwortalternativen bei Test- und Realitätsfrage über alle Aufgaben hin
variiert, so dass bei einer Hälfte der Aufgaben die richtige Antwortalternative zu Beginn
und bei der anderen Hälfte die falsche Antwortalternative zu Beginn genannt wurde.
Die hier vorgestellte Beispielaufgabe „Pflasterstein“ war inkonsistent, da sich Identität
und Aussehen des Objekts unterschieden. In einer konsistenten Aufgabe wäre dem Kind
ein echter Pflasterstein aus einiger Entfernung gezeigt worden. Damit die beiden
Repräsentationen (Identität des Objektes und Aussehen des Objektes) konsistent wären,
müsste das Kind bevor es den Pflasterstein aus der Nähe sehen kann, sagen, dass es
denkt, dass es ein Stein sei.
Kontrolle des Sequenzeffektes bei den klassischen Theory of Mind-Aufgaben
In den drei bisher vorgestellten Protokollbögen ist vermerkt, dass die Realitätsfrage von
einer Puppe gestellt wurde. Dabei handelte es sich um einen Kasper, der aus einem Korb
auftauchen und wieder darin verschwinden konnte. Im Folgenden soll begründet werden,
warum der Kasper eingesetzt wurde.
Bei den drei klassichen Aufgaben folgt auf die Testfrage immer die Realitätsfrage. Die
Testfrage bezieht sich bei inkonsistenten Aufgaben immer auf die von der Realität
abweichende Repräsentation (falsche Überzeugung der anderen Person, die eigene
falsche Überzeugung, täuschendes Aussehen eines Objektes), die Realitätsfrage
hingegen bezieht sich auf die Realität. Auch wenn die Fragen inhaltlich verschieden
voneinander sind, mögen sie für Kinder doch ähnlich klingen (Testfrage: Als ich Dir
vorhin diese Schachtel gezeigt habe, bevor wir sie aufgemacht haben, was hast Du
gedacht, was da drin ist? Eier oder Bälle? Realitätsfrage: Was ist in Wirklichkeit in
dieser Schachtel? Eier oder Bälle?). Aus ihrem Alltag kennen alle Kinder Situationen, in
denen erwachsene Personen ein zweites Mal nachfragen. Dies bedeutet meist, dass die
erste gegebene Antwort falsch war und legt dem Kind nahe, seine Antwort zu wechseln.
Es könnte also sein, dass Kinder, die die Testfrage richtig beantwortet haben, die
Realitätsfrage deshalb richtig beantworten, weil das wiederholte Fragen ein Hinweis für
sie war, die Antwortalternative zu wechseln. Dieser Sequenzeffekt wurde in der
vorliegenden Studie durch den Einsatz einer Puppe, die während der
Aufgabendurchführung schläft und nur zum Stellen der Realitätsfrage aufwacht,
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 78
verringert. Sollte ein Kind nicht zwischen der Test- und Realitätsfrage unterscheiden,
dürfte es weniger irritiert sein, wenn der Kasper vermeintlich nochmals dasselbe fragt,
da dieser bisher geschlafen hat.
Im Fall der inkonsistenten Aufgaben lässt sich der Sequenzeffekt nicht von den richtigen
Lösungen trennen, da es in beiden Fällen zu einem Wechsel der Antwortalternativen
kommt. Bei den konsistenten Aufgaben kommt es bei richtiger Beantwortung der beiden
Fragen zu keinem Wechsel der Antwortalternativen, da sich beide Fragen auf dieselbe
Repräsentation beziehen. Daher kann eine hohe Wechselrate bei konsistenten Aufgaben
als Hinweis auf den Sequenzeffekt gewertet werden. Dass der Einsatz des Kaspers den
Sequenzeffekt verringert, konnte gezeigt werden, indem die Wechselrate bei
konsistenten Aufgaben einer Pilotstudie ohne Kasper (Wahl & Raschke,
unveröffentlichtes Manuskript) mit der Wechselrate der konsistenten Aufgaben einer
ersten Datenerhebungswelle der mikrogenetischen Studie mit Kasper verglichen wurde.
4.3.2.2 Die Wunschaufgaben
Viel schwerer als das Erheben des Überzeugungsverstehens stellt sich das Erheben des
Wunschverstehens dar. Hierfür gibt es keine klassischen Aufgabentypen. Die meisten
der wenigen Studien, die Wunschverstehen erfassen, tun dies mit Aufgaben, die
strukturell kaum den klassischen Theory of Mind-Aufgaben gleichen. Für einen
aussagekräftigen Vergleich der Entwicklung des Überzeugungsverstehens mit der
Entwicklung des Wunschverstehens ist es aber unumgänglich, strukturell vergleichbare
Aufgaben einzusetzen. Dies geschah im Rahmen dieser Arbeit, indem zum einen die von
Moore et al. (1995) entwickelte Conflicting-Desire-Aufgabe eingesetzt wurde und zum
anderen eine von Gopnik und Slaughter (1991) dargestellte Aufgabe zur so genannten
Neugier-Aufgabe weiterentwickelt wurde. Der Ablauf dieser beiden Wunschaufgaben
wird im Folgenden dargestellt.
Die Conflicting-Desire-Aufgaben:
Die Conflicting-Desire-Aufgaben erfassen das Wunschverstehen. Moore et al. (1995)
entwickelten diese Aufgabe so, dass sie eine vergleichbare Struktur wie die False-Belief-
Aufgabe hat (siehe Tabelle 5). Dies bedeutet, dass Kind und Protagonist zu Beginn der
Aufgabe den gleichen Wunsch haben. Nachdem sich der Wunsch des Kindes im Verlauf
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 79
der Aufgabe geändert hat, soll es den Wunsch des Protagonisten und seinen eigenen
anfänglichen Wunsch benennen. Die Schwierigkeit bei der Entwicklung einer solchen
Aufgabe ist, den Wunsch des Kindes gezielt zu verändern. Dies wird in der Conflicting-
Desire-Aufgabe dadurch erreicht, dass die Aufgabe als Spiel konzipiert ist, in dem je
nach Spielstand unterschiedliche Dinge benötigt werden.
Tabelle 5: Vergleich False-Belief- und Conflicting-Desire-Aufgaben
False-Belief-Aufgabe Conflicting-Desire-Aufgabe
Zeitpunkt 1 Kind:
Protagonist:
Situation:
glaubt Objekt ist in A
glaubt Objekt ist in A
Kind und Protagonist glauben
dasselbe
will einen Kopf
will einen Kopf
Kind und Protagonist wollen
dasselbe
Zeitpunkt 2 Kind:
Protagonist:
Situation:
glaubt Objekt ist in B
glaubt Objekt ist in A
das Wissen des Kindes ändert
sich, das des Protagonisten bleibt
gleich
will die Augen
will einen Kopf
der Wunsch des Kindes ändert sich,
der des Protagonisten bleibt gleich
Zeitpunkt 3 Test das Kind wird über das Wissen
des Protagonisten gefragt
das Kind wird über den Wunsch des
Protagonisten gefragt
Im Rahmen dieser Arbeit wurden fünf Versionen der auf Moore et al. (1995)
zurückgehenden Conflicting-Desire-Aufgaben entwickelt. Dabei handelt es sich um ein
Spiel, dessen Ziel es ist, ein Tier aus drei Teilen als erster zusammengesetzt zu haben.
Die unterschiedlichen Aufgabenversionen entstanden dadurch, dass unterschiedliche
Tiere verwendet wurden (siehe Anhang). Der genaue Ablauf einer Beispielsaufgabe geht
aus dem Protokollbogen in Abbildung 8 hervor.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 80
Das Froschspiel Spiel erklären und erster Spieldurchlauf: Schau mal, wen ich dabei habe, das ist der Hund Bello Der Hund hat ein Spiel mitgebracht, was er sehr gerne spielt. Ich zeige dir mal das Spiel und dann kannst du es mal mit dem Hund spielen. Hier sind zwei Frösche. Beide haben einen Körper, einen Kopf und Augen. Der Kopf muss hier auf den Körper und wenn der Kopf da drauf ist, dann braucht man noch die Augen und dann ist der Frosch fertig. Wer zuerst den Frosch fertig hat, hat gewonnen. Jeder bekommt einen Froschkörper, du hast einen und der Hund hat einen. Die Köpfe liegen hier in dem grünen Teller und die Augen hier in dem blauen. Ihr dürft immer hier von diesen Karten ziehen. Einmal du und dann der Hund. Wer eine Karte ohne Farbe zieht darf nichts nehmen, wer eine grüne Karte bekommt, kann sich einen Kopf nehmen und wer dann eine blaue Karte bekommt, kann sich die Augen nehmen. Man braucht erst den Kopf und dann die Augen. Spiel mit dem vorbereiteten Kartenstapel für Probedurchlauf spielen. Kind fängt immer an! Wenn Kind blaue Karte zieht ohne schon einen Kopf zu haben nochmals genau erklären, dass es sich dann nichts nehmen darf. Ich glaube jetzt weißt du schon gut, wie man das Spiel spielt. Wills du es noch mal mit dem Hund spielen? Mal schauen wer jetzt gewinnt. Haupt-Spieldurchlauf Zu Beginn des Spieles: Kontrollfrage 1: Welche Farbkarte willst du ziehen? Wenn Antwort nicht richtig noch mal erklären und das dann notieren. Nachdem das Kind die grüne Karte gezogen hat (Hund hat noch keine grüne Karte). So jetzt ist der Hund dran. Hund zieht. Oh, der Hund hat nichts bekommen. Noch bevor das Kind zieht: Kontrollfrage 2: Welche Farbkarte willst du jetzt? Wenn Antwort nicht richtig Erklärung geben und das dann notieren. Testfrage fremder Wunsch: Welche Farbkarte will der Hund jetzt? Immer noch bevor das Kind zieht. Testfrage eigener Wunsch: Ganz am Anfang vom Spiel, als du noch gar keine Karte gezogen hattest, welche Farbkarte wolltest du da haben? So jetzt kannst du eine Karte ziehen. Spiel geht weiter. Bello gewinnt.
Abbildung 8: Protokollbogen der Conflicting-Desire-Aufgabe „Das Froschspiel“
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 81
Wegen der komplexen Struktur dieser Aufgaben wurde immer mit einem ersten
Spieldurchlauf begonnen, um dem Kind den Ablauf des Spieles näher zu bringen. Erst in
einem zweiten Spieldurchlauf wurden neben der Kontroll- und der Realitätsfrage zwei
Testfragen gestellt. Die Kontrollfrage 1 stellte sicher, dass das Kind den Spielverlauf
verstanden hatte. Dasselbe galt für die Kontrollfrage 2. Sie überprüfte, ob sich der
Wunsch des Kindes durch die veränderte Spielsituation verändert hatte. Die Testfrage
fremder Wunsch erfasste, ob das Kind den nun zu seinem eigenen Wunsch diskrepanten
Wunsch des Hundes benennen konnte. Sie gleicht somit strukturell der False-Belief-
Testfrage. Die Testfrage eigener Wunsch erfasste, ob das Kind seinen eigenen
anfänglichen Wunsch benennen konnte. Somit gleicht sie strukturell der
Representational-Change-Testfrage.
Die Neugier-Aufgaben:
Die Neugier-Aufgaben gehen auf eine Aufgabe zurück, die von Gopnik und Slaughter
(1991) wie folgt beschrieben wird. Einem Kind werden zwei Schachteln gezeigt. Es wird
gefragt, welche es öffnen will. Diese Schachtel wird geöffnet, der Inhalt gezeigt und die
Schachtel wieder geschlossen. Dann wird gefragt, welche Schachtel das Kind jetzt
öffnen will (alle Kinder wollen die andere Schachtel öffnen). Gopnik und Slaughter
(1991) stellen dann folgende Testfrage: „Als ich dich zuerst gefragt habe, bevor wir eine
Schachtel aufgemacht haben, welche Schachtel wolltest du da aufmachen?“. Bei dieser
Aufgabe wird davon ausgegangen, dass der Wunsch des Kindes, in eine Schachtel zu
schauen, sich ändert, sobald es hineingeschaut hat, da nun die Neugier bezüglich des
Inhaltes der ersten Schachtel befriedigt ist. In der vorliegenden Arbeit wurde diese
Aufgabe wie folgt erweitert. Es ist dieselbe Hundhandpuppe anwesend wie in der
Conflicting-Desire-Aufgabe. Der Wunsch des Kindes ändert sich im Verlauf der
Aufgabe, der des Hundes nicht, weil er noch nicht in die Schachtel schauen durfte.
Durch diese Erweiterung können dieselben beiden Testfragen gestellt werden wie bei
der Conflicting-Desire-Aufgabe. Somit gleichen sich die beiden Aufgabentypen in
hohem Maße. In der vorliegenden Arbeit wurden fünf Versionen von Neugier-Aufgaben
eingesetzt. Die unterschiedlichen Variationen wurden durch das Verwenden
unterschiedlicher Behälter erreicht (siehe Anhang). Der genaue Ablauf einer
Beispielsaufgabe geht aus dem Protokollbogen in Abbildung 9 hervor.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 82
Die zwei kleinen Schachteln Schau mal, wen ich dabei habe, das ist der Hund Bello. Und hier habe ich noch zwei kleine Schachteln dabei. In beiden ist etwas drinnen. In eine kannst du mal reinschauen. Kontrollfrage Kind: In welche Schachtel möchtest du schauen? Kontrollfrage Hund: Und in welche Schachtel möchtest du schauen Bello? Hund: „Ich möchte auch in die Schachtel schauen.“ (auf gleiche Schachtel zeigen wie die, die das Kind sich ausgesucht hat). Aha, der Hund will in die gleiche Schachtel schauen wie du. Dann schicken wir den Hund mal raus, damit er nicht schon sieht, was in der Schachtel ist. Er kann dann nachher reinschauen. Hund vor die Türe bringen. So, jetzt kannst du mal den Deckel aufmachen und in die Schachtel schauen. Ah, was ist denn da drinnen? Du kannst es ruhig mal rausnehmen und dir genau anschauen. So nun kannst du es wieder in die Schachtel legen und den Deckel wieder drauf machen. Jetzt können wir den Hund wieder reinholen. Testfrage fremder Wunsch: In welche Schachtel will der Hund schauen? Kontrollfrage 3: In welche Schachtel willst du jetzt schauen? Testfrage eigener Wunsch: Als ich dich zuerst gefragt habe, bevor wir eine Schachtel aufgemacht haben, welche Schachtel wolltest du da aufmachen? So jetzt kann der Hund in die Schachtel schauen und du auch (in die gleiche oder andere) Hund in die Schachtel schauen lassen, in die er laut Kind schauen will. Kind in die Schachtel schauen lassen, die es in der Realitätsfrage genannt hat.
Abbildung 9: Protokollbogen der Neugier-Aufgabe „Die zwei kleinen Schachteln“
Auch bei der Neugier-Aufgabe wurden neben den Kontrollfragen zwei Testfragen
gestellt. Die Kontrollfrage Kind erfasste, in welche Schachtel das Kind schauen wollte.
Die Kontrollfrage Hund wurde an die Handpuppe gerichtet. Durch die von der
Versuchsleiterin gegebene Antwort des Hundes wurde klargestellt, dass dieser in
dieselbe Schachtel schauen wollte wie das Kind. Nachdem nur das Kind in die Schachtel
geschaut hatte, wurde zuerst die Testfrage fremder Wunsch gestellt. Diese erfasste, ob
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 83
das Kind den nun zu seinem eigenen Wunsch diskrepanten Wunsch des Hundes
benennen konnte. Sie gleicht somit strukturell der False-Belief-Testfrage. Die
Kontrollfrage 3 erfasste, ob der Wunsch des Kindes sich durch das Schauen in die
Schachteln geändert hatte. Sie wurde in dieser Aufgabe erst nach der Testfrage fremder
Wunsch gestellt, da bei der Kontrollfrage Hund angegeben wurde, dass der Hund in
dieselbe Schachtel schauen wollte wie das Kind. Daher wurde davon ausgegangen, dass
das erneute Befragen des Kindes, in welche Schachtel es schauen wolle, bevor nach dem
Wunsch des Hundes gefragt wurde, zu Unklarheit führen könnte. Die Testfrage eigener
Wunsch erfasste, ob das Kind seinen eigenen anfänglichen Wunsch benennen konnte.
Somit gleicht sie strukturell der Representational-Change-Testfrage.
Anzahl der Aufgaben:
Von jedem Aufgabentyp wurden mehrere Aufgabenversionen entwickelt, um zu jedem
Termin eine entsprechende Aufgabe vorgeben zu können. Die Anzahl der Versionen von
jedem Aufgabentyp kann Tabelle 6 entnommen werden.
Die drei klassischen Aufgabentypen (False-Belief, Representational-Change,
Appearance-Reality-Distinction) wurden noch vor der ersten Erhebungswelle des DFG-
Projektes in einer Materialstudie gestestet. An der Materialstudie nahmen 71 Kinder aus
neun Freiburger Kindergärten teil. Ziel der Materialstudie war es, die Aufgaben auf ihre
Durchführbarkeit und Schwierigkeit hin zu testen. Aufgaben, bei denen die Täuschung
gleich zu Beginn entdeckt wurde, d.h. die Kontrollfrage häufig falsch beantwortet wurde
und Aufgaben, die sich bezüglich ihrer Schwierigkeit von der Mehrheit der Aufgaben
des gleichen Typs unterschieden, wurden für die Hauptstudie ausgeschlossen und durch
neue Aufgaben ersetzt.
Vor Beginn der Studie 1 wurden in einer weiteren Materialstudie, mehrere
Wunschaufgaben getestet. Da es keine klassischen Wunschaufgaben gibt, wurden aus
der Literatur fünf Aufgabentypen übernommen (Gopnik & Slaughter, 1991; Moore et
al., 1995, Nguyen & Frye, 1999, Perner, 2004; Yuill et al., 1996) und in drei
Kindergärten an 36 Kinder auf ihre Durchführbarkeit hin untersucht. Da sie sich gut
durchführen ließen und strukturell am besten zu den Überzeugungsaufgaben passten,
wurden die Conflicting-Desire und Neugier- Aufgaben in die Studie aufgenommen.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 84
Tabelle 6: Anzahl der Aufgaben
Aufgabenart Anzahl
False-Belief 10 konsistente
10 inkonsistente
Representational-Change 10 konsistente
10 inkonsistente
4 Ersatzaufgaben konsistent
5 Ersatzaufgaben inkonsistent
Appearance-Reality-Distinction 10 konsistente
10 inkonsistente
4 Ersatzaufgaben konsistent
5 Ersatzaufgaben inkonsistent
Conflicting-Desire 5 inkonsistente
Neugier 5 inkonsistente
4.3.3 Versuchsplan
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um einen mikrogenetischen Versuchsplan.
Ziel der Studie war es, die Entwicklung des Überzeugungsverstehens und des
Wunschverstehens darzustellen. Es sollte nicht nur wie in Querschnittstudien das
Produkt dieser Entwicklung erfasst, sondern auch der Prozess dieser Entwicklung
abgebildet werden. Dafür eignet sich die mikrogenetische Methode (Miller & Coyle,
1999) die sich durch die direkte Beobachtung des Veränderungsprozesses mittels vieler
Messungen an einer Stichprobe in einem relativ kurzen Zeitraum auszeichnet. Eine
mikrogenetische Studie sollte unter anderem die gesamte betrachtete
Entwicklungsperiode erfassen und die Anzahl der Beobachtungen sollte im Vergleich
zur Veränderungsrate hoch sein (Siegler & Crowley, 1991). Kuhn (1995) geht davon
aus, dass im Rahmen von mikrogenetischen Studien der Entwicklungsprozess durch die
hohe Intensität an Erfahrungen mit den Aufgaben beschleunigt wird, was wiederum eine
genaue Beobachtung dieses Veränderungsprozesses ermöglicht.
Um mögliche Unterschiede zwischen den Entwicklungsverläufen von Wunsch- und
Überzeugungsverstehen aufzeigen zu können, wurde ein zweifaktorieller Versuchsplan
eingesetzt mit dem zweistufigen Faktor „mentaler Zustand“ (Wunsch, Überzeugung)
und dem Messwiederholungs-Faktor Zeit (vgl. Tabelle 8). Zur Abstufung des Faktors
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 85
„mentaler Zustand“ wurden Wunsch- und Überzeugungsaufgaben vorgegeben. Der
Messwiederholungsfaktor wurde durch zehn Erhebungstermine realisiert. Der Abstand
zwischen den Terminen betrug jeweils drei Wochen, so dass sich insgesamt ein
Untersuchungszeitraum von sieben Monaten ergab.
Die Daten wurde im Rahmen des DFG-Projektes „Die Entwicklung der naiven
Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und Computermodellierung“
(WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) erhoben. Aufgrund des Designs dieser Studie erhielten die
Kinder unterschiedliche Rückmeldungen zu den klassischen Theory of Mind-Aufgaben.
Diese experimentelle Variation ist für die vorliegende Arbeit nicht von Bedeutung und
wird daher nicht näher betrachtet. Bei den Wunschaufgaben erhielten alle Kinder keine
Rückmeldung.
In den nun folgenden Tabellen und Abbildungen werden für die Aufgabenarten
Abkürzungen verwendet (siehe Tabelle 7).
Tabelle 7: Abkürzungen der Aufgabenarten
Abkürzung Aufgabenart
FB False-Belief-Aufgabe
RC Representational-Change-Aufgabe
CD eigen Testfrage nach dem eigenen vergangenen Wunsch bei der Conflicting-Desire-Aufgabe
CD fremd Testfrage nach dem Wunsch der Handpuppe bei der Conflicting-Desire-Aufgabe
N eigen Testfrage nach dem eigenen vergangenen Wunsch bei der Neugier-Aufgabe
N fremd Testfrage nach dem Wunsch der Handpuppe bei der Neugier-Aufgabe
AR Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe
Die genaue Umsetzung des zweifaktoriellen Versuchsplans der Untersuchungsgruppe ist
in Tabelle 8 dargestellt. Tabelle 9 zeigt den zweifaktoriellen Versuchsplan der
Kontrollgruppe.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 86
Tabelle 8: Versuchsplan Untersuchungsgruppe
Erhebungstermin
mentaler Zustand
Aufgabenart
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
FB i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k Überzeugung
RC i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k
CD eigen i i i i i
CD fremd i i i i i
N eigen i i i i i
Wunsch
N fremd i i i i i
zusätzlich AR i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k
Anmerkung: i steht für inkonsistente Aufgabe, k für konsistente Aufgabe
Den Kindern in der Untersuchungsgruppe wurden zu jedem der 10 Termine drei
inkonsistente und drei konsistente Überzeugungsaufgaben vorgelegt. Darüber hinaus
erhielten sie über die Termine verteilt abwechselnd je eine Conflicting-Desire- oder eine
Neugier-Aufgabe, die jeweils zwei Testfragen beinhalteten. Für die Datenauswertung
sollte zu jedem Messzeitpunkt jede Aufgabenart vorliegen. Da die Conflicting-Desire
und die Neugier-Aufgaben nur zu jedem zweiten Termin dargeboten wurden, wurden die
10 Erhebungstermine bei der Auswertung zu fünf Auswertungseinheiten
zusammengefasst.
Die Reihenfolge, in der jedes Kind die verschiedenen Versionen der Aufgaben über die
10 Erhebungstermine verteilt vorgegeben bekam, wurde vollständig permutiert. So
konnte beispielsweise die False-Belief-Version „Annas Puppe“ von einem Kind zum
ersten Termin und von einem anderen Kind zum siebten Termin bearbeitet werden. Die
Reihenfolge der Darbietung der einzelnen Aufgabentypen pro Sitzung blieb immer
gleich. So wurde in jeder Sitzung zuerst eine Representational-Change-Aufgabe, dann
eine Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe und dann eine False-Belief-Aufgabe
vorgegeben, wobei von Termin zu Termin bei jedem Kind die Reihenfolge bezüglich
konsistenten und inkonsistenten Aufgaben geändert wurde. So erhielt die Hälfte der
Kinder beispielsweise folgende Aufgabenreihenfolge:
Zu Termin 1: Representational-Change-Aufgabe konsistent, Appearance-Reality-
Distinction-Aufgabe inkonsistent, False-Belief-Aufgabe konsistent, Representational-
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 87
Change-Aufgabe inkonsistent, Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe konsistent,
False-Belief-Aufgabe inkonsistent, Neugier-Aufgabe.
Zu Termin 2: Representational-Change-Aufgabe inkonsistent, Appearance-Reality-
Distinction-Aufgabe konsistent, False-Belief-Aufgabe inkonsistent, Representational-
Change-Aufgabe konsistent, Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe inkonsistent,
False-Belief-Aufgabe konsistent, Conflicting-Desire-Aufgabe.
Die andere Hälfte der Kinder begann zum ersten Termin mit einer inkonsistenten
Representational-Change-Aufgabe und hatte somit immer bezüglich konsistenten und
inkonsistenten Aufgaben die umgekehrte Reihenfolge.
Neben der Untersuchungsgruppe nahm auch eine Kontrollgruppe an der Studie teil. Sie
erhielt nur zum ersten Termin und zum letzten Termin je eine Version von jeder
Aufgabenart (vgl. Tabelle 9).
Tabelle 9: Versuchplan Kontrollgruppe
Erhebungstermin
mentaler Zustand
Aufgabenart
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
FB i, k i, k Überzeugung
RC i, k i, k
CD eigen i i
CD fremd i i
N eigen i i
Wunsch
N fremd i i
zusätzlich AR i, k i, k
Anmerkung: i steht für inkonsistente Aufgabe, k für konsistente Aufgabe
Der Kontrollgruppe wurde zu jedem der beiden Termine die Aufgaben in folgender
Reihenfolge vorgegeben: Representational-Change-Aufgabe konsistent, Appearance-
Reality-Distinction-Aufgabe inkonsistent, False-Belief-Aufgabe konsistent,
Representational-Change-Aufgabe inkonsistent, Appearance-Reality-Distinction-
Aufgabe konsistent, False-Belief-Aufgabe inkonsistent, Neugier-Aufgabe, Conflicting-
Desire-Aufgabe. Wobei die Reihenfolge der konsistenten und inkonsistenten bei der
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 88
Hälfte der Kinder umgedreht wurde, d.h. sie begannen mit einer inkonsistenten
Representational-Change-Aufgabe.
4.3.4 Durchführung
Die Untersuchung wurde in der Zeit von Januar bis August 2004 durchgeführt. Vier
weibliche studentische Hilfskräfte wurden in einem ausführlichen Training auf ihre
Tätigkeit als Versuchsleiterinnen vorbereitet. Jedem Kind wurde eine Versuchleiterin
zugeteilt, die es zu allen Erhebungsterminen zuhause besuchte. Eine
Untersuchungseinheit dauerte in der Rege l etwa eine halbe Stunde. Die Versuchsleiterin
gab dem Kind die jeweiligen Aufgaben vor und kreuzte die entsprechenden Antworten
des Kindes auf den Protokollbögen an. Am Ende jedes Termins erhielt das Kind ein
kleines Geschenk.
4.4 Ergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse der empirischen Studie dargestellt. Zuerst sollen
die Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen betrachtet werden
(4.4.1). Anschließend werden die Ergebnisse bezüglich der einzelnen Aufgabentypen
vorgestellt (4.4.2.). Unter 4.4.3 wird auf das Verstehen eigener und fremder mentaler
Zustände eingegangen. Abschnitt 4.4.4 beschreibt vergleichend die Daten bezüglich
Untersuchungs- und Kontrollgruppe. Dann folgt eine kurze Betrachtung der
interindividuellen Unterschiede der Entwicklungsverläufe (4.4.5) und abschließend
werden die Ergebnisse der ersten Studie zusammengefasst (4.4.6). Für die gesamte
Arbeit gilt: wenn die Aufgeben nicht ausdrücklich als konsistente Aufgaben benannt
sind, handelt es sich bei allen vorgestellten Ergebnissen bezüglich der klassischen
Theory of Mind-Aufgaben immer um die Ergebnisse der inkonsistenten
Aufgabenversionen.
4.4.1 Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen
In die Auswertung zu den Verläufen des Wunsch- und Überzeugungsverstehens gehen
die Daten der 42 Kinder der Untersuchungsgruppe ein. Eine gesamte Aufgabe wurde als
richtig gelöst bewertet, wenn Kontrollfrage, Testfrage und Realitätsfrage mit eins kodiert
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 89
waren. Die Aufgaben von jeweils zwei der zehn Erhebungstermine (erster und zweiter
Termin usw.) wurden zu fünf Auswertungseinheiten zusammengefasst und für jedes
Kind pro Auswertungseinheit die mittlere Lösungshäufigkeit der vier Wunschaufgaben
und die mittlere Lösungshäufigkeit der vier Überzeugungsaufgaben berechnet. Darüber
hinaus wurden für jedes Kind die Summe der pro Auswertungseinheit gelösten Wunsch-
und Überzeugungsaufgaben berechnet.
Hypothese 1 besagt, dass die Lösungshäufigkeit sowohl für Wunsch- als auch für
Überzeugungsaufgaben im Verlauf der Zeit ansteigen sollte.
In Hypothese 2 wird angenommen, dass Wunschaufgaben leichter zu lösen sind als
Überzeugungsaufgaben.
Zur Überprüfung dieser Annahmen wurden die durchschnittlichen Lösungshäufigkeiten
für Wunschaufgaben und Überzeugungsaufgaben für jeden Auswertungstermin
berechnet, wobei unter Wunschaufgaben die Conflicting-Desire-Aufgaben (eigen und
fremd) sowie die Neugier-Aufgaben (eigen und fremd) und unter die
Überzeugungsaufgaben die False-Belief-Aufgaben und die Representational-Change-
Aufgaben gefasst wurden. Hierdurch konnte sowohl der Entwicklungsverlauf des
Wunschverstehens als auch der Entwicklungsverlauf des Überzeugungsverstehens im
siebenmonatigen Untersuchungszeitraum abgebildet werden (vgl. Abbildung 10).
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 90
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äuf
igke
it in
Pro
zent
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äuf
igke
it in
Pro
zent
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Abbildung 10: Lösungshäufigkeit von Überzeugungs- und Wunschaufgaben im Verlauf der 10
Termine
Für jedes Kind wurde zu jeder der fünf Auswertungseinheiten ein aus den jeweiligen
Aufgaben aggregierter Wert bezüglich seines Wunschverstehens und ein aggregierter
Wert bezüglich seines Überzeugungsverstehens berechnet. Diese Werte gingen in eine
einfaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung ein. Hierbei zeigte sich, dass der
zweistufige Faktor mentaler Zustand (Wunsch vs. Überzeugung) hochsignifikant war
(F(1) = 78.61; p < .001; η2 = .657). Dies bestätigt, dass die Wunschaufgaben
überzufällig leichter waren als die Überzeugungsaufgaben. Darüber hinaus wurde auch
der fünfstufige Messwiederholungsfaktor Zeit hochsignifikant (F(4) = 10.93; p < .001;
η2 = .535), was verdeutlicht, dass die Gesamtlösungshäufigkeit der Aufgaben mit der
Zeit zunimmt. Zwischen den beiden Faktoren Zeit und mentaler Zustand ergab sich
keine signifikante Wechselwirkung (F(4) = 0,83; p = .51; η2 = .08).
Abbildung 10 zeigt, dass sowohl die Lösungshäufigkeit der Wunschaufgaben als auch
die Lösungshäufigkeit der Überzeugungsaufgaben im Verlauf der Zeit zunehmen.
Darüber hinaus wird klar, dass die Wunschaufgaben durchgehend über alle
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 91
Erhebungstermine hinweg für die Kinder leichter zu lösen waren als die
Überzeugungsaufgaben. Die Mittelwerte von Wunsch- und Überzeugungsaufgaben für
jede Auswertungseinheit können Tabelle 10 entnommen werden.
Tabelle 10: Relative Lösungshäufigkeit von Überzeugungs- und Wunschaufgaben
Überzeugungsaufgaben Wunschaufgaben
M SD M SD
1+2 Termin .29 .46 .56 .50
3+4 Termin .39 .49 .67 .47
5+6 Termin .41 .49 .75 .43
7+8 Termin .42 .49 .83 .37
9+10 Termin .54 .50 .86 .34
gesamter Zeitraum .41 .49 .73 .44
Aus Tabelle 10 geht hervor, dass die Entwicklung des Überzeugungsverstehens deutlich
hinter der des Wunschverstehens liegt. So können zum Ende des
Untersuchungszeitraumes durchschnittlich noch etwas weniger Überzeugungsaufgaben
gelöst werden als Wunschaufgaben zu Beginn der Studie. Die Kinder erreichen eine
etwa fünfzigprozentige Lösungshäufigkeit der Überzeugungsaufgaben etwa sieben
Monate später als eine etwa fünfzigprozentige Lösungshäufigkeit der Wunschaufgaben.
4.4.2 Ergebnisse zu den einzelnen Aufgabentypen
In Hypothese 1 wurde ausgesagt, dass die Lösungshäufigkeit für alle Aufgabentypen im
Verlauf der Erhebungstermine zunimmt. Nachdem im vorherigen Abschnitt durch
Zusammenfassen der einzelnen Aufgabentypen gezeigt wurde, wie sich Wunsch- und
Überzeugungsverstehen entwickeln, soll in diesem Abschnitt jeder Aufgabentyp einzeln
betrachtet werden. Abbildung 11 zeigt die Verläufe der Lösungshäufigkeit für die
einzelnen Aufgabentypen während der fünf Auswertungseinheiten. Für die beiden
Wunschaufgaben wurden jeweils zwei Entwicklungsverläufe abgebildet, da jede
Aufgabe sowohl das Verständnis bezüglich des Wunsches einer anderen Person als auch
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 92
bezüglich des eigenen vergangenen Wunsches testet.
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äuf
igke
it in
Pro
zent
AufgabenartFalse BeliefRepresentational-ChangeAppearance-Reality-DistinctionNeugier fremd
Conflicting-Desire fremd
Neugier eigen
Conflicting-Desire eigen
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äuf
igke
it in
Pro
zent
AufgabenartFalse BeliefRepresentational-ChangeAppearance-Reality-DistinctionNeugier fremd
Conflicting-Desire fremd
Neugier eigen
Conflicting-Desire eigen
Abbildung 11: Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgabenarten im Verlauf der 10 Termine
Abbildung 11 zeigt die Verläufe der Wunschaufgaben in Ro ttönen und die der
Überzeugungsaufgaben in Blautönen. Es wird deutlich, dass sich die einzelnen
Aufgabenarten zu Beginn bezüglich ihrer Schwierigkeit stark unterscheiden. Die
Wunschaufgaben nähern sich dann im Verlauf der Termine bezüglich ihrer
Schwierigkeit aneinander an, indem die zu Beginn schweren Aufgaben mit der Zeit
immer besser gelöst werden. Die Appearance-Reality-Aufgaben liegen, bezüglich ihrer
Schwierigkeit etwa zwischen den Wunsch- und Überzeugungsaufgaben.
Die Hypothese, dass die Lösungshäufigkeit für jeden Aufgabentyp im Verlauf der Ze it
zunimmt, wurde mit dem nichtparametrischen Friedman-Test überprüft, da bei der
Betrachtung auf der Ebene der einzelnen Aufgaben keine intervallskalierten Daten
vorliegen. In die Berechnung der Veränderung der Lösungshäufigkeit des jeweiligen
Aufgabentyps gingen die für alle Termine vorliegenden Lösungshäufigkeiten des
entsprechenden Aufgabentyps ein. Dies bedeutet, für False-Belief-, Representational-
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 93
Change- und Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben wurden jeweils 10 Termine
berücksichtigt. Bei beiden Conflicting-Desire- und bei beiden Neugier-Aufgaben konnte
jeweils nur auf fünf Termine zurückgegriffen werden, da diese Aufgaben nur zu jedem
zweiten Erhebungstermin vorgegeben wurden. Die Signifikanzen aus dem Friedman-
Test für jeden einzelnen Aufgabentyp können Tabelle 11 entnommen werden.
Tabelle 11: Verbesserung der Lösungshäufigkeit über die Zeit
Aufgabentyp Signifikanz des Friedman-Tests
False-Belief 0.002**
Representational-Change 0.757
Appearance-Reality-Distinction 0.008**
Conflicting-Desire fremd 0.000**
Conflicting-Desire eigen 0.000**
Neugier fremd 0.656
Neugier eigen 0.000**
Bei den False-Belief-, Appearance-Reality-Distinction-, Conflicting-Desire- fremd-,
Conflicting-Desire-eigen- und Neugier-eigen-Aufgaben gibt es einen signifikanten
Anstieg an Lösungshäufigkeiten während des Erhebungszeitraumes. Die Antworten zu
den Representational-Change- und den Neugier- fremd-Aufgaben verbessern sich
hingegen im Lauf der Zeit nicht signifikant. Die Neugier-fremd-Aufgabe wird vom
ersten Termin an von den meisten Kindern richtig gelöst (vgl. Abbildung 11). Daher
kann die kaum vorhandene Veränderung über die Zeit hier mit einem Deckeneffekt
erklärt werden. Bei der Representational-Change-Aufgabe ist ein leichter Anstieg
bezüglich der Lösungshäufigkeit zu beobachten (vgl. Abbildung 11), dieser wird aber
nicht signifikant. Somit kann die Annahme der Hypothese 1 für die Representational-
Change-Aufgaben nicht bestätigt werden.
Zur Betrachtung der generellen Schwierigkeit jedes einzelnen Aufgabentyps wurden die
relativen Lösungshäufigkeiten für jeden Aufgabentyp über alle Termine
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 94
zusammengefasst (vgl. Abbildung 12).
FB RC AR N fremd N eigen CD fremd CD eigen00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
35
4851
81
71
77
65
FB RC AR N fremd N eigen CD fremd CD eigen00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
35
4851
81
71
77
65
Abbildung 12: Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgaben, alle Termine zusamme ngefasst
Es zeigt sich, dass die False-Belief-Aufgabe mit einer relativen Lösungshäufigkeit von
nur 35 Prozent über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die schwierigste
Aufgabe war. Deutlicher wird auch aus Abbildung 12, dass die Überzeugungsaufgaben
insgesamt schwieriger waren als die Wunschaufgaben, von denen die Neugier fremd-
Aufgaben mit einer Lösungshäufigkeit von 81 Prozent die leichtesten waren. Bei beiden
Wunschaufgaben war das Benennen des eigenen vergangenen Wunsches schwerer als
die Testfragen nach dem Wunsch der Handpuppe. Dieser Unterschied im Verstehen
eigener und fremder mentaler Zustände wird unter Abschnitt 4.4.3 genauer betrachtet.
Wurden bisher die Lösungshäufigkeiten der einzelnen Aufgabentypen betrachtet, soll im
Folgenden auf die Fehler eingegangen werden. Bei allen Aufgabentypen, mit Ausnahme
der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe, können zwei Arten von Fehlern gemacht
werden. Indem das Kind die jeweilige Testfrage falsch beantwortet, macht es den Fehler,
der aufgrund von mangelndem Theory of Mind-Verständnis zu erwarten ist.
Beispielsweise beantwortet ein Kind die Testfrage einer Representational-Change-
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 95
Aufgabe falsch, wenn es angibt, auch schon vor dem Öffnen der Schachtel gedacht zu
haben, dass sie Eier enthalte. Neben diesem erwarteten Fehler wird eine Aufgabe aber
auch dann als falsch gewertet, wenn das Kind die Realitätsfrage falsch beantwortet. In
dem Beispiel der Representational-Change-Aufgabe würde dies bedeuten, dass das Kind
auf die Realitätsfrage antwortet, dass die Schachtel tatsächlich Eier enthält, obwohl sich
Tischtennisbälle in ihr befinden. Im Fall der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe
sind auch falsche Antworten auf die Realitätsfrage als Mangel an Theory of Mind-
Verständnis zu werten (siehe 1.3.3). Bei allen anderen Aufgaben deutet eine falsche oder
keine Antwort auf die Realitätsfrage darauf hin, dass das Kind den Ablauf der Aufgabe
nicht richtig verstanden hat. Dies wird im Folgenden als „anderer Fehler“ bezeichnet
werden. Außer bei der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe tauchen bei allen
Aufgabentypen „andere Fehler“ auf. So wird dieser Fehler am seltensten bei den
Representational-Change-Aufgaben (7,9 Prozent) und am häufigsten bei den
Conflicting-Desire-Aufgaben (9,6 Prozent) gemacht. Dies liegt nahe, da der Ablauf der
Conflicting-Desire-Aufgabe strukturell schwieriger ist als der der Representational-
Change-Aufgabe. Die geringe Anzahl der „anderen Fehler“ bei allen Aufgabentypen
zeigt aber, dass alle Aufgabenarten strukturell von Kindern im Alter von dreieinhalb
Jahren verstanden werden können. Über alle Aufgabentypen betrachtet nehmen die
„anderen Fehler“ im Verlauf des Untersuchungszeitraumes ab.
Wie unter 4.3.2 beschrieben, wurden, um das Entstehen von Antworttendenzen zu
vermeiden, auch konsistente False-Belief-, Representational-Change- und Appearance-
Reality-Distinction-Aufgaben eingesetzt. Bei den konsistenten Aufgaben müssen die
Kinder nicht zwei unterschiedliche Repräsentationen benennen können. Die konsistenten
Aufgaben erfordern kein Theory of Mind-Verständnis. Somit sollten sie leichter zu lösen
sein, als die inkonsistenten Aufgabenversionen. Dies zeigen die Daten der vorliegenden
Studie deutlich (vgl. Abbildung 13).
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 96
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0,0
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
Aufgabenart
False-Belief
Representational-ChangeAppearance-Reality-Distinction
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0,0
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
Aufgabenart
False-Belief
Representational-ChangeAppearance-Reality-Distinction
Abbildung 13: Lösungshäufigkeiten der konsistenten Aufgaben
Während des gesamten Untersuchungszeitraumes werden die konsistenten
Representational-Change-Aufgaben fast immer richtig gemacht. Das Lösungsniveau der
konsistenten Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben nähert sich schon zur zweiten
Auswertungseinheit fast genau an das der Repesentational-Change-Aufgaben an. Nur
die konsistenten False-Belief-Aufgaben stellen während der gesamten Studie eine
höhere Schwierigkeit als die beiden andern konsistenten Aufgabentypen für die Kinder
dar. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die konsistenten Aufgabenversionen, wie
erwartet, sehr viel leichter zu lösen sind als die inkonsistenten (vgl. Abbildung 13). Die
hohe Lösungshäufigkeit der konsistenten Aufgaben stellt in zweierlei Hinsicht eine
wichtige Kontrollbedingung dar. Zum einen ist somit sichergestellt, dass die Kinder gut
mitgearbeitet und nicht absichtlich unsinnig geantwortet haben, zum andern zeigen die
Daten, dass die Aufgaben nicht durch gelernte Antwortmuster gelöst wurden.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 97
4.4.3 Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände
Besonders in der Diskussion um die Simulationstheorie (vgl. 2.3) ist es von Interesse, ob
es Kindern leichter fällt, eigene vergangene mentale Zustände zu benennen als mentale
Zustände anderer Personen. Sowohl bezüglich des Wunschverstehens als auch bezüglich
des Überzeugungsverstehens kamen in der Studie Aufgaben zum Einsatz, die sich auf
eigene oder fremde mentale Zustände bezogen. Die False-Belief-Aufgabe erfasste das
Verstehen der Überzeugung einer fremden Person, die Representational-Change-
Aufgabe das Verstehen eigener vergangener Überzeugungen. Bei den beiden
Wunschaufgaben (Confliciting-Desire und Neugier) wurde jeweils in einer Testfrage
nach dem Wunsch der anderen Person (Handpuppe) und in einer Testfrage nach dem
eigenen vergangenen Wunsch gefragt. Somit liegen für jede Auswertungseinheit Daten
bezüglich des Verstehens eigener und fremder Wünsche und Überzeugungen vor (vgl.
Abbildung 14).
In der dritten Hypothese wurde angenommen, dass das Verstehen eigener und fremder
mentaler Zustände gleich schwer ist. Diese Hypothese entspricht der Annahme der
Theorie-Theorie. Das Verstehen fremder falscher Überzeugungen sollten genauso
schwer sein wie das eigener falscher Überzeugungen, und die Lösungshäufigkeit der
Testfragen nach dem Wunsch einer andere Person sollte der Lösungshäufigkeit der
Testfrage nach dem eigenen vergangenen Wunsch entsprechen.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 98
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
Überzeugung fremd
Überzeugung eigen
Wunsch fremd
Wunsch eigen
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
Überzeugung fremd
Überzeugung eigen
Wunsch fremd
Wunsch eigen
Abbildung 14: Verlauf des Verstehens eigener und fremder mentaler Zustände
Abbildung 14 zeigt die Verläufe des Verstehens eigener und fremder Überzeugungen
und Wünsche. Der in der Abbildung als „Überzeugung fremd“ beschriftete Verlauf
beinhaltet die Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgaben. Der Verlauf „Überzeugung
eigen“ fasst die Lösungshäufigkeiten der Representational-Change-Aufgaben
zusammen. Beide Aufgabentypen wurden zu jedem Termin vorgegeben, so dass pro
Kind in jede Auswertungseinheit zwei False-Belief- und zwei Representational-Change-
Aufgaben eingehen. Für den Verlauf von „Wunsch fremd“ wurden die „Testfragen
fremder Wunsch“ der Conflicting-Desire- und Neugier-Aufgaben zusammengefasst. Für
den Verlauf von „Wunsch eigen“ wurden die „Testfragen eigener Wunsch“ der
Conflicting-Desire- und Neugier-Aufgaben zusammengefasst. Die Wunschaufgaben
wurden wie bereits beschrieben nur zu jedem zweiten Termin vorgegeben, durch das
Zusammenfassen der beiden Aufgabentypen gehen aber auch hier in jede
Auswertungseinheit zwei Messungen pro Kind ein.
Abbildung 14 macht deutlich, dass sich das Verstehen eigener und das Verstehen
fremder mentaler Zustände besonders zu Beginn des Untersuchungszeitraumes
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 99
bezüglich ihrer Schwierigkeit unterscheiden. Dabei ist das Verstehen eigener
Überzeugungen für die Kinder während der gesamten Untersuchung leichter als das
Verstehen fremder Überzeugungen. Betrachtet man die Verläufe bezüglich des
Wunschverstehens, fällt auf, dass sich hier das Verhältnis der gelösten Aufgaben
bezüglich eigener und fremder Wünsche zu Beginn der Untersuchung umgekehrt
darstellt. Das Verstehen fremder Wünsche ist für die Kinder anfangs deutlich leichter als
das Benennen der eigenen vergangenen Wünsche. Während des weiteren Verlaufes
nimmt das Verständnis für eigene Wünsche soweit zu, dass es zu den letzten beiden
Auswertungseinheiten vergleichbar hoch ist wie das Verstehen fremder Wünsche. Auch
die beiden Verläufe des Überzeugungsverstehens nähern sich gegen Ende des
Untersuchungszeitraumes aneinander an.
Der in Abbildung 14 erkennbare Unterschied der Schwierigkeit zwischen Wunsch- und
Überzeugungsverstehen bezüglich eigener und fremder mentaler Zustände lässt sich
durch die über alle Erhebungstermine zusammengefassten Lösungshäufigkeiten
verdeutlichen (vgl. Abbildung 15).
eigen fremd00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
35
48
79
68
WunschverstehenÜberzeugungsverstehen
eigen fremd00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
35
48
79
68
WunschverstehenÜberzeugungsverstehen
Abbildung 15: Lösungshäufigkeit für Aufgaben Überzeugung und Wunsch eigen und fremd
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 100
Aus Abbildung 15 geht klar hervor, dass das Verstehen von Wünschen, eigen wie fremd,
leichter ist als das Verstehen von eigenen und fremden Überzeugungen. Ferner zeigt
sich, zusammenfassend über den gesamten Erhebungszeitraum betrachtet, dass das
Verstehen fremder Überzeugungen schwerer ist als das Verstehen eigener vergangener
Überzeugungen, und dass sich dieses Verhältnis bei den Wunschaufgaben umgekehrt
darstellt. Hier ist das Verstehen fremder Wünsche leichter als das der eigenen
vergangenen Wünsche.
Für jedes Kind wurden vier Kennwerte berechnet. Die ersten beiden stellten jeweils die
Mittelwerte der vom Kind insgesamt gelösten Überzeugungsaufgaben eigen und fremd
dar, die beiden anderen die Mittelwerte der Wunschaufgaben eigen und
Wunschaufgaben fremd. Die für jedes Kind berechneten vier Kennwerte gingen in eine
zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung ein. Hierbei zeigt sich, dass der
zweistufige Faktor „mentaler Zustand“ (Wunsch vs. Überzeugung) hochsignifikant wird
(F(1) = 80.87; p < .001). Der ebenfalls zweistufige Faktor „eigen/fremd“ wird hier,
bezogen auf Wunsch- und Überzeugungsaufgaben zusammengefasst, nicht signifikant
(F(1) = 0.19; p = 0.66). Die Interaktion zwischen den beiden Faktoren „mentaler
Zustand“ und „eigen/fremd“ wird hochsignifikant (F(1) = 36.69; p < .001). Der anhand
der vier Kennwerte berechnete t-Test für abhängige Stichproben zeigt, dass sich die
Lösungshäufigkeiten für „Überzeugung fremd“ und „Überzeugung eigen“ hoch
signifikant voneinander unterscheiden (t(41) = -3,71, p < .01). Somit ist davon
auszugehen, dass die Kinder Representational-Change-Aufgaben überzufällig häufiger
richtig lösen als False-Belief-Aufgaben. Auch der Unterschied zwischen „Wunsch
fremd“ und „Wunsch eigen“ ist hochsignifikant (t(41) = -3,51, p < .01) und somit das
Verstehen fremder Wünsche überzufällig leichter als das der eigenen.
Insgesamt sind hier besonders die Ergebnisse bezüglich des Wunschverstehens nur mit
Vorsicht zu interpretieren. Wie in Abschnitt 4.3.2 beschrieben, wurde bei beiden
Wunschaufgabentypen (Conflicting-Desire und Neugier) immer zuerst die Testfrage
bezüglich des fremden Wunsches und im Anschluss die Testfrage bezüglich des eigenen
vergangenen Wunsches gestellt. Da hier im Rahmen der vorliegenden Studie keine
Variation bezüglich der Reihenfolge der Testfragen vorgenommen wurde, kann nicht
ausgeschlossen werden, dass die unterschiedliche Schwierigkeit der beiden Testfragen
durch die Reihenfolge der Darbietung zustande gekommen ist. Während der
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 101
Durchführung ließ sich bei den Kindern jedoch kein sichtbarer Konzentrationsverlust
zwischen der ersten Wunschtestfrage und der zweiten Wunschtestfrage beobachten.
Somit ist es unwahrscheinlich, dass die erhöhte Schwierigkeit der zweiten
Wunschtestfrage alleine auf einem Reihenfolgeneffekt beruht.
4.4.4 Vergleichende Betrachtung der Kontroll- und Untersuchungsgruppe
Hypothese vier sagt aus, dass Kinder der Kontrollgruppe am Ende des
Untersuchungszeitraumes weniger Aufgaben richtig lösen als Kinder der
Untersuchungsgruppe.
Durch den Vergleich der Lösungshäufigkeiten der Kontrollgruppen mit denen der
Untersuchungsgruppe zum jeweils letzten Termin lassen sich Hinweise darauf finden,
inwiefern der Verlauf der Untersuchungsgruppe der normalen Entwicklung entspricht
oder inwiefern er durch das wiederholte Vorgeben von Aufgaben beschleunigt wurde.
Sollte die Untersuchungsgruppe ein höheres Entwicklungsniveau erreichen als die
Kontrollgruppe, könnte dies ein möglicher Hinweis auf die Trainierbarkeit der Theory of
Mind-Fähigkeit sein.
Wie unter 4.3.3 beschrieben bekam die Kontrollgruppe nur einmal zu Beginn und einmal
am Ende des siebenmonatigen Untersuchungszeitraumes Aufgaben vorgelegt. Es stehen
also nur Daten von zwei Erhebungsterminen zur Verfügung. Zum ersten
Erhebungstermin sollten sich die beiden Gruppen nicht deutlich voneinander
unterscheiden, denn die Kinder wurden anhand der Ergebnisse aus dem Vortest so auf
Kontroll- und Untersuchungsgruppe verteilt, dass die Gruppen sich bezüglich Alter,
Geschlecht und Leistung glichen.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 102
1 10
Erhebungstermin
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
Untersuchungsgruppe
Kontrollgruppe
1 10
Erhebungstermin
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
Untersuchungsgruppe
Kontrollgruppe
Abbildung 16: Entwicklungsverläufe von Kontrollgruppe und Untersuchungsgruppe
In Abbildung 16 sind die mittleren Lösungshäufigkeiten aller Aufgabentypen zum ersten
und letzten Erhebungstermin für die Kontroll- und Untersuchungsgruppe dargestellt. Der
Untersuchungsgruppe wurden zum ersten Termin eine False-Belief-, eine
Representational-Change- eine Appearance-Reality-Distinction- und eine Neugier-
Aufgabe vorgelegt. Die Kontrollgruppe erhielt darüber hinaus noch eine Conflicting-
Desire-Aufgabe. Zur besseren Vergleichbarkeit der beiden Gruppen geht diese hier nicht
in die Auswertung ein. Zum 10.Termin erhielt die Untersuchungsgruppe wiederum eine
Version je Aufgabentyp, nur keine Neugier-Aufgabe. Diese wurde somit auch bei der
Kontrollgruppe nicht mitberechnet. Dadurch sind die in den Vergleich zwischen
Kontroll- und Untersuchungsgruppe eingehenden Daten bezüglich Aufgabenart und
Aufgabenanzahl identisch.
Abbildung 16 zeigt, dass sich die Theory of Mind-Fähigkeit der Kontrollgruppe und der
Untersuchungsgruppe zwischen Vortest und 1.Termin unterschiedlich entwickelt hat und
die Kontrollgruppe zum 1.Termin etwas besser als die Untersuchungsgruppe
abschneidet. Bis zum 10.Termin entwickelt sich dann aber die Theory of Mind-Fähigkeit
der Untersuchungsgruppe schneller. Somit löst die Untersuchungsgruppe am Ende des
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 103
Untersuchungszeitraums mehr Aufgaben als die Kontrollgruppe. Für eine
varianzanalytische Überprüfung der Faktoren Gruppe und Zeit wurde für jedes Kind zu
jedem Zeitpunkt ein Mittelwert berechnet, in den alle von ihm zu diesem Termin
gelösten Aufgaben eingingen (außer zum 1.Termin die Conflicting-Desire- und zum
10.Termin die Neugier-Aufgaben der Kontrollgruppe). Der Messwiederholungsfaktor
Zeit wurde hoch signifikant (F(1) = 17,78, p < .001), der Faktor Gruppe wurde nicht
signifikant (F(1) = .13, p = .73).
In Abbildung 16 zeigt sich zwar eine leichte Beschleunigung des Entwicklungsverlaufes
der Untersuchungsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied erweist
sich allerdings als nicht signifikant, so dass nicht von eine r überzufälligen Steigerung
der Theory of Mind-Fähigkeit in der Untersuchungsgruppe ausgegangen werden kann.
Insgesamt sind die Ergebnisse aufgrund der niedrigen Anzahl von Kindern in der
Kontrollgruppe (n = 11) nur mit Vorsicht zu interpretieren.
4.4.5 Interindividuelle Unterschiede bezüglich der Entwicklungsverläufe von Wunsch-
und Überzeugungsverstehen
Alle bisher dargestellten Ergebnisse sind Betrachtungen aggregierter Daten. Die Werte
der einzelnen Kinder wurden zusammengefasst um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu
kommen. Aggregierte Verläufe setzen sich meist aus unterschiedlichen Einzelverläufen
zusammen. Dies gilt auch für die vorliegende Arbeit. Daher soll in diesem Abschnitt
kurz anhand von Beispielen ein Eindruck der interindividuellen Unterschiede der
Entwicklungsverläufe vermittelt werden.
Jedes Kind bekam zu jedem der fünf Auswertungseinheiten vier Wunschaufgaben und
vier Überzeugungsaufgaben vorgelegt. Insgesamt wurden von jedem Kind also 20
Wunschaufgaben und 20 Überzeugungsaufgaben bearbeitet. Abbildung 17 zeigt, dass
sich die Lösungshäufigkeiten der einzelnen Kinder zu den jeweiligen Terminen deutlich
unterscheiden.
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 104
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 6
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 6
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 6
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 13
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 13
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 13
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 23
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 23
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 23
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
nÜberzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 25
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
nÜberzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 25
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
nÜberzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 25
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 33
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 33
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 33
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 35
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 35
1+2 3+4 5+6 7+8 9+10
Erhebungstermine
0
1
2
3
4
Anz
ahl g
elös
ter
Auf
gabe
n
Überzeugungsaufgaben
Wunschaufgaben
Versuchsperson 35
Abbildung 17: Entwicklungsverläufe einzelner Kinder
Aus Abbildung 17 geht hervor, dass es deutliche intra- und interindividuelle
Unterschiede in den Entwicklungsverläufen einzelner Kinder gibt. Es muss aber betont
werden, dass die in den Verläufen erkennbaren Schwankungen bei der
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 105
Einzelfallbetrachtung tatsächlich nur durch ein oder zwei mehr oder weniger richtig
gelöste Aufgaben zustande kommen. Somit ist, aufgrund der geringen Anzahl der
Messungen, die in die jeweilige Einzelfallbetrachtung eingehen, eine aussagekräftige
Interpretation des einzelnen Falles nicht möglich.
Betrachtet man die einzelnen Entwicklungsverläufe aller Kinder wird deutlich, dass sie
sich besonders bezüglich ihres Überzeugungsverstehens stark unterscheiden. So gibt es
Kinder, die auch am Ende des Untersuchungszeitraums keine Überzeugungsaufgaben
lösen können. Einige Kinder hingegen machen zum selben Zeitpunkt alle
Überzeugungsaufgaben richtig. Bezüglich des Wunschverstehens sind die Unterschiede
zwischen den Kindern zum Ende des Untersuchungszeitraumes nicht mehr so hoch. Hier
erreichen fast alle Kinder ein mittleres bis hohes Verständnis. Um zu überprüfen, wie
sich das Verhältnis von Wunschverstehen zu Überzeugungsverstehen bei den einzelnen
Kindern darstellt, wurde die gesamte Lösungsmenge an Wunschaufgaben mit der
gesamten Lösungsmenge an Überzeugungsaufgaben für jedes Kind einzeln vergleichend
betrachtetet. Von den 42 Kindern der Untersuchungsgruppe gab es nur ein Kind, das
während des gesamten Untersuchungszeitraums mehr Überzeugungsaufgaben als
Wunschaufgaben gelöst hatte (5 Wunschaufgaben, 8 Überzeugungsaufgaben). Zwei
Kinder lösten gleich viele Überzeugungsaufgaben wie Wunschaufgaben (je 14 bzw. je
15 Aufgaben). 39 der 42 Kinder lösten mehr Wunschaufgaben als
Überzeugungsaufgaben, wobei die Differenz zwischen gelösten Wunsch- und
Überzeugungsaufgaben im Mittel bei 6,75 Aufgaben lag mit einem Range von -3 bis 18.
Es zeigt sich also, dass, trotz der deutlichen interindividuellen Unterschiede bezüglich
der Entwicklungsverläufe, für fast alle Kinder Wunschaufgaben leichter zu lösen sind als
Überzeugungsaufgaben. Der anhand der über alle Kinder aggregierten Daten gefundene
signifikante Unterschied zwischen Wunsch- und Überzeugungsverstehen ist somit auch
auf der Ebene der Einzelfallbetrachtungen zu beobachten.
4.4.6 Zusammenfassung der Ergebnisse der 1. Studie
Unter 4.4.1 wurden die Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen
betrachtet. Dabei zeigte sich, dass Wunschaufgaben während des gesamten
Untersuchungszeitraums signifikant leichter waren als Überzeugungsaufgaben. Ferner
4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 106
wurde deutlich, dass sich das Verständnis von Wünschen und das Verständnis von
Überzeugungen während des Untersuchungszeitraumes signifikant verbesserten.
Unter Abschnitt 4.4.2 wurden die Entwicklungsverläufe bezüglich der einzelnen
Aufgabenarten betrachtet. Außer bei der Neugier-fremd-Aufgabe und der
Representational-Change-Aufgabe nahm die Lösungshäufigkeit aller Aufgabentypen
während des Untersuchungszeitraumes signifikant zu.
Die Ergebnisse zum Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände wurden in
Abschnitt 4.4.3 beschrieben. Hierbei zeigte sich, dass das Verstehen eigener Wünsche
signifikant leichter war als das Verstehen fremder Wünsche. Bezüglich des
Überzeugungsverstehens ergab sich eine umgekehrte Reihenfolge, hier war das
Verstehen fremder Überzeugungen signifikant leichter als das Verstehen eigener
vergangener Überzeugungen.
Im Abschnitt 4.4.4 wurde der Entwicklungsverlauf der Kontrollgruppe mit dem der
Untersuchungsgruppe verglichen. Hierbei ließ sich ein leichter Anstieg der
Untersuchungsgruppe im Verhältnis zu Kontrollgruppe zum 10. Termin abbilden. Dieser
Unterschied erwies sich allerdings als nicht signifikant, so dass von keinem
überzufälligen Anstieg ausgegangen werden kann.
Im letzten Abschnitt 4.4.5 wurde kurz die Individualität der Entwicklungsverläufe
dargestellt. Auch bei der Betrachtung der einzelnen Entwicklungsverläufe zeigte sich,
dass Wunschaufgaben leichter zu verstehen waren als Überzeugungsaufgaben.
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 107
5 Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36
Monaten
Nachdem im vorherigen Kapitel die im Rahmen des DFG-Projektes „Die Entwicklung
der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und
Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) durchgeführte Längsschnittstudie
zur Erfassung der Entwicklung des Wunsch- und Überzeugungsverstehens vorgestellt
wurde, soll nun in diesem Kapitel auf Studie 2 eingegangen werden. Zu Beginn der
Studie 1 waren die Kinder durchschnittlich 41,6 Monate alt. Es zeigte sich, dass bereits
in der ersten Auswertungseinheit über 50% der Wunschaufgaben richtig gelöst wurden
(vgl. Abschnitt 4.4.1). Somit erschien es besonders in Hinblick auf die Entwicklung des
Wunschverstehens sinnvoll eine weitere Studie mit jüngeren Kindern durchzuführen.
Studie 2 wurde unabhängig von dem DFG-Projekt konzipiert und durchgeführt. Ihr Ziel
war es, Informationen über das Wunsch- und Überzeugungsverstehen jüngerer Kinder
zu liefern und somit zur Beantwortung der Frage beizutragen, ab welchem Alter Kinder
über ein repräsentationales Wunschverstehen verfügen.
5.1 Fragestellung und Hypothese
Im Rahmen der Ableitung der allgemeinen Fragestellungen der Arbeit (siehe 3.4) wurde
danach gefragt, ab welchem Alter Kinder Wunschaufgaben wie Conflicting-Desire- und
Neugier-Aufgaben lösen können und somit über ein repräsentationales Wunschverstehen
verfügen. Darüber hinaus wurde das Verhältnis zwischen Wunschverstehen und
Überzeugungsverstehen als Gegenstand des Forschungsinteresses benannt. In Studie 1
konnten die Kinder während des gesamten Untersuchungszeitraumes signifikant mehr
Wunschaufgaben als Überzeugungsaufgaben lösen. Schon zu Beginn der Studie
unterschieden sich die einzelnen Aufgabentypen deutlich bezüglich ihrer Schwierigkeit.
Besonders auffällig war die durchgängig hohe Lösungshäufigkeit der Neugier- fremd-
Aufgabe (vgl. Abbildung 11). Auch die anderen Wunsch-Aufgaben konnten schon zu
Beginn des Untersuchungszeitraumes von mehr Kindern richtig gelöst werden als die
Überzeugungsaufgaben. Somit war das Wunschverstehen von Anfang an auf einem
deutlich höheren Niveau als das Überzeugungsverstehen. Zu Beginn der ersten Studie
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 108
waren die Kinder im Durchschnitt 41,6 Monate alt. Aus vielen Studien ist bekannt, dass
ab der zweiten Hälfte des vierten Lebensjahres eine starke Entwicklung des
Überzeugungsverstehens beginnt (Wellman et al., 2001). Bezüglich des Zeitraumes der
Entwicklung des Wunschverstehens gibt es keine eindeutigen Daten. Die Ergebnisse der
ersten Studie zeigen aber, dass die Kinder wahrscheinlich schon vor dem Alter von 3,5
Jahren beginnen ein Verständnis für die hier eingesetzten Wunschaufgaben zu
entwickeln. In der nun folgenden zweiten Studie wurde daher der Frage nachgegangen,
ob auch schon jüngere Kinder im Alter von 36 Monaten Wunschaufgaben richtig lösen
können und wie das Verhältnis von gelösten Wunschaufgaben zu gelösten
Überzeugungsaufgaben bei diesen jüngeren Kindern aussieht. Aus den allgemeinen
Fragestellungen der Arbeit wurden unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Studie 1
eine weitere Hypothesen für die zweite Studie formuliert.
Hypothese 5 lautet:
Kinder im Alter von 36 Monaten lösen keine Überzeugungsaufgaben und nur
geringfügig mehr Wunschaufgaben.
Aus vielen Studien ist bekannt, dass Kinder im Alter von 36 Monaten noch nicht in der
Lage sind falsche Überzeugungen zu verstehen (Wellman et al., 2001). Daher wird
davon ausgegangen, dass sie die eingesetzten Überzeugungsaufgaben noch nicht lösen
können. In Studie 1 waren Wunschaufgaben von Anfang an deutlich leichter als
Überzeugungsaufgaben. Es kann somit angenommen werden, dass sich diese
unterschiedliche Schwierigkeit der Aufgaben auch bei jüngeren Kindern zeigen wird,
wobei aufgrund des jungen Alters der Kinder nur von einem geringfügigen Verständnis
für repräsentationale Wunschaufgaben ausgegangen wird.
5.2 Methode
5.2.1 Die Stichprobe
Aus dem Standesamtregister der Badischen Zeitung wurden die Adressen von Familien,
die Kinder im entsprechenden Alter hatten, gewonnen. Es wurden 114 Familien in
Freiburg angeschrieben, von denen sich 41 bereit erklärten ihr Kind an der Studie
teilnehmen zu lassen. Somit wurden 22 Mädchen und 19 Jungen in die Studie
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 109
aufgenommen. 24 Kinder waren genau 36 Monate alt, 15 waren 37 Monate alt und zwei
Kinder 38 Monate alt. Das Durchschnittsalter lag bei 36,4 Monaten.
5.2.2 Material
In dieser Untersuchung wurden die bereits in der ersten Studie eingesetzten fünf
Aufgabentypen verwendet. Von jedem Aufgabentyp kam eine Version zum Einsatz, die
im Folgenden kurz beschrieben wird. Der genaue Ablauf sowie die einzelnen Fragen
können Abschnitt 4.3.2 entnommen werden.
Bei der False-Belief-Aufgabe handelte es sich um folgende Geschichte: Ein Mädchen
kommt an einem regnerischen Tag ins Haus und stellt ihre nassen Schuhe in den
Schrank. Dann verlässt sie das Zimmer um zu duschen. Unterdessen nimmt der Hund
die Schuhe aus dem Schrank und legt sie unter das Sofa. Anschließend kommt das
Mädchen wieder in das Zimmer und will ihre Schuhe trocknen. In der Testfrage wurden
die Kinder dann gefragt, wo das Mädchen nach ihren Schuhen suchen würde.
Bei der Representational-Change-Aufgabe wurde dem Kind eine Spielzeugverpackung
mit einem Auto darauf gezeigt. Nachdem das Kind angegeben hatte, dass es dachte, dass
in der Schachtel ein Auto sei, wurde ihm gezeigt, dass sich ein Stift in der Schachtel
befand. Anschließend wurde zu dieser Aufgabe auch noch eine False-Belief-Frage
gestellt. Dazu wurde eine Handpuppe aus einer Tasche geholt und das Kind gefragt, was
die Puppe, die nicht gesehen hatte, was in der Schachtel war, dachte was in der
Schachtel sei.
Bei der in dieser Studie eingesetzten Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe handelte
es sich um eine Kerze die aussah wie ein Schokoladenkuchen. Für die Neugier-Aufgabe
wurden zwei Teedosen verwendet und als Conflicting-Desire-Aufgabe das bereits unter
4.3.2.2 dargestellte Froschspiel gespielt.
Da nur zu einem Termin Daten erhoben wurden und die Kinder keine Rückmeldungen
bezüglich der Richtigkeit ihrer Antworten erhielten, konnte davon ausgegangen werden,
dass sie keine Antwortmuster (wie etwa „es ist immer die andere Antwortalternative
richtig“) lernen würden. Somit wurde in dieser Studie auf den Einsatz von konsistenten
Aufgabenversionen verzichtet.
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 110
5.2.3 Design und Durchführung
Die vorliegende Untersuchung wurde in der Zeit von Mai bis Juli 2004 durchgeführt.
Jeweils eine von insgesamt zwei geschulten Versuchsleiterinnen besuchte ein Kind zu
einem etwa halbstündigen Termin zu Hause. Die Versuchsleiterin gab dem Kind die
Aufgaben in folgender Reihenfolge vor: Neugier-Aufgabe, False-Belief-Aufgabe,
Conflicting-Desire-Aufgabe, Representational-Change-Aufgabe und Appearance-
Reality-Distinction-Aufgabe. Die Antworten des Kindes wurden durch Ankreuzen der
Antwortalternativen auf den Protokollbögen festgehalten. Am Ende des Termins erhielt
jedes Kind ein kleines Geschenk.
Eine gesamte Aufgabe wurde als richtig gelöst bewertet, wenn Kontrollfrage, Testfrage
und Realitätsfrage jeweils korrekt beantwortet wurden.
5.3 Ergebnisse
5.3.1 Das Verhältnis von Wunschverstehen zu Überzeugungsverstehen
Hypothese 5 sagt aus, dass die Kinder nur über ein sehr geringes Wunschverstehen und
noch über kein Überzeugungsverstehen verfügen. Zur Überprüfung dieser Hypothese
wurden für jedes Kind zwei Kennwerte berechnet: die relative Häufigkeit aller von ihm
gelösten Wunschaufgaben und die relative Häufigkeit aller von ihm gelösten
Überzeugungsaufgaben. Diese Kennwerte wurden dann für alle Kinder
zusammengefasst und können Tabelle 12 entnommen werden.
Tabelle 12: Relative Lösungshäufigkeiten für Überzeugungs- und Wunschaufgaben
M SD
Überzeugungsaufgaben .23 .29
Wunschaufgaben .16 .20
Gesamt .18 .18
Aus Tabelle 12 geht hervor, dass die Aufgaben für die Kinder insgesamt sehr schwierig
zu lösen sind, wobei sie etwas mehr Überzeugungs- als Wunschaufgaben lösen können.
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 111
Der Unterschied in der Lösungshäufigkeit von Wunsch- und Überzeugungsaufgaben
wird in einem t-Test für abhängige Stichproben nicht signifikant (t(39) = -1,61, p =
0,11). Die durch Hypothese 5 ausgedrückte Annahme, dass Kinder im Alter von 36
Monaten geringfügig mehr Wunsch- als Überzeugungsaufgaben lösen können, wird
durch die Daten widerlegt.
Auch bei der Betrachtung der Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgabentypen zeigt sich
deutlich, dass Wunsch- und Überzeugungsaufgaben den jungen Kindern in gleicher
Weise schwer fallen (siehe Abbildung 18 unter 5.3.2).
Wie bereits unter 4.3.2 beschrieben, ist es bei jedem Aufgabentyp möglich, dass das
Kind, indem es die Testfrage falsch beantwortet, die Art von Fehler macht, die aufgrund
von mangelnder Theory of Mind-Fähigkeit erwartet wurde. So würde im Fall der False-
Belief-Aufgabe das Kind sagen, dass das Mädchen ihre Schuhe unter dem Sofa sucht,
wo sie in Wirklichkeit auch sind. Neben diesen erwarteten Fehlern können bei allen
Aufgabentypen auch Fehler durch das falsche Beantworten der Realitätsfrage gemacht
werden. Dies deutet außer bei der Apprearance-Reality-Distinction-Aufgabe darauf hin,
dass die Aufgabenstruktur vom Kind nicht verstanden wurde. Antwortet ein Kind
beispielsweise auf die Realitätsfrage im Froschspiel, dass es jetzt eine grüne Karte
ziehen will, nachdem es schon eine grüne Karte gezogen hatte, ist dies falsch und als
Hinweis zu werten, dass das Kind den Ablauf des Spiels nicht verstanden hat. Bei der
Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe ist die falsche Beantwortung der Realitätsfrage
auch als Ausdruck mangelnder Theory of Mind-Fähigkeit zu verstehen und somit nicht
im Sinne eines Nichtverstehens der Aufgabenstruktur zu interpretieren. Die Art der
gemachten Fehler bei jedem Aufgabentyp kann Tabelle 13 entnommen werden.
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 112
Tabelle 13: Anzahl der Lösungen je Aufgabetyp
FB RC RC-FB AR N fremd N eigen CD fremd
CD eigen
gelöst 7 10 9 7 7 6 7 4
erwarteter Fehler
22 28 29 32 32 32 6 9
anderer Fehler
12 1 1 - - - 25 25
Missing - 2 2 2 2 3 3 3
Tabelle 13 gibt die Anzahl der jeweiligen Lösungen für jeden Aufgabentyp wieder.
„Gelöst“ bedeutet, dass die Aufgabe richtig gemacht wurde, „erwarteter Fehler“
bedeutet, dass die Testfrage falsch beantwortet wurde und „ anderer Fehler“ bedeutet,
dass die Realitätsfrage falsch beantwortet wurde. Da in der zweiten Studie keine
Ersatzaufgaben eingesetzt wurden, konnte es zu fehlenden Daten kommen, wenn die
intendierte Täuschung im Fall der Representational-Change- und Appearance-Reality-
Distinction-Aufgaben nicht funktionierte oder wenn das Kind die Mitarbeit verweigerte.
Tabelle 13 zeigt, dass alle Aufgaben nur von wenigen Kindern richtig gelöst wurden.
Die gemachten Fehler unterscheiden sich jedoch stark nach Aufgabenart. Bei der False-
Belief-Aufgabe machten 12 Kinder den „anderen Fehler“, d.h. sie konnten nicht richtig
angeben wo sich die Schuhe tatsächlich befanden, was bedeuten könnte, dass sie die
Geschichte nicht richtig verstanden hatten. Im Rahmen der Representational-Change-
Aufgabe wurde die Realitätsfrage nur von einem Kind falsch beantwortet. Bei der
Neugier-Aufgabe tauchte der „andere Fehler“ nicht auf. Alle Kinder gaben also in der
Realitätsfrage an, nun in die andere Dose schauen zu wollen. Auffällig ist die sehr hohe
Anzahl der „anderen Fehler“ bei der Conflicting-Desire-Aufgabe. Es scheint, dass es den
meisten Kindern im Alter von 36 Monaten noch nicht möglich ist, den komplexen
Ablauf des Froschspiels zu verstehen. Vergleicht man die Lösungs- und
Fehlerhäufigkeiten der Neugier-Aufgabe mit der der Conflicting-Desire-Aufgabe, so
wird aber deutlich, dass die geringe Lösungshäufigkeit der Wunschaufgaben nicht allein
durch ein mangelndes Verständnis für die Aufgabenstruktur zustande kommen kann,
denn auch die Neugier-Aufgaben wurde ohne das Vorkommen „anderer Fehler“ nur von
sehr wenigen Kindern gelöst. Es scheint vielmehr als sei es für Kinder im Alter von 36
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 113
Monaten noch nicht möglich die repräsentationalen Anforderungen der Wunschaufgaben
zu verstehen.
5.3.2 Vergleich der Lösungshäufigkeiten von Kindern im Alter von 36 und 42
Monaten
Die Kinder in Studie 1 waren zu Beginn des Untersuchungszeitraumes im Durchschnitt
42 Monate alt. Ihre Theory of Mind-Entwicklung wurde sieben Monate lang erhoben und
in Kapitel 4 dargestellt. Die Kinder in Studie 2 waren 36 Monate alt. Über die Theory of
Mind-Entwicklung im Zeitraum zwischen 36 und 42 Monaten liegen keine direkten
Daten vor. Durch den Vergleich der Studie 2 mit den Ergebnissen zu Beginn der Studie
1 lassen sich jedoch Hinweise auf diese Entwicklung finden.
2. Studie (Alter 36 Monate)
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
17
2523
18 1816
18
11
FB ARRC-FBRC N fremd N eigen CD fremd CD eigen
00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
17
2523
18 1816
18
11
FB ARRC-FBRC N fremd N eigen CD fremd CD eigen
1. Studie: 1 + 2 Termin (Alter 42 Monate)
FB RC AR N fremd N eigen CD fremd CD eigen00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
20
33
79
55
49
4139
FB RC AR N fremd N eigen CD fremd CD eigen00
20
40
60
80
100
Lösu
ngsh
äufig
keit
in P
roze
nt
20
33
79
55
49
4139
Abbildung 18: Lösungshäufigkeit der Aufgabentypen in der zweiten Studie und zur ersten
Auswertungseinheit der ersten Studie
Betrachtet man Abbildung 18, so fällt auf, dass die Wunschaufgaben (in der Abbildung
durch Rottöne gekennzeichnet) zu Beginn der ersten Studie sehr viel häufiger gelöst
wurden als in der zweiten Studie. Besonders das Verständnis für die Neugier-Aufgabe
ist im Alter von 42 Monaten sehr viel höher als mit 36 Monaten. Für die beiden
Überzeugungsaufgaben (blau) ist die Zunahme der Lösungshäufigkeit zwischen den
beiden Studien nicht so deutlich. Besonders die False-Belief-Aufgabe wird sowohl in der
zweiten als auch zu Beginn der ersten Studie nur selten richtig gelöst.
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 114
Zu der Representational-Change-Aufgabe wurde in der zweiten Stud ie noch eine False-
Belief-Frage gestellt (RC-FB). Damit wurde, den Wunschaufgaben vergleichbar, auch
das Verstehen eigener und fremder Überzeugungen anhand einer Aufgabe überprüft.
Aus Abbildung 18 geht hervor, dass in Studie 2, in Übereinstimmung mit den
Ergebnissen der Studie 1, die Wunschaufgaben, die das Benennen des fremden
Wunsches erfordern, einfacher sind als die, die sich auf den eigenen vergangenen
Wunsch beziehen. Auch in Studie 2 stellt sich dieses Verhältnis bei den
Überzeugungsaufgaben umgekehrt dar. Hier ist die Frage nach der eigenen vergangenen
Überzeugung (RC) leichter zu beantworten als die Frage nach der falschen Überzeugung
einer anderen Person (FB; RC-FB). Insgesamt können die Daten der Studie 2 aber in
Hinblick auf das Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände aufgrund der nur
sehr geringen Unterschiede bezüglich der Lösungshäufigkeit nicht weiter interpretiert
werden. Vielmehr muss festgestellt werden, dass alle in Studie 2 eingesetzten Aufgaben
den Kindern im Alter von 36 Monaten sichtlich schwer gefallen sind.
Da die RC-FB-Testfrage nur in der zweiten Studie gestellt wurde, ist für sie kein
gesonderter Vergleich zwischen den beiden Studien möglich. Da diese Testfrage aber
auch das Überzeugungsverstehen erfasst, wurde sie neben der False-Belief- und
Representational-Change-Aufgabe in den Mittelwert für das Überzeugungsverstehen
jedes einzelnen Kindes in der zweiten Studie eingerechnet. Darüber hinaus wurde für
jedes Kind in der zweiten Studie ein Mittelwert bezüglich seines Wunschverstehens
berechnet, der sich aus den vier Wunschfragen zusammensetzt e. Aus den Daten der
ersten Auswertungseinheit wurde für jedes Kind der ersten Studie ein Mittelwert seines
Überzeugungsverstehens (beinhaltet zwei False-Belief- und zwei Representational-
Change-Aufgaben) und seines Wunschverstehens (beinhaltet vier Wunschaufgaben)
berechnet. Ob die Zunahme der mittleren Lösungshäufigkeit der Wunsch- und
Überzeugungsaufgaben zwischen den Kindern im Alter von 36 und 42 Monaten
signifikant war, wurde mittels t-Test für unabhängige Stichproben überprüft. Es zeigte
sich, dass die Zunahme an Wunschverstehen hochsignifikant war (t(71,73) = 7,23; p <
0,001). Das Überzeugungsverstehen unterschied sich hingegen nicht signifikant
zwischen den Kindern im Alter von 36 Monaten und den Kindern im Alter von 42
Monaten (t(81) = 1,01; p = 0,31).
5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 115
Betrachtet man die Ergebnisse der zweiten Studie zusammenfassend, so kann festgestellt
werden, dass für 36 Monate alte Kinder das Verstehen der eingesetzten Wunschaufgaben
vergleichbar schwer war, wie das der Überzeugungsaufgaben. Aus dem Vergleich der
ersten und zweiten Studie lässt sich schließen, dass sich in der Altersspanne zwischen 36
und 42 Monaten besonders das Wunschverstehen stark entwickelt. Eine Zunahme an
Überzeugungsverstehen zeigt sich hingegen kaum in diesem Zeitraum. Darüber hinaus
liefert die zweite Studie wichtige Hinweise bezüglich der fehlerfreien Durchführbarkeit
der einzelnen Aufgabentypen. So wurde deutlich, dass die Conflicting-Desire-Aufgabe
aufgrund ihrer hohen strukturellen Anforderung von Kindern im Alter von 36 Monten
häufig falsch gemacht wurde.
6. Diskussion 116
6 Diskussion
Eine umfassende Theory of Mind, die es ermöglicht, das Verhalten anderer Personen zu
erklären und vorherzusagen, muss sowohl ein Verständnis für Wünsche als auch ein
Verständnis für Überzeugungen beinhalten (Bennett, 1991). Ziel dieser Arbeit ist es zum
Verständnis der Entwicklung einer solch umfassenden Theory of Mind beizutragen,
indem sowohl der Entwicklungsverlauf des kindlichen Wunschverstehens als auch der
Entwicklungsverlauf des kindlichen Überzeugungsverstehens erfasst wurde. Dazu
wurden erstmalig in einer Längsschnittstudie Daten zur Entwicklung des
Wunschverstehens und des Überzeugungsverstehens erhoben, wobei der
Untersuchungszeitraum sieben Monate betrug und die Kinder zu Beginn im
Durchschnitt 42 Monate alt waren. Ergänzend untersuchte eine zweite Studie das
Wunsch- und Überzeugungsverstehen von jüngeren Kindern im Alter von 36 Monaten.
Neben der Darstellung des bisher wenig untersuchten Verlaufes der Entwicklung des
Wunschverstehens und seines Verhältnisses zur Entwicklung des
Überzeugungsverstehens, ist es auch Ziel dieser Arbeit die gefundenen Daten in
Zusammenhang mit Aussagen einzelner theoretischer Ansätze zur Theory of Mind-
Entwicklung zu bringen. Dies soll nun im Rahmen der Diskussion geschehen. Zu Beginn
wird das Verhältnis von Wunsch- zu Überzeugungsverstehen dargestellt und dieses
Verhältnis in Hinblick auf einzelne theoretische Ansätze diskutiert (6.1). Im nächsten
Abschnitt werden die Ergebnisse bezüglich des Verstehens eigener und fremder
mentaler Zustände genauer betrachtet (6.2) und anschließend werden in Hinblick auf den
Vergleich von Kontroll- und Untersuchungsgruppe Überlegungen zur Trainierbarkeit der
Theory of Mind-Fähigkeit erörtert (6.3). Abschnitt 6.4 widmet sich der Bedeutung der
interindividuellen Entwicklungsverläufe. Danach sollen die Ergebnisse bezüglich
einzelner Aufgabentypen aus methodischer Sicht diskutiert werden (6.5) und eine
Betrachtung der Stichprobe erfolgen (6.6), um dann mit Abschnitt 6.7 die Diskussion
mit einem Fazit und Ausblick zu beenden.
6. Diskussion 117
6.1 Das Verhältnis von Wunsch- zu Überzeugungsvers tehen
Neben der Darstellung der Entwicklung von Wunsch- und Überzeugungsverstehen
zielen die Fragestellungen der Arbeit auch darauf, Aussagen bezüglich einzelner
Annahmen in theoretischen Erklärungsansätzen zur kindlichen Theory of Mind machen
zu können. Die Rückschlüsse, die aus dem Verhältnis von Wunsch- zu
Überzeugungsverstehen gezogen werden können, sollen in diesem Abschnitt genauer
betrachtet werden.
In Studie 1 konnte gezeigt werden, dass Wunschverstehen signifikant leichter ist als
Überzeugungsverstehen (siehe 4.4.1). Dies widerspricht den von Moore et al. (1995)
berichteten Ergebnissen. Sie fanden, dass die Conflicting-Desire- und False-Belief-
Aufgaben einen ähnlichen Schwierigkeitsgrad aufweisen. Ein genauer Vergleich der
Ergebnisse von Moore et al. (1995) mit den Ergebnissen der ersten Studie fällt schwer,
da sich die von Moore et al. (1995) untersuchten Kinder im Alter von 3;0 bis 4;0 Jahren
befanden und gemeinsam als eine Gruppe mit einem Durchschnittsalter von 3;5 Jahren
ausgewertet wurden. Somit ist eine differenzierte Betrachtung möglicher Alterstrends
nicht machbar. Vergleicht man die Ergebnisse der ersten Studie mit den Ergebnissen von
Moore et al. (1995) im Ganzen, so fällt vor allem die von ihnen berichtete hohe
Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgaben auf. Von insgesamt 18 untersuchten
Kindern konnten 8 die Aufgabe richtig lösen, somit wurde die False-Belief-Aufgabe in
44,4 Prozent der Fälle richtig gemacht. Die Kinder in der ersten Studie, die im Rahmen
dieser Arbeit vorgestellt wurde, waren zur ersten Auswertungseinheit durchschnittlich
3;6 Jahre alt und lösten nur 20 Prozent der False-Belief-Aufgaben richtig (vgl.
Abbildung 11). Auch die Ergebnisse für die Conflicting-Desire-Aufgaben unterscheiden
sich. In der Untersuchung von Moore et al. (1995) wurde die Conflicting-Desire-
Aufgaben sowohl bezüglich des eigenen als auch des fremden Wunsches von 7 Kindern
richtig und von 14 falsch gemacht. Somit ergab sich jeweils eine Lösungshäufigkeit von
35 Prozent. Demgegenüber stehen die Lösungshäufigkeiten von 49 Prozent für „CD-
fremd“ und 41 Prozent für „CD-eigen“ aus der ersten Auswertungseinheit der Studie 1.
Es wird also deutlich, dass die Ergebnisse dieser Arbeit nicht mit denen von Moore et al.
(1995) übereinstimmen. So ist die False-Belief-Aufgabe bei Moore et al. (1995) deutlich
leichter und die Conflicting-Desire-Aufgabe schwerer zu lösen als in Studie 1.
Möglicherweise kam es in der Studie von Moore et al. (1995) zu der hohen
6. Diskussion 118
Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgabe, weil in der von ihnen eingesetzten Version
der Protagonist absichtlich getäuscht werden sollte. Andere Studien konnten zeigen, dass
Aufgaben, die explizit eine Täuschungsabsicht beinhalten, deutlich leichter zu lösen sind
als normale False-Belief-Aufgaben (Chandler, Fritz & Hala, 1989; Wellmann et al.,
2001). Insgesamt muss festgehalten werden, dass die Daten der Studie 1 nicht mit den
Ergebnissen von Moore et al. (1995) übereinstimmen.
Wie unter Abschnitt 3.3 dargestellt, unterscheiden sich die Wunsch- und
Überzeugungsaufgaben nicht hinsichtlich ihrer exekutiven Anforderungen. Durch Studie
1 konnte belegt werden, dass Wunschaufgaben signifikant leichter sind als
Überzeugungsaufgaben. Somit scheinen die exekutiven Anforderungen nicht das
zentrale Moment zu sein, welches die Überzeugungsaufgaben schwerer als die
Wunschaufgaben macht. Die Daten sprechen folglich eher für den repräsentationalen
Ansatz von Perner (1991a), der davon ausgeht, dass Wünsche als repräsentational
leichtere Konstrukte vor Überzeugungen verstanden werden. Die Fragestellung dieser
Arbeit, ob die Daten eher für den Ansatz der exekutiven Funktionen oder eher für den
repräsentationalen Ansatz sprechen, muss demzufolge zugunsten des repräsentationalen
Ansatzes beantwortet werden.
Was bedeutet die signifikant höhere Lösungshäufigkeit von Wunschaufgaben gegenüber
Überzeugungsaufgaben im Hinblick auf die anderen, in Kapitel zwei vorgestellten
theoretischen Erklärungsansatze? Die Ergebnisse sprechen nicht nur gegen den Ansatz
der exekutiven Funktionen, sondern auch gegen die Simulationstheorie, die davon
ausgeht, dass das Verstehen von Wünschen und das Verstehen von Überzeugungen
gleich schwer sind, weil diese beiden mentalen Zustände in gleicher Weise simuliert
werden müssen (vgl. 2.3). Demgegenüber nehmen sowohl Fodor (1992) als
Modultheoretiker als auch Bartsch und Wellman (1989, 1995) sowie Perner (1991a) als
Theorie-Theoretiker an, dass sich das kindliche Wunschverstehen vor dem
Überzeugungsverstehen entwickelt. Daher werden diese theoretischen Ansätze durch die
in Studie 1 gefundene Entwicklungsabfolge bestätigt.
Die Ergebnisse der Studie 2 zeigen, dass für Kinder im Alter von 36 Monaten sowohl
das Lösen von Wunschaufgaben als auch das Lösen von Überzeugungsaufgaben sehr
schwierig ist, wobei sich die Lösungshäufigkeiten nicht signifikant voneinander
6. Diskussion 119
unterscheiden. Einige Studien konnten zeigen, dass einfaches Wunschverstehen auch
schon vor dem Alter von drei Jahren möglich ist (Repacholie & Gopnik, 1997; Wellman
& Woolley, 1990). Somit spricht die hohe Schwierigkeit der eingesetzten
Wunschaufgaben für dreijährige Kinder dafür, dass die Aufgaben tatsächlich kein
einfaches, sondern ein repräsentationales Wunschverstehen erfassen. Davon wurde auch
theoretisch ausgegangen. Bei beiden eingesetzten Wunschaufgaben verändern sich die
Wünsche. Dies kann nach Perner (1991a) und Gopnik & Slaughter (1991) nur von
Kindern begriffen werden, die schon über ein repräsentationales Wunschverstehen
verfügen.
Betrachtet man Studie 1 und Studie 2 vor dem Hintergrund der bisherigen Forschung, so
kann aus den Ergebnissen folgende Entwicklungsreihenfolge abgeleitet werden:
Kinder verfügen zuerst über ein einfaches Wunschverstehen, erst nach dem Alter von 36
Monaten entwickeln sie auch ein repräsentationales Wunschverstehen und später als
dieses ein repräsentationales Überzeugungsverstehen. Diese Entwicklungsreihenfolge
kann im Einzelnen wie folgt begründet werden. Das einfache Wunschverstehen von
jungen Kindern wurde in dieser Studie nicht untersucht, es kann aber anhand von vielen
Studien als gesichert gelten, dass Kinder auch schon im Alter von drei Jahren über ein
einfaches Wunschverstehen verfügen (Repacholie & Gopnik, 1997; Perner, 1991a;
Wellman & Woolley, 1990). In Studie 2 wurden nur 16 Prozent der Wunschaufgaben
richtig gelöst. Dies zeigt, dass Dreijährige noch kaum über ein repräsentationales
Verständnis von Wünschen verfügen. Aus Studie 1 geht hervor, dass dieses bei Kindern
im Alter von 42 Monaten schon signifikant höher ist und im Verlauf von sieben
Monaten nochmals signifikant zunimmt bis zu einer Lösungshäufigkeit von 86 Prozent.
Deutlich später als das repräsentationale Wunschverstehen entwickelt sich das
repräsentationale Überzeugungsverstehen. So konnte zwischen Studie 2 und der ersten
Auswertungseinheit der Studie 1 keine signifikante Zunahme an Überzeugungsverstehen
verzeichnet werden. Erst zum Ende des Untersuchungszeitraumes der Studie 1 erreichte
das Überzeugungsverstehen etwa das Niveau des Wunschverstehens zu Beginn der
Studie. Somit kann geschlussfolgert werden, dass das Wunschverstehen schon in der
Altersspanne von 36 bis 42 Monten stark zunimmt, wohingegen dass
Überzeugungsverstehen in diesem Zeitraum gleich schwach bleibt und erst etwa sieben
6. Diskussion 120
Monate später ein vergleichbares Entwicklungsniveau erreicht wie zuvor das
Wunschverstehen.
Die Ergebnisse der beiden Studien lassen sich, wie bereits aufgezeigt, gut mit den
Vorhersagen des repräsentationalen Ansatzes verbinden. Perner (1991a) geht davon aus,
dass Kinder bis zum Alter von drei Jahren als Situationstheoretiker ein einfaches
Wunschverständnis haben, welches sich repräsentational erweitert, sobald die Kinder als
Repräsentations theoretiker auch Metarepräsentationen, also repräsentationale Relationen
verstehen. Unklar bleibt bei Perner (1991a) allerdings, ob dieses repräsentationale
Wunschverstehen ebenso schwer zu erreichen ist wie Überzeugungsverstehen. In der
vorliegenden Arbeit wurde aufgezeigt, dass Wünsche repräsentational einfachere
Konstrukte sind als Überzeugungen, da sie keine Wahrheitsbedingung beinhalten. Daher
wurde geschlussfolgert, dass das repräsentationale Verstehen von Wünschen einfacher
sein sollte als das repräsentationale Überzeugungsverstehen. Dies konnte anhand der
Ergebnisse der Studie 1 deutlich gezeigt werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit und die
daraus abgeleitete dreistufige Entwicklungsreihenfolge passen gut zu dem von Gopnik
und Meltzoff (1997) als Vertreter der Theorie-Theorie angenommenen
Entwicklungsverlauf. Sie gehen davon aus, dass Kinder mit 2,5 Jahren über ein
einfaches Wunschverstehen verfügen, bevor sie ein repräsentationales Wunschverstehen
entwickeln und anschließend Überzeugungsve rstehen erwerben.
The evidence suggests that children’s initial understanding of desire is
non-representational, a “drive” theory of sorts…. There is also
evidence, however, that representational aspects of desire, like
representational aspects of perception, are understood earlier than
similar aspects of belief. It seems that an understanding of the
representational character of desire, like a similar understanding of the
representational character of perception, underpins the child’s
acquisition of a more general representational account of belief (S.
157-158).
6. Diskussion 121
6.2 Das Verstehen eigener und fremder Wünsche und Überzeugungen
In beiden der im Rahmen dieser Arbeit vorgestellten Studien wurde sowohl das
Wunschverstehen als auch das Überzeugungsverstehen in Bezug auf den mentalen
Zustand einer anderen Person und den vergangenen eigenen mentalen Zustand
untersucht. Die Schwierigkeit des Verstehens eigener und fremder mentaler Zustände
spielt besonders in der Diskussion um Theorie-Theorie und Simulationstheorie eine
Rolle. So behaupten Vertreter der Theorie-Theorie, dass man nach Aussagen der
Simulationstheorie vorhersagen müsste, dass eigene mentale Zustände leichter zu
benennen sind als die fremder Personen. „It seems to us … , that a central prediction of
such a view would be that children’s understanding of their own minds, of their own
beliefs, desires, and so on, would consistently precede their understanding of the minds
of others” (Astington & Gopnik, 1991). Als Vertreter der Simulationstheorie
argumentiert Harris (1992) hingegen, dass auch von einem simulationstheoretischen
Standpunkt aus das Verstehen eigener vergangener mentaler Zustände ebenso schwierig
sein sollte wie das anderer Personen. Er geht davon aus, dass Kinder ihre eigenen
vergangenen mentalen Zustände in gleicher Weise simulieren müssen wie die mentalen
Zustände anderer Personen. Somit würde eine vergleichbare Schwierigkeit beim
Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände für die Theorie-Theorie sprechen und
auch für die simulationstheoretische Annahme von Harris (1992). Sollte das Verstehen
eigener mentaler Zustände leichter sein als das fremder, würde dies für die
Simulationstheorie, wie sie von den Theorie-Theoretikern gesehen wird, sprechen.
Unter Abschnitt 4.4.3 wurden die Daten bezüglich des Verstehens eigener und fremder
mentaler Zustände aus Studie 1 vorgestellt. Diese sollen hier nun in Hinblick auf die
theoretischen Annahmen diskutiert werden. Die Daten aus Studie 2 spielen bei dieser
Betrachtung keine Rolle, da sie aufgrund der niedrigen Lösungshäufigkeit aller
Aufgaben keine Aussagen über das Verhältnis des Verstehens eigener und fremder
mentaler Zustände erlauben. In Studie 1 konnte gezeigt werden, dass das Verstehen
fremder Überzeugungen signifikant schwerer war als das eigener vergangener
Überzeugungen und dass das Verstehen fremder Wünsche signifikant leichter war als
das eigener vergangener Wüsche. Die Ergebnisse zeigen somit ein Muster, welches von
keinem theoretischen Ansatz vorhergesagt wird. Dieses Muster entspricht in keiner
Weise der Theorie-Theorie, die davon ausgeht, dass das Verstehen eigener vergangener
6. Diskussion 122
mentaler Zustände vergleichbar schwer sein soll wie das mentaler Zustände anderer
Personen. Bezüglich des Überzeugungsverstehens konnte in Studie 1 das Muster
gefunden werden, welches laut Theorie-Theoretikern für die Simulationstheorie
sprechen soll. Das Muster bezüglich des Wunschverstehens spricht hingegen deutlich
gegen diese Annahme, da das Benennen eigener vergangener Wünsche schwieriger war
als das Benennen des Wunsches einer anderen Person.
Das im Rahmen dieser Arbeit gefundene Verhältnis des Verstehens eigener und fremder
Wünsche kann nur eingeschränkt interpretiert werden. Bei beiden Wunschaufgaben
(Conflicting-Desire und Neugier) wurde, um wie in der Studie von Moore et al. (1995)
eine möglichst hohe Vergleichbarkeit mit der False-Belief-Aufgabe zu erreichen, in der
ersten Testfrage nach dem Wunsch der anderen Person (Handpuppe) gefragt und erst die
zweite Testfrage bezog sich auf den eigenen vergangenen Wunsch des Kindes. Da im
Rahmen dieser Arbeit die Reihenfolge der Testfragen nicht variiert wurde, besteht die
Möglichkeit, dass die Ergebnisse bezüglich des Verstehens eigener und fremder
Wünsche durch die Reihenfolge der Testfragen beeinflusst sein könnten. Auch wenn der
im Rahmen der Durchführung gewonnene Eindruck nicht für einen
Konzentrationsverlust beim Beantworten der zweiten Testfrage spricht, sollte dies durch
das Variieren der Testfragenreihenfolge in zukünftigen Studien ausgeschlossen werden.
Auch das Verhältnis des Verstehens eigener und fremder Überzeugungen darf nur
vorsichtig interpretiert werden, da es möglicherweise durch die strukturellen
Anforderungen der Aufgaben beeinflusst worden sein könnte. Das Verstehen eigener
vergangener Überzeugungen wurde mittels Representational-Change-Aufgaben
erhoben, das Verstehen fremder Überzeugungen durch False-Belief-Aufgaben. Bei der
False-Belief-Aufgabe muss das Kind einer Geschichte mit mehreren Szenen folgen, bei
der Representational-Change-Aufgabe wird hingegen nur ein Objekt kurz dargeboten.
Somit ist anzunehmen, dass die False-Belief-Aufgaben strukturell eine höhere
Anforderung für die Kinder darstellen als die Representational-Change-Aufgaben.
Hinweise hierfür ergeben sich auch aus der Betrachtung der Lösungshäufigkeiten der
konsistenten Aufgaben (vgl. Abbildung 13). Bei diesen Aufgabenversionen, die keinerlei
Theory of Mind-Anforderungen beinhalten, schneidet die False-Belief-Aufgabe am
schlechtesten ab. Dies kann als Ausdruck ihrer höheren strukturellen Schwierigkeit
gewertet werden. Somit könnte auch diese höhere strukturelle Anforderung und nicht die
6. Diskussion 123
Tatsache, dass der mentale Zustand einer anderen Person benannt werden muss, für die
geringere Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgabe verantwortlich sein. Um
aussagekräftigere Ergebnisse über das Verhältnis des Verstehens eigner und fremder
Überzeugungen zu erhalten, empfiehlt es sich daher, die False-Belief-Frage, wie in
Studie 2 geschehen (RC-FB), auch bezüglich eines Objekts mit nicht erwartetem Inhalt
zu stellen. Somit kann, wie bei den Wunschaufgaben, anhand einer
Überzeugungsaufgabe sowohl das Verstehen eigener als auch das fremder mentaler
Zustände gemessen werden.
Durch die Reihenfolge der Testfragen und strukturellen Unterschiede der Aufgaben ist
wie bereits dargestellt bei der Interpretation der Daten eine gewisse Vorsicht geboten.
Dennoch handelt es sich bei den Ergebnissen zum Verstehen eigener und fremder
mentaler Zustände um sehr interessante Befunde. So zeigte sich ein Muster, das in dieser
Form von keinem theoretischen Ansatz angenommen wird. Es ist bemerkenswert, dass
es Kindern schwerer fällt, eigene vergangene, sich vom gegenwärtigen Wunsch
unterscheidende Wünsche zu benennen, als den unterschiedlichen Wunsch einer anderen
Person anzugeben, und dass sich die Aufgabenschwierigkeit bezüglich des mentalen
Zustandes Überzeugung umgekehrt darstellt.
Die vorliegende Arbeit liefert erstmals Hinweise darauf, dass sich das Verstehen eigener
und fremder mentaler Zustände bei Wünschen und Überzeugungen unterscheidet.
Besonders in Hinblick darauf, dass das Wunschverstehen bisher kaum untersucht wurde,
erscheint es viel versprechend, in zukünftigen Forschungsvorhaben anhand von
strukturell vergleichbaren Aufgaben mit variierter Testfragenreihenfo lge der hier
entwickelten Fragestellung grundlegend nachzugehen. Gesicherte Befunde zur Relation
des Verstehens von eigenen und fremden mentalen Zuständen und möglichen
Unterschieden zwischen Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen könnten ganz
neue Aspekte der Theory of Mind-Entwicklung aufzeigen.
6.3 Die Beeinflussbarkeit der Theory of Mind-Entwicklung durch Lernerfahrungen
Um Aufschluss über die der Theory of Mind zugrunde liegenden
Entwicklungsmechanismen zu erhalten, ist es von Interesse, die Sens ibilität des
Entwicklungsverlaufes gegenüber Lernerfahrungen genauer zu betrachten. Als
6. Diskussion 124
Modultheoretiker geht Fodor (1987) davon aus, dass die Fähigkeit zur Theory of Mind
angeboren ist und ihr somit kein Lernprozess zugrunde liegt. Harris (1992) beschreib t
Simulation als zentrale, der Theory of Mind zugrunde liegende Fähigkeit. Diese sei
seiner Meinung nach angeboren und entwickle sich durch Reifungsprozesse weiter
(Lillard, 1997). Vertreter der Theorie-Theorie nehmen an, dass es sich bei der Theory of
Mind um ein theorieartiges Wissenssystem handelt, welches durch Erfahrungen
ausgebaut und modifiziert wird. Somit geht die Theorie-Theorie explizit von der
Beeinflussbarkeit der Theory of Mind-Entwicklung durch Lernerfahrungen aus. Hierfür
spricht, dass in mehreren Studien gezeigt werden konnte, dass sich die Fähigkeit, Theory
of Mind-Aufgaben zu lösen, durch verschiedene Trainingsformen verbessern lässt
(Appleton & Reddy, 1996; Clements, Rustin & McCallum, 2000; Guajardo & Watson,
2002; Hale & Tager-Flusberg, 2003; Hülsken, 2001).
Die durch Trainingsstudien aufgezeigte Sensibilität der Theoy of Mind-Fähigkeit für
Lernerfahrungen, sowie die Annahme von Kuhn (1995), dass durch die mikrogenetische
Methode der untersuchte Entwicklungsverslauf beschleunigt wird, hätten erwarten
lassen, dass die in Studie 1 abgebildeten Entwicklungsverläufe durch das wiederholte
Darbieten vergleichbarer Aufgaben beschleunigt würde. Der Vergleich der
Untersuchungsgruppe mit der Kontrollgruppe zeigte zwar eine leichte Überlegenheit der
Untersuchungsgruppe gegen Ende des Untersuchungszeitraumes, dieser Unterschied
wurde aber nicht signifikant. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die
abgebildeten Entwicklungsverläufe durch die wiederholten Messungen dahingehend
beeinflusst wurden, dass sie sich deutlich von unbeobachteten Entwicklungsverläufen
unterscheiden. Auch die im Rahmen dieser Arbeit unberücksichtigt gebliebene Art der
Rückmeldung für die False-Belief-, Representational-Change- und Appearance-Reality-
Distinction-Aufgaben hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Entwicklungsverläufe.
Möglicherweise reichen allein das wiederholte Darbieten der Aufgaben und eine
einfache Rückmeldung nicht aus, um den Lernprozess bei den Kindern zu
beschleunigen. Hierfür sprechen auch die Ergebnisse der mikrogenetischen Studie zur
Theory of Mind-Entwickung von Amsterlaw und Wellman (submitted). Sie gaben einer
Gruppe von 12 Kindern in einem Zeitraum von drei bis vier Wochen zu sechs Terminen
Aufgaben vor. Bei der Hälfte der Aufgaben wurden die Kinder mit einer einfachen
Nachfrage aufgefordert, das Verhalten des Protagonisten zu erklären. Unter dieser
6. Diskussion 125
Bedingung konnte keine Theory of Mind-Entwicklung im Untersuchungszeitraum
abgebildet werden. Erst bei einer zweiten Gruppe von 12 Kindern, die innerhalb von
sechs Wochen an 12 Erhebungsterminen teilnahmen und die durch mehrere Nachfragen
des Versuchsleiters zu differenzierteren Überlegungen bezüglich jeder vorgegebenen
Aufgabe angeregt wurden, zeigte sich eine signifikante Zunahme der Lösungshäufigkeit.
Aus dem nicht-signifikanten Unterschied zwischen der Untersuchungsgruppe und der
Kontrollgruppe zum Ende des Untersuchungszeitraumes könnte geschlussfolgert
werden, dass Theory of Mind-Entwicklung wenig sensibel für Lernerfahrungen ist.
Angesichts der Ergebnisse von Trainingsstudien und der mikrogenetischen Studie von
Amsterlaw und Wellman (submitted) scheint es aber viel eher plausibel, dass das
wiederholte Vorgeben von Aufgaben und eine einfache Rückmeldung den Kindern keine
für die Beeinflussung der Theory of Mind-Entwicklung ausreichende Lernerfahrung
bieten. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass das wiederholte Vorgeben
von Theory of Mind-Aufgaben die kindliche Theory of Mind-Entwicklung nicht
beeinflusst. Somit können die in Studie 1 gefundenen Entwicklungsverläufe als
Ausdruck der normalen, nicht beschleunigten Entwicklung des Wunsch- und
Überzeugungsverstehens interpretiert werden.
6.4 Individualität der Entwicklungsverläufe
Bei der Betrachtung der Entwicklungsverläufe jedes einzelnen Kindes fielen besonders
die starken interindividuellen Unterschiede und die intraindividuelle Variabilität auf.
Bemerkenswerterweise ließ sich trotz der starken Unterschiedlichkeit ein Muster
erkennen, nach dem fast alle Kinder mehr Wunschaufgaben als Überzeugungsaufgaben
lösten. Somit konnte die Entwicklung eines repräsentationalen Wunschverstehens vor
der Entwicklung eines Überzeugungsverstehens auch in Hinblick auf die einzelnen
Entwicklungsverläufe bestätigt werden.
Durch das Verwenden eines Längsschnittdesigns konnte in Studie 1 gezeigt werden,
dass sich der meist mittels Querschnittstudien gefundene Alterstrend der Theory of
Mind-Entwicklung aus hoch individuellen Entwicklungsverläufen zusammensetzt. Dies
stimmt mit neueren Ansätzen der Entwicklungspsychologie überein, die individuelle
Verläufe von Entwicklungen annehmen (Siegler, 2002).
6. Diskussion 126
Es dürfte in der Entwicklungspsychologie eher die Regel als die
Ausnahme sein, dass sich Entwicklungsveränderungen bei
verschiedenen Individuen nicht nur im Zeitpunkt des Eintretens,
sondern auch in der Veränderungsrate, dem Niveau und der
Verlaufsform unterscheiden. Deshalb kann aus einer gemittelten
Gruppenkurve grundsätzlich nicht unmittelbar auf individuelle
Entwicklungsverläufe zurückgeschlossen werden. (Trautner, 2003)
Schwitzgebel (1999b) nimmt speziell für die Theory of Mind-Entwicklung eine starke
intraindividuelle Variabilität an: „...there will be a period, perhaps a rather protracted
one, during which we should expect inconsistency in the children’s response” (S. 285).
Jedes Kind befindet sich demnach eine Zeit lang in einer solchen Übergangsphase, in der
es noch nicht ganz versteht, dass Überzeugungen falsch sein können, aber schon etwas
Wissen über Missrepräsentationen hat. Schwitzgebel (1999b) geht davon aus, dass durch
eine solche Übergangsphase erklärt werden kann, weswegen sich in einigen Studien
schon eine frühere Theory of Mind-Kompetenz finden lassen konnte (Chandler, Fritz &
Hala, 1989; Sullivan & Winner, 1993), die sich in anderen Studien so nicht zeigte
(Moses & Flavell, 1990; Perner, Leekam & Wimmer, 1987). Auch Wellman et al.
(2001) weisen in ihrer Metaanalyse darauf hin, dass sich die Mittelwerte der
Querschnittsstudien vermutlich aus verschiedenen individuellen Entwicklungsverläufen
zusammensetzen, die nur durch Einzelfallbetrachtungen erkannt werden können.
Die Annahme einer graduellen Entwicklung der kindlichen Theory of Mind (Mitchell,
2003; Schwitzgebel, 1999a) findet Unterstützung durch die Ergebnisse von zwei
mikrogenetischen Stud ien, die beide Einzelfallbetrachtungen ermöglichen. Flynn,
O’Malley und Wood (2004) untersuchten in einer mikrogenetischen Studie den
Zusammenhang zwischen exekutiven Funktionen und False-Belief-Verstehen. Hierzu
legten sie 21 dreijährigen Kindern in einem Zeitrum von fünf Monaten an sechs
Terminen False-Belief- und Inhibitions-Aufgaben vor. Die Ergebnisse zeigten, dass die
meisten Kinder über gute exekutive Funktionen verfügten, bevor sie ein Verständnis für
False-Belief-Aufgaben entwickelten. Darüber hinaus zeigte sich, dass „understanding of
false belief progressed from consistent lack of understanding through a period of
unstable performance, during which some children failed tests that they had previously
passed” (Flynn et al., 2004, S. 103). Auch die Ergebnisse der mikrogenetischen Studie
6. Diskussion 127
von Amsterlaw und Wellman (submitted) zeigten sowohl interindividuell verschiedene
Entwicklungsverläufe als auch intraindividuelle Schwankungen bezüglich der
Lösungshäufigkeit der Theory of Mind-Aufgaben von Termin zu Termin. So fanden sie,
dass sich einige Kinder schon zu Beginn des Untersuchungszeitraumes bezüglich ihrer
Theory of Mind-Fähigkeit verbesserten und dieses Niveau beibehalten konnten. Andere
Kinder hingegen erreichten erst gegen Ende des Untersuchungszeitraumes eine
Verbesserung und einige zeigten überhaupt keine Entwicklung bezüglich ihrer Theory of
Mind-Fähigkeit.
Die im Rahmen allgemeiner entwicklungspsychologischer Überlegungen zu erwartende
und in den beiden beschriebenen mikrogenetischen Studien gefundene Individualität der
Entwicklungsverläufe konnte auch anhand der Einzelfallbetrachtungen in Studie 1 belegt
werden. Es ist somit wahrscheinlich, dass sich auch die vielen in Querschnittstudien zur
kindlichen Theory of Mind abgebildeten Entwicklungsverläufe aus interindividuell
unterschiedlichen Datenmustern zusammensetzten.
6.5 Erhebung des Wunschverstehens
Ziel dieser Arbeit ist es, die Entwicklung des Wunsch- und Überzeugungsverstehens
abzubilden. Dies wurde durch den Einsatz mehrerer Aufgabentypen realisiert. Bezüglich
des Überzeugungsverstehens konnte mit der False-Belief- und der Representational-
Change-Aufgabe auf zwei Aufgabentypen zurückgegriffen werden, die in der Theory of
Mind-Forschung einen weit verbreiteten Einsatz finden. Da das Wunschverstehen bisher
kaum untersucht wurde, konnten zur Erhebung desselben nur Aufgaben eingesetzt
werden, die bisher nur in einzelnen Studien Verwendung fanden und für die vorliegende
Arbeit teilweise weiterentwickelt werden mussten.
Die in dieser Arbeit eingesetzte Conflicting-Desire-Aufgabe entspricht der von Moore et
al. (1995) entwickelten Aufgabe. Wie unter Abschnitt 6.1 bereits beschrieben, fällt ein
differenzierter Vergleich der eigenen Ergebnisse mit denen von Moore et al. (1995)
aufgrund unterschiedlicher Altersangaben schwer. Insgesamt scheint aber die
Lösungshäufigkeit der Conflicting-Desire-Aufgabe in der Studie von Moore et al. eher
geringer zu sein als in der hier vorgestellten Studie 1. Der Einsatz der Conflicting-
Desire-Aufgabe muss besonders im Rahmen der Studie 2 als kritisch bewertet werden.
6. Diskussion 128
Die hohe Anzahl der „anderen Fehler“ spricht dafür, dass die Aufgabenstruktur für
Kinder im Alter von 36 Monaten zu schwer ist. Aus Studie 1 geht hervor, dass Kinder
im Alter von 42 Monaten nicht mehr von den strukturellen Schwierigkeiten des
Aufgabentyps überfordert sind. Dennoch muss angemerkt werden, dass im Rahmen der
Durchführung in einigen Fällen der Eindruck entstand, dass das Kind nicht in der Lage
war, der gesamten Aufgabenstruktur zu folgen. Der vor jedem interessierenden
Spieldurchlauf ausgeführte Probedurchlauf schien zum Verständnis der komplexen
Struktur des Spieles unerlässlich. Dies führte dazu, dass die Durchführung der
Conflicting-Desire-Aufgabe einen erheblich höheren Zeitaufwand erforderte als alle
anderen eingesetzten Aufgaben.
Als deutlich praktikabler erwies sich in beiden Studien der zweite Aufgabentyp zur
Erfassung des Wunschverstehens. Die hier als Neugier-Aufgaben bezeichnete Aufgabe
geht auf eine Arbeit von Gopnik und Slaughter (1991) zurück, die die Kinder nur nach
ihrem eigenen vergangenen Wunsch fragten. In der vorliegenden Arbeit wurde die
Aufgabe weiterentwickelt, so dass auch der Wunsch einer anderen Person (Handpuppe)
erhoben werden konnte. Die von Gopnik und Slaughter (1991) berichteten Ergebnisse
passen gut zu den in Studie 1 gefundenen Lösungshäufigkeiten der Neugier-eigen-
Aufgabe. Von den 12 von Gopnik und Slaughter (1991) untersuchten dreijährigen
Kindern lösten sechs (50%) die Aufgabe richtig, von den 12 vierjährigen Kindern gelang
dies schon 10 (83,3%). In Studie 1 wurde die Neugier-eigen-Aufgabe zu Beginn von den
etwa 42 Monate alten Kindern zu 55 Prozent gelöst und beim neunten Erhebungstermin
von den etwa 47 Monate alten Kindern zu 83 Prozent richtig gemacht. In den beiden hier
vorgestellten Studien erwies sich die Neugier-Aufgabe als rasch durchführbar und auch
schon für Kinder im Alter von 36 Monaten gut verständlich. Somit bietet sie aufgrund
ihrer einfacheren Struktur deutliche Vorteile gegenüber der Conflicting-Desire-Aufgabe.
Die Vernachlässigung der Untersuchung des Wunschverstehens in der Theory of Mind-
Forschung hängt möglicherweise mit dem Mangel an guten Wunschaufgaben
zusammen. Somit ist es besonders für weitere Forschung von Interesse, dass es gelungen
ist, im Rahmen dieser Arbeit durch die Weiterentwicklung der Neugier-Aufgabe eine gut
durchführbare Erhebungsmethode zu schaffen. Ein besonderer Vorteil der Neugier-
Aufgabe liegt in ihrer schnellen und für Kinder ansprechenden Durchführbarkeit. So ist
sie, wie in Studie 2 gezeigt werden konnte, problemlos auch schon von Kindern im Alter
6. Diskussion 129
von 36 Monaten zu bearbeiten. Bei der Conflicting-Desire-Aufgabe hingegen zeigten
sich gerade bei den jüngeren Kindern Schwierigkeiten aufgrund ihrer hohen
strukturellen Anforderung. Somit scheint insbesondere bei Kindern unter 42 Monten der
Einsatz der Conflicting-Desire-Aufgaben nicht empfehlenswert.
6.6 Betrachtung der Stichproben
Bezüglich beider Studien muss beachtet werden, dass es sich fast durchweg um
Entwicklungsverläufe von Kindern handelt, deren Eltern über ein eher hohes
Bildungsniveau verfügen. Unter Abschnitt 1.4.1 wurden Befunde bezüglich des
Einflusses des elterlichen Bildungsniveaus auf die Entwicklung der kindlichen Theory of
Mind vorgestellt. Forschungsergebnisse (Pears & Moses, 2003) sprechen am ehesten für
einen positiven Einfluss, so dass davon ausgegangen werden kann, dass Kinder von
Eltern mit einem hohen Bildungsniveau etwas früher zu einem Theory of Mind-
Verständnis kommen als Kinder von Eltern mit einem niedrigen Bildungsniveau.
Möglicherweise sind also die gefundenen Lösungshäufigkeiten in diesen Stichproben
etwas höher als bei einer bezüglich des Bildungsniveaus der Eltern repräsentativeren
Stichprobe. Dies sollte beim Vergleich der Daten mit Studien, die Kinder von Eltern mit
niedrigerem Bildungsniveau untersuchen, berücksichtigt werden. Bezüglich der
Fragestellungen dieser Arbeit spielt das hohe Bildungsniveau der Eltern keine Rolle, da
nur Unterschiede innerhalb der Stichproben betrachtet wurden. Auch wenn die Kinder
durch das hohe Bildungsniveau der Eltern möglicherweise einen Entwicklungsvorteil
haben, ist nicht davon auszugehen, dass sich dieser auf Entwicklungsverläufe des
Wunsch- und Überzeugungsverstehens oder des Verstehens eigener und fremder
mentaler Zustände unterschiedlich auswirkt. Vielmehr ist anzunehmen, dass die
Relationen zwischen den verschiedenen Verständnisbereichen unabhängig vom
Bildungsniveau der Eltern sind.
6.7 Fazit und Ausblick
Die vorliegende Arbeit untersuchte die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind in
einem breiteren Zusammenhang. So wurde erstmals in einer Längsschnittstudie die
Entwicklung des Überzeugungsverstehens und die Entwicklung des Wunschverstehens
6. Diskussion 130
abgebildet. Dies gelang durch die Weiterentwicklung und den Einsatz bisher wenig
verbreiteter Wunschaufgaben, von denen sich besonders die Neugier-Aufgabe als
praktikabel erwiesen hat. Durch den Vergleich der Entwicklungsverläufe von Wunsch-
und Überzeugungsverstehen ist es gelungen, Rückschlüsse auf einzelne theoretische
Erklärungsansätze der kindlichen Theory of Mind-Entwicklung zu ziehen, wobei die
Daten eher für den repräsentationalen Ansatz und weniger für den Ansatz der exekutiven
Funktionen sprechen. Darüber hinaus ließen sich anhand der Ergebnisse aus beiden
Studien Hinweise auf eine dreistufige Entwicklungsabfolge finden, die am ehesten durch
den Ansatz der Theorie-Theorie zu erklären ist.
Die in Studie 1 gefundene Unterschiedlichkeit hinsichtlich des Verstehens eigener und
fremder Wünsche und Überzeugungen stellt auch bei vorsichtiger Interpretation ein
interessantes Ergebnis dar, welches bei Bestätigung durch weitere Forschung viel
versprechende Impulse für die Theory of Mind-Forschung liefern könnte.
Durch die in Anlehnung an ein mikrogenetisches Forschungsdesign erreichte
Längsschnittlichkeit der ersten Studie konnten die Entwicklungsverläufe der einzelnen
Kinder betrachtet werden. Hierbei zeigte sich, wie auch bei den gemittelten Daten, dass
Wunschverstehen deutlich leichter fällt als Überzeugungsverstehen. Besonders
bemerkenswert ist die starke intra- und interindividuelle Variation der einzelnen
Entwicklungsverläufe. Hieraus lässt sich die Überlegung ableiten, dass alle Kinder zwar
am Ende der Theory of Mind-Entwicklung über vergleichbare Fähigkeiten verfügen,
diese aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise erwerben. Möglicherweise greifen
somit alle Erklärungsansätze, die von einer klar beschriebenen Entwicklungsursache
ausgehen, zu kurz und es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass Kinder durch
unterschiedliche, individuelle Strategien zu einem umfassenden Theory of Mind-
Verständnis gelangen.
Um den Ursachen der kindlichen Theory of Mind-Entwicklung ein Stück näher zu
kommen, scheint eine Erweiterung des Forschungsfeldes in zweierlei Hinsicht sinnvoll.
Zum einen könnten durch das Aufheben der Fokussierung auf das
Überzeugungsverstehen und durch Erweiterung des Forschungsinteresses bezüglich der
Entwicklung des Verstehens anderer mentaler Zustände wichtige Hinweise auf die
Entwicklung einer umfassenden Theory of Mind gewonnen werden. Zum anderen
6. Diskussion 131
könnten wie bereits erwähnt neue Impulse aus der Untersuchung des Verstehens eigener
und fremder mentaler Zustände gewonnen werden.
Literaturverzeichnis 132
Literaturverzeichnis
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Anhang 142
Anhang
False-Belief-Aufgaben
Die Aufgaben wurden in Form von Bildergeschichten oder mit Püppchen gespielten
Szenen vorgegeben. Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem
Protokollbogen der False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“ (siehe Abbildung 5).
Inkonsistente Aufgaben:
1. Elster und Brille
Herr Schmidt legt seine Brille und die Zeitung auf seinen Gartentisch und geht
ins Haus, um zu telefonieren. Derweil nimmt eine Elster seine Brille unter der
Zeitung hervor und legt sie in ihr Nest. Herr Schmidt kommt wieder in den
Garten und will weiterlesen. Wo wird er seine Brille suchen?
2. Im Zoo
Im Zoo sieht Paule die Elefanten in ihrem Gehege. Dann geht sie zu den
Seehunden. Derweil werden die Elefanten in ihr Ele fantenhaus gebracht. Paula
möchte nun noch mal die Elefanten sehen. Wo wird sie hingehen?
3. Juliane im Schuhgeschäft
Julianes Mutter probiert Schuhe an. Juliane spielt im Spielzimmer des
Schuhgeschäftes. Dann geht sie auf die Toilette. Die Mutter hat die Schuhe
bezahlt. Wo wird sie Juliane suchen?
4. Annas Puppe
Anna legt ihre Puppen in ihr Bett und geht in den Garten. Ihr Bruder kommt ins
Zimmer, spielt mit der Puppe und legt sie in den Schrank. Anna will nun wieder
mit der Puppe spielen. Wo wird sie die Puppe suchen?
5. Das Meerschwein
Jakob sieht das Meerschwein in sein Häuschen gehen. Er geht ins Haus und holt
Anhang 143
Salat für das Meerschwein. Derweil kommt Monika und nimmt das Meerschwein
mit ins Auto. Jakob kommt mit dem Salat. Wo wird er das Meerschwein suchen?
6. Heike bastelt eine Angel
Heike findet eine Schnur und möchte daraus eine Angel basteln. Sie lässt die
Schnur hinter einem Busch liegen und sucht einen Stock. Derweil kommt eine
Katze und nimmt die Schnur mit in ihr Körbchen. Heike hat einen Stock
befunden. Wo wird sie die Schnur suchen?
7. Max und die Schokolade
Max legt die Schokolade in den blauen Schrank, dann geht er hinaus. Die Mutter
nimmt die Schokolade und legt sie in den roten Schrank. Nun kommt Max
wieder. Wo wird er die Schokolade suchen?
8. Wo sind die nassen Schuhe?
Kathrin stellt ihre nassen Schuhe ins Regal und geht duschen. Derweil nimmt ihr
Hund die Schuhe und legt sie unter den Sessel. Kathrin will die Schuhe nun
trocknen. Wo wird sie die Schuhe suchen?
9. Das blaue Haus
Michael will seine Oma besuchen, die im blauen Haus wohnt. Auf dem Weg
spielt er mit einer Katze. Derweil geht die Oma in das braue Haus. Wo wird
Michael seine Oma suchen?
10. Die Erzieherin hat Schnupfen
Die Erzieherin sagt zu Jannis, dass sie am nächsten Tag ins Schwimmbad gehen
werden. Am nächsten Tag hat die Erzieherin Schnupfen und möchte mit den
Kindern lieber turnen. Was wird Jannis einpacken, sein Schwimmzeug oder sein
Turnzeug?
Anhang 144
Konsistente Aufgaben
1. Das Pferd
Andrea besucht das Pferd im Stall. Dann geht sie zum Mittagessen ins Haus.
Dann sieht sie, wie der Bauer das Pferd auf die Weide bringt. Wo wird sie das
Pferd suchen?
2. Peter hat Geburtstag
Peter lädt Kinder zu seinem Geburtstag ein und bittet sie nicht Hausschuhe,
sondern Gummistiefel mitzubringen. Lisa ist an dem Tag krank und hat nicht
gehört, dass sie Gummistiefel mitbringen soll. Peter ruft Lisa an und sagt ihr,
dass sie Gummistiefel mitbringen soll. Was packt Lisa ein, Gummistiefel oder
Hausschuhe?
3. Mark ist beim Arzt
Beim Arzt hat Mark seine Jacke ausgezogen und über den Stuhl gehängt. Die
Frau, die bei dem Arzt arbeitet, sagt Mark, dass sie seine Jacke an die Garderobe
hängt. Wo wird Mark seine Jacke suchen?
4. Besuch bei Oma
Stefanie fährt zu ihrer Oma und möchte ihr Fahrrad mitnehmen. Die Oma ruft an
und sagt, dass es bei ihr schneit und dass man nicht mit dem Fahrrad, sondern
nur mit dem Schlitten fahren kann. Was wird Stefanie einpacken, ihr Fahrrad
oder ihren Schlitten?
5. Maus und Käse
Die Maus legt den Käse in die blaue Schublade. Dann geht sie in ihr Mauseloch.
Eine andere Maus holt den Käse heraus, knabbert daran und legt ihn wieder in
die blaue Schublade. Nun kommt die erste Maus aus ihrem Mauseloch. Wo wird
sie den Käse suchen, in der blauen oder in der roten Schublade?
6. Der Sonntagsspaziergang
Tanja geht mit ihrem Vater zum Bäcker. Die Sonne scheint. Dann frühstücken
sie. Jetzt wollen sie einen Spaziergang machen. Sie schauen aus dem Fenster. Es
hat angefangen zu regnen. Was ziehen sie an, Regenjacken oder Sonnenhüte?
Anhang 145
7. Herr und Frau Müller beim Einkaufen
Frau Müller geht in den Hutladen. Sie kauft sich einen Hut. Dann geht sie in den
Gemüseladen. Ihr Mann auf der anderen Straßenseite sieht, dass sie in den
Gemüseladen geht. Wo wird er sie suchen?
8. Die Katze im Zelt
Susanne spielt mit ihrer Katze im Zelt. Dann geht sie auf die Wiese und riecht an
einer Blume. Sie sieht, dass die Katze hinter den Berg läuft. Wo wird sie die
Katze suchen?
9. Auf dem Spielplatz
Maria ist mit ihren Freunden auf dem Spielplatz. Sie wollen in dem Häuschen
spielen. Maria geht zu ihrer Mutter auf der Bank, um etwas zu trinken. Sie sieht,
dass ihre Freunde in den Wald gehen. Wo wird Maria ihre Freunde suchen?
10. Wir malen für das Sommerfest
Die Erzieherin bittet die Kinder, morgen ihre Holzfarben mitzubringen. Dann
sieht sie, dass es noch viele Holzfarben im Kindergarten gibt. Sie bittet die
Kinder ihre Wasserfarben mitzubringen. Was packen die Kinder am nächsten
Tag ein?
Anhang 146
Representational -Change-Aufgaben
Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem Protokollbogen der
Representational-Change-Aufgabe „Eierkarton“ (siehe Abbildung 6).
Inkonsistente Aufgaben
1. Nudelglas mit Nudeln darauf, das Haferflocken enthält
2. Eierkarton, der Tischtennisbälle enthält
3. Stifte-Box, die Salzstangen enthält
4. Vl beginnt ein Papier zu falten. Das Kind wird gefragt, was das wird, ein Flieger
oder ein Schiff. Dann wird das gebastelt, was das Kind nicht gesagt hat.
5. Aus einer Papphöhle schaut ein Wurm heraus. Dabei handelt es sich um einen
Mäuseschwanz.
6. Tüte Studentenfutter, die Taschentücher enthält
7. Von einem Bild ist nur ein Ausschnitt mit mehreren Blumen und zwei Bögen, die
wie ein Teil einer Blume aussehen, zu sehen. Beim Aufdecken des gesamten
Bildes zeigt es sich, dass es sich bei den Bögen um Ohren von einem Bären
handelt.
8. Tetra Pak Apfelsaft, das Konfetti enthält
9. Aus einer Stifteschachtel schauen zwei Stifte mit unterschiedlicher Länge hervor.
Der länger hervorschauende Stift ist aber kürzer, da sich unter ihm in der
Schachtel ein anderer kurzer Stift befindet.
10. Zwei Kerzen, die durch eine Verbindungshülle aussehen wie eine Kerze
Anhang 147
Inkonsistente Ersatzaufgaben
1. Benjamin Blümchen Kassettenhülle, die Luftballons enthält
2. Kleiner Kinderwagen mit Decke, unter der sich ein kleines Auto befindet
3. Wasserglas mit durchsichtigem Gel (sieht aus wie Wasser)
4. Bonbontüte, die Klammern enthält
5. Vl beginnt einen Halbkreis zu kneten. Das Kind wird gefragt, was das wird, ein
Pilz oder ein Regenschirm.
Konsistente Aufgaben
1. Apfel unter durchsichtiger Folie
2. Hundehütte, die einen Hund enthält
3. Vl beginnt einen Kreis zu malen. Das Kind wird gefragt, was das wird, eine
Sonne oder ein Schneemann. Das, was das Kind gesagt hat, wird gemalt.
4. Keksschachtel, die Kekse enthält
5. Bilderbuch, das Bilder enthält
6. Es gibt einen blauen und einen weißen Becher. Dem Kind wird gezeigt, dass sich
unter dem blauen Becher ein Männchen befindet. Die Becher werden leicht
bewegt. Das Kind soll sagen, wo sich das Männchen nun befindet.
7. Pflasterschachtel, die Pflaster enthält
8. In einer Röhre ist ein Frosch aus Plastik zu sehen.
9. Dem Kind werden drei Farbkreise gezeigt. Einer der Farbkreise wird in einen
Umschlag getan. Die beiden anderen liegen offen daneben. Das Kind wird
gefragt, welcher Farbkreis sich im Umschlag befindet.
Anhang 148
10. Dem Kind wird ein Stoffkätzchen gezeigt. Es wird gefragt, ob das Kätzchen hart
oder weich ist.
Konsistente Ersatzaufgaben
1. Plastikhund unter bunter Folie
2. Dem Kind werden eine Kugel und Wolle gezeigt. Die Kugel wird in einen Beutel
getan. Das Kind darf in den Beutel greifen und soll sagen, was sich darin
befindet.
3. Bild von zwei Mädchen, die Federball spielen. Zu Beginn ist abgedeckt, was das
eine Mädchen in der Hand hält.
4. Dem Kind werden ein kleines und ein großes Holzmännchen gezeigt und eine
Pappe, in der die Umrisse des kleinen Holzmännchens ausgeschnitten sind. Das
Kind soll sagen, welches Männchen durch das Loch passt.
Anhang 149
Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben
Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem Protokollbogen der
Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe „Pflasterstein“ (siehe Abbildung 7).
Inkonsistente Aufgaben
1. Unter einer rosa Folie wird ein aus weißem Papier ausgeschnittener Apfel
gezeigt.
2. Kerze, die aussieht wie ein Pflasterstein
3. Von einem Bild ist nur ein Ausschnitt zu sehen, der aussieht wie ein Auto. Beim
Aufdecken des gesamten Bildes zeigt sich, dass es sich bei dem „Auto“ um den
oberen Teil eines Schiffes handelt.
4. Von einem Bild ist nur ein Ausschnitt zu sehen, der aussieht wie ein Ball. Beim
Aufdecken des gesamten Bildes zeigt sich, dass es sich bei dem „Ball“ um eine
Mütze handelt.
5. Auf deinem Bild sind ein Junge und ein Mädchen zu sehen, die hinter einem
blickdichten Bretterzaun hervorschauen. Der Junge erscheint größer als das
Mädchen. Auf einem weiteren Bild ist zu sehen, dass der Junge auf einer Kiste
steht und kleiner als das Mädchen ist.
6. Auf Bilderkarten wird ein Kind gezeigt, das aussieht wie ein Mädchen, in
Wirklichkeit aber ein verkleideter Junge ist.
7. Marzipanstücke mit Zuckerhülle, die aussehen wie Steine
8. Gummiball, der aussieht wie ein Ei
9. Fester Stab, der, wenn er zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten und auf
und ab bewegt wird, biegbar aussieht
Anhang 150
10. Kleiner Würfel unter einer Lupe
Inkonsistente Ersatzaufgaben
1. Pappfigur, die mit langem Mantel und langen Haaren von hinten wie eine Frau
aussieht, in Wirklichkeit aber ein Mann ist.
2. Gerader Stab, der halb in Wasser getaucht wird und dadurch wie geknickt
aussieht
3. Pausenbrotdose, aus der es stark nach Zitrone riecht, die in Wirklichkeit aber ein
Knäckebrot (mit Zitronenaroma) enthält.
4. Kerze, die aussieht wie ein Schokoladenkuchen
5. Radiergummi, der aussieht wie ein Bleistift
Konsistente Aufgaben
1. Plastikfisch in leerem Glas
2. Ein Becher wurde aus einiger Entfernung gezeigt.
3. Ein aus Pappe ausgeschnittener Dackel in einer Hundehütte
4. Mehrere Bauklötze wurden gezeigt.
5. Münze in einer Schachtel mit Loch
6. Kleines Auto wurde aus einiger Entfernung gezeigt.
7. Kind konnte Kuscheltier unter einer Decke fühlen und musste angeben, ob es
weich oder hart ist.
Anhang 151
8. Dem Kind wurden ein Glas und ein Holzstück gezeigt. Unter einem Tuch wurde
mit einem Stab an das Glas geklopft. Das Kind musste sagen, ob gegen das Holz
oder das Glas geklopft wurde.
9. Hinter einem gegen Licht gehaltenen Papier wurde eine Schere gezeigt.
10. Dem Kind wurden ein Ball und ein Luftballon gezeigt. Der Luftballon wurde
unter einer Decke versteckt. Das Kind durfte fühlen und sagen, ob sich nun der
Ball oder der Luftballon unter der Decke befindet.
Konsistente Ersatzaufgaben
1. Dem Kind wird vorgemacht, wie eine Trillerpfeife und ein Heuler klingt. Dann
soll das Kind die Augen schließen und es wir nochmals in den Heuler geblasen.
Das Kind soll sagen, was das Geräusch erzeugt hat.
2. Dem Kind werden eine Murmel und ein paar Reiskörner gezeigt. Dann wird
verdeckt die Murmel in ein Filmdöschen getan, dieses wird geschüttelt. Das Kind
soll sagen, was sich in der Dose befindet.
3. Knopf in einer Schachtel mit Loch
4. Kleine Büroklammer in einer Schachtel mit Loch. Davor liegen eine große und
eine kleine Büroklammer. Das Kind soll angeben, wie groß die Büroklammer in
der Schachtel ist.
Anhang 152
Neugier-Aufgaben
Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem Protokollbogen der Neugier-
Aufgabe „Die zwei kleinen Schachteln“ (siehe Abbildung 9).
1. Zwei kleinen Schachteln
2. zwei Tücher
3. Zwei Tüten
4. Zwei Teedosen
5. Zwei Tupperdosen
Conflicting-Desire-Aufgaben
Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem Protokollbogen der Conflicting-
Desire-Aufgabe „Das Froschspiel“ (siehe Abbildung 8).
1. Das Froschspiel
2. Das Fischspiel
3. Das Katzenspiel
4. Das Bärenspiel
5. Das Hundespiel