161
Zur Entwicklung des Verstehens von Wünschen und Überzeugungen: Elemente der kindlichen Theory of Mind Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. vorgelegt von Julia Kern aus Groß-Gerau Sommersemester 2005

Dissertation

  • Upload
    fil

  • View
    9

  • Download
    0

Embed Size (px)

DESCRIPTION

final work of study in the field of edu

Citation preview

Page 1: Dissertation

Zur Entwicklung des Verstehens von Wünschen und

Überzeugungen: Elemente der kindlichen Theory of Mind

Inaugural-Dissertation zur

Erlangung der Doktorwürde der Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät

der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.

vorgelegt von Julia Kern

aus Groß-Gerau

Sommersemester 2005

Page 2: Dissertation

Dekan: Prof. Dr. Hans Spada Erstgutachter: Prof. Dr. Hans Spada Zweitgutachter: Prof. Dr. Michael Charlton Drittgutachter: Prof. Dr. Alexander Renkl Tag der Disputation: 11. Juli 2005

Page 3: Dissertation

Dank I

Dank

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen meiner Tätigkeit in dem DFG-

Forschungsprojekt „Die Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern:

Mikrogenetische Studie und Computermodellierung“ von Dr. Stefan Wahl in der Zeit

vom Januar 2003 bis zum Dezember 2004 am Psychologischen Institut der Albert-

Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.

Mein großer Dank gilt Prof. Dr. Hans Spada für seine wertvolle und zielführende

Unterstützung beim Zustandekommen dieser Arbeit.

Ganz besonders danken möchte ich auch Dr. Stefan Wahl für seine engagierte Betreuung

und für zahlreiche hilfreiche Gespräche und Kommentare, von denen ich in vielfacher

Hinsicht profitieren konnte.

Herzlich bedanken möchte ich mich bei den vielen Kindern, Eltern und Kindergärten,

ohne deren Mitarbeit diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Für die tatkräftige Hilfe bei der Projektdurchführung und Datenerhebung gilt Ellen

Rückert, Sonja Wahl, Katja Heyduck, Stefanie Büther, Carmen Heckmann, Jasmin

Karius und Julia Schmidt mein Dank.

Bedanken möchte ich mich weiterhin bei den vielen anderen Personen, die auf

unterschiedliche Weise zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben: Nikol Rummel,

Sabine Hauser, Hannah Swoboda, Miriam Bertholet, Anna Ertelt, Andrea Prager, Helene

Greubel, Christine Winkler, Ulrike Lüken und Sanna Einsele.

Bei Prof. Dr. Michael Charlton bedanke ich mich für die Übernahme der gutachterlichen

Tätigkeit.

Abschließend möchte ich mich von ganzem Herzen bei Jörg Heitz und meinen Eltern

Ursula und Rolf Kern für ihre vielfältige Unterstützung beim Zustandekommen dieser

Arbeit bedanken.

Page 4: Dissertation

Inhaltsverzeichnis II

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung 1

Abstract 3

Einleitung und Überblick 4

1 Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 8

1.1 Begriffsbestimmung 8

1.2 Die Entwicklung einer Theory of Mind in der Kindheit 12

1.2.1 Säuglingsalter 13

1.2.2 Vom 18. Monat bis drei Jahren 14

1.2.3 Das vierte Lebensjahr 16

1.3 Theory of Mind-Aufgaben 17

1.3.1 Die False-Belief-Aufgabe 17

1.3.2 Die Representational-Change-Aufgabe 18

1.3.3 Die Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe 19

1.4 Interindividuelle Unterschiede in der Theory of Mind-Entwicklung 21

1.4.1 Familiäre Rahmenbedingungen 21

1.4.2 Kognitive Faktoren 24

1.4.3 Soziales Verhalten 25

1.4.4 Entwicklungsstörungen 26

2 Erklärungsansätze 29

2.1 Fodor: eine Modultheorie 29

2.2 Theorie-Theorien 31

2.3 Die Simulationstheorie 37

2.4 Exekutive Funktionen Theorie 39

Page 5: Dissertation

Inhaltsverzeichnis III

3 Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 42

3.1 Die Relation von Wunsch- und Überzeugungsverständnis: verschiedene

theoretische Ansätze 42

3.2 Die Entwicklung des Verstehens von Wünschen: Stand der Forschung 44

3.3 Repräsentationale Unterschiede zwischen den mentalen Zuständen Wunsch und

Überzeugung 54

3.3.1 Repräsentationale Unterschiede zwischen der Conflicting-Desire- und False-

Belief-Aufgabe 57

3.4 Ableitung der Fragestellungen 61

4 Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 64

4.1 Rahmenbedingungen 64

4.2 Fragestellung und Hypothesen 65

4.3 Methode 67

4.3.1 Stichprobe 67

4.3.2 Material 68

4.3.2.1 Die klassischen Theory of Mind-Aufgaben 68

4.3.2.2 Die Wunschaufgaben 78

4.3.3 Versuchsplan 84

4.3.4 Durchführung 88

4.4 Ergebnisse 88

4.4.1 Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 88

4.4.2 Ergebnisse zu den einzelnen Aufgabentypen 91

4.4.3 Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände 97

4.4.4 Vergleichende Betrachtung der Kontroll- und Untersuchungsgruppe 101

4.4.5 Interindividuelle Unterschiede bezüglich der Entwicklungsverläufe von

Wunsch- und Überzeugungsverstehen 103

4.4.6 Zusammenfassung der Ergebnisse der 1. Studie 105

5 Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 107

5.1 Fragestellung und Hypothese 107

Page 6: Dissertation

Inhaltsverzeichnis IV

5.2 Methode 108

5.2.1 Die Stichprobe 108

5.2.2 Material 109

5.2.3 Design und Durchführung 110

5.3 Ergebnisse 110

5.3.1 Das Verhältnis von Wunschverstehen zu Überzeugungsverstehen 110

5.3.2 Vergleich der Lösungshäufigkeiten von Kindern im Alter von 36 und 42

Monaten 113

6 Diskussion 116

6.1 Das Verhältnis von Wunsch- zu Überzeugungsverstehen 117

6.2 Das Verstehen eigener und fremder Wünsche und Überzeugungen 121

6.3 Die Beeinflussbarkeit der Theory of Mind-Entwicklung durch Lernerfahrungen123

6.4 Individualität der Entwicklungsverläufe 125

6.5 Erhebung des Wunschverstehens 127

6.6 Betrachtung der Stichproben 129

6.7 Fazit und Ausblick 129

Literaturverzeichnis 132

Anhang 142

False-Belief-Aufgaben 142

Representational-Change-Aufgaben 146

Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben 149

Neugier-Aufgaben 152

Conflicting-Desire-Aufgaben 152

Page 7: Dissertation

Tabellenverzeichnis V

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Entwicklungsstadien des Repräsentationsverständnisses nach Perner (1991a)

13

Tabelle 2: Die drei klassischen Theory of Mind-Aufgaben 20

Tabelle 3: Theoretische Ansätze zur kindlichen Theory of Mind 43

Tabelle 4: Die Aufgaben 70

Tabelle 5: Vergleich False-Belief- und Conflicting-Desire-Aufgaben 79

Tabelle 6: Anzahl der Aufgaben 84

Tabelle 7: Abkürzungen der Aufgabenarten 85

Tabelle 8: Versuchsplan Untersuchungsgruppe 86

Tabelle 9: Versuchplan Kontrollgruppe 87

Tabelle 10: Relative Lösungshäufigkeit von Überzeugungs- und Wunschaufgaben 91

Tabelle 11: Verbesserung der Lösungshäufigkeit über die Zeit 93

Tabelle 12: Relative Lösungshäufigkeiten für Überzeugungs- und Wunschaufgaben 110

Tabelle 13: Anzahl der Lösungen je Aufgabetyp 112

Page 8: Dissertation

Abbildungsverzeichnis VI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die alltagspsychologische Theorie des Denkens (Astington, 2000)

11

Abbildung 2: Belief-desire-psychology nach Bartsch & Wellman 33

Abbildung 3: Repräsentationaler Unterschied von False-Belief- und Conflicting-Desire-Aufgaben

58

Abbildung 4: False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“ 71

Abbildung 5: Protokollbogen der False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“ 72

Abbildung 6: Protokollbogen der Representational-Change-Aufgabe „Eierkarton“

74

Abbildung 7: Protokollbogen der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe „Pflasterstein“

76

Abbildung 8: Protokollbogen der Conflicting-Desire-Aufgabe „Das Froschspiel

80

Abbildung 9: Protokollbogen der Neugier-Aufgabe „Die zwei kleinen Schachteln“

82

Abbildung 10: Lösungshäufigkeit von Überzeugungs- und Wunschaufgaben im Verlauf der 10 Termine

90

Abbildung 11: Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgabenarten im Verlauf der 10 Termine

92

Abbildung 12: Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgaben, alle Termine zusammengefasst

94

Abbildung 13: Lösungshäufigkeiten der konsistenten Aufgaben 96

Abbildung 14: Verlauf des Verstehens eigener und fremder mentaler Zustände

98

Abbildung 15: Lösungshäufigkeit für Aufgaben Überzeugung und Wunsch eigen und fremd

99

Abbildung 16: Entwicklungsverläufe von Kontrollgruppe und Untersuchungsgruppe

102

Abbildung 17: Entwicklungsverläufe einzelner Kinder 104

Page 9: Dissertation

Abbildungsverzeichnis VII

Abbildung 18: Lösungshäufigkeit der Aufgabentypen in der zweiten Studie und zur ersten Auswertungseinheit der ersten Studie

113

Page 10: Dissertation

Zusammenfassung 1

Zusammenfassung

Theory of Mind ist die Fähigkeit sich selbst und anderen mentale Zustände

zuzuschreiben. Als Kernkonzepte der Theory of Mind können Wünsche und

Überzeugungen verstanden werden. Sie ermöglichen es, Verhalten vorherzusagen. Die

Forschung zur Entwicklung der kindlichen Theory of Mind hat sich bisher hauptsächlich

mit dem Überzeugungsverstehen beschäftigt. Die Untersuchung des Wunschverstehens

blieb weitgehend unberücksichtigt. Ziel der vorliegenden Arbeit war die vergleichende

Betrachtung der Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen. Die

zentrale Hypothese der Arbeit lautete: Wunschverstehen ist einfacher als

Überzeugungsverstehen. Dies wurde aus der Darstellung der repräsentationale

Strukturen von Wunsch und Überzeugungen abgeleitet, bei der sich zeigte, dass

Wünsche repräsentational einfachere mentale Zustände sind als Überzeugungen.

Anhand der Daten zu dem Verhältnis der beiden Entwicklungsverläufe wurden nicht nur

die Hypothesen der eigenen Arbeit sondern auch Aussagen verschiedener theoretische

Ansätze zur Theory of Mind-Entwicklung überprüft.

Das Überzeugungsverstehen wurde mit der klassischen False-Belief- und

Representational-Change-Aufgaben erfasst. Die Erhebung des Wunschverstehens

erfolgte mit Aufgaben, die strukturell der False-Belief-Aufgabe glichen.

In einer Längsschnittstudie wurden 42 Kinder im Alter von 3,5 Jahren sieben Monate

lang zu zehn Terminen Wunsch- und Überzeugungsaufgaben vorgelegt. Es zeigte sich,

dass Wunsch- und Überzeugungsverstehen während des Untersuchungszeitraumes

signifikant zunahmen und dass Wunschverstehen signifikant leichter war als

Überzeugungsverstehen. In einer zweiten Studie wurde der Frage nachgegangen, wie

sich Wunsch- und Überzeugungsverstehen bei Kindern im Alter von 3 Jahren darstellt.

Hierzu wurden 41 Kindern zu einem Termin Wunsch- und Überzeugungsaufgaben

vorgelegt. Es zeigte sich, dass beide Aufgabentypen nur von sehr wenigen Kindern

gelöst werden konnten, wobei sich die Lösungshäufigkeit von Wunsch- und

Überzeugungsaufgaben nicht signifikant unterschieden. Die Ergebnisse der beiden

Studien sprechen für eine graduelle Entwicklung des Repräsentationsverständnisses. So

Page 11: Dissertation

Zusammenfassung 2

beginnen Kinder im Alter zwischen 3 bis 3,5 Jahren langsam die repräsentationale

Struktur von Wünschen zu verstehen und lösen mit 4 Jahren fast alle Wunschaufgaben.

Das Verstehen der Überzeugungsaufgaben beginnt erst im Alter von 3,5 Jahren und ist

mit 4 Jahren noch nicht umfassend entwickelt.

Page 12: Dissertation

Abstract 3

Abstract

Theory of mind is the ability to impute mental states to oneself and to others. There are

two core mental states which allow to determine human action: desires and beliefs. The

majority of research on the development of theory of mind in children has focused on

the development of belief understanding. There are only a few studies on children’s

understanding of desire. The aim of the present thesis was to study the relationship

between the development of desire and belief understanding. The main hypothesis was

that children understand desire before they understand belief, because the

representational structure of desire is easier.

Two studies were conducted to test the above hypothesis against the background of

different theoretical approaches to theory of mind.

In a longitudinal study standard false-belief tasks, representational-change tasks and

equivalently structured desire tasks were presented to 42 3.5-year-olds for ten times over

a period of seven months. Results showed an increase in performance on all tasks.

Further, the results showed that desire understanding is easier for the children than belief

understanding. In a second study the relationship between desire and belief

understanding in 3-year-olds was investigated. The same desire- and belief-tasks as in

the first study were presented to 41 children but just once. Results showed that 3-year-

olds are not able to solve these tasks.

The findings of this thesis suggest a gradual development of representational

understanding. Between 3 and 3.5 years children begin to understand the

representational structure of desire and almost all 4-year-olds are able to solve the

desire-tasks. Belief reasoning develops later. Between 3.5 and 4 years children only

begin to understand some aspects of the representational structure of beliefs.

Page 13: Dissertation

Einleitung und Überblick 4

Einleitung und Überblick

In den letzen Jahrzehnten wurde eine Vielzahl an Untersuchungen zur Entwicklung der

kindlichen Theory of Mind durchgeführt. Der Begriff wurde von Premack und Woodruff

(1978) wie folgt definiert: „An individual has a theory of mind if he imputes mental

states to himself and others“ (S. 515). Obwohl sich schon diese Definition auf mehrere

mentale Zustände bezieht, hat die bisherige Forschung vor allem die Entwicklung des

Überzeugungsverstehens untersucht. Mit dem Erwerb einer Theory of Mind lernen

Kinder aber nicht nur, dass Personen Überzeugungen haben, nach denen sie handeln,

sondern sie lernen auch, dass diese Handlungen durch Wünsche und Absichten motiviert

sind. Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit ist, ob im Verlauf der Entwicklung der

kindlichen Theory of Mind das Verstehen von Wünschen vor dem Verstehen von

Überzeugungen möglich ist. Dies könnte insofern plausibel sein, da Wünsche

repräsentational einfachere mentale Konstrukte sind als Überzeugungen. Wünsche

können als Einstellung (wollen, dass) gegenüber einer Proposition (es ist schönes

Wetter) verstanden werden. Sie haben keinen Bezug zur Realität, können also niemals

falsch sein. Auch Überzeugungen sind Einstellungen (denken, dass) gegenüber

Propositionen (es ist schönes Wetter). Darüber hinaus haben sie aber einen direkten

Bezug zur Realität, indem sie versuchen, sie abzubilden. Überzeugungen können somit

falsch sein, Wünsche nicht. Bei Überzeugungen handelt es sich daher um strukturell

schwierigere Repräsentationen als bei Wünschen.

Mehrere Theoretiker haben sich mit der Frage auseinander gesetzt, welcher

Mechanismus der Entwicklung der kindlichen Theory of Mind zugrunde liegt. So geht

Perner (1991a) als ein Vertreter der Theorie-Theoretiker von der Annahme aus, dass der

entscheidende Entwicklungsmechanismus das zunehmende Repräsentationsverständnis

ist. Er kommt somit zu der Vorhersage, dass sich Wunschverstehen vor

Überzeugungsverstehen entwickelt.

Eine ganz andere Erklärung liefert der Ansatz der exekutiven Funktionen. Exekutive

Funktionen sind hier als Handlungskontrolle zu verstehen und beinhalten unter anderem

die Fähigkeit, dominante Antworttendenzen zu hemmen. Vertreter dieses Ansatzes

gehen davon aus, dass eine Zunahme an exekutiven Funktionen dazu führt, dass im

Page 14: Dissertation

Einleitung und Überblick 5

Laufe der Entwicklung mehr Theory of Mind-Aufgaben gelöst werden können. Hierbei

spielt es keine Rolle, welche Art von mentalem Konstrukt (Wunsch, Überzeugung) die

Aufgaben beinhalten. Entscheidend ist nur die Höhe der exekutiven Anforderungen.

Dieser Ansatz kommt somit zu der Vorhersage, dass Wunschverstehen nicht vor

Überzeugungsverstehen auftritt, vorausgesetzt, zur Erhebung werden Aufgaben mit

vergleichbaren Anforderungen an exekutive Funktionen gestellt.

Zwei weitere theoretische Ansätze machen Aussagen über das Verhältnis der

Entwicklung von Wunschverstehen zur Entwicklung von Überzeugungsverstehen. So

geht Fodor (1987, 1992) in seiner Modultheorie davon aus, dass Wünsche vor

Überzeugungen verstanden werden, die Simulationstheorie (Harris, 1992) hingegen

nimmt wie der Ansatz der exekutiven Funktionen (Moore et al., 1995) an, dass der

Unterschied zwischen den mentalen Zuständen beim Erwerb der Theory of Mind keine

Rolle spielt.

Ziel dieser Arbeit ist es, den Verlauf der Entwicklung des kindlichen Wunschverstehens

im Vergleich zum Verlauf der Entwicklung des kindlichen Überzeugungsverstehens

abzubilden. Aus dem Verhältnis dieser beiden Entwicklungsverläufe können dann

Rückschlüsse auf die Richtigkeit von Annahmen einzelner theoretischer Ansätze

gezogen werden.

Die vorliegende Arbeit wurde ihm Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Die

Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und

Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine

breit angelegte mikrogenetische Studie zur Entwicklung der kindlichen Theory of Mind

(Wahl, 2002). Die mikrogenetische Methode zeichnet sich durch viele Messungen an

einer Stichprobe in einem relativ kurzen Zeitraum aus und zielt darauf ab, ganze

Entwicklungsperioden zu erfassen (Siegler & Crowley, 1991). Die hier vorliegende

Arbeit gliedert sich wie folgt:

Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung. Im ersten Kapitel wird

Theory of Mind als Wissen über mentale Zustände und ihre Auswirkungen auf

Handlungen definiert. Danach wird die Entwicklung der Theory of Mind vom

Säuglingsalter bis hin zum vierten Lebensjahr dargestellt. Anschließend wird ein

Page 15: Dissertation

Einleitung und Überblick 6

Überblick über drei klassische Aufgaben zur Erfassung der kindlichen Theory of Mind

gegeben. Nachdem der generelle Alterstrend der Entwicklung einer Theory of Mind

aufgezeigt worden ist, wird dargestellt, dass es durch bestimmte familiäre

Rahmenbedingungen, kognitive Faktoren und Entwicklungsstörungen zu

interindividuellen Unterschieden im Entwicklungsverlauf kommen kann.

Erklärungsansätze. Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über theoretische

Erklärungsansätze zur Entwicklung der Theory of Mind, wobei besonders die Aussagen

der einzelnen Theorien zur Entwicklung von Wunschverstehen und

Überzeugungsverstehen betrachtet werden. Dargestellt werden die Modultheorie von

Fodor (1987), die Simulationstheorie (Harris, 1992; Gordon, 1996), die Theorie der

exekutiven Funktionen (Russell, 1996), sowie die Theorie-Theorie (Bartsch & Wellman,

1995; Perner, 1991a), wobei hier ein besonderer Schwerpunkt auf den repräsentationalen

Ansatz von Perner gelegt wird.

Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen. In Kapitel drei wird

zunächst vergleichend dargestellt, zu welchen Vorhersagen die vier theoretischen

Erklärungsansätze bezüglich des Verhältnisses zwischen der Entwicklung des

Wunschverstehens und der Entwicklung des Überzeugungsverstehens kommen.

Anschließend wird ein Überblick darüber gegeben, was bisherige Forschungsergebnisse

über die Entwicklung des Wunschverstehens aussagen. Dann wird der für diese Arbeit

zentrale repräsentationale Unterschied zwischen Wunsch und Überzeugung anhand einer

Systematik von Schwitzgebel (1999b) genauer verdeutlicht. Die Aussage, dass Wünsche

repräsentational einfachere Konstrukte als Überzeugungen sind, wird in Bezug zu dem

theoretischen Ansatz der exekutiven Funktionen und Perners repräsentativem Ansatz

gesetzt und daraus die Fragestellungen der eigenen Arbeit abgeleitet.

Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen. In

Kapitel vier wird die im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Die Entwicklung der

naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und

Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) durchgeführte Studie dargestellt.

Nach der Beschreibung der Stichprobe, des Materials und der Durchführung werden die

Ergebnisse aufgezeigt. Hierbei wird zuerst auf die Entwicklungsverläufe von Wunsch-

und Überzeugungsverstehen eingegangen, bevor die Lösungshäufigkeiten einzelnen

Page 16: Dissertation

Einleitung und Überblick 7

Aufgabentypen betrachtet werden. Anschließend werden die Ergebnisse zum Verstehen

eigener und fremder mentaler Zustände sowie der Vergleich von Kontroll- und

Untersuchungsgruppe dargestellt. Darüber hinaus findet in diesem Kapitel auch eine

kurze Betrachtung individueller Unterschiede einzelner Entwicklungsverläufe statt.

Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten. Die

Kinder in Studie 1 waren zu Beginn im Durchschnitt 41,6 Monate alt. Sie verfügten

schon am Anfang der Studie über ein deut lich besseres Wunschverstehen als

Überzeugungsverstehen. Um zu erfassen ob sich dieses Differenz auch bei jüngeren

Kindern zeigt, wurde eine zweite Studie mit Kindern im Alter von 36 Monaten

durchgeführt. Diese wird in Kapitel fünf vorgesellt. Nachdem die Methode der Studie 2

beschrieben worden ist, werden zuerst die Ergebnisse bezüglich des Verhältnisses von

Wunsch- und Überzeugungsverstehen dargestellt und anschließend die Ergebnisse der

Studie 2 mit den Ergebnissen der Studie 1 in Verbindung gebracht.

Diskussion. Im letzten Kapitel der Arbeit werden die Ergebnisse zum Verhältnis von

Wunsch- zu Überzeugungsverstehen im Hinblick auf die Aussagen der theoretischen

Ansätze diskutiert, das Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände betrachtet,

Überlegungen zur Veränderbarkeit der Theory of Mind-Entwicklung durch

Lernerfahrungen dargestellt und die Individualität der einzelnen Entwicklungsverläufe

erörtert. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel auch die eingesetzten Aufgaben

bezüglich ihrer Durchführbarkeit kritisch betrachtet. Die Arbeit endet mit einem Fazit

und einem kurzen Ausblick bezüglich weiterer Forschung.

Page 17: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 8

1 Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung

In diesem Kapitel wird zuerst der Begriff Theory of Mind genauer definiert (1.1).

Anschließend wird ein Überblick über empirische Befunde zur Entwicklung der

kindlichen Theory of Mind gegeben (1.2) und es werden die gängigen Aufgabentypen

zur Erfassung des Überzeugungsverständnisses vorgestellt (1.3). Im Abschnitt 1.4.

werden interindividuelle Unterschiede bei der Entwicklung geschildert, wobei näher auf

den Einfluss der Familie, kognitive Faktoren, den Zusammenhang zwischen Theory of

Mind und Sozialverhalten sowie Entwicklungsstörungen eingegangen wird. Der in

diesem Kapitel dargestellte Verlauf der normalen Entwicklung sowie dabei auftretende

interindividuelle Unterschiede bilden die Befund lage, aus der theoretische

Erklärungsansätze zur kindlichen Theory of Mind entwickelt wurden. Einige dieser

theoretischen Erklärungsansätze, die Aussagen über Ursachen und Wirkmechanismen

der Entwicklung der Theory of Mind machen, werden dann im zweiten Kapitel

beschrieben.

1.1 Begriffsbestimmung

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Theory of Mind? Häufig wird er, als feststehende

Bezeichnung, auch im deutschen Sprachgebrauch eingesetzt und mit ToM abgekürzt.

Manche Autoren verwenden aber auch Begriffe wie „Theorie des Denkens“, „Theorie

des Geistes“, „Alltagspsychologie“ oder „naive Psychologie“. All diese Begriffe können

gleichbedeutend eingesetzt werden, in dieser Arbeit wird aber hauptsächlich der Begriff

Theory of Mind verwendet.

Was bedeutet nun aber Theory of Mind inhaltlich? Der Mensch, als soziales Wesen,

versucht, in seinem Alltag die Handlungen und Emotionen anderer Personen für sich

erklärbar zu machen, indem er wie ein Psychologe deren mentale Zustände

berücksichtigt: Erkennt er den Wunsch sowie die Überzeugung einer anderen Person,

kann er daraus ihre Handlung vorhersagen. Handlungen wiederum deutet er als Folge

bestimmter Überzeugungen, Wünsche und Absichten. Er verfügt also über eine

Alltagspsychologie, mit der er das Verhalten und Denken anderer Menschen für sich

Page 18: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 9

erklärbar machen kann. Die Forschung zu dieser naiven Psychologie wurde maßgeblich

durch einen Artikel von Premack und Woodruff (1978) beeinflusst. Sie gingen der Frage

nach, ob auch Schimpansen über eine Alltagspsychologie verfügen und prägten den

Begriff Theory of Mind, den sie wie folgt definieren:

An individual has a theory of mind if he imputes mental states to

himself and others. A system of inferences of this kind is properly

viewed as a theory because such states are not directly observable, and

the system can be used to make predictions about the behaviour of

others. (S. 515)

Premack und Woodruff behaupteten, dass Schimpansen eine Theory of Mind haben, weil

sie, nachdem sie eine Person in einer Problemsituation beobachtet hatten, aus zwei Fotos

häufiger dasjenige auswählten, welches die Lösung des Problems abbildete. Sie

schlossen daraus, dass die Schimpansen der Person anhand des beobachteten Verhaltens

bestimmte Absichten zuschrieben und somit mentale Zustände berücksichtigen. Infolge

dieser Behauptung schlugen einige Philosophen (Bennett, 1978; Dennett 1978; Harman,

1978) ein experimentelles Paradigma vor, welches zweifelsfrei zeigen soll, ob

Lebewesen über eine Theory of Mind verfügen und somit in der Lage sind, mentale

Zustände als handlungsleitend zu begreifen. Dieses Paradigma griffen die

Entwicklungspsychologen Wimmer und Perner auf und stellten in ihrem

richtungsweisenden Artikel von 1983 die inzwischen klassische False-Belief-Aufgabe

vor. Um sicher zu gehen, dass Kinder sich bei der Verhaltensvorhersage einer anderen

Person auf deren mentale Zustände beziehen und nicht auf die Realität, setzten sie

Aufgaben mit falschen Überzeugungen ein. Hierbei muss das Kind die (falsche)

Überzeugung der Person als handlungsleitend verstehen, kann sich also nicht einfach nur

an der tatsächlichen Situation orientieren. Die wohl bekannteste False-Belief-Aufgabe ist

die Geschichte von Maxi. In einer Bildergeschichte legt Maxi eine Schokolade in den

blauen Schrank und verlässt dann den Raum, um draußen zu spielen. Derweil legt die

Mutter die Schokolade in den grünen Schrank. Nun kommt Maxi wieder und will von

der Schokolade essen. Die Kinder, denen diese Aufgabe vorgelegt wird, werden gefragt,

wo Maxi die Schokolade suchen wird. Bemerkenswerterweise lösen Kinder erst ab etwa

vier Jahren diese Aufgabe richtig. Sie verstehen, dass Maxi dort suchen wird, wo er

fälschlicherweise die Schokolade vermutet. Nahezu alle Kinder unter dreieinhalb Jahren

Page 19: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 10

beantworten diese Frage jedoch falsch, d.h. sie sagen, dass Maxi dort suchen wird, wo

die Schokolade tatsächlich ist. Diese Ergebnisse sind inzwischen durch eine Vielzahl

weiterer Studien mit False-Belief-Aufgaben bestätigt worden (Wellman, Cross &

Watson, 2001).

In den letzten zwei Jahrzehnten ist das kindliche Verständnis mentaler Zustände unter

dem Begriff Theory of Mind zu einem wichtigen Forschungsgebiet innerhalb der

Entwicklungspsychologie geworden. Eine ganze Fülle an Artikeln, Büchern und

Dissertationen sind zu diesem Thema erschienen (für einen Überblick: Astington, 2000;

Flavell, 2000). Neben den False-Belief-Geschichten fanden noch zwei weitere

Aufgabentypen Einzug in die Theory of Mind-Forschung. Die Representational-Change-

Aufgaben untersuchen, ob das Kind eigene vergangene falsche Überzeugungen

repräsentieren kann (Gopnik & Astington, 1988). Bei den Appearance-Reality-

Distinction-Aufgaben müssen die Kinder zwischen dem Aussehen und der diskrepanten

Identität eines Objektes unterscheiden (Flavell, Flavell & Green, 1983). Die drei

inzwischen klassischen Aufgabentypen werden unter Abschnitt 1.3 ausführlich

dargestellt.

Der False-Belief- und der Representational-Change-Aufgabe ist gemeinsam, dass sie

jeweils das Verständnis von Überzeugungen, sei es von anderen Personen oder vom

Kind selbst, untersuchen. Auch wenn es andere Aufgaben, wie beispielsweise die

Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben gibt, die nicht das Verständnis von

Überzeugungen erfassen, hat doch eine klare Einschränkung des Forschungsfeldes auf

die Fragestellung, ab wann Kinder Überzeugungen verstehen, stattgefunden. Eine

umfassende Theory of Mind beinhaltet aber mehr mentale Zustände als nur

Überzeugungen. So bezeichnet Astington (2000) Überzeugungen und Wünsche als

mentale Kernkonzepte in der Theory of Mind, aus denen Handlungen vorhergesagt

werden können. Eine umfassende Theory of Mind, die Kinder ab dem vierten Lebensjahr

zu entwickeln beginnen und über die jeder gesunde erwachsene Mensch verfügt, ist das

Wissen über verschiedene mentale Zustände und ihre Wechselwirkungen mit

Wahrnehmungen und Handlungen. Eine Theory of Mind ermöglicht es, Verhalten

anderer Personen erklärbar zu machen und wird von Astington (2000) wie folgt

dargestellt:

Page 20: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 11

Triebe / Emotionen

Überzeugungen

Wahrnehmung

Intentionen

Handlungen

ErgebnisEreignisse in der Umwelt

Wünsche+

Triebe / Emotionen

Überzeugungen

Wahrnehmung

Intentionen

Handlungen

ErgebnisEreignisse in der Umwelt

Wünsche+

Triebe / Emotionen

Überzeugungen

Wahrnehmung

Intentionen

Handlungen

ErgebnisEreignisse in der Umwelt

Wünsche+

Abbildung 1: Die alltagspsychologische Theorie des Denkens (Astington, 2000)

Versucht eine Person die Handlungsweise einer anderen Person zu erklären, greift sie

auf ihr alltagspsychologisches Wissen zurück, was als Theory of Mind bezeichnet wird,

und folgende Inhalte umfasst: Durch die Wahrnehmung eines Ereignisses in der Umwelt

und durch Schlussfolgerungen gelangt eine Person zu Überzeugungen. Darüber hinaus

verfügt eine Person über Wünsche, die ausdrücken, was sie will. Um den Wunsch zu

befriedigen, bildet sich möglicherweise eine Intention zur Handlung, die abhängig ist

von der Überzeugung der Person, wie die Intention realisiert werden kann. Diese

wiederum kann zu einer Handlung führen, die ein Ergebnis in der Welt nach sich zieht.

Der Wunsch kann aber auch ohne Intention und Handlung befriedigt werden, indem das

Ergebnis in der Welt spontan eintritt.

Überzeugungen haben ihren Ursprung in der Umwelt und werden über Wahrnehmungen

vermittelt. Wünsche entwickeln sich zum einen aus Grundbedürfnissen und elementaren

physiologischen Überlebens- und Fortpflanzungstrieben und zum anderen aus

grundlegenden Emotionen sowie aus Emotionen, die das Ergebnis von früheren

Überzeugungen und Bedürfnissen sind. Häufig reicht es aus, die beiden Kernkonzepte

Überzeugungen und Wünsche zu berücksichtigen, um die Handlung einer Person

vorhersagen zu können. Weiß man beispielsweise, dass Maxi die Überzeugung hat, die

Schokolade sei im blauen Schrank und den Wunsch hat, die Schokolande zu essen, kann

man voraussagen, dass er die Schokolade im blauen Schrank suchen wird.

Page 21: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 12

Mentale Zustände sind also im Rahmen der Theory of Mind verschiedenartige

Konstrukte, die von Personen berücksichtigt werden, wenn sie Verhalten vorhersagen

oder erklären wollen. Eine Theory of Mind ist somit das Wissen einer Person über

mentale Zustände und deren Auswirkungen auf Handlungen. Die Forschung zur Theory

of Mind fokussiert gegenwärtig hauptsächlich die Entwicklung der kindlichen Theory of

Mind, indem sie untersucht, ab wann und auf welche Weise Kinder mentale Konstrukte

begreifen. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse zum Entwicklungsverlauf der

Theory of Mind werden im nächsten Abschnitt dargestellt.

1.2 Die Entwicklung einer Theory of Mind in der Kindheit

Die in diesem Abschnitt dargestellte Entwicklung der naiven Alltagspsychologie ist

eingeteilt in drei Entwicklungsstadien, erstens das Säuglingsalter, zweitens das Alter von

18 Monaten bis zu drei Jahren und drittens das Alter ab dem vierten Lebensjahr. Diese

Einteilung orientiert sich an Perners repräsentationalem Ansatz (1991a), der davon

ausgeht, dass der entscheidende Entwicklungsmechanismus der Theory of Mind das

zunehmende Repräsentationsverständnis ist. Die Entwicklung des

Repräsentationsverständnisses teilt er in drei Stadien ein (siehe Tabelle 1). Perners

repräsentationaler Ansatz wird unter 2.2 genauer dargestellt. Im folgenden Abschnitt

sollen nun die in einer Vielzahl von Studien gefundenen Entwicklungsschritte der

Kleinkinder hin zu einer umfassenden Theory of Mind nacheinander aufgezeigt werden.

Page 22: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 13

Tabelle 1: Entwicklungsstadien des Repräsentationsverständnisses nach Perner (1991a)

Entwicklungsstadium Repräsentationsleistung Altersbereich

Primäre Repräsentationen Im jeweiligen Augenblick das Wahrgenommene mental abbilden.

Säuglingsalter

Sekundäre Repräsentationen Sich von momentaner Wahrnehmung lösen und vergangene und hypothetische Situationen repräsentieren können.

ab etwa 18 Monaten

Metarepräsentationen Begreifen repräsentationaler Relationen, Verstehen, dass mentale Inhalte nicht direktes Abbild der Realität sind sondern durch Wahrnehmungen und Überlegungen vermittelt à Repräsentationen können sich ändern unabhängig von der Realität, Repräsentationen können falsch sein.

Beginn im vierten Lebensjahr

1.2.1 Säuglingsalter

Säuglinge verfügen über eine angeborene oder sehr früh erworbene Fähigkeit, die eine

wichtige Voraussetzung für soziales Lernen ist: sie erleben menschliche Gesichter,

Stimmen und Bewegungen als besonders interessante Stimuli. So entwickeln Säuglinge

bereits mit etwa einem halben Jahr die Fähigkeit, dem Blick einer anderen Person zu

folgen (Butterworth & Jarrett, 1991) und zu erkennen, was diese betrachtet. Zwischen

neun und zwölf Monaten verbessert sich die Fähigkeit zur triadischen Interaktion

(Interaktion zwischen Kind und Erwachsenem mit Bezug auf ein Objekt). Säuglinge

folgen dem Blick oder der Zeigegeste einer Person und beginnen selbst, die

Aufmerksamkeit einer Person durch Gesten auf bestimmte Objekte zu lenken. Diese

geteilte Aufmerksamkeit ist eine wichtige Form frühkindlicher Interaktion und

Kommunikation.

Weitere Befunde zeigen, wie früh Kinder schon aus dem Verhalten anderer Personen

lernen. So können sie von Anfang an die Stimme der Mutter von anderen weiblichen

Stimmen unterscheiden (Cooper & Aslin, 1989) und bereits in den ersten beiden

Lebensjahren verschiedene Gesichtsausdrücke erkennen (Nelson, 1987). Auch an

menschlichen Handlungen haben Säuglinge scheinbar ein großes Interesse. Sie sind

schon sehr früh in der Lage, Bewegungen von anderen Personen zu imitieren. Melzoff,

Page 23: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 14

Gopnik und Repacholi (1999) gehen davon aus, dass Imitation eine wichtige Grundlage

für die spätere Entwicklung einer Theory of Mind ist. Auch wenn ein Säugling seine

mentalen Zustände noch nicht bewusst reflektiert, so ist doch sicher, dass er mentale

Zustände hat und von Geburt an in soziale Interaktionen eingebunden ist. Nach Perner

(1991a) verfügt auch schon ein Säugling über primäre Repräsentationen, die es ihm

ermöglichen, die Welt so zu repräsentieren, wie er sie wahrnimmt, d.h. er ist in der Lage,

im Hier und Jetzt die Realität mental abzubilden.

1.2.2 Vom 18. Monat bis drei Jahren

Einen großen Entwicklungsschritt machen Kinder etwa im Alter von 18 Monaten. Sie

können jetzt nicht mehr nur primäre, sondern auch sekundäre Repräsentationen bilden

(Suddendorf, 1999). Dies ermöglicht ihnen, sich von der gegenwärtigen Wahrnehmung

zu lösen und vergangene, zukünftige und hypothetische Situationen, sowie mentale

Zustände anderer Personen zu repräsentieren.

Ab etwa 18 Monaten beginnen Kinder mit dem Symbolspiel, in dem sie fiktive Objekte,

Personen und Handlungen erfinden, die sie von der Realität unterscheiden können

(Leslie, 1987). Das Kind, das eine Banane aufhebt und hineinspricht wie in einen

Telefonhörer, spielt Telefonieren. Dabei löst es sich von der primären Repräsentation

der Banane und stellt sie sich als Telefonhörer vor (sekundäre Repräsentation), weiß

aber, dass die Banane kein Telefonhörer ist.

Während des zweiten Lebensjahrs beginnen Kinder Symbole und Zeichen zu

interpretieren und Sprache zu benutzen. Auch dieser Entwicklung liegt möglicherweise

die Fähigkeit, sekundäre Repräsentationen bilden zu können, zugrunde (Suddendorf,

1999). Als Indiz für ein sich entwickelndes Verständnis für mentale Zustände kann

gesehen werden, dass Kinder während des dritten Lebensjahres zunehmend

mentalistische Begriffe gebrauchen und über ihre Wünsche und Bedürfnisse sprechen

(Bartsch & Wellman, 1995).

Eine weitere Fähigkeit, die sekundäre Repräsentationen verlangt, ist das Erkennen des

Selbst im Spiegel, was Kindern ab etwa 18 Monaten möglich ist (Suddendorf, 1999). Bei

dem klassischen Test, der diese Fähigkeit überprüft, muss das Kind durch Erfahrungen

in der Vergangenheit wissen, wie sein Spiege lbild normalerweise aussieht (sekundäre

Page 24: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 15

Repräsentation) um realisieren zu können, dass das momentane Spiegelbild (primäre

Repräsentation) anders ist. Wenn das Spiegelbild zum Beispiel einen roten Punkt auf der

Stirn zeigt, wird das Kind diesen nur genauer untersuchen, wenn ihm die Diskrepanz,

zwischen dem, wie es selber normalerweise aussieht und wie es augenblicklich aussieht,

auffällt. In enger zeitlicher Verbindung mit dem Erkennen des Selbst entwickelt sich die

Fähigkeit zur Empathie. So zeigen Kinder, die sich selbst schon im Spiegel erkennen,

angesichts eines Missgeschicks einer anderen Person empathische Anteilnahme und

versuchen, dieser zu helfen (Bischof-Köhler, 1994).

Meltzoff (1995) zeigte, dass bereits im Alter von 18 Monaten einfache Intentionen

verstanden werden können. In einem Experiment wurde Kindern eine Person gezeigt,

die versuchte, eine Handlung durchzuführen, die ihr aber nicht gelang. Später imitieren

die Kinder die intendierte Handlung mit Erreichung des Ziels und nicht die beobachtete

fehlgeschlagene Handlung, d.h. sie hatten die Handlungsintention repräsentiert

(sekundäre Repräsentation) und nicht nur das direkt Beobachtete erinnert und

reproduziert.

Auch ein erstes Verständnis der Wünsche anderer Personen entwickelt sich mit etwa 18

Monaten. Zeigt eine Person deutliches Interesse an Broccoli, geben Kinder in diesem

Alter ihr den Teller mit Broccoli, obwohl sie selbst Kekse bevorzugen. 14 Monate alte

Kinder hingegen reichen der Person den Teller mit Keksen (Repacholi & Gopnik, 1997).

Mit zwei Jahren verstehen Kinder auch etwas davon, wie Wünsche Handlungen

bestimmen. Wellman und Woolley (1990) erzählten Kindern eine Geschichte, in der ein

Junge seinen Hasen finden wollte, um ihn mit zur Schule zu nehmen. Der Junge fand

entweder seinen Hasen oder er fand seinen Hund oder er fand nichts. Kinder ab zwei

Jahren wussten, dass der Junge im ersten Fall in die Schule gehen und in den beiden

anderen Fällen weiter suchen wird.

Mit zweieinhalb Jahren beginnen Kinder zu verstehen, dass eine Person etwas sehen

kann, was sie selbst nicht sehen können. Flavell nennt diese Entwicklungsstufe level 1

perspective taking (Flavell, Everett, Croft & Flavell, 1981). Kinder auf diesem Niveau

können erfassen, ob eine Person etwas sieht, sie verstehen aber noch nicht, dass eine

Sache von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Erst

Kinder auf dem level 2 perspective taking verstehen, dass es unterschiedliche

Page 25: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 16

Interpretationen der Realität gibt. Flavell et al. (1981) legten das Bild einer Schildkröte

auf den Tisch und fragten Kinder, wie der Versuchsleiter, der ihnen gegenüber saß, die

Schildkröte sehe: auf dem Kopf oder auf den Beinen stehend. Fast alle Dreijährigen

behaupteten der Versuchleiter sehe die Schildkröte wie sie selbst. Die Mehrheit der

Vierjährigen unterschied die beiden Perspektiven aber korrekt. Sie hatten schon einen

wichtigen Entwicklungsschritt gemacht, der im folgenden Abschnitt dargestellt wird.

1.2.3 Das vierte Lebensjahr

During the fourth year children seem to change quite dramatically in

the way they see the world, others, and themselves. Parents observe

that their children begin to make their own plans, have their own long-

term goals (such as what they will do when they grow up), recall what

one told them last week (especially when it contradicts today’s

explanation), consider other people’s minds, deceive and lie, restrain

themselves, start to read and to follow complex story lines, invent their

own stories (generating entirely novel scenarios), their own symbols,

and perhaps an imaginary friend, draw moral conclusions, and actively

ask why and what for in their attempts to make sense of the word.

(Suddendorf, 1999, S.234)

Was liegt dieser Entwicklung zugrunde? Welche neue Fähigkeit haben die Kinder

erworben? Perner (1991a) geht davon aus, dass Kinder während ihres vierten

Lebensjahres lernen, Metarepräsentationen zu bilden. Metarepräsentationen sind

Repräsentationen der repräsentationalen Relationen (Pylyshyn, 1978). Kinder verstehen

nun, dass Menschen nicht danach handeln, wie die Welt ist, sondern wie sie sie

repräsentiert haben. Sie begreifen Repräsentationen als Repräsentationen und verfügen

so über eine repräsentationale Theorie des Denkens.

Auch wenn einige theoretische Erklärungsansätze der Entwicklung der kindlichen

Theory of Mind nicht davon ausgehen, dass der entscheidende Entwicklungsschritt auf

der Fähigkeit Metarepräsentationen zu verstehen beruht, so ist doch unumstritten, dass

Kinder im vierten Lebensjahr lernen, dass Menschen nach ihren Überzeugungen handeln

und dass diese Überzeugungen falsch sein können. Dies spiegelt sich auch in den drei

Page 26: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 17

klassischen Theory of Mind-Aufgabetypen wieder, die im Folgenden genauer dargestellt

werden sollen, da sie auch in der eigenen Studie zum Einsatz gekommen sind.

1.3 Theory of Mind-Aufgaben

Werden die klassischen Theory of Mind-Aufgaben dreijährigen Kindern vorgelegt, sind

diese noch nicht in der Lage, sie zu lösen. Erst ab dem vierten Lebensjahr beginnen

Kinder zu begreifen, dass es zwei Perspektiven von ein und demselben Sachverhalt

geben kann. Das Unterscheiden von zwei Perspektiven liegt den drei klassischen Theory

of Mind-Aufgaben als gemeinsame Schwierigkeit zugrunde (siehe Tabelle 2).

1.3.1 Die False-Belief-Aufgabe

In der klassischen False-Belief-Aufgabe findet sich die Annahme wieder, dass Kinder

über eine Theory of Mind verfügen, wenn sie falsche Überzeugungen einer anderen

Person, also Missrepräsentationen verstehen. Die wohl bekannteste False-Belief-

Aufgabe ist die Geschichte von Maxi, die bereits unter Abschnitt 1 dargestellt wurde und

auf Wimmer und Perner (1983) zurückgeht.

Um dieses Aufgabenmuster bewältigen zu können, muss erstens

verstanden werden, dass epistemische Zustände in einem spezifischen

Sinne fehlrepräsentieren können, also Überzeugungen falsch sein

mögen, zweitens, dass auch falsche Überzeugungen handlungsleitend

sind, und zudem muss der Proband eine auf diesen Zuschreibungen

beruhende Tun-Prognose gegen sein eigenes Wissen des Ortes, an dem

sich die Schokolade tatsächlich befindet, vornehmen. (Dierstein, 1997,

S. 85-86).

Die False-Belief-Aufgabe ist nicht ohne Grund das meistgenutzte Verfahren zur

Messung der kindlichen Theory of Mind, denn sie bietet nennenswerte Vorteile. Die

Aufgabe ist für die Kinder in der Regel ansprechend und von der Handhabung her

einfach durchzuführen. In einer großen Meta-Analyse (Wellman, Cross & Watson,

2001) konnte gezeigt werden, dass zwar bestimmte Aufgabenvariationen dazu führen,

dass jüngere Kinder die Testfrage häufiger richtig beantworten, dennoch bleibt ein klarer

Page 27: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 18

Alterstrend bei den untersuchten False-Belief-Aufgaben bestehen. Die Mehrheit der

Kinder mit drei Jahren beantwortete die Testfrage „Wo wird Maxi nach der Schokolade

suchen?“ falsch, d.h. sie antworten so, als wisse Maxi über die Realität Bescheid. Die

Mehrheit der Kinder mit viereinhalb Jahren löste die Aufgaben richtig, indem sie

berücksichtigten, dass Maxi eine falsche Überzeugung hat. Mayes, Klin, Tercyak,

Cicchetti und Cohen (1996) führten eine Studie zur Reliabilität von False-Belief-

Aufgaben durch und kamen zu dem Ergebnis, dass die Aufgaben eine geringe Retest-

Reliabilität haben. In einer neueren Studie konnten Hughes, Adlam, Happe, Jackson,

Taylor und Caspi (2000) aber zeigen, dass False-Belief-Aufgaben in gutem Maße retest-

reliabel sind. Auch die Konstrukt-Validität der Aufgaben scheint gut zu sein, wurden sie

doch durch eine philosophische Analyse entwickelt, die festlegte, dass gerade Aufgaben

mit falschen Überzeugungen sicher stellen, dass Kinder sich bei der

Handlungsvorhersage auf mentale Zustände der handelnden Person und nicht auf die

Realität beziehen (Slaughter & Repacholi, 2003).

1.3.2 Die Representational -Change-Aufgabe

Eine zweite häufig eingesetzte Methode zur Erfassung der kindlichen Theory of Mind ist

die Representational-Change-Aufgabe. Hier soll sie deutlich von der False-Belief-

Aufgabe abgegrenzt werden, auch wenn dies nicht alle Autoren tun. Die beiden

Aufgaben unterscheiden sich wie folgt: Im Fall einer False-Belief-Aufgabe muss das

Kind die falsche Überzeugung einer anderen Person bei der Handlungsvorhersage

berücksichtigen, bei der Representational-Change-Aufgabe gilt es, eine eigene

vergangene falsche Überzeugung zu benennen. Eine bekannte Representational-Change-

Aufgabe ist die so genannte Smartieaufgabe (Gopnik & Astington, 1988). Hier werden

Kinder gefragt, was sie in einer Smartieschachtel vermuten, üblicherweise geben sie

Smarties an. Daraufhin wird die Schachtel geöffnet und dem Kind gezeigt, dass sie einen

Bleistift enthält. Anschließend wird die Schachtel wieder geschlossen und dem Kind

folgende Testfrage gestellt: „Was hast du gedacht, was da drin ist, bevor wir

hineingeschaut haben?“ Fast alle Dreijährigen antworten daraufhin „ein Bleistift“. Erst

mit vier Jahren beginnen Kinder, die eigene vorherige falsche Überzeugung anzugeben.

Durch den Einsatz einer Kontrollaufgabe konnten Gopnik & Astington (1988) zeigen,

dass nicht Gedächtnisprobleme die Ursache für die Schwierigkeiten der Kinder sind.

Page 28: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 19

Auch eine mögliche Tendenz des Kindes, nicht zugeben zu wollen, dass es zu Beginn

etwas Falsches angenommen hatte, kann laut Wimmer und Hartl (1991) als Ursache für

die Fehler ausgeschlossen werden.

Representational-Change-Aufgaben wie die Smartieaufgabe eignen sich auch, um

zusätzlich das Verständnis falscher Überzeugungen von anderen Personen zu

untersuchen (Hogrefe, Wimmer & Perner, 1986). Nachdem die Kinder nach ihrer

eigenen falschen Überzeugung gefragt wurden, kann durch eine zweite Testfrage

erhoben werden, was sie meinen, was jemand anderes in der Schachtel ve rmutet, der

noch nicht in sie hineingeschaut hat. Kinder unter vier Jahren antworten meistens, dass

die andere Person glaubt, dass der nicht erwartete Gegenstand (Bleistift) in der

Smartieschachtel ist. Diese Fragen beziehen sie auch auf die falsche Überzeugung einer

andern Person und können somit auch als False-Belief-Aufgaben verstanden werden.

Hughes et al. (2000) untersuchten unter dem Begriff Unexpected content first-order false

belief-Aufgabe die Retest-Reliabilität einer Representational-Change-Aufgabe und

kamen zu dem Schluss, dass sie mit einem Kappa-Wert von 0.29 nicht zufrieden stellend

retest-reliabel ist.

1.3.3 Die Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe

Der dritte klassische Aufgabentyp zur Erfassung der kindlichen Theory of Mind bezieht

sich auf die so genannte Appearance-Reality-Distinction. Hier wird erfasst, ob das Kind

zwischen der Identität oder Eigenschaft und dem diskrepanten Aussehen eines Objektes

unterscheiden kann. Dieser Aufgabentyp unterscheidet sich von den beiden anderen

dadurch, dass er nicht das Verständnis von Überzeugungen erfasst. Daher spielt die

Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe im Rahmen dieser Arbeit eine untergeordnete

Rolle.

Flavell, Flavell und Green (1983) setzten als erste Trickobjekte, wie beispielsweise eine

Kerze, die aussieht wie ein Apfel, ein. Bei dieser Aufgabe wird durch eine erste Frage

sichergestellt, dass das Kind das Objekt als Apfel wahrnimmt. Anschließend kann das

Kind das Objekt genauer untersuchen und feststellen, dass es sich um eine Kerze

handelt. Dann wird das Kind gefragt, wie das Objekt aussieht und was es wirklich ist.

Bei einer anderen Form der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe, die auch auf

Page 29: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 20

Flavell et al. (1983) zurückgeht, verändert sich die Eigenschaft eines Objekts.

Beispielsweise erscheint ein oranger Stift unter einer blauen Folie schwarz oder eine

Kaffeekanne durch eine Linse sehr klein. Die Mehrheit der Dreijährigen und noch viele

Vierjährige bewältigen die Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben nicht.

Im Unterschied zu den beiden anderen klassischen Theory of Mind-Aufgaben können

hier zwei Arten von Fehlern gemacht werden: der realistische und der

phänomenalistische Fehler. Bei Aufgaben mit Trickobjekten wie beispielsweise der

Apfelkerze machen Kinder häufiger den realistischen Fehler, sie nennen also die reale

Identität (Kerze), auch wenn sie nach dem Aussehen (Apfel) gefragt werden. Der

phänomenalistische Fehler hingegen tritt häufiger bei den Aufgaben auf, bei denen sich

scheinbar eine Objekteigenschaft ändert. Dem Objekt wird die Eigenschaft so

zugeschrieben, wie sie aussieht, das heißt die Kinder geben an, dass der orange Stift

schwarz aussieht und auch in Wirklichkeit schwarz sei. Erst mit Ende des vierten

Lebensjahres lösen die meisten Kinder die Aufgaben richtig, indem sie zwischen

„Wirklichkeit“ und „Schein“ unterscheiden.

Tabelle 2: Die drei klassischen Theory of Mind-Aufgaben

Aufgabentyp Erforderliche Repräsentationen Aufgabenbeispiel

False-Belief

- eigene richtige Überzeugung - falsche Überzeugung anderer Person

Maxi Bildergeschichte: - die Schokolade ist im grünen Schrank - die Schokolade ist im blauen Schrank

Representational-Change

- eigene vergangene falsche Überzeugung - eigene richtige Überzeugung

Smartieaufgabe: - Die Schachtel enthält Smarties

- die Schachtel enthält einen Bleistift

Appearance-Reality-Distinction

- Erscheinung - Identität

Apfelkerze: - sieht aus wie ein Apfel - ist eine Kerze

Betrachtet man die mit den verschiedenen Aufgabentypen erhobene Entwicklung der

kindlichen Theory of Mind zusammenfassend, ist ein klarer Alterstrend zu beobachten

(Wellman et al., 2001). So sind Kinder bis etwa zum vierten Lebensjahr naive Realisten,

die die Welt so, wie sie ihnen erscheint, für wahr halten. Sie gehen davon aus, „dass

Page 30: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 21

auch andere Personen in der gleichen Realität leben, also das gleiche wahrnehmen und

wissen wie sie selbst. Sie begreifen noch nicht, dass andere zum gleichen Sachverhalt

eine andere Meinung haben können. Es gibt für sie also nur eine einzige phänomenale

Welt, an der sie und andere gleichermaßen teilhaben“ (Bischof-Köhler, 2000. S. 11).

Erst im Lauf des vierten Lebensjahres entwickeln Kinder eine repräsentationale Theory

of Mind. Sie beginnen zu verstehen, dass mentale Zustände kein Abbild einer

allgemeinen Realität sind, sondern bei jeder Person individuell durch Wahrnehmung und

Denkprozesse entstandene Repräsentationen. Auch wenn alle gesunden Kinder

spätestens mit fünf Jahren über eine umfassende Theory of Mind verfügen (Garfield,

Peterson & Perry, 2001), gib t es dennoch Faktoren, die deren Entwicklung beeinflussen

und so zu interindividuellen Unterschieden führen. Auf diese interindividuellen

Unterschiede soll im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden.

1.4 Interindividuelle Unterschiede in der Theory of Mind-Entwicklung

Viele Forschungsbefunde zeigen, dass der klare Alterstrend der Entwicklung der

kindlichen Theory of Mind von verschiedenen interindividuellen Faktoren beeinflusst

sein kann. Eine Betrachtung dieser interindividuellen Unterschiede ist im Rahmen dieser

Arbeit von Interesse, da sich hierdurch Rückschlüsse auf die der kindlichen Theory of

Mind zugrunde liegenden Entwicklungsmechanismen ziehen lassen. In den folgenden

Abschnitten sollen die Auswirkungen interindividuell verschiedener Lebensbedingungen

der Kinder auf die Entwicklung ihrer Theory of Mind dargestellt werden, indem der

Zusammenhang zwischen dem Verständnis psychischer Vorgänge und familiären und

kognitiven Faktoren sowie Sozialverhalten dargestellt wird. Darüber hinaus soll kurz auf

die Entwicklung der Theory of Mind bei Kindern mit Entwicklungsstörungen

eingegangen werden.

1.4.1 Familiäre Rahmenbedingungen

Eine Theory of Mind ermöglicht, sich selbst und anderen mentale Zustände

zuzuschreiben und so eigenes und fremdes Verhalten erklärbar zu machen. Sie ist in

hohem Maße verbunden mit sozialer Interaktion und Kommunikation und bildet eine

wichtige Grundlage für das Verstehen sozialer Zusammenhänge. So wundert es nicht,

dass die Entwicklung einer Theory of Mind wiederum von bestimmten sozialen

Page 31: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 22

Einflussgrößen abhängig sein kann. In einer Vielzahl von Studien konnte gezeigt

werden, dass familiäre Rahmenbedingungen Auswirkungen auf den Verlauf der

kindlichen Theory of Mind-Entwicklung haben können.

Mehrere Untersuchungen über den Zusammenhang des sozioökonomischen Status der

Familie und der Theory of Mind des Kindes führten zu uneindeutigen Befunden. Cutting

und Dunn (1999) fanden einen moderaten positiven Zusammenhang zwischen dem

Bildungsniveau der Mutter und dem False-Belief- sowie Emotions-Verständnis des

Kindes, der sich in anderen Studien so aber nicht zeigte (Dunn, Brown, Slomkowski &

Tesla,1991; Ruffman, Perner & Parkin. 1999). Pears und Moses (2003) fanden, dass das

Bildungsniveau der Mutter ein starker Prädiktor für die Entwicklung der Theory of Mind

beim Kind ist, da es mit dem Verständnis von Wahrnehmung, Wünschen und Emotionen

korreliert. Sie geben zwei mögliche Erklärungen für diesen Zusammenhang an. Zum

einen könnte er indirekt durch die generell höhere kognitive Leistungsfähigkeit des

Kindes zustande kommen, zum anderen direkt dadurch, dass Mütter mit hohem

Bildungsniveau ihren Kindern häufiger und ausführlicher soziale Phänomene erklären

und somit ein frühes Verständnis fördern. Die berufliche Stellung des Vaters war in

einer Studie (Dunn et al., 1991) zwar verbunden mit dem Verstehen von Emotionen

nicht aber mit dem von False-Belief. Insgesamt wurde die Bedeutung der Väter in den

meisten Studien zur kindlichen Theory of Mind vernachlässigt.

Auch die Befundlage zum Einfluss der Geschwister auf die Entwicklung der kindlichen

Theory of Mind ist nicht eindeutig. So fanden Perner, Ruffman und Leekam (1994), dass

das kindliche Verständnis mentaler Vorgänge mit der Anzahl der Geschwister steigt,

unabhängig davon, wie alt diese sind. In einer anderen Studie zeigte sich jedoch, dass

nur ältere, nicht aber jüngere Geschwister einen positiven Einfluss auf Verstehen von

False-Belief-Aufgaben haben (Ruffman, Perner, Naito, Parkin & Clements, 1998). Ein

interessanter Befund stammt von Jenkins und Astington (1996). Sie fanden, dass der

Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Theory of Mind und der Anzahl der

Geschwister nur dann stark war, wenn die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes wenig

entwickelt waren. Möglicherweise kann das Vorhandensein von Geschwistern den

Einfluss langsamer Sprachentwicklung auf die Theory of Mind Entwicklung

kompensieren. Trotz einer Studie, die keinen Zusammenhang zwischen der

Geschwisterzahl und der Entwicklung der Theory of Mind finden konnte (Cutting &

Page 32: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 23

Dunn, 1999) sprechen einige Forschungsergebnisse für einen positiven Einfluss von

Geschwistern auf die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind. Diesen erklären

Meltzoff, Gopnik und Repacholi (1999) wie folgt: „...siblings provide children with rich

evidence about the mind and particularly about differences in mind. Remember that

much of what the children learn involves the differences between their own minds and

the minds of others.” (S. 37). Dass nicht nur das Vorhandensein von Geschwistern,

sondern auch deren Kommunikation untereinander entscheidend ist, zeigten Foote und

Holmes-Lonergan (2003). Sie brachten Kinder gemeinsam mit einem älteren

Geschwisterkind in eine Konfliktsituation und stellten fest, dass nur das Verwenden von

Argumenten, die das Interesse des anderen Kindes einbeziehen mit False-Belief-

Verstehen korreliert, nicht aber das Verwenden von nur auf sich selbst bezogenen

Argumente.

Auch das Kommunikationsverhalten innerhalb der gesamten Familien findet in Hinblick

auf die kindliche Fähigkeit zur Theory of Mind in vielen Studien Beachtung. So

korreliert die frühe Mutter-Kind-Kommunikation über Gefühle und mentale Zustände

positiv mit dem späteren kindlichen Verständnis psychischer Prozesse (Dunn et al.,

1991; Peterson & Slaughter, 2003), wobei es wichtig ist, dass sich die mentalen

Äußerungen der Mutter adäquat auf den mentalen Zustand des Kindes beziehen (Meins

et al., 2002). Auch das Verhalten der Mutter speziell in Konfliktsituationen scheint einen

Einfluss zu haben. Kinder, die häufig von ihren Müttern aufgefordert werden, die

Gefühle der anderen Person zu bedenken, haben ein besseres Überzeugungsverständnis

als Kinder, deren Mütter generell über die Konfliktsituation diskutieren, oder das Kind

ohne weitere Kommunikation bestrafen (Ruffman et al., 1999). Hughes, Deater-Deckard

und Cutting (1999) zeigten, dass das Verhalten der Eltern genauer in Bezug auf das

Geschlecht des Kindes differenziert werden muss. Sie fanden, dass die emotionale

Wärme der Eltern bei Mädchen mit dem Theory of Mind-Verständnis verbunden ist, bei

Jungen zeigte sich hingegen ein Zusammenhang zwischen dem disziplinarischen

Verhalten der Eltern und dem Verstehen von mentalen Zuständen.

Es wird deutlich, dass trotz eines generellen Alterstrends bei der Entwicklung einer

Theory of Mind interindividuelle Unterschiede auftauchen können, die möglicherweise

durch die sozialen Erfahrungen des Kindes bestimmt sind. Hieraus lässt sich der Schluss

ziehen, dass es sich bei der Entwicklung der kindlichen Theory of Mind nicht um einen

Page 33: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 24

rein genetisch angelegten Verlauf handeln kann, der sich unabhängig von

Umwelteinflüssen entfaltet. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die

alltagspsychologischen Fähigkeiten zumindest teilweise durch soziale Interaktion erlernt

werden. Wendet man sich nun von der sozialen Lebenswelt des Kindes ab und dessen

eigenen Fähigkeiten und Veranlagungen zu, taucht die Frage auf, inwiefern die

kognitive Leistungsfähigkeit in Zusammenhang mit der Entwicklung einer Theory of

Mind steht. In bisherigen Studien gefundene interindividuelle Unterschiede, die auf

kognitiven Faktoren beruhen, sollen nun im nächsten Abschnitt dargestellt werden.

1.4.2 Kognitive Faktoren

Der häufig vermutete Zusammenhang zwischen Theory of Mind und Intelligenz zeigte

sich in der Münchner Längsschnittstudie LOGIK nicht deutlich. Hier konnten emprisch

nur mäßige korrelative Zusammenhänge gefunden werden (Schneider, Perner, Bullock,

Stefanek, Ziegler, 1999). In weiteren Untersuchungen konnten jedoch Zusammenhänge

zwischen der kindlichen Theory of Mind und anderen kognitiven Fähigkeiten aufgezeigt

werden. Suddendorf und Fletcher-Flinn (1999) zeigten, dass das Lösen von False-Belief-

Aufgaben mit divergentem Denken und Kreativität korreliert. Taylor und Carlson (1997)

fanden einen Zusammenhang zwischen Theory of Mind und der Fantasie des Kindes.

Um die Bedeutung der Gedächtnisleistung beim Lösen von Theory of Mind -Aufgaben

beurteilen zu können, ist eine differenzierte Betrachtung sinnvoll. So wurde nur

zwischen verbalem Gedächtnis und False-Belief-Verständnis ein Zusammenhang

gefunden, nicht aber zwischen nonverbalem Gedächtnis und False-Belief-Verstehen

(Jenkins & Astington, 1996). Für alle Zusammenhänge zwischen Theory of Mind und

kognitiven Faktoren gilt, dass Kinder, die über ein hohes Verständnis mentaler

Vorgänge verfügen, auch höhere Ausprägungen der anderen kognitiven Faktoren

aufweisen. Der durch eine Vielzahl von Studien wohl am besten abgesicherte

Zusammenhang ist der zwischen Theory of Mind und Sprachfähigkeit (Cutting & Dunn,

1999; Jenkins & Astington, 1996; Ruffman, Slade, Rowlandson, Rumsey & Garnham,

2003). Was diesen Zusammenhang bewirkt ist nicht eindeutig geklärt, es ist aber

unwahrscheinlich, dass er nur durch die sprachlichen Anforderungen der Theory of

Mind-Aufgaben zustande kommt (Jenkins & Astington, 1996). Durch eine

Langzeitstudie gelang es Astington und Jenkins (1999), etwas über die Richtung dieses

Page 34: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 25

Zusammenhangs auszusagen. Sie fanden, dass die frühe Sprachfähigkeit das spätere

Theory of Mind -Verständnis vorhersagt, das frühere Theory of Mind -Niveau nicht aber

die spätere Sprachentwicklung. Diese Ergebnisse wurden durch eine Längsschnittstudie

von Lockl, Schwarz und Schneider (2004) bestätigt. Die Sprachfähigkeit scheint also

einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind zu haben.

1.4.3 Soziales Verhalten

In den vorherigen Abschnitten wurde deutlich, dass es beim Erwerb der kindlichen

Theory of Mind zu interindividuellen Unterschieden kommen kann. Was bedeutet dies

für das einzelne Kind? Wirken sich die Unterschiede zwischen den Kindern in deren

sozialer Lebenswelt aus? Besteht ein Zusammenhang zwischen der kognitiven Fähigkeit

zur Perspektivenübernahme und der sozialen Kompetenz des Kindes? Diese und

ähnliche Fragen wurden in neueren Studien untersucht, die somit zu der Forderung

passen, Zusammenhänge zwischen Theory of Mind und Verhalten in der realen Welt zu

erforschen (Dunn, 2000). Die Überlegung liegt nahe, dass Kinder durch ein besseres

Verständnis mentaler Zustände die Wünsche und Gedanken anderer Personen besser

verstehen und dies wiederum einen Einfluss auf ihre soziale Kompetenz hat (Keenan,

2003).

In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass eine bessere Theory of Mind-Fähigkeit

mit höherer sozialer Kompetenz und größerer Beliebtheit bei Gleichaltrigen

zusammenhängt (Capage & Watson, 2001; Slaughter, Dennis & Pritchard, 2002;

Watson, Nixon, Wilson & Capage, 1999), dass die Häufigkeit von gemeinsamer

Kommunikation beim Spielen mit einem Freund positiv mit False-Belief-Verstehen

korreliert (Slomkowski & Dunn, 1996) und dass das Vorhandensein einer stabilen

Freundschaft mit besserer Theory of Mind-Fähigkeit einhergeht (Peterson & Siegal,

2002). Bei all diesen Untersuchungen handelt es sich um Korrelationsstudien, so dass

keine Aussage über die Richtung des Zusammenhangs gemacht werden kann.

Möglicherweise führt besseres Theory of Mind-Verstehen zu höherer sozialer

Kompetenz. Es könnte aber auch sein, dass kompetente soziale Interaktion zu häufigerer

Kommunikation führt und so zum besseren Verstehen mentaler Zustände beiträgt. Einen

ersten empirischen Hinweis über die Richtung der Beeinflussung gibt die

Längsschnittstudie von Jenkins und Astigton (2000). Sie fanden, dass False-Belief-

Page 35: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 26

Verstehen zum ersten Messzeitpunkt das spätere Spielverhalten vorhersagt, das frühe

Sozialverhalten aber nicht die spätere Theory of Mind -Fähigkeit. Ein gutes Verständnis

mentaler Zustände scheint sich somit positiv auf das Sozialverhalten auszuwirken. Es

gibt aber auch Belege für ungünstige Zusammenhänge: Kinder, die früher eine

umfassendere Theory of Mind entwickeln, sind später empfindsamer gegenüber der

Kritik ihres Lehrers (Cutting & Dunn, 2002). Anführer von Gruppen, die andere Kinder

schikanieren, haben höhere Theory of Mind-Fähigkeiten als Mitläufer in der Gruppe oder

Opfer (Sutton, Smith & Swettenham, 1999). Der Zusammenhang zwischen Theory of

Mind und Sozialverhalten scheint demnach komplexer und vielschichtiger zu sein als

häufig angenommen.

1.4.4 Entwicklungsstörungen

Neben den eben beschriebenen interindividuellen Unterschieden normaler Kinder bei

der Entwicklung einer Theory of Mind finden sich massive Unterschiede zwischen

gesunden und entwicklungsgestörten Kindern. Dieser Sachverhalt ist nicht nur an sich

von Interesse, sondern er birgt auch die Möglichkeit, etwas über die grundlegenden

Entwicklungsmechanismen beim Erwerb einer Theory of Mind zu erfahren.

Autismus ist die im Zusammenhang mit Theory of Mind am häufigsten diskutierte

Störung. Es handelt sich hierbei um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die nach

ICD-10 dann vorliegt, wenn folgende drei Auffälligkeiten vor dem Alter von drei Jahren

auftreten: 1) Beeinträchtigung der reziproken sozialen Interaktion, 2) Beeinträchtigung

der Kommunikation und 3) stereotypes, repetetives Verhalten. Das auffälligste Symptom

ist die Unfähigkeit, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten. Was die

Beeinträchtigung der Kommunikation angeht, liegen sowohl ein Defizit bei der

Sprachentwicklung, als auch eine Beeinträchtigung der Fähigkeit, ohne Sprache zu

kommunizieren, vor. Autistische Kinder zeigen auch kein Symbolspiel. Ihr Umgang mit

Spielsachen ist geprägt von Wiederholungen und Zwangshandlungen (Astington, 2000).

Als erste zeigten Baron-Cohen, Leslie und Frith (1985), dass autistische Kinder mit

einem Intelligenzalter von mindestens vier Jahren nicht in der Lage waren, falsche

Überzeugungen zu repräsentieren, während die Kontrollgruppe, bestehend aus Down-

Syndrom-Kindern mit vergleichbarem Intelligenzalter, die Aufgaben wie normal

entwickelte Kinder löste. Infolge dieser Studie kam es zu einem regen Interesse an

Page 36: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 27

Autisten hinsichtlich ihrer Theory of Mind-Entwicklung. Happe (1995) betrachtete die

Ergebnisse von 27 Studien und fügte darüber hinaus die Befunde ihrer eigenen

Untersuchung hinzu. Sie entdeckte, dass Kinder mit Autismus ein höheres verbales

Intelligenzalter als normale Kinder erreichen müssen, um Theory of Mind-Aufgaben

lösen zu können. Mit einem verbalen Intelligenzalter von 3,5 Jahren lösten normale

Kinder 25 Prozent der Theory of Mind-Aufgaben, mit einem Intelligenzalter von 4,5

schon 80 Prozent. Autisten hingegen erreichen selbst bei einem Intelligenzalter von 9

Jahren nur eine Lösungswahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Interessanterweise sind

Autisten in der Lage, „Falsche-Fotografie-Aufgaben“ zu lösen. Hierbei wird eine

Situation fotografiert, z. B. eine Puppe in einem roten Kleid. Während das Foto

entwickelt wird, wird die Szene verändert (der Puppe wird ein grünes Kleid angezogen).

Dann wird das Kind gefragt, welche Farbe das Kleid auf dem Bild hat (Leekam &

Perner, 1991). Da Autisten diese Aufgabe lösen können, scheinen sie nicht generell mit

Repräsentationen Schwierigkeiten zu haben, sondern spezielle Defizite beim Verstehen

mentaler Repräsentationen aufzuweisen.

Ganz ähnliche Schwierigkeiten wie Autisten scheinen taube Kinder, die in einer

hörenden Familie aufwachsen, zu haben. Bei Theory of Mind-Aufgaben erreichen sie im

Vorschulalter etwa nur das Niveau von autistischen Kinder. Sie schneiden damit deutlich

schlechter ab, als taube Kinder die bei tauben Eltern aufwachsen. Diese unterscheiden

sich bezüglich des False-Belief-Verstehens nicht von normalen Kindern (Peterson &

Siegal, 1999; Woolfe, Want & Siegal, 2002). Was könnte für diese deutliche Diskrepanz

verantwortlich sein? Auch wenn hörende Eltern sich große Mühe geben, Zeichensprache

zu lernen, erreichen sie nicht das muttersprachliche Niveau von tauben Eltern. Die

meisten tauben Kinder mit hörenden Eltern erlernen Zeichensprache erst fließend, wenn

sie in die Schule kommen (Garfield et al., 2001). Durch diese verzögerte

Sprachentwicklung wird mit tauben Kindern hörender Eltern in der Vorschulzeit nur

wenig über mentale Zustände kommuniziert, das heißt die Kinder haben kaum

sprachlich vermittelte Erfahrungen mit Emotionen, Wünschen und Überzeugungen

anderer Personen gemacht (Peterson & Siegal, 1999). Allerdings erlangen auch taube

Kinder hörender Eltern ein umfassendes Verständnis von mentalen Vorgängen, wenn

ihre Kommunikationshäufigkeit und Sprachflüssigkeit im Lauf der Schulzeit zunimmt

(Garfield et al., 2001).

Page 37: Dissertation

1. Die kindliche Theory of Mind: Zum Stand der Forschung 28

Die Befunde zur Theory of Mind-Entwicklung bei Autisten, die Unterschiede zwischen

tauben Kindern aus hörenden Familien und tauben Kindern mit tauben Eltern, sowie die

Auswirkungen der sozialen Erfahrungen wie beispielsweise der Kommunikationsstil und

das Vorhandensein von Geschwistern innerhalb der Familie sehen Garfield et al. (2001)

als Belege für ihre Theorie über die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind.

„...ToM is jointly dependent upon language and social experience, and is produced by a

conjunction of language acquisition with children’s growing social understanding,

acquired through conversation and interaction with others.” (S. 494). Als entscheidende

Determinanten der Theory of Mind-Entwicklung sehen sie die soziale Interaktion und

Sprachentwicklung des Kindes. Der Ansatz bezieht explizit die soziale Welt mit ein, da

sie als entscheidender Faktor menschliche Kognitionen beeinflusst. In überzeugender

Form ist es Garfield et al. (2001) gelungen aus Befunden über interindividuelle

Unterschiede theoretische Überlegungen bezüglich der Wirkmechanismen der

Entwicklung der kindlichen Theory of Mind abzuleiten. Auch andere Autoren

beschäftigen sich intensiv mit den der Theory of Mind zugrunde liegenden

Entwicklungsmechanismen. So gibt es eine Reihe theoretischer Ansätze, die auf sehr

unterschiedliche Weise die Entstehung der Theory of Mind erklären. Einige dieser

theoretischen Ansätze sollen im nächsten Kapitel nun genauer betrachtet werden.

Page 38: Dissertation

2. Erklärungsansätze 29

2 Erklärungsansätze

Die bisher dargestellten empirischen Befunde über die Entwicklung der kindlichen

Theory of Mind sind weitgehend unbestritten. Zur Frage, auf welchem Mechanismus

diese Entwicklung basiert, gibt es derzeit aber unterschiedliche Positionen. In diesem

Kapitel werden einzelne Erklärungsansätze der Theory of Mind-Entwicklung

beschrieben. Ein Ziel dieser Arbeit ist es, die eigenen empirischen Ergebnisse in Bezug

zu diesen theoretischen Erklärungsansätzen zu setzen, wobei besonders das Verhältnis

von Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen im Mittelpunkt stehen wird. Daher

werden, die einzelnen Theorien hier hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt dieser

Fragestellung dargestellt. Zu Beginn (2.1) wird der Ansatz von Fodor (1987) als

Vertreter der „Modultheoretiker“ beschrieben. Abschnitt 2.2 beinhaltet die Sichtweise

der „Theorie-Theorie“, wobei dem repräsentationalen Ansatz von Perner (1991a) im

Rahmen dieser Arbeit besondere Aufmerksamkeit zukommt. Anschließend (2.3) werden

die „Simulationstheoretiker“ vorgestellt. Im letzten Abschnitt (2.4) wird ein Ansatz

beschrieben, der die Verbesserung der exekutiven Funktionen beim Kind als Ursache für

den Zuwachs an Theory of Mind-Kompetenz ansieht.

2.1 Fodor: eine Modultheorie

Der Ansatz von Fodor (1987, 1992) gehört neben den Theorien von Leslie (1994) und

Baron-Cohen (1991a) zu den Modultheorien. In seiner nativistischen Theorie geht Fodor

von angeborenen, genetisch programmierten Modulen als Grundlage der Theory of Mind

aus.

Here is what I would have done if I had been faced with this problem

in designing Homo sapiens. I wound have made a knowledge of

commonsense Homo sapiens psychology innate; that way nobody

would have to spend time learning it. … The empirical evidence that

God did it the way I would have isn’t in fact, unimpressive. (Fodor,

1987, S. 132)

Page 39: Dissertation

2. Erklärungsansätze 30

Was versteht man nun im Bereich der Theory of Mind-Entwicklung unter einem Modul?

„Der Begriff steht für einen neuronalen Mechanismus, auf dem die Kompetenz in einem

bestimmten psychologischen Bereich basiert.“ (Bischof-Köhler, 2000, S. 14). Nach

Fodor (1992) verfügen auch Säuglinge schon über die entsprechenden angeborenen

Module, die im Verlauf der Entwicklung keine qualitative Veränderung erfahren. Die

mit steigendem Alter eintretende Zunahme der Lösungshäufigkeit von Theory of Mind-

Aufgaben erklärt Fodor durch die Zunahme an informationsverarbeitenden Ressourcen.

Er geht davon aus, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene über zwei Heuristiken

verfügen mit denen sie das Verhalten anderer Personen vorhersagen können. Diese

Heuristiken lauten wie folgt:

Erste Heuristik (H1): Menschen werden so handeln, dass ihre Wünsche erfüllt werden.

Zweite Heuristik (H2): Menschen werden so handeln, dass ihre Wünsche erfüllt werden,

wenn ihre Überzeugungen zutreffend sind.

Nach Fodor verwenden dreijährige Kinder H1, wenn sie eine eindeutige

Verhaltensvorhersage ermöglicht. H2 setzen sie nur ein, wenn Verhalten nicht eindeutig

vorhergesagt werden kann.

Da mit zunehmendem Alter die Verfügbarkeit operationaler

Ressourcen steigt, können die älteren Kinder und Erwachsenen die

erhöhte Komplexität von H2 zugunsten einer höheren

Vorhersagegenauigkeit in Kauf nehmen. Sie verwenden H1 nur noch,

wenn sie denken, die Überzeugungen der anderen Person seien wahr.

Falls sie von einer falschen Überzeugung ausgehen oder über die

Wahrheit der Überzeugung nichts wissen oder unsicher sind,

verwenden sie H2. (Wichmann, 1995, S. 64)

Nach Fodor (1992) scheitern jüngere Kinder also an Theory of Mind-Aufgaben, weil sie,

immer wenn eine einfache Verhaltensvorhersage mit H1 möglich ist, diese Heuristik

verwenden und somit die Überzeugung des Akteurs nicht berücksichtigen. Wimmer und

Weichbold (1994) konnten aber zeigen, dass auch wenn eine einfache

Verhaltensvorhersage nicht möglich war, da Maxis Schokolade an zwei Orten versteckt

wurde, Kinder False-Belief-Aufgaben nicht besser lösen konnten als in der klassischen

Page 40: Dissertation

2. Erklärungsansätze 31

Aufgabenversion. Auch Bartsch (1996) zeigte, dass Kinder bei Aufgaben die keine

eindeutigen Verhaltensvorhersagen erlaubten, nicht vermehrt die Überzeugungen

anderer Personen berücksichtigen. Die theoretische Annahme Fodors scheint somit

fragwürdig.

Fodor geht davon aus, dass Wünsche und Überzeugungen Teile einer angeborenen

Theorie des Denkens sind. Wobei die Verhaltensvorhersage aufgrund von Wünschen

(H1) deutlich einfacher ist, als die Vorhersage von Verhalten, wenn auch die

Überzeugung des Akteurs berücksichtigt werden muss (H2). Daraus lässt sich ableiten,

dass Theory of Mind-Aufgaben, die nur Wünsche von Akteuren enthalten, für Kinder

leichter zu lösen sein sollten als Aufgaben, die die Berücksichtigung der Überzeugung

des Akteurs erfordern.

2.2 Theorie-Theorien

Die beiden wichtigsten Theorieansätze, die das Feld der Theory of Mind-Forschung

zurzeit beherrschen, werden als „Theorie-Theorie“ und als „Simulationstheorie“

bezeichnet, wobei die Theorie-Theorie im Augenblick den dominierenden Ansatz

darstellt. Theorie-Theoretiker gehen davon aus, dass unser Wissen über mentale

Vorgänge und deren Auswirkungen auf Verhalten theorieartig organisiert ist und dass

Kinder eine solche Theorie entwickeln, indem sie vorhandenes Wissen testen,

modifizieren und reorganisieren (Astington, 2000; Gopnik & Meltzoff, 1997; Perner,

1991a, Bartsch & Wellman, 1995). Vor allem durch das Wahrnehmen von

Gegenbeweisen ist das Kind gezwungen, seine Theorie weiter zu entwickeln (Gopnik &

Wellman, 1994). Von Theorie-Theoretikern wird aber keineswegs die Ansicht vertreten,

dass das Kind seine Theorie explizit formuliert oder reflektiert, sie gehen vielmehr

davon aus, dass es sich um eine intuitive Theorie handelt. Solche intuitiven Theorien

sind bereichspezifisch, sie beziehen sich beispielsweise auf physikalische, biologische

oder eben alltagspsychologische Zusammenhänge und verfügen über drei Eigenschaften

(Sodian, 1998):

Erstens machen sie ontologische Festlegungen, d.h. Festlegungen darüber, welche Dinge

existieren. In einer Theorie des Denkens sind dies zum Beispiel Überzeugungen,

Wünsche, Intentionen und Emotionen.

Page 41: Dissertation

2. Erklärungsansätze 32

Zweitens enthalten sie bereichsspezifische Kausalgesetze wie etwa, wenn eine Person

einen Gegenstand will, wird sie ihn dort suchen, wo sie ihn zu finden glaubt.

Und drittens handelt es sich um ein System von in Wechselbeziehung stehenden

Konzepten und nicht um eine Sammlung unverbundener Inhalte. Tatsächlich ist unser

Wissen über die einzelnen mentalen Zustände stark miteinander verbunden. Um

menschliches Verhalten erklärbar zu machen, beziehen wir uns immer wieder auf

kausale Zusammenhänge zwischen mentalen Zuständen, Wahrnehmungen und

Handlungen. So gehen die Theorie-Theoretiker davon aus, dass alle drei Bedingungen,

die eine intuitive Theorie erfüllen sollte, auf die Theory of Mind zutreffen (Falvell,

1999).

Ausgehend von der Theorie-Theorie wurde in den letzten Jahren viel geforscht und so

wichtige Entwicklungsschritte der Kinder auf ihrem Weg zu einer umfassenden Theory

of Mind gefunden. Bartsch und Wellman (1989) vertraten anfangs die Auffassung, dass

es sich um eine zweistufige Entwicklung handelt und Kinder von einer einfachen

„desire-psychology“ zu einer „belief-desire-psychology“ kommen. Mit ihrer neueren

Untersuchung mentalistischer Sprache bei Vorschulkindern liefern Bartsch und Wellman

(1995) jedoch Hinweise für einen dreistufigen Entwicklungsverlauf. Im Alter von zwei

Jahren sprechen Kinder über Wünsche und erwerben eine „desire-psychology“. Diese

ermöglicht ihnen ein einfaches, nicht repräsentationales Verständnis von Wünschen,

Emotionen und Wahrnehmungen. Kinder verstehen, dass Wünsche handlungsleitend

sind, begreifen aber noch nicht, dass es sich dabei um mentale Repräsentationen handelt.

Im Alter von drei Jahren beginnen Kinder, auch über Überzeugungen zu sprechen und

scheinen zu verstehen, dass dies mentale Repräsentationen sind, die wahr oder falsch

und von Person zu Person unterschiedlich sein können. Dennoch treffen sie

Verhaltensvorhersagen immer noch auf der Basis von Wünschen und berücksichtigen

Überzeugungen nicht ausreichend. Bartsch und Wellman (1995) bezeichnen dieses

Stadium als „desire-belief-psychology“. Erst mit dem Alter von vier Jahren scheinen

Kinder zu begreifen, dass Überzeugungen und Wünsche handlungsleitend sind und

verfügen jetzt über eine „belief-desire-psychology“, die in Abbildung 2 dargestellt ist.

Page 42: Dissertation

2. Erklärungsansätze 33

Abbildung 2: Belief-desire-psychology nach Bartsch & Wellman (1995) S. 7

Dreijährige Kinder befinden sich nach Bartsch und Wellman (1995) noch im Stadium

der „desire-belief-psychology“. Ihnen ist es noch nicht möglich, False-Belief-Aufgaben

richtig zu lösen. Sie verfügen zwar schon über repräsentationale Konzepte von

Wünschen und Überzeugungen, bei der Verhaltensvorhersage dominiert „desire“ aber

immer noch über „belief“. Werden sie gefragt, wo ein Akteur nach einem Gegenstand

suchen wird, beziehen sie sich auf dessen Wunsch bezüglich des Objektes und sagen

eine Handlung in Übereinstimmung mit dem Wunsch voraus, ohne seine Überzeugung

in ausreichendem Maß zu berücksichtigen. Nach der Theorieauffassung von Bartsch und

Wellman müssten Aufgaben, die nur durch die Berücksichtigung des Wunsches des

Protagonisten zu lösen sind einfacher zu lösen sein als Aufgaben, die auch

Überzeugungen beinhalten, wie etwa die False-Belief-Aufgabe.

Perner, der auch als Theorie-Theoretiker einzuordnen ist, legt in seiner

Theorieauffassung einen etwas anderen Schwerpunkt. In seinem Buch „Understanding

the representational mind“ von 1991 zeigt er schlüssig auf, dass die Entwicklung der

kindlichen Theorie des Denkens ihren Ursprung in der Veränderung des

Repräsentationsverständnisses hat. Er geht davon aus, dass die Kinder drei Stadien von

primären über sekundäre Repräsentationen zu Metarepräsentationen durchlaufen (siehe

Tabelle 1).

Im ersten Lebensjahr befinden sich die Kinder noch im Stadium der primären

Repräsentationen. Ihre mentalen Zustände sind abhängig von der direkten

Page 43: Dissertation

2. Erklärungsansätze 34

Wahrnehmung der Gegenwart. Etwas anderes als die momentan gegebene Realität kann

nicht repräsentiert werden.

Im Alter von etwa eineinhalb Jahren beginnt sich, laut Perner (1991a), ein System von

sekundären Repräsentationen zu entwickeln. Dies ermöglicht dem Kind, sich mental von

der direkten Realität zu lösen und sich hypothetische oder vergangene Situationen

vorzustellen. Dadurch entwickelt das Kind unter anderem ein gewisses Zeitverständnis

und beginnt mit dem Symbolspiel, indem es „als-ob“-Situationen repräsentiert. In

diesem Entwicklungsstadium begreift das Kind, dass andere Menschen durch visuelle

Betrachtung Dinge wahrnehmen, geht aber davon aus, dass sie dasselbe sehen wie es

selbst. Das Kind versteht auch, dass Menschen so handeln, dass ihre Bedürfnisse

befriedigt werden. Perner betont, dass das Kind zwar Repräsentationen bildet, diese aber

noch nicht als Repräsentationen versteht: „...young children can represent different

situations, real and imagined, but have no conception of something representing these

situations“ (Perner, 1991a, S. 215). Er bezeichnet Zwei- und Dreijährige als

„Situationstheoretiker“, die Wünsche und Überzeugungen in direkter Verbindung zur

Umwelt sehen. Dadurch verfügen sie über eine „quite powerfull theory of action“

(Perner, 1991b, S. 148), die es ihnen ermöglicht, Verhalten aufgrund von Situationen

vorherzusagen.

Mit etwa vier Jahren werden laut Perner (1991a) aus den kleinen

„Situationstheoretikern“ „Repräsentationstheoretiker“. Sie beginnen nun,

Metarepräsentationen zu verstehen, d.h. sie können Repräsentationen als

Repräsentationen begreifen, haben also eine Vorstellung von repräsentationalen

Relationen. Wichtiges Merkmal repräsentationaler Relationen ist laut Perner (1991a) die

Unterscheidung zwischen Repräsentat und Repräsentandum. Repräsentandum ist das

Objekt oder die Situation, auf die der Gedanke bezogen ist, also das, was abgebildet

wird; Repräsentat ist das mentale Abbildungsergebnis. Entscheidend für das Verständnis

repräsentationaler Relationen ist das Wissen, dass das Repräsentat nicht dem

Repräsentandum entsprechen muss. Kinder beginnen also mit etwa vier Jahren zu

begreifen, dass ein mentaler Inhalt nicht ein direktes Abbild der Realität ist, sondern

durch Wahrnehmung und Überlegungen vermittelt ist und somit als Bewusstseinsinhalt

nicht von allen Menschen geteilt wird, sondern subjektiv ist und die Realität falsch

abbilden kann (Bischof-Köhler, 2000). Die Möglichkeit, dass eine Person eine

Page 44: Dissertation

2. Erklärungsansätze 35

Überzeugung über einen Zustand in der Welt hat und glaubt, dass diese Überzeugung

wahr ist, obwohl sie nicht der Realität entspricht, wird von Kindern nun verstanden. Die

Entwicklung des metarepräsentationalen Verständnisses ermöglicht das Verstehen von

falschen Überzeugungen und somit das Lösen der klassischen Theory of Mind-

Aufgaben.

Der Entwicklungsverlauf von sekundären Repräsentationen zu Metarepräsentationen

lässt sich auch auf der Ebene von propositional attitudes betrachten. Mentale Zustände

bestehen aus einer Proposition (es ist schönes Wetter) und einer Einstellung dazu

(Attitüde: denken, dass; wollen, dass) (Perner, 1999). Handelt es sich bei der Einstellung

um eine belief-Relation, ist es laut Perner (1991b) wichtig, zwischen „denken dass“ und

„denken an“ zu unterscheiden. Denkt man an etwas, muss dieser Gedanke keinen Bezug

zur Realität haben. Beispielsweise „ich denke an schönes Wetter“ ist unabhängig von

der aktuellen Wetterlage. Denkt man hingegen, dass etwas der Fall ist (Repäsentat), so

bezieht sich der Gedanke immer auf die Wirklichkeit (Repräsentandum) und kann somit

auch falsch sein. Der Satz „ich denke, dass schönes Wetter ist“ kann der Realität

entsprechen oder nicht. Um diesen Satz wirklich verstehen zu können, braucht das Kind

metarepräsentationales Wissen. „Denken an“ erfordert kein Verständnis von

Metarepräsentationen und sollte laut Perner (1991b) schon von jüngeren Kindern im

Stadium der sekundären Repräsentationen verstanden werden. Ein wirkliches

Verständnis von „denken dass“ ist erst möglich, wenn Metarepräsentationen begriffen

werden, also etwa ab dem Alter von vier Jahren. Perner schreibt:

Without conception of mental states as representation the child cannot

understand think that. The child has a theory of thinking but can only,

at best, assimilate think that to thinking of. This inability to understand

thinking that provides the basis for understanding why children find

wants so much easier to understand than beliefs. Understanding most

relevant behavioral and emotional implications of desire does not need

the understanding of that. For belief, this understanding is essential.

(Perner, 1991b, S. 149)

Wünsche können also ohne die Einsicht in metarepräsentationale Relationen verstanden

werden. So geht Perner (1991a) davon aus, dass ein einfaches Wunschverständnis schon

Page 45: Dissertation

2. Erklärungsansätze 36

im Stadium der sekundären Repräsentationen besteht. Die Kinder begreifen also, dass

Wünsche handlungsleitend sind und dass Personen sich freuen, wenn sie ihre Wünsche

erreichen und traurig sind, wenn ihnen dies nicht gelingt (Yuill, 1984). Da Wünsche

eben nicht „für etwas stehen“, also keine Repräsentate sind, können sie auch nicht falsch

sein. So kann das Kind Handlungen aufgrund von Wünschen korrekt vorhersagen, noch

bevor es Metarepräsentationen versteht. Als „Situationstheoretiker“ gleicht es den

Wunsch direkt mit der eingetretenen Situation ab. Wird das Kind mit etwa vier Jahren

zum „Repräsentationstheoretiker“, erfährt auch sein Wunschverständnis eine

Entwicklung hin zu mehr Komplexität. Erst jetzt scheinen Kinder zu verstehen, dass

Wünsche nicht allgemein erstrebenswert sind, sondern dass es subjektive

Erfahrungsunterschiede geben kann, ob etwas wünschenswert ist oder nicht (Perner,

2004). Darüber hinaus sind sie jetzt auch in der Lage, Wünsche als Repräsentationen zu

begreifen, und können somit verstehen, dass Wünsche sich unabhängig von der Situation

ändern können (Perner, 1991a).

Perner, als Theorie-Theoretiker, vermutet, dass Kinder ihr Wissen über mentale

Zustände und ihren repräsentationalen Charakter theorieartig verwenden und so zu

Verhaltensvorhersagen kommen können. Seiner Ansicht nach verändert sich im

Vorschulalter vor allem das Repräsentationsverständnis des Kindes. Was aber ist

ursächlich für diese Veränderung? Perner betont, dass „although babies are innately

predisposed to attend to expressions of mental states, they are not born with a

conception of mental states” (Perner, 1991a, S. 283). Er geht also nicht, wie

beispielsweise Fodor (1992), von angeborenen Modulen aus, sondern vielmehr davon,

dass Kinder ihre naive Theorie ohne Einfluss von außen nicht weiter umstrukturieren

würden. Sie gelangen von einer Situationstheorie zu einem repräsentationalen

Verständnis des Mentalen durch permanente Auseinandersetzung mit Anderen.

Was bedeutet nun die von Perner (1991a) aufgezeigte Entwicklung vom

Situationstheoretiker hin zum Repräsentationstheoretiker in Bezug auf einzelne

Aufgabenarten? Desire-Aufgaben, bei denen eine Verhaltensvorhersage durch die

Berücksichtigung eines einfachen Wunsches möglich ist, sollten schon

Situationstheoretiker lösen können, da hier eine einfache Verbindung des Wunsches mit

der Situation ohne metarepräsentationales Verständnis möglich ist. Wunsch-Aufgaben,

die eine Veränderung des Wunsches unabhängig von der Situation beinhalten, erfordern

Page 46: Dissertation

2. Erklärungsansätze 37

ein repräsentationales Verständnis von Wünschen und sollten somit erst von Kindern,

die bereits Repräsentationstheoretiker sind, gelöst werden können. Gleiches gilt für

Aufgaben, die falsche Überzeugungen beinhalten, wie die False-Belief- und

Representational-Change-Aufgaben. Auch sie sollten erst von Kindern gelöst werden,

die bereits über ein Konzept von Metarepräsentationen verfügen.

2.3 Die Simulationstheorie

In der momentanen Diskussion über die Entwicklung der kindlichen Theorie des

Denkens, gibt es neben der Theorie-Theorie eine zweite einflussreiche theoretische

Position, die Simulationstheorie. Perner beschreibt den Unterschied zwischen den beiden

theoretischen Ansätzen folgendermaßen: „Die Theorietheorie ist extrem anti-

introspektiv, während die traditionelle Simulationstheorie auf der Fähigkeit zur

Introspektion aufbaut.“ (Perner, 1999, S. 411). Simulationstheoretiker gehen davon aus,

dass das Kind Vorhersagen über Gefühle, Gedanken und Handlungen anderer Personen

machen kann, indem es die Perspektive der anderen Person einnimmt und simuliert, was

es selbst in der entsprechenden Situation denken, fühlen oder tun würde (Harris, 1992).

Bei den simulationstheoretischen Positionen können zwei Richtungen unterschieden

werden, der introspektive Ansatz von Goldman (1993) und Harris (1992) und der nicht-

introspektive Ansatz von Gordon (1996).

Der introspektive Ansatz geht von der kartesianischen Intuition aus, also davon, dass wir

unmittelbaren Zugang zu unserem eigenen geistigen Geschehen haben. Um das

Verhalten anderer verstehen oder vorhersagen zu können, werden eigene mentale

Zustände im Als-ob-Modus generiert und auf die andere Person übertragen. Man

simuliert also, wie man sich selbst unter diesen Umständen verhalten würde und

überträgt dann das Ergebnis auf die andere Person. Goldman (1993) geht davon aus,

dass das Verständnis mentaler Begriffe Voraussetzung für die Simulation ist. Dies stellt

ein Problem des Ansatzes dar, denn „soweit Simulation aber die Beherrschung der

mentalen Begrifflichkeit voraussetzt, kann sie nur als Heuristik gelten. Sie mag eine

wichtige Fähigkeit im kognitiven Sys tem sein, sie kann aber nicht begründen wollen,

wovon sie immer schon Gebrauch macht.“ (Sachs-Hombach, 1993, S. 173). Weitere

Schwierigkeiten ergeben sich aus der Vorhersage dieses Ansatzes, dass eigene falsche

Page 47: Dissertation

2. Erklärungsansätze 38

Überzeugungen einfacher zu verstehen sein sollten als falsche Überzeugungen anderer

Personen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Kinder ihre eigenen mentalen Zustände

und die anderer Personen zur gleichen Zeit verstehen lernen (Gopnik & Astington, 1988;

Wimmer & Hartl, 1991). Harris (1992) löst dieses Problem durch eine Erweiterung der

einfachen Simulationstheorie. Er betont, dass direkter introspektiver Zugriff nur auf

gegenwärtige mentale Zustände möglich ist. Um eigene vergangene oder zukünftige

Zustände begreifen zu können, bedarf es einer Selbstsimulation, d.h. der vergangene

Zustand muss simuliert werden und der Zugriff auf ihn erfordert somit die gleichen

Fähigkeiten wie die Simulation eines mentalen Zustandes einer anderen Person.

Auch der nicht- introspektive Ansatz (Gordon, 1996) geht davon aus, dass wir uns in die

Situation des Anderen hineindenken. Gordon betont aber, dass die Simulationsinhalte

nicht als mentale Zustände wahrgenommen werden, sondern dass wir die Situation mit

den Augen des anderen sehen und aus dieser unmittelbaren Betrachtung den anderen

verstehen und sein Verhalten vorhersagen können. Um Verhalten zu erklären, muss man

also nicht von der eigenen Simulation auf die andere Person schließen. „... wäre ein

Schluß nötig, ließe sich argumentieren, daß die Simulation eine theoretisch fundierte

Tätigkeit ist, und dann würde zweifelhaft, ob die Simulationstheorie überhaupt eine

Alternative zur Theorie-Theorie liefert.“ (Sachs-Hombach, 1997).

Wie erwirbt nun aber ein Kind die Fähigkeit zu simulieren? Welcher Mechanismus treibt

die Entwicklung voran, so dass Kinder mit vier Jahren in der Lage sind, mentale

Zustände anderer zu simulieren? Die Simulationstheoretiker gehen davon aus, dass die

Fähigkeit zur Simulation ihren Ursprung in einer angeborenen, genetischen Ausstattung

hat. Diese wird unterschiedlich beschrieben, etwa als „the ability to imagine; the ability

to think counter-factually; the ability to entertain suppositions; or the ability to take

one’s practical reasoning system ‘off- line’” (Carruthers & Smith, 1996, S. 4).

Simulationstheoretiker gehen aber auch davon aus, dass sich die Simulationsfähigkeit im

Verlauf der Entwicklung durch Lernprozesse verbessert.

Betrachtet man nun die Aussagen der Simulationstheorien in Bezug auf spezifische

Schwierigkeiten der Kinder beim Lösen der Aufgaben, so findet man ein anderes Muster

als das von der Theorie-Theorie vorhergesagte. Nach der Simulationstheorie sollten

Kinder einen leichteren Zugang zu eigenen mentalen Zuständen haben, wohingegen das

Page 48: Dissertation

2. Erklärungsansätze 39

Berücksichtigen fremder mentaler Zustände ihnen mehr Schwierigkeiten bereiten sollte.

Die Verschiedenheit der einzelnen mentalen Zustände sollte aber keine Rolle spielen, da

unabhängig von der Art (Wunsch, Überzeugung) auf eigene mentale Zustände direkt,

auf fremde durch Simulation zugegriffen werden kann. „At a young age, from a

simulation perspective, reading off one’s own beliefs and one’s own desires should be

equally easy; attributing beliefs and attributing desires to someone else should be equally

problematic, and equally subject to egocentric error when the other person’s beliefs and

desires conflict with one’s own.” (Gopnik & Wellman, 1994, S. 277). Nach den

Vorhersagen der Simulationstheorie sollten also Aufgaben, die sich auf eigene

Überzeugungen und Wünsche beziehen für Kinder leichter zu lösen sein, wohingegen

Aufgaben, die sich auf fremde Wünsche und Überzeugungen beziehen, beide in gleicher

Weise eine höhere Schwierigkeit darstellen sollten.

2.4 Exekutive Funktionen Theorie

Der Ansatz der exekutiven Funktionen geht davon aus, dass die Zunahme an Theory of

Mind-Fähigkeit mit dem Alter von vier Jahren das Ergebnis von sich verbessernden

exekutiven Funktionsfähigkeiten ist (Russell, 1996). Exekutive Funktionen sind hier als

Handlungskontrolle zu verstehen und beinhalten die Fähigkeit, sich von alten Strategien

zu lösen und neue zu praktizieren, sowie dominante Antworttendenzen zu hemmen. Mit

anderen Worten: „Unter exekutiver Funktion versteht man die Prozesse bei der

Verhaltenskontrolle, die notwendig sind, um auf ein mental repräsentiertes Ziel zu

fokussieren und die Zielrealisation gegen konkurrierende Handlungsalternativen

abzuschirmen.“ (Sodian, 2003, S. 94). Exekutive Funktionen sind im Alltag von

Bedeutung bei Planungs- und Entscheidungsaufgaben, bei Fehlerkontrolle, bei neuen

Handlungstendenzen, bei schwierigen Handlungen und beim Überwinden einer

präpotenten Handlungstendenz. Moore et al. (1995) gehen davon aus, dass Kinder unter

vier Jahren noch nicht über ausreichende exekutive Funktionen verfügen, um False-

Belief-Aufgaben zu lösen. False-Belief-Aufgaben beinhalten hohe exekutive

Anforderungen. Um die Aufgabe richtig zu lösen, muss das Kind das eigene Wissen

über den Ort des Gegenstandes (Schokolade ist im grünen Schrank) hemmen, um so

berücksichtigen zu können, was der Protagonist fälschlicherweise glaubt (Schokolade ist

im blauen Schrank). Russell (1991, 1996) geht davon aus, dass exekutive Funktionen die

Page 49: Dissertation

2. Erklärungsansätze 40

Vorraussetzung dafür sind, die eigene Person als Agent zu erleben und dass dieses

Selbstbewusstsein wiederum Voraussetzung für das Verstehen mentaler Konzepte bei

sich selbst und anderen ist. Somit führt die Entwicklung der exekutiven Funktionen zur

Entwicklung einer Theory of Mind.

Eine andere theoretische Position über den Zusammenhang exekutiver Funktionen und

Theory of Mind wird von Perner und Lang (1999) vertreten. Sie nehmen eine

umgekehrte Richtung der Beeinflussung an. Die Entwicklung einer Theory of Mind ist

entscheidende Vorraussetzung für die Entwicklung von exekutiven Funktionen, da die

Hemmung von konkurrierenden Hand lungsschemata metarepräsentationale Kontrolle

voraussetzt. Diese Theorie macht auf der Grundlage des repräsentationalen Ansatzes von

Perner (1991a) eine Aussage über die Entwicklung der exekutiven Funktionen. Sie stellt

somit keinen neuen Ansatz zur Erklärung der Theory of Mind dar, weswegen hier nicht

weiter auf sie eingegangen wird.

Russel (1996) und Moore et al. (1995) verstehen ihren Ansatz gerade in Abgrenzung zu

Perners repräsentativem Ansatz als neue Erklärung der Theory of Mind-Entwicklung. Sie

kommen somit auch zu anderen Vorhersagen bezüglich der Schwierigkeit einzelner

Aufgabetypen. Jüngere Kinder haben Probleme mit Theory of Mind-Aufgaben, nicht

weil Überzeugungen an sich berücksichtigt werden müssen, sondern weil sie vom Kind

verlangen, das Verhalten eines Agenten (andere Person oder selbst) vorherzusagen,

wenn die Überzeugung des Agenten der momentanen Überzeugung des Kindes

widerspricht. Nach den Vorhersagen des Ansatzes der exekutiven Funktionen sollten

jüngere Kinder Schwierigkeiten haben, alle mentalen Zustände anderer Personen zu

berücksichtigen, solange sie im Widerspruch zu ihren eigenen mentalen Zuständen

stehen. Die gleichen Schwierigkeiten wie bei False-Belief-Aufgaben sollten bei

Aufgaben auftauchen, die vom Kind erfordern, auf den Wunsch einer anderen Person zu

schließen, wenn es selbst einen starken anderen Wunsch hat (Moore et al., 1995). Auch

das Erinnern eines vorherigen eigenen Wunsches, wenn er in Widerspruch zu dem

jetzigen Wunsch steht, sollte problematisch für jüngere Kinder sein. Die Theorie der

exekutiven Funktionen geht nicht davon aus, dass die Schwierigkeit der False-Belief-

Aufgaben darin liegt, mentale Zustände anderer Personen zu repräsentieren, sondern sich

von eigenen dominanten mentalen Zuständen zu lösen.

Page 50: Dissertation

2. Erklärungsansätze 41

Welche Voraussage macht nun der Ansatz der exekutiven Funktionen bezüglich der

Schwierigkeit einzelner Aufgabetypen? Alle Aufgaben, bei denen der mentale Zustand

des Kindes im Widerspruch zum mentalen Zustand des Agenten steht, die also gleiche

exekutive Anforderungen stellen, sollten unabhängig von der Art des mentalen

Zustandes (Wunsch, Überzeugung) gleich schwer zu lösen sein.

Nachdem nun einzelne theoretische Ansätze vorgestellt wurden, die in ihrer Erklärung

der Entwicklung der kindlichen Theory of Mind eine Aussage zu dem Verhältnis von

Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen machen, sollen im nächsten Kapitel nach

einer kurzen Zusammenfassung der theoretischen Ansätze Studien zum kindlichen

Verständnis von Wünschen vorgestellt werden und die repräsentationalen Unterschiede

zwischen den mentalen Zuständen Wunsch und Überzeugung diskutiert werden.

Page 51: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 42

3 Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen

Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit ist, wie sich das Verständnis für Wünsche und

Überzeugungen bei Kindern entwickelt und wie die Relation dieser beiden

Entwicklungsverläufe in Bezug auf die im vorherigen Abschnitt dargestellten

theoretischen Ansätze zu sehen ist. Besondere Bedeutung kommt in dieser Arbeit dabei

dem Vergleich von Perners repräsentationalem Ansatz mit dem Ansatz der exekutiven

Funktionen zu. Zu Beginn dieses Kapitels sollen die Aussagen der einzelnen

theoretischen Ansätze bezüglich des Verständnisses von Wünschen und Überzeugungen

überblickartig zusammengefasst werden (3.1). Anschließend werden

Forschungsergebnisse zur Entwicklung des Wunschverstehens dargestellt und einige

Wunsch-Aufgaben beschrieben (3.2). Im Abschnitt 3.3 soll genauer betrachtet werden,

wie sich die mentalen Zustände Wunsch und Überzeugung repräsentational

unterscheiden und was dies bezüglich der theoretischen Ansätze bedeutet. Am Ende

dieses Kapitels (3.4) sollen aus den vorangegangenen Überlegungen die empirischen

Fragestellungen dieser Arbeit abgeleitet werden.

3.1 Die Relation von Wunsch- und Überzeugungsverständnis: verschiedene

theoretische Ansätze

Im vorherigen Kapitel wurden mehrere theoretische Ansätze vorgestellt, die die

Entwicklung der kindlichen Theory of Mind erklären und dabei explizit die beiden

mentalen Zustände Wunsch und Überzeugung berücksichtigen. Sie alle teilen die

Ansicht, dass es wichtig ist, das Wunschverstehen zu untersuchen und dessen

Entwicklung mit der Entwicklung des Überzeugungsverstehens zu vergleichen. Sie

unterscheiden sich jedoch bezüglich ihrer Vorhersage über das Verhältnis von Wunsch-

und Überzeugungsverstehen sowie ihren Erklärungen zu den Ursachen der Theory of

Mind- Entwicklung. Die Aussagen der einzelnen theoretischen Ansätze bezüglich des

Wunsch- und Überzeugungsverstehens werden in Tabelle 3 im Überblick dargestellt.

Page 52: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 43

Tabelle 3: Theoretische Ansätze zur kindlichen Theory of Mind

Ansatz Vertreter Vorhersage bezüglich des Verhältnisses von Wunsch- und Überzeugungsverstehen

theoretische Annahme

Modultheorie Fodor Wunschverstehen leichter als Überzeugungsverstehen

H1 leichter als H2

Theorie-Theorie Bartsch & Wellman

Wunschverstehen leichter als Überzeugungsverstehen

desire-psychology und desire-belief-psychology vor belief-desire psychology

Theorie-Theorie Repräsentationaler Ansatz

Perner Wunschverstehen leichter als Überzeugungsverstehen

Wunsch repräsentational einfacher als Überzeugung

Simulationstheorie Gordon, Goldman, Harris

Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen gleich schwer

müssen gleichermaßen simuliert werden

Exekutive Funktionen

Russel, Moore Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen gleich schwer

wenn Aufgaben gleiche exekutive Anforderungen haben

Modultheorie, Theorie-Theorie und Perners repräsentationaler Ansatz gehen davon aus,

dass Aufgaben die nur ein Verständnis von Wünschen verlangen, für jüngere Kinder

einfacher zu lösen sind als Aufgaben, die auch ein Verständnis von Überzeugungen

erfordern. Die Simulationstheorie und der Ansatz der exekutiven Funktionen betonen,

dass die Prozesse, die das Kind beim Lösen von Theory of Mind-Aufgaben leisten muss

unabhängig von der Art des mentalen Zustandes gleich sind. Somit sollten Wunsch-

Aufgaben, bei ansonsten gleichen Anforderungen, gleich schwer zu lösen sein wie

Überzeugungs-Aufgaben.

Es zeigt sich also, dass allein aus dem Vergleich des kindlichen Wunschverstehens mit

dem Überzeugungsverstehen wichtige Hinweise auf die Gültigkeit der einzelnen

theoretischen Ansätze zur Theory of Mind gewonnen werden können. Wie sieht nun das

Verhältnis von Wunschverstehen zu Überzeugungsverstehen aus? Zu welchen

Ergebnissen die bisherige Forschung bezüglich dieser Fragestellung gekommen ist, soll

im nächsten Abschnitt genauer betrachtet werden.

Page 53: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 44

3.2 Die Entwicklung des Verstehens von Wünschen: Stand der Forschung

Wie sich das Wunschverstehen im Verhältnis zum Überzeugungsverstehen entwickelt,

ist in der Theory of Mind-Forschung umstritten. Über den Verlauf des

Überzeugungsverstehens gibt es inzwischen eine breite Wissensbasis, wobei hier die

meisten Ergebnisse aus Studien mit False-Belief-Aufgaben stammen (Wellman et al.,

2001). Ab wann Kinder über ein fundiertes Wunschverstehen verfügen, das es ihnen

ermöglicht einzuschätzen wie Wünsche Handlungen von Personen leiten und wie

Wünsche sich verändern können, ist hingegen deutlich weniger untersucht worden. Dies

ist aber wichtig, um ein umfassendes Bild der Entwicklung der kindlichen Theory of

Mind zu erhalten. Das Wissen über die Entwicklung des Wunschverstehens kann

wichtige Voraussetzung für das Verstehen des Zusammenhangs zwischen der kindlichen

Theorie des Denkens und dem kindlichen Sozialverhalten sein, da besonders

motivationale Zustände in der alltäglichen Interaktion interpretiert werden (Astington,

2001). Ein großer Teil der sozialen Interaktionen von Kindern beinhaltet die

Kommunikation über ihre Wünsche oder Absichten sowie den Umgang mit Konflikten,

die häufig auf unterschiedlichen Bedürfnissen der Beteiligten beruhen. Ein umfassendes

Konzept von Wünschen ermöglicht es dem Kind, nicht nur zu verstehen, wie

individuelle Bedürfnisse Handlungen leiten, sondern ermöglicht ihm auch Einsicht in

anderen Bereichen. So konnten beispielsweise Yuill und Pearson (1998) zeigen, dass

Wunschverstehen eine Voraussetzung ist, um individuelle Charakterzüge als Ursachen

von unterschiedlichen Handlungen begreifen zu können. Die Bedeutung des

Wunschverstehens für die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind wird von vielen

Autoren betont (Bartsch & Welman, 1995; Perner, 1991a; Ziv, 1999). Dennoch gibt es

bisher keine klassischen Aufgabentypen, die eine genaue Untersuchung des

Wunschverstehens ermöglichen. Astington (2001) fordert von zukünftiger Theory of

Mind-Forschung, sich mehr dem Verstehen von Wünschen und Intentionen zuzuwenden.

There is a danger in letting a single task become a marker for a

complex development. Future work should focus on developing tasks

that assess children’s understanding of desire and intention that are as

clear and compelling as the false-belief task. (S. 687)

Page 54: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 45

Im Folgenden werden nun Studien vorgestellt, die sich explizit mit der Entwicklung des

Wunschverstehens beschäftigt haben. Die gefundenen Ergebnisse und Alterstrends

lassen sich teilweise nur schwer vergleichen, da sie meist mit sehr unterschiedlichen

Aufgabentypen erhoben wurden.

Eine Studie, die zeigt, dass scheinbar schon sehr junge Kinder Aspekte von

unterschiedlichen Wünschen verstehen, stammt von Repacholi und Gopnik (1997). Hier

standen zwei Nahrungsmittel zur Auswahl, Kräcker und Brokkoli. Bei dieser Auswahl

bevorzugten alle Kinder Kräcker. Dann zeigte eine erwachsene Person deutliche Freude

und Genuss beim Essen von Brokkoli und deutliches Missfallen und Ekel beim Essen

der Kräcker. Anschließend machte die Person durch Gestik und Sprache deutlich, dass

sie etwas haben wollte. Die meisten 14 Monate alten Kinder boten dem Erwachsenen

das an, was sie selbst bevorzugten, also die Kräcker. 18 Monate alte Kinder hingegen

reichten dem Erwachsenen Brokkoli. Repacholi und Gopnik (1997) schließen daraus

Folgendes bezüglich der Fähigkeit der 18 Monate alten Kinder: „Children not only

inferred that another person held a desire, but also recognized how desires are related to

emotions and understood something about the subjectivity of theses desires” (S. 12).

Diese Ergebnisse sind schwer zu bewerten, da es bisher keine weitere Studie gibt, die

das Wunschverstehen von so jungen Kindern untersucht hat.

Wellman und Woolley (1990) fanden mit ihrer Studie Belege für ihre Theorie, dass

schon Zweijährige Verhaltensvorhersagen aufgrund einer einfachen desire psychology

treffen können. So konnten sie zeigen, dass Zweijährige verstehen, dass eine Person, die

einen speziellen Gegenstand haben möchte, so lange sucht, bis sie ihn gefunden hat und

die Suche nicht einstellt, wenn sie nichts oder einen anderen Gegenstand findet.

Problematisch bei diesen Aufgaben ist, dass das Kind möglicherweise den gleichen

Wunsch hat wie der Protagonist und somit nicht dessen Verhalten, sondern sein eigenes

voraussagt. Um dieses Problem zu umgehen, setzten Wellman und Woolley (1990) in

einem zweiten Experiment so genannte Not-Own-Desire-Aufgaben ein. Entscheidendes

Merkmal dieser Aufgaben ist, dass der Wunsch des Kindes sich vom Wunsch des

Protagonisten unterscheidet. Dem Kind werden Bildergeschichten wie die folgende

vorgelegt:

Page 55: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 46

Ein Protagonist hat zwei Möglichkeiten etwas zu tun, er kann beispielsweise im Pool

schwimmen oder mit einem Hund spielen. Das Kind wird gefragt was es selbst lieber tun

möchte. Danach wird erklärt, dass der Protagonist, die andere Tätigkeit ausführen

möchte, er hat also nicht den gleichen Wunsch wie das Kind. Das Kind wir dann gefragt,

was der Protagonist nun tun wird (zum Pool gehen oder zum Hund gehen). Um das

Verhalten des Protagonisten richtig vorherzusagen genügt es also nicht, dass das Kind

seinen eigenen Wunsch berücksichtigt, es muss vielmehr in der Lage sein, den Wunsch

des Protagonisten einzubeziehen. Wellman und Woolley (1990) konnten zeigen, dass

schon ältere Zweijährige die Not-Own-Desire-Aufgaben richtig lösen können,

wohingegen sie mit vergleichbaren Not-Own-Belief-Aufgaben deutliche Schwierigkeiten

haben.

Flavell, Flavell, Green und Moses (1990) zeigten, dass bereits dreijährige Kinder Value-

Belief-Aufgaben lösen können, wohingegen sie größtenteils bei Fact-Belief-Aufgaben

scheitern. Bei einer Value-Belief-Aufgabe wählt das Kind einen Keks aus, den es gerne

mag, und probiert ihn. Anschließend probiert eine andere Person und zeigt deutliche

Abscheu gegen den Geschmack. Dann wird das Kind unter anderem gefragt, ob die

andere Person denk t, dass der Keks lecker sei. Bei einer Fact-Belief-Aufgabe wird dem

Kind und einer anderen Person eine Packung Milch gezeigt. Während die andere Person

sich ein Glas holt, wird die Milch im Beisein des Kindes aus dem Karton geschüttet.

Wenn die andere Person wieder kommt, wird das Kind unter anderem gefragt, ob die

Person denkt, dass Milch in dem Karton ist. Diese Aufgabe war für dreijährige Kinder

deutlich schwieriger. Die Autoren interpretieren die Ergebnisse wie folgt: Kinder haben

die Value-Belief-Aufgabe eher als Wunsch- oder Präferenz-Frage verstanden und da

Kinder in diesem Alter Wünsche besser verstehen als Überzeugungen, ist die Value-

Belief-Aufgabe für sie einfacher zu lösen als die Fact-Belief-Aufgabe.

Aus Untersuchungen mit Representational-Change-Aufgaben ist bekannt, dass Kinder

unter vier Jahren Schwierigkeiten haben, ihre eigene zuvor angenommene falsche

Überzeugung zu benennen (Gopnik & Astington, 1988). Gopnik und Slaughter (1991)

gingen in zwei Experimenten der Frage nach, ob Kinder auch Probleme haben, andere

vergangene eigene mentale Zustände korrekt anzugeben. Sie stellen zwei Aufgaben vor,

bei denen sich der Wunsch nach einem Objekt verändert und das Kind, nachdem die

Veränderung eingetreten ist, nach dem ursprünglichen Wunsch gefragt wird. Die erste

Page 56: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 47

Aufgabe sieht wie folgt aus: Dem Kind werden zwei Bilderbücher gezeigt, von denen es

eines auswählen kann, welches ihm dann vorgelesen wird. Anschließend kann es wieder

ein Buch wählen. Es zeigte sich, dass alle Kinder nun das andere Buch auswählen. Dann

wird das Kind gefragt welches Buch es ganz am Anfang lesen wollte. 12 von 18

Dreijährigen und 14 von 18 Vierjährigen beantworteten diese Frage richtig. Der bei

Representational-Change-Aufgaben gefundene Effekt, dass Dreijährige signifikant

schlechter abschneiden als Vierjährige konnte sich hier also nicht zeigen. Auch wenn

diese Ergebnisse auf den ersten Blick so erscheinen, als würden Kinder ein Verständnis

von Wünschen entwickeln, bevor sie über ein Überzeugungsverständnis verfügen,

sollten sie mit Vorsicht interpretiert werden. Moore et al. (1995) kritisieren an dieser

Aufgabe, dass der Wunsch nach einem Buch sich gerade bei kleinen Kindern mit dem

einmaligen Lesen nicht befriedigen muss, so dass zum Zeitpunkt der Kontrollfrage

möglicherweise immer noch auch ein Bedürfnis nach dem ersten Buch vorhanden ist.

Die zweite von Gopnik und Slaughter (1991) vorgestellte Aufgabe überwindet diese

Schwäche der ersten Aufgabe. Diese Aufgabe spielt im Rahmen dieser Arbeit eine

besondere Rolle, da sie in leicht veränderter Form in der eigenen Studie eingesetzt wird.

Die Aufgabe sieht konkret wie folgt aus: Das Kind kann zwischen zwei Schachteln

wählen und dann die gewünschte Schachtel öffnen. Es kann sich den Inhalt in Ruhe

anschauen, danach wird die Schachtel wieder geschlossen. Nun wird es erneut gefragt,

in welche Schachtel es schauen möchte (alle Kinder wählten nun die andere Schachtel).

Anschließend wird die Testfrage gestellt, welche Schachtel das Kind zu Beginn, als es

noch in keine Schachtel geschaut hatte, öffnen wollte. Es ist zu vermuten, dass sich bei

dieser Aufgabe der Wunsch des Kindes, wissen zu wollen, was in der Schachtel ist,

deutlich ändert, nachdem in eine Schachtel geschaut worden ist. Gegenüber der Aufgabe

mit den zwei Büchern bietet sie den Vorteil, dass sich der Wunsch des Kindes schnell

ändert und es dann direkt befragt werden kann. So können Gedächtnisprobleme als

mögliche Ursache der Ergebnisse ausgeschlossen werden. In der Studie von Gopnik und

Slaughter (1991) bereitete das Angeben des eigenen vergangenen Wunsches

Dreijährigen sichtliche Schwierigkeiten. So konnte nur die Hälfte der Dreijährigen (6

von 12) die Testfrage richtig beantworten. 10 von 12 Vierjährigen hatten hiermit keine

Probleme. Diese Aufgabe scheint für Dreijährige also schwieriger zu sein als die

Aufgabe mit den zwei Büchern und vergleichbar schwer wie Representational-Change-

Page 57: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 48

Aufgaben. Angesichts der geringen Fallzahlen kann aber keine endgültige Aussage

getroffen werden.

Eine weitere Wunsch-Aufgabe, die auch im Rahmen der eigenen Studie eingesetzt wird,

stammt von Moore et al. (1995). Die Autoren gehen, als Vertreter des Ansatzes der

exekutiven Funktionen, von der Annahme aus, dass die Schwierigkeit der False-Belief-

Aufgaben das Hemmen des eigenen dominanten Wissens ist. Sie konzipierten eine

Desire-Aufgabe, die gleiche exekutive Anforderungen wie die False-Belief-Aufgabe hat

und dieser strukturell sehr ähnlich ist. Nach dem Ansatz der exekut iven Funktionen

sollte diese Aufgabe für Kinder gleich schwer sein wie die False-Belief-Aufgabe. Der

von Moore et al. (1995) als Conflicting-Desire-Task bezeichneten Aufgabe liegt

folgende Struktur zu Grunde: Der Protagonist (in diesem Falle eine Handpuppe) und das

Kind beginnen die Aufgabe mit dem gleichen Wunsch. Nachdem sich das Bedürfnis des

Kindes geändert hat, soll es das unveränderte Bedürfnis des Protagonisten vorhersagen.

Konkret sieht diese Aufgabe wie folgt aus: Das Kind spielt ein Spiel gegen eine Katze

(Handpuppe). Ziel ist es, als erster ein Frosch-Puzzle fertig zu haben. Das Puzzle besteht

aus drei Teilen, einem Körperteil, einem Kopf und Augen, die aufeinander gelegt

werden müssen. Zu Beginn erhalten das Kind und die Katze je ein Körperteil. Das erste

Ziel ist somit für jeden Spieler, einen Kopf zu bekommen. Erst wenn man den Kopf hat,

kann man die Augen darauf legen und damit das Spiel gewinnen. Die Köpfe liegen in

einer roten Schachtel, die Augen in einer blauen. Kind und Katze ziehen abwechselnd

Karten von einem Stapel. Ist die Farbe der Karte weiß dürfen sie nichts nehmen, bei rot

dürfen sie den Kopf und bei blau die Augen nehmen, vorausgesetzt sie haben den Kopf

schon. Die Reihenfolge der Karten ist vom Versuchsleiter so manipuliert, dass das Kind

zuerst einen Kopf gewinnt. Damit ändert sich der Wunsch des Kindes. Wollte es vorher

eine rote Karte ziehen, hofft es nun auf eine blaue. Dem Kind werden jetzt zwei

Testfragen gestellt: „Welche Farbkarte will die Katze jetzt?“ und „Welche Farbkarte

hast du das letzte Mal gewollt?“ Die Ergebnisse von Moore et al. (1995) zeigen, dass die

Mehrheit der dreijährigen Kinder diese Testfragen nicht richtig beantworten kann. Der

Vergleich mit einer False-Belief-Aufgabe zeigt, dass die Conflicting-Desire-Aufgabe für

Dreijährige eine vergleichbar hohe Schwierigkeit hat.

Russell, Saltmarsh und Hill (1999) verwendeten die gleiche Conflicting-Desire-Aufgabe

wie Moore et al. (1995) in einer Studie mit autistischen Kindern. Sie konnten zeigen,

Page 58: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 49

dass auch hier die Conflicting-Desire-Aufgabe den gleichen Schwierigkeitsgrad hatte

wie die False-Belief-Aufgaben. Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen sowie den

Befunden, dass Autisten einfache Aspekte von Wünschen verstehen (Baron-Cohen,

1991b), dass das Problem autistischer Kinder nicht das Verstehen der repräsentationalen

Anforderung der Aufgaben ist, sondern vielmehr die hohen exekutiven Anforderungen.

Yuill, Perner, Pearson, Peerbhoy und van den Ende (1996) untersuchten, ab wann

Kinder verstehen, dass Wünsche subjektiv erstrebenswert sind, unabhängig davon, ob

die angestrebte Handlung zu einem schlechten oder zu einem neutralen Ergebnis führt.

Die von Yuill (1984) entwickelten Aufgaben sehen wie folgt aus: Kinder bekommen

Bildergeschichten mit einem Motiv, einer Handlung und einem Ergebnis gezeigt. Das

Motiv ist entweder neutral (Ball zu jemandem werfen) oder schlecht (jemanden mit Ball

am Kopf treffen). Es gibt zwei mögliche Ausgänge für die Geschichten:

1. Match: Das Ergebnis entspricht dem Wunsch (Ball wird zur beabsichtigten Person

geworfen, Ball wird beabsichtigter Person an den Kopf geworfen).

2. Mismatch: Das Ergebnis entspricht nicht dem Wunsch (Ball wird zur falschen Person

geworfen, Ball wird falscher Person an den Kopf geworfen).

Nachdem die gesamte Geschichte erzählt ist, wird das Kind gefragt, ob der Protagonist

nun froh oder traurig ist. Die Ergebnisse zeigen, dass schon Dreijährige bei den

Aufgaben mit neutralem Kontext Wunsch und Ergebnis bei der Bewertung der

Zufriedenheit verbinden können. Dies gelingt ihnen aber nicht, wenn es sich um ein

„böses“ Motiv handelt. Erst 4-5-Jährige können die Emotion eines Akteurs (happy or

sad) in Relation zum Wunsch auch in einem negativen Kontext richtig einschätzen.

Perner (2004) erklärt die Ergebnisse von Yuill et al. (1996) wie folgt: „Erst mit 4 bis 5

Jahren lernen die Kinder verstehen, dass „erstrebenswert“ subjektiv verschieden gesehen

werden kann. Das heißt, der Protagonist kann das objektiv Verwerfliche subjektiv

erstrebenswert finden, und sich deshalb freuen, obwohl der Rest der Welt es verwerflich

findet“ (S. 206). Perner geht davon aus, dass Kinder unter 4 Jahren „wollen“ als

„allgemein wünschenswert“ verstehen. Er berichtet von neutralen Geschichten mit

Zielkonflikten. Beispielsweise fahren zwei Jungen auf einem Floß, der Fluss gabelt sich,

der eine Junge will rechts fahren, der andere links. Das Floß fährt dann nach links. Die

Kinder werden dann gefragt: „Welcher der beiden Jungen ist froh darüber?“ „Ist der

andere Junge auch froh darüber?“ Dreijährige Kinder beantworten die zweite Frage

Page 59: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 50

meistens falsch. Kinder, die diese Frage richtig beantworteten, lösten meistens auch die

False-Belief-Aufgaben richtig. Es zeigt sich also, dass die Subjektivität von

„erstrebenwert“ erst verstanden wird, wenn metarepräsentationales Wissen vorhanden

ist.

Nguyen und Frye (1999) untersuchten das kindliche Verständnis für falsche

Überzeugungen und Wünsche in einem sozialen Kontext. Hierzu entwickelten sie so

genannte Social-Activity-Desire-Aufgaben, die wie folgt aussehen:

Kindern werden Bildergeschichten gezeigt, bei denen zwei Personen etwas zusammen

tun, z.B. Bilder malen, singen usw. Die eine Person verlässt das Zimmer und geht in

einen anderen Raum. Die verbleibende Person ändert ihre Aktivität, z.B. Schlafen,

Musik hören. Die Kinder werden dann gefragt: „Was will die Person, die den Raum

verlassen hat, tun: Bilder malen oder schlafen?“. Dreijährige lösen diese Aufgabe

meistens falsch. Erst Fünfjährige verstehen, dass die abwesende Person vermutlich

immer noch die erste Aktivität präferiert.

Nguyen und Frye (1999) setzten auch eine strukturell sehr ähnliche Social-Activity-

False-Belief-Aufgabe ein. Der Ablauf der Bildergeschichten entspricht dem der Social-

Activity-Desire-Aufgaben. Die Testfrage lautet hier: „Was denkt die Person, die den

Raum verlassen hat, was die Person im Raum tut: Bilder malen oder schlafen?“. Es

zeigte sich, dass diese Aufgabe schwerer als eine normale False-Belief-Aufgabe ohne

sozialen Kontext ist. Sie ist aber gleich schwer wie die Social-Activity-Desire-Aufgabe.

Beide können erst von fünfjährigen Kindern mehrheitlich gelöst werden. Die Autoren

betonen, dass beide Social-Activity-Aufgabentypen, wie auch die Conflicting-Desire-

Aufgabe von Moore et al. (1995) einen Konflikt enthalten. „Conflicting desires may

provide the best comparison to belief because false belief always entails a conflict. The

child’s true belief about the situation is always at odds with the character’s false belief

about it” (Nguyen & Frye, 1999, S. 77). Aus ihren Ergebnissen ziehen Nguyen und Frye

den Schluss, dass Wunschverstehen nicht prinzipiell einfacher ist als

Überzeugungsverstehen, vielmehr scheint der Konflikt zwischen den mentalen

Zuständen, unabhängig von der Art des mentalen Zustandes, die Schwierigkeit

auszumachen. Diese Ergebnisse passen auf den ersten Blick recht gut zu denen von

Moore et al. (1995). Dennoch lassen sie die theoretische Überlegung dieser

Page 60: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 51

Forschergruppe, dass die exekutiven Anforderungen der Aufgaben die Schwierigkeit

ausmachen, problematisch erscheinen. Der nach dem Ansatz der exekutiven Funktionen

entscheidende Vorgang, das Hemmen des eigenen Wunsches, taucht in den Social-

Activity-Desire-Aufgaben nicht auf. Sie scheinen aber mindestens genauso schwierig zu

sein wie die Conflicting-Desire-Aufgaben von Moore et al. (1995).

Auch Ziv (1999) geht davon aus, dass ein entscheidendes Merkmal von False-Belief-

Aufgaben der in ihnen enthaltene Konflikt zwischen dem Wissen des Kindes über die

wahre Situation und der falschen Repräsentation des Protagonisten ist. In ihrer Studie

geht auch sie der Frage nach, ob Wunschverstehen, wenn ein Konflikt beachtet werden

muss, gleich schwer wie False-Belief-Verstehen ist. Hierfür entwickelt sie Conflict-in-

Desire-Aufgaben, bei denen den Kindern Szenen wie die folgende mit kleinen Figuren

vorgespielt werden:

Ein Hund und ein Pferd werden vorgestellt. Das Pferd spielt gerne mit Bauklötzen und

macht nicht gerne Puzzle, der Hund macht gerne Puzzle und spielt nicht gerne mit

Bauklötzen. Der Hund will jetzt mit dem Pferd spielen. Nach dieser Schilderung werden

dem Kind drei Fragen gestellt: „Wird der Hund das Pferd fragen, ob es mit ihm mit

Bauklötzen spielen will, oder ob es mit ihm ein Puzzle machen möchte?“

(Handlungsfrage), „Will der Hund alleine spielen oder will er mit dem Pferd spielen?“

(Zielfrage), „Mit was spielt der Hund wirklich gerne, mit Bauklötzen oder mit Puzzles?“

(Wunschfrage). Die Ergebnisse zeigen, dass die Handlungsfrage schwerer ist als eine

klassische False-Belief-Aufgabe. Dies ist angesichts der unklaren Struktur der Aufgabe

nicht verwunderlich. Dennoch interpretiert Ziv (1999) ihre Ergebnisse wie folgt:

Überraschenderweise konnten selbst fünfjährige Kinder die Conflict-in-Desire-Aufgabe

noch nicht richtig lösen. Erst Kinder im Alter von sechs Jahren verstanden, dass der

Agent dem Partner anbieten muss, mit den Dingen zu spielen, die der Partner bevorzugt.

Ziv (1999) zieht aus ihren Ergebnissen den Schluss, dass Kinder zwar schon früh

einfache Desire-Aufgaben lösen können, Verständnis für einen Konflikt zwischen zwei

Wünschen aber erst sehr viel später entwickeln. Wie Nguyen und Frye (1999) verwendet

auch sie Aufgaben, bei denen der Konflikt zwischen zwei Protagonisten besteht. Bei

beiden Aufgabentypen bleibt das Kind mit seinen eigenen Wünschen unbeteiligt im

Gegensatz zu den Aufgaben von Moore et al. (1995) und Gopnik und Slaughter (1991),

bei denen der Wunsch des Kindes eine wichtige Rolle spielt.

Page 61: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 52

Einige weitere Studien haben sich mehr oder weniger explizit mit der Entwicklung des

kindlichen Wunschverstehens beschäftigt. Die in der bekannten Studie von Bartsch &

Wellman (1995) gefundenen Ergebnisse, dass Kinder zuerst über Wünsche sprechen,

bevor sie über Überzeugungen sprechen, konnten inzwischen von anderen Autoren

bestätigt werden (Ferres, 2003; Ruffman, Slade & Crowe, 2002). Rieffe, Terwogt,

Koops, Stegge und Oomen (2001) fanden, dass bei der Vorhersage der Emotion eines

Akteurs in Abhängigkeit von dessen Wunsch sowohl der Abstand dieses Wuns ches zum

Wunsch des Kindes als auch kulturelle Normen bezüglich geschlechtsbedingter

Präferenzen eine Rolle spielen. Ab wann Kinder komplexere Szenarien mit mehreren

gleichzeitigen Wünschen verstehen, untersuchten Bennett und Galpert (1993). Die

jüngsten Kinder in ihrer Studie waren fünf Jahre alt. Sie zeigten schon ein deutliches

Verständnis für multiple Wünsche, so dass zu vermuten ist, dass dieses Wissen auch

schon für jüngere Kinder verfügbar ist.

Etwas Klarheit in die recht unterschiedlichen Befunde über den Zusammenhang von

Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen zu bringen, versucht die Arbeit von

Wellman und Liu (2004). In einer Metaanalyse, in der 45 Studien beachtet wurden,

untersuchten sie das Verhältnis des kindlichen Verstehens von mehreren mentalen

Zuständen. Sie fanden folgende Entwicklungsreihenfolge: Wunschverstehen ist leichter

als Überzeugungsverstehen, Überzeugungsverstehen ist leichter als das Verstehen von

falschen Überzeugungen. Das Ergebnis der Metaanalyse bezüglich des Verhältnisses

von Wunsch- und Überzeugungsverstehen beruht auf der Betrachtung der bereits in

diesem Abschnitt vorgestellten Arbeiten von Flavell et al. (1990), Gopnik und Slaughter

(1991), Wellman und Woolley (1990) sowie einer Studie von Ruffman et al. (2002), in

welcher gezeigt werden konnte, dass Kinder früher über Wünsche sprechen als über

Überzeugungen. Die Interpretation der Ergebnisse der Metaanalyse bezüglich des

Wunschverstehens erscheint schwierig, da in den einzelnen Studien sehr

unterschiedliche Aufgaben verwendet wurden. Hinzu kommt, dass die meisten

Aufgaben strukturell kaum Ähnlichkeit mit False-Belief-Aufgaben hatten, so dass die

Metaanalyse keine Hinweise auf das Verhältnis von Wunschverstehen und False-Belief-

Verstehen liefe rn kann. Wellman und Liu (2004) entwickelten eine Skala mit sieben

Aufgaben zu verschiedenen mentalen Zuständen, die die in der Metaanalyse gefundene

Entwicklung abbilden sollte. Das Wunschverstehen wurde hierbei mit der folgenden,

Page 62: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 53

sehr einfachen Wunschaufgabe erfasst. Auf einem Blattpapier waren eine Karotte und

ein Keks zu sehen. Dem Kind wurde eine Spielzeugfigur gezeigt und es wurde gefragt

was es selbst am liebsten möge, Karotte oder Keks. Dann wurde gesagt, die

Spielzeugfigur möge das andere Nahrungsmittel lieber. Anschließend wurde das Kind

gefragt, welches Nahrungsmittel die Spielzeugfigur wählen wird. In ihrer Studie legten

Wellman und Liu (2004) diese Diverse-Desire-Aufgabe, sowie eine Diverse-Belief,

Knowledge-Access, Content-False-Belief, Explicit-False-Belief, Belief-Emotion und

Real-Apparent-Emotion-Aufgabe Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren vor. Die

Ergebnisse dieser Studie bestätigen die in der Meta-Analyse gefundene

Entwicklungsreihenfolge. Die meisten Kinder, die eine innerhalb der Skala weiter hinten

liegende Aufgabe lösen konnten, hatten alle vorherigen Aufgaben richtig gemacht.

Wellman und Liu (2004) fassen ihre Ergebnisse wie folgt zusammen:

Empirically, the findings demonstrate an understanding of desire that

precedes an understanding of beliefs; in particular, children become

aware, that two persons can have different desires for the same object

before they become aware that two persons can have different beliefs

about the same object. They also demonstrate an understanding of

diverse beliefs before false beliefs; that is, children can judge that they

and someone else can have differing beliefs about the same situation

(when the child does not know which belief is true and which is false)

before they judge that someone else can have a false belief about a

situation (where the child thus knows which belief is true and which is

false). Finally, the results show that differentiating between real and

apparent emotion is a late-developing understanding within the

preschool years. (S. 536)

Auch wenn die Ergebnisse von Wellman und Liu (2004) dafür sprechen, dass

Wunschverstehen vor der Entwicklung von Überzeugungsverstehen möglich ist, gibt es

dennoch eine Reihe von Studien, die zeigen, dass komplexe Wunschaufgaben, die einen

Konflikt beinhalten, für Kinder ähnlich schwierig sind wie die False-Belief-Aufgaben

(Moore et al., 1995; Nguyen & Frye, 1999; Ziv, 1999). Die Unterschiedlichkeit der

Befunde kann möglicherweise auf die uneinheitlichen Aufgabentypen zurückgeführt

werden. Beispielsweise die von Wellman und Liu (2004) eingesetzte Diverse-Desire-

Page 63: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 54

Aufgabe kann nicht sicherstellen, dass das Kind wirklich den Wunsch nach einem der

beiden Lebensmittel hat. Auch findet nicht, wie bei der False-Belief-Aufgabe, eine

Veränderung des mentalen Zustandes statt. Um das Wunschverstehen in Relation zum

False-Belief-Verstehen setzen zu können, ist es aber unumgänglich, strukturell

vergleichbare Wunschaufgaben einzusetzen. Bei False-Belief-Aufgaben ändert sich

beispielsweise die Überzeugung des Kindes. Demnach sollte sich bei vergleichbaren

Wunschaufgaben der Wunsch des Kindes ändern. Die im Rahmen der vorliegenden

Arbeit eingesetzten Wunschaufgaben entsprechen strukturell den False-Belief-

Aufgaben. Somit können aus dem Verhältnis der Lösungshäufigkeit der

Wunschaufgaben zur Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgaben Rückschlüsse auf

die, im zweiten Kapitel dargestellten, theoretischen Erklärungsansätze gezogen werden,

wobei im Rahmen dieser Arbeit vor allem eine vergleichende Betrachtung von Perners

Ansatz mit dem Ansatz der exekutiven Funktionen vorgesehen ist. Daher soll im

folgenden Abschnitt etwas genauer auf einen Unterschied zwischen den beiden Ansätzen

eingegangen werden und zwar darauf, wie sie die repräsentationale Verschiedenheit von

Wünschen und Überzeugungen werten.

3.3 Repräsentationale Unterschiede zwischen den mentalen Zuständen Wunsch

und Überzeugung

Perner (1991a) betont, dass Überzeugungen repräsentational einen höheren

Schwierigkeitsgrad aufweisen als Wünsche. Dies ist für ihn ursächlich für die

unterschiedlichen Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen.

Nach dem Ansatz der exekutiven Funktionen ist es nicht nötig, diese repräsentationalen

Unterschiede zu berücksichtigen. Entscheidend ist lediglich, dass der eigene mentale

Zustand im Widerspruch zu dem des Akteurs steht, unabhängig von der Art des

mentalen Zustandes. Um den für Perners Ansatz so wichtigen repräsentationalen

Unterschied zwischen Wunsch und Überzeugung etwas genauer zu definieren, wird in

diesem Abschnitt eine Unterteilung von Schwitzgebel (1999b) vorgestellt.

Das Wort Repräsentation wird nach Schwitzgebel (1999b) in der philosophischen und

entwicklungspsychologischen Literatur nicht eindeutig gebraucht. Viele Autoren,

besonders auch im Bereich der Theory of Mind-Forschung, legen nicht genau fest, was

Page 64: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 55

sie unter einer Repräsentation verstehen. Schwitzgebel (1999b) leitet aus der Literatur

zwei Definitionen für Repräsentationen ab, contentive und indicative Repräsentationen.

1. „I shall call an account of representation contentiv just in case it treats as

representational anything meeting the following condition: (A) It has

propositional (alternatively: intentional or semantic) content” (Schwitzgebel,

1999b, S. 158).

2. Indicative accounts of representation require a further condition. Not only must

any representation or representational state have “content” [condition (A)], but

also: (B) The content of a representation is supposed to match up (alternatively,

in “normal” conditions matches up) with the way things are in the word. If it

does not, misrepresentation (itself a type of representation) has occurred.

(Schwitzgebel, 1999b, S. 159)

Als contentiv bezeichnet Schwitzgebel alle Ansätze, die folgende Konstrukte als

Repräsentationen verstehen: propositional attitudes wie Überzeugungen und Wünsche,

Sätze und Bilder. Geht man von einem indicativen Repräsentationsverständnis aus, dann

kennzeichnet Repräsentationen das, was Searle (1987) „Geist-auf-Welt“-Ausrichtung

nennt. Dies bedeutet, dass wenn Welt und Repräsentation nicht übereinstimmen, immer

die Repräsentation und nicht die Welt falsch ist. Die Repräsentation muss die Welt

abbilden, wie sie ist, ansonsten kommt es zu Missrepräsentationen. Diese indicative

Repräsentationsdefinition trifft auf Überzeugungen zu, die etwas abbilden wie es in der

Welt ist. Indicatives Repräsentationsverständnis steht aber in direktem Gegensatz zu

Wünschen, die nicht widerspiegeln, wie die Dinge in der Welt sind, sondern darauf

abzielen, wie sie sein sollten. Searl (1987) bezeichnet daher die Ausrichtung von

Wünschen als „Welt-auf-Geist“, d.h. die Realität soll sich den Wünschen anpassen. Es

wird also deutlich, dass Wünsche nach einem indicativen Repräsentationsverständnis

keine Repräsentationen sind. Wird aber von einem contentiven

Repräsentationsverständnis ausgegangen, sind auch Wünsche als Repräsentationenen zu

verstehen.

Die Einteilung von Schwitzgebel (1999b) liefert wichtige Hinweise dafür, dass Wünsche

repräsentational einfachere Konstrukte als Überzeugungen sind. Im Sinne eines

Page 65: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 56

contentiven Repräsentationsverständnisses muss nur der propositionale Inhalt von

Wünschen verstanden werden. Um hingegen Überzeugungen als indicative

Repräsentationen verstehen zu können, muss neben dieser Bedingung des

proposit ionalen Inhaltes auch noch ein Bezug zu den Dingen, wie sie in der Welt sind,

hergestellt werden. Um das Konzept Überzeugung verstehen zu können, müssen Kinder

also eine weitere Bedingung berücksichtigen. Dierstein (1997) fasst den

repräsentationalen Unterschied zwischen den beiden mentalen Zuständen wie folgt

zusammen:

Volitive Zustände haben Erreichens- oder Eintretensbedingungen,

epistemische weisen hingegen Wahrheitsbedingungen auf. Die Art der

Erfüllungsbedingungen wird durch die Modi („Wollen“, „Glauben“)

festgelegt. Die Wahrheitsbedingungen erfordern ein repräsentationales

Verstehen; wer verstehen will, dass Überzeugungen falsch sein

können, muss ein Konzept von „Fehlrepräsentationen“ haben, also zur

Metarepräsentation fähig sein. Ein Verstehen der Funktion volitiver

Zustände ist indes ohne Metarepräsentation möglich, da diese keine

Wahrheitsbedingungen, sondern Erreichungsbedingungen aufweisen.

(S. 88-89)

Perner (1991a) geht davon aus, dass Wünsche repräsentational einfachere Konstrukte

sind als Überzeugungen. Sie können nach seiner Theorie von Kindern schon im Stadium

der sekundären Repräsentationen begriffen werden, wohingegen

Überzeugungsverständnis erst im Stadium der Metarepräsentationen verfügbar ist.

Perner macht allerdings keine klare Angabe darüber, ob er von einem contentiven oder

indicativen Repräsentationsverständnis ausgeht. Seine Aussagen hierzu sind

widersprüchlich. So bezeichnet er auch Wünsche als Repräsentationen (contentiv),

definiert Repräsentationen aber als Abbild einer gegebenen Situation, das auch falsch

sein kann (indicativ). Er geht davon aus, dass Kinder Wünsche anfangs nicht als

Repräsentationen verstehen, dann aber dieses Konzept repräsentational erweitern. „They

treat desire first as relations to desired situations and than as mental representations of

situations. Treating desires as mental representations becomes necessary for

understanding how desires change and how they can be controlled” (Perner, 1991a, S.

205). Kinder können also schon als Situationstheoretiker ohne metarepräsentationales

Page 66: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 57

Verständnis aus Wünschen Verhalten vorhersagen. Wenn sie, wie von Perner

angenommen, im Laufe der Entwicklung Wünsche als repräsentational begreifen,

müsste es sich dabei, nach der Einteilung von Schwitzgebel (1999b), um contentive

Repräsentationen handeln.

Ganz anders wird die Bedeutung des repräsentationalen Unterschieds zwischen

Wünschen und Überzeugungen von Vertretern des Ansatzes der exekut iven Funktionen

bewertet (Moore et al., 1995; Russel, 1996). Sie gehen davon aus, dass beim Lösen von

Theory of Mind-Aufgaben die Art des mentalen Zustandes und somit auch die

repräsentationale Schwierigkeit des mentalen Konstrukts keine Rolle spielt. Die

Probleme beim Lösen der Aufgaben beruhen ihrer Ansicht nach darauf, dass der mentale

Zustand des Kindes im Widerspruch zu dem mentalen Zustand des Akteurs steht und das

Kind seinen eigenen mentalen Zustand hemmen muss, um den Zustand des Akteurs

benennen zu können. Dies ist bei den False-Belief-Aufgaben der Fall. Das Wissen des

Kindes entspricht nicht dem Wissen des Protagonisten. Auch für Wünsche lassen sich

Aufgaben konzipieren, bei denen der Wunsch des Kindes nicht dem des Akteurs

entspricht. Eine Variante dieser Aufgaben, ist die von Moore et al. (1995) eingeführte

und unter 3.2 dargestellte Conflicting-Desire-Aufgabe, welche strukturell vergleichbar

mit der klassischen False-Belief-Aufgabe ist. Sie bedeutet eine vergleichbare exekutive

Anforderung wie die False-Belief-Aufgabe und sollte somit, nach den Vorhersagen des

exekutiven Ansatzes, vergleichbar schwer sein.

3.3.1 Repräsentationale Unterschiede zwischen der Conflicting-Desire- und False-

Belief-Aufgabe

Hier soll nun betrachtet werden, wie sich die Conflicting-Desire-Aufgabe, bei der der

Wunsch des Kindes nicht dem Wunsch des Akteurs entspricht, repräsentational von der

False-Belief-Aufgabe, bei der die Überzeugung des Kindes nicht der Überzeugung des

Akteurs entspricht, unterscheidet. Darüber hinaus soll dargestellt werden, zu welcher

Vorhersage der repräsentationale Ansatz und zu welcher Vorhersage der Ansatz der

exekutiven Funktionen bezüglich der Schwierigkeit der beiden Aufgaben kommt.

Abbildung 3 zeigt, was das Kind zum einen beim Lösen einer False-Belief-Aufgabe und

zum anderen beim Lösen einer Conflicting-Desire-Aufgabe repräsentieren muss. Die

Page 67: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 58

gelbe Gedankenblase stellt hierbei den mentalen Inhalt des kindlichen Bewusstseins dar.

Bei beiden Aufgaben entspricht der mentale Zustand des Kindes nicht dem mentalen

Zustand des Akteurs. Im Fall der False-Belief-Aufgabe ist das Kind der Überzeugung,

dass der Stern rot ist, was mit der Realität übereinstimmt, der Akteur glaubt

fälschlicherweise, dass er blau sei. Bei der Conflicting-Desire-Aufgabe will das Kind

den roten Gegenstand, der Akteur hingegen den blauen.

falsch

richtig

False-Belief-Aufgaben Conflicting-Desire-Aufgaben

falsch

richtig

False-Belief-Aufgaben Conflicting-Desire-AufgabenConflicting-Desire-Aufgaben

Abbildung 3: Repräsentationaler Unterschied von False-Belief- und Conflicting-Desire-Aufgaben

Im Fall der Conflicting-Desire-Aufgabe muss das Kind also wissen, was es selbst will

(rotes Gesicht) und begreifen, dass die andere Person etwas anders möchte (blaues

Gesicht). Es muss nicht bewertet werden, ob einer der Wünsche richtig oder falsch ist,

da es sich hier eben nicht um indicative Repräsentationen handelt. Die unterschiedlichen

Wünsche stellen keinen Konflikt dar, da das Kind problemlos den roten Gegenstand und

der Akteur den blauen bekommen kann. Insofern ist der Name der Aufgabe von den

Autoren (Moor et al., 1995) etwas unglücklich gewählt, denn die Aufgabe beinhaltet

lediglich zwei unterschiedliche Wünsche und keinen Konflikt in dem Sinne, dass sich

die Erfüllung der beiden Wünsche gegenseitig ausschließt.

Ganz anders sieht die repräsentationale Anforderung bei False-Belief-Aufgaben aus.

Hier muss das Kind verstehen, dass es selbst und der Akteur jeweils eine Überzeugung

haben, die einen real existierenden Sachverhalt abbilden (in der Abbildung als roter

Page 68: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 59

Stern außerhalb der Gedankenblase dargestellt). Das Kind geht davon aus, dass seine

Überzeugung wahr ist. Gleichzeitig muss es begreifen, dass die Überzeugung des

Akteurs falsch ist, dieser aber glaubt, dass sie wahr sei und sein Verhalten danach

richten wird. Die Überzeugung des Kindes steht im Widerspruch zur Überzeugung des

Akteurs. Da sich beide auf denselben Sachverhalt beziehen, kann nur eine Überzeugung

richtig sein.

Die im Vergleich zur False-Belief-Aufgabe einfachere repräsentationale Struktur der

Conflicting-Desire-Aufgaben wurde anhand der Abbildung 3 deutlich gemacht. Was

bedeutet dies nun für die Aussagen des repräsentationalen Ansatzes? Aus der Sicht des

Ansatzes von Perner kann zwischen einem einfachen und einem repräsentationalen

Wunschverstehen unterschieden werden (Perner, 1991a). Schon „Situationstheoretiker“

verfügen über ein einfaches Wunschverstehen. Sie können anhand der Information, was

eine Person möchte, deren Handlung vorhersagen, indem sie Wünsche als eine direkte

Verbindung zwischen einer Person und einer erwünschten Situation verstehen.

The explanatory and predictive power of commonsense desire

psychology remains the same whether we view people as attracted by

desired situations or whether this attraction is mediated by a mental

representation of that situation.

An important developmental consequence of these considerations is

that children can understand much of the psychology of desire before

they have an understanding of representation. There are limits,

however, since parts of our commonsense psychology do take a

representational view of the mind. (Perner, 1991a, S. 118)

Es gibt also laut Perner Aspekte bezüglich des mentalen Konstrukts Wunsch, die erst

begriffen werden können, wenn ein repräsentationales Verständnis vorhanden ist.

Welches sind nun diese Aspekte? Was man wünschenswert findet, ist nicht ein Objekt

an sich, sondern die Repräsentation des Objektes. Daraus folgt, dass sich der Wunsch

nach einem Objekt ändern kann, auch wenn das Objekt gleich bleibt, da sich eben nur

die Repräsentation verändert hat. Um also wechselnde Erwünschtheit bezüglich eines

Objektes verstehen zu können, muss das Kind den repräsentationalen Charakter von

Wünschen verstanden haben (Gopnik & Slaughter, 1991).

Page 69: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 60

Bei den Conflicting-Desire-Aufgaben ändert sich der Wunsch des Kindes und wird

somit unterschiedlich zu dem der Handpuppe. Um diese Aufgaben richtig lösen zu

können, müssen Kinder also über ein repräsentationales Verständnis von Wünschen

verfügen. Dies sollte ihnen jedoch, wie oben dargestellt, leichter fallen als das

repräsentationale Verstehen von Überzeugungen, da es sich bei Wünschen um

contentive Repräsentationen handelt, die somit keine Wahrheitsbedingung aufweisen

(Gopnik & Slaughter, 1991). Für das repräsentationale Verstehen von Wünschen braucht

das Kind lediglich ein Konzept von Repräsentationen. Um Überzeugungen vollständig

repräsentational begreifen zu können, muss das Kind bereits über ein Konzept von

Fehlrepräsentationen verfügen. Im Fall von Überzeugungsverstehen muss das Kind ein

Element mehr berücksichtigen als im Fall von Wunschverstehen, da es neben dem

propositionalen Inhalt auch dessen Bezug zur Realität überprüfen muss.

Moore et al. (1995) gehen in ihrer Studie davon aus, dass das Lösen der Conflicting-

Desire-Aufgabe kein repräsentationales Verständnis von Wünschen voraussetzt. Sollte

dies der Fall sein, müssten aus Sicht des repäsentationalen Ansatzes von Perner (1991a)

auch schon „Situationstheoretiker“ die Frage nach dem Wunsch der Handpuppe richtig

lösen können. Dies würde bedeuten, dass die Conflicting-Desire-Aufgabe auch schon

von Kindern unter drei Jahren gelöst werden sollte. Demnach sollten nach der

Vorhersage des repräsentationalen Ansatzes die Conflicting-Desire-Aufgaben einfacher

sein als die False-Belief-Aufgaben, unabhängig davon, ob nun ein repräsentationales

Verständnis von Wünschen vorausgesetzt wird oder nicht. Das Alter der Kinder, die die

Conflicting-Desire-Aufgaben lösen können, kann möglicherweise etwas darüber

aussagen, ob die Aufgabe ein repräsentationales Wunschverständnis erfordert oder nicht.

Können schon Kinder unter drei Jahren, die laut Perner (1991a) noch über kein

repräsentationales Wunschverständnis verfügen, die Conflicting-Desire-Aufgabe lösen,

scheint ein repräsentationales Verständnis hier nicht notwendig zu sein. Sollten Kinder

aber erst im Laufe ihres vierten Lebensjahres die Conflicting-Desire-Aufgabe lösen

können, wäre das ein Hinweis darauf, dass ein repräsentationales Wunschverstehen

erforderlich ist.

Im Gegensatz zu der Erklärung des repräsentationalen Ansatzes steht die Aussage des

Ansatzes der exekutiven Funktionen. Moore et al. (1995) gehen davon aus, dass die

Schwierigkeit der False-Belief-Aufgabe nicht auf ihrem metarepäsentationalen

Page 70: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 61

Charakter beruht, sondern durch die hohen exekutiven Anforderungen der Aufgabe

zustande kommt. Die von ihnen entwickelte Conflicting-Desire-Aufgabe weist die

gleichen exekutiven Anforderungen auf wie die False-Belief-Aufgabe. Die Aufgaben

unterscheiden sich also nur in Bezug auf den mentalen Zustand Wunsch oder

Überzeugung. Laut den Vertretern des exekutiven Ansatzes muss das Kind bei beiden

Aufgaben die gleiche exekutive Leistung erbringen. Im Fall der False-Belief-Aufgabe

muss es sein eigenes dominantes Wissen (großer roter Stern) hemmen, um das Wissen

des Akteurs berücksichtigen zu können. Bei der Conflicting-Desire-Aufgabe muss es

seinen eigenen dominanten Wunsch (rotes Gesicht) zurückstellen um den Wunsch des

Akteurs richtig benennen zu können. Somit sollte nach den Überlegungen des

exekutiven Ansatzes die Conflicting-Desire-Aufgabe vergleichbar schwer sein wie die

False-Belief-Aufgabe.

Es wurde deutlich, dass aus dem Vergleich des Entwicklungsverlaufes des

Wunschverstehens mit dem Entwicklungsverlauf des Überzeugungsverstehens wichtige

Rückschlüsse auf die einzelnen theoretischen Ansätze zur Erklärung der kindlichen

Theory of Mind gezogen werden können. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht hierbei die

Betrachtung des repräsentationalen und exekutiven Ansatzes. Sollte die Conflicting-

Desire-Aufgabe vergleichbar schwer sein wie die False-Belief-Aufgabe, würde dies die

Aussagen des Ansatzes der exekutiven Funktionen bestätigen. Sollte aber die

Conflicting-Desire-Aufgabe leichter sein als die False-Belief-Aufgaben, spricht dies

eher für die Annahmen des repräsentationalen Ansatzes. Darüber hinaus kann aus dem

Alter der Kinder, die die Conflicting-Desire-Aufgabe lösen können, abgeleitet werden,

ob die Aufgabe ein repräsentationales Wunschverständnis erfordert oder nicht. Die aus

den bisherigen Überlegungen abgeleiteten konkreten Fragestellungen der Arbeit werden

im nächsten Abschnitt dargestellt.

3.4 Ableitung der Fragestellungen

Die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind ist gegenwärtig ein lebhaftes

Forschungsfeld innerhalb der Entwicklungspsychologie. Bisher wurde besonders der

Entwicklung des Überzeugungsverständnisses viel Aufmerksamkeit geschenkt, wobei

aber fast alle Daten aus Querschnittsstudien stammen, die die Fähigkeit verschiedener

Page 71: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 62

Altersgruppen vergleichend betrachten. Somit fehlt es an Studien, die die Entwicklung

des Überzeugungsverständnisses über die Zeit hinweg an einer Gruppe von Kindern

untersuchen. Dennoch können anhand der Fülle von Querschnittstudien zum

Überzeugungsverstehen fundierte Aussagen über dessen Entwicklung gemacht werden.

Ganz anders sehen die Forschungsbemühungen bezüglich des Wunschverstehens aus.

Obwohl es ein ebenso wichtiger Bestandteil der kindlichen Theory of Mind ist wie das

Verstehen von Überzeugungen, wurde es bisher kaum untersucht. Bei den wenigen

vorhandenen Untersuchungen handelt es sich ausschließlich um Querschnittstudien, die

mit sehr unterschiedlichen Aufgaben versuchen das Wunschverstehen zu erfassen (siehe

Abschnitt 3.2). Daher ist es nicht möglich anhand dieser sich teilweise

widersprechenden Einzelergebnisse Rückschlüsse auf die Entwicklungsabfolge des

Wunschverstehens zu ziehen. Für ein differenziertes Verständnis der Entwicklung der

kindlichen Theory of Mind erscheint es dringend erforderlich, die Entwicklung des

Wunschverstehens genauer zu untersuchen. Dies wird im Rahmen der vorliegenden

Arbeit getan. Hierbei wird nicht nur erstmalig eine Längsschnittstudie zum

Wunschverstehen durchgeführt, sondern auch, wie bisher noch nicht geschehen,

gleichzeitig die Entwicklung des Wunschverstehens und des Überzeugungsverstehens

mit strukturell vergleichbaren Aufgaben über mehrere Monate hinweg an einer Gruppe

von Kindern erfasst. Somit liefert die vorliegende Arbeit einen wichtigen Beitrag zu

einem breiteren Verständnis der Entwicklung der kindlichen Theory of Mind, indem sie

das Verhältnis der Entwicklung von Wunsch- und Überzeugungsverstehen untersucht.

Ziel dieser Arbeit ist aber nicht nur die Erfassung der Entwicklungsverläufe. Darüber

hinaus sollen aus dem Vergleich von Wunsch- und Überzeugungsverstehen

Rückschlüsse auf die verschiedenen theoretischen Erklärungsansätze gezogen werden,

indem die von ihnen gemachten Aussagen über die Relation dieser

Entwicklungsverläufe mit den in der eigenen Studie gefundenen Daten verglichen

werden. Bei dieser Analyse werden zwei theoretische Erklärungsansätze im Mittelpunkt

stehen: der Ansatz der exekutiven Funktionen und der repräsentationale Ansatz, die, wie

in Abschnitt 3.3 ausgeführt, zu unterschiedlichen Vorhersagen bezüglich der Relation

von Wunsch- und Überzeugungsverstehen kommen. Darüber hinaus soll betrachtet

werden, ab welchem Alter Kinder die Conflicting-Desire-Aufgabe lösen können und

somit über ein repräsentationales Wunschverstehen verfügen. Besonders in der

Page 72: Dissertation

3. Das kindliche Verständnis von Wünschen und Überzeugungen 63

Diskussion um die Simulationstheorie (2.3) ist es von Interesse, inwiefern sich das

Verstehen eigener mentaler Zustände von dem fremder mentaler Zustände unterscheidet.

Daher soll dies sowohl für Wünsche als auch für Überzeugungen im Rahmen dieser

Arbeit untersucht werden.

Die Forschungsfragen dieser Arbeit lauten demnach konkret wie folgt:

1. Wie verhält sich der Entwicklungsverlauf des Wunschverstehens zu dem

Entwicklungsverlauf des Überzeugungsverstehens?

2. Welche Rückschlüsse auf theoretische Erklärungsansätze zur kindlichen

Theory of Mind lassen sich aus dem Ergebnis bezüglich des Verhältnisses der

beiden Entwicklungsverläufe ziehen? Sprechen die Daten eher für den

Ansatz der exekutiven Funktionen oder eher für den repräsentationalen

Ansatz?

3. Ab welchem Alter lösen Kinder Conflicting-Desire-Aufgabenn und verfügen

somit über ein repräsentationales Wunschverstehen?

4. Wie verläuft die Entwicklung des Verstehens eigener und fremder mentaler

Zustände? Unterscheidet sich diese Entwicklung bezüglich Wunsch- und

Überzeugungsverstehen?

Page 73: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 64

4 Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungs-

verstehen

Die vorliegende Arbeit setzt sich aus zwei empirischen Studien zusammen. Bei Studie 1

handelt es sich um eine Längsschnittstudie. Über einen Zeitraum von sieben Monaten

wurden 42 Kindern zu zehn Terminen Wunsch- und Überzeugungsaufgaben vorgelegt.

Die Kinder waren zu Beginn der Untersuchung im Durchschnitt 41,6 Monate alt. Studie

1 bildet den Entwicklungsverlauf von Wunsch- und Überzeugungsverstehen ab. Die

Daten ermöglichen sowohl Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Wunsch-

und Überzeugungsverstehen als auch auf die Frage nach dem Verstehen eigener und

fremder mentaler Zustände. Studie 1 wurde im Rahmen des DFG-Projektes „Die

Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogene tische Studie und

Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) durchgeführt. Hierdurch war das

Alter der Kinder, die an der Studie teilnahmen, bereits im Vorfeld festgelegt. Um auch

Aussagen über das Wunsch- und Überzeugungsverstehen jüngerer Kinder machen zu

können, wurde Studie 2 durchgeführt. Hierbei wurden 41 Kindern im Alter von 36,4

Monaten Wunsch- und Überzeugungsaufgaben zu einem Termin vorgelegt. Studie 2

ergänzt somit das Wissen über den Entwicklungsverlauf von Wunsch- und

Überzeugungsverstehen und gibt Antwort auf die Frage, ab welchem Alter Kinder über

ein repräsentationales Wunschverstehen verfügen.

Studie 2 wird im nächsten Kapitel dargestellt. Dieses Kapitel widmet sich der

Beschreibung der Studie 1, wobei zuerst die Rahmenbedingungen dargestellt werden

(4.1), bevor die Fragestellungen und Hypothesen (4.2), die Methode (4.3) und

anschließend die Ergebnisse (4.4) der Studie beschrieben werden.

4.1 Rahmenbedingungen

Wie bereits erwähnt wurde die vorliegende Studie im Rahmen des DFG-Projektes „Die

Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und

Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) durchgeführt. Hierbei handelt es

sich um ein dreijähriges Projekt, welches im Zusammenhang mit vorangegangener

Forschung zur Entwicklung der kindlichen Theory of Mind am Institut für Psychologie

Page 74: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 65

der Albert-Ludiwigs-Universität in Freiburg (Wahl & Spada, 2000; Wichmann, 1995;

Wichmann, Opwis & Spada, 1996) entstanden ist. Die hier vorliegende Studie 1 wurde

im Rahmen einer Datenerhebungswelle des DFG-Projektes im Jahre 2004 durchgeführt.

Im Rahmen des DFG-Projektes wurden den Kinder False-Belief-, Representational-

Change- und Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben vorgegeben. Im Rahmen der

eigenen Arbeit wurden Wunschaufgaben entwickelt, die den Kindern neben den

klassischen Theory of Mind-Aufgaben vorgelegt wurden. Durch die Anbindung der

eigenen Datenerhebung an das DFG-Projekt waren Rahmenbedingungen der

Untersuchung wie etwa Alter der Kinder, Häufigkeit und Abstand von Erhebungen

sowie die klassischen Theory of Mind-Aufgaben bereits festgelegt.

Die aus den allgemeinen Fragestellungen des vorherigen Kapitels abgeleiteten konkreten

Hypothesen der Studie 1 werden im folgenden Abschnitt beschrieben.

4.2 Fragestellung und Hypothesen

Ziel der Studie 1 war es, die kindliche Entwicklung von Überzeugungsverstehen und

Wunschverstehen abzubilden und in einem zweiten Schritt aus dem Verhältnis der

beiden Entwicklungsverläufe Rückschlüsse auf einzelne theoretische Erklärungsansätze

zur Theory of Mind zu ziehen. Hierzu wurden 42 Kindern über einen Zeitraum von

sieben Monaten zu 10 Terminen Theory of Mind-Aufgaben vorgelegt. Neben dieser

Untersuchungsgruppe gab es eine Kontrollgruppe, die nur zu Beginn und am Ende der

sieben Monate an je einem Termin teilnahm. Die allgemeinen Fragestellungen für die

gesamte Arbeit wurden bereits unter 3.4 dargestellt. Hier werden nun die daraus

abgeleiteten konkreten Hypothesen für die Studie 1 dargestellt.

Hypothese 1 lautet:

Die Lösungshäufigkeit aller Aufgabentypen nimmt im Verlauf der zehn Termine zu.

Die Kinder, die an der Studie teilnahmen, wurden so ausgewählt, dass sie sich in dem

Altersbereich befanden, in dem viele Studien eine natürliche Theory of Mind-

Entwicklung abbilden konnten (Wellman et al., 2001). Es kann somit davon

ausgegangen werden, dass während des Untersuchungszeitraumes von sieben Monaten

Page 75: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 66

die Fähigkeit zur Theory of Mind zunimmt, was im Verlauf der Zeit zu durchschnittlich

höheren Lösungshäufigkeiten aller Aufgaben führen sollte.

Hypothese 2 lautet:

Aufgaben, die das Überzeugungsverständnis erfassen (False-Belief- und

Representational-Change-Aufgaben) sind für die Kinder schwieriger zu lösen als

Aufgaben, die Wunschverstehen erfassen (Conflicting-Desire- und Neugier-Aufgaben).

Basierend auf den in Abschnitt 3.3 aufgezeigten repräsentationalen Unterschieden

zwischen Überzeugungs-Aufgaben und Wunsch-Aufgaben, wird davon ausgegangen,

dass Wunsch-Aufgaben aufgrund ihrer einfacheren repräsentationalen Struktur für die

Kinder leichter zu lösen sind als Überzeugungs-Aufgaben. Sollten die Daten dieses

Muster zeigen, würde das für den repräsentationalen Ansatz von Perner (1991a)

sprechen. Ausgehend von der Vorhersage der Vertreter des exekutiven Ansatzes (Moore,

et al., 1995) sollten Wunsch- und Überzeugungs-Aufgaben gleich schwer zu lösen sein.

Hypothese 3 lautet:

Das Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände ist gleich schwer.

Die Frage, ob Aufgaben, bei denen eigene vergangene mentale Zustände benannt

werden müssen, gleich schwer sind wie Aufgaben, bei denen mentale Zustände anderer

Personen repräsentiert werden müssen, ist entscheidend in der Diskussion der Theorie-

Theorie und Simulationstheorie (Gopnik & Wellman, 1994). Aus dem Verhältnis des

Verstehens eigener und fremder mentaler Zustände lassen sich Rückschlüsse auf die

Richtigkeit der Annahmen der beiden theoretischen Ansätze ziehen. Sollte es sich

zeigen, dass das Verstehen eigener mentaler Zustände leichter ist als das Verstehen

fremder, würde dies eher für die Simulationstheorie sprechen. Vertreter der Theorie-

Theorie gehen davon aus, dass das Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände

gleich schwer ist.

Hypothese 4 lautet:

Kinder der Kontrollgruppe lösen am Ende des Untersuchungszeitraumes weniger

Aufgaben richtig als Kinder der Untersuchungsgruppe.

Page 76: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 67

Wie bereits erwähnt, wird neben der eigentlichen Untersuchungsgruppe eine

Kontrollgruppe einbezogen, die nur zu Beginn und am Ende des siebenmonatigen

Untersuchungszeitraumes Aufgaben vorgelegt bekommt. Da mehrere Studien gezeigt

haben, dass Theory of Mind-Fähigkeit trainierbar ist (Appelton & Reddy, 1996; Melot &

Angeard, 2003; Slaughter & Gopnik, 1996), besteht die Möglichkeit, dass sich durch das

über 10 Termine wiederholte Darbieten vergleichbarer Aufgaben, zusätzlich zu der

normalen Entwicklung ein Lerneffekt einstellt. Bei den Kindern der Kontrollgruppe

sollte sich dieser zusätzliche Lerneffekt nicht zeigen. Dies bedeutet, dass aus der

vergleichenden Betrachtung der Ergebnisse der Untersuchungsgruppe und der

Kontrollgruppe Informationen darüber gewonnen werden können, inwiefern die

Entwicklungsverläufe der Untersuchungsgruppe der „natürlichen“ Entwicklung

entsprechen, bzw. inwiefern zusätzliche Lerneffekte in diese Entwicklungsverläufe

einfließen.

Die Beeinflussbarkeit der Theory of Mind durch Lernerfahrungen kann wiederum in

Bezug zu einzelnen theoretischen Ansätzen diskutiert werden. So geht gerade die

Theorie-Theorie davon aus, dass der Entwicklung ein Lernprozess zugrunde liegt (siehe

2.2), woraus geschlussfolgert werden kann, dass durch häufige Auseinandersetzung mit

dem entsprechenden Material die Entwicklung schneller verlaufen sollte. Besonders aus

der Perspektive der Modultheorie (siehe 2.1) sollten hingegen keine Lerneffekte zu

beobachten sein, da Reifung als der zugrunde liegende Entwicklungsmechanismus

angenommen wird.

4.3 Methode

4.3.1 Stichprobe

Vom Amt für Statistik und Einwohnerwesen der Stadt Freiburg wurden die Adressen

von Familien, die ein Kind im Alter von drei bis dreieinhalb Jahren hatten, bereitgestellt.

Es wurden 221 Familien angeschrieben. Die Eltern von 67 Kindern erklärten sich dazu

bereit, ihr Kind an der Studie teilnehmen zu lassen. Diese Kinder wurden für einen

Vortest zuhause besucht, bei dem ihnen neun Aufgaben vorgelegt wurden. Da es Ziel

der Studie war, den Entwicklungsverlauf abzubilden, wurden Kinder, die bereits

mehrere Aufgaben lösen konnten, ausgeschlossen, da bei ihnen die Entwicklung schon

Page 77: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 68

zu weit fortgeschritten war. Weitere Ausschlusskriterien waren mangelnde

Konzentration oder die Weigerung, auf Fragen zu antworten. Insgesamt wurden 55

Kinder in die Studie aufgenommen, die nach Alter, Geschlecht und Lösungshäufigkeit

des Vortests parallelisiert in Untersuchungs- und Kontrollgruppe eingeteilt wurden. 44

Kinder wurden der Untersuchungsgruppe zugeteilt, 11 der Kontrollgruppe. Zu Beginn

der Hauptstudie entschieden sich zwei Familien aufgrund von familiären Problemen

nicht an der Studie teilzunehmen, so dass 42 Kinder in der Untersuchungsgruppe

verblieben. Insgesamt nahmen also 53 Kinder an der Studie teil, davon 27 Mädchen und

26 Jungen. Beim ersten regulären Erhebungstermin der siebenmonatigen Studie waren

die Kinder zwischen 39 und 45 Monaten alt und hatten ein Durchschnittsalter von 41,6

Monaten.

Die Stichprobe der an der Studie teilnehmenden Kinder kann nicht als repräsentativ für

die Gesamtpopulation aller Kinder in dieser Altersgruppe betrachtet werden, da die

Eltern, die sich bereit erklärten, an der Studie teilzunehmen über ein sehr hohes

Bildungsniveau verfügten. So hat die Mehrheit der Mütter und Väter die Allgemeine

Hochschulreife und etwas mehr als die Hälfte verfügt über ein abgeschlossenes

Hochschulstudium. Dies wird bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen sein.

4.3.2 Material

In der vorliegenden Studie kamen fünf verschiedene Aufgabentypen zum Einsatz (siehe

Tabelle 4). Hierbei handelt es sich zum einen um klassische Theory of Mind-Aufgaben,

und zum anderen um bisher wenig untersuchte Wunschaufgaben, die teilweise im

Rahmen dieser Studie weiterentwickelt wurden. Zuerst sollen die klassischen Theory of

Mind-Aufgaben vorgestellt werden (4.3.2.1), anschließend erfolgt die Betrachtung der

verwendeten Wunschaufgaben (4.3.2.2).

4.3.2.1 Die klassischen Theory of Mind-Aufgaben

Zu den klassischen Theory of Mind-Aufgaben gehören die False-Belief- und die

Representational-Change-Aufgaben, die beide Überzeugungsverstehen erfassen. Des

Weiteren kann die Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe zu den klassischen Theory

of Mind-Aufgaben gezählt werden. Sie erfasst, ob ein Kind zwischen der Identität und

Page 78: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 69

dem diskrepanten Aussehen eines Objektes unterscheiden kann. Da sie also weder

Wunsch- noch Überzeugungsverstehen abbildet, ist sie für die vorliegende Arbeit nur

von geringer Bedeutung.

Die Kinder in Studie 1 bekamen zu jedem der 10 Erhebungstermine eine Version von

jedem klassischen Aufgabentyp vorgelegt. Es war somit nötig, mehrere Versionen von

jedem Aufgabentyp zu entwickeln. Dabei wurde immer die Grundstruktur des jeweiligen

Aufgabentyps beibehalten und es wurden nur die Geschichten oder das gezeigte Objekt

verändert (siehe Anhang). Zu den drei klassischen Aufgabentypen erhielten die Kinder

kurze Rückmeldungen. Dies war im Rahmen des DFG-Projektes festgeschrieben. Für

die eigene Arbeit spielen diese Rückmeldungen keine Rolle und sollen daher nicht näher

betrachtet werden.

Durch das wiederholte Darbieten vergleichbarer Aufgaben und die dazu gegebene

Rückmeldung ergibt sich folgendes Problem: Es könnte sein, dass Kinder nicht aufgrund

von echtem Verständnis, sondern aufgrund von gelernten Antworttendenzen die

Aufgaben richtig lösen. Möglicherweise stellt ein Kind fest, dass immer gerade die

Antwortalternative, die es nicht wählen würde, richtig ist und antwortet in Zukunft nach

diesem Muster. Um solche Antworttendenzen zu verhindern, wurden in der Studie für

alle klassischen Aufgabentypen, auch jeweils eine so genannte konsistente

Aufgabenversion vorgegeben. Konsistente Aufgaben gleichen von der Struktur der

Aufgabendurchführung den im Folgenden als inkonsistenten bezeichneten Theory of

Mind-Aufgaben, unterscheiden sich von diesen aber wesentlich bezüglich der

Anforderung an Theory of Mind-Fähigkeit. Bei konsistenten Aufgaben kommt es nicht

zu zwei diskrepanten mentalen Repräsentationen, es muss also keine Theory of Mind

vorhanden sein um diese Aufgaben lösen zu können. Dies bedeutet, dass das Kind,

ausgehend von der eigenen Repräsentation, die Testfrage richtig beantworten kann.

Somit ist durch das Darbieten von inkonsistenten und konsistenten Aufgaben

sichergestellt, dass Kinder die Aufgaben nicht aufgrund von einfachen gelernten

Antwortmustern lösen können. Zu den beiden Wunschaufgaben (siehe 4.3.2.2), die nur

zu jedem zweiten Termin eingesetzt wurden, erhielten die Kinder keine Rückmeldung.

Daher wurde auf konsistente Aufgabenversionen verzichtet, da die Kinder nicht

feststellen konnten, ob ihre Antworten richtig waren und somit auch keine gelernten

Antwortmuster entwickeln konnten. Darüber hinaus machte auch die geringe Anzahl der

Page 79: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 70

Aufgaben und die Länge der Zeit zwischen den Terminen die Entstehung gelernter

Antwortmuster unwahrscheinlich. Im Folgenden soll nun anhand von je einem Beispiel

die Struktur jedes Aufgabentyps verdeutlicht werden.

Tabelle 4: Die Aufgaben

Aufgabenart: Aufgabe erfasst: Anzahl der Testfragen

Aufgabenversionen Häufigkeit der Darbietung

False-Belief (FB) Überzeugungs-verstehen

eine eine

inkonsistent konsistent

jeder Termin

Representational-Change (RC)

Überzeugungs-verstehen

eine eine

inkonsistent konsistent

jeder Termin

Conflicting-Desire (CD)

Wunschverstehen zwei inkonsistent jeder zweite Termin

Neugier-Aufgabe (N)

Wunschverstehen zwei inkonsistent jeder zweite Termin

(Appearance-Reality-Distinction (AR))

(Unterscheidung: Identität und Aussehen)

eine eine

inkonsistent konsistent

jeder Termin

Die False-Belief-Aufgaben:

Die False-Belief-Aufgaben wurden den Kindern in Form von Bildergeschichten oder

Szenen mit kleinen Spielfiguren vorgegeben. Bei der inkonsistenten False-Belief-

Aufgabe „Annas Puppe“ wurden dem Kind nacheinander vier Bilderkarten vorgelegt

(siehe Abbildung 4). Dazu wurde von der Versuchleiterin, mit Hilfe des Protokollbogens

(siehe Abbildung 5), die entsprechende Geschichte erzählt.

Page 80: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 71

Karte 1

Karte 2

Karte 3

Karte 4

Abbildung 4: False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“

Direkt auf dem Protokollbogen wurde von der Versuchsleiterin durch Ankreuzen der

grünen Antwortalternativen die Antwort des Kindes festgehalten. Die jeweils richtigen

Antwortalternativen sind durch Unterstreichung auf dem Protokollbogen

gekennzeichnet.

Page 81: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 72

Annas Puppe

Karte 1: Das ist Anna. Sie spielt hier mit ihrer Puppe. Als sie genug gespielt hat, legt sie die Puppe in ihr Bett unter die Decke. Dann geht Anna raus in den Garten.

Kontrollfrage: Wo hat Anna die Puppe hingelegt?

O Bett => weiter mit Karte 2

O andere oder keine Antwort => Karte 1 noch mal erklären

Karte 2: Jetzt kommt Jan, der Bruder von Anna ins Zimmer. Er nimmt die Puppe aus dem Bett und spielt mit ihr.

Karte 3 Als er genug gespielt hat, legt er die Puppe in den Schrank und macht die Türe zu. Dann geht er aus dem Zimmer. Anna weiß nicht, dass die Puppe jetzt im Schrank ist.

Karte 4 Jetzt kommt Anna wieder in ihr Zimmer . Sie möchte mit ihrer Puppe spielen.

Testfrage: Wo wird Anna zuerst nach ihrer Puppe suchen? Im Bett oder im Schrank (zeigen)?

O Bett O Schrank O keine Antwort O sonstige

Puppe kommt raus und stellt

Realitätsfrage: Wo ist die Puppe? Im Bett oder im Schrank (zeigen)?

O Bett O Schrank O keine Antwort O sonstige

Abbidung 5: Protokollbogen der False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“

Insgesamt wurden den Kindern bei jeder False-Belief-Aufgabe drei Fragen gestellt.

Durch die Kontrollfrage wurde erhoben, ob das Kind wusste, an welchem Ort sich der

Gegenstand befand. Nur wenn die Kontrollfrage richtig beantwortet wurde, konnte mit

dem weiteren Verlauf der Aufgabe fortgefahren werden. Andernfalls musste die bisher

gegebene Information nochmals wiederholt werden. Die Testfrage erfasste, ob das Kind

in der Lage war, die Perspektive der anderen Person (im Beispiel Anna) zu

Page 82: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 73

berücksichtigen und obwohl es selbst wusste, dass diese Perspektive falsch war, daraus

die Handlung des Protagonisten (Anna) vorherzusagen. Die Realitätsfrage stellte sicher,

dass das Kind den Ortswechsel des Gegenstandes auch wirklich begriffen hat. Nur wenn

sie auch richtig beantwortet wurde, wurde die Testfrage als richtig interpretiert.

Um sicher zu stellten, dass die Reihenfolge der angebotenen Antwortalternativen bei

Test- und Realitätsfrage keinen Einfluss auf die Messung hat, wurde diese über alle

Aufgaben hin variiert, so dass bei einer Hälfte der Aufgaben die richtige

Antwortalternative zu Beginn und bei der anderen Hälfte die falsche Antwortalternative

zu Beginn genannt wurde. Darüber hinaus wurden diese Antwortalternativen nur den

Kindern angeboten, die nicht direkt von sich aus auf die Fragen antworteten.

Die dargestellte Aufgabe „Annas Puppe“ war inkonsistent, da sich das Wissen des

Kindes von dem Wissen des Protagonisten (Anna) unterscheidet. In einer konsistenten

Aufgabe hätte Anna beispielsweise gesehen, dass Jan die Puppe in den Schrank gelegt

hat. Somit wäre es nicht zu zwei unterschiedlichen Repräsentationen gekommen, weil

Anna dann dasselbe Wissen gehabt hätte wie das Kind.

Die Representational -Change-Aufgaben:

Bei den inkonsistenten Representational-Change-Aufgaben kommt es zu zwei

unterschiedlichen Repräsentationen, weil sich die Überzeugung des Kindes im Verlauf

der Aufgabe ändert. Diese Überzeugungsveränderung wurde meist dadurch erreicht,

dass dem Kind eine Verpackung vorgegeben wurde, die einen bestimmten Inhalt

erwarten ließ, welcher sich aber nicht in der Verpackung befand. In dem hier

vorgestellten Beispiel wurde dem Kind ein Eierkarton gezeigt, der Tischtennisbälle

enthielt. Bei wenigen Aufgaben wurde die Überzeugungsveränderung dadurch erreicht,

dass ein Gegenstand andere Eigenschaften hatte, als er vermuten ließ. Der genaue

Ablauf der Beispielaufgabe geht aus dem Protokollbogen in Abbildung 6 hervor.

Page 83: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 74

Eierkarton

Versuchsleiterin nimmt Eierkarton aus der Tasche. Eierkarton dem Kind zeigen, aber nicht geben. Schau mal, was ich da habe.

Kontrollfrage: Was glaubst Du, was da drin ist?

O Eier O Bälle => Ersatzaufgabe nehmen O keine Antwort, weiß nicht => Ersatzaufgabe nehmen O sonstige................................

Okay, schauen wir mal nach.

Vl öffnet den Eierkarton. Zeigt die Tischtennisbälle. Oh! Da sind kleine Bälle drin.

Vl schliesst den Eierkarton wieder.

Testfrage: Als ich Dir vorhin diese Schachtel gezeigt habe, bevor wir sie aufgemacht haben, was hast Du gedacht, was da drin ist? Eier/Antwort des Kindes auf Kontrollfrage oder Bälle?

O Eier O Bälle O keine Antwort O sonstige...................................

Puppe kommt raus und stellt

Realitätsfrage Was ist in Wirklichkeit in dieser Schachtel? Eier/Antwort des Kindes auf Kontrollfrage oder Bälle?

O Eier O Bälle O keine Antwort O sonstige...................................

Abbildung 6: Protokollbogen der Representational-Change-Aufgabe „Eierkarton“

Auch bei allen Representational-Change-Aufgaben wurden den Kindern drei Fragen

gestellt. Mit der Kontrollfrage wurde festgestellt, was das Kind als Inhalt der

Verpackung angenommen hatte. Die Verpackungen legten immer einen bestimmten

Inhalt nah, hier im Beispiel Eier. Wenn das Kind diesen Inhalt oder einen anderen Inhalt

(diskrepant zum tatsächlichen Inhalt) angab, konnte die Aufgabe fortgeführt werden.

Wurde ein sonstiger Inhalt z.B. Schokolade angegeben, wurde dies unter sonstige

notiert. Wichtig für die Struktur der Aufgabe war, dass die anfängliche Überzeugung des

Kindes bezüglich des Inhalt s der Verpackung falsch war. Gab ein Kind den tatsächlichen

Inhalt der Schachtel an (hier Bälle) oder sagte nichts, konnte die Aufgabe nicht

fortgesetzt werden. Um fehlende Werte zu vermeiden, wurden in diesen Fällen

Page 84: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 75

Ersatzaufgaben durchgeführt. Die Testfrage erfasste, ob das Kind in der Lage war, seine

eigene ursprüngliche Überzeugung zu benennen, nachdem es die dazu diskrepante

Repräsentation bezüglich des tatsächlichen Inhalts aufgebaut hatte. Die Realitätsfrage

stellte sicher, dass das Kind wusste, was sich tatsächlich in der Verpackung befand. Nur

wenn sie auch richtig beantwortet wurde, wurde die Testfrage als richtig interpretiert.

Auch bei den Representational-Change-Aufgaben wurde die Reihenfolge der

angebotenen Antwortalternativen bei Test- und Realitätsfrage über alle Aufgaben hin

variiert, so dass bei einer Hälfte der Aufgaben die richtige Antwortalternative zu Beginn

und bei der anderen Hälfte die falsche Antwortalternative zu Beginn genannt wurde.

Die hier vorgestellte Beispielaufgabe „Eierkarton“ war inkonsistent weil sich der

tatsächliche Inhalt von dem erwarteten Inhalt unterschied. In einer konsistenten Aufgabe

hätten sich in der Verpackung tatsächlich Eier befunden. Damit die beiden

Repräsentationen (Überzeugung bevor in die Schachtel geschaut wurde, Überzeugung,

nachdem in die Schachtel geschaut wurde) konsistent sind, müsste das Kind zu Beginn

sagen, dass es denkt, dass Eier in der Schachtel sind.

Die Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben:

Die Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben erfassen, ob ein Kind zwischen der

Identität oder Eigenschaft und dem diskrepanten Aussehen eines Objekts unterscheiden

kann. Es müssen somit zwei inkonsistente Repräsentationen gebildet werden, zum einen

wie das Objekt aussieht und zum anderen wie es wirklich ist. Die Diskrepanz zwischen

dem Aussehen und der Eigenschaft wurde erreicht, indem mit Trickobjekten gearbeitet

wurde, wie hier im Beispiel mit einer Kerze, die aussah wie ein Stein. Bei einigen

Aufgaben wurde auch die Eigenschaft eines Objektes verändert, beispielsweise seine

Farbe dadurch, dass es unter einer farbigen Folie präsentiert wurde oder seine Größe

durch Verwenden einer Lupe. Der genaue Ablauf einer Beispielsaufgabe geht aus dem

Protokollbogen in Abbildung 7 hervor.

Page 85: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 76

Pflasterstein (Kerze)

Kerze etwas vom Kind weghalten, Finger auf Docht, Unterkante für Kind nicht sichtbar. Schau mal, was ich hier habe.

Kontrollfrage : Was glaubst Du, was das ist?

O Stein O Kerze => Ersatzaufgabe nehmen O keine Antwort, weiß nicht => Ersatzaufgabe nehmen O sonstige......................................

Kerze dem Kind aus der Nähe zeigen. Da, Du kannst es Dir einmal anschauen.

Den Docht und die Unterkante zeigen. Das ist gar kein Stein. Das ist eine Kerze.

Kerze wieder wie am Anfang halten. Schau noch mal.

Testfrage: Wie sieht das aus , wenn man es nur so mit den Augen anschaut? Wie eine Kerze oder wie ein Stein/Antwort des Kindes auf Kontrollfrage?

O Stein O Kerze O keine Antwort O sonstige.......................

Puppe kommt raus und stellt

Realitätsfrage: Was ist es in Wirklichkeit? Eine Kerze oder ein Stein/Antwort des Kindes auf Kontrollfrage?

O Stein O Kerze O keine Antwort O sonstige........................

Abbildung 7: Protokollbogen der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe „Pflasterstein“

Auch bei der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe wurden den Kindern drei Fragen

gestellt. Die Kontrollfrage stellte fest, ob die Täuschung gewirkt hatte. Nur wenn die

tatsächliche Identität oder Eigenschaft des Objektes beim ersten Betrachten nicht erkannt

wurde, konnte die Aufgabe fortgesetzt werden. War dies nicht der Fall, musste eine

Ersatztaufgabe bearbeitet werden. Mit der Testfrage wurde erfasst, ob das Kind das

Aussehen des Gegenstandes noch repräsentieren konnte, nachdem es die tatsächliche

Identität kannte. Die Realitätsfrage klärte ab, ob das Kind trotz diskrepantem Aussehen

die tatsächliche Identität des Objektes benennen konnte.

Page 86: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 77

Auch bei den Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben wurde die Reihenfolge der

angebotenen Antwortalternativen bei Test- und Realitätsfrage über alle Aufgaben hin

variiert, so dass bei einer Hälfte der Aufgaben die richtige Antwortalternative zu Beginn

und bei der anderen Hälfte die falsche Antwortalternative zu Beginn genannt wurde.

Die hier vorgestellte Beispielaufgabe „Pflasterstein“ war inkonsistent, da sich Identität

und Aussehen des Objekts unterschieden. In einer konsistenten Aufgabe wäre dem Kind

ein echter Pflasterstein aus einiger Entfernung gezeigt worden. Damit die beiden

Repräsentationen (Identität des Objektes und Aussehen des Objektes) konsistent wären,

müsste das Kind bevor es den Pflasterstein aus der Nähe sehen kann, sagen, dass es

denkt, dass es ein Stein sei.

Kontrolle des Sequenzeffektes bei den klassischen Theory of Mind-Aufgaben

In den drei bisher vorgestellten Protokollbögen ist vermerkt, dass die Realitätsfrage von

einer Puppe gestellt wurde. Dabei handelte es sich um einen Kasper, der aus einem Korb

auftauchen und wieder darin verschwinden konnte. Im Folgenden soll begründet werden,

warum der Kasper eingesetzt wurde.

Bei den drei klassichen Aufgaben folgt auf die Testfrage immer die Realitätsfrage. Die

Testfrage bezieht sich bei inkonsistenten Aufgaben immer auf die von der Realität

abweichende Repräsentation (falsche Überzeugung der anderen Person, die eigene

falsche Überzeugung, täuschendes Aussehen eines Objektes), die Realitätsfrage

hingegen bezieht sich auf die Realität. Auch wenn die Fragen inhaltlich verschieden

voneinander sind, mögen sie für Kinder doch ähnlich klingen (Testfrage: Als ich Dir

vorhin diese Schachtel gezeigt habe, bevor wir sie aufgemacht haben, was hast Du

gedacht, was da drin ist? Eier oder Bälle? Realitätsfrage: Was ist in Wirklichkeit in

dieser Schachtel? Eier oder Bälle?). Aus ihrem Alltag kennen alle Kinder Situationen, in

denen erwachsene Personen ein zweites Mal nachfragen. Dies bedeutet meist, dass die

erste gegebene Antwort falsch war und legt dem Kind nahe, seine Antwort zu wechseln.

Es könnte also sein, dass Kinder, die die Testfrage richtig beantwortet haben, die

Realitätsfrage deshalb richtig beantworten, weil das wiederholte Fragen ein Hinweis für

sie war, die Antwortalternative zu wechseln. Dieser Sequenzeffekt wurde in der

vorliegenden Studie durch den Einsatz einer Puppe, die während der

Aufgabendurchführung schläft und nur zum Stellen der Realitätsfrage aufwacht,

Page 87: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 78

verringert. Sollte ein Kind nicht zwischen der Test- und Realitätsfrage unterscheiden,

dürfte es weniger irritiert sein, wenn der Kasper vermeintlich nochmals dasselbe fragt,

da dieser bisher geschlafen hat.

Im Fall der inkonsistenten Aufgaben lässt sich der Sequenzeffekt nicht von den richtigen

Lösungen trennen, da es in beiden Fällen zu einem Wechsel der Antwortalternativen

kommt. Bei den konsistenten Aufgaben kommt es bei richtiger Beantwortung der beiden

Fragen zu keinem Wechsel der Antwortalternativen, da sich beide Fragen auf dieselbe

Repräsentation beziehen. Daher kann eine hohe Wechselrate bei konsistenten Aufgaben

als Hinweis auf den Sequenzeffekt gewertet werden. Dass der Einsatz des Kaspers den

Sequenzeffekt verringert, konnte gezeigt werden, indem die Wechselrate bei

konsistenten Aufgaben einer Pilotstudie ohne Kasper (Wahl & Raschke,

unveröffentlichtes Manuskript) mit der Wechselrate der konsistenten Aufgaben einer

ersten Datenerhebungswelle der mikrogenetischen Studie mit Kasper verglichen wurde.

4.3.2.2 Die Wunschaufgaben

Viel schwerer als das Erheben des Überzeugungsverstehens stellt sich das Erheben des

Wunschverstehens dar. Hierfür gibt es keine klassischen Aufgabentypen. Die meisten

der wenigen Studien, die Wunschverstehen erfassen, tun dies mit Aufgaben, die

strukturell kaum den klassischen Theory of Mind-Aufgaben gleichen. Für einen

aussagekräftigen Vergleich der Entwicklung des Überzeugungsverstehens mit der

Entwicklung des Wunschverstehens ist es aber unumgänglich, strukturell vergleichbare

Aufgaben einzusetzen. Dies geschah im Rahmen dieser Arbeit, indem zum einen die von

Moore et al. (1995) entwickelte Conflicting-Desire-Aufgabe eingesetzt wurde und zum

anderen eine von Gopnik und Slaughter (1991) dargestellte Aufgabe zur so genannten

Neugier-Aufgabe weiterentwickelt wurde. Der Ablauf dieser beiden Wunschaufgaben

wird im Folgenden dargestellt.

Die Conflicting-Desire-Aufgaben:

Die Conflicting-Desire-Aufgaben erfassen das Wunschverstehen. Moore et al. (1995)

entwickelten diese Aufgabe so, dass sie eine vergleichbare Struktur wie die False-Belief-

Aufgabe hat (siehe Tabelle 5). Dies bedeutet, dass Kind und Protagonist zu Beginn der

Aufgabe den gleichen Wunsch haben. Nachdem sich der Wunsch des Kindes im Verlauf

Page 88: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 79

der Aufgabe geändert hat, soll es den Wunsch des Protagonisten und seinen eigenen

anfänglichen Wunsch benennen. Die Schwierigkeit bei der Entwicklung einer solchen

Aufgabe ist, den Wunsch des Kindes gezielt zu verändern. Dies wird in der Conflicting-

Desire-Aufgabe dadurch erreicht, dass die Aufgabe als Spiel konzipiert ist, in dem je

nach Spielstand unterschiedliche Dinge benötigt werden.

Tabelle 5: Vergleich False-Belief- und Conflicting-Desire-Aufgaben

False-Belief-Aufgabe Conflicting-Desire-Aufgabe

Zeitpunkt 1 Kind:

Protagonist:

Situation:

glaubt Objekt ist in A

glaubt Objekt ist in A

Kind und Protagonist glauben

dasselbe

will einen Kopf

will einen Kopf

Kind und Protagonist wollen

dasselbe

Zeitpunkt 2 Kind:

Protagonist:

Situation:

glaubt Objekt ist in B

glaubt Objekt ist in A

das Wissen des Kindes ändert

sich, das des Protagonisten bleibt

gleich

will die Augen

will einen Kopf

der Wunsch des Kindes ändert sich,

der des Protagonisten bleibt gleich

Zeitpunkt 3 Test das Kind wird über das Wissen

des Protagonisten gefragt

das Kind wird über den Wunsch des

Protagonisten gefragt

Im Rahmen dieser Arbeit wurden fünf Versionen der auf Moore et al. (1995)

zurückgehenden Conflicting-Desire-Aufgaben entwickelt. Dabei handelt es sich um ein

Spiel, dessen Ziel es ist, ein Tier aus drei Teilen als erster zusammengesetzt zu haben.

Die unterschiedlichen Aufgabenversionen entstanden dadurch, dass unterschiedliche

Tiere verwendet wurden (siehe Anhang). Der genaue Ablauf einer Beispielsaufgabe geht

aus dem Protokollbogen in Abbildung 8 hervor.

Page 89: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 80

Das Froschspiel Spiel erklären und erster Spieldurchlauf: Schau mal, wen ich dabei habe, das ist der Hund Bello Der Hund hat ein Spiel mitgebracht, was er sehr gerne spielt. Ich zeige dir mal das Spiel und dann kannst du es mal mit dem Hund spielen. Hier sind zwei Frösche. Beide haben einen Körper, einen Kopf und Augen. Der Kopf muss hier auf den Körper und wenn der Kopf da drauf ist, dann braucht man noch die Augen und dann ist der Frosch fertig. Wer zuerst den Frosch fertig hat, hat gewonnen. Jeder bekommt einen Froschkörper, du hast einen und der Hund hat einen. Die Köpfe liegen hier in dem grünen Teller und die Augen hier in dem blauen. Ihr dürft immer hier von diesen Karten ziehen. Einmal du und dann der Hund. Wer eine Karte ohne Farbe zieht darf nichts nehmen, wer eine grüne Karte bekommt, kann sich einen Kopf nehmen und wer dann eine blaue Karte bekommt, kann sich die Augen nehmen. Man braucht erst den Kopf und dann die Augen. Spiel mit dem vorbereiteten Kartenstapel für Probedurchlauf spielen. Kind fängt immer an! Wenn Kind blaue Karte zieht ohne schon einen Kopf zu haben nochmals genau erklären, dass es sich dann nichts nehmen darf. Ich glaube jetzt weißt du schon gut, wie man das Spiel spielt. Wills du es noch mal mit dem Hund spielen? Mal schauen wer jetzt gewinnt. Haupt-Spieldurchlauf Zu Beginn des Spieles: Kontrollfrage 1: Welche Farbkarte willst du ziehen? Wenn Antwort nicht richtig noch mal erklären und das dann notieren. Nachdem das Kind die grüne Karte gezogen hat (Hund hat noch keine grüne Karte). So jetzt ist der Hund dran. Hund zieht. Oh, der Hund hat nichts bekommen. Noch bevor das Kind zieht: Kontrollfrage 2: Welche Farbkarte willst du jetzt? Wenn Antwort nicht richtig Erklärung geben und das dann notieren. Testfrage fremder Wunsch: Welche Farbkarte will der Hund jetzt? Immer noch bevor das Kind zieht. Testfrage eigener Wunsch: Ganz am Anfang vom Spiel, als du noch gar keine Karte gezogen hattest, welche Farbkarte wolltest du da haben? So jetzt kannst du eine Karte ziehen. Spiel geht weiter. Bello gewinnt.

Abbildung 8: Protokollbogen der Conflicting-Desire-Aufgabe „Das Froschspiel“

Page 90: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 81

Wegen der komplexen Struktur dieser Aufgaben wurde immer mit einem ersten

Spieldurchlauf begonnen, um dem Kind den Ablauf des Spieles näher zu bringen. Erst in

einem zweiten Spieldurchlauf wurden neben der Kontroll- und der Realitätsfrage zwei

Testfragen gestellt. Die Kontrollfrage 1 stellte sicher, dass das Kind den Spielverlauf

verstanden hatte. Dasselbe galt für die Kontrollfrage 2. Sie überprüfte, ob sich der

Wunsch des Kindes durch die veränderte Spielsituation verändert hatte. Die Testfrage

fremder Wunsch erfasste, ob das Kind den nun zu seinem eigenen Wunsch diskrepanten

Wunsch des Hundes benennen konnte. Sie gleicht somit strukturell der False-Belief-

Testfrage. Die Testfrage eigener Wunsch erfasste, ob das Kind seinen eigenen

anfänglichen Wunsch benennen konnte. Somit gleicht sie strukturell der

Representational-Change-Testfrage.

Die Neugier-Aufgaben:

Die Neugier-Aufgaben gehen auf eine Aufgabe zurück, die von Gopnik und Slaughter

(1991) wie folgt beschrieben wird. Einem Kind werden zwei Schachteln gezeigt. Es wird

gefragt, welche es öffnen will. Diese Schachtel wird geöffnet, der Inhalt gezeigt und die

Schachtel wieder geschlossen. Dann wird gefragt, welche Schachtel das Kind jetzt

öffnen will (alle Kinder wollen die andere Schachtel öffnen). Gopnik und Slaughter

(1991) stellen dann folgende Testfrage: „Als ich dich zuerst gefragt habe, bevor wir eine

Schachtel aufgemacht haben, welche Schachtel wolltest du da aufmachen?“. Bei dieser

Aufgabe wird davon ausgegangen, dass der Wunsch des Kindes, in eine Schachtel zu

schauen, sich ändert, sobald es hineingeschaut hat, da nun die Neugier bezüglich des

Inhaltes der ersten Schachtel befriedigt ist. In der vorliegenden Arbeit wurde diese

Aufgabe wie folgt erweitert. Es ist dieselbe Hundhandpuppe anwesend wie in der

Conflicting-Desire-Aufgabe. Der Wunsch des Kindes ändert sich im Verlauf der

Aufgabe, der des Hundes nicht, weil er noch nicht in die Schachtel schauen durfte.

Durch diese Erweiterung können dieselben beiden Testfragen gestellt werden wie bei

der Conflicting-Desire-Aufgabe. Somit gleichen sich die beiden Aufgabentypen in

hohem Maße. In der vorliegenden Arbeit wurden fünf Versionen von Neugier-Aufgaben

eingesetzt. Die unterschiedlichen Variationen wurden durch das Verwenden

unterschiedlicher Behälter erreicht (siehe Anhang). Der genaue Ablauf einer

Beispielsaufgabe geht aus dem Protokollbogen in Abbildung 9 hervor.

Page 91: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 82

Die zwei kleinen Schachteln Schau mal, wen ich dabei habe, das ist der Hund Bello. Und hier habe ich noch zwei kleine Schachteln dabei. In beiden ist etwas drinnen. In eine kannst du mal reinschauen. Kontrollfrage Kind: In welche Schachtel möchtest du schauen? Kontrollfrage Hund: Und in welche Schachtel möchtest du schauen Bello? Hund: „Ich möchte auch in die Schachtel schauen.“ (auf gleiche Schachtel zeigen wie die, die das Kind sich ausgesucht hat). Aha, der Hund will in die gleiche Schachtel schauen wie du. Dann schicken wir den Hund mal raus, damit er nicht schon sieht, was in der Schachtel ist. Er kann dann nachher reinschauen. Hund vor die Türe bringen. So, jetzt kannst du mal den Deckel aufmachen und in die Schachtel schauen. Ah, was ist denn da drinnen? Du kannst es ruhig mal rausnehmen und dir genau anschauen. So nun kannst du es wieder in die Schachtel legen und den Deckel wieder drauf machen. Jetzt können wir den Hund wieder reinholen. Testfrage fremder Wunsch: In welche Schachtel will der Hund schauen? Kontrollfrage 3: In welche Schachtel willst du jetzt schauen? Testfrage eigener Wunsch: Als ich dich zuerst gefragt habe, bevor wir eine Schachtel aufgemacht haben, welche Schachtel wolltest du da aufmachen? So jetzt kann der Hund in die Schachtel schauen und du auch (in die gleiche oder andere) Hund in die Schachtel schauen lassen, in die er laut Kind schauen will. Kind in die Schachtel schauen lassen, die es in der Realitätsfrage genannt hat.

Abbildung 9: Protokollbogen der Neugier-Aufgabe „Die zwei kleinen Schachteln“

Auch bei der Neugier-Aufgabe wurden neben den Kontrollfragen zwei Testfragen

gestellt. Die Kontrollfrage Kind erfasste, in welche Schachtel das Kind schauen wollte.

Die Kontrollfrage Hund wurde an die Handpuppe gerichtet. Durch die von der

Versuchsleiterin gegebene Antwort des Hundes wurde klargestellt, dass dieser in

dieselbe Schachtel schauen wollte wie das Kind. Nachdem nur das Kind in die Schachtel

geschaut hatte, wurde zuerst die Testfrage fremder Wunsch gestellt. Diese erfasste, ob

Page 92: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 83

das Kind den nun zu seinem eigenen Wunsch diskrepanten Wunsch des Hundes

benennen konnte. Sie gleicht somit strukturell der False-Belief-Testfrage. Die

Kontrollfrage 3 erfasste, ob der Wunsch des Kindes sich durch das Schauen in die

Schachteln geändert hatte. Sie wurde in dieser Aufgabe erst nach der Testfrage fremder

Wunsch gestellt, da bei der Kontrollfrage Hund angegeben wurde, dass der Hund in

dieselbe Schachtel schauen wollte wie das Kind. Daher wurde davon ausgegangen, dass

das erneute Befragen des Kindes, in welche Schachtel es schauen wolle, bevor nach dem

Wunsch des Hundes gefragt wurde, zu Unklarheit führen könnte. Die Testfrage eigener

Wunsch erfasste, ob das Kind seinen eigenen anfänglichen Wunsch benennen konnte.

Somit gleicht sie strukturell der Representational-Change-Testfrage.

Anzahl der Aufgaben:

Von jedem Aufgabentyp wurden mehrere Aufgabenversionen entwickelt, um zu jedem

Termin eine entsprechende Aufgabe vorgeben zu können. Die Anzahl der Versionen von

jedem Aufgabentyp kann Tabelle 6 entnommen werden.

Die drei klassischen Aufgabentypen (False-Belief, Representational-Change,

Appearance-Reality-Distinction) wurden noch vor der ersten Erhebungswelle des DFG-

Projektes in einer Materialstudie gestestet. An der Materialstudie nahmen 71 Kinder aus

neun Freiburger Kindergärten teil. Ziel der Materialstudie war es, die Aufgaben auf ihre

Durchführbarkeit und Schwierigkeit hin zu testen. Aufgaben, bei denen die Täuschung

gleich zu Beginn entdeckt wurde, d.h. die Kontrollfrage häufig falsch beantwortet wurde

und Aufgaben, die sich bezüglich ihrer Schwierigkeit von der Mehrheit der Aufgaben

des gleichen Typs unterschieden, wurden für die Hauptstudie ausgeschlossen und durch

neue Aufgaben ersetzt.

Vor Beginn der Studie 1 wurden in einer weiteren Materialstudie, mehrere

Wunschaufgaben getestet. Da es keine klassischen Wunschaufgaben gibt, wurden aus

der Literatur fünf Aufgabentypen übernommen (Gopnik & Slaughter, 1991; Moore et

al., 1995, Nguyen & Frye, 1999, Perner, 2004; Yuill et al., 1996) und in drei

Kindergärten an 36 Kinder auf ihre Durchführbarkeit hin untersucht. Da sie sich gut

durchführen ließen und strukturell am besten zu den Überzeugungsaufgaben passten,

wurden die Conflicting-Desire und Neugier- Aufgaben in die Studie aufgenommen.

Page 93: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 84

Tabelle 6: Anzahl der Aufgaben

Aufgabenart Anzahl

False-Belief 10 konsistente

10 inkonsistente

Representational-Change 10 konsistente

10 inkonsistente

4 Ersatzaufgaben konsistent

5 Ersatzaufgaben inkonsistent

Appearance-Reality-Distinction 10 konsistente

10 inkonsistente

4 Ersatzaufgaben konsistent

5 Ersatzaufgaben inkonsistent

Conflicting-Desire 5 inkonsistente

Neugier 5 inkonsistente

4.3.3 Versuchsplan

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um einen mikrogenetischen Versuchsplan.

Ziel der Studie war es, die Entwicklung des Überzeugungsverstehens und des

Wunschverstehens darzustellen. Es sollte nicht nur wie in Querschnittstudien das

Produkt dieser Entwicklung erfasst, sondern auch der Prozess dieser Entwicklung

abgebildet werden. Dafür eignet sich die mikrogenetische Methode (Miller & Coyle,

1999) die sich durch die direkte Beobachtung des Veränderungsprozesses mittels vieler

Messungen an einer Stichprobe in einem relativ kurzen Zeitraum auszeichnet. Eine

mikrogenetische Studie sollte unter anderem die gesamte betrachtete

Entwicklungsperiode erfassen und die Anzahl der Beobachtungen sollte im Vergleich

zur Veränderungsrate hoch sein (Siegler & Crowley, 1991). Kuhn (1995) geht davon

aus, dass im Rahmen von mikrogenetischen Studien der Entwicklungsprozess durch die

hohe Intensität an Erfahrungen mit den Aufgaben beschleunigt wird, was wiederum eine

genaue Beobachtung dieses Veränderungsprozesses ermöglicht.

Um mögliche Unterschiede zwischen den Entwicklungsverläufen von Wunsch- und

Überzeugungsverstehen aufzeigen zu können, wurde ein zweifaktorieller Versuchsplan

eingesetzt mit dem zweistufigen Faktor „mentaler Zustand“ (Wunsch, Überzeugung)

und dem Messwiederholungs-Faktor Zeit (vgl. Tabelle 8). Zur Abstufung des Faktors

Page 94: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 85

„mentaler Zustand“ wurden Wunsch- und Überzeugungsaufgaben vorgegeben. Der

Messwiederholungsfaktor wurde durch zehn Erhebungstermine realisiert. Der Abstand

zwischen den Terminen betrug jeweils drei Wochen, so dass sich insgesamt ein

Untersuchungszeitraum von sieben Monaten ergab.

Die Daten wurde im Rahmen des DFG-Projektes „Die Entwicklung der naiven

Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und Computermodellierung“

(WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) erhoben. Aufgrund des Designs dieser Studie erhielten die

Kinder unterschiedliche Rückmeldungen zu den klassischen Theory of Mind-Aufgaben.

Diese experimentelle Variation ist für die vorliegende Arbeit nicht von Bedeutung und

wird daher nicht näher betrachtet. Bei den Wunschaufgaben erhielten alle Kinder keine

Rückmeldung.

In den nun folgenden Tabellen und Abbildungen werden für die Aufgabenarten

Abkürzungen verwendet (siehe Tabelle 7).

Tabelle 7: Abkürzungen der Aufgabenarten

Abkürzung Aufgabenart

FB False-Belief-Aufgabe

RC Representational-Change-Aufgabe

CD eigen Testfrage nach dem eigenen vergangenen Wunsch bei der Conflicting-Desire-Aufgabe

CD fremd Testfrage nach dem Wunsch der Handpuppe bei der Conflicting-Desire-Aufgabe

N eigen Testfrage nach dem eigenen vergangenen Wunsch bei der Neugier-Aufgabe

N fremd Testfrage nach dem Wunsch der Handpuppe bei der Neugier-Aufgabe

AR Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe

Die genaue Umsetzung des zweifaktoriellen Versuchsplans der Untersuchungsgruppe ist

in Tabelle 8 dargestellt. Tabelle 9 zeigt den zweifaktoriellen Versuchsplan der

Kontrollgruppe.

Page 95: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 86

Tabelle 8: Versuchsplan Untersuchungsgruppe

Erhebungstermin

mentaler Zustand

Aufgabenart

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

FB i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k Überzeugung

RC i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k

CD eigen i i i i i

CD fremd i i i i i

N eigen i i i i i

Wunsch

N fremd i i i i i

zusätzlich AR i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k i, k

Anmerkung: i steht für inkonsistente Aufgabe, k für konsistente Aufgabe

Den Kindern in der Untersuchungsgruppe wurden zu jedem der 10 Termine drei

inkonsistente und drei konsistente Überzeugungsaufgaben vorgelegt. Darüber hinaus

erhielten sie über die Termine verteilt abwechselnd je eine Conflicting-Desire- oder eine

Neugier-Aufgabe, die jeweils zwei Testfragen beinhalteten. Für die Datenauswertung

sollte zu jedem Messzeitpunkt jede Aufgabenart vorliegen. Da die Conflicting-Desire

und die Neugier-Aufgaben nur zu jedem zweiten Termin dargeboten wurden, wurden die

10 Erhebungstermine bei der Auswertung zu fünf Auswertungseinheiten

zusammengefasst.

Die Reihenfolge, in der jedes Kind die verschiedenen Versionen der Aufgaben über die

10 Erhebungstermine verteilt vorgegeben bekam, wurde vollständig permutiert. So

konnte beispielsweise die False-Belief-Version „Annas Puppe“ von einem Kind zum

ersten Termin und von einem anderen Kind zum siebten Termin bearbeitet werden. Die

Reihenfolge der Darbietung der einzelnen Aufgabentypen pro Sitzung blieb immer

gleich. So wurde in jeder Sitzung zuerst eine Representational-Change-Aufgabe, dann

eine Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe und dann eine False-Belief-Aufgabe

vorgegeben, wobei von Termin zu Termin bei jedem Kind die Reihenfolge bezüglich

konsistenten und inkonsistenten Aufgaben geändert wurde. So erhielt die Hälfte der

Kinder beispielsweise folgende Aufgabenreihenfolge:

Zu Termin 1: Representational-Change-Aufgabe konsistent, Appearance-Reality-

Distinction-Aufgabe inkonsistent, False-Belief-Aufgabe konsistent, Representational-

Page 96: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 87

Change-Aufgabe inkonsistent, Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe konsistent,

False-Belief-Aufgabe inkonsistent, Neugier-Aufgabe.

Zu Termin 2: Representational-Change-Aufgabe inkonsistent, Appearance-Reality-

Distinction-Aufgabe konsistent, False-Belief-Aufgabe inkonsistent, Representational-

Change-Aufgabe konsistent, Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe inkonsistent,

False-Belief-Aufgabe konsistent, Conflicting-Desire-Aufgabe.

Die andere Hälfte der Kinder begann zum ersten Termin mit einer inkonsistenten

Representational-Change-Aufgabe und hatte somit immer bezüglich konsistenten und

inkonsistenten Aufgaben die umgekehrte Reihenfolge.

Neben der Untersuchungsgruppe nahm auch eine Kontrollgruppe an der Studie teil. Sie

erhielt nur zum ersten Termin und zum letzten Termin je eine Version von jeder

Aufgabenart (vgl. Tabelle 9).

Tabelle 9: Versuchplan Kontrollgruppe

Erhebungstermin

mentaler Zustand

Aufgabenart

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

FB i, k i, k Überzeugung

RC i, k i, k

CD eigen i i

CD fremd i i

N eigen i i

Wunsch

N fremd i i

zusätzlich AR i, k i, k

Anmerkung: i steht für inkonsistente Aufgabe, k für konsistente Aufgabe

Der Kontrollgruppe wurde zu jedem der beiden Termine die Aufgaben in folgender

Reihenfolge vorgegeben: Representational-Change-Aufgabe konsistent, Appearance-

Reality-Distinction-Aufgabe inkonsistent, False-Belief-Aufgabe konsistent,

Representational-Change-Aufgabe inkonsistent, Appearance-Reality-Distinction-

Aufgabe konsistent, False-Belief-Aufgabe inkonsistent, Neugier-Aufgabe, Conflicting-

Desire-Aufgabe. Wobei die Reihenfolge der konsistenten und inkonsistenten bei der

Page 97: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 88

Hälfte der Kinder umgedreht wurde, d.h. sie begannen mit einer inkonsistenten

Representational-Change-Aufgabe.

4.3.4 Durchführung

Die Untersuchung wurde in der Zeit von Januar bis August 2004 durchgeführt. Vier

weibliche studentische Hilfskräfte wurden in einem ausführlichen Training auf ihre

Tätigkeit als Versuchsleiterinnen vorbereitet. Jedem Kind wurde eine Versuchleiterin

zugeteilt, die es zu allen Erhebungsterminen zuhause besuchte. Eine

Untersuchungseinheit dauerte in der Rege l etwa eine halbe Stunde. Die Versuchsleiterin

gab dem Kind die jeweiligen Aufgaben vor und kreuzte die entsprechenden Antworten

des Kindes auf den Protokollbögen an. Am Ende jedes Termins erhielt das Kind ein

kleines Geschenk.

4.4 Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse der empirischen Studie dargestellt. Zuerst sollen

die Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen betrachtet werden

(4.4.1). Anschließend werden die Ergebnisse bezüglich der einzelnen Aufgabentypen

vorgestellt (4.4.2.). Unter 4.4.3 wird auf das Verstehen eigener und fremder mentaler

Zustände eingegangen. Abschnitt 4.4.4 beschreibt vergleichend die Daten bezüglich

Untersuchungs- und Kontrollgruppe. Dann folgt eine kurze Betrachtung der

interindividuellen Unterschiede der Entwicklungsverläufe (4.4.5) und abschließend

werden die Ergebnisse der ersten Studie zusammengefasst (4.4.6). Für die gesamte

Arbeit gilt: wenn die Aufgeben nicht ausdrücklich als konsistente Aufgaben benannt

sind, handelt es sich bei allen vorgestellten Ergebnissen bezüglich der klassischen

Theory of Mind-Aufgaben immer um die Ergebnisse der inkonsistenten

Aufgabenversionen.

4.4.1 Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen

In die Auswertung zu den Verläufen des Wunsch- und Überzeugungsverstehens gehen

die Daten der 42 Kinder der Untersuchungsgruppe ein. Eine gesamte Aufgabe wurde als

richtig gelöst bewertet, wenn Kontrollfrage, Testfrage und Realitätsfrage mit eins kodiert

Page 98: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 89

waren. Die Aufgaben von jeweils zwei der zehn Erhebungstermine (erster und zweiter

Termin usw.) wurden zu fünf Auswertungseinheiten zusammengefasst und für jedes

Kind pro Auswertungseinheit die mittlere Lösungshäufigkeit der vier Wunschaufgaben

und die mittlere Lösungshäufigkeit der vier Überzeugungsaufgaben berechnet. Darüber

hinaus wurden für jedes Kind die Summe der pro Auswertungseinheit gelösten Wunsch-

und Überzeugungsaufgaben berechnet.

Hypothese 1 besagt, dass die Lösungshäufigkeit sowohl für Wunsch- als auch für

Überzeugungsaufgaben im Verlauf der Zeit ansteigen sollte.

In Hypothese 2 wird angenommen, dass Wunschaufgaben leichter zu lösen sind als

Überzeugungsaufgaben.

Zur Überprüfung dieser Annahmen wurden die durchschnittlichen Lösungshäufigkeiten

für Wunschaufgaben und Überzeugungsaufgaben für jeden Auswertungstermin

berechnet, wobei unter Wunschaufgaben die Conflicting-Desire-Aufgaben (eigen und

fremd) sowie die Neugier-Aufgaben (eigen und fremd) und unter die

Überzeugungsaufgaben die False-Belief-Aufgaben und die Representational-Change-

Aufgaben gefasst wurden. Hierdurch konnte sowohl der Entwicklungsverlauf des

Wunschverstehens als auch der Entwicklungsverlauf des Überzeugungsverstehens im

siebenmonatigen Untersuchungszeitraum abgebildet werden (vgl. Abbildung 10).

Page 99: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 90

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äuf

igke

it in

Pro

zent

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äuf

igke

it in

Pro

zent

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Abbildung 10: Lösungshäufigkeit von Überzeugungs- und Wunschaufgaben im Verlauf der 10

Termine

Für jedes Kind wurde zu jeder der fünf Auswertungseinheiten ein aus den jeweiligen

Aufgaben aggregierter Wert bezüglich seines Wunschverstehens und ein aggregierter

Wert bezüglich seines Überzeugungsverstehens berechnet. Diese Werte gingen in eine

einfaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung ein. Hierbei zeigte sich, dass der

zweistufige Faktor mentaler Zustand (Wunsch vs. Überzeugung) hochsignifikant war

(F(1) = 78.61; p < .001; η2 = .657). Dies bestätigt, dass die Wunschaufgaben

überzufällig leichter waren als die Überzeugungsaufgaben. Darüber hinaus wurde auch

der fünfstufige Messwiederholungsfaktor Zeit hochsignifikant (F(4) = 10.93; p < .001;

η2 = .535), was verdeutlicht, dass die Gesamtlösungshäufigkeit der Aufgaben mit der

Zeit zunimmt. Zwischen den beiden Faktoren Zeit und mentaler Zustand ergab sich

keine signifikante Wechselwirkung (F(4) = 0,83; p = .51; η2 = .08).

Abbildung 10 zeigt, dass sowohl die Lösungshäufigkeit der Wunschaufgaben als auch

die Lösungshäufigkeit der Überzeugungsaufgaben im Verlauf der Zeit zunehmen.

Darüber hinaus wird klar, dass die Wunschaufgaben durchgehend über alle

Page 100: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 91

Erhebungstermine hinweg für die Kinder leichter zu lösen waren als die

Überzeugungsaufgaben. Die Mittelwerte von Wunsch- und Überzeugungsaufgaben für

jede Auswertungseinheit können Tabelle 10 entnommen werden.

Tabelle 10: Relative Lösungshäufigkeit von Überzeugungs- und Wunschaufgaben

Überzeugungsaufgaben Wunschaufgaben

M SD M SD

1+2 Termin .29 .46 .56 .50

3+4 Termin .39 .49 .67 .47

5+6 Termin .41 .49 .75 .43

7+8 Termin .42 .49 .83 .37

9+10 Termin .54 .50 .86 .34

gesamter Zeitraum .41 .49 .73 .44

Aus Tabelle 10 geht hervor, dass die Entwicklung des Überzeugungsverstehens deutlich

hinter der des Wunschverstehens liegt. So können zum Ende des

Untersuchungszeitraumes durchschnittlich noch etwas weniger Überzeugungsaufgaben

gelöst werden als Wunschaufgaben zu Beginn der Studie. Die Kinder erreichen eine

etwa fünfzigprozentige Lösungshäufigkeit der Überzeugungsaufgaben etwa sieben

Monate später als eine etwa fünfzigprozentige Lösungshäufigkeit der Wunschaufgaben.

4.4.2 Ergebnisse zu den einzelnen Aufgabentypen

In Hypothese 1 wurde ausgesagt, dass die Lösungshäufigkeit für alle Aufgabentypen im

Verlauf der Erhebungstermine zunimmt. Nachdem im vorherigen Abschnitt durch

Zusammenfassen der einzelnen Aufgabentypen gezeigt wurde, wie sich Wunsch- und

Überzeugungsverstehen entwickeln, soll in diesem Abschnitt jeder Aufgabentyp einzeln

betrachtet werden. Abbildung 11 zeigt die Verläufe der Lösungshäufigkeit für die

einzelnen Aufgabentypen während der fünf Auswertungseinheiten. Für die beiden

Wunschaufgaben wurden jeweils zwei Entwicklungsverläufe abgebildet, da jede

Aufgabe sowohl das Verständnis bezüglich des Wunsches einer anderen Person als auch

Page 101: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 92

bezüglich des eigenen vergangenen Wunsches testet.

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äuf

igke

it in

Pro

zent

AufgabenartFalse BeliefRepresentational-ChangeAppearance-Reality-DistinctionNeugier fremd

Conflicting-Desire fremd

Neugier eigen

Conflicting-Desire eigen

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äuf

igke

it in

Pro

zent

AufgabenartFalse BeliefRepresentational-ChangeAppearance-Reality-DistinctionNeugier fremd

Conflicting-Desire fremd

Neugier eigen

Conflicting-Desire eigen

Abbildung 11: Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgabenarten im Verlauf der 10 Termine

Abbildung 11 zeigt die Verläufe der Wunschaufgaben in Ro ttönen und die der

Überzeugungsaufgaben in Blautönen. Es wird deutlich, dass sich die einzelnen

Aufgabenarten zu Beginn bezüglich ihrer Schwierigkeit stark unterscheiden. Die

Wunschaufgaben nähern sich dann im Verlauf der Termine bezüglich ihrer

Schwierigkeit aneinander an, indem die zu Beginn schweren Aufgaben mit der Zeit

immer besser gelöst werden. Die Appearance-Reality-Aufgaben liegen, bezüglich ihrer

Schwierigkeit etwa zwischen den Wunsch- und Überzeugungsaufgaben.

Die Hypothese, dass die Lösungshäufigkeit für jeden Aufgabentyp im Verlauf der Ze it

zunimmt, wurde mit dem nichtparametrischen Friedman-Test überprüft, da bei der

Betrachtung auf der Ebene der einzelnen Aufgaben keine intervallskalierten Daten

vorliegen. In die Berechnung der Veränderung der Lösungshäufigkeit des jeweiligen

Aufgabentyps gingen die für alle Termine vorliegenden Lösungshäufigkeiten des

entsprechenden Aufgabentyps ein. Dies bedeutet, für False-Belief-, Representational-

Page 102: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 93

Change- und Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben wurden jeweils 10 Termine

berücksichtigt. Bei beiden Conflicting-Desire- und bei beiden Neugier-Aufgaben konnte

jeweils nur auf fünf Termine zurückgegriffen werden, da diese Aufgaben nur zu jedem

zweiten Erhebungstermin vorgegeben wurden. Die Signifikanzen aus dem Friedman-

Test für jeden einzelnen Aufgabentyp können Tabelle 11 entnommen werden.

Tabelle 11: Verbesserung der Lösungshäufigkeit über die Zeit

Aufgabentyp Signifikanz des Friedman-Tests

False-Belief 0.002**

Representational-Change 0.757

Appearance-Reality-Distinction 0.008**

Conflicting-Desire fremd 0.000**

Conflicting-Desire eigen 0.000**

Neugier fremd 0.656

Neugier eigen 0.000**

Bei den False-Belief-, Appearance-Reality-Distinction-, Conflicting-Desire- fremd-,

Conflicting-Desire-eigen- und Neugier-eigen-Aufgaben gibt es einen signifikanten

Anstieg an Lösungshäufigkeiten während des Erhebungszeitraumes. Die Antworten zu

den Representational-Change- und den Neugier- fremd-Aufgaben verbessern sich

hingegen im Lauf der Zeit nicht signifikant. Die Neugier-fremd-Aufgabe wird vom

ersten Termin an von den meisten Kindern richtig gelöst (vgl. Abbildung 11). Daher

kann die kaum vorhandene Veränderung über die Zeit hier mit einem Deckeneffekt

erklärt werden. Bei der Representational-Change-Aufgabe ist ein leichter Anstieg

bezüglich der Lösungshäufigkeit zu beobachten (vgl. Abbildung 11), dieser wird aber

nicht signifikant. Somit kann die Annahme der Hypothese 1 für die Representational-

Change-Aufgaben nicht bestätigt werden.

Zur Betrachtung der generellen Schwierigkeit jedes einzelnen Aufgabentyps wurden die

relativen Lösungshäufigkeiten für jeden Aufgabentyp über alle Termine

Page 103: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 94

zusammengefasst (vgl. Abbildung 12).

FB RC AR N fremd N eigen CD fremd CD eigen00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

35

4851

81

71

77

65

FB RC AR N fremd N eigen CD fremd CD eigen00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

35

4851

81

71

77

65

Abbildung 12: Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgaben, alle Termine zusamme ngefasst

Es zeigt sich, dass die False-Belief-Aufgabe mit einer relativen Lösungshäufigkeit von

nur 35 Prozent über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die schwierigste

Aufgabe war. Deutlicher wird auch aus Abbildung 12, dass die Überzeugungsaufgaben

insgesamt schwieriger waren als die Wunschaufgaben, von denen die Neugier fremd-

Aufgaben mit einer Lösungshäufigkeit von 81 Prozent die leichtesten waren. Bei beiden

Wunschaufgaben war das Benennen des eigenen vergangenen Wunsches schwerer als

die Testfragen nach dem Wunsch der Handpuppe. Dieser Unterschied im Verstehen

eigener und fremder mentaler Zustände wird unter Abschnitt 4.4.3 genauer betrachtet.

Wurden bisher die Lösungshäufigkeiten der einzelnen Aufgabentypen betrachtet, soll im

Folgenden auf die Fehler eingegangen werden. Bei allen Aufgabentypen, mit Ausnahme

der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe, können zwei Arten von Fehlern gemacht

werden. Indem das Kind die jeweilige Testfrage falsch beantwortet, macht es den Fehler,

der aufgrund von mangelndem Theory of Mind-Verständnis zu erwarten ist.

Beispielsweise beantwortet ein Kind die Testfrage einer Representational-Change-

Page 104: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 95

Aufgabe falsch, wenn es angibt, auch schon vor dem Öffnen der Schachtel gedacht zu

haben, dass sie Eier enthalte. Neben diesem erwarteten Fehler wird eine Aufgabe aber

auch dann als falsch gewertet, wenn das Kind die Realitätsfrage falsch beantwortet. In

dem Beispiel der Representational-Change-Aufgabe würde dies bedeuten, dass das Kind

auf die Realitätsfrage antwortet, dass die Schachtel tatsächlich Eier enthält, obwohl sich

Tischtennisbälle in ihr befinden. Im Fall der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe

sind auch falsche Antworten auf die Realitätsfrage als Mangel an Theory of Mind-

Verständnis zu werten (siehe 1.3.3). Bei allen anderen Aufgaben deutet eine falsche oder

keine Antwort auf die Realitätsfrage darauf hin, dass das Kind den Ablauf der Aufgabe

nicht richtig verstanden hat. Dies wird im Folgenden als „anderer Fehler“ bezeichnet

werden. Außer bei der Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe tauchen bei allen

Aufgabentypen „andere Fehler“ auf. So wird dieser Fehler am seltensten bei den

Representational-Change-Aufgaben (7,9 Prozent) und am häufigsten bei den

Conflicting-Desire-Aufgaben (9,6 Prozent) gemacht. Dies liegt nahe, da der Ablauf der

Conflicting-Desire-Aufgabe strukturell schwieriger ist als der der Representational-

Change-Aufgabe. Die geringe Anzahl der „anderen Fehler“ bei allen Aufgabentypen

zeigt aber, dass alle Aufgabenarten strukturell von Kindern im Alter von dreieinhalb

Jahren verstanden werden können. Über alle Aufgabentypen betrachtet nehmen die

„anderen Fehler“ im Verlauf des Untersuchungszeitraumes ab.

Wie unter 4.3.2 beschrieben, wurden, um das Entstehen von Antworttendenzen zu

vermeiden, auch konsistente False-Belief-, Representational-Change- und Appearance-

Reality-Distinction-Aufgaben eingesetzt. Bei den konsistenten Aufgaben müssen die

Kinder nicht zwei unterschiedliche Repräsentationen benennen können. Die konsistenten

Aufgaben erfordern kein Theory of Mind-Verständnis. Somit sollten sie leichter zu lösen

sein, als die inkonsistenten Aufgabenversionen. Dies zeigen die Daten der vorliegenden

Studie deutlich (vgl. Abbildung 13).

Page 105: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 96

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0,0

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

Aufgabenart

False-Belief

Representational-ChangeAppearance-Reality-Distinction

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0,0

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

Aufgabenart

False-Belief

Representational-ChangeAppearance-Reality-Distinction

Abbildung 13: Lösungshäufigkeiten der konsistenten Aufgaben

Während des gesamten Untersuchungszeitraumes werden die konsistenten

Representational-Change-Aufgaben fast immer richtig gemacht. Das Lösungsniveau der

konsistenten Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben nähert sich schon zur zweiten

Auswertungseinheit fast genau an das der Repesentational-Change-Aufgaben an. Nur

die konsistenten False-Belief-Aufgaben stellen während der gesamten Studie eine

höhere Schwierigkeit als die beiden andern konsistenten Aufgabentypen für die Kinder

dar. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die konsistenten Aufgabenversionen, wie

erwartet, sehr viel leichter zu lösen sind als die inkonsistenten (vgl. Abbildung 13). Die

hohe Lösungshäufigkeit der konsistenten Aufgaben stellt in zweierlei Hinsicht eine

wichtige Kontrollbedingung dar. Zum einen ist somit sichergestellt, dass die Kinder gut

mitgearbeitet und nicht absichtlich unsinnig geantwortet haben, zum andern zeigen die

Daten, dass die Aufgaben nicht durch gelernte Antwortmuster gelöst wurden.

Page 106: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 97

4.4.3 Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände

Besonders in der Diskussion um die Simulationstheorie (vgl. 2.3) ist es von Interesse, ob

es Kindern leichter fällt, eigene vergangene mentale Zustände zu benennen als mentale

Zustände anderer Personen. Sowohl bezüglich des Wunschverstehens als auch bezüglich

des Überzeugungsverstehens kamen in der Studie Aufgaben zum Einsatz, die sich auf

eigene oder fremde mentale Zustände bezogen. Die False-Belief-Aufgabe erfasste das

Verstehen der Überzeugung einer fremden Person, die Representational-Change-

Aufgabe das Verstehen eigener vergangener Überzeugungen. Bei den beiden

Wunschaufgaben (Confliciting-Desire und Neugier) wurde jeweils in einer Testfrage

nach dem Wunsch der anderen Person (Handpuppe) und in einer Testfrage nach dem

eigenen vergangenen Wunsch gefragt. Somit liegen für jede Auswertungseinheit Daten

bezüglich des Verstehens eigener und fremder Wünsche und Überzeugungen vor (vgl.

Abbildung 14).

In der dritten Hypothese wurde angenommen, dass das Verstehen eigener und fremder

mentaler Zustände gleich schwer ist. Diese Hypothese entspricht der Annahme der

Theorie-Theorie. Das Verstehen fremder falscher Überzeugungen sollten genauso

schwer sein wie das eigener falscher Überzeugungen, und die Lösungshäufigkeit der

Testfragen nach dem Wunsch einer andere Person sollte der Lösungshäufigkeit der

Testfrage nach dem eigenen vergangenen Wunsch entsprechen.

Page 107: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 98

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

Überzeugung fremd

Überzeugung eigen

Wunsch fremd

Wunsch eigen

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

Überzeugung fremd

Überzeugung eigen

Wunsch fremd

Wunsch eigen

Abbildung 14: Verlauf des Verstehens eigener und fremder mentaler Zustände

Abbildung 14 zeigt die Verläufe des Verstehens eigener und fremder Überzeugungen

und Wünsche. Der in der Abbildung als „Überzeugung fremd“ beschriftete Verlauf

beinhaltet die Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgaben. Der Verlauf „Überzeugung

eigen“ fasst die Lösungshäufigkeiten der Representational-Change-Aufgaben

zusammen. Beide Aufgabentypen wurden zu jedem Termin vorgegeben, so dass pro

Kind in jede Auswertungseinheit zwei False-Belief- und zwei Representational-Change-

Aufgaben eingehen. Für den Verlauf von „Wunsch fremd“ wurden die „Testfragen

fremder Wunsch“ der Conflicting-Desire- und Neugier-Aufgaben zusammengefasst. Für

den Verlauf von „Wunsch eigen“ wurden die „Testfragen eigener Wunsch“ der

Conflicting-Desire- und Neugier-Aufgaben zusammengefasst. Die Wunschaufgaben

wurden wie bereits beschrieben nur zu jedem zweiten Termin vorgegeben, durch das

Zusammenfassen der beiden Aufgabentypen gehen aber auch hier in jede

Auswertungseinheit zwei Messungen pro Kind ein.

Abbildung 14 macht deutlich, dass sich das Verstehen eigener und das Verstehen

fremder mentaler Zustände besonders zu Beginn des Untersuchungszeitraumes

Page 108: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 99

bezüglich ihrer Schwierigkeit unterscheiden. Dabei ist das Verstehen eigener

Überzeugungen für die Kinder während der gesamten Untersuchung leichter als das

Verstehen fremder Überzeugungen. Betrachtet man die Verläufe bezüglich des

Wunschverstehens, fällt auf, dass sich hier das Verhältnis der gelösten Aufgaben

bezüglich eigener und fremder Wünsche zu Beginn der Untersuchung umgekehrt

darstellt. Das Verstehen fremder Wünsche ist für die Kinder anfangs deutlich leichter als

das Benennen der eigenen vergangenen Wünsche. Während des weiteren Verlaufes

nimmt das Verständnis für eigene Wünsche soweit zu, dass es zu den letzten beiden

Auswertungseinheiten vergleichbar hoch ist wie das Verstehen fremder Wünsche. Auch

die beiden Verläufe des Überzeugungsverstehens nähern sich gegen Ende des

Untersuchungszeitraumes aneinander an.

Der in Abbildung 14 erkennbare Unterschied der Schwierigkeit zwischen Wunsch- und

Überzeugungsverstehen bezüglich eigener und fremder mentaler Zustände lässt sich

durch die über alle Erhebungstermine zusammengefassten Lösungshäufigkeiten

verdeutlichen (vgl. Abbildung 15).

eigen fremd00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

35

48

79

68

WunschverstehenÜberzeugungsverstehen

eigen fremd00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

35

48

79

68

WunschverstehenÜberzeugungsverstehen

Abbildung 15: Lösungshäufigkeit für Aufgaben Überzeugung und Wunsch eigen und fremd

Page 109: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 100

Aus Abbildung 15 geht klar hervor, dass das Verstehen von Wünschen, eigen wie fremd,

leichter ist als das Verstehen von eigenen und fremden Überzeugungen. Ferner zeigt

sich, zusammenfassend über den gesamten Erhebungszeitraum betrachtet, dass das

Verstehen fremder Überzeugungen schwerer ist als das Verstehen eigener vergangener

Überzeugungen, und dass sich dieses Verhältnis bei den Wunschaufgaben umgekehrt

darstellt. Hier ist das Verstehen fremder Wünsche leichter als das der eigenen

vergangenen Wünsche.

Für jedes Kind wurden vier Kennwerte berechnet. Die ersten beiden stellten jeweils die

Mittelwerte der vom Kind insgesamt gelösten Überzeugungsaufgaben eigen und fremd

dar, die beiden anderen die Mittelwerte der Wunschaufgaben eigen und

Wunschaufgaben fremd. Die für jedes Kind berechneten vier Kennwerte gingen in eine

zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung ein. Hierbei zeigt sich, dass der

zweistufige Faktor „mentaler Zustand“ (Wunsch vs. Überzeugung) hochsignifikant wird

(F(1) = 80.87; p < .001). Der ebenfalls zweistufige Faktor „eigen/fremd“ wird hier,

bezogen auf Wunsch- und Überzeugungsaufgaben zusammengefasst, nicht signifikant

(F(1) = 0.19; p = 0.66). Die Interaktion zwischen den beiden Faktoren „mentaler

Zustand“ und „eigen/fremd“ wird hochsignifikant (F(1) = 36.69; p < .001). Der anhand

der vier Kennwerte berechnete t-Test für abhängige Stichproben zeigt, dass sich die

Lösungshäufigkeiten für „Überzeugung fremd“ und „Überzeugung eigen“ hoch

signifikant voneinander unterscheiden (t(41) = -3,71, p < .01). Somit ist davon

auszugehen, dass die Kinder Representational-Change-Aufgaben überzufällig häufiger

richtig lösen als False-Belief-Aufgaben. Auch der Unterschied zwischen „Wunsch

fremd“ und „Wunsch eigen“ ist hochsignifikant (t(41) = -3,51, p < .01) und somit das

Verstehen fremder Wünsche überzufällig leichter als das der eigenen.

Insgesamt sind hier besonders die Ergebnisse bezüglich des Wunschverstehens nur mit

Vorsicht zu interpretieren. Wie in Abschnitt 4.3.2 beschrieben, wurde bei beiden

Wunschaufgabentypen (Conflicting-Desire und Neugier) immer zuerst die Testfrage

bezüglich des fremden Wunsches und im Anschluss die Testfrage bezüglich des eigenen

vergangenen Wunsches gestellt. Da hier im Rahmen der vorliegenden Studie keine

Variation bezüglich der Reihenfolge der Testfragen vorgenommen wurde, kann nicht

ausgeschlossen werden, dass die unterschiedliche Schwierigkeit der beiden Testfragen

durch die Reihenfolge der Darbietung zustande gekommen ist. Während der

Page 110: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 101

Durchführung ließ sich bei den Kindern jedoch kein sichtbarer Konzentrationsverlust

zwischen der ersten Wunschtestfrage und der zweiten Wunschtestfrage beobachten.

Somit ist es unwahrscheinlich, dass die erhöhte Schwierigkeit der zweiten

Wunschtestfrage alleine auf einem Reihenfolgeneffekt beruht.

4.4.4 Vergleichende Betrachtung der Kontroll- und Untersuchungsgruppe

Hypothese vier sagt aus, dass Kinder der Kontrollgruppe am Ende des

Untersuchungszeitraumes weniger Aufgaben richtig lösen als Kinder der

Untersuchungsgruppe.

Durch den Vergleich der Lösungshäufigkeiten der Kontrollgruppen mit denen der

Untersuchungsgruppe zum jeweils letzten Termin lassen sich Hinweise darauf finden,

inwiefern der Verlauf der Untersuchungsgruppe der normalen Entwicklung entspricht

oder inwiefern er durch das wiederholte Vorgeben von Aufgaben beschleunigt wurde.

Sollte die Untersuchungsgruppe ein höheres Entwicklungsniveau erreichen als die

Kontrollgruppe, könnte dies ein möglicher Hinweis auf die Trainierbarkeit der Theory of

Mind-Fähigkeit sein.

Wie unter 4.3.3 beschrieben bekam die Kontrollgruppe nur einmal zu Beginn und einmal

am Ende des siebenmonatigen Untersuchungszeitraumes Aufgaben vorgelegt. Es stehen

also nur Daten von zwei Erhebungsterminen zur Verfügung. Zum ersten

Erhebungstermin sollten sich die beiden Gruppen nicht deutlich voneinander

unterscheiden, denn die Kinder wurden anhand der Ergebnisse aus dem Vortest so auf

Kontroll- und Untersuchungsgruppe verteilt, dass die Gruppen sich bezüglich Alter,

Geschlecht und Leistung glichen.

Page 111: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 102

1 10

Erhebungstermin

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

Untersuchungsgruppe

Kontrollgruppe

1 10

Erhebungstermin

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

Untersuchungsgruppe

Kontrollgruppe

Abbildung 16: Entwicklungsverläufe von Kontrollgruppe und Untersuchungsgruppe

In Abbildung 16 sind die mittleren Lösungshäufigkeiten aller Aufgabentypen zum ersten

und letzten Erhebungstermin für die Kontroll- und Untersuchungsgruppe dargestellt. Der

Untersuchungsgruppe wurden zum ersten Termin eine False-Belief-, eine

Representational-Change- eine Appearance-Reality-Distinction- und eine Neugier-

Aufgabe vorgelegt. Die Kontrollgruppe erhielt darüber hinaus noch eine Conflicting-

Desire-Aufgabe. Zur besseren Vergleichbarkeit der beiden Gruppen geht diese hier nicht

in die Auswertung ein. Zum 10.Termin erhielt die Untersuchungsgruppe wiederum eine

Version je Aufgabentyp, nur keine Neugier-Aufgabe. Diese wurde somit auch bei der

Kontrollgruppe nicht mitberechnet. Dadurch sind die in den Vergleich zwischen

Kontroll- und Untersuchungsgruppe eingehenden Daten bezüglich Aufgabenart und

Aufgabenanzahl identisch.

Abbildung 16 zeigt, dass sich die Theory of Mind-Fähigkeit der Kontrollgruppe und der

Untersuchungsgruppe zwischen Vortest und 1.Termin unterschiedlich entwickelt hat und

die Kontrollgruppe zum 1.Termin etwas besser als die Untersuchungsgruppe

abschneidet. Bis zum 10.Termin entwickelt sich dann aber die Theory of Mind-Fähigkeit

der Untersuchungsgruppe schneller. Somit löst die Untersuchungsgruppe am Ende des

Page 112: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 103

Untersuchungszeitraums mehr Aufgaben als die Kontrollgruppe. Für eine

varianzanalytische Überprüfung der Faktoren Gruppe und Zeit wurde für jedes Kind zu

jedem Zeitpunkt ein Mittelwert berechnet, in den alle von ihm zu diesem Termin

gelösten Aufgaben eingingen (außer zum 1.Termin die Conflicting-Desire- und zum

10.Termin die Neugier-Aufgaben der Kontrollgruppe). Der Messwiederholungsfaktor

Zeit wurde hoch signifikant (F(1) = 17,78, p < .001), der Faktor Gruppe wurde nicht

signifikant (F(1) = .13, p = .73).

In Abbildung 16 zeigt sich zwar eine leichte Beschleunigung des Entwicklungsverlaufes

der Untersuchungsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied erweist

sich allerdings als nicht signifikant, so dass nicht von eine r überzufälligen Steigerung

der Theory of Mind-Fähigkeit in der Untersuchungsgruppe ausgegangen werden kann.

Insgesamt sind die Ergebnisse aufgrund der niedrigen Anzahl von Kindern in der

Kontrollgruppe (n = 11) nur mit Vorsicht zu interpretieren.

4.4.5 Interindividuelle Unterschiede bezüglich der Entwicklungsverläufe von Wunsch-

und Überzeugungsverstehen

Alle bisher dargestellten Ergebnisse sind Betrachtungen aggregierter Daten. Die Werte

der einzelnen Kinder wurden zusammengefasst um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu

kommen. Aggregierte Verläufe setzen sich meist aus unterschiedlichen Einzelverläufen

zusammen. Dies gilt auch für die vorliegende Arbeit. Daher soll in diesem Abschnitt

kurz anhand von Beispielen ein Eindruck der interindividuellen Unterschiede der

Entwicklungsverläufe vermittelt werden.

Jedes Kind bekam zu jedem der fünf Auswertungseinheiten vier Wunschaufgaben und

vier Überzeugungsaufgaben vorgelegt. Insgesamt wurden von jedem Kind also 20

Wunschaufgaben und 20 Überzeugungsaufgaben bearbeitet. Abbildung 17 zeigt, dass

sich die Lösungshäufigkeiten der einzelnen Kinder zu den jeweiligen Terminen deutlich

unterscheiden.

Page 113: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 104

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 6

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 6

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 6

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 13

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 13

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 13

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 23

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 23

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 23

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

nÜberzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 25

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

nÜberzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 25

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

nÜberzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 25

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 33

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 33

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 33

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 35

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 35

1+2 3+4 5+6 7+8 9+10

Erhebungstermine

0

1

2

3

4

Anz

ahl g

elös

ter

Auf

gabe

n

Überzeugungsaufgaben

Wunschaufgaben

Versuchsperson 35

Abbildung 17: Entwicklungsverläufe einzelner Kinder

Aus Abbildung 17 geht hervor, dass es deutliche intra- und interindividuelle

Unterschiede in den Entwicklungsverläufen einzelner Kinder gibt. Es muss aber betont

werden, dass die in den Verläufen erkennbaren Schwankungen bei der

Page 114: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 105

Einzelfallbetrachtung tatsächlich nur durch ein oder zwei mehr oder weniger richtig

gelöste Aufgaben zustande kommen. Somit ist, aufgrund der geringen Anzahl der

Messungen, die in die jeweilige Einzelfallbetrachtung eingehen, eine aussagekräftige

Interpretation des einzelnen Falles nicht möglich.

Betrachtet man die einzelnen Entwicklungsverläufe aller Kinder wird deutlich, dass sie

sich besonders bezüglich ihres Überzeugungsverstehens stark unterscheiden. So gibt es

Kinder, die auch am Ende des Untersuchungszeitraums keine Überzeugungsaufgaben

lösen können. Einige Kinder hingegen machen zum selben Zeitpunkt alle

Überzeugungsaufgaben richtig. Bezüglich des Wunschverstehens sind die Unterschiede

zwischen den Kindern zum Ende des Untersuchungszeitraumes nicht mehr so hoch. Hier

erreichen fast alle Kinder ein mittleres bis hohes Verständnis. Um zu überprüfen, wie

sich das Verhältnis von Wunschverstehen zu Überzeugungsverstehen bei den einzelnen

Kindern darstellt, wurde die gesamte Lösungsmenge an Wunschaufgaben mit der

gesamten Lösungsmenge an Überzeugungsaufgaben für jedes Kind einzeln vergleichend

betrachtetet. Von den 42 Kindern der Untersuchungsgruppe gab es nur ein Kind, das

während des gesamten Untersuchungszeitraums mehr Überzeugungsaufgaben als

Wunschaufgaben gelöst hatte (5 Wunschaufgaben, 8 Überzeugungsaufgaben). Zwei

Kinder lösten gleich viele Überzeugungsaufgaben wie Wunschaufgaben (je 14 bzw. je

15 Aufgaben). 39 der 42 Kinder lösten mehr Wunschaufgaben als

Überzeugungsaufgaben, wobei die Differenz zwischen gelösten Wunsch- und

Überzeugungsaufgaben im Mittel bei 6,75 Aufgaben lag mit einem Range von -3 bis 18.

Es zeigt sich also, dass, trotz der deutlichen interindividuellen Unterschiede bezüglich

der Entwicklungsverläufe, für fast alle Kinder Wunschaufgaben leichter zu lösen sind als

Überzeugungsaufgaben. Der anhand der über alle Kinder aggregierten Daten gefundene

signifikante Unterschied zwischen Wunsch- und Überzeugungsverstehen ist somit auch

auf der Ebene der Einzelfallbetrachtungen zu beobachten.

4.4.6 Zusammenfassung der Ergebnisse der 1. Studie

Unter 4.4.1 wurden die Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen

betrachtet. Dabei zeigte sich, dass Wunschaufgaben während des gesamten

Untersuchungszeitraums signifikant leichter waren als Überzeugungsaufgaben. Ferner

Page 115: Dissertation

4. Studie 1: Entwicklungsverläufe von Wunsch- und Überzeugungsverstehen 106

wurde deutlich, dass sich das Verständnis von Wünschen und das Verständnis von

Überzeugungen während des Untersuchungszeitraumes signifikant verbesserten.

Unter Abschnitt 4.4.2 wurden die Entwicklungsverläufe bezüglich der einzelnen

Aufgabenarten betrachtet. Außer bei der Neugier-fremd-Aufgabe und der

Representational-Change-Aufgabe nahm die Lösungshäufigkeit aller Aufgabentypen

während des Untersuchungszeitraumes signifikant zu.

Die Ergebnisse zum Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände wurden in

Abschnitt 4.4.3 beschrieben. Hierbei zeigte sich, dass das Verstehen eigener Wünsche

signifikant leichter war als das Verstehen fremder Wünsche. Bezüglich des

Überzeugungsverstehens ergab sich eine umgekehrte Reihenfolge, hier war das

Verstehen fremder Überzeugungen signifikant leichter als das Verstehen eigener

vergangener Überzeugungen.

Im Abschnitt 4.4.4 wurde der Entwicklungsverlauf der Kontrollgruppe mit dem der

Untersuchungsgruppe verglichen. Hierbei ließ sich ein leichter Anstieg der

Untersuchungsgruppe im Verhältnis zu Kontrollgruppe zum 10. Termin abbilden. Dieser

Unterschied erwies sich allerdings als nicht signifikant, so dass von keinem

überzufälligen Anstieg ausgegangen werden kann.

Im letzten Abschnitt 4.4.5 wurde kurz die Individualität der Entwicklungsverläufe

dargestellt. Auch bei der Betrachtung der einzelnen Entwicklungsverläufe zeigte sich,

dass Wunschaufgaben leichter zu verstehen waren als Überzeugungsaufgaben.

Page 116: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 107

5 Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36

Monaten

Nachdem im vorherigen Kapitel die im Rahmen des DFG-Projektes „Die Entwicklung

der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und

Computermodellierung“ (WA 1504/1-2) (Wahl, 2002) durchgeführte Längsschnittstudie

zur Erfassung der Entwicklung des Wunsch- und Überzeugungsverstehens vorgestellt

wurde, soll nun in diesem Kapitel auf Studie 2 eingegangen werden. Zu Beginn der

Studie 1 waren die Kinder durchschnittlich 41,6 Monate alt. Es zeigte sich, dass bereits

in der ersten Auswertungseinheit über 50% der Wunschaufgaben richtig gelöst wurden

(vgl. Abschnitt 4.4.1). Somit erschien es besonders in Hinblick auf die Entwicklung des

Wunschverstehens sinnvoll eine weitere Studie mit jüngeren Kindern durchzuführen.

Studie 2 wurde unabhängig von dem DFG-Projekt konzipiert und durchgeführt. Ihr Ziel

war es, Informationen über das Wunsch- und Überzeugungsverstehen jüngerer Kinder

zu liefern und somit zur Beantwortung der Frage beizutragen, ab welchem Alter Kinder

über ein repräsentationales Wunschverstehen verfügen.

5.1 Fragestellung und Hypothese

Im Rahmen der Ableitung der allgemeinen Fragestellungen der Arbeit (siehe 3.4) wurde

danach gefragt, ab welchem Alter Kinder Wunschaufgaben wie Conflicting-Desire- und

Neugier-Aufgaben lösen können und somit über ein repräsentationales Wunschverstehen

verfügen. Darüber hinaus wurde das Verhältnis zwischen Wunschverstehen und

Überzeugungsverstehen als Gegenstand des Forschungsinteresses benannt. In Studie 1

konnten die Kinder während des gesamten Untersuchungszeitraumes signifikant mehr

Wunschaufgaben als Überzeugungsaufgaben lösen. Schon zu Beginn der Studie

unterschieden sich die einzelnen Aufgabentypen deutlich bezüglich ihrer Schwierigkeit.

Besonders auffällig war die durchgängig hohe Lösungshäufigkeit der Neugier- fremd-

Aufgabe (vgl. Abbildung 11). Auch die anderen Wunsch-Aufgaben konnten schon zu

Beginn des Untersuchungszeitraumes von mehr Kindern richtig gelöst werden als die

Überzeugungsaufgaben. Somit war das Wunschverstehen von Anfang an auf einem

deutlich höheren Niveau als das Überzeugungsverstehen. Zu Beginn der ersten Studie

Page 117: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 108

waren die Kinder im Durchschnitt 41,6 Monate alt. Aus vielen Studien ist bekannt, dass

ab der zweiten Hälfte des vierten Lebensjahres eine starke Entwicklung des

Überzeugungsverstehens beginnt (Wellman et al., 2001). Bezüglich des Zeitraumes der

Entwicklung des Wunschverstehens gibt es keine eindeutigen Daten. Die Ergebnisse der

ersten Studie zeigen aber, dass die Kinder wahrscheinlich schon vor dem Alter von 3,5

Jahren beginnen ein Verständnis für die hier eingesetzten Wunschaufgaben zu

entwickeln. In der nun folgenden zweiten Studie wurde daher der Frage nachgegangen,

ob auch schon jüngere Kinder im Alter von 36 Monaten Wunschaufgaben richtig lösen

können und wie das Verhältnis von gelösten Wunschaufgaben zu gelösten

Überzeugungsaufgaben bei diesen jüngeren Kindern aussieht. Aus den allgemeinen

Fragestellungen der Arbeit wurden unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Studie 1

eine weitere Hypothesen für die zweite Studie formuliert.

Hypothese 5 lautet:

Kinder im Alter von 36 Monaten lösen keine Überzeugungsaufgaben und nur

geringfügig mehr Wunschaufgaben.

Aus vielen Studien ist bekannt, dass Kinder im Alter von 36 Monaten noch nicht in der

Lage sind falsche Überzeugungen zu verstehen (Wellman et al., 2001). Daher wird

davon ausgegangen, dass sie die eingesetzten Überzeugungsaufgaben noch nicht lösen

können. In Studie 1 waren Wunschaufgaben von Anfang an deutlich leichter als

Überzeugungsaufgaben. Es kann somit angenommen werden, dass sich diese

unterschiedliche Schwierigkeit der Aufgaben auch bei jüngeren Kindern zeigen wird,

wobei aufgrund des jungen Alters der Kinder nur von einem geringfügigen Verständnis

für repräsentationale Wunschaufgaben ausgegangen wird.

5.2 Methode

5.2.1 Die Stichprobe

Aus dem Standesamtregister der Badischen Zeitung wurden die Adressen von Familien,

die Kinder im entsprechenden Alter hatten, gewonnen. Es wurden 114 Familien in

Freiburg angeschrieben, von denen sich 41 bereit erklärten ihr Kind an der Studie

teilnehmen zu lassen. Somit wurden 22 Mädchen und 19 Jungen in die Studie

Page 118: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 109

aufgenommen. 24 Kinder waren genau 36 Monate alt, 15 waren 37 Monate alt und zwei

Kinder 38 Monate alt. Das Durchschnittsalter lag bei 36,4 Monaten.

5.2.2 Material

In dieser Untersuchung wurden die bereits in der ersten Studie eingesetzten fünf

Aufgabentypen verwendet. Von jedem Aufgabentyp kam eine Version zum Einsatz, die

im Folgenden kurz beschrieben wird. Der genaue Ablauf sowie die einzelnen Fragen

können Abschnitt 4.3.2 entnommen werden.

Bei der False-Belief-Aufgabe handelte es sich um folgende Geschichte: Ein Mädchen

kommt an einem regnerischen Tag ins Haus und stellt ihre nassen Schuhe in den

Schrank. Dann verlässt sie das Zimmer um zu duschen. Unterdessen nimmt der Hund

die Schuhe aus dem Schrank und legt sie unter das Sofa. Anschließend kommt das

Mädchen wieder in das Zimmer und will ihre Schuhe trocknen. In der Testfrage wurden

die Kinder dann gefragt, wo das Mädchen nach ihren Schuhen suchen würde.

Bei der Representational-Change-Aufgabe wurde dem Kind eine Spielzeugverpackung

mit einem Auto darauf gezeigt. Nachdem das Kind angegeben hatte, dass es dachte, dass

in der Schachtel ein Auto sei, wurde ihm gezeigt, dass sich ein Stift in der Schachtel

befand. Anschließend wurde zu dieser Aufgabe auch noch eine False-Belief-Frage

gestellt. Dazu wurde eine Handpuppe aus einer Tasche geholt und das Kind gefragt, was

die Puppe, die nicht gesehen hatte, was in der Schachtel war, dachte was in der

Schachtel sei.

Bei der in dieser Studie eingesetzten Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe handelte

es sich um eine Kerze die aussah wie ein Schokoladenkuchen. Für die Neugier-Aufgabe

wurden zwei Teedosen verwendet und als Conflicting-Desire-Aufgabe das bereits unter

4.3.2.2 dargestellte Froschspiel gespielt.

Da nur zu einem Termin Daten erhoben wurden und die Kinder keine Rückmeldungen

bezüglich der Richtigkeit ihrer Antworten erhielten, konnte davon ausgegangen werden,

dass sie keine Antwortmuster (wie etwa „es ist immer die andere Antwortalternative

richtig“) lernen würden. Somit wurde in dieser Studie auf den Einsatz von konsistenten

Aufgabenversionen verzichtet.

Page 119: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 110

5.2.3 Design und Durchführung

Die vorliegende Untersuchung wurde in der Zeit von Mai bis Juli 2004 durchgeführt.

Jeweils eine von insgesamt zwei geschulten Versuchsleiterinnen besuchte ein Kind zu

einem etwa halbstündigen Termin zu Hause. Die Versuchsleiterin gab dem Kind die

Aufgaben in folgender Reihenfolge vor: Neugier-Aufgabe, False-Belief-Aufgabe,

Conflicting-Desire-Aufgabe, Representational-Change-Aufgabe und Appearance-

Reality-Distinction-Aufgabe. Die Antworten des Kindes wurden durch Ankreuzen der

Antwortalternativen auf den Protokollbögen festgehalten. Am Ende des Termins erhielt

jedes Kind ein kleines Geschenk.

Eine gesamte Aufgabe wurde als richtig gelöst bewertet, wenn Kontrollfrage, Testfrage

und Realitätsfrage jeweils korrekt beantwortet wurden.

5.3 Ergebnisse

5.3.1 Das Verhältnis von Wunschverstehen zu Überzeugungsverstehen

Hypothese 5 sagt aus, dass die Kinder nur über ein sehr geringes Wunschverstehen und

noch über kein Überzeugungsverstehen verfügen. Zur Überprüfung dieser Hypothese

wurden für jedes Kind zwei Kennwerte berechnet: die relative Häufigkeit aller von ihm

gelösten Wunschaufgaben und die relative Häufigkeit aller von ihm gelösten

Überzeugungsaufgaben. Diese Kennwerte wurden dann für alle Kinder

zusammengefasst und können Tabelle 12 entnommen werden.

Tabelle 12: Relative Lösungshäufigkeiten für Überzeugungs- und Wunschaufgaben

M SD

Überzeugungsaufgaben .23 .29

Wunschaufgaben .16 .20

Gesamt .18 .18

Aus Tabelle 12 geht hervor, dass die Aufgaben für die Kinder insgesamt sehr schwierig

zu lösen sind, wobei sie etwas mehr Überzeugungs- als Wunschaufgaben lösen können.

Page 120: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 111

Der Unterschied in der Lösungshäufigkeit von Wunsch- und Überzeugungsaufgaben

wird in einem t-Test für abhängige Stichproben nicht signifikant (t(39) = -1,61, p =

0,11). Die durch Hypothese 5 ausgedrückte Annahme, dass Kinder im Alter von 36

Monaten geringfügig mehr Wunsch- als Überzeugungsaufgaben lösen können, wird

durch die Daten widerlegt.

Auch bei der Betrachtung der Lösungshäufigkeit der einzelnen Aufgabentypen zeigt sich

deutlich, dass Wunsch- und Überzeugungsaufgaben den jungen Kindern in gleicher

Weise schwer fallen (siehe Abbildung 18 unter 5.3.2).

Wie bereits unter 4.3.2 beschrieben, ist es bei jedem Aufgabentyp möglich, dass das

Kind, indem es die Testfrage falsch beantwortet, die Art von Fehler macht, die aufgrund

von mangelnder Theory of Mind-Fähigkeit erwartet wurde. So würde im Fall der False-

Belief-Aufgabe das Kind sagen, dass das Mädchen ihre Schuhe unter dem Sofa sucht,

wo sie in Wirklichkeit auch sind. Neben diesen erwarteten Fehlern können bei allen

Aufgabentypen auch Fehler durch das falsche Beantworten der Realitätsfrage gemacht

werden. Dies deutet außer bei der Apprearance-Reality-Distinction-Aufgabe darauf hin,

dass die Aufgabenstruktur vom Kind nicht verstanden wurde. Antwortet ein Kind

beispielsweise auf die Realitätsfrage im Froschspiel, dass es jetzt eine grüne Karte

ziehen will, nachdem es schon eine grüne Karte gezogen hatte, ist dies falsch und als

Hinweis zu werten, dass das Kind den Ablauf des Spiels nicht verstanden hat. Bei der

Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe ist die falsche Beantwortung der Realitätsfrage

auch als Ausdruck mangelnder Theory of Mind-Fähigkeit zu verstehen und somit nicht

im Sinne eines Nichtverstehens der Aufgabenstruktur zu interpretieren. Die Art der

gemachten Fehler bei jedem Aufgabentyp kann Tabelle 13 entnommen werden.

Page 121: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 112

Tabelle 13: Anzahl der Lösungen je Aufgabetyp

FB RC RC-FB AR N fremd N eigen CD fremd

CD eigen

gelöst 7 10 9 7 7 6 7 4

erwarteter Fehler

22 28 29 32 32 32 6 9

anderer Fehler

12 1 1 - - - 25 25

Missing - 2 2 2 2 3 3 3

Tabelle 13 gibt die Anzahl der jeweiligen Lösungen für jeden Aufgabentyp wieder.

„Gelöst“ bedeutet, dass die Aufgabe richtig gemacht wurde, „erwarteter Fehler“

bedeutet, dass die Testfrage falsch beantwortet wurde und „ anderer Fehler“ bedeutet,

dass die Realitätsfrage falsch beantwortet wurde. Da in der zweiten Studie keine

Ersatzaufgaben eingesetzt wurden, konnte es zu fehlenden Daten kommen, wenn die

intendierte Täuschung im Fall der Representational-Change- und Appearance-Reality-

Distinction-Aufgaben nicht funktionierte oder wenn das Kind die Mitarbeit verweigerte.

Tabelle 13 zeigt, dass alle Aufgaben nur von wenigen Kindern richtig gelöst wurden.

Die gemachten Fehler unterscheiden sich jedoch stark nach Aufgabenart. Bei der False-

Belief-Aufgabe machten 12 Kinder den „anderen Fehler“, d.h. sie konnten nicht richtig

angeben wo sich die Schuhe tatsächlich befanden, was bedeuten könnte, dass sie die

Geschichte nicht richtig verstanden hatten. Im Rahmen der Representational-Change-

Aufgabe wurde die Realitätsfrage nur von einem Kind falsch beantwortet. Bei der

Neugier-Aufgabe tauchte der „andere Fehler“ nicht auf. Alle Kinder gaben also in der

Realitätsfrage an, nun in die andere Dose schauen zu wollen. Auffällig ist die sehr hohe

Anzahl der „anderen Fehler“ bei der Conflicting-Desire-Aufgabe. Es scheint, dass es den

meisten Kindern im Alter von 36 Monaten noch nicht möglich ist, den komplexen

Ablauf des Froschspiels zu verstehen. Vergleicht man die Lösungs- und

Fehlerhäufigkeiten der Neugier-Aufgabe mit der der Conflicting-Desire-Aufgabe, so

wird aber deutlich, dass die geringe Lösungshäufigkeit der Wunschaufgaben nicht allein

durch ein mangelndes Verständnis für die Aufgabenstruktur zustande kommen kann,

denn auch die Neugier-Aufgaben wurde ohne das Vorkommen „anderer Fehler“ nur von

sehr wenigen Kindern gelöst. Es scheint vielmehr als sei es für Kinder im Alter von 36

Page 122: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 113

Monaten noch nicht möglich die repräsentationalen Anforderungen der Wunschaufgaben

zu verstehen.

5.3.2 Vergleich der Lösungshäufigkeiten von Kindern im Alter von 36 und 42

Monaten

Die Kinder in Studie 1 waren zu Beginn des Untersuchungszeitraumes im Durchschnitt

42 Monate alt. Ihre Theory of Mind-Entwicklung wurde sieben Monate lang erhoben und

in Kapitel 4 dargestellt. Die Kinder in Studie 2 waren 36 Monate alt. Über die Theory of

Mind-Entwicklung im Zeitraum zwischen 36 und 42 Monaten liegen keine direkten

Daten vor. Durch den Vergleich der Studie 2 mit den Ergebnissen zu Beginn der Studie

1 lassen sich jedoch Hinweise auf diese Entwicklung finden.

2. Studie (Alter 36 Monate)

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

17

2523

18 1816

18

11

FB ARRC-FBRC N fremd N eigen CD fremd CD eigen

00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

17

2523

18 1816

18

11

FB ARRC-FBRC N fremd N eigen CD fremd CD eigen

1. Studie: 1 + 2 Termin (Alter 42 Monate)

FB RC AR N fremd N eigen CD fremd CD eigen00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

20

33

79

55

49

4139

FB RC AR N fremd N eigen CD fremd CD eigen00

20

40

60

80

100

Lösu

ngsh

äufig

keit

in P

roze

nt

20

33

79

55

49

4139

Abbildung 18: Lösungshäufigkeit der Aufgabentypen in der zweiten Studie und zur ersten

Auswertungseinheit der ersten Studie

Betrachtet man Abbildung 18, so fällt auf, dass die Wunschaufgaben (in der Abbildung

durch Rottöne gekennzeichnet) zu Beginn der ersten Studie sehr viel häufiger gelöst

wurden als in der zweiten Studie. Besonders das Verständnis für die Neugier-Aufgabe

ist im Alter von 42 Monaten sehr viel höher als mit 36 Monaten. Für die beiden

Überzeugungsaufgaben (blau) ist die Zunahme der Lösungshäufigkeit zwischen den

beiden Studien nicht so deutlich. Besonders die False-Belief-Aufgabe wird sowohl in der

zweiten als auch zu Beginn der ersten Studie nur selten richtig gelöst.

Page 123: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 114

Zu der Representational-Change-Aufgabe wurde in der zweiten Stud ie noch eine False-

Belief-Frage gestellt (RC-FB). Damit wurde, den Wunschaufgaben vergleichbar, auch

das Verstehen eigener und fremder Überzeugungen anhand einer Aufgabe überprüft.

Aus Abbildung 18 geht hervor, dass in Studie 2, in Übereinstimmung mit den

Ergebnissen der Studie 1, die Wunschaufgaben, die das Benennen des fremden

Wunsches erfordern, einfacher sind als die, die sich auf den eigenen vergangenen

Wunsch beziehen. Auch in Studie 2 stellt sich dieses Verhältnis bei den

Überzeugungsaufgaben umgekehrt dar. Hier ist die Frage nach der eigenen vergangenen

Überzeugung (RC) leichter zu beantworten als die Frage nach der falschen Überzeugung

einer anderen Person (FB; RC-FB). Insgesamt können die Daten der Studie 2 aber in

Hinblick auf das Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände aufgrund der nur

sehr geringen Unterschiede bezüglich der Lösungshäufigkeit nicht weiter interpretiert

werden. Vielmehr muss festgestellt werden, dass alle in Studie 2 eingesetzten Aufgaben

den Kindern im Alter von 36 Monaten sichtlich schwer gefallen sind.

Da die RC-FB-Testfrage nur in der zweiten Studie gestellt wurde, ist für sie kein

gesonderter Vergleich zwischen den beiden Studien möglich. Da diese Testfrage aber

auch das Überzeugungsverstehen erfasst, wurde sie neben der False-Belief- und

Representational-Change-Aufgabe in den Mittelwert für das Überzeugungsverstehen

jedes einzelnen Kindes in der zweiten Studie eingerechnet. Darüber hinaus wurde für

jedes Kind in der zweiten Studie ein Mittelwert bezüglich seines Wunschverstehens

berechnet, der sich aus den vier Wunschfragen zusammensetzt e. Aus den Daten der

ersten Auswertungseinheit wurde für jedes Kind der ersten Studie ein Mittelwert seines

Überzeugungsverstehens (beinhaltet zwei False-Belief- und zwei Representational-

Change-Aufgaben) und seines Wunschverstehens (beinhaltet vier Wunschaufgaben)

berechnet. Ob die Zunahme der mittleren Lösungshäufigkeit der Wunsch- und

Überzeugungsaufgaben zwischen den Kindern im Alter von 36 und 42 Monaten

signifikant war, wurde mittels t-Test für unabhängige Stichproben überprüft. Es zeigte

sich, dass die Zunahme an Wunschverstehen hochsignifikant war (t(71,73) = 7,23; p <

0,001). Das Überzeugungsverstehen unterschied sich hingegen nicht signifikant

zwischen den Kindern im Alter von 36 Monaten und den Kindern im Alter von 42

Monaten (t(81) = 1,01; p = 0,31).

Page 124: Dissertation

5. Studie 2: Wunsch- und Überzeugungsverstehen im Alter von 36 Monaten 115

Betrachtet man die Ergebnisse der zweiten Studie zusammenfassend, so kann festgestellt

werden, dass für 36 Monate alte Kinder das Verstehen der eingesetzten Wunschaufgaben

vergleichbar schwer war, wie das der Überzeugungsaufgaben. Aus dem Vergleich der

ersten und zweiten Studie lässt sich schließen, dass sich in der Altersspanne zwischen 36

und 42 Monaten besonders das Wunschverstehen stark entwickelt. Eine Zunahme an

Überzeugungsverstehen zeigt sich hingegen kaum in diesem Zeitraum. Darüber hinaus

liefert die zweite Studie wichtige Hinweise bezüglich der fehlerfreien Durchführbarkeit

der einzelnen Aufgabentypen. So wurde deutlich, dass die Conflicting-Desire-Aufgabe

aufgrund ihrer hohen strukturellen Anforderung von Kindern im Alter von 36 Monten

häufig falsch gemacht wurde.

Page 125: Dissertation

6. Diskussion 116

6 Diskussion

Eine umfassende Theory of Mind, die es ermöglicht, das Verhalten anderer Personen zu

erklären und vorherzusagen, muss sowohl ein Verständnis für Wünsche als auch ein

Verständnis für Überzeugungen beinhalten (Bennett, 1991). Ziel dieser Arbeit ist es zum

Verständnis der Entwicklung einer solch umfassenden Theory of Mind beizutragen,

indem sowohl der Entwicklungsverlauf des kindlichen Wunschverstehens als auch der

Entwicklungsverlauf des kindlichen Überzeugungsverstehens erfasst wurde. Dazu

wurden erstmalig in einer Längsschnittstudie Daten zur Entwicklung des

Wunschverstehens und des Überzeugungsverstehens erhoben, wobei der

Untersuchungszeitraum sieben Monate betrug und die Kinder zu Beginn im

Durchschnitt 42 Monate alt waren. Ergänzend untersuchte eine zweite Studie das

Wunsch- und Überzeugungsverstehen von jüngeren Kindern im Alter von 36 Monaten.

Neben der Darstellung des bisher wenig untersuchten Verlaufes der Entwicklung des

Wunschverstehens und seines Verhältnisses zur Entwicklung des

Überzeugungsverstehens, ist es auch Ziel dieser Arbeit die gefundenen Daten in

Zusammenhang mit Aussagen einzelner theoretischer Ansätze zur Theory of Mind-

Entwicklung zu bringen. Dies soll nun im Rahmen der Diskussion geschehen. Zu Beginn

wird das Verhältnis von Wunsch- zu Überzeugungsverstehen dargestellt und dieses

Verhältnis in Hinblick auf einzelne theoretische Ansätze diskutiert (6.1). Im nächsten

Abschnitt werden die Ergebnisse bezüglich des Verstehens eigener und fremder

mentaler Zustände genauer betrachtet (6.2) und anschließend werden in Hinblick auf den

Vergleich von Kontroll- und Untersuchungsgruppe Überlegungen zur Trainierbarkeit der

Theory of Mind-Fähigkeit erörtert (6.3). Abschnitt 6.4 widmet sich der Bedeutung der

interindividuellen Entwicklungsverläufe. Danach sollen die Ergebnisse bezüglich

einzelner Aufgabentypen aus methodischer Sicht diskutiert werden (6.5) und eine

Betrachtung der Stichprobe erfolgen (6.6), um dann mit Abschnitt 6.7 die Diskussion

mit einem Fazit und Ausblick zu beenden.

Page 126: Dissertation

6. Diskussion 117

6.1 Das Verhältnis von Wunsch- zu Überzeugungsvers tehen

Neben der Darstellung der Entwicklung von Wunsch- und Überzeugungsverstehen

zielen die Fragestellungen der Arbeit auch darauf, Aussagen bezüglich einzelner

Annahmen in theoretischen Erklärungsansätzen zur kindlichen Theory of Mind machen

zu können. Die Rückschlüsse, die aus dem Verhältnis von Wunsch- zu

Überzeugungsverstehen gezogen werden können, sollen in diesem Abschnitt genauer

betrachtet werden.

In Studie 1 konnte gezeigt werden, dass Wunschverstehen signifikant leichter ist als

Überzeugungsverstehen (siehe 4.4.1). Dies widerspricht den von Moore et al. (1995)

berichteten Ergebnissen. Sie fanden, dass die Conflicting-Desire- und False-Belief-

Aufgaben einen ähnlichen Schwierigkeitsgrad aufweisen. Ein genauer Vergleich der

Ergebnisse von Moore et al. (1995) mit den Ergebnissen der ersten Studie fällt schwer,

da sich die von Moore et al. (1995) untersuchten Kinder im Alter von 3;0 bis 4;0 Jahren

befanden und gemeinsam als eine Gruppe mit einem Durchschnittsalter von 3;5 Jahren

ausgewertet wurden. Somit ist eine differenzierte Betrachtung möglicher Alterstrends

nicht machbar. Vergleicht man die Ergebnisse der ersten Studie mit den Ergebnissen von

Moore et al. (1995) im Ganzen, so fällt vor allem die von ihnen berichtete hohe

Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgaben auf. Von insgesamt 18 untersuchten

Kindern konnten 8 die Aufgabe richtig lösen, somit wurde die False-Belief-Aufgabe in

44,4 Prozent der Fälle richtig gemacht. Die Kinder in der ersten Studie, die im Rahmen

dieser Arbeit vorgestellt wurde, waren zur ersten Auswertungseinheit durchschnittlich

3;6 Jahre alt und lösten nur 20 Prozent der False-Belief-Aufgaben richtig (vgl.

Abbildung 11). Auch die Ergebnisse für die Conflicting-Desire-Aufgaben unterscheiden

sich. In der Untersuchung von Moore et al. (1995) wurde die Conflicting-Desire-

Aufgaben sowohl bezüglich des eigenen als auch des fremden Wunsches von 7 Kindern

richtig und von 14 falsch gemacht. Somit ergab sich jeweils eine Lösungshäufigkeit von

35 Prozent. Demgegenüber stehen die Lösungshäufigkeiten von 49 Prozent für „CD-

fremd“ und 41 Prozent für „CD-eigen“ aus der ersten Auswertungseinheit der Studie 1.

Es wird also deutlich, dass die Ergebnisse dieser Arbeit nicht mit denen von Moore et al.

(1995) übereinstimmen. So ist die False-Belief-Aufgabe bei Moore et al. (1995) deutlich

leichter und die Conflicting-Desire-Aufgabe schwerer zu lösen als in Studie 1.

Möglicherweise kam es in der Studie von Moore et al. (1995) zu der hohen

Page 127: Dissertation

6. Diskussion 118

Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgabe, weil in der von ihnen eingesetzten Version

der Protagonist absichtlich getäuscht werden sollte. Andere Studien konnten zeigen, dass

Aufgaben, die explizit eine Täuschungsabsicht beinhalten, deutlich leichter zu lösen sind

als normale False-Belief-Aufgaben (Chandler, Fritz & Hala, 1989; Wellmann et al.,

2001). Insgesamt muss festgehalten werden, dass die Daten der Studie 1 nicht mit den

Ergebnissen von Moore et al. (1995) übereinstimmen.

Wie unter Abschnitt 3.3 dargestellt, unterscheiden sich die Wunsch- und

Überzeugungsaufgaben nicht hinsichtlich ihrer exekutiven Anforderungen. Durch Studie

1 konnte belegt werden, dass Wunschaufgaben signifikant leichter sind als

Überzeugungsaufgaben. Somit scheinen die exekutiven Anforderungen nicht das

zentrale Moment zu sein, welches die Überzeugungsaufgaben schwerer als die

Wunschaufgaben macht. Die Daten sprechen folglich eher für den repräsentationalen

Ansatz von Perner (1991a), der davon ausgeht, dass Wünsche als repräsentational

leichtere Konstrukte vor Überzeugungen verstanden werden. Die Fragestellung dieser

Arbeit, ob die Daten eher für den Ansatz der exekutiven Funktionen oder eher für den

repräsentationalen Ansatz sprechen, muss demzufolge zugunsten des repräsentationalen

Ansatzes beantwortet werden.

Was bedeutet die signifikant höhere Lösungshäufigkeit von Wunschaufgaben gegenüber

Überzeugungsaufgaben im Hinblick auf die anderen, in Kapitel zwei vorgestellten

theoretischen Erklärungsansatze? Die Ergebnisse sprechen nicht nur gegen den Ansatz

der exekutiven Funktionen, sondern auch gegen die Simulationstheorie, die davon

ausgeht, dass das Verstehen von Wünschen und das Verstehen von Überzeugungen

gleich schwer sind, weil diese beiden mentalen Zustände in gleicher Weise simuliert

werden müssen (vgl. 2.3). Demgegenüber nehmen sowohl Fodor (1992) als

Modultheoretiker als auch Bartsch und Wellman (1989, 1995) sowie Perner (1991a) als

Theorie-Theoretiker an, dass sich das kindliche Wunschverstehen vor dem

Überzeugungsverstehen entwickelt. Daher werden diese theoretischen Ansätze durch die

in Studie 1 gefundene Entwicklungsabfolge bestätigt.

Die Ergebnisse der Studie 2 zeigen, dass für Kinder im Alter von 36 Monaten sowohl

das Lösen von Wunschaufgaben als auch das Lösen von Überzeugungsaufgaben sehr

schwierig ist, wobei sich die Lösungshäufigkeiten nicht signifikant voneinander

Page 128: Dissertation

6. Diskussion 119

unterscheiden. Einige Studien konnten zeigen, dass einfaches Wunschverstehen auch

schon vor dem Alter von drei Jahren möglich ist (Repacholie & Gopnik, 1997; Wellman

& Woolley, 1990). Somit spricht die hohe Schwierigkeit der eingesetzten

Wunschaufgaben für dreijährige Kinder dafür, dass die Aufgaben tatsächlich kein

einfaches, sondern ein repräsentationales Wunschverstehen erfassen. Davon wurde auch

theoretisch ausgegangen. Bei beiden eingesetzten Wunschaufgaben verändern sich die

Wünsche. Dies kann nach Perner (1991a) und Gopnik & Slaughter (1991) nur von

Kindern begriffen werden, die schon über ein repräsentationales Wunschverstehen

verfügen.

Betrachtet man Studie 1 und Studie 2 vor dem Hintergrund der bisherigen Forschung, so

kann aus den Ergebnissen folgende Entwicklungsreihenfolge abgeleitet werden:

Kinder verfügen zuerst über ein einfaches Wunschverstehen, erst nach dem Alter von 36

Monaten entwickeln sie auch ein repräsentationales Wunschverstehen und später als

dieses ein repräsentationales Überzeugungsverstehen. Diese Entwicklungsreihenfolge

kann im Einzelnen wie folgt begründet werden. Das einfache Wunschverstehen von

jungen Kindern wurde in dieser Studie nicht untersucht, es kann aber anhand von vielen

Studien als gesichert gelten, dass Kinder auch schon im Alter von drei Jahren über ein

einfaches Wunschverstehen verfügen (Repacholie & Gopnik, 1997; Perner, 1991a;

Wellman & Woolley, 1990). In Studie 2 wurden nur 16 Prozent der Wunschaufgaben

richtig gelöst. Dies zeigt, dass Dreijährige noch kaum über ein repräsentationales

Verständnis von Wünschen verfügen. Aus Studie 1 geht hervor, dass dieses bei Kindern

im Alter von 42 Monaten schon signifikant höher ist und im Verlauf von sieben

Monaten nochmals signifikant zunimmt bis zu einer Lösungshäufigkeit von 86 Prozent.

Deutlich später als das repräsentationale Wunschverstehen entwickelt sich das

repräsentationale Überzeugungsverstehen. So konnte zwischen Studie 2 und der ersten

Auswertungseinheit der Studie 1 keine signifikante Zunahme an Überzeugungsverstehen

verzeichnet werden. Erst zum Ende des Untersuchungszeitraumes der Studie 1 erreichte

das Überzeugungsverstehen etwa das Niveau des Wunschverstehens zu Beginn der

Studie. Somit kann geschlussfolgert werden, dass das Wunschverstehen schon in der

Altersspanne von 36 bis 42 Monten stark zunimmt, wohingegen dass

Überzeugungsverstehen in diesem Zeitraum gleich schwach bleibt und erst etwa sieben

Page 129: Dissertation

6. Diskussion 120

Monate später ein vergleichbares Entwicklungsniveau erreicht wie zuvor das

Wunschverstehen.

Die Ergebnisse der beiden Studien lassen sich, wie bereits aufgezeigt, gut mit den

Vorhersagen des repräsentationalen Ansatzes verbinden. Perner (1991a) geht davon aus,

dass Kinder bis zum Alter von drei Jahren als Situationstheoretiker ein einfaches

Wunschverständnis haben, welches sich repräsentational erweitert, sobald die Kinder als

Repräsentations theoretiker auch Metarepräsentationen, also repräsentationale Relationen

verstehen. Unklar bleibt bei Perner (1991a) allerdings, ob dieses repräsentationale

Wunschverstehen ebenso schwer zu erreichen ist wie Überzeugungsverstehen. In der

vorliegenden Arbeit wurde aufgezeigt, dass Wünsche repräsentational einfachere

Konstrukte sind als Überzeugungen, da sie keine Wahrheitsbedingung beinhalten. Daher

wurde geschlussfolgert, dass das repräsentationale Verstehen von Wünschen einfacher

sein sollte als das repräsentationale Überzeugungsverstehen. Dies konnte anhand der

Ergebnisse der Studie 1 deutlich gezeigt werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit und die

daraus abgeleitete dreistufige Entwicklungsreihenfolge passen gut zu dem von Gopnik

und Meltzoff (1997) als Vertreter der Theorie-Theorie angenommenen

Entwicklungsverlauf. Sie gehen davon aus, dass Kinder mit 2,5 Jahren über ein

einfaches Wunschverstehen verfügen, bevor sie ein repräsentationales Wunschverstehen

entwickeln und anschließend Überzeugungsve rstehen erwerben.

The evidence suggests that children’s initial understanding of desire is

non-representational, a “drive” theory of sorts…. There is also

evidence, however, that representational aspects of desire, like

representational aspects of perception, are understood earlier than

similar aspects of belief. It seems that an understanding of the

representational character of desire, like a similar understanding of the

representational character of perception, underpins the child’s

acquisition of a more general representational account of belief (S.

157-158).

Page 130: Dissertation

6. Diskussion 121

6.2 Das Verstehen eigener und fremder Wünsche und Überzeugungen

In beiden der im Rahmen dieser Arbeit vorgestellten Studien wurde sowohl das

Wunschverstehen als auch das Überzeugungsverstehen in Bezug auf den mentalen

Zustand einer anderen Person und den vergangenen eigenen mentalen Zustand

untersucht. Die Schwierigkeit des Verstehens eigener und fremder mentaler Zustände

spielt besonders in der Diskussion um Theorie-Theorie und Simulationstheorie eine

Rolle. So behaupten Vertreter der Theorie-Theorie, dass man nach Aussagen der

Simulationstheorie vorhersagen müsste, dass eigene mentale Zustände leichter zu

benennen sind als die fremder Personen. „It seems to us … , that a central prediction of

such a view would be that children’s understanding of their own minds, of their own

beliefs, desires, and so on, would consistently precede their understanding of the minds

of others” (Astington & Gopnik, 1991). Als Vertreter der Simulationstheorie

argumentiert Harris (1992) hingegen, dass auch von einem simulationstheoretischen

Standpunkt aus das Verstehen eigener vergangener mentaler Zustände ebenso schwierig

sein sollte wie das anderer Personen. Er geht davon aus, dass Kinder ihre eigenen

vergangenen mentalen Zustände in gleicher Weise simulieren müssen wie die mentalen

Zustände anderer Personen. Somit würde eine vergleichbare Schwierigkeit beim

Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände für die Theorie-Theorie sprechen und

auch für die simulationstheoretische Annahme von Harris (1992). Sollte das Verstehen

eigener mentaler Zustände leichter sein als das fremder, würde dies für die

Simulationstheorie, wie sie von den Theorie-Theoretikern gesehen wird, sprechen.

Unter Abschnitt 4.4.3 wurden die Daten bezüglich des Verstehens eigener und fremder

mentaler Zustände aus Studie 1 vorgestellt. Diese sollen hier nun in Hinblick auf die

theoretischen Annahmen diskutiert werden. Die Daten aus Studie 2 spielen bei dieser

Betrachtung keine Rolle, da sie aufgrund der niedrigen Lösungshäufigkeit aller

Aufgaben keine Aussagen über das Verhältnis des Verstehens eigener und fremder

mentaler Zustände erlauben. In Studie 1 konnte gezeigt werden, dass das Verstehen

fremder Überzeugungen signifikant schwerer war als das eigener vergangener

Überzeugungen und dass das Verstehen fremder Wünsche signifikant leichter war als

das eigener vergangener Wüsche. Die Ergebnisse zeigen somit ein Muster, welches von

keinem theoretischen Ansatz vorhergesagt wird. Dieses Muster entspricht in keiner

Weise der Theorie-Theorie, die davon ausgeht, dass das Verstehen eigener vergangener

Page 131: Dissertation

6. Diskussion 122

mentaler Zustände vergleichbar schwer sein soll wie das mentaler Zustände anderer

Personen. Bezüglich des Überzeugungsverstehens konnte in Studie 1 das Muster

gefunden werden, welches laut Theorie-Theoretikern für die Simulationstheorie

sprechen soll. Das Muster bezüglich des Wunschverstehens spricht hingegen deutlich

gegen diese Annahme, da das Benennen eigener vergangener Wünsche schwieriger war

als das Benennen des Wunsches einer anderen Person.

Das im Rahmen dieser Arbeit gefundene Verhältnis des Verstehens eigener und fremder

Wünsche kann nur eingeschränkt interpretiert werden. Bei beiden Wunschaufgaben

(Conflicting-Desire und Neugier) wurde, um wie in der Studie von Moore et al. (1995)

eine möglichst hohe Vergleichbarkeit mit der False-Belief-Aufgabe zu erreichen, in der

ersten Testfrage nach dem Wunsch der anderen Person (Handpuppe) gefragt und erst die

zweite Testfrage bezog sich auf den eigenen vergangenen Wunsch des Kindes. Da im

Rahmen dieser Arbeit die Reihenfolge der Testfragen nicht variiert wurde, besteht die

Möglichkeit, dass die Ergebnisse bezüglich des Verstehens eigener und fremder

Wünsche durch die Reihenfolge der Testfragen beeinflusst sein könnten. Auch wenn der

im Rahmen der Durchführung gewonnene Eindruck nicht für einen

Konzentrationsverlust beim Beantworten der zweiten Testfrage spricht, sollte dies durch

das Variieren der Testfragenreihenfolge in zukünftigen Studien ausgeschlossen werden.

Auch das Verhältnis des Verstehens eigener und fremder Überzeugungen darf nur

vorsichtig interpretiert werden, da es möglicherweise durch die strukturellen

Anforderungen der Aufgaben beeinflusst worden sein könnte. Das Verstehen eigener

vergangener Überzeugungen wurde mittels Representational-Change-Aufgaben

erhoben, das Verstehen fremder Überzeugungen durch False-Belief-Aufgaben. Bei der

False-Belief-Aufgabe muss das Kind einer Geschichte mit mehreren Szenen folgen, bei

der Representational-Change-Aufgabe wird hingegen nur ein Objekt kurz dargeboten.

Somit ist anzunehmen, dass die False-Belief-Aufgaben strukturell eine höhere

Anforderung für die Kinder darstellen als die Representational-Change-Aufgaben.

Hinweise hierfür ergeben sich auch aus der Betrachtung der Lösungshäufigkeiten der

konsistenten Aufgaben (vgl. Abbildung 13). Bei diesen Aufgabenversionen, die keinerlei

Theory of Mind-Anforderungen beinhalten, schneidet die False-Belief-Aufgabe am

schlechtesten ab. Dies kann als Ausdruck ihrer höheren strukturellen Schwierigkeit

gewertet werden. Somit könnte auch diese höhere strukturelle Anforderung und nicht die

Page 132: Dissertation

6. Diskussion 123

Tatsache, dass der mentale Zustand einer anderen Person benannt werden muss, für die

geringere Lösungshäufigkeit der False-Belief-Aufgabe verantwortlich sein. Um

aussagekräftigere Ergebnisse über das Verhältnis des Verstehens eigner und fremder

Überzeugungen zu erhalten, empfiehlt es sich daher, die False-Belief-Frage, wie in

Studie 2 geschehen (RC-FB), auch bezüglich eines Objekts mit nicht erwartetem Inhalt

zu stellen. Somit kann, wie bei den Wunschaufgaben, anhand einer

Überzeugungsaufgabe sowohl das Verstehen eigener als auch das fremder mentaler

Zustände gemessen werden.

Durch die Reihenfolge der Testfragen und strukturellen Unterschiede der Aufgaben ist

wie bereits dargestellt bei der Interpretation der Daten eine gewisse Vorsicht geboten.

Dennoch handelt es sich bei den Ergebnissen zum Verstehen eigener und fremder

mentaler Zustände um sehr interessante Befunde. So zeigte sich ein Muster, das in dieser

Form von keinem theoretischen Ansatz angenommen wird. Es ist bemerkenswert, dass

es Kindern schwerer fällt, eigene vergangene, sich vom gegenwärtigen Wunsch

unterscheidende Wünsche zu benennen, als den unterschiedlichen Wunsch einer anderen

Person anzugeben, und dass sich die Aufgabenschwierigkeit bezüglich des mentalen

Zustandes Überzeugung umgekehrt darstellt.

Die vorliegende Arbeit liefert erstmals Hinweise darauf, dass sich das Verstehen eigener

und fremder mentaler Zustände bei Wünschen und Überzeugungen unterscheidet.

Besonders in Hinblick darauf, dass das Wunschverstehen bisher kaum untersucht wurde,

erscheint es viel versprechend, in zukünftigen Forschungsvorhaben anhand von

strukturell vergleichbaren Aufgaben mit variierter Testfragenreihenfo lge der hier

entwickelten Fragestellung grundlegend nachzugehen. Gesicherte Befunde zur Relation

des Verstehens von eigenen und fremden mentalen Zuständen und möglichen

Unterschieden zwischen Wunschverstehen und Überzeugungsverstehen könnten ganz

neue Aspekte der Theory of Mind-Entwicklung aufzeigen.

6.3 Die Beeinflussbarkeit der Theory of Mind-Entwicklung durch Lernerfahrungen

Um Aufschluss über die der Theory of Mind zugrunde liegenden

Entwicklungsmechanismen zu erhalten, ist es von Interesse, die Sens ibilität des

Entwicklungsverlaufes gegenüber Lernerfahrungen genauer zu betrachten. Als

Page 133: Dissertation

6. Diskussion 124

Modultheoretiker geht Fodor (1987) davon aus, dass die Fähigkeit zur Theory of Mind

angeboren ist und ihr somit kein Lernprozess zugrunde liegt. Harris (1992) beschreib t

Simulation als zentrale, der Theory of Mind zugrunde liegende Fähigkeit. Diese sei

seiner Meinung nach angeboren und entwickle sich durch Reifungsprozesse weiter

(Lillard, 1997). Vertreter der Theorie-Theorie nehmen an, dass es sich bei der Theory of

Mind um ein theorieartiges Wissenssystem handelt, welches durch Erfahrungen

ausgebaut und modifiziert wird. Somit geht die Theorie-Theorie explizit von der

Beeinflussbarkeit der Theory of Mind-Entwicklung durch Lernerfahrungen aus. Hierfür

spricht, dass in mehreren Studien gezeigt werden konnte, dass sich die Fähigkeit, Theory

of Mind-Aufgaben zu lösen, durch verschiedene Trainingsformen verbessern lässt

(Appleton & Reddy, 1996; Clements, Rustin & McCallum, 2000; Guajardo & Watson,

2002; Hale & Tager-Flusberg, 2003; Hülsken, 2001).

Die durch Trainingsstudien aufgezeigte Sensibilität der Theoy of Mind-Fähigkeit für

Lernerfahrungen, sowie die Annahme von Kuhn (1995), dass durch die mikrogenetische

Methode der untersuchte Entwicklungsverslauf beschleunigt wird, hätten erwarten

lassen, dass die in Studie 1 abgebildeten Entwicklungsverläufe durch das wiederholte

Darbieten vergleichbarer Aufgaben beschleunigt würde. Der Vergleich der

Untersuchungsgruppe mit der Kontrollgruppe zeigte zwar eine leichte Überlegenheit der

Untersuchungsgruppe gegen Ende des Untersuchungszeitraumes, dieser Unterschied

wurde aber nicht signifikant. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die

abgebildeten Entwicklungsverläufe durch die wiederholten Messungen dahingehend

beeinflusst wurden, dass sie sich deutlich von unbeobachteten Entwicklungsverläufen

unterscheiden. Auch die im Rahmen dieser Arbeit unberücksichtigt gebliebene Art der

Rückmeldung für die False-Belief-, Representational-Change- und Appearance-Reality-

Distinction-Aufgaben hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Entwicklungsverläufe.

Möglicherweise reichen allein das wiederholte Darbieten der Aufgaben und eine

einfache Rückmeldung nicht aus, um den Lernprozess bei den Kindern zu

beschleunigen. Hierfür sprechen auch die Ergebnisse der mikrogenetischen Studie zur

Theory of Mind-Entwickung von Amsterlaw und Wellman (submitted). Sie gaben einer

Gruppe von 12 Kindern in einem Zeitraum von drei bis vier Wochen zu sechs Terminen

Aufgaben vor. Bei der Hälfte der Aufgaben wurden die Kinder mit einer einfachen

Nachfrage aufgefordert, das Verhalten des Protagonisten zu erklären. Unter dieser

Page 134: Dissertation

6. Diskussion 125

Bedingung konnte keine Theory of Mind-Entwicklung im Untersuchungszeitraum

abgebildet werden. Erst bei einer zweiten Gruppe von 12 Kindern, die innerhalb von

sechs Wochen an 12 Erhebungsterminen teilnahmen und die durch mehrere Nachfragen

des Versuchsleiters zu differenzierteren Überlegungen bezüglich jeder vorgegebenen

Aufgabe angeregt wurden, zeigte sich eine signifikante Zunahme der Lösungshäufigkeit.

Aus dem nicht-signifikanten Unterschied zwischen der Untersuchungsgruppe und der

Kontrollgruppe zum Ende des Untersuchungszeitraumes könnte geschlussfolgert

werden, dass Theory of Mind-Entwicklung wenig sensibel für Lernerfahrungen ist.

Angesichts der Ergebnisse von Trainingsstudien und der mikrogenetischen Studie von

Amsterlaw und Wellman (submitted) scheint es aber viel eher plausibel, dass das

wiederholte Vorgeben von Aufgaben und eine einfache Rückmeldung den Kindern keine

für die Beeinflussung der Theory of Mind-Entwicklung ausreichende Lernerfahrung

bieten. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass das wiederholte Vorgeben

von Theory of Mind-Aufgaben die kindliche Theory of Mind-Entwicklung nicht

beeinflusst. Somit können die in Studie 1 gefundenen Entwicklungsverläufe als

Ausdruck der normalen, nicht beschleunigten Entwicklung des Wunsch- und

Überzeugungsverstehens interpretiert werden.

6.4 Individualität der Entwicklungsverläufe

Bei der Betrachtung der Entwicklungsverläufe jedes einzelnen Kindes fielen besonders

die starken interindividuellen Unterschiede und die intraindividuelle Variabilität auf.

Bemerkenswerterweise ließ sich trotz der starken Unterschiedlichkeit ein Muster

erkennen, nach dem fast alle Kinder mehr Wunschaufgaben als Überzeugungsaufgaben

lösten. Somit konnte die Entwicklung eines repräsentationalen Wunschverstehens vor

der Entwicklung eines Überzeugungsverstehens auch in Hinblick auf die einzelnen

Entwicklungsverläufe bestätigt werden.

Durch das Verwenden eines Längsschnittdesigns konnte in Studie 1 gezeigt werden,

dass sich der meist mittels Querschnittstudien gefundene Alterstrend der Theory of

Mind-Entwicklung aus hoch individuellen Entwicklungsverläufen zusammensetzt. Dies

stimmt mit neueren Ansätzen der Entwicklungspsychologie überein, die individuelle

Verläufe von Entwicklungen annehmen (Siegler, 2002).

Page 135: Dissertation

6. Diskussion 126

Es dürfte in der Entwicklungspsychologie eher die Regel als die

Ausnahme sein, dass sich Entwicklungsveränderungen bei

verschiedenen Individuen nicht nur im Zeitpunkt des Eintretens,

sondern auch in der Veränderungsrate, dem Niveau und der

Verlaufsform unterscheiden. Deshalb kann aus einer gemittelten

Gruppenkurve grundsätzlich nicht unmittelbar auf individuelle

Entwicklungsverläufe zurückgeschlossen werden. (Trautner, 2003)

Schwitzgebel (1999b) nimmt speziell für die Theory of Mind-Entwicklung eine starke

intraindividuelle Variabilität an: „...there will be a period, perhaps a rather protracted

one, during which we should expect inconsistency in the children’s response” (S. 285).

Jedes Kind befindet sich demnach eine Zeit lang in einer solchen Übergangsphase, in der

es noch nicht ganz versteht, dass Überzeugungen falsch sein können, aber schon etwas

Wissen über Missrepräsentationen hat. Schwitzgebel (1999b) geht davon aus, dass durch

eine solche Übergangsphase erklärt werden kann, weswegen sich in einigen Studien

schon eine frühere Theory of Mind-Kompetenz finden lassen konnte (Chandler, Fritz &

Hala, 1989; Sullivan & Winner, 1993), die sich in anderen Studien so nicht zeigte

(Moses & Flavell, 1990; Perner, Leekam & Wimmer, 1987). Auch Wellman et al.

(2001) weisen in ihrer Metaanalyse darauf hin, dass sich die Mittelwerte der

Querschnittsstudien vermutlich aus verschiedenen individuellen Entwicklungsverläufen

zusammensetzen, die nur durch Einzelfallbetrachtungen erkannt werden können.

Die Annahme einer graduellen Entwicklung der kindlichen Theory of Mind (Mitchell,

2003; Schwitzgebel, 1999a) findet Unterstützung durch die Ergebnisse von zwei

mikrogenetischen Stud ien, die beide Einzelfallbetrachtungen ermöglichen. Flynn,

O’Malley und Wood (2004) untersuchten in einer mikrogenetischen Studie den

Zusammenhang zwischen exekutiven Funktionen und False-Belief-Verstehen. Hierzu

legten sie 21 dreijährigen Kindern in einem Zeitrum von fünf Monaten an sechs

Terminen False-Belief- und Inhibitions-Aufgaben vor. Die Ergebnisse zeigten, dass die

meisten Kinder über gute exekutive Funktionen verfügten, bevor sie ein Verständnis für

False-Belief-Aufgaben entwickelten. Darüber hinaus zeigte sich, dass „understanding of

false belief progressed from consistent lack of understanding through a period of

unstable performance, during which some children failed tests that they had previously

passed” (Flynn et al., 2004, S. 103). Auch die Ergebnisse der mikrogenetischen Studie

Page 136: Dissertation

6. Diskussion 127

von Amsterlaw und Wellman (submitted) zeigten sowohl interindividuell verschiedene

Entwicklungsverläufe als auch intraindividuelle Schwankungen bezüglich der

Lösungshäufigkeit der Theory of Mind-Aufgaben von Termin zu Termin. So fanden sie,

dass sich einige Kinder schon zu Beginn des Untersuchungszeitraumes bezüglich ihrer

Theory of Mind-Fähigkeit verbesserten und dieses Niveau beibehalten konnten. Andere

Kinder hingegen erreichten erst gegen Ende des Untersuchungszeitraumes eine

Verbesserung und einige zeigten überhaupt keine Entwicklung bezüglich ihrer Theory of

Mind-Fähigkeit.

Die im Rahmen allgemeiner entwicklungspsychologischer Überlegungen zu erwartende

und in den beiden beschriebenen mikrogenetischen Studien gefundene Individualität der

Entwicklungsverläufe konnte auch anhand der Einzelfallbetrachtungen in Studie 1 belegt

werden. Es ist somit wahrscheinlich, dass sich auch die vielen in Querschnittstudien zur

kindlichen Theory of Mind abgebildeten Entwicklungsverläufe aus interindividuell

unterschiedlichen Datenmustern zusammensetzten.

6.5 Erhebung des Wunschverstehens

Ziel dieser Arbeit ist es, die Entwicklung des Wunsch- und Überzeugungsverstehens

abzubilden. Dies wurde durch den Einsatz mehrerer Aufgabentypen realisiert. Bezüglich

des Überzeugungsverstehens konnte mit der False-Belief- und der Representational-

Change-Aufgabe auf zwei Aufgabentypen zurückgegriffen werden, die in der Theory of

Mind-Forschung einen weit verbreiteten Einsatz finden. Da das Wunschverstehen bisher

kaum untersucht wurde, konnten zur Erhebung desselben nur Aufgaben eingesetzt

werden, die bisher nur in einzelnen Studien Verwendung fanden und für die vorliegende

Arbeit teilweise weiterentwickelt werden mussten.

Die in dieser Arbeit eingesetzte Conflicting-Desire-Aufgabe entspricht der von Moore et

al. (1995) entwickelten Aufgabe. Wie unter Abschnitt 6.1 bereits beschrieben, fällt ein

differenzierter Vergleich der eigenen Ergebnisse mit denen von Moore et al. (1995)

aufgrund unterschiedlicher Altersangaben schwer. Insgesamt scheint aber die

Lösungshäufigkeit der Conflicting-Desire-Aufgabe in der Studie von Moore et al. eher

geringer zu sein als in der hier vorgestellten Studie 1. Der Einsatz der Conflicting-

Desire-Aufgabe muss besonders im Rahmen der Studie 2 als kritisch bewertet werden.

Page 137: Dissertation

6. Diskussion 128

Die hohe Anzahl der „anderen Fehler“ spricht dafür, dass die Aufgabenstruktur für

Kinder im Alter von 36 Monaten zu schwer ist. Aus Studie 1 geht hervor, dass Kinder

im Alter von 42 Monaten nicht mehr von den strukturellen Schwierigkeiten des

Aufgabentyps überfordert sind. Dennoch muss angemerkt werden, dass im Rahmen der

Durchführung in einigen Fällen der Eindruck entstand, dass das Kind nicht in der Lage

war, der gesamten Aufgabenstruktur zu folgen. Der vor jedem interessierenden

Spieldurchlauf ausgeführte Probedurchlauf schien zum Verständnis der komplexen

Struktur des Spieles unerlässlich. Dies führte dazu, dass die Durchführung der

Conflicting-Desire-Aufgabe einen erheblich höheren Zeitaufwand erforderte als alle

anderen eingesetzten Aufgaben.

Als deutlich praktikabler erwies sich in beiden Studien der zweite Aufgabentyp zur

Erfassung des Wunschverstehens. Die hier als Neugier-Aufgaben bezeichnete Aufgabe

geht auf eine Arbeit von Gopnik und Slaughter (1991) zurück, die die Kinder nur nach

ihrem eigenen vergangenen Wunsch fragten. In der vorliegenden Arbeit wurde die

Aufgabe weiterentwickelt, so dass auch der Wunsch einer anderen Person (Handpuppe)

erhoben werden konnte. Die von Gopnik und Slaughter (1991) berichteten Ergebnisse

passen gut zu den in Studie 1 gefundenen Lösungshäufigkeiten der Neugier-eigen-

Aufgabe. Von den 12 von Gopnik und Slaughter (1991) untersuchten dreijährigen

Kindern lösten sechs (50%) die Aufgabe richtig, von den 12 vierjährigen Kindern gelang

dies schon 10 (83,3%). In Studie 1 wurde die Neugier-eigen-Aufgabe zu Beginn von den

etwa 42 Monate alten Kindern zu 55 Prozent gelöst und beim neunten Erhebungstermin

von den etwa 47 Monate alten Kindern zu 83 Prozent richtig gemacht. In den beiden hier

vorgestellten Studien erwies sich die Neugier-Aufgabe als rasch durchführbar und auch

schon für Kinder im Alter von 36 Monaten gut verständlich. Somit bietet sie aufgrund

ihrer einfacheren Struktur deutliche Vorteile gegenüber der Conflicting-Desire-Aufgabe.

Die Vernachlässigung der Untersuchung des Wunschverstehens in der Theory of Mind-

Forschung hängt möglicherweise mit dem Mangel an guten Wunschaufgaben

zusammen. Somit ist es besonders für weitere Forschung von Interesse, dass es gelungen

ist, im Rahmen dieser Arbeit durch die Weiterentwicklung der Neugier-Aufgabe eine gut

durchführbare Erhebungsmethode zu schaffen. Ein besonderer Vorteil der Neugier-

Aufgabe liegt in ihrer schnellen und für Kinder ansprechenden Durchführbarkeit. So ist

sie, wie in Studie 2 gezeigt werden konnte, problemlos auch schon von Kindern im Alter

Page 138: Dissertation

6. Diskussion 129

von 36 Monaten zu bearbeiten. Bei der Conflicting-Desire-Aufgabe hingegen zeigten

sich gerade bei den jüngeren Kindern Schwierigkeiten aufgrund ihrer hohen

strukturellen Anforderung. Somit scheint insbesondere bei Kindern unter 42 Monten der

Einsatz der Conflicting-Desire-Aufgaben nicht empfehlenswert.

6.6 Betrachtung der Stichproben

Bezüglich beider Studien muss beachtet werden, dass es sich fast durchweg um

Entwicklungsverläufe von Kindern handelt, deren Eltern über ein eher hohes

Bildungsniveau verfügen. Unter Abschnitt 1.4.1 wurden Befunde bezüglich des

Einflusses des elterlichen Bildungsniveaus auf die Entwicklung der kindlichen Theory of

Mind vorgestellt. Forschungsergebnisse (Pears & Moses, 2003) sprechen am ehesten für

einen positiven Einfluss, so dass davon ausgegangen werden kann, dass Kinder von

Eltern mit einem hohen Bildungsniveau etwas früher zu einem Theory of Mind-

Verständnis kommen als Kinder von Eltern mit einem niedrigen Bildungsniveau.

Möglicherweise sind also die gefundenen Lösungshäufigkeiten in diesen Stichproben

etwas höher als bei einer bezüglich des Bildungsniveaus der Eltern repräsentativeren

Stichprobe. Dies sollte beim Vergleich der Daten mit Studien, die Kinder von Eltern mit

niedrigerem Bildungsniveau untersuchen, berücksichtigt werden. Bezüglich der

Fragestellungen dieser Arbeit spielt das hohe Bildungsniveau der Eltern keine Rolle, da

nur Unterschiede innerhalb der Stichproben betrachtet wurden. Auch wenn die Kinder

durch das hohe Bildungsniveau der Eltern möglicherweise einen Entwicklungsvorteil

haben, ist nicht davon auszugehen, dass sich dieser auf Entwicklungsverläufe des

Wunsch- und Überzeugungsverstehens oder des Verstehens eigener und fremder

mentaler Zustände unterschiedlich auswirkt. Vielmehr ist anzunehmen, dass die

Relationen zwischen den verschiedenen Verständnisbereichen unabhängig vom

Bildungsniveau der Eltern sind.

6.7 Fazit und Ausblick

Die vorliegende Arbeit untersuchte die Entwicklung der kindlichen Theory of Mind in

einem breiteren Zusammenhang. So wurde erstmals in einer Längsschnittstudie die

Entwicklung des Überzeugungsverstehens und die Entwicklung des Wunschverstehens

Page 139: Dissertation

6. Diskussion 130

abgebildet. Dies gelang durch die Weiterentwicklung und den Einsatz bisher wenig

verbreiteter Wunschaufgaben, von denen sich besonders die Neugier-Aufgabe als

praktikabel erwiesen hat. Durch den Vergleich der Entwicklungsverläufe von Wunsch-

und Überzeugungsverstehen ist es gelungen, Rückschlüsse auf einzelne theoretische

Erklärungsansätze der kindlichen Theory of Mind-Entwicklung zu ziehen, wobei die

Daten eher für den repräsentationalen Ansatz und weniger für den Ansatz der exekutiven

Funktionen sprechen. Darüber hinaus ließen sich anhand der Ergebnisse aus beiden

Studien Hinweise auf eine dreistufige Entwicklungsabfolge finden, die am ehesten durch

den Ansatz der Theorie-Theorie zu erklären ist.

Die in Studie 1 gefundene Unterschiedlichkeit hinsichtlich des Verstehens eigener und

fremder Wünsche und Überzeugungen stellt auch bei vorsichtiger Interpretation ein

interessantes Ergebnis dar, welches bei Bestätigung durch weitere Forschung viel

versprechende Impulse für die Theory of Mind-Forschung liefern könnte.

Durch die in Anlehnung an ein mikrogenetisches Forschungsdesign erreichte

Längsschnittlichkeit der ersten Studie konnten die Entwicklungsverläufe der einzelnen

Kinder betrachtet werden. Hierbei zeigte sich, wie auch bei den gemittelten Daten, dass

Wunschverstehen deutlich leichter fällt als Überzeugungsverstehen. Besonders

bemerkenswert ist die starke intra- und interindividuelle Variation der einzelnen

Entwicklungsverläufe. Hieraus lässt sich die Überlegung ableiten, dass alle Kinder zwar

am Ende der Theory of Mind-Entwicklung über vergleichbare Fähigkeiten verfügen,

diese aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise erwerben. Möglicherweise greifen

somit alle Erklärungsansätze, die von einer klar beschriebenen Entwicklungsursache

ausgehen, zu kurz und es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass Kinder durch

unterschiedliche, individuelle Strategien zu einem umfassenden Theory of Mind-

Verständnis gelangen.

Um den Ursachen der kindlichen Theory of Mind-Entwicklung ein Stück näher zu

kommen, scheint eine Erweiterung des Forschungsfeldes in zweierlei Hinsicht sinnvoll.

Zum einen könnten durch das Aufheben der Fokussierung auf das

Überzeugungsverstehen und durch Erweiterung des Forschungsinteresses bezüglich der

Entwicklung des Verstehens anderer mentaler Zustände wichtige Hinweise auf die

Entwicklung einer umfassenden Theory of Mind gewonnen werden. Zum anderen

Page 140: Dissertation

6. Diskussion 131

könnten wie bereits erwähnt neue Impulse aus der Untersuchung des Verstehens eigener

und fremder mentaler Zustände gewonnen werden.

Page 141: Dissertation

Literaturverzeichnis 132

Literaturverzeichnis

Amsterlaw, J., & Wellman, H. (submitted). Theories of Mind in Transition: A Microgenetic Study of the Development of False Belief Understanding.

Appleton, M., & Reddy, V. (1996). Teaching three year-olds to pass false belief tests: A conversational approach. Social Development, 5(3), 275-291.

Astington, J. W. (1998). Theory of mind, Humpty Dumpty, and the icebox. Human Development, 41(1), 30-39.

Astington, J. W. (2000). Wie Kinder das Denken entdecken. München: Ernst Reinhardt Verlag.

Astington, J. W. (2001). The future of theory-of-mind research: Understanding motivational states, the role of language, and real-world consequences. Commentary on "Meta-analysis of theory-of-mind development: The truth about false belief." Child Development, 72(3), 685-687.

Astington, J. W., & Gopnik, A. (1991). Developing understanding of desire and intention. In A. Whiten (Ed.), Natural theories of mind: Evolution, development and simulation of everyday mindreading. (pp. 39-50). Cambridge, MA, US: Basil Blackwell, Inc.

Astington, J. W., & Jenkins, J. M. (1999). A longitudinal study of the relation between language and theory-of-mind development. Developmental Psychology, 35(5), 1311-1320.

Baron-Cohen, S. (1991a). Precursors to a theory of mind: Understanding attention in others. In A. Whiten (Ed.), Natural theories of mind: Evolution, development and simulation of everyday mindreading. (pp. 233-251): Basil Blackwell, Inc.

Baron-Cohen, S. (1991b). Do people with autism understand what causes emotion? Child Development, 62(2), 385-395.

Baron-Cohen, S., Leslie, A. M., & Frith, U. (1985). Does the autistic child have a "theory of mind"? Cognition, 21(1), 37-46.

Bartsch, K. (1996). Between desire and beliefs: Young children's action predictions. Child Development, 67(4), 1671-1685.

Bartsch, K., & Wellman, H. (1989). Young children's attribution of action to beliefs and desires. Child Development, 60(4), 946-964.

Bartsch, K., & Wellman, H. M. (1995). Children talk about the mind. London: Oxford University Press.

Page 142: Dissertation

Literaturverzeichnis 133

Bennett, J. (1978). Some remarks about concepts. Behavioral & Brain Sciences, 4, 557-560.

Bennett, J. (1991). How to read minds in behaviour: A suggestion from a philosopher. In A. Whiten (Ed.), Natural theories of mind: Evolution, development and simulation of everyday mindreading. (pp. 97-108): Basil Blackwell, Inc.

Bennett, M., & Galpert, L. (1993). Children's understanding of multiple desires. International Journal of Behavioral Development, 16(1), 15-33.

Bischof-Köhler, D. (1994). Selbstobjektivierung und fremdbezogene Emotionen Identifikation des eigenen Spiegelbildes, Empathie und prosoziales Verhalten im 2. Lebensjahr. Zeitschrift für Psychologie, 202(4), 349-377.

Bischof-Köhler, D. (2000). Kinder auf Zeitreise Theory of Mind, Zeitverständnis und Handlungsorganisation. Bern: Huber.

Butterworth, G., & Jarrett, N. (1991). What minds have in common is space: Spatial mechanisms serving joint visual attention in infancy. British Journal of Developmental Psychology, 9(1), 55-72.

Capage, L., & Watson, A. C. (2001). Individual differences in theory of mind, aggressive behavior, and social skills in young children. Early Education & Development, 12(4), 613-628.

Carruthers, P., & Smith, P. K. (1996). Introduction. In P. Carruthers & P. K. Smith (Eds.), Theories of theories of mind (pp. 1-8). New York: Cambridge University Press.

Chandler, M., Fritz, A. S., & Hala, S. (1989). Small-scale deceit: Deception as a marker of two-, three-, and four-year-olds' early theories of mind. Child Development, 60(6), 1263-1277.

Clements, W. A., Rustin, C. L., & McCallum, S. (2000). Promoting the transition from implicit to explicit understanding: A training study of false belief. Developmental Science, 3(1), 81-92.

Cooper, R. P., & Aslin, R. N. (1989). The language environment of the young infant: Implications for early perceptual development. Canadian Journal of Psychology, 43(2), 247-265.

Cutting, A. L., & Dunn, J. (2002). The cost of understanding other people: Social cognition predicts young children's sensitivity to criticism. Journal of Child Psychology & Psychiatry & Allied Disciplines, 43(7), 849-860.

Cutting, A. L. & Dunn, J. (1999). Theory of mind, emotion understanding, language, and family background: Individual differences and interrelations. Child Development, 70(4), 853-865.

Dennett, D. C. (1978). Beliefs about beliefs. Behavioral & Brain Sciences, 4, 568-570.

Page 143: Dissertation

Literaturverzeichnis 134

Dierstein, J. (1997). Mentale Repräsentation aus intentionalistischer Sicht. Sprache & Kognition, 16(2), 78-93.

Dunn, J. (2000). Mind-reading, emotion understanding, and relationships. International Journal of Behavioral Development, 24(2), 142-144.

Dunn, J., Brown, J., Slomkowski, C., & Tesla, C. (1991). Young children's understanding of other people's feelings and beliefs: Individual differences and their antecedents. Child Development, 62(6), 1352-1366.

Ferres, L. A. (2003). Children’s early theory of mind: exploring the development of the concept of desire in monolingual Spanish children., Developmental Science (Vol. 6, pp. 159-165): Blackwell Publishing Limited.

Flavell, J. H. (1999). Cognitive development: Children's knowledge about the mind. Annual Review of Psychology, 50, 21-45.

Flavell, J. H. (2000). Development of children's knowledge about the mental world. International Journal of Behavioral Development, 24(1), 15-23.

Flavell, J. H., Everett, B. A., Croft, K., & Flavell, E. R. (1981). Young children's knowledge about visual perception: Further evidence for the Level 1-Level 2 distinction. Developmental Psychology, 17(1), 99-103.

Flavell, J. H., Flavell, E. R., & Green, F. L. (1983). Development of the appearance-reality distinction. Cognitive Psychology, 15(1), 95-120.

Flavell, J. H., Flavell, E. R., Green, F. L., & Moses, L. J. (1990). Young children's understanding of fact beliefs versus value beliefs. Child Development, 61(4), 915-928.

Flynn, E., O'Malley, C., & Wood, D. (2004). A longitudinal, microgenetic study of the emergence of false belief understanding and inhibition skills. Developmental Science, 7(1), 103-115.

Fodor, J. A. (1987). Psychosemantics: The problem of meaning in the philosophy of mind.: British Psychological Society The MIT Press.

Fodor, J. A. (1992). A theory of the child's theory of mind. Cognition, 44(3), 283-296.

Foote, R. C., & Holmes-Lonergan, H. A. (2003). Sibling conflict and theory of mind. British Journal of Developmental Psychology, 21(1), 45-58.

Garfield, J. L., Peterson, C. C., & Perry, T. (2001). Social cognition, language acquisition and the development of the theory of mind. Mind & Language, 16(5), 494-541.

Goldman, A. I. (1993). The psychology of folk psychology. Behavioral & Brain Sciences, 16(1), 15-29-113.

Page 144: Dissertation

Literaturverzeichnis 135

Gopnik, A., & Astington, J. W. (1988). Children's understanding of representational change and its relation to the understanding of false belief and the appearanceeality distinction. Child Development, 59(1), 26-37.

Gopnik, A., & Meltzoff, A. N. (1997). Words, thoughts, and theories. Cambridge, MA, US: The MIT Press.

Gopnik, A., & Slaughter, V. (1991). Young children's understanding of changes in their mental states. Child Development, 62(1), 98-110.

Gopnik, A., & Wellman, H. M. (1994). The theory theory. In L. A. Hirschfeld & S. A. Gelman (Eds.), Mapping the mind: Domain specificity in cognition and culture. (pp. 257-293). New York, NY, US: Cambridge University Press.

Gordon, R. M. (1996). 'Radical' simulationism. In P. Carruthers & P. K. Smith (Eds.), Theories of theories of mind (pp. 11-21). New York: Cambridge Universtity Press.

Guajardo, N. R., & Watson, A. C. (2002). Narrative discourse and theory of mind development. Journal of Genetic Psychology, 163(3), 305-325.

Hale, C. M., & Tager-Flusberg, H. (2003). The influence of language on theory of mind: A training study. Developmental Science, 6(3), 346-359.

Happe, F. G. E. (1995). The role of age and verbal ability in the theory of mind task performance of subjects with autism. Child Development, 66(3), 843-855.

Harman, G. (1978). Studying the chimpanzee's theory of mind. Behavioral & Brain Sciences, 4, 576-577.

Harris, P. L. (1992). From simulation to folk psychology: The case for development. Mind & Language, 7(1), 120-144.

Herrmann, T. (1988). Mentale Repräsentation - ein erläuterungsbedürftiger Begriff. Sprache & Kognition, 7(3), 162-175.

Hogrefe, G.-J., Wimmer, H., & Perner, J. (1986). Ignorance versus false belief: A developmental lag in attribution of epistemic states. Child Development, 57(3), 567-582.

Hughes, C., Adlam, A., Happe, F., Jackson, J., Taylor, A., & Caspi, A. (2000). Good test-retest reliability for standard and advanced false-belief tasks across a wide range of abilities. Journal of Child Psychology & Psychiatry & Allied Disciplines, 41(4), 483-490.

Hughes, C., Deater-Deckard, K., & Cutting, A. L. (1999). "Speak roughly to your little boy?" Sex differences in the relations between parenting and preschoolers' understanding of mind. Social Development, 8(2), 143-160.

Page 145: Dissertation

Literaturverzeichnis 136

Hülsken, C. (2001). Training in der Theory-of-mind-Forschung: Die Rolle von Kohaerenz und Feedback in der Entwicklung einer naiven Alltagspsychologie. Aachen: Shaker Verlag.

Jenkins, J. M., & Astington, J. W. (2000). Theory of mind and social behavior: Causal models tested in a longitudinal study. Merrill-Palmer Quarterly, 46(2), 203-220.

Jenkins, J. M. & Astington, J. W. (1996). Cognitive factors and family structure associated with theory of mind development in young children. Developmental Psychology, 32(1), 70-78.

Keenan, T. (2003). Individual differences in theory of mind: The preschool years and beyond. In B. Repacholi & V. Slaughter (Eds.), Individual differences in theory of mind: Implications for typical and atypical development. (pp. 121-142). New York, NY, US: Psychology Press.

Kuhn, D. (1995). Microgenetic study of change: What has it told us? Psychological Science, 6(3), 133-139.

Leekam, S. R., & Perner, J. (1991). Does the autistic child have a metarepresentational deficit? Cognition, 40(3), 203-218.

Leslie, A. M. (1987). Pretense and representation: The origins of "theory of mind." Psychological Review, 94(4), 412-426.

Leslie, A. M. (1994). Pretending and believing: Issues in the theory of ToMM. Cognition, 50(1), 211-238.

Lillard, A. S. (1997). Other folks' theories of mind and behavior. Psychological Science, 8(4), 268-274.

Lockl, K., Schwarz, S., & Schneider, W. (2004). Sprache und Theory of Mind: Eine Längsschnittstudie bei Drei- bis Vierjährigen. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 36(4), 207-220.

Mayes, L. C., Klin, A., Tercyak, K. P. J., Cicchetti, D. V., & Cohen, D. J. (1996). Test-retest reliability for false-belief tasks. Journal of Child Psychology & Psychiatry & Allied Disciplines, 37(3), 313-319.

Meins, E., Fernyhough, C., Wainwright, R., Gupta, M. D., Fradley, E., & Tuckey, M. (2002). Maternal mind-mindedness and attachment security as predictors of theory of mind understanding. Child Development, 73(6), 1715-1726.

Melot, A., & Angeard, N. (2003). Theory of mind: is training contagious?, Developmental Science (Vol. 6, pp. 178-184): Blackwell Publishing Limited.

Meltzoff, A. N. (1995). Understanding the intentions of others: Re-enactment of intended acts by 18-month-old children. Developmental Psychology, 31(5), 838-850.

Page 146: Dissertation

Literaturverzeichnis 137

Meltzoff, A. N., Gopnik, A., & Repacholi, B. M. (1999). Toddlers' understanding of intentions, desires and emotions: Explorations of the dark ages. In P. D. Zelazo & J. W. Astington (Eds.), Developing theories of intention: Social understanding and self-control. (pp. 17-41). Mahwah, NJ, US: Lawrence Erlbaum Associates, Publishers.

Miller, P. H., & Coyle, T. R. (1999). Developmental change: Lessons from microgenesis. In E. K. Scholnick & K. Nelson (Eds.), Conceptual development: Piaget's legacy. (pp. 209-239): Lawrence Erlbaum Associates, Publishers.

Mitchell, P. (2003). Acquiring a theory of mind. In A. Slater & G. Bremner (Eds.), An introduction to developmental psychology. (pp. 237-257). Malden, MA, US: Blackwell Publishers.

Moore, C., Jarrold, C., Russell, J., Lumb, A., Sapp, F., & MacCallum, F. (1995). Conflicting desire and the child's theory of mind. Cognitive Development, 10(4), 467-482.

Moses, L. J., & Flavell, J. H. (1990). Inferring false beliefs from actions and reactions. Child Development, 61(4), 929-945.

Nelson, C. A. (1987). The recognition of facial expressions in the first two years of life: Mechanisms of development. Child Development, 58(4), 889-909.

Nguyen, L., & Frye, D. (1999). Children's theory of mind: Understanding of desire, belief and emotion with social referents. Social Development, 8(1), 70-92.

Pears, K. C., & Moses, L. J. (2003). Demographics, parenting, and theory of mind in preschool children. Social Development, 12(1), 1-19.

Perner, J. (1991a). Understanding the representational mind. Cambridge, MA, US: The MIT Press.

Perner, J. (1991b). On representing that: The asymmetry between belief and desire in children's theory of mind. In D. Frye & C. Moore (Eds.), Children's theories of mind: Mental states and social understanding. (pp. 139-155). Hillsdale, NJ, England: Lawrence Erlbaum Associates, Inc.

Perner, J. (1999). Metakognition und Introspektion in entwicklungspsychologischer Sicht: Studien zur "Theory of mind" und "Simulation". In W. Janke & W. Schneider (Eds.), Hundert Jahre Institut fuer Psychologie und Wuerzburger Schule der Denkpsychologie (pp. 411-431). Göttingen: Hogrefe.

Perner, J. (2004). Wann verstehen Kinder Handlungen als rational? In H. Schmidinger & C. Sedmak (Eds.), Der Mensch ein "animal rationale"? Vernunft Kognition Intelligenz (pp. 198-215). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Perner, J., Leekam, S. R., & Wimmer, H. (1987). Three-year-olds' difficulty with false belief: The case for a conceptual deficit. British Journal of Developmental Psychology, 5(2), 125-137.

Page 147: Dissertation

Literaturverzeichnis 138

Perner, J., Ruffman, T., & Leekam, S. R. (1994). Theory of mind is contagious: You catch it from your sibs. Child Development, 65(4), 1228-1238.

Perner, J., Stummer, S., & Lang, B. (1999). Executive functions and theory of mind: Cognitive complexity or functional dependence? In P. D. Zelazo & J. W. Astington (Eds.), Developing theories of intention: Social understanding and self-control. (pp. 133-152). Mahwah, NJ, US: Lawrence Erlbaum Associates, Publishers.

Peterson, C. b., & Slaughter, V. (2003). Opening windows into the mind: Mothers' preferences for mental state explanations and children's theory of mind. Cognitive Development, 18(3), 399-429.

Peterson, C. C., & Siegal, M. (1999). Representing inner worlds: Theory of mind in autistic, deaf, and normal hearing children. Psychological Science, 10(2), 126-129.

Peterson, C. C., & Siegal, M. (2002). Mindreading and moral awareness in popular and rejected preschoolers. British Journal of Developmental Psychology, 20(2), 205-224.

Premack, D., & Woodruff, G. (1978). Does the chimpanzee have a theory of mind? Behavioral & Brain Sciences, 1(4), 515-526.

Pylyshyn, Z. W. (1978). When is attribution of beliefs justified? Behavioral & Brain Sciences, 4, 592-593.

Repacholi, B. M., & Gopnik, A. (1997). Early reasoning about desires: Evidence from 14- and 18-month-olds. Developmental Psychology, 33(1), 12-21.

Rice, C., Koinis, D., Sullivan, K., Tager-Flusberg, H., & Winner, E. (1997). When 3-year-olds pass the appearance-reality test. Developmental Psychology, 33(1), 54-61.

Rieffe, C., Terwogt, M. M., Koops, W., Stegge, H., & Oomen, A. (2001). Preschoolers' appreciation of uncommon desires and subsequent emotions. British Journal of Developmental Psychology, 19(2), 259-274.

Ruffman, T., Perner, J., Naito, M., Parkin, L., & Clements, W. A. (1998). Older (but not younger) siblings facilitate false belief understanding. Developmental Psychology, 34(1), 161-174.

Ruffman, T., Perner, J., & Parkin, L. (1999). How parenting style affects false belief understanding. Social Development, 8(3), 395-411.

Ruffman, T., Slade, L., & Crowe, E. (2002). The relation between children's and mothers' mental state language and theory-of-mind understanding. Child Development, 73(3), 734-751.

Page 148: Dissertation

Literaturverzeichnis 139

Ruffman, T., Slade, L., Rowlandson, K., Rumsey, C., & Garnham, A. (2003). How language relates to belief, desire, and emotion understanding. Cognitive Development, 18(2), 139-158.

Russell, J. (1996). Agency: Its role in mental development.: Erlbaum (Uk) Taylor & Francis, Publ.

Russell, J., Mauthner, N., Sharpe, S., & Tidswell, T. (1991). The "windows task" as a measure of strategic deception in preschoolers and autistic subjects. British Journal of Developmental Psychology, 9(2), 331-349.

Russell, J., Saltmarsh, R., & Hill, E. (1999). What do executive factors contribute to the failure on false belief tasks by children with autism? Journal of Child Psychology & Psychiatry & Allied Disciplines, 40(6), 859-868.

Sachs-Hombach, K. (1993). Mentale Simulation - Eine neue Gestalt der Hermeneutik? In A. G. f. P. i. D. e.V. (Ed.), Neue Realitäten: Herausforderung der Philosophie; Sektionsbeiträge (16. Deutscher Kongreß für Philosophie, 20.-24. September 1993, TU Berlin) (pp. 168-175). Berlin.

Sachs-Hombach, K. (1997). Philosophy of Mind: Sie Simulationstheorie. Protosoziologie, 10, 229-233.

Schneider, W., Perner, J., Bullock, M., Stefanek, J., & Ziegler, A. (1999). Development of intelligence and thinking. In E. Weinert & W. Schneider (Eds.), Individual Development from 3 to 12. Findings from the Munich Longitudinal Study (pp. 9-28). Cambridge: Cambridge University Press.

Schwitzgebel, E. (1999a). Gradual belief change in children. Human Development, 42(6), 283-296.

Schwitzgebel, E. (1999b). Representation and desire: A philosophical error with consequences for theory-of-mind research. Philosophical Psychology, 12(2), 157-180.

Searle, J. R. (1987). Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistest. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Siegler, R. S., & Crowley, K. (1991). The microgenetic method: A direct means for studying cognitive development. American Psychologist, 46(6), 606-620.

Siegler, R. S. (2002). Variability and infant development. Infant Behavior & Development, 25(4), 550-557.

Slaughter, V., Dennis, M. J., & Pritchard, M. (2002). Theory of mind and peer acceptance in preschool children. British Journal of Developmental Psychology, 20(4), 545-564.

Slaughter, V., & Gopnik, A. (1996). Conceptual coherence in the child's theory of mind: Training children to understand belief. Child Development, 67(6), 2967-2988.

Page 149: Dissertation

Literaturverzeichnis 140

Slaughter, V., & Repacholi, B. (2003). Introduction: Individual Differences in Theory of Mind. In B. Repacholi & V. Slaughter (Eds.), Individual Differences in Theory of Mind (pp. 1-12). New York: Psychology Press.

Slomkowski, C., & Dunn, J. (1996). Young children's understanding of other people's beliefs and feelings and their connected communication with friends. Developmental Psychology, 32(3), 442-447.

Sodian, B. (1998). Theorien der kognitiven Entwicklung. In H. Keller (Ed.), Lehrbuch Entwicklungspsychologie (pp. 147-169). Bern: Huber.

Sodian, B. (2003). Die Entwicklungspsychologie des Denkens - das Beispiel der Theory of Mind. In B. Herpertz-Dahlmann, F. Resch, M. Schulte-Markwort & -. A. Warnke (Eds.), Entwicklungspsychiatrie:Biopsychologische Grundlagen und die Entwicklung psychischer Stoerungen (pp. 85-97). Stuttgart: Schattauer.

Suddendorf, T. (1999). The rise of the metamind. In M. C. Corballis & S. E. G. Lea (Eds.), The descent of mind: Psychological perspectives on hominid evolution. (pp. 218-260). London: Oxford University Press.

Suddendorf, T., & Fletcher-Flinn, C. M. (1999). Children's divergent thinking improves when they understand false beliefs. Creativity Research Journal, 12(2), 115-128.

Sullivan, K., & Winner, E. (1993). Three-year-olds' understanding of mental states: The influence of trickery. Journal of Experimental Child Psychology, 56(2), 135-148.

Sutton, J., Smith, P. K., & Swettenham, J. (1999). Social cognition and bullying: Social inadequacy or skilled manipulation? British Journal of Developmental Psychology, 17(3), 435-450.

Taylor, M., & Carlson, S. M. (1997). The relation between individual differences in fantasy and theory of mind. Child Development, 68(3), 436-455.

Trautner, H. M. (2003). Allgemeine Entwicklungspsychologie. Stuttgart: Kohlhammer.

Wahl, S. (2002). Die Entwicklung der naiven Psychologie von Kleinkindern: Mikrogenetische Studie und Computermodellierung. Antrag auf Gewährung einer Sachbeihilfe im Normalverfahren. 1-36.

Wahl, S., & Raschke, A. (unveröffentlichtes Manuskript). A microgenetic approache to the variability of development of three-year-olds' theory of mind. Institute of Psychology, University of Freiburg, 1-30.

Wahl, S. & Spada, H. (2000). Children's reasoning about intentions, beliefs and behaviour. Cognitive Science Quarterly, 1, 5-34.

Watson, A. C., Nixon, C. L., Wilson, A., & Capage, L. (1999). Social interaction skills and theory of mind in young children. Developmental Psychology, 35(2), 386-391.

Page 150: Dissertation

Literaturverzeichnis 141

Wellman, H. M. (1991). From desires to beliefs: Acquisition of a theory of mind. In A. Whiten (Ed.), Natural theories of mind: Evolution, development and simulation of everyday mindreading. (pp. 19-38). Cambridge, MA, US: Basil Blackwell, Inc.

Wellman, H. M., Cross, D., & Watson, J. (2001). Meta-analysis of theory-of-mind development: The truth about false belief. Child Development, 72(3), 655-684.

Wellman, H. M., & Liu, D. (2004). Scaling of Theory-of-Mind Tasks., Child Development (Vol. 75, pp. 523-541): Blackwell Publishing Limited.

Wellman, H. M., & Woolley, J. D. (1990). From simple desires to ordinary beliefs: The early development of everyday psychology. Cognition, 35(3), 245-275.

Wichmann, S. (1995). Wie Kinder über das Denken denken. Frankfurt am Main: Peter Lang.

Wichmann, S., Opwis, K. & Spada, H. (1996) Wie Kinder Handlungen vorhersagen und erklären: Kognitive Anforderungen praktischer Schlüsse. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische-Psychologie, 28(2), 91-107.

Wimmer, H., & Hartl, M. (1991). Against the Cartesian view on mind: Young children's difficulty with own false beliefs. British Journal of Developmental Psychology, 9(1), 125-138.

Wimmer, H., & Perner, J. (1983). Beliefs about beliefs: Representation and constraining function of wrong beliefs in young children's understanding of deception. Cognition, 13(1), 103-128.

Wimmer, H., & Weichbold, V. (1994). Children's theory of mind: Fodor's heuristics examined. Cognition, 53(1), 45-57

Woolfe, T., Want, S. C., & Siegal, M. (2002). Signposts to development: Theory of mind in deaf children. Child Development, 73(3), 768-778.

Yuill, N. (1984). Young children's coordination of motive and outcome in judgements of satisfaction and morality. British Journal of Developmental Psychology, 2(1), 73-81.

Yuill, N., & Pearson, A. (1998). The development of bases for trait attribution: Children's understanding of traits as causal mechanisms based on desire. Developmental Psychology, 34(3), 574-586.

Yuill, N., Perner, J., Pearson, A., Peerbhoy, D., & Joanne, v. d. E. (1996). Children's changing understanding of wicked desires: From objective to subjective and moral. British Journal of Developmental Psychology, 14(4), 457-475.

Ziv, M. (1999). The role of desire in children's theory of mind. Pennsylvania: UMI.

Page 151: Dissertation

Anhang 142

Anhang

False-Belief-Aufgaben

Die Aufgaben wurden in Form von Bildergeschichten oder mit Püppchen gespielten

Szenen vorgegeben. Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem

Protokollbogen der False-Belief-Aufgabe „Annas Puppe“ (siehe Abbildung 5).

Inkonsistente Aufgaben:

1. Elster und Brille

Herr Schmidt legt seine Brille und die Zeitung auf seinen Gartentisch und geht

ins Haus, um zu telefonieren. Derweil nimmt eine Elster seine Brille unter der

Zeitung hervor und legt sie in ihr Nest. Herr Schmidt kommt wieder in den

Garten und will weiterlesen. Wo wird er seine Brille suchen?

2. Im Zoo

Im Zoo sieht Paule die Elefanten in ihrem Gehege. Dann geht sie zu den

Seehunden. Derweil werden die Elefanten in ihr Ele fantenhaus gebracht. Paula

möchte nun noch mal die Elefanten sehen. Wo wird sie hingehen?

3. Juliane im Schuhgeschäft

Julianes Mutter probiert Schuhe an. Juliane spielt im Spielzimmer des

Schuhgeschäftes. Dann geht sie auf die Toilette. Die Mutter hat die Schuhe

bezahlt. Wo wird sie Juliane suchen?

4. Annas Puppe

Anna legt ihre Puppen in ihr Bett und geht in den Garten. Ihr Bruder kommt ins

Zimmer, spielt mit der Puppe und legt sie in den Schrank. Anna will nun wieder

mit der Puppe spielen. Wo wird sie die Puppe suchen?

5. Das Meerschwein

Jakob sieht das Meerschwein in sein Häuschen gehen. Er geht ins Haus und holt

Page 152: Dissertation

Anhang 143

Salat für das Meerschwein. Derweil kommt Monika und nimmt das Meerschwein

mit ins Auto. Jakob kommt mit dem Salat. Wo wird er das Meerschwein suchen?

6. Heike bastelt eine Angel

Heike findet eine Schnur und möchte daraus eine Angel basteln. Sie lässt die

Schnur hinter einem Busch liegen und sucht einen Stock. Derweil kommt eine

Katze und nimmt die Schnur mit in ihr Körbchen. Heike hat einen Stock

befunden. Wo wird sie die Schnur suchen?

7. Max und die Schokolade

Max legt die Schokolade in den blauen Schrank, dann geht er hinaus. Die Mutter

nimmt die Schokolade und legt sie in den roten Schrank. Nun kommt Max

wieder. Wo wird er die Schokolade suchen?

8. Wo sind die nassen Schuhe?

Kathrin stellt ihre nassen Schuhe ins Regal und geht duschen. Derweil nimmt ihr

Hund die Schuhe und legt sie unter den Sessel. Kathrin will die Schuhe nun

trocknen. Wo wird sie die Schuhe suchen?

9. Das blaue Haus

Michael will seine Oma besuchen, die im blauen Haus wohnt. Auf dem Weg

spielt er mit einer Katze. Derweil geht die Oma in das braue Haus. Wo wird

Michael seine Oma suchen?

10. Die Erzieherin hat Schnupfen

Die Erzieherin sagt zu Jannis, dass sie am nächsten Tag ins Schwimmbad gehen

werden. Am nächsten Tag hat die Erzieherin Schnupfen und möchte mit den

Kindern lieber turnen. Was wird Jannis einpacken, sein Schwimmzeug oder sein

Turnzeug?

Page 153: Dissertation

Anhang 144

Konsistente Aufgaben

1. Das Pferd

Andrea besucht das Pferd im Stall. Dann geht sie zum Mittagessen ins Haus.

Dann sieht sie, wie der Bauer das Pferd auf die Weide bringt. Wo wird sie das

Pferd suchen?

2. Peter hat Geburtstag

Peter lädt Kinder zu seinem Geburtstag ein und bittet sie nicht Hausschuhe,

sondern Gummistiefel mitzubringen. Lisa ist an dem Tag krank und hat nicht

gehört, dass sie Gummistiefel mitbringen soll. Peter ruft Lisa an und sagt ihr,

dass sie Gummistiefel mitbringen soll. Was packt Lisa ein, Gummistiefel oder

Hausschuhe?

3. Mark ist beim Arzt

Beim Arzt hat Mark seine Jacke ausgezogen und über den Stuhl gehängt. Die

Frau, die bei dem Arzt arbeitet, sagt Mark, dass sie seine Jacke an die Garderobe

hängt. Wo wird Mark seine Jacke suchen?

4. Besuch bei Oma

Stefanie fährt zu ihrer Oma und möchte ihr Fahrrad mitnehmen. Die Oma ruft an

und sagt, dass es bei ihr schneit und dass man nicht mit dem Fahrrad, sondern

nur mit dem Schlitten fahren kann. Was wird Stefanie einpacken, ihr Fahrrad

oder ihren Schlitten?

5. Maus und Käse

Die Maus legt den Käse in die blaue Schublade. Dann geht sie in ihr Mauseloch.

Eine andere Maus holt den Käse heraus, knabbert daran und legt ihn wieder in

die blaue Schublade. Nun kommt die erste Maus aus ihrem Mauseloch. Wo wird

sie den Käse suchen, in der blauen oder in der roten Schublade?

6. Der Sonntagsspaziergang

Tanja geht mit ihrem Vater zum Bäcker. Die Sonne scheint. Dann frühstücken

sie. Jetzt wollen sie einen Spaziergang machen. Sie schauen aus dem Fenster. Es

hat angefangen zu regnen. Was ziehen sie an, Regenjacken oder Sonnenhüte?

Page 154: Dissertation

Anhang 145

7. Herr und Frau Müller beim Einkaufen

Frau Müller geht in den Hutladen. Sie kauft sich einen Hut. Dann geht sie in den

Gemüseladen. Ihr Mann auf der anderen Straßenseite sieht, dass sie in den

Gemüseladen geht. Wo wird er sie suchen?

8. Die Katze im Zelt

Susanne spielt mit ihrer Katze im Zelt. Dann geht sie auf die Wiese und riecht an

einer Blume. Sie sieht, dass die Katze hinter den Berg läuft. Wo wird sie die

Katze suchen?

9. Auf dem Spielplatz

Maria ist mit ihren Freunden auf dem Spielplatz. Sie wollen in dem Häuschen

spielen. Maria geht zu ihrer Mutter auf der Bank, um etwas zu trinken. Sie sieht,

dass ihre Freunde in den Wald gehen. Wo wird Maria ihre Freunde suchen?

10. Wir malen für das Sommerfest

Die Erzieherin bittet die Kinder, morgen ihre Holzfarben mitzubringen. Dann

sieht sie, dass es noch viele Holzfarben im Kindergarten gibt. Sie bittet die

Kinder ihre Wasserfarben mitzubringen. Was packen die Kinder am nächsten

Tag ein?

Page 155: Dissertation

Anhang 146

Representational -Change-Aufgaben

Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem Protokollbogen der

Representational-Change-Aufgabe „Eierkarton“ (siehe Abbildung 6).

Inkonsistente Aufgaben

1. Nudelglas mit Nudeln darauf, das Haferflocken enthält

2. Eierkarton, der Tischtennisbälle enthält

3. Stifte-Box, die Salzstangen enthält

4. Vl beginnt ein Papier zu falten. Das Kind wird gefragt, was das wird, ein Flieger

oder ein Schiff. Dann wird das gebastelt, was das Kind nicht gesagt hat.

5. Aus einer Papphöhle schaut ein Wurm heraus. Dabei handelt es sich um einen

Mäuseschwanz.

6. Tüte Studentenfutter, die Taschentücher enthält

7. Von einem Bild ist nur ein Ausschnitt mit mehreren Blumen und zwei Bögen, die

wie ein Teil einer Blume aussehen, zu sehen. Beim Aufdecken des gesamten

Bildes zeigt es sich, dass es sich bei den Bögen um Ohren von einem Bären

handelt.

8. Tetra Pak Apfelsaft, das Konfetti enthält

9. Aus einer Stifteschachtel schauen zwei Stifte mit unterschiedlicher Länge hervor.

Der länger hervorschauende Stift ist aber kürzer, da sich unter ihm in der

Schachtel ein anderer kurzer Stift befindet.

10. Zwei Kerzen, die durch eine Verbindungshülle aussehen wie eine Kerze

Page 156: Dissertation

Anhang 147

Inkonsistente Ersatzaufgaben

1. Benjamin Blümchen Kassettenhülle, die Luftballons enthält

2. Kleiner Kinderwagen mit Decke, unter der sich ein kleines Auto befindet

3. Wasserglas mit durchsichtigem Gel (sieht aus wie Wasser)

4. Bonbontüte, die Klammern enthält

5. Vl beginnt einen Halbkreis zu kneten. Das Kind wird gefragt, was das wird, ein

Pilz oder ein Regenschirm.

Konsistente Aufgaben

1. Apfel unter durchsichtiger Folie

2. Hundehütte, die einen Hund enthält

3. Vl beginnt einen Kreis zu malen. Das Kind wird gefragt, was das wird, eine

Sonne oder ein Schneemann. Das, was das Kind gesagt hat, wird gemalt.

4. Keksschachtel, die Kekse enthält

5. Bilderbuch, das Bilder enthält

6. Es gibt einen blauen und einen weißen Becher. Dem Kind wird gezeigt, dass sich

unter dem blauen Becher ein Männchen befindet. Die Becher werden leicht

bewegt. Das Kind soll sagen, wo sich das Männchen nun befindet.

7. Pflasterschachtel, die Pflaster enthält

8. In einer Röhre ist ein Frosch aus Plastik zu sehen.

9. Dem Kind werden drei Farbkreise gezeigt. Einer der Farbkreise wird in einen

Umschlag getan. Die beiden anderen liegen offen daneben. Das Kind wird

gefragt, welcher Farbkreis sich im Umschlag befindet.

Page 157: Dissertation

Anhang 148

10. Dem Kind wird ein Stoffkätzchen gezeigt. Es wird gefragt, ob das Kätzchen hart

oder weich ist.

Konsistente Ersatzaufgaben

1. Plastikhund unter bunter Folie

2. Dem Kind werden eine Kugel und Wolle gezeigt. Die Kugel wird in einen Beutel

getan. Das Kind darf in den Beutel greifen und soll sagen, was sich darin

befindet.

3. Bild von zwei Mädchen, die Federball spielen. Zu Beginn ist abgedeckt, was das

eine Mädchen in der Hand hält.

4. Dem Kind werden ein kleines und ein großes Holzmännchen gezeigt und eine

Pappe, in der die Umrisse des kleinen Holzmännchens ausgeschnitten sind. Das

Kind soll sagen, welches Männchen durch das Loch passt.

Page 158: Dissertation

Anhang 149

Appearance-Reality-Distinction-Aufgaben

Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem Protokollbogen der

Appearance-Reality-Distinction-Aufgabe „Pflasterstein“ (siehe Abbildung 7).

Inkonsistente Aufgaben

1. Unter einer rosa Folie wird ein aus weißem Papier ausgeschnittener Apfel

gezeigt.

2. Kerze, die aussieht wie ein Pflasterstein

3. Von einem Bild ist nur ein Ausschnitt zu sehen, der aussieht wie ein Auto. Beim

Aufdecken des gesamten Bildes zeigt sich, dass es sich bei dem „Auto“ um den

oberen Teil eines Schiffes handelt.

4. Von einem Bild ist nur ein Ausschnitt zu sehen, der aussieht wie ein Ball. Beim

Aufdecken des gesamten Bildes zeigt sich, dass es sich bei dem „Ball“ um eine

Mütze handelt.

5. Auf deinem Bild sind ein Junge und ein Mädchen zu sehen, die hinter einem

blickdichten Bretterzaun hervorschauen. Der Junge erscheint größer als das

Mädchen. Auf einem weiteren Bild ist zu sehen, dass der Junge auf einer Kiste

steht und kleiner als das Mädchen ist.

6. Auf Bilderkarten wird ein Kind gezeigt, das aussieht wie ein Mädchen, in

Wirklichkeit aber ein verkleideter Junge ist.

7. Marzipanstücke mit Zuckerhülle, die aussehen wie Steine

8. Gummiball, der aussieht wie ein Ei

9. Fester Stab, der, wenn er zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten und auf

und ab bewegt wird, biegbar aussieht

Page 159: Dissertation

Anhang 150

10. Kleiner Würfel unter einer Lupe

Inkonsistente Ersatzaufgaben

1. Pappfigur, die mit langem Mantel und langen Haaren von hinten wie eine Frau

aussieht, in Wirklichkeit aber ein Mann ist.

2. Gerader Stab, der halb in Wasser getaucht wird und dadurch wie geknickt

aussieht

3. Pausenbrotdose, aus der es stark nach Zitrone riecht, die in Wirklichkeit aber ein

Knäckebrot (mit Zitronenaroma) enthält.

4. Kerze, die aussieht wie ein Schokoladenkuchen

5. Radiergummi, der aussieht wie ein Bleistift

Konsistente Aufgaben

1. Plastikfisch in leerem Glas

2. Ein Becher wurde aus einiger Entfernung gezeigt.

3. Ein aus Pappe ausgeschnittener Dackel in einer Hundehütte

4. Mehrere Bauklötze wurden gezeigt.

5. Münze in einer Schachtel mit Loch

6. Kleines Auto wurde aus einiger Entfernung gezeigt.

7. Kind konnte Kuscheltier unter einer Decke fühlen und musste angeben, ob es

weich oder hart ist.

Page 160: Dissertation

Anhang 151

8. Dem Kind wurden ein Glas und ein Holzstück gezeigt. Unter einem Tuch wurde

mit einem Stab an das Glas geklopft. Das Kind musste sagen, ob gegen das Holz

oder das Glas geklopft wurde.

9. Hinter einem gegen Licht gehaltenen Papier wurde eine Schere gezeigt.

10. Dem Kind wurden ein Ball und ein Luftballon gezeigt. Der Luftballon wurde

unter einer Decke versteckt. Das Kind durfte fühlen und sagen, ob sich nun der

Ball oder der Luftballon unter der Decke befindet.

Konsistente Ersatzaufgaben

1. Dem Kind wird vorgemacht, wie eine Trillerpfeife und ein Heuler klingt. Dann

soll das Kind die Augen schließen und es wir nochmals in den Heuler geblasen.

Das Kind soll sagen, was das Geräusch erzeugt hat.

2. Dem Kind werden eine Murmel und ein paar Reiskörner gezeigt. Dann wird

verdeckt die Murmel in ein Filmdöschen getan, dieses wird geschüttelt. Das Kind

soll sagen, was sich in der Dose befindet.

3. Knopf in einer Schachtel mit Loch

4. Kleine Büroklammer in einer Schachtel mit Loch. Davor liegen eine große und

eine kleine Büroklammer. Das Kind soll angeben, wie groß die Büroklammer in

der Schachtel ist.

Page 161: Dissertation

Anhang 152

Neugier-Aufgaben

Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem Protokollbogen der Neugier-

Aufgabe „Die zwei kleinen Schachteln“ (siehe Abbildung 9).

1. Zwei kleinen Schachteln

2. zwei Tücher

3. Zwei Tüten

4. Zwei Teedosen

5. Zwei Tupperdosen

Conflicting-Desire-Aufgaben

Der genaue Ablauf der Aufgaben entspricht jeweils dem Protokollbogen der Conflicting-

Desire-Aufgabe „Das Froschspiel“ (siehe Abbildung 8).

1. Das Froschspiel

2. Das Fischspiel

3. Das Katzenspiel

4. Das Bärenspiel

5. Das Hundespiel