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EINBLICKE – AUSBLICKE JAHRBUCH 2012 STAATSINSTITUT FüR SCHULQUALITäT UND BILDUNGSFORSCHUNG MüNCHEN

EinblickE – AusblickE

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Page 1: EinblickE – AusblickE

EinblickE – AusblickEJahrbuch 2012

StaatSinStitut für Schulqualität und bildungSforSchung

München

Page 2: EinblickE – AusblickE

herausgeber:

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung

Schellingstraße 155

80797 München

Tel.: 089 2170-2101

Fax: 089 2170-2105

Internet: www.isb.bayern.de

redaktion:

Susanne Grupp-Robl, ISB

gestaltung:

Andrea Hölzle

Internet: www.ahoelzle.de

Satz:

Stefanie Haselmann, ISB

druck:

Druckerei & Verlag Steinmeier GmbH & Co.KG

Gewerbepark 6

86738 Deiningen

Internet: www.steinmeier.net

In mehreren Beiträgen werden der Kürze halber die Begriffe Schüler, Lehrer u. a. als Synonyme für

weibliche und männliche Personen verwendet.

Die Zitierweisen der Autorinnen und Autoren wurden unverändert übernommen.

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3Jahrbuch 2012

inhaltSVerZeichniSeditorial 4

auS unSerer WerkStatt 5

Nachgefragte Adresse mit neuem Auftritt: www.isb.bayern.de 6Susanne Grupp-Robl, ISB – Öffentlichkeitsarbeit

Interkulturelles Lernen: Definitionen und Vorschläge für den Unterricht 10Josef Koller, ISB – Abt. Gymnasium

Partizipation bei der externen Evaluation 21Anne Hruza-Mayer/Dr. Franz Huber, ISB – Qualitätsagentur

Partizipation im Qualitätsrahmen der Ganztagsschulen 28Tanja Schaad, ISB – Grundsatzabteilung

MehrWert Demokratie – Demokratie (er)leben am Lernort Schullandheim 39Ansgar Stich, ISB – Abt. Gymnasium

Schulbegleitung als Chance zur Teilhabe am Unterricht 45Dr. Ellen Kunstmann/Thomas Miller, ISB – Abt. Grund-, Mittel- und Förderschulen

Berufssprache Deutsch – sprachlich fit im Beruf! 54Petra Sogl, ISB – Abt. Berufliche Schulen

10 Jahre Leseforum Bayern – eine Erfolgsbilanz 64Hermann Ruch, ISB – Grundsatzabteilung

nachgefragt 73

Neurowissenschaften und Lehr-Lern-Forschung: Welches Wissen trägt zu lernwirksamem Unterricht bei? 74Dr. Ralph Schumacher/Prof. Dr. Elsbeth Stern, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

Elternarbeit: Lohnt der Aufwand? 88Prof. em. Dr. Werner Sacher, Universität Erlangen-Nürnberg

WillkoMMen und abSchied 96

daten und fakten 100

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Editorial

editorialLiebe Leserinnen und Leser,

in mehr als zwei Jahrzehnten haben sich Homepage und Internet zum wichtigsten Medi-um des ISB entwickelt, was die Verbreitung von Informationen und die Kommunikation mit den Schulen und vermehrt auch mit den Eltern, den Hochschulen und der Öffentlich-keit anbelangt. Die stetig steigenden Zugriffszahlen belegen dies eindrucksvoll. Dies war mit der Anlass, dass 2012 der Internetauftritt des ISB von Grund auf überarbeitet wurde. Gleichwohl veröffentlichen wir viele unserer Arbeitsergebnisse weiterhin auch in gedruckter Form, um den unterschiedlichen Rezeptionsgewohnheiten Rechnung zu tragen. Aber nicht nur deshalb. Beide Kommunikationskanäle sind wechselseitig aufeinander bezogen: Im Idealfall verweisen Online-Informationen auf gedruckte Materialien und die Druckfassung wiederum animiert zur Internetrecherche.

So erscheint auch dieses Jahrbuch wieder in gedruckter Form und als Online-Veröffentli-chung. Aus der Fülle der Themen und Aufgaben, die im ISB bearbeitet werden, hat na-turgemäß nur ein kleiner Ausschnitt Aufnahme in das Jahrbuch gefunden. Einen Schwer-punkt bilden dabei Beiträge, die um das Thema „Partizipation“ kreisen. Gemäß unserem Auftrag, Erkenntnisse aus der Forschung für die Schule nutzbar zu machen, und in durch-aus aufklärerischer Absicht haben wir wieder zwei Gastbeiträge aus der wissenschaftlichen Literatur aufgenommen. Professorin Stern und Dr. Schumacher (beide ETH Zürich) setzen sich kritisch mit der Bedeutung der Neurowissenschaften für den Unterricht auseinander, Professor Sacher (ehem. Universität Erlangen-Nürnberg) zieht Bilanz aus seinen jahrzehn-telangen Untersuchungen zur Elternarbeit in der Schule.

Allen Autorinnen und Autoren, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die am Zustan-dekommen des Jahrbuchs beteiligt waren, sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Wir wünschen diesem Jahrbuch wieder aufmerksame und interessierte Leser. Nachrichten über personelle Veränderungen sowie einige „Daten und Fakten“ zum ISB finden sich – wie gewohnt – am Schluss des Jahrbuches.

München, im Juli 2013

Thomas SachsenröderDirektor

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Aus unsErEr WErkstAtt

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Aus unserer Werkstatt

nachgefragte adreSSe Mit neueM auftritt: www.isb.bayern.de

Susanne Grupp-Robl, ISB – Öffentlichkeitsarbeit

Seit dezember 2012 ist der neue internetauftritt des iSb freigeschaltet. die Vor-läuferhomepage ist geschichte. technische Verbesserungen und das gewandel-te Suchverhalten der zahlreichen nutzerinnen und nutzer erforderten eine um-fangreiche strukturelle und inhaltliche überarbeitung. navigation und design zeigen sich in neuer gestaltung. die über die Jahre gewachsenen datenbestände mussten überprüft und ausgelichtet werden – wie es bei umzügen so üblich ist.

damals neu und kurz darauf schon wieder alt

Erst drei Jahre war unsere 2005 neu entwickelte Homepage alt, als 2008 deutlich wurde, dass sie die weiter gestiegenen Anforderungen nicht mehr würde voll erfüllen können. Die Seite kam zunehmend gut an bei allen an Schule Beteiligten und an Bildung Interes-sierten, doch die bald überbordende Zahl an Zugriffen, insbesondere zu Zeiten der Jahr-gangsstufenarbeiten, zwang sie häufig in die Knie und führte das System regelmäßig an den Rand des Absturzes. So wollte und musste das Institut wieder an eine Neuaufstellung gehen und die Seiten technisch sowie benutzerbezogen auf einen kundenfreundlicheren Stand bringen.

Die rasche Entwicklung in der Informationstechnologie bot Innovatives hinsichtlich der Strukturierung der Inhalte und des Designs. Es ergab sich die Chance, den Auftritt tech-nisch, inhaltlich und optisch völlig neu zu konzipieren. Den Verantwortlichen war klar, dass dies vornehmlich unter dem Aspekt „Welche Bedürfnisse haben die Nutzer beim Besuch unserer Seiten?“ zu geschehen hatte. Doch bietet die Vielzahl der Nutzer ver-ständlicherweise auch die entsprechende Vielfalt an Bedürfnissen.

Ein für das gesamte Institut einheitliches Konzept zu entwickeln, das von allen Abteilun-gen mitgetragen werden konnte, war eine echte Herausforderung, was die Erwartungen der Anbieter und jene der Nutzer betraf. Kommunikation ist alles, braucht aber auch

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Nachgefragte Adresse mit neuem Auftritt: www.isb.bayern.de

Jahrbuch 2012

Zeit. Die nötigen Soll- und Ist-Analysen führten zu intensiven Diskussionen sowohl auf Leitungsebene als auch innerhalb der Redaktionskonferenz. Ums Gesamtkonzept wur-de gerungen. Und es nahm Gestalt an, eine erfreulich einheitliche. Monate intensiver (Zusammen-)Arbeit folgten: Jeder einzelne Inhalt der alten Homepage musste überprüft werden. Sollen die Informationen in die neue Seite übernommen werden? Sind sie noch aktuell? Müssen sie angepasst werden? Natürlich gingen da die Meinungen und Inter-essen standortbezogen auseinander. Eine zeitaufwändige Gesamtkorrekturrunde folgte nach der Übernahme ins Muster des neuen Systems. Vor Weihnachten war es dann so weit: Am 21. Dezember 2012 ging die aktuelle Homepage online.

alles neu machte der dezember

Neben der veränderten grafischen Gestaltung bietet vor allem die Aufbereitung der In-halte dem Nutzer erweiterte Möglichkeiten.

Abb. 1: Startseite

Die mittleren Boxen machen wie ein Schaufenster auf ausgewählte Inhalte aufmerksam. Der Schnelleinstieg rechts lenkt direkt zu häufig nachgefragten Seiten. Die Hauptnaviga-tion oben ermöglicht – je nach Nutzerbedürfnis – einen vorstrukturierten Zugang.

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Aus unserer Werkstatt

Schulartspezifisches

Nur wenige Nutzer stürzen sich auf das breite Gesamtangebot aller Schularten in Bayern, die meisten treffen im Vorfeld ihre interessengeleitete Vorauswahl. Und die ist häufig schulartbezogen. So kann die gewünschte Schulart mit ihren Spezifika einfach ausge-wählt werden: Die diesbezüglichen Informationen, z. B. aus den Bereichen Ansprechpart-ner, Lehrplan, Materialien, Fächer, Leistungserhebungen und Evaluation, sind dann leicht abrufbar. Das erleichtert die Navigation und erspart Zeit.

Abb. 2: Beispiel für eine schulartspezifische Übersichtsseite

Schulartübergreifendes

Die Wahl dieses Zugangs führt zu Themen, die über die einzelne Schulart hinaus Relevanz besitzen. Derzeit werden fächerspezifische übergreifende Inhalte sowie Informationen aus den Bereichen Pädagogik – Didaktik – Methodik, Schule und Gesellschaft, Quali-

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Nachgefragte Adresse mit neuem Auftritt: www.isb.bayern.de

Jahrbuch 2012

tätssicherung/Schulentwicklung, Schul- und Unterrichtsorganisation und Medienbildung angeboten: aktuelle Bereiche, die den Anforderungen entsprechend verändert oder er-weitert werden können.

Abb. 3: Übersichtsseite zu schulartübergreifenden Themen

Über das ISB

Nutzer, die sich generell über das Institut informieren möchten, finden hier etwa die Or-ganisationsstruktur und die Ansprechpartner nach Abteilungen, aber auch Aussagen zu den Aufgaben und Leistungen des Staatsinstituts.

neu und ständig aktuell

Das Staatsinstitut versteht sich als Dienstleister. Ziel ist es, die Arbeitsergebnisse leicht zugänglich und inhaltlich treffend zu kommunizieren. Die aktualisierten Seiten sollen den „Institutskunden“, also Lehrkräften, Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie der inte-ressierten Öffentlichkeit, umfassend, aktuell und leicht auffindbar die erwarteten Infor-mationen bieten. Vernetzt sind diese Inhalte mit den derzeit 30 ISB-Themenportalen mit eigener URL, die auf den Seiten 102 und 103 dieses Jahrbuchs aufgelistet werden: ein umfangreiches Angebot für umfänglich nachfragende Nutzer. Die Zugriffszahlen stützen diese Einschätzung: Über 14,5 Millionen Klicks verzeichnete allein die ISB-Webseite von ihrer Freischaltung im Dezember 2012 bis Ende Juni 2013. Die neue Homepage ist online – an ihrer beständigen Verbesserung wird gearbeitet.

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Aus unserer Werkstatt

interkulturelleS lernen: definitionen und VorSchläge für den unterricht

Josef Koller, ISB – Abt. Gymnasium

die forderung nach interkulturellem lernen gewinnt in einer zunehmend mul-tikultureller werdenden gesellschaft immer mehr an bedeutung. allerdings ist oft weder den einzelnen lehrkräften noch vor allem den weiterführenden Schu-len klar, welche konkreten Vorstellungen und Ziele sich mit der forderung nach interkultureller kompetenz verbinden und wie interkulturalität im unterricht tatsächlich operationalisiert werden kann. nach einem knappen allgemeinen Problemaufriss soll anhand einiger beispiele gezeigt werden, wie interkulturel-les lernen in sprachlichen und kulturwissenschaftlichen fächern thematisiert werden könnte.

interkulturalität als herausforderung: die frage nach dem handlungsbedarf an gymnasien und realschulen

Dornröschen oder Scheherazade? Till Eulenspiegel oder Nasdeddin Hodscha? Banale Alternative oder didaktische Grundsatzfrage der interkulturellen Pädagogik? Die Aus-richtung von Lerninhalten und Methoden, von Themen und Texten auf die Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern hat durch die Kompetenzorientierung einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. In Lese- und Sprachbüchern aller Schularten wimmelt es heutzutage nur so von Texten und Themen, die unmittelbar auf das Lebens- und Lernal-ter zugeschnitten sind: Schulleben, erste Liebe, Konflikte mit Gleichaltrigen, Blog und Facebook, der letzte Urlaub und das nahende Berufsleben. Mit der Kompetenzorientie-rung wandern diese Themen auch zunehmend in die Aufgabenkultur: Lebensweltliche Situationen steuern über Lern- und Prüfungsaufgaben den Unterricht maßgeblich mit. Kein Grund zur Klage also? Was aber sagen Hürrem und Hakan, Igor und Iwana? – Wirft man einen Blick in zeitgenössische Schulbücher und Materialien von weiterführenden

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Interkulturelles Lernen: Definitionen und Vorschläge für den Unterricht

Jahrbuch 2012

Schulen, so finden sich 1. wenig oder kaum Themen kultureller Vielfalt, die Migrantinnen und Migranten unmittelbar ansprechen, und 2. praktisch keine didaktischen Zugänge zu spezifischen Problemen des Zweitspracherwerbs.

Der Unterricht scheint mit der momentanen Dynamik der deutschen Migrationsgesell-schaft – zumindest was die Attraktivität der Materialien betrifft – noch nicht ganz mit-halten zu können. Themen und Texte, die den Kulturkontakt thematisieren, beschränken sich in den sprachlichen und kulturgeschichtlichen Fächern überwiegend auf den „inter-kulturellen“ Kanon eines Bildungsverständnisses, das 1913 kaum anders gewesen sein dürfte: Der Blick über den kulturellen Tellerrand richtet sich geographisch nach West- und Südeuropa und zeitlich in die klassische Antike: Don Quixote, Dante und Damokles sind dem heutigen Gymnasiasten um ein Vielfaches vertrauter als Timur, Tang und Tamer-lan. Mythen und Märchen Ost- und Südosteuropas, der Türkei, Asiens oder des arabi-schen Sprachraums kommen kaum vor. Dabei sind sie für Fragen der Motivation und Identifikation mit den Lerninhalten alles andere als marginal, wollen wir alle Kinder und Jugendlichen mit ihren Stärken und Schwächen da abholen, wo sie stehen. Wenn Unter-richtsplanung und -durchführung im Zuge der Kompetenzorientierung konsequent von den Lernenden aus gedacht werden, dann hat dies in einer zunehmend multikultureller werdenden Gesellschaft auch zwangsläufig Auswirkungen auf Themen und Texte, auf Materialien und Methoden.

interkulturalität verstehen: definitionen und forderungen

Multikulturalität und Interkulturalität sind keine Synonyme. Multikulturalität beschreibt das strukturelle Phänomen der Existenz mehrerer Kulturen und ihrer spezifischen distink-tiven Eigenheiten. Interkulturalität bezeichnet darüber hinaus den Kontakt unterschiedli-cher Kulturen in Hinblick auf Veränderungen, Beeinflussung und Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Moderne Migrationsgesellschaften müssen demnach bei der Organisa-tion ihres Gemeinwesens ein besonderes Augenmerk auf Interkulturalität legen, wenn eine multikulturelle Gesellschaft „funktionieren“ und der soziale Frieden gewahrt bleiben soll. Es reicht also nicht aus, Politik „für“ Migranten zu machen. Es ziehen nämlich bei der Gestaltung des Gemeinwesens nur dann alle einen positiven Nutzen aus ihm, wenn die unterschiedlichen Kulturen nicht nur Objekte einer gestaltenden Mehrheit sind, sondern auch handelnde Subjekte, Mitgestalter also für das Wohlergehen aller. Interkulturalität im Rahmen schulischer Bildung bedeutet somit, dass Schülerinnen und Schüler, Lehrkräf-te und Eltern vor dem Hintergrund unterschiedlicher kultureller Normen und Werte auf Augenhöhe miteinander umgehen und kommunizieren, wobei weder die eigene noch die andere Kultur wertend über oder unter der anderen betrachtet wird und jeder von je-dem zu lernen bereit ist: Die Vielfalt der Kulturen in unseren Schulen darf nicht als päda-

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Aus unserer Werkstatt

gogische Last empfunden werden, sondern als Bereicherung für jeden Einzelnen, der am Schulleben beteiligt ist. Im Alltag eine Herausforderung, zweifellos! Wer je als Mediator in kulturbedingten Konflikten auftrat, wer je mit unakzeptablem geschlechterstereoty-pen Verhalten konfrontiert war, wer je mit Elternarbeit in der Schule zu tun hatte, die von Sprachbarrieren geprägt war, der weiß, wie schwer aufgeschlossene Vorstellungen von Toleranz und gegenseitigem Respekt in Alltagssituation zu überführen sind.

Die Irritationen können vielfältig sein: Andere Vorstellungen von Pünktlichkeit und Höf-lichkeit, unterschiedliche Bedeutungen von Mimik und Gestik in Gesprächen oder unter-schiedliche gegenseitige Rollenerwartungen von Lehrkräften und Eltern lassen die Fronten im Kulturkontakt zuweilen erhärten.1 Beispielsweise kann fehlendes Wissen über die un-terschiedliche Bedeutung des Augenkontakts in Konfliktgesprächen mit Schülern leicht zu Missverständnissen führen, wenn der Gemaßregelte kulturbedingt jeglichen Augenkontakt vermeidet, die Lehrkraft mit erhobener Stimme aber einfordert, der Delinquent solle ihr ge-fälligst in die Augen sehen, wenn sie mit ihm spreche. Heißt interkulturelle Kompetenz für den jungen Menschen in diesem Fall zu wissen, dass er der Lehrkraft in die Augen blicken muss? Immerhin ist er es ja, der in einer anderen Kultur lebt. Muss die Lehrkraft über die Besonderheiten aller Kulturen, mit denen sie zu tun hat, Bescheid wissen? Immerhin ist es ihr pädagogisches Terrain. Ist das überhaupt zu leisten? Wer handelt falsch? Wer richtig?

Solche Fragen sind mitunter schwer zu beantworten, weil sie bereits falsch gestellt sind. Ein gelingender interkultureller Kontakt ist nämlich nicht mit der Quantität von Wissen über kulturelle Eigenheiten auf beiden Seiten herbeizuführen. Wissen ist wichtig, aber nicht ausreichend, weil es für sich allein nicht kompetent macht. Es geht weder um die Quantität von Wissen, auch wenn dieses wichtig ist, noch um ein Ranking dergestalt, dass derjenige, der am meisten in der fremden Kultur aufgeht, am kompetentesten er-scheint. Vielmehr geht es um Respekt, Aufgeschlossenheit und Toleranz, also im Grunde um die Entwicklung von Einstellungen und Haltungen, wie sie uns bereits die Philosophie der Aufklärung nahelegt.

Die eigentliche Herausforderung dürfte längst nicht mehr darin liegen, die Bedeutung von interkultureller Kompetenz in einer multikulturellen Gesellschaft für Schule und Un-terricht zu erkennen und zu akzeptieren, sondern Multikulturalität und Interkulturalität in den Schulalltag und in konkrete Unterrichtssituationen zu überführen. Der Schule muss es gelingen, zwischen Fremdbildern und Selbstbildern zu vermitteln und die Spannun-

1 Einen hilfreichen Überblick bietet Susanne Doser, 30 Minuten für interkulturelle Kompetenz, Offenbach, Gabal 22007 und Horst Liedtke, I miss handshakes. Kulturelle Missverständnisse in Höflichkeitskontexten, in: DU 2/2011, S. 61-71.

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Interkulturelles Lernen: Definitionen und Vorschläge für den Unterricht

Jahrbuch 2012

gen, die sich daraus ergeben können, ins Positive zu wenden. Eine herausragende Rolle spielt dabei die Lehrkraft. Sie ist die Person, die durch die Wahl der Sozialformen, durch die Begleitung von Lernprozessen bis hin zur Auswahl von Materialien und Formulierung von Aufgaben auch einen kompetenzorientierten Unterricht maßgeblich steuert und mit-verantwortet. Dafür muss sie bestimmte Qualifikationen besitzen. Zu erwähnen wären hier neben Toleranz, Offenheit und Neugier beispielsweise:2

1. interkulturelle Metho-den- und Sozialkompe-tenz

Wahl geeigneter Methoden und Sozialformen, z. B. sensibler Umgang mit Körperlichkeit im Sportunter-richt, Körperkontakt im Darstellenden Spiel, Verbali-sierung von Emotionalität im Erlebnisaufsatz

2. fachspezifische flexibi-lität bei den inhalten

Wahl der Inhalte nach multikulturellen Gesichtspunk-ten, z. B.: Orte/Schauplätze, Namen in Textaufgaben in Mathematik und Physik, Spiele im Sportunterricht, Texte im Literaturunterricht, Stücke im Musikunterricht

Nebeneinander von lokal-, national-, europa- und weltgeschichtlichen Themen und Inhalten, z. B. in den Fächern Geographie, Geschichte, Biologie

3. Mut zur aufklärung, Stellung beziehen

Aufzeigen von unangemessenem geschlechterspe-zifischen Handeln und Werten, z. B.: oktroyiertes Rollenverhalten von Mädchen und Jungen

Herausstellung von historischer Richtigkeit (z. B. Fragen von Völkermord), offenes Eintreten für die westlich-demokratische Grundordnung

4. relativieren von eigenen festgefügten einstellungen, Zulas-sen von Multiperspek-tivität auch auf Werte und einstellungen

kulturspezifische Schülerbeiträge als Bereiche-rung aufgreifen und in den Unterricht integrieren, z. B.: anderer Umgang mit Zahlen, kulturbedingte Abweichungen westlich etablierter Wertungen und Sichtweisen

Interkulturelles Lernen ist demnach ein Prozess, an dem mehrere beteiligt sind: die Schü-lerinnen und Schüler untereinander, Lehrkräfte und Schüler, Schule und Eltern. Gelingt es dem Unterricht, die Konflikte zwischen den ehemaligen Teilstaaten Jugoslawiens im Rah-

2 vgl. Europarat (Hg.), White Paper on Intercultural Dialogue: “Living Together As Equals in Dignity”, 118th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 7 May 2008) und Recommendation 1880 (2009) History teaching in conflict and post-conflict areas.

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Aus unserer Werkstatt

men der Völkerverständigung und Aussöhnung so zu behandeln, dass Jugendliche aus ehemals verfeindeten Gebieten keine Streitereien mehr innerhalb des Klassenzimmers austragen müssen, so heißt dies noch nicht, dass dieselben Jugendlichen Streitfragen zum selben Thema zu Hause konfliktfrei diskutieren können. Interkulturelle Kontakte fördern die Sozialkompetenz, sie fordern sie allerdings auch heraus! Interkulturelle Kom-petenz bedeutet in diesem Zusammenhang somit auch die Einsicht in die Grenzen von interkultureller Kommunikation sowie die Bereitschaft, andere Positionen und Einstellun-gen aushalten zu können, selbst wenn kein Kompromiss möglich erscheint.

Vorschläge für den unterricht

Der Deutschunterricht allein kann keine umfassende Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache leisten, weil der Erwerb (fach)sprachlicher Kom-petenz nicht losgelöst von fachlichen Inhalten funktioniert. Sprachliche Probleme bei der Quellenanalyse im Fach Geschichte, Erfassen von Textaufgaben in Mathematik, Verste-hen einer naturwissenschaftlichen Fachsprache: Von den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern über die Mathematik zu den naturwissenschaftlichen Fächern stehen alle in der Verantwortung, auf die speziellen Bedürfnisse von Zweitsprachlern einzugehen.3 Im Fol-genden liegt der Fokus lediglich also beispielhaft auf dem Literaturunterricht und den kulturwissenschaftlichen Fächern, um interkulturellen Unterricht an möglichst konkreten Beispielen zu skizzieren. Im Rahmen des interkulturellen Literaturunterrichts ist die Themen- und Textauswahl eine grundlegende didaktische Frage, weil mit dieser die Steuerung von Lernprozessen im Allgemeinen und die intrinsische Motivation im Besonderen betroffen sind. Im Wesentli-chen lassen sich drei Kategorien bilden:

3 Das Fach Mathematik und die Naturwissenschaften an weiterführenden Schulen entdecken erst allmählich die Notwendigkeit von Sprach- und Leseförderung in ihren Fächern; eine verstärkte Ausrichtung auf die multikul-turelle Schülerschaft ist noch zu leisten. Gute Anregungen für das Fach Mathematik finden sich in folgenden Themenheften: Ausgesprochen Mathe. Sprache fördern, PM 6/2012 (Heft 45) und Mit Sprache muss man rechnen. Leseförderung, PM 8/2012 (Heft 46). Für den naturwissenschaftlichen Unterricht und allgemein für den Fachunterricht zu empfehlen: Josef Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach. Sprachsensibler Fachun-terricht in der Praxis, Bonn: Varus 2010 (Ordner); einen lesenswerten Einblick in sprachdidaktische Herausfor-derungen bietet: Linda Riebling, Sprachbildung im naturwissenschaftlichen Unterricht. Eine Studie im Kontext migrationsbedingter sprachlicher Heterogenität, Münster u. a.: Waxmann 2013.

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Interkulturelles Lernen: Definitionen und Vorschläge für den Unterricht

Jahrbuch 2012

1. Traditionelle Texte und Themen ohne spezifischen interkultu-rellen Bezug

Im Unterricht dominieren Texte und Themen ohne spezifischen didaktischen Bezug zu einer bestimmten Kultur des jeweiligen Lernenden. Internationale Themen, Stoffe und Texte werden zwar nicht vermieden; sie kommen im schulischen Kanon vor, sie werden jedoch nicht ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt des interkulturellen Ler-nens nutzbar gemacht. Bei der Beschäftigung mit traditionellen Themen und Texten setzen sich Migranten intensiv und authentisch mit derjenigen Kultur auseinander, in die sie hineinwachsen. Die didaktischen Zugänge berücksichtigen das multikulturelle Lernklima nicht explizit; Fragen der Motivation und der Gestaltung des Lernwegs sind kulturunspezifisch.

2. Traditionelle Texte und Themen mit multikultureller Fragestel-lung Für Schülerinnen und Schüler mit Migrationserfahrung ungleich motivierender sind Texte, die unter einem bestimmten, sie betreffenden Gesichtspunkt betrachtet wer-den. Dies kann komparatistisch erfolgen, indem aufgezeigt wird, dass Themen, Hand-lungsmuster oder Figurenkonzeptionen in Texten unterschiedlichster Kulturkreise be-stimmte Unterschiede oder Ähnlichkeiten aufweisen. So kann die Figur der Hexe in Hänsel und Gretel mit Hexendarstellungen in Märchen und Erzählungen anderer Kul-turen verglichen werden, wobei erstaunlich ist, mit welchem Engagement die Schü-lerinnen und Schüler in „ihren“ Märchen auf die Suche gehen. Gerade Hexen finden sich in den Märchen und Erzählungen in den Literaturen vom Nahen Osten bis ins ferne Asien. Diese Öffnung des Blickwinkels macht die Behandlung des Grimm’schen Märchens nicht redundant, sondern bereichert den analytischen oder kreativen Zu-gang. Und zwar nicht nur für die Schülerinnen und Schüler mit Migrationserfahrung! Mit erweiterten multikulturellen Fragestellungen lassen sich zahlreiche Texte und The-men im Unterricht behandeln: von der antiken Mythologie (Schicksal der Medea als Migrantin) zum Literaturklassiker (Moby Dick als Jugendbuch: Der Erzähler Ismael und seine Freundschaft mit dem Polynesier Queequeg), von der klassischen Lyrik (Goethe und Hafis, Schillers Ode an die Freude und Idee der Gleichheit) zum Drama der Klassik (Goethes Iphigenie oder Shakespeares Othello als Migrationsdramen).

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Aus unserer Werkstatt

3. Texte und Themen anderer Kulturen Als besonders gewinnbringend für die interkulturelle Pädagogik und besonders mo-tivierend für Migrantinnen und Migranten sind Themen und Texte, die unmittelbar aus fremden Kulturkreisen stammen und auch als solche wahrgenommen werden. Um die Funktionsweise von Schelmengeschichten zu thematisieren, eignen sich die Geschichten um Nasreddin Hodscha genau so gut wie Eulenspiegeleien, Schehera-zade entfaltet denselben Zauber auf Kinder wie Dornröschen oder Schneewittchen und Sindbads Abenteuer sind so packend wie die Drachenkämpfe in den deutschen und europäischen Mythologien. Für die Wahl lebensnaher interkultureller Themen wie Migrationserfahrung, Fragen von Adoleszenz oder Werte und Normen in der Familie ist es dabei fast unumgänglich, auf klassische und zeitgenössische Romane und Er-zählungen sowie Sachtexte zurückzugreifen. Dank der Produktivität von schreiben-den Zuwanderern bietet der Buchmarkt mittlerweile zahlreiche Texte, die in deutscher Sprache authentisches Material bieten.

Die dritte Kategorie ist für das interkulturelle Lernen zwar besonders geeignet, moti-vierende lebensweltliche Themen, Texte und Zugänge lassen sich jedoch in allen dreien finden. Allerdings ist bedauerlich, dass die erste Kategorie in der Unterrichtspraxis bislang überwiegt, selbst wenn sich die Lerngruppe überwiegend aus Migrantinnen und Migran-ten zusammensetzt. Neben den didaktischen Zugängen sollten auch die Materialien kon-text-, situations-, themen- und sachbezogen in Hinblick auf den kulturellen Hintergrund der Lernenden ausgewählt werden.

Die folgenden Beispiele werfen einen ersten Blick auf geeignete Texte für einen interkul-turellen Literaturunterricht mit türkischem Schwerpunkt. Dabei lassen sich drei Authenti-zitätskategorien bilden, obwohl alle ein ähnliches Thema behandeln:

1. Orhan Pamuk, Schneetürkischer Autortürkische Literatur in türkischer Sprache

2. Feridun Zaimoğlu, Leylatürkischstämmiger deutscher Autordeutscher Text mit türkischem Thema

3. Martin Mosebach, Die Türkindeutscher Autordeutsche Literatur mit türkischem Thema

Alle drei Beispiele werfen interkulturelle Fragestellungen allein schon deshalb auf, weil darin der deutsch-türkische Kulturkontakt eine bestimmte Rolle spielt. (1) Orhan Pamuk lässt in Schnee einen im deutschen Exil lebenden Dichter in seine anatolische Heimat zu-

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Interkulturelles Lernen: Definitionen und Vorschläge für den Unterricht

Jahrbuch 2012

rückkehren. Fragen von religiösen, gesellschaftlichen und politischen Wertvorstellungen im Text werden dabei immer auch vor dem Hintergrund einer anderen Kultur beleuchtet: Die Hauptfigur Ka ist geprägt von einem intellektuellen und eher sachlichen Blick auf religiöse Fragen, der bikulturell motiviert ist, nämlich sowohl aufgrund seiner Exilsozialisa-tion in Deutschland als auch durch seine kemalistische Erziehung in der Türkei. Das Span-nungsfeld, in das die Figur in der Türkei durch Konfrontation mit streng religiösen Fragen und islamistischen Positionen gerät, bietet Schülerinnen und Schülern Ansatzpunkte da-für, sich mit religiösen Wertvorstellungen in der westlichen Migration auseinanderzuset-zen. Abgesehen von unterrichtsdidaktischen Fragestellungen kann darüber hinaus die Wahl von Texten oder Textausschnitten des prominenten türkischen Nobelpreisträgers bei türkischen Schülereltern als positive Wertschätzung ihrer Kultur gesehen werden.

(2) Leyla von Feridun Zaimoğlu dürfte junge Leser besonders ansprechen, weil lebens-weltliche Themen wie Familie, Schule, Migrationserfahrung und Partnerschaft auf eine besonders griffige, teils sehr drastische Weise narrativ ausgebreitet werden. Viele türki-sche Jugendliche gewinnen mit der Figur der Leyla in einer sehr verständlichen Sprache einen authentischen Einblick in die Herkunftskultur ihrer Eltern- und Großelterngenera-tion. Sprache und Inhalt schlagen dabei den Bogen über die Generationen hinweg: Das Thema umreißt die türkische Kultur in der Türkei, die Sprache des Romans, der Ich-Er-zählerin, ist hingegen deutsch, also die Sprache von bereits in Deutschland sozialisierten türkischen Migrantinnen und Migranten. Zaimoğlu setzt Sprache gezielt und wirkungs-voll zur Gestaltung seiner Figuren ein. Ein parataktischer, teils monotoner Sprachduktus kennzeichnet das einfache Denken des jungen Kindes, charakterisiert aber zugleich die bedrückende und bedrohliche Situation in der Familie unter dem patriarchalischen Ha-bitus des Vaters auf eine rhetorisch ausgefeilte Weise. Der Vater zeigt sich beim Abend-essen sogleich als Tyrann, der plötzlich hochfährt und das gesamte Mahl auf den Hinter-hof wirft. Er wird nicht nur physisch bedrohlich, sondern übt auf Frau und Kinder auch sprachlich Gewalt aus, indem er aggressive Beleidigungen ausstößt.4 Leyla, die Erzählerin, distanziert sich von ihrem Vater vehement durch die konsequente Vermeidung, ihn als solchen zu bezeichnen. Sie nennt ihn stets nur „Mann“ ihrer Mutter.

(3) In Martin Mosebachs Roman Die Türkin, der wie Leyla ebenfalls größtenteils in Ana-tolien spielt, ist die Außensicht auf zweifache Weise greifbar: Sowohl der Autor als auch die Figur sind Deutsche, die sich als „Fremde“ mit der ruralen türkischen Kultur auseinan-dersetzen. In diesem Roman wird die Problematik des deutsch-türkischen Kulturkontakts zum eigentlichen Thema. In Leyla werden die Figuren von der Türkei aus einen Blick auf Deutschland, das ihnen als eine Art Paradies erscheint. In Die Türkin ist die Perspektive

4 Ferdun Zaimoğlu, Leyla, Köln: Kiepenheuer&Witsch 2006, S. 80.

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Aus unserer Werkstatt

von Deutschland aus auf die Türkei gerichtet: Die deutsche Hauptfigur reist einer türki-schen Frau nach Anatolien hinterher. Dieser Ich-Erzähler betritt die Türkei mit wirklich-keitsfremden Vorstellungen und einem antiquierten Bildungswissen, das sich mehr aus der klassischen Archäologie speist als aus modernen Reiseführern und dem nach seiner Ankunft wiederholt zunächst Mozarts Entführung aus dem Serail in den Sinn kommt, ein Türkenthema des späten 18. Jahrhunderts. Erst nach und nach korrigieren sich seine Vorstellungen und Erwartungen an der unerschütterlichen Lebenswirklichkeit der ana-tolischen Landbevölkerung und er scheitert mit seinen fremden Denkmustern an der türkischen Wirklichkeit genauso wie manche Immigranten an der deutschen.Bis auf Leyla eignen sich die Texte als Ganzschrift eher für höhere Jahrgangsstufen; aus-zugsweise können sie aber den Textfundus auch für jüngere Leser erweitern und ins-gesamt den interkulturellen Literatur- und Sprachunterricht anregen oder bereichern. Gerade die deutsche Migrantenliteratur besitzt eine hohe Authentizität für den material-gestützten Sprach- und Literaturunterricht: Für eine Unterrichtseinheit zu Spätaussiedlern aus Osteuropa (z. B. Russlanddeutsche oder Russen in Deutschland?) könnte man z. B. die Romane Scherbenpark und Die schärfsten Gerichte der tartarischen Küche von Alina Bronski heranziehen, die sich sehr lesenswert und überzeugend mit Spätaussiedlern in Deutschland auseinandersetzen. Nicht zu vergessen ist das Kino: Die Gastarbeiterthema-tik in der Nachkriegszeit wurde von Rainer Werner Fassbinder in den 1970er Jahren in den Filmen Angst essen Seele auf und Katzelmacher teilweise erschütternd und in jedem Fall diskussionswürdig umgesetzt. Kontrastierend dazu ließe sich mit Soul Kitchen von Fathi Akın die Situation in Deutschland dreißig Jahre später im Unterricht behandeln. Mit etwas Phantasie eröffnet sich für den Literatur-, Fremdsprachen- und Geschichtsunter-richt in Bezug auf interkulturelles Lernen also ein ziemlich weites Feld.

Fremdsicht und Fremdverstehen lassen sich natürlich auch in anderen kulturwissenschaft-lichen Fächern thematisieren. Besonders umfassend kann der Kunst- und Musikunterricht auf kulturübergreifende Inhalte zurückgreifen und diese für die interkulturelle Pädagogik nutzbar machen. Die KMK-Empfehlung zur interkulturellen Bildung verweist dabei ganz richtig auf die Bedeutung nonverbaler Zeichen: „Der musisch-künstlerische Unterricht bietet eine nonverbale Ebene, sich Vertrautem und Fremdem zu nähern, unterschiedliche Erfahrungen, Deutungen und Ausdrucksformen wahrzunehmen, andersartige Einsich-ten zu gewinnen und die darin enthaltenen Spannungsmomente auszuhalten.“5 Nicht zuletzt die alltägliche Rezeption internationaler Unterhaltungsmusik durch Kinder und Jugendliche in nahezu aller Welt erlaubt den kulturübergreifenden Vergleich besonders schülernah zu unterrichten. Dabei genügt es – im Sinne interkultureller „Awareness“ –

5 Empfehlung „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 25.10.1996, S. 11.

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Interkulturelles Lernen: Definitionen und Vorschläge für den Unterricht

Jahrbuch 2012

nicht, nur die „Spannungsmomente auszuhalten“. Denn diese müssen erst einmal be-wusst wahrgenommen werden. Was sagt beispielsweise der südkoreanische Welterfolg Gangnam Style vom Herbst 2012 eigentlich über Asien aus? Inwiefern spiegelt sich in diesem Hit nicht vielmehr der vertraute Westen als der Ferne Osten? Welche Rolle spielt die koreanische Sprache? Wird sie toleriert oder akzeptiert? Wird sie überhaupt wahr-genommen? Werden Musik und Videoclip in Europa und den USA trotz oder wegen der Fremdheit rezipiert? Die interkulturelle Pädagogik kann unbewusste Spannungsfelder und Schieflagen in der Rezeption aufdecken. Für den Erwerb interkultureller Kompetenz erscheint es in didaktischer Hinsicht deshalb besonders ergiebig, Pseudoauthentizität aufzuspüren, um vorgefertigte kulturbedingte Geschmacksurteile aufzuzeigen und diese zu relativieren.

interkulturalität als bildungsziel: eine aufgabe aller fächer

Sprachförderung ist auch an den Gymnasien und Realschulen Aufgabe aller Fächer, Inter-kulturalität ebenso. Der Fokus dieser Ausführungen liegt auf interkulturellem Lernen am Beispiel von literarischen Texten und in kulturwissenschaftlichen Fächern. Die Naturwis-senschaften und die Mathematik müssen jedoch ebenfalls einen entsprechenden Beitrag leisten, wenn Schule und Unterricht der zunehmenden Multikulturalität der Gesellschaft im Zuge der gegenwärtigen Entwicklungen in Europa und der globalisierten Welt of-fen und integrativ begegnen möchten. Interkulturelles Lernen kann in diesen Fächern durch das grundsätzliche fachwissenschaftliche und fachdidaktische Hinterfragen von eurozentrischen Zugängen (z. B. in Physik und Mathematik) oder in der sensiblen Aus-wahl von Themen und Texten für das materialgestützte Arbeiten (z. B. Textaufgaben, Versuchsbeschreibungen) erfolgen; über die Wahl von Schülernamen (Iwana/Mustapha neben Sophie/Paul) oder der zu untersuchenden Gegenstände (Turm/Minarett, Kirche/Moschee, Kartoffel/Bulgur) in Textaufgaben bis hin zu einer Erweiterung des didaktischen Selbstverständnisses an sich: „In einem Unterricht, in dem Mathematiklernen als inter-kulturelles Lernen seinen Platz haben soll, müssen also mathematische Modellbildungen, mathematische Denk- und Arbeitsweisen in vielfältiger und anwendungsbezogener Form vorkommen.“6

Ein kursorischer Blick in aktuelle fachdidaktische Zeitschriften der Fächer Mathematik und Physik zeigt indes, dass es bislang nicht viel Verständnis für diesen Ansatz gibt: Kaum ein Aufsatz widmet sich dieser Problematik, kaum ein Unterrichts- oder Aufga-

6 Susanne Prediger, Mathematiklernen als interkulturelles Lernen – Entwurf für einen didaktischen Ansatz, in: Journal für Mathematikdidaktik 22 (2001) 2, S. 130.

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benbeispiel, das explizit von kulturell-heterogenen Lerngruppen ausgeht. Dabei wäre es mit fachdidaktischen Ansätzen in Hinblick auf Themen und Aufgabenkultur noch gar nicht getan: Interkulturalität lässt sich von Lehrkräften nicht allein mittels einer bestimm-ten Unterrichtsmethodik oder eines didaktischen Zugangs „abarbeiten“, sondern betrifft die Lehrenden in ihren Einstellungen und Handlungen in umfassender Weise, und zwar sowohl in ihrem Verhältnis zum Unterricht im Allgemeinen als auch in Hinblick auf das Schulleben als Ganzes. Interkulturelle Pädagogik in der Schule geht vom Unterricht als dem Artikulationszentrum schulischen Lernens aus, schließt aber auch die Eltern und die außerschulische Lebenswelt sowie das Verhältnis der Lehrkräfte untereinander mit ein; ihr Weltbild, ihr Selbstverständnis von Toleranz, ihre Aufgeschlossenheit: „Interkulturelle Pädagogik ist keine Institution oder ein Schulfach, sondern ein Prinzip, das auf verschie-denen Ebenen in der schulischen wie in der außerschulischen Bildungsarbeit wirksam werden soll.“7

s

7 Alfred Holzbrecher, Interkulturelles Lernen, in: Bernt Ahrenholz, Ingelore Oomen-Welke (Hgg.), Deutsch als Zweitsprache, Hohengehren: Schneider 2010, S. 120.

hinweis:Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Aufsatzes „Interkulturalität im Unterricht: Möglichkeiten ohne Grenzen?“, veröffentlicht in: ISB (Hrsg.): MitSprache fördern. Ma-terialien zur Sprachförderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshinter-grund an Gymnasien und Realschulen. Erster Band: Formale Sprachbeherrschung und Ausdruckskompetenz, Brigg Verlag, Augsburg 2013, S. 7-19.

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Partizipation bei der externen Evaluation

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PartiZiPation bei der externen eValuation

Anne Hruza-Mayer/Dr. Franz Huber, ISB – Qualitätsagentur

die externe evaluation der bayerischen Schulen ist darauf ausgerichtet, mög-lichst viele betroffene zu beteiligten zu machen, und bietet den Mitgliedern der Schulgemeinschaft deshalb eine reihe von Möglichkeiten sich einzubringen. der vorliegende beitrag zeigt zunächst diese Möglichkeiten auf und geht dann dar-auf ein, wie die Mitglieder der Schulgemeinschaft sie wahrnehmen. „Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde mich daran erinnern. Beteilige mich, und ich werde es verstehen.“ Laotse1

Für eine nachhaltige schulische Qualitätsentwicklung ist die externe Evaluation als kritische Rückmeldung von außen notwendig und sinnvoll, aber bei weitem nicht

ausreichend. Externe Evaluation führt nur dann zu nachhaltigen Verbesserungen, wenn an den Schulen selbst ein Bewusstsein für die Qualität der eigenen Arbeit entwickelt und auf Basis der Evaluationsergebnisse ein zielgerichtetes Qualitätsmanagement betrieben wird. Dafür ist es nötig, eine hohe Akzeptanz für das Verfahren als solches zu schaffen und möglichst viele Betroffene zu motivierten Beteiligten zu machen.

transparenz als Voraussetzung für beteiligung

Wer für Beteiligung gewonnen werden soll, muss die Möglichkeit haben, sich über Hin-tergründe und Ziele der Sache und über die konkreten Beteiligungsmöglichkeiten zu informieren. Bei der externen Evaluation wurde deshalb von Anfang an auf Transparenz gesetzt. Das Konzept, die Vorgehensweise und die eingesetzten Instrumente wurden unmittelbar nach ihrer Fertigstellung auf der Homepage des ISB und – nach Abschluss

1 Zitiert nach Eikel, A. (2007, S.12). Demokratische Partizipation in der Schule. Schwalbach: Wochenschau Verlag

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der Pilotphase 2005 – in einer Broschüre veröffentlicht2, die an alle bayerischen Schulen versandt wurde. Die überarbeitete Fassung des Konzepts3 wurde 2010 auf die gleiche Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bevor eine Schule evaluiert wird, können sich die Mitglieder der Schulgemeinschaft also umfassend über dieses Instrument der Qualitätssicherung informieren. Der Transparenz dienen zudem die sogenannte Vorstel-lungskonferenz und die Konferenz zur Berichtseröffnung (vgl. unten).

beteiligungsmöglichkeiten bei der konzeptentwicklung

Die Grundlagen des Konzepts der externen Evaluation wurden von einer Projektgruppe am Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus erarbeitet, der Verteter aller Schulabteilungen des Ministeriums und Mitarbeiter der Qualitätsagentur am ISB ange-hörten. Schon dabei hat man Anregungen von Beamten der Schulaufsicht, von Lehr-kräften und von Vertretern der Eltern- und Schülerschaft aufgegriffen.

Bei der Entwicklung der Evaluationsinstrumente an der Qualitätsagentur gab es dann Arbeitsgruppen mit Lehrkräften, Schülern und Eltern, in denen deren Sichtweisen von schulischer Qualität erfragt und diskutiert wurden. Vor allem bei der Konstruktion der Fragebogen hat vieles davon Berücksichtigung gefunden.

Seit Anlaufen der externen Evaluation haben Mitarbeiter der Qualitätsagentur Rück-meldungen von Evaluatoren und Evaluierten systematisch gesammelt und ausgewertet. Verschiedene Verbesserungsvorschläge wurden dann erstmals nach der zweijährigen Pi-lotphase und ein zweites Mal im Jahr 2010 bei der Überarbeitung des Konzepts aufge-griffen. Und nach wie vor versteht sich die externe Evaluation als „work in progress”, wo kritische Rückmeldungen und Anregungen zur Qualitätsverbesserung stets willkommen sind.

beteiligung der Mitglieder der Schulgemeinschaft am evaluationsprozess

Bei der konkreten Evaluation der Einzelschule werden bei allen Schritten des Evaluations- prozesses möglichst viele Mitglieder der Schulgemeinschaft einbezogen.

2 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2005). Externe Evaluation an Bayerns Schulen. München

3 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2010). Externe Evaluation an Bayerns Schulen. München. 2. überarbeitete Auflage

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Partizipation bei der externen Evaluation

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Vorstellungskonferenz: Etwa acht Wochen vor den Schulbesuchstagen führt das Eval-uationsteam an der Schule eine Vorstellungskonferenz durch, zu der alle Lehrkräfte sowie Vertreter der Schüler, der Eltern (bzw. der Ausbilder in Betrieben bei Berufsschulen), des nichtlehrenden Personals und des Sachaufwandsträgers eingeladen werden. Bei dies-er Konferenz stellen sich die Evaluatoren vor, erläutern das Konzept und beantworten anstehende Fragen. fragebogenerhebung: Nach der Vorstellungskonferenz werden mit Hilfe einer stan-dardisierten Befragung von Lehrkräften, Schülern und Eltern (bzw. Ausbildern in Betrie-ben bei Berufsschulen) Einschätzungen und Meinungen dieser Personengruppen über ihre Schule erfasst. Die Lehrerbefragungen sind an allen Schulen Vollerhebungen. An Schulen mit einer Schülerzahl von weniger als 200 Schülern werden auch alle Eltern und Schüler befragt. An größeren Schulen wird bei der Elternbefragung eine repräsentative Stichprobe gezogen. 20% der Eltern werden dann aufgefordert, sich an der Befragung zu beteiligen. Bei der Schülerbefragung wird es den Schulen dieser Größe freigestellt, eine Vollerhebung oder eine Stichprobenerhebung bei 20% der Schüler durchzuführen. Die Befragung von Lehrkräften und Schülern erfolgt unter Verwendung eines schul-spezifischen Zugangscodes in der Regel online, die der Eltern in Papierform. Um eine möglichst hohe Beteiligung sicherzustellen und um Eltern mit Migrationshintergrund die Teilnahme an der Elternbefragung zu erleichtern, erhalten diejenigen aus den größten Migrantengruppen (vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, 2012, S. 110) den Fragebogen in ihrer jeweiligen Muttersprache.

Schulportfolio: Etwa zwei Wochen vor den Schulbesuchstagen übermittelt die Schule dem Evaluationsteam das sog. „Schulportfolio”. Es enthält neben Daten und Unterla-gen, die vom Evaluationsteam eingefordert werden, auch Materialien, die von der Schule selbst beigesteuert werden, um ihre Arbeit zu dokumentieren. Hier hat die Schule also Gelegenheit, ihr Schulprofil vorzustellen und besondere Projekte von Gruppen der Schul-gemeinschaft zu präsentieren.

interviews: Während der Schulbesuchstage werden dann Interviews mit allen rele-vanten Gruppen der Schulgemeinschaft geführt: mit der Schulleitung, mit Lehrkräften, Schülern und Eltern bzw. Ausbildern und mit dem nichtlehrenden Personal. Bei kleinen Schulen werden alle Lehrkräfte, bei großen Schulen wird eine Auswahl von Lehrkräften zum Interview eingeladen. Bei Schulen mit Fachbetreuerebene wird je ein Interview mit dem Personalrat, mit den Fachbetreuern, ggf. mit der Steuergruppe sowie mit Personen durchgeführt, die spezielle pädagogische Funktionen oder Aufgaben wahrnehmen (z. B. Jahrgangsstufenbetreuer, Schulpsychologen). Zu den Interviews mit den Schülern und Eltern werden Vertreter aus allen Jahrgangsstufen eingeladen, darunter Personen aus der

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SMV bzw. dem Elternbeirat. Darüber hinaus wird noch ein Interview mit einem Vertreter des Sachaufwandsträgers und ggf. eines mit externen Partnern durchgeführt.

berichtseröffnung: Etwa eine Woche nach dem Schulbesuch stellt das Evaluationteam im Rahmen einer Konferenz dem gleichen Teilnehmerkreis, der schon bei der Vorstel-lungskonferenz anwesend war, den Evaluationsbericht vor. Die Evaluatoren beantworten Verständnisfragen und geben den Teilnehmern Gelegenheit zum Feedback an das Team.

Möglichkeit der Stellungnahme: Die Schule hat, sofern sie entsprechenden Bedarf sieht, die Möglichkeit, den vorgestellten Bericht schriftlich zu kommentieren. In diesem Fall erarbeitet die Schulleitung eine Stellungnahme und begründet die von den Einschätzun-gen des Evaluationsteams ggf. abweichende Sichtweise der Schule. Das Team entschei-det, ob Inhalte dieser Stellungnahme in den Bericht übernommen werden. Ansonsten wird die Stellungnahme der Schule dem Bericht als Anlage beigefügt und ist damit Be-standteil des Berichts.

Dieses umfassende Einbeziehen der Schulgemeinschaft bei der Erhebung und Präsenta-tion der Daten dient einerseits dazu, Akzeptanz für die externe Evaluation zu schaffen und die Bewertung auf eine solide Basis zu stellen. Es soll andererseits dazu motivie-ren, bei der anschließenden Formulierung der Zielvereinbarungen und deren Umsetzung mitzuwirken und so Schule gemeinsam zu gestalten.4

Wahrnehmung der beteiligungsmöglichkeiten

Es hat sich gezeigt, dass die Möglichkeiten der Beteiligung bei den verschiedenen Schrit-ten des Evaluationsprozesses in der Regel auf großes Interesse stoßen. Vor allem Eltern und Schüler freuen sich, wenn ihre Sicht der Dinge gefragt ist, und nehmen Einladungen zum Interview oder zur Teilnahme an der Vorstellungskonferenz und zur Berichtseröff-nung gerne wahr.

Auch die Rücklaufquoten bei der Fragebogenerhebung sind ein Indiz für dieses Interes-se. Seit Beginn des Schuljahres 2012/13 wird in den Evaluationsberichten erstmals die genaue Zahl der Lehrkräfte und der Schüler der evaluierten Schulen vermerkt. Seither ist es möglich, exakt zu bestimmen, welcher Anteil der Lehrkräfte, Schüler und Eltern sich an den Befragungen beteiligt. Die Auswertung der Evaluationsberichte aus dem laufenden Schuljahr ergab eine durchschnittliche Rücklaufquote von 67% bei den Lehrerbefragun-

4 Vgl. Qualitätsagentur am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (2012). Leitfaden für die Er-stellung von Zielvereinbarungen. München

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Partizipation bei der externen Evaluation

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gen, von 85% bei den Elternbefragungen und von 95% bei den Schülerbefragungen.5 Damit bestätigen sich Rücklaufquoten, die die Qualitätsagentur seit Einführung der ex-ternen Evaluation immer wieder stichprobenartig erhoben hat.

Die hohe Beteiligung bei den Schülern ist sicher darauf zurückzuführen, dass diese die Fragebogen in der Regel klassenweise während der Schulzeit im Computerraum der Schule ausfüllen. Die Lehrkräfte müssen sich dagegen in ihrer Freizeit an den PC setzen, was eine mögliche Erklärung für die geringere Beteiligungsquote sein könnte. Sie erreicht aber dennoch ein Maß, das auch von anderen Bundesländern berichtet wird.6 Die hohe Rücklaufquote bei der Elternbefragung hat unter anderem damit zu tun, dass die Frage-bogen in verschiedenen Sprachen vorliegen und dass die Befragung in Papierform durch-geführt wird, was für die Eltern einen hohen Aufforderungscharakter zu haben scheint.7

Möglichkeit zur beteiligung als eigenes qualitätskriterium

Bei der externen Evaluation der bayerischen Schulen ist die Möglichkeit zur Partizipation selbst explizit Gegenstand der Bewertung der Qualität einer Schule. Insgesamt werden 23 grundlegende Kriterien von Schul- und Unterrichtsqualität erfasst und bewertet. Eines dieser Kriterien lautet „Intensität der Mitwirkung“ und es beschäftigt sich mit der Frage, wie und in welchem Umfang sich die Mitglieder der Schulgemeinschaft bei der Gestal-tung ihrer Schule einbringen können. Es ist definiert durch die folgenden Anforderungen:

1. Die ästhetische Gestaltung der Schule ist mit den Beteiligten abgestimmt.2. Die Organisation des Schulbetriebes ist mit den Beteiligten abgestimmt.3. Die Gestaltung des Zusammenlebens wird regelmäßig mit den Beteiligten abge-

stimmt.

Je stärker diese Anforderungen erfüllt sind, desto höher fällt die Bewertung des Krite-riums aus. Eine Sichtung der Evaluationsberichte zeigt, dass das Kriterium überwiegend positive oder neutrale und nur sehr selten negative Bewertungen erhält.

Interessant ist es, zusätzlich einen Blick auf die Anforderungen zu werfen und dadurch ein genaueres Bild bezüglich der konkreten Partizipationsmöglichkeiten zu gewinnen. Die Gesamtbewertung des Kriteriums ergibt sich daraus, wie die Evaluatoren die Erfül-

5 Für die Berechnung der Rücklaufquoten bei der Elternbefragung wird als Grundgesamtheit die Zahl der Schüle-rinnen und Schüler verwendet. Geht man aber davon aus, dass auch Geschwister die Schule besuchen können, dürfte die Grundgesamtheit niedriger liegen, was zu einer leichten Unterschätzung der Rücklaufquoten bei der Elternbefragung führt.

6 Vgl. Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung Hamburg, 2012; Sächsisches Bildungsinstitut, o. J.7 In Hamburg wurde die Elternbefragung bei der externen Evaluation von Schulen bis zum Jahr 2012 online

durchgeführt. Die Rücklaufquoten waren allerdings so gering (zwischen 21 und 28%), dass man sich dazu entschlossen hat, die Eltern künftig in Papierform zu befragen (vgl. Institut für Bildungsmonitoring und Quali-tätsentwicklung (2012): Jahresbericht der Schulinspektion. Schuljahr 2010/11, S.13).

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lung der drei Anforderungen einschätzen, durch die das Kriterium definiert ist. Bezüglich des jeweiligen Erfüllungsgrades zeigen sich Unterschiede. Bei der Mehrheit der Schulen werden Lehrer, Eltern und Schüler beteiligt, wenn es um die ästhetische Gestaltung der Schule und die Abstimmung in organisatorischen Fragen (zeitliche Regelungen, Mate- rialversorgung usw.) geht. Deutlich seltener aber werden Vereinbarungen bezüglich des sozialen Miteinanders regelmäßig (d. h. innerhalb des Zeitraums einer Schülergeneration) mit den Beteiligten abgestimmt.

Bei der Einschätzung der Anforderungen suchen die Evaluatoren anhand bestimmter Indikatoren gezielt nach Informationen, mit denen belegt werden kann, dass eine An-forderung erfüllt oder nicht erfüllt ist. Indikatoren sind „Anzeiger“, Hinweiszeichen dafür, dass ein Zustand, so wie er in der Anforderung beschrieben ist, auch tatsächlich erreicht ist.

Das folgende Beispiel soll verdeutlichen, auf welche Indikatoren sich die Evaluatoren in ihrem Urteil stützen: An einer Schule wurde das Kriterium „Intensität der Mitwirkung“ mit einer großen Stärke bewertet. Das Evaluationsteam bescheinigt der Schule, dass alle drei Anforderungen „voll und ganz erfüllt“ sind. Die Einschätzung der dritten An-forderung „Die Gestaltung des Zusammenlebens wird regelmäßig mit den Beteiligten abgestimmt.“ wird dabei wie folgt begründet:

„Die Regeln des Zusammenlebens, wie sie in der Hausordnung niedergeschrieben sind, wurden im Rahmen einer pädagogischen Konferenz mit Vertretern aller Personengrup-pen der Schulfamilie, mit Lehrkräften, Eltern und Schüler festgelegt. Die Klassenregeln werden zum Teil in Mitwirkung durch die Schüler erstellt. Es fanden Schülerumfragen un-ter dem Motto „Ist unsere Schule eine gute Schule?“ statt. Mitsprache- und Mitwirkungs- möglichkeiten erhalten die Schüler zudem durch das Aufstellen eines Schülerrates.“

Schulen, bei denen das Kriterium eine weniger gute Bewertung als „große Stärke“ er-hält, bekommen in den Begründungen für die Einschätzungen der Anforderungen de-taillierte, handlungsnahe Informationen darüber, was bei ihnen fehlt bzw. was getan werden kann, um die Intensität der Mitwirkung von Lehrkräften, Eltern und Schülern zu verbessern.

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Partizipation bei der externen Evaluation

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Zusammenfassung

Die oben angeführten Zahlen zeigen, dass bei der externen Evaluation der bayerischen Schulen die verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten in einem erfreulich hohen Ausmaß wahrgenommen werden. Die Zahlen zeigen aber auch, dass durchaus noch Spielraum nach oben besteht (z. B. bei der Teilnahme der Lehrkräfte an der Fragebogenerhebung).

Bezüglich der Ergebnisse zum Kriterium „Intensität der Mitwirkung“ ist zu hoffen, dass die Evaluationsberichte möglichst viele Schulen dazu anregen, die verschiedenen Gruppen der Schulgemeinschaft bei allen Aspekten, die zu diesem Kriterium gehören, einzubinden und zusätzliche Möglichkeiten der Beteiligung bei der Weiterentwicklung von Schule und Unterricht zu schaffen.

literaturBayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2005). Externe Evaluation an Bayerns Schu-

len. München

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2010). Externe Evaluation an Bayerns Schu-

len. München. 2. überarbeitete Auflage

Eikel, A. (2007). Demokratische Partizipation in der Schule. Schwalbach: Wochenschau Verlag

Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung Hamburg (2012): Jahresbericht der Schu-

linspektion. Schuljahr 2010/11

Qualitätsagentur am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (2012). Leitfaden für die

Erstellung von Zielvereinbarungen. München

Sächsisches Bildungsinstitut (o. J.). Externe Evaluation in Sachsen – Ergebnisbericht. Görlitz: Maxroi

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (2012): Bildungsbericht Bayern 2012. Woln-

zach: Kastner

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PartiZiPation iM qualitätS- rahMen der ganZtagSSchulen

Ein gelebtes Miteinander bei der Weiterentwicklung von Ganztagsschulen

Tanja Schaad, ISB – Grundsatzabteilung

die Weiterentwicklung bayerischer ganztagsschulen zu attraktiven lern- und lebensorten für heranwachsende ist seit mehreren Jahren erklärtes bildungspo-litisches Ziel und wird von vielfältigen pädagogischen Projekten und initiativen vorangetrieben. insbesondere die größeren gestaltungsspielräume aufgrund des erweiterten Zeitrahmens eröffnen Schülern, eltern, externen kooperations-partnern sowie lehrkräften Wege zu einem Miteinander, vom dem zu erwarten ist, dass es die unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Prozesse unterstützt. eine gute ganztagsschule ermöglicht damit in besonderem Maße die Partizipati-on aller am Schulleben beteiligten gruppen.

Nach dem starken quantitativen Ausbau gebundener Ganztagsschulen und offener Ganztagsangebote in den letzten Jahren stehen jetzt die Qualitätsentwicklung und

Qualitätssicherung noch mehr im Mittelpunkt konzeptioneller Bemühungen und schul-praktischer Arbeit. Der vorliegende Beitrag stellt die beiden aktuell vorliegenden Quali-tätsrahmen für Ganztagsschulen in Bayern vor. Er betont dabei insbesondere den An-spruch der Partizipation als wichtigen Indikator guter Qualität. Good-Practice-Beispiele veranschaulichen, wie eine konkrete Umsetzung dieses Qualitätsanspruchs vor Ort aus-sehen kann.

bayern: ganztagsschule im Vormarsch

Im Schuljahr 2012/13 sind landesweit insgesamt 964 Schulen mit gebundenen Ganztags-klassen und 1.363 Schulen oder Institutionen, die offene Ganztagsangebote anbieten,

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Partizipation im Qualitätsrahmen der Ganztagsschulen

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eingerichtet oder befinden sich im Aufbau. Dieser dynamischen quantitativen Entwick-lung (vgl. Ministerratsbeschluss vom 28. Juli 2009) wurde jetzt ein Konzept zur Quali-tätsentwicklung und Qualitätssicherung zur Seite gestellt. Der Ausbau der Ganztags-betreuung an Schulen ist von erheblichen gesellschaftlichen Erwartungen begleitet, im Zentrum steht hierbei die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit (Wiere 2011), der u. a. durch eine verlässliche Betreuung der Kinder nachgekommen werden soll. Auch wird erwartet, dass die Schüler ihre kognitiven Leistungen verbessern, soziale Kompe-tenzen steigern und herkunftsbedingte Bildungsnachteile ausgeglichen werden können. Dazu – wie auch ganz im Sinne des partizipativen Anspruchs – dient ein integratives und offenes schulisches Leitbild, das die Zusammenarbeit aller Beteiligten betont. Ganzheitli-che und lebensweltorientierte Gestaltungsperspektiven spielen neben gesellschaftlichen Forderungen für die Entwicklung der Ganztagsschule eine wichtige Rolle. Im Vergleich zur Halbtagsschule besitzt die Ganztagsschule ein größeres Potenzial, autonome Gestal-tungsprozesse zu entwickeln und das Schulprofil aktiv am Bedarf und den Partzipations-potenzialen der Beteiligten auszurichten. Partizipation stellt also ein zentrales Element der Ganztagsschule dar.

Vor diesem Hintergrund erhielt das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus verschiedene Aufträge, konzeptionell an der Weiterentwicklung der strukturellen und pädagogischen Qualität bayerischer Ganztagsschulen bzw. Ganztagsangebote zu arbeiten.

der qualitätsrahmen der ganztagsschulen für die gebundene und für die offene form

Der Qualitätsrahmen versteht sich als Fundament für eine kontinuierliche Qualitätsent-wicklung und eine nachhaltige Qualitätssicherung. Er stellt einerseits einen Orientie-rungsrahmen für bereits existierende Ganztagsangebote dar, die ihr Qualitätskonzept verbessern wollen, andererseits unterstützt er Schulen, die erst am Anfang der Entwick-lung ihres Ganztagsbereichs stehen, auf dem Weg vom Prozess der Antragstellung hin zur Etablierung als Ganztagsschule. Dieser Anspruch einer transparenten Qualitätsarbeit ist auch Resultat einer steigenden Eigenverantwortung der Schulen und der Verpflich-tung, den schulischen Entwicklungsprozesses zu bilanzieren. Zudem soll eine verlässliche und landesweit vergleichbare ganztagsschulische Grundkonzeption mit individueller lo-kaler Schwerpunktsetzung gewährleistet werden. „Die Arbeit einer Ganztagsschule lässt sich nicht strikt von der Arbeit einer Regelschule unterscheiden. Vielmehr gibt es gro-ße Überschneidungsbereiche schulischer Entwicklungsprozesse. Viele Qualitätskriterien lassen sich daher ebenso auf Halbtags-/Regelschulen anwenden. Die Erweiterung des

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schulischen Profils zum Lebensraum und der damit verbundene Zuwachs an zeitlichen Ressourcen an der Ganztagsschule vergrößern jedoch die Handlungsspielräume und sind somit auch mit qualitativen Ansprüchen verbunden.“ (Qualitätsrahmen für gebundene Ganztagsschulen)

qualitätsrahmen für gebundene ganztagsschulen

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Bereiche des Qualitätsrahmens für gebundene Ganztagsschulen.1

1 Übergeordnete erzieherische Ziele

2 Rahmenbedingungen der Schule

3 Ganztagsspezifische qualitätsbezogene Rahmenbedingungen

4 Qualitätsstandards der Schulorganisation

5 Qualitätsstandards für Unterricht und Erziehung

6 Ergebnisse schulischer Arbeit

7 Qualitätsentwicklung und -sicherung

Diese Qualitätsbereiche unterscheiden „Basisstandards“ und „Möglichkeiten der Weiter-entwicklung“. Erstere sind Voraussetzungen für die Genehmigung einer Ganztagsschule. Sie beinhalten allerdings den notwendigen Gestaltungsspielraum, den manche Schulen bis zur Erfüllung der gesetzten Anforderungen benötigen. Zudem sollen interessierte Schulen ermutigt werden, den Weg zur Ganztagsschule zu beschreiten. Im Gegensatz zu den „Basisstandards“ haben die „Möglichkeiten der Weiterentwicklung“ keinen verbindlichen Charakter. Sie zeigen Wege auf, wie in einzelnen Qualitätsbereichen das Grundkonzept (Basisstandards) inhaltlich und qualitativ weiterentwickelt werden kann.

Die nachfolgende Abbildung illustriert den Aufbau des Qualitätsrahmens am Beispiel des Themenbereichs „Individuelle Förderung“. Die in den Auflistungen unterstrichenen Stellen zeigen mögliche Bezugspunkte zum Thema Partizipation.

1 Die Themenbereiche 1-6 sind wortgleich auch im Qualitätsrahmen für offene Ganztagsschulen enthalten.

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Partizipation im Qualitätsrahmen der Ganztagsschulen

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Ausschnitt aus dem Qualitätsrahmen für gebundene Ganztagsschulen

Pädagogische, didaktische und methodische Überlegungen und Maßnahmen gewähr-leisten eine intensive Nutzung der zeitlichen und personellen Mittel zur individuellen För-derung im heterogenen Klassenverband und zur Intensivierung partizipativer Strukturen. Im obigen Ausschnitt des Qualitätsrahmens zur individuellen Förderung lassen sich auch einige Anknüpfungspunkte der Beteiligung, Mitwirkung und Mitbestimmung finden. So können beispielsweise leistungsstarke Schüler als Unterstützung für Schwächere fun-gieren. Rückmeldungen außerschulischer Kooperationspartner werden einbezogen, um stringent Förderbedarfe aufzudecken. Auch der Austausch mit den Eltern über Förder-maßnahmen stellt die Bedeutung der Teilhabe deutlich heraus. Eine partizipative Schul-konzeption ist in der Ganztagsform leichter realisierbar, denn diese ermöglicht neben dem lehrplanbezogenen Unterricht erweiterte Lerngelegenheiten und Erfahrungsfelder. Aus diesen Gründen wurde in beiden Qualitätsrahmen der Partizipation aller am Ganztag Beteiligten ein hoher Stellenwert beigemessen. Im Folgenden wird diese Verankerung mit konkreten Beispielen erläutert.

Partizipation im qualitätsrahmen

Partizipation ist ein wichtiger Faktor im Sozialisationsprozess von Schülern. Für die Ent-wicklung junger Menschen ist es von großer Bedeutung, dass sie durch eigenverant-wortliche Beteiligungs- und Gestaltungsprozesse Verantwortung übernehmen lernen. Diesem Anspruch kann in Ganztagsschulen erkennbar besser als in Regelschulen ent-sprochen werden. Der erweiterte zeitliche Rahmen schafft Raum für intensive Begeg-nungen, individuelle Begleitung, Lebenshilfe und Freizeitpädagogik. Durch den längeren täglichen Verbleib der Schüler an einer Ganztagsschule ergibt sich jedoch für Lehrkräfte, Kooperationspartner und Eltern eine größere Notwendigkeit zusammenzuarbeiten und schulische Informationen auszutauschen. Möglichkeiten zur Partizipation eröffnen sich den verschiedenen schulischen Gruppen vor allem in den Handlungsfeldern Unterricht, Schulleben, Schulentwicklung und in der Einbeziehung außerschulischer Umfelder. Ins-

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Aus unserer Werkstatt

besondere diese erlauben es den Beteiligten zusammenzuarbeiten und den „Ganztag“ gewinnbringend zu gestalten. Durch verbindliche Einbeziehung in Planungs- und Ent-scheidungsprozesse kann die aktive Mitgestaltung von Schülern, Eltern, Kooperations-partnern und auch Lehrern verbessert werden. Es ergeben sich vielfältige Räume für formal-rechtliche Mitbestimmungsformen. Alle am Ganztag Beteiligten werden sich auf diese Weise mit ihrem Interesse und Engagement für ein erfolgreiches Gelingen verbür-gen und die Verantwortung dafür übernehmen.

Burow (2008, S. 14) erkennt in der Partizipation schulischer Gruppen „die entscheiden-de Ressource für den Wandel von der belehrenden Unterrichtsschule traditionellen Typs zur lernenden Ganztagsschule“. In welchem Ausmaß dieses Potenzial genutzt wird, ent-scheidet die konkrete Umsetzung an den einzelnen Schulen. Anregungen und Hilfestel-lung finden sich sowohl im Qualitätsrahmen für gebundene Ganztagsschulen als auch in dem für offene Ganztagsangebote. Der Aspekt der Partizipation für alle Beteiligten ist dabei in beiden Qualitätsrahmen entsprechend gleichwertig verankert. Aus diesem Grund werden im Folgenden ausschließlich Beispiele aus dem Qualitätsrahmen für ge-bundene Ganztagsschulen angeführt. Die Möglichkeit und auch die Notwendigkeit der Partizipation ist explizit verortet und mit Good-Practice-Beispielen bayerischer Ganztags-schulen illustriert.2

Rahmenbedingungen

3. Ganztagsspezifische qualitätsbezogene Rahmenbedingungen

3.1 Pädagogisches rahmenkonzeptEinbindung aller am Ganztag Beteiligten in den Entscheidungsprozess: Schul-leitung, Kollegium, Schüler, externe Mitarbeiter, Eltern, Sachaufwandsträger, Verwaltungspersonal, Hausmeister etc.

Beispiele:• Wünsche und Vorlieben wahrnehmen

und darauf reagieren • Im ersten halben Jahr: Wertschät-

zung und Beachtung der Meinung der Schüler (Eingewöhnungsphase), später: mehr Freiräume bei der Mitge-staltung

• Mitwirkung am Schulprofil als Klas-senpräsident

• Teilnahme an pädagogischen Konfe-renzen bei bestimmten Themen

2 Die Nummerierung bezieht sich auf den Qualitätsrahmen.

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Partizipation im Qualitätsrahmen der Ganztagsschulen

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3.3 Zeitstruktur ( Möglichkeiten der Weiterentwicklung) flexible, bedarfsgerechte Zeitstruktur, auch über den Mindestrahmen hinaus in Abstimmung mit allen Beteiligten

Beispiel:• Planung der unterrichtlichen Vorge-

hensweise unter Einbeziehung der Bedarfe seitens der Schüler

3.4 Verpflegung Einbezug von Schülerwünschen, Möglich-keiten der Weiterentwicklung: systemati-sche Schülerbeteiligung bei der Auswahl der Gerichte, Abfrage der Schülerzufrie-denheit

Beispiele:• Fragebögen/Schülerbefragung/regel-

mäßige Evaluation mit anschließender gezielter Besprechung der Ergebnisse

• Vorschlagskasten/Kummerkasten

3.5 gestaltung von neigungsangeboten (freizeit) Zeitschienen für Freiräume für eigenver-antwortliche Gestaltung; Orientierung der Angebote an Schülerinteressen

Beispiele:• Die Schüler werden von Schulleitung

und Klassenleitern aufgefordert, sich über Bestandteile des Ganztageskon-zepts (z. B. Freizeitgestaltung, Rhyth-misierung, Mittagessen) konstruktiv kritisch zu äußern.

• Bewertung durch Team-Pin-Board

3.6 auswahl der Schülerschaft Berücksichtigung der Intention des Schü-lers, vor allem wenn Eltern- und Schüler-wünsche divergieren

• Nach Brümmer, Rollett und Fischer (2011) bewerten Schüler, die sich selbst aktiv für die generelle Teilnah-me am Ganztagsbetrieb entschieden haben, diesen auch positiver. So kann die Einbeziehung der Eltern-, aber vor allem auch der Schülerwünsche maßgeblich dazu beitragen, dass die Identifikation mit der Institution Schule auf beiden Seiten steigt.

Beispiele:• transparente Auswahlkriterien • Gespräche mit den Eltern und den

Schülern

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Aus unserer Werkstatt

Schulorganisation

4. Qualitätsstandards der Schulorganisation

4.1 leitung der Schuleaktive Mitwirkung an der Ganztagskon-zeption; regelmäßiger Austausch mit allen am Ganztag Beteiligten, Einbezie-hung der Interessen der Lehrkräfte, mög-lichst enge Absprache mit dem Koopera-tionspartner bezüglich der Auswahl des externen Personals

Beispiele:• Schülersprechstunde mit der Schullei-

tung• Schulvollversammlung/Schulforum

4.2 arbeit des kollegiums sowie der externen Partner respektvolle und professionelle Kommu-nikation zwischen Schule und außerschu-lischen Partnern, enge Kooperation der Lehrkräfte und des externen Personals

Beispiel:• regelmäßige Treffen mit klaren Ab-

sprachen

Im Unterpunkt „4.3 lebensraum Schule/Schulkultur“ werden neben den Basisstan-dards auch die Möglichkeiten der Weiterentwicklung aufgezeigt, da es sich bei der Ge-staltung des Lebensraums Schule um den Kernpunkt der Partizipation handelt.

Schülerpartizipation

Die aktive Einbeziehung der Schüler begründet eine lebendige Schulkultur. Junge Men-schen werden ernst genommen, übernehmen Verantwortung und gehen konstruktiv mit Konflikten um. Demokratie wird für sie erlebbar. Überfachliche Kompetenzen werden gefördert. Dies alles stärkt die Identifikation mit der eigenen Schule. Die nachstehende Übersicht bietet eine Auswahl an Stichpunkten, wie die Partizipation für Schüler im Un-terricht verwirklicht werden kann.

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Partizipation im Qualitätsrahmen der Ganztagsschulen

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basisstandards Möglichkeiten der Weiterentwicklung

kontinuierliche alters- und situationsge-rechte Schülerpartizipation: Mitwir-kung an der Weiterentwicklung und Um-setzung des Ganztagskonzepts

intensive Schülerpartizipation, z. B. > Schulorganisation Beteiligung an der Konzeptgestaltung

> Tutorensystem, Lernpatenschaften > Angebote von Schülern > Expertentraining (z. B. Pausenhelfer, Streitschlichter, „Umweltmanager“)

> systematische Beteiligungsformen wie Klassenrat, Schülerparlament, „Klas-senverträge“ etc.

> regelmäßige Abfrage und Einbezie-hung von Schülerwünschen und -vor-schlägen in die Ganztagskonzeption

> Wertschätzung der Schülerpartizipati-on, z. B. durch Zertifikate

beispiele für die umsetzung dieser Standards

Stärkung der Sozialkompetenz durch Partizipation:• Übertragung von Funktionen und Ämtern (z. B. Streitschlichter/Konfliktlotsen, Pro-

jekt „OWacht“ (Berufsbegleiter), Pausenhelfer, Schulsprecher, Schulsanitäter)• Jahrgangsmischung (gegenseitige Unterstützung der Schüler untereinander)• Arbeitsgruppen der Schule (z. B. Anti-Mobbing-Gruppe aus Schülern und Lehrern,

die gemeinsam eine Fortbildung besucht haben)• Klassenpartnerschaften (z. B. MS- und GS-Klassen oder andere Schulart)• Schülerpaten/-tutoren (für Übung und Freizeit), die Älteren weisen die Neuen ein• Vorlesen durch ältere Schüler in der Hauspause• Helfersystem in den Klassen• Unterstützergruppe für Schüler mit Behinderung im Rahmen der Integration• Leitung eigener Kurse durch Mentoren mit besonderen Fähigkeiten (z. B. Sport-

mentoren) • Service-Learning (als in die Gemeinde hineinstrahlendes Projekthandeln in Verbin-

dung mit Erfahrungslernen)

Page 36: EinblickE – AusblickE

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Aus unserer Werkstatt

Schülerpartizipation im Unterrichtsgeschehen:• eigenaktives und selbstständiges Lernen durch Wochenplan, Freie Arbeit, Arbeit

mit Kompetenzrastern etc.• differenzierter Unterricht• Erstellung eines individuellen Wochenarbeitsplanes für jeden Schüler zur Nutzung

der Studierzeiten• Klassen-Radio (für alle Klassen) • gemeinsames Besprechen des Tagesablaufs mit Fixierung im Klassenzimmer• gemeinsame Entwicklung von Regelsystemen

elternpartizipation

Die Mitwirkung von Eltern ist ein gewichtiger Erfolgsfaktor für Ganztagsschulen. Bedin-gungen hierfür sind, dass diese Partizipation alle Eltern umfasst und die Kooperation ak-tiv gelebt wird. Größere Transparenz und Verbindlichkeit von Vereinbarungen und Regeln sind die Folge.

basisstandards Möglichkeiten der Weiterentwicklung

Elternpartizipation: aktive Mitwirkung am Schulleben; enger und regelmäßi-ger Kontakt und Austausch zwischen Lehrkräften und Eltern; Transparenz der Lern- und Arbeitsergebnisse (auch die Entwicklung)

intensive Elternpartizipation, z. B. > aktive Mitgestaltung des Schullebens (z. B. Abfrage spezifischer Elternkom-petenzen)

> Mitwirkung an der Weiterentwicklung und Umsetzung des Ganztagskonzepts

> Stärkung der Erziehungsaufgabe und -kompetenz (z. B. durch zusätzliche thematische Elternabende)

> Ermöglichung von Einblicken in bestehenden Ganztagsbetrieb (z. B. „Schnuppertag“ vor der Anmeldung)

beispiele für die umsetzung dieser Standards

• Sprechtage, wöchentliche Elternbriefe, zahlreiche Elterngespräche • Homepage, Öffentlichkeitsarbeit• AG-Angebote: Infobrief über die AG-Angebote des nächsten Schuljahres (und

Voraussetzungen der Teilnahme, z. B. regelmäßiges Üben bei der Band-AG),• gemeinsame Fortbildungen von Eltern und Lehrern (z. B. Suchtprävention, Cyber-

Mobbing)• Bekanntgabe der Sequenzplanung• Mitteilungsheft/Schülerbegleitheft zur raschen Information über den Lernstand

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Partizipation im Qualitätsrahmen der Ganztagsschulen

Jahrbuch 2012

lehrerpartizipation und achtung der beteiligten

Die selbstständige und eigenverantwortliche Qualitätsentwicklung erhöht die Identifika-tion der Lehrkräfte mit der Institution Schule. Gemeinsame Zielsetzungen seitens Schul-leitung und Kollegium, die Mitarbeit an der Umsetzung des Ganztagskonzepts sowie die Professionalisierung der eigenen Arbeit wirken sich positiv auf das Selbstbild der Lehr-kräfte aus. Dies wird in folgenden Unterbereichen eingefordert:

lehrerpartizipation

• Mitwirkung an der Weiterentwicklung und Umsetzung des Ganztagskonzepts• Gemeinsame Abstimmungsprozesse von Zielen und Maßnahmen führen zu einer

Verbesserung der Qualität. Fachliche und überfachliche Fähigkeiten bei Schülern lassen sich in Kooperation besser fördern. Individuelle und soziale Benachteiligun-gen können durch intensive sozialpädagogische Begleitung gemildert, besondere Förderbedarfe besser berücksichtigt werden.

achtung der beteiligten (externe kooperationspartner)

• gegenseitige Wertschätzung der unterschiedlichen Kompetenzen und professio-nellen Sichtweisen von Kollegium und externem Personal; respektvoller Umgang, Empathie; Einladung zu Teambesprechungen, Feiern, Ausflügen (Intensivierung gegenseitiger Wertschätzung der Arbeit, z. B. Ausstellungen, Präsentationen der erarbeiteten Produkte)

beispiele für die umsetzung

• Austausch über das „Info-Portal“, Teilnahme an Lehrerkonferenzen• abgesprochenes pädagogisch-erzieherisches Konzept• Koordinator als Mittelsmann• Verlinkung pädagogischer Anliegen und Problemfelder aus Unterricht und

Nachmittagsbetreuung

fazit

Die Qualitätsentwicklung an Ganztagsschulen, die durch den Qualitätsrahmen ope-rationalisiert und strukturiert wird, fördert und fordert die Zusammenarbeit aller am Schulleben Beteiligten. Gleichzeitig unterstützt die aktive Teilhabe dieser Gruppen die kontinuierliche Weiterentwicklung der Qualität an der Ganztagsschule. So lässt sich ein doppelter Nutzen der Partizipation für qualitative Schulentwicklung konstatieren. Parti-zipation, begriffen als grundlegende Haltung und durchgängiges Prinzip, eröffnet viele Möglichkeiten zur Entwicklung verantwortlichen Handelns. Voraussetzungen hierfür sind

Page 38: EinblickE – AusblickE

38

Aus unserer Werkstatt

der kontinuierliche Aufbau von Partizipation, die klare Definition der Aufgaben sowie eine festgelegte Verteilung der Zuständigkeiten. Dazu gehört, dass die Kommunikation regelmäßig gepflegt wird und ein beidseitiger Nutzen erkennbar wird. Ein Mehr an Par-tizipation an Ganztagsschulen ist möglich, erfordert aber auch ein Mehr an Bereitschaft zur Teilhabe. Zwischen den Partizipationswünschen der Beteiligten und deren Partizipa-tionsmöglichkeiten besteht derzeit noch eine Kluft. Hier setzen die Qualitätsrahmen für die offene und gebundene Ganztagsschule an – auch mit dem Ziel, den Partizipations-prozess entscheidend zu verbessern und zu intensivieren.

literaturBrümmer, F./Rollett, W. & Fischer, N. (2011): Prozessqualität der Ganztagsangebote aus Schüler-

sicht – Zusammenhänge mit Angebots- und Schulmerkmalen. In: Fischer, N./Holtappels, H.G./

Klieme, E./Rauschenbach, T./Stecher, L./Züchner, I. (Hrsg.): Ganztagsschule: Entwicklung, Qualität,

Wirkungen: Längsschnittliche Befunde der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG).

Weinheim: Juventa, S. 162-186.

Burow, O.-A. (2008): Partizipation als unterschätzte Ressource der Ganztagsschulentwicklung – The-

oretischer Hintergrund und praktische Verfahren. In Mitwirkung! Ganztagsschulentwicklung als

partizipatives Projekt. Themenheft 10.

Wiere, A. (2011): Warum Ganztagsschule? Rekonstruktion einer bildungspolitischen Kampagne.

In: Gängler, H./Markert, T. (Hrsg.): Vision und Alltag der Ganztagsschule. Weinheim: Juventa, S.

13-23.

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (2012): Qualitätsrahmen für offene und ge-

bundene Ganztagsschulen in Bayern (unter: www.ganztagsschulen.bayern.de)

Sturzenhecker, Benedikt (2005): Begründungen und Qualitätsstandards von Partizipation – auch für

Ganztagsschule. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Kiste

– Bausteine für die Kinder- und Jugendbeteiligung. Berlin. Züchner, I. & Arnoldt, B. (2011): Schu-

lische und außerschulische Freizeit- und Bildungsaktivitäten. Teilhabe und Wechselwirkungen. In:

Fischer, N./Holtappels, H.G./Klieme, E./Rauschenbach, T./Stecher, L./Züchner, I. (Hrsg.): Ganztags-

schule: Entwicklung, Qualität, Wirkungen: Längsschnittliche Befunde der Studie zur Entwicklung

von Ganztagsschulen (StEG). Weinheim: Juventa, S. 267-290.

Page 39: EinblickE – AusblickE

39

MehrWert Demokratie – Demokratie (er)leben am Lernort Schullandheim

Jahrbuch 2012

MehrWert deMokratiedeMokratie (er)leben aM lernort SchullandheiM

Ansgar Stich, ISB – Abt. Gymnasium

kinder und Jugendliche haben das bedürfnis nach Partizipation; der Wunsch mitzureden und mitzumachen, ist teil der Sozialisation. das Projekt MehrWert demokratie soll bei kindern und Jugendlichen eine demokratische Werthaltung fördern, indem die fähigkeit sowie die bereitschaft zur Partizipation gestärkt werden. Ziel sind sowohl das grundsätzliche engagement für die demokratie als auch die konkrete ermutigung zur aktiven teilnahme am demokratischen leben. dies umfasst jedes ehrenamtliche engagement, v. a. im sog. „vorpoli-tischen raum“, aber auch in Jugendorganisationen demokratischer politischer Parteien. Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels sind einwöchige kurse mit unter-schiedlichen themenschwerpunkten, die an neun bayerischen Schullandheim-Standorten entwickelt und dauerhaft etabliert werden und sich an kinder und Jugendliche ab acht Jahren richten. Mitwirken können sowohl Schulklassen aller Schularten als auch Jugendgruppen von Vereinen und Verbänden.

idee

„Nie mehr ist man so aufnahmefähig wie in der Jugend. Was dort grundgelegt wird, hält ein Leben lang. Das gilt auch für jene Voraussetzungen und Werte, ohne die Demokratie schlicht nicht möglich wäre: Überzeugungen und Konventionen etwa, ein Bewusstsein für Formen und Institutionen, für Vernunft, Verlässlichkeit, Toleranz und Gesetzestreue. Zwar erscheint uns die Demokratie heute als Selbstverständlichkeit. Aber sie ist es nicht. Denn die Werthaltungen und Verhaltensweisen, auf denen sie beruht, müssen von jeder Generation neu erlernt und verinnerlicht werden. Wo könnte das besser geschehen als in der Schule oder – noch intensiver – im Schullandheim?“ (Grußwort der Schirmherrin des Projekts Frau Barbara Stamm, MdL, Präsidentin des Bayerischen Landtags)

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Aus unserer Werkstatt

Im Gegensatz zu autoritären Staatsformen ist die Demokratie darauf angewiesen, dass diejenigen, die in ihrer politischen Ordnung leben, diese anerkennen und an ihr partizi- pieren. Auch die historische Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik zeigt die Notwendigkeit, dass die Demokratie von den Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen und verteidigt werden muss.

Abb. 1: Logo des Projekts

Grundsätzlich findet die Demokratie als überzeugendste Staatsform im größten Teil der deutschen Gesellschaft Zustimmung. Allerdings kann man in breiten Teilen der Bevölke- rung Vorbehalte gegenüber konkreten Erscheinungsbildern und Funktionsweisen der repräsentativen Demokratie feststellen, die zu „Politikverdrossenheit“ und damit auch zu Verzicht auf Partizipation führen können.

Diese Vorbehalte können durch tatsächliche Mängel und Unzulänglichkeiten demokratischer Praxis verursacht sein, beruhen aber vielfach auch auf unklaren Vorstel-lungen vom politischen Prozess. Aufklärung und politische Bildung sind daher entschei-dende Voraussetzungen für eine lebendige und funktionierende Demokratie. Wer weiß, wie demokratische Prozesse ablaufen und welche unterschiedlichen Möglichkeiten der Einflussnahme für den Einzelnen bestehen, hat umso mehr Grund, die Ordnung, in der er lebt, zu schätzen und mitzugestalten.

Bei einer solchen Aufklärung kann es gerade im Hinblick auf Kinder und Jugendliche nicht nur um kognitive Wissensvermittlung gehen wie zum Beispiel um die alleinige Erklärung von Zusammenhängen institutionalisierter Politik. Vielmehr spielen auch ganz grundsätz- liche Werthaltungen eine gewichtige Rolle. Der Einzelne kann als Gemeinschaftswesen nicht ohne den anderen existieren, zugleich aber benötigt die Gemeinschaft den Einsatz des Einzelnen. Dies alles berührt Fragen der politischen Kultur und umfasst damit nicht nur jede Form des menschlichen Zusammenlebens, sondern auch die Menschenrechte, insbesondere die unantastbare Würde eines jeden Menschen.

Die Werthaltung des Respekts vor diesen Grundlagen sollen Kinder und Jugendliche so früh wie möglich nachvollziehen, sich aneignen und im Leben anwenden. Dazu lernen

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MehrWert Demokratie – Demokratie (er)leben am Lernort Schullandheim

Jahrbuch 2012

sie, sich als verantwortliche Individuen zu begreifen, die ihre persönlichen Anliegen in Au-seinandersetzung mit den sozialen Systemen, deren Teil sie sind, entwickeln und vertreten.

Dieser Zugang setzt vor allem auf einer emotionalen Ebene an. Die Kinder und Ju-gendlichen erfahren, dass das Zusammenleben auf demokratischer Grundlage sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft gewinnbringend und sinnvoll ist. Zu- gleich werden auf einer kognitiven Ebene auch konkrete Strukturen der demokratischen politischen Ordnung erlernt und konkrete Möglichkeiten der Partizipation besprochen und erprobt. Hier ist je nach Alter und Zusammensetzung der Gruppen von ganz unter-schiedlichen Ansätzen auszugehen, die sich thematisch von den Bereichen Familie und Schule über kommunale und zivilgesellschaftliche Mitwirkungsmöglichkeiten bis hin zu landespolitischen Institutionen erstrecken.

Ein weiteres Ziel ist die Ausbildung demokratischer Kernkompetenzen. Dazu gehören nicht nur das Wissen um die Möglichkeiten der Teilhabe, sondern auch die Fähigkeiten und die Bereitschaft, sie zu verwirklichen, insbesondere die eigenen Interessen und An-liegen zu erkennen, sie für andere nachvollziehbar zu artikulieren und sie in kommunika-tiver Auseinandersetzung mit anderen zu vertreten.

realisierung

Adressaten

Das Projekt richtet sich an Kinder und Jugendliche ab acht Jahren. Teilnehmen können sowohl Schulklassen aller Schularten als auch Jugendgruppen verschiedener Vereine und Verbände.

Beteiligte am Projekt

Folgende Wertebündnispartner sind an diesem Projekt beteiligt:

• Bayerische Staatsregierung• Bayerischer Landtag • Bayerischer Realschullehrerverband• Bayerisches Schullandheimwerk e.V.• Bund der Vertriebenen Bayern e.V.• Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Bayern e.V.• Jugendfeuerwehr Bayern im Landesfeuerwehrverband Bayern e.V.• Katholische Erziehergemeinschaft in Bayern e.V.• Landeselternverband Bayerischer Realschulen e.V.

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Aus unserer Werkstatt

Die fachliche Beratung erfolgt durch die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungs- arbeit und das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung. Die wissenschaftli-che Begleitung übernimmt das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) der Lud-wig-Maximilians-Universität München, diese beinhaltet v. a. eine Evaluation des Projekts.

Standorte

Der Schullandheimaufenthalt erreicht jenseits von Stundentafeln und Lehrplänen junge Menschen aller Schularten und Altersstufen. Er ist besonders geeignet, neben der Vermitt- lung theoretischen Wissens das praktische Erfahren demokratischer Umgangsformen er-lebbar zu machen. Nicht nur ein Thema steht im Mittelpunkt dieser Aufenthalte, sondern das Erleben von Gemeinschaft. Hier kann also das bei aller Politikverdrossenheit stark spürbare gegenläufige Bedürfnis nach Partizipation konkret gelebt werden. Kinder und Jugendliche entwickeln ein Gefühl für eine demokratische Kultur des Zusammenlebens, sie erfahren Demokratie nicht nur als Staatsform, sondern als Lebensform.

An folgenden Schullandheimstandorten finden Erprobungsaufenthalte mit unterschiedli-chen thematischen Schwerpunkten statt:

Partizipation in Familie

und Schule

Partizipation und

bürgerschaftliches

Engagement

Partizipation und

Kommunalpolitik

Partizipation und

Landespolitik

Partizipation und Europa

Partizipation und

Extremismus

Partizipation in

zeitgeschichtlicher

Perspektive

Abb. 2: Standorte und thematische Schwerpunkte

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MehrWert Demokratie – Demokratie (er)leben am Lernort Schullandheim

Jahrbuch 2012

Basismodul

Das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung hat gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit ein Basismodul entworfen, welches die Grundlage für die vor Ort zu entwickelnden Wochenmodelle bildet. Dessen Inhalte soll-ten in allen Modellen zu einem großen Teil aufgegriffen werden, um eine vergleichbare Fundierung der Inhalte an allen Standorten zu gewährleisten. Das Basismodul gliedert sich in folgende sechs Abschnitte, die jeweils theoretisch-fachlich eingeführt und dann mit konkreten methodisch-didaktischen Vorschlägen angereichert werden:

1. Menschenbild2. Der Einzelne und die Gruppe3. Grundrechte und Verfassung4. Wahlen5. Gesprächskultur und Konfliktaustragung 6. Information und Öffentlichkeit

Organisationsstruktur

Die Leitung des Projekts wird durch die „AG Partizipation“ wahrgenommen. In ihr sind alle am Projekt beteiligten Wertebündnispartner, die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung und das Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft vertreten. Federführend ist das Bayerische Schullandheimwerk.

Die Themenschwerpunkte an den einzelnen Standorten werden von sogenannten Stand-ortgruppen betreut. Diese setzen sich zusammen aus der Teamleitung, zumeist erfahrene örtliche Lehrkräfte, die auch auf Vermittlung des ISB ausgesucht wurden, der Vertretung des Schullandheims, der Projektpartner bzw. Projektpartnerinnen sowie weiteren Exper-tinnen und Experten. Aufgabe der Standortgruppen ist es, das jeweilige Wochenmodell unter Berücksichtigung des Basismoduls zu erarbeiten und in zwei Durchläufen zu er-proben. Außerdem sind der Austausch und die Zusammenarbeit mit Einrichtungen und Fachleuten aus der näheren Umgebung des Standortes vorgesehen.

Evaluation

Die Evaluation wird durch die „Akademie Führung & Kompetenz am Centrum für ange-wandte Politikforschung München“ vorgenommen. Diese arbeitet nach dem Ansatz ei-ner Partizipativen evaluation, bei der es darum geht, bereits vor der eigentlichen Um-

Page 44: EinblickE – AusblickE

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Aus unserer Werkstatt

frage die Sichtweisen aller Betroffenen (der „Stakeholder“) einzubeziehen. Das Staats- institut für Schulqualität und Bildungsforschung bildet gemeinsam mit der Landes-zentrale für politische Bildungsarbeit und der Bayerischen Staatskanzlei die Gruppe der „Auftraggeber-Stakeholder“. Das Verfahren der Partizipativen Evaluation soll ebenso zielführende Fragen für die Umfrage wie tatsächlich praxisrelevante Ergebnisse erzeugen. Hierzu wird zunächst die zentrale Ausgangsfrage mit den Auftraggebern abgesprochen, die bei diesem Projekt lautet: Was macht die Wochenmodelle zu eindrucksvollen Veranstaltungen für die teilnehmenden? Im Rahmen eines „Stakeholder-Wokshops“ werden Fragen entwickelt, die diese Ausgangsfrage konkretisieren, und es werden In-dikatoren ermittelt, mit Hilfe derer man das Erreichen der Ziele überprüft. Insgesamt werden spezifische Qualitätskriterien der Erprobungsdurchgänge der Schullandheimpro-gramme aufgestellt.

Die derart entwickelten Umfragen finden am Ende des ersten Erprobungsaufenthalts unter den Teilnehmenden statt und die gewonnenen Erkenntnisse fließen in die zweite Durchführung von Erprobungsaufenthalten ein. Insgesamt erhofft man sich davon eine optimale Qualitätssicherung der Schullandheimaufenthalte.

Perspektive

Ziel im Sinne der nachhaltigkeit ist es, die entwickelten und erprobten Wochenkurse nach Projektende dauerhaft an den einzelnen Standorten zu etablieren und damit das Angebot der Schullandheime für Schulklassen und Jugendgruppen um einen attrak-tiven und wichtigen thematischen Schwerpunkt zu erweitern. Eine entscheidende Rolle kommt dabei den vor Ort zu schaffenden Netzwerken aus Einrichtungen, Organisationen und Fachleuten zu.

Die Wochenkurse im Schullandheim sind nicht isoliert zu sehen. Vielmehr sollen die Grup-pen mit ihren Lehrkräften sowie Betreuern und Betreuerinnen, die an einem solchen Kurs teilgenommen haben, motiviert werden, die gewonnenen Erkenntnisse, gesammelten Erfahrungen und erworbenen Kompetenzen an ihrer Heimatschule bzw. ihrem Heimatort in konkrete Praxis umzusetzen und sich eigene Betätigungsfelder für demokratische teilhabe und demokratisches engagement zu suchen.

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Schulbegleitung als Chance zur Teilhabe am Unterricht

Jahrbuch 2012

Schulbegleitung alS chance Zur teilhabe aM unterricht

Dr. Ellen Kunstmann/Thomas Miller, ISB – Abt. Grund-, Mittel- und Förderschulen

Schulbegleiter unterstützen kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem förderbedarf und/oder behinderung in unterricht und Schulleben, sie sichern so deren recht auf teilhabe am leben in der gemeinschaft. interessant ist nach-zuvollziehen, wie die implementierung einer unterstützungsmaßnahme durch entsprechende empfehlungen der zuständigen Ministerien gesteuert wird.

Problemstellung

Schulbegleitung hat das Ziel, behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern und Jugendlichen eine angemessene Schulbildung zu ermöglichen. Als einzelfallbezogene, ambulante Maßnahme der Eingliederungshilfe sichert sie deren Recht auf Teilhabe am Unterricht und Schulleben in allgemeinen Schulen und Förderschulen. Seit 2008 ist dabei eine stetige, z. T. erhebliche Zunahme an bewilligten Maßnahmen zu beobachten. So hat sich laut Stellungnahmen von Bezirken, Städte- und Landkreistag auf der Experten-anhörung des Bayerischen Landtags vom 31.01.2013 allein zwischen 2011 und 2012 die Anzahl von Schulbegleitungen von insgesamt ca 3.050 Fällen auf ca. 3.400 Fälle erhöht. Die angesichts dieser anhaltenden Tendenz aufgeworfenen Fragen nach Ursachen, Fi-nanzierbarkeit, Zuständigkeit und der Veränderung von Rahmenbedingungen zu klären, bleibt dabei den kostentragenden örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgern sowie den Verantwortlichen für Sozial-, Bildungs- und Haushaltspolitik überlassen. Gleichwohl sehen sich die Schulen vor Ort vermehrt mit Herausforderungen im Zusammenhang mit Schulbegleitung konfrontiert, die schulrechtliche, schulorganisatorische, konzeptionelle und pädagogische Bereiche berühren.

Page 46: EinblickE – AusblickE

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Aus unserer Werkstatt

Auf dieser Ebene stellen sich beispielsweise folgende Fragen:

1. Welche Aufgaben können Schulbegleitungen übernehmen?2. Wie können sie ihrem Auftrag gemäß an der Schule eingesetzt werden?3. Wann und wie kann eine Schulbegleitung beantragt werden?4. In welcher Form soll die Zusammenarbeit mit Kostenträger, Schulbegleiter, Eltern,

Leistungsträger,… erfolgen?5. Wie können organisatorische Abläufe beim Einsatz von Schulbegleitern optimiert

werden?

Zur Sicherheit und Klarheit sollen hier die gemeinsamen Empfehlungen zum Einsatz von Schulbegleitern des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und der zuständigen Spitzenverbände der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger beitragen, die unter Mitwirkung des ISB erarbeitet wurden.

empfehlungen zur Schulbegleitung junger Menschen: ein Werkstattbericht

Schulbegleitung erfordert eine enge Kooperation zwischen Schule und dem zuständigen Sozialhilfeträger (Jugendamt, Bezirk). Bereits 2008 (Einsatz von Integrationshelfern/innen an Grund- und Hauptschulen…) bzw. 2009 ( Einsatz von Schulbegleitern/innen an För-derschulen…) erschienen deshalb erste gemeinsame Empfehlungen des StMUK und des Verbandes der bayerischen Bezirke. Diese wurden ab 2011 unter fachlicher und redak-tioneller Mitwirkung des ISB überarbeitet und im April 2012 veröffentlicht. Wesentliche Intention war dabei eine präzisere Beschreibung der Aufgabenbereiche, die Schulbeglei-tung in der Unterstützung für den betroffenen Schüler in Unterricht und Schulleben zu übernehmen habe. Da sich gerade im Hinblick Maßnahmen an Förderschulen – bezogen auf betroffene Schüler – eine eindeutige, operationalisierbare Abgrenzung der Aufgaben des Schulbegleiters von denen der Lehr- und Pflegekräfte nur schwer möglich erwies, werden hier in weiteren Arbeitssitzungen unter Einbeziehung von Schulleitungen prakti-kablere Lösungsansätze gesucht.

Analog wurde Ende 2012 eine Redaktionsgruppe einberufen, die eine Vorlage zum Ein-satz von Schulbegleitern bei der Beschulung von Schülern mit drohender seelischer Be-hinderung an allgemeinen Schulen und Förderschulen erstellen sollte. Beteiligt waren folgende Personengruppen: Vertreter des Kultus- und des Sozialministeriums, Leiter von Jugendämtern, Verteter der Bayerischen Bezirke, des Landkreistags und einzelner Regie-rungen. Der ISB-Referent nahm an den Beratungssitzungen teil und erstellte Textvorla-gen für die Endfassung. Die Implementierung dieser Empfehlungen geschieht über die zuständigen Jugendämter und Schulabteilungen der Regierungen.

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Schulbegleitung als Chance zur Teilhabe am Unterricht

Jahrbuch 2012

rechtliche aspekte

Schulbegleitung basiert im Wesentlichen auf zwei unterschiedlichen gesetzlichen Grund-lagen:

Schulbegleitung als Eingliederungshilfe für Menschen mit Behin-derung nach § 54 Sozialgesetzbuch XII (Sozialhilfe)

Schulbegleitung wird hier im Rahmen der „Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, ins-besondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schu-len“ (§ 54 Abs. 1 Satz 1) gewährt. Die überwiegende Anzahl der derzeit laufenden Maß-nahmen an allgemeinen Schulen und Förderschulen begründet sich aus diesem Anspruch. Voraussetzung für die Gewährung ist, dass im Sinne des SGB IX beim Betroffenen eine Be-hinderung vorliegt oder er von einer Behinderung bedroht ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1, SGB IX). Zuständig für die Bewilligung sowie Kostenträger für die Maßnahmen zur Schulbegleitung auf dieser Rechtsgrundlage sind in Bayern als überörtliche Sozialhilfeträger die Bezirke.

Schulbegleitung als Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a Sozialgesetzbuch VIII (Kinder- und Jugendhilfe)

Von Art und Umfang her lehnen sich die Leistungen an die Bestimmungen des SGB XII an (§ 35a Abs. 3 SGB VIII). Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche besteht, wenn „ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und […] daher ihre Teil-habe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist“ (§ 35a Abs.1 Satz 1f). Kinder und Jugendliche mit Asperger-Autismus, ADHS, extrem herausfordernden Verhaltensweisen oder psychosozialen Auffälligkeiten seien hier beispielhaft als mögliche Zielgruppe genannt. Die Feststellung des Hilfebedarfs und die Erstellung eines Hilfeplans sowie die Kostentragung obliegen in Bayern den örtlichen Sozi-alhilfeträgern, konkret den Jugendämtern der Landkreise bzw. der kreisfreien Städte.

Schulbegleitung stellt somit eine auf sozialrechtlichen Grundlagen organisierte und fi-nanzierte Maßnahme dar, die jedoch im schulischen Rahmen stattfindet. In diesem Zu-sammentreffen von Sozialgesetzgebung und Schulrecht liegen viele „Unklarheiten beim Einsatz von Schulbegleitern“ (Hasselmeyer 2010, 114) begründet. Grundsätzlich gilt zu beachten, dass Schulbegleiter lediglich sozialrechtliche und keine schulischen Aufgaben

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Aus unserer Werkstatt

übernehmen dürfen, sie können jedoch „personell oder auch fachlich (etwa bei me-dizinischen Hilfestellungen) helfen, die Erziehung und Unterrichtung [von betroffenen Schülern] zu gewährleisten“ (Hasselmeyer 2010, 114). In Einzelfällen kann sich eine Schulbegleitung auch aus der Notwendigkeit einer umfassenden medizinischen Behand-lungspflege (SGB V, §37) begründen (Horcheimer 2012, 26).

Weitere rechtliche Grundlagen, die den Anspruch auf Schulbegleitung rechtfertigen:

• UN-Konvention zum Schutz der Rechte behinderter Menschen Artikel 24• Grundgesetz Artikel 3 Absatz 3 Satz 2• Eingliederungshilfeverordnung (nach SGB XII) § 12

aufgaben des Schulbegleiters

Einzelfallbezogen variieren die Aufgabenbereiche des Schulbegleiters. Zudem hat sich in den einzelnen regionalen und örtlichen Verantwortungsbereichen eine unterschiedliche Praxis im Umgang mit Schulbegleitung entwickelt. In Anlehnung an Britze (2012, 4) las-sen sich jedoch drei wesentliche Aufgabenbereiche unterscheiden:

• Unterricht (einschließlich Praktika,…)• Schulleben (Pausen/Schulausflüge/Schulfeste,…) • regelmäßige Kooperation und Kommunikation mit Schule, Eltern, ggf. Jugendamt,

Maßnahmeträgern,…

Grundsätzlich gilt zu beachten, dass der Schulbegleiter dem einzelnen Schüler und nicht der Schülergruppe zugeordnet ist. Er übernimmt Unterstützungsmaßnahmen, um sei-nen individuellen Unterrichtserfolg sicherzustellen. Die Verantwortung für Planung und Durchführung des Unterrichts liegt allerdings ausschließlich bei der Lehrkraft. Ziel der Maßnahme für den Schüler sollte immer sein, sich von der Unterstützung des Schulbe-gleiters unabhängig zu machen.

Praxisbeispiele für den Einsatz von Schulbegleitungen:

• Hilfestellung bei der Begegnung mit Mitschülern mit dem Ziel der Integration in den Klassenverband

• Stärkung der aktiven Mitwirkung im Unterricht• Lenkung der Aufmerksamkeit• Sicherstellung des Aufgabenverständnisses und Anpassung von Aufgabenstellungen

gemäß den Vorgaben der Lehrkräfte• Unterstützung im emotionalen und sozialen Bereich im Sinne der Prävention und

Intervention bei Selbst- und Fremdgefährdung

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Schulbegleitung als Chance zur Teilhabe am Unterricht

Jahrbuch 2012

• Unterstützung bei der Kommunikation (z. B. im Rahmen Unterstützter Kommunikation)• Stärkung eines positiven Sozialverhaltens• Strukturierung von unterrichtlichen Aufgaben und Zeiträumen• Unterstützung von Regelakzeptanz und Aufbau von Eigenkontrolle• Prävention von Konflikten, Krisenintervention und Deeskalation• Hilfen zur Mobilität• einzelpflegerische Tätigkeiten zur Alltagsbewältigung

Die Schule muss den Einsatz des Schulbegleiters genehmigen; sie hat das Hausrecht. Die Lehrkraft ist weisungsbefugt gegenüber dem Schulbegleiter im Hinblick auf pädago-gische, methodisch-didaktische sowie organisatorische Belange. Der Schulbegleiter hat über Angelegenheiten, die ihm während der Tätigkeit in der Schule bekannt geworden sind, Verschwiegenheit zu bewahren.

bewilligungsverfahren

Eine Schulbegleitung muss von Eltern, Sorgeberechtigten bzw. vom volljährigen Schüler selbst mit Hilfe eines Antrags auf Eingliederungshilfe beim voraussichtlich zuständigen Leistungsträger (Jugendamt, Bezirk) beantragt werden. Eine enge Abstimmung zwischen Schule und Eltern ist dabei von besonderer Bedeutung: Zum einen bedarf der Einsatz eines Schulbegleiters grundsätzlich der Zustimmung der Schulleitung (bei privaten Schu-len auch der des Schulträgers). Zum anderen kann es nur unter Berücksichtigung der Erfahrungen und Wahrnehmungen aller Beteiligten gelingen, einen Vorschlag über Ziel-setzung, Aufgaben und Umfang der Schulbegleitung als Grundlage für den Antrag zu entwickeln.

Dem Antrag beizufügen sind in der Regel ein ärztliches bzw. fachärztliches Gutachten sowie die Stellungnahme der Schule. Von Seiten der Schule muss dabei aufgezeigt wer-den, welche personellen und pädagogischen Maßnahmen für den betroffenen Schüler bisher ergriffen wurden.

Bewilligung und endgültige Festlegung des Hilfebedarfs obliegen allein dem jeweils zuständigen Sozialhilfeträger. Als Grundlage für seine Entscheidung kann er dabei auf Stellungnahmen weiterer Personen oder Institutionen zurückgreifen. Ggf. kann er in Ab-sprache mit der Schulleitung Hospitationen durch eigenes Fachpersonal im schulischen Umfeld durchführen lassen, um den Hilfebedarf des Kindes und Jugendlichen vor Ort ermitteln zu können.

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Aus unserer Werkstatt

Aufgrund der fachlichen Unterstützung und Anbindung der Schulbegleiter wird von Sei-ten der Sozialhilfeträger inzwischen weitgehend empfohlen, die Maßnahme über einen regionalen Leistungsanbieter zu organisieren.

Wie Schulbegleitung gelingen kann

Die vertrauensvolle und regelmäßige Zusammenarbeit zwischen Schulbegleiter, Lehrkraft und Eltern ist die Grundlage für das Gelingen der Integration des Kindes in den Klassen-verband und für individuelle Lernfortschritte. Klare Absprachen dieses „Teams“ geben auch dem Schüler die notwendige Sicherheit und Orientierung.

Folgende Maßnahmen können erfolgreiches Lernen beim Schüler unterstützen:

• Ausführliche Einführung des Schulbegleiters durch die Lehrkraft und die Eltern: Wie war die bisherige Entwicklung des Schülers in den Bereichen Lernen und Verhalten? Wo sind besondere Vorlieben und Stärken des Schülers? Wir wurde bisher mit Ver-haltensbesonderheiten umgegangen?

• Orientierung am Förderplan des Schülers: Wie sehen die konkreten Förderziele für den Schüler aus? Mit welchen Maßnahmen und Methoden werden sie umgesetzt? Gibt es zusätzliche externe Kooperationspartner wie Psychologen, Physiotherapeuten usw.?

• Klare Aufgaben- und Rollenverteilung: Die Lehrkraft ist ausschließlich für den Unter-richt und den Lernprozess verantwortlich, der Schulbegleiter versucht dem Schüler die Teilhabe am Unterricht zu ermöglichen.

• Regelmäßiger Austausch zwischen Lehrkraft und Schulbegleiter

Unterstützung bei der Frage über Notwendigkeit, Zielsetzung und Ausgestaltung einer Maßnahme zur Schulbegleitung bieten die Überarbeiteten Gemeinsamen Empfehlungen des Verbandes der bayerischen Bezirke und des Bayerischen Staatsministeriums für Un-terricht und Kultus (siehe Literaturverzeichnis) zum Einsatz von Schulbegleitern an allge-meinen Schulen (StMUK 2012a) und an Förderschulen (StMUK 2012b). Entsprechende Empfehlungen für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe befinden sich in Vorbereitung.

handlungsbedarf und offene fragen

Die Genehmigung und Finanzierung eines Schulbegleiters geschieht auf sozialrechtlichen Grundlagen, ihr Einsatz findet dagegen in schulrechtlichen Bezügen statt. Die starke Zu-nahme der Kosten für die Jugendämter und Bezirke führt bei den Kostenträgern zu der

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Schulbegleitung als Chance zur Teilhabe am Unterricht

Jahrbuch 2012

Frage, wie Schule unter Einsatz schulischer Mittel inklusiv gestaltet und organisiert wer-den kann. Gleichzeitig wird auf Seiten der Schule die Frage aufgeworfen, wie das einzel-fallbezogene Instrument der Schulbegleitung sinnvoll und nachhaltig in das System Schu-le integriert werden kann, um gleichzeitig dem individuellen Unterstützungbedarf des Betroffenen Rechnung zu tragen und den Ansprüchen der Mitschüler gerecht zu werden.

Schulbegleiter erfüllen ihren konkreten Auftrag in einem Spannungsfeld: Sie leisten indi-viduelle Unterstützung für den einzelnen Schüler in einem Bildungs- und Erziehungssys-tem, welches sich in klassenbezogenen Angeboten realisiert.

Unnötige Reibungsverluste können hier minimiert werden, wenn es den Verantwortli-chen gelingt, verlässliche Rahmenbedingungen zu etablieren und Lösungsansätze für folgende Fragestellungen zu finden:

Einsatz im Unterricht

• Wie muss Schulbegleitung gestaltet werden, damit sie nicht stigmatisierend für das betroffene Kind wirkt und dadurch die Integration geradezu behindert?

• Kann der Schulbegleiter auch zur Unterstützung anderer Schüler eingesetzt werden?• Wäre zusätzliches schulisches Personal nicht sinnvoller als der zunehmende Einsatz

von nicht qualifizierten Schulbegleitern?

Qualifizierung

• Wie kann der Schulbegleiter im Hinblick auf das komplexe Aufgabenfeld einer Assis-tenz im Bildungsbereich vorbereitet werden?

• Wie kann der Schulbegleiter im Hinblick auf den spezifischen Förderbedarf des Schü-lers qualifiziert werden?

• Wie können Lehrkräfte für die Anleitung und Aufgabenbereiche von Schulbegleitun-gen qualifiziert und sensibilisiert werden?

Organisation

• Wie lässt sich im Zusammenwirken von Schule, Kosten- und Maßnahmeträger die notwendige Qualifikation eines Schulbegleiters abschätzen?

• Ist zur Gewährung des Schulbegleiters durch die Kostenträger Unterrichtshospitation zur Beobachtung des Schülers sinnvoll?

• Wie wird mit der Weisungsbefugnis für den Schulbegleiter umgegangen?

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Aus unserer Werkstatt

• Wie werden Mitschüler, die Eltern und das Kollegium sensibilisiert und informiert?• Sind organisatorische Klärungen wie Umgang mit Krankheitsausfällen, Auskunfts-

pflicht, Pausenzeiten der Schulbegleitung, Teilnahmemöglichkeiten an Teamsitzun-gen möglich?

• Wie kann Einbindung in Schule und Unterricht gelingen bei weiterführenden Schul-arten: Wer ist Ansprechpartner für Schulbegleitung? Wie werden gemeinsame Ziel-setzungen und Verfahrensweisen festgelegt?

• Wer klärt Konflikte bei unterschiedlichem Aufgaben- und Rollenverständnis und möglichen Grenzüberschreitungen von Schulbegleiter und Lehrkraft?

ausblick

Auch nach Erscheinen der Empfehlungen für den Einsatz von Schulbegleitern werden be-troffene Schulen der Herausforderung gegenüberstehen, Schulbegleitung in die Zusam-menhänge und Abläufe des eigenen Schulalltages zu integrieren. So gilt es pragmatische Lösungen zu Fragen von Arbeitszeit-, Pausen-, Zugangsregelungen u. v. m. zu finden. Auch sind Aufgaben und Verantwortungsbereiche eindeutig zu klären sowie effektive und nachhaltige Formen der Kooperation zwischen Schüler – Lehrkraft – Schulbegleiter – Eltern zu entwickeln, die für die jeweilige Schule passend erscheinen. Eine wesentliche Aufgabe wird sicher auch darin bestehen, die Maßnahme in einer Weise in der betrof-fenen Schulfamilie zu kommunizieren, dass sowohl der Gefahr einer Stigmatisierung als auch der Missdeutung als unberechtigte Vorteilsgewährung begegnet wird. Durch pra-xisnahe Umsetzungshilfen, die schrittweise auf dem ISB-Portal Inklusion veröffentlicht werden, will das ISB den Schulen Unterstützung bei der Umsetzung dieser Maßnahme anbieten. Erfahrungsberichte von Schulen mit Erfahrungen im Umgang mit Schulbeglei-tern können bei auftretenden Problemen Anregungen geben.

Grundlegende Informationen sowie erste Hinweise für eine gelingende Einbindung ei-ner Schulbegleitung in Schule und Unterricht liefert bereits der 2011 erschienene MSD-Infobrief Autismus-Spektrum-Störung A 5 mit dem Titel „.Gelingensfaktoren für Schul-begleitung“.

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Schulbegleitung als Chance zur Teilhabe am Unterricht

Jahrbuch 2012

literaturLernen konkret: Schulbegleitung – geeignete Assistenz im Bildungssystem? Westermann, Braun-

schweig. 4/2012

Britze, H.: Schulbegleitung als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe. In: Zentrum Bayern, Familie und

Soziales. Bayerisches Landesjugendamt: Mitteilungsblatt 3-4: 2012, 1-15

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung: Gelingensfaktoren für Schulbegleitung. Mo-

bile Sonderpädagogische Dienste. Inforbirefe Autismus-Spektrum-Störung. Heft 5. München

2011

Primbs, Ch.: Ein Schulbegleiter für jedes behinderte Kind – In: http://www.inklusive-schule-bayern.

de/upload/files/Inklusionsinfo_Schulbegleiter2012.pdf [25.03.13]

Hasselmeyer, T.: Schulbegleitung als Inklusionshilfe. In: Metzger, K., Weigl, E. (Hrsg.): Inklusion – eine

Schule für alle. Modelle – Positionen – Erfahrungen. Berlin 2010

Horchheimer, F.: Anstellung und Vergütung von Schulbegleitern. In: Lernen Konkret H4 (2012),

26-27

VdbB; StMUK (Verband der bayerischen Bezirke; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und

Kultus) (2012a): Einsatz von Schulbegleitern an allgemeinen Schulen (Regelschulen) bei der

Beschulung von Schülern/innen mit Behinderung. Online verfügbar unter: http://www.schulbe-

ratung.bayern.de/imperia/md/content/schulberatung/pdfmuc/dienstinformation/inklusion1_ge-

meinsame_empfehlungen_f_r_den_einsatz_von_schulbegleitern_an_regelschulen.pdf [25.03.13]

VdbB; StMUK (Verband der bayerischen Bezirke; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und

Kultus) (2012b): Einsatz von Schulbegleitern/innen an Förderschulen bei der Beschulung von

Schülern/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. München 2012. Online verfügbar unter:

http://www.schulberatung.bayern.de/imperia/md/content/schulberatung/pdfmuc/schulinforma-

tion/inklusion_gemeinsame_empfehlungen_f_r_den_einsatz_von_schulbegleitern_an_foerder-

schulen.pdf [25.03.13]

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Aus unserer Werkstatt

berufSSPrache deutSch –SPrachlich fit iM beruf!

Ein Projekt zur Förderung der beruflichen Sprach-kompetenz von Jugendlichen in Ausbildung

Petra Sogl, ISB – Abt. Berufliche Schulen

in dem vorliegenden beitrag wird das Projekt berufssprache deutsch vorgestellt, das an bayerischen berufsschulen und berufsfachschulen durchgeführt wird. im auftrag des bayerischen Staatsministeriums für unterricht und kultus (StMuk) entwickelte der arbeitskreis berufssprache deutsch am iSb, abteilung berufliche Schulen, mit unterstützung der friedrich-alexander-universiät erlangen-nürn-berg (fau) für eine handreichung konzept und unterrichtsmaterialien zur berufs-spezifischen Sprachförderung. die handreichung „berufssprache deutsch. hand-reichung zur förderung der beruflichen Sprachkompetenz von Jugendlichen in ausbildung“ ist in einem Sammelordner (StMuk/iSb 2012) erschienen. die fort-laufend neu erarbeiteten Materialien und umsetzungshilfen für weitere berufe bzw. berufsgruppen werden online auf der iSb-homepage zur Verfügung gestellt. der hintergrund für die Projektinitiative, die konzeption der handreichung so-wie der zentrale didaktische ansatz der erarbeiteten Materialien werden im fol-genden dargestellt.

das Projekt berufssprache deutsch

Initiative und Zielsetzung

„Für den erfolgreichen Übergang in eine Berufsausbildung und deren Bestehen ist das Beherrschen der deutschen Sprache von entscheidender Bedeutung. Dies gilt nicht nur für allgemeine Sprachkompetenzen, sondern auch für die Fähigkeit, die deutsche Spra-che im beruflichen Kontext situationsgerecht und korrekt anzuwenden.“ (Denneborg, StMUK/ISB 2012, Vorwort).

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Berufssprache Deutsch – sprachlich fit im Beruf!

Jahrbuch 2012

Daraus leitet sich der Anspruch des Projektes Berufssprache Deutsch ab: Allgemeine und berufliche Sprachkompetenzen sollen im Unterricht an bayerischen Berufsschulen und Berufsfachschulen anhand von beruflichen Handlungssituationen gefördert werden. Das Projekt folgt also dem Ansatz der integrierten Sprachförderung und dem Prinzip der sprachsensiblen Unterrichtsgestaltung: Sprachlernen wird mit beruflichem Praxisbezug verbunden und kann Motivation und Förderung durch starken Berufsbezug ermöglichen.

Berufssprache Deutsch möchte eine Grundlage dafür schaffen, dass Schülerinnen und Schüler den Übergang in die Berufsausbildung, das Bestehen der Berufsausbildung und das spätere (Berufs-)Leben bewältigen und Kommunikationsprozesse erfolgreicher ge-stalten können. Sprachförderung als Basis für berufliche Mündigkeit und Sprachkompe-tenz als Grundlage für eine erfolgreiche persönliche Weiterentwicklung und für eine ge-lingende gesellschaftliche Integration sind Leitgedanken des innovativen Projektansatzes Berufssprache Deutsch (StMUK/ISB 2012).

Mitte 2010 hat das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus daher das Projekt Berufssprache Deutsch ins Leben gerufen, welches das Ziel hat, Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen und Berufsfachschulen mit Defiziten in der deutschen Sprache besser zu fördern. Mit Unterstützung von Frau Prof. Dr. Nicole Kimmelmann (FAU) und Frau Dipl.Hdl. Andrea Radspieler (FAU) wurden von 2010 bis 2012 das Konzept für eine Handreichung zur Förderung von Jugendlichen mit Förderbedarf entwickelt und beispiel-hafte Unterrichtssequenzen für ausgewählte Ausbildungsberufe erarbeitet. Da auch Un-terrichtsmaterialien für weitere Berufsfelder und vor allem praktische methodische Um-setzungshilfen benötigt werden, arbeitet der Arbeitskreis Berufssprache Deutsch auch weiterhin daran, beispielhafte und berufsbezogene Materialien zu erstellen. So sollen immer mehr Fach- und Deutschlehrkräfte für das Thema Sprachförderung sensibilisiert werden und es soll aufgezeigt werden, wie integrierte Sprachförderung in der Praxis gestaltet werden kann.

Konzept

In der beruflichen (Aus-)Bildung werden neben den alltäglichen Sprachanforderungen viele sprachliche Anforderungen mit Bezug zu konkreten beruflichen Fachinhalten ge-stellt. Diese speziellen Sprachkompetenzen können am besten dort gefördert werden, wo sie gefordert werden: im Rahmen einer beruflichen Handlungssituation. So erscheint es sinnvoll, diesen Anforderungen unmittelbar im Fachunterricht zu begegnen und nicht nur über einen berufsbezogenen Deutschunterricht (vgl. Kimmelmann 2012a, 11). Das bedeutet natürlich keinesfalls, dass gänzlich auf einen berufsbezogenen Deutschunter-

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Aus unserer Werkstatt

richt verzichtet werden kann, vielmehr stellt dieser einen wertvollen Beitrag zur Förde-rung der Sprachkompetenzen der Auszubildenden dar. Im Fachunterricht kann jedoch eine aktive Beschäftigung mit Sprache im Bezug zu Fachinhalten stattfinden. Es ist davon auszugehen, dass die Motivation der Lernenden, sich über die sie interessierenden fachli-chen Lerninhalte auch mit Sprache auseinanderzusetzen, höher ist als im reinen Deutsch-unterricht. Dabei geht es nicht nur um den Erwerb des jeweiligen Fachvokabulars, son-dern um eine sprachliche Auseinandersetzung mit Fachinhalten, die eine Aneignung von Fachwissen erst möglich macht. Darüber hinaus werden durch den richtigen Gebrauch von Sprache Sozialkontakte im Beruf und die Integration in die Berufsgruppe ermöglicht (vgl. Kimmelmann 2012a, 14).

Wie schon angesprochen, sollen sprachsensibler Unterricht und die Förderung der Deutschkompetenzen im Fachunterricht den Deutschunterricht an der Berufsschule/Be-rufsfachschule nicht ersetzen. Weder Deutsch- noch Fachlehrkräfte können die Sprach-förderung von Auszubildenden mit Defiziten in der deutschen Sprache alleine bewerk-stelligen. Sprachsensibler Fach- und Deutschunterricht kann und muss sich hier eher sogar gegenseitig ergänzen: So kann der Deutschunterricht berufsbezogen sein und der sprachsensible Fachunterricht neben fachlichen Inhalten auch die Sprachkompetenzen der Schülerinnen und Schüler fördern (Kimmelmann 2012b, 38).

Die Ergebnisse einer Reihe von Modellversuchen und Projekten, die seit Mitte der 1990er Jahre durchgeführt wurden, belegen die Vorteile einer berufsbezogenen integrierten Sprachförderung (vgl. Kimmelmann 2012a, 13). Radspieler liefert in der Handreichung „Berufssprache Deutsch“ dazu einen kurzen Überblick über Modellprojekte aus Deutsch-land und der Schweiz (Radspieler 2012a, 23 ff.).

die handreichung

Die Handreichung Berufssprache Deutsch (vgl. Abb. 1: Titelblatt) ist als Loseblattsamm-lung konzipiert, sodass Ergänzungslieferungen in diese problemlos einsortiert werden können. Der Ordner enthält neben einem Vorwort, dem Inhaltsverzeichnis und den Lite-raturangaben drei große Rubriken mit entsprechenden Unterpunkten:

I. Konzeption: Ausgangslage, Rahmenbedingungen, didaktische UmsetzungII. Einschätzungsverfahren zur Diagnose: Hinweise und Testaufgaben (basierend auf

VERA-8 RS) zu den Bereichen „Verstehend zuhören“, „Lesen“, „Schreiben“III. Unterrichtsmaterialien: Umsetzungshilfen, Materialien zu den Bereichen: „Verste-

hend zuhören/sprechen“, „Lesen – mit Texten und Medien umgehen“, Schreiben“, „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen (integrativ)“

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Berufssprache Deutsch – sprachlich fit im Beruf!

Jahrbuch 2012

Im ersten Teil sind damit alle konzeptionellen Hinweise zusammengestellt, der zweite Teil enthält das Diag-noseinstrument. Den größten Anteil an der Handrei-chung nehmen die Unterrichtsbeispiele (Teil III) ein. Zu diesem Teil gibt es fortlaufend Ergänzungslieferungen, da hier die Materialien für die Berufe/Berufsgruppen angeboten werden. Zudem wird vor allem im Bereich der sprachsensiblen Unterrichtsmethodik weitergear-beitet, auch diese Materialien werden unter dem drit-ten Gliederungspunkt eingeordnet.

Abb.1: Titelbatt der Handreichung Berufssprache Deutsch (StMUK/ISB 2012)

didaktisch-methodische umsetzung

Dieses Kapitel zeigt auf, wie integrierte Sprachförderung gezielt und strukturiert ange-passt an die jeweilige Berufsrichtung geplant und umgesetzt werden kann.

Diagnose des Sprachförderbedarfs

Lernenden werden oft fachliche Mängel zugeschrieben, die sich letztlich allein auf Sprachförderbedürfnisse zurückführen lassen. Daher ist es wichtig, Sprachdefizite zu-nächst zu erkennen, um dann eine entsprechende Förderung anbieten zu können.

Eine Messung des Sprachstands kann auf Basis eines Testverfahrens oder durch eine Zielgruppen- und Datenanalyse erfolgen. Beide Ansätze bieten Möglichkeiten, haben aber in der praktischen Umsetzung auch ihre Grenzen. Eine Kombination aus beiden methodischen Ansätzen ermöglicht jedoch eine gute Voraussetzung für eine angemessene Sprachförderung.

Das erste Verfahren basiert auf Testaufgaben aus VERA-8 RS („Ländergemeinsame VER-gleichsArbeiten“ an Realschulen für die 8. Jahrgangsstufe). Diese Testaufgaben werden für die Einschätzung der Sprachkompetenz von Berufsschülern herangezogen, weil derzeit keine umfassenden Testinstrumente für den Bereich der beruflichen Bildung vorliegen. Erste Erfahrungen zeigen, dass die so gewonnene Feststellung der Sprach-kompetenzen der Lehrkraft eine relativ genaue Einschätzung des Förderbedarfs jedes einzelnen Schülers bzw. der Klasse insgesamt ermöglicht. Durch die Auswertung wird

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Aus unserer Werkstatt

die Differenzierung in drei Anforderungsbereiche erreicht, sodass die anschließende bin-nendifferenzierte Sprachförderung durch angepasstes Unterrichtsmaterial erfolgen kann. Daneben können durch das wiederholte Einsetzen des Einschätzungsverfahrens Lern-fortschritte gemessen werden, was für den Lernenden eine konkrete Rückmeldung über seine Sprachleistung und Sprachentwicklung bedeutet.

Die zweite Variante zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs erfolgt über eine Zielgrup-pen- und Datenanalyse. Diese Analyse führt die Lehrkraft, angepasst an die schulischen Gegebenheiten und an die Vorbildung des Schülers, individuell durch. Hierzu können z. B. Notenbögen, Zeugnisse und aktuelle Ergebnisse aus Leistungsnachweisen herangezogen werden. Auch hierauf kann eine differenzierte Sprachförderung aufbauen. Darüber hi-naus bietet es sich an, dass an der Schule vor Ort berufsspezifisch bzw. abteilungsintern eine kontinierliche Dokumentation der Ergebnisse über einen längeren Zeitraum erfolgt. Die Erfahrung zeigt hier, dass sich bestimmte sprachliche Förderschwerpunkte pro Beruf bzw. Berufsfeld herauskristallisieren. So können alle Lehrkräfte für ihren Unterricht auf diese Ergebnisse zurückgreifen und die Förderung kann frühestmöglich ansetzen.

Analyse der berufsspezifischen Anforderungen

Den zweiten Schritt stellt die eingehende Ist-Analyse der sprachlichen Anforderungen im jeweiligen Berufsfeld dar. So wird festgestellt, welche fachsprachlichen Ziele im Un-terricht zu setzen sind. Eine Gegenüberstellung von Diagnose- und Analyseergebnissen ermöglicht schließlich eine angepasste Sprachförderung.

In Form einer sprachlichen Lernfeldanalyse (vgl. Abb. 2) wird die Praxisrelevanz von Sprachsituationen im beruflichen Alltag überprüft. Dazu werden einzelne Lernfelder der beruflichen Fachrichtung bzgl. der berufsspezifischen sprachlichen Anforderungen an die Auszubildenden systematisch untersucht. Die Ergebnisse bieten einen Überblick über mögliche Förderschwerpunkte entsprechend den Voraussetzungen Berufsfeld/Jahr-gangsstufe/Lernfeld.

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Berufssprache Deutsch – sprachlich fit im Beruf!

Jahrbuch 2012

Fachbezogene Sprachkompetenzen im Lehrplan für Medizinische Fachangestellte

lernfeld 3 – behandlungsassistenz

Praxishygiene und Schutz vor infektionskrankheiten organisieren

Die Schülerinnen und Schüler ergreifen Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen. Die Schülerinnen und Schüler informieren sich über infektionsgefahren und beschrei-ben infektionswege und Behandlungsmöglichkeiten. Sie organisieren Desinfektions- und Sterilisationsmaßnahmen zur Minimierung des Infektionsrisikos. Zur Vermeidung der Weiterverbreitung von Krankheitserregern planen sie Schutzmaßnahmen und treffen fallbezogen eine begründete Auswahl auch unter Berücksichtigung wirtschaft-licher und umweltgerechter Aspekte. Sie organisieren, dokumentieren und über-prüfen Hygienemaßnahmen im Team unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien des Qualitätsmanagements. Vor ökonomischem und ökologischem Hintergrund vergleichen die Schülerinnen und Schüler verschiedene Materialien. Sie planen die Pflege und Wartung von Instrumenten und Geräten und dokumentieren sie. Sie zeigen Wege für die umweltgerechte Entsorgung von Praxismaterialien auf.

abgeleitete Sprachliche aktivitäten1. Fachtexte lesen und verstehen/Fachbegriffe2. Checkliste Schutzmaßnahmen erstellen (fallbezogen)3. Hygieneplan erstellen4. Checkliste Geräte QM erstellen => Einweisung (siehe LF 1)

Abb. 2: Auszug aus einer Lernfeldanalyse (StMUK/ISB 2012, 54)

Ein besonderer Stellenwert kommt bei der Sprachförderung im beruflichen Kontext der didaktischen Jahresplanung (vgl. „Leitfaden Didaktische Jahresplanung“ ISB/ALP 2012) zu. Hierbei wird nach der sprachorientierten Analyse der Lernfelder ein Koordinationsras-ter erstellt, das die berufsspezifischen sprachlichen Anforderungen der jeweiligen berufli-chen Fachrichtung mit dem Lehrplan für Deutsch und dem jeweiligen Fachlehrplan zuein-ander in Beziehung setzt. Daraus ergeben sich je nach Ausbildungsberuf unterschiedliche Förderschwerpunkte. Anschließend werden in enger Zusammenarbeit und Absprache zwischen Deutsch- und Fachlehrkraft geeignete Handlungssituationen gezielt aus den Fachlehrplänen abgeleitet und geeignete Strategien und Methoden zur Sprachförderung eingebunden. Das folgende Beispiel (vgl. Abb. 3) zeigt einen Ausschnitt aus einem Koor-dinationsraster. Diese Raster können z. B. schulintern zur Planung für Absprachen in einer Abteilung verwendet werden bzw. sind Vorarbeiten für die didaktische Jahresplanung.

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Aus unserer Werkstatt

Berufssprache Deutsch für das Berufsfeld Medizinische Fachangestellte – Handreichungen für den Unterricht

koordination der bereiche: Praxisrelevanz – lehrplanbezug berufsfeld –

lehrplanbezug deutsch – didaktische hinweise

3. KB Lesen

Sprachliche aktivitäten/

unterrichtsin-halte

lehrplanbezugberufsfeld

lehrplanbezug deutsch

didaktische und methodische

hinweise

Sich informieren,Vertrags- und Regelwerke aus-werten

LF 3 Praxishygiene und Schutz vor Infektionskrankhei-ten organisieren

LPD 10.3Sach- und Informa-tionstexte verste-hen und nutzen,Medien verstehen und nutzen

- Lesestrategien 1/3/6/9 nach Leisen

- Leseübungen 8/10/13/19 nach Leisen

- Methode der ge-stuften Hilfe nach Leisen

Abb. 3: Beispiel für ein Koordinationsraster (StMUK/ISB 2012, 56)

Differenzierte Sprachförderung

Eine den Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler und der Berufsgruppe angepass-te Sprachförderung kann durch eine binnendifferenzierte Unterrichtsgestaltung erreicht werden. Für die Umsetzung des binnendifferenzierten Ansatzes im Projekt Berufssprache Deutsch erarbeitete Radspieler (Radspieler 2012b, 47) ein Kompetenzraster (vgl. Abb. 4), das den Lehrkräften Orientierung bei der Planung des sprachsensiblen Unterrichts für drei unterschiedliche Anforderungsbereiche/Leistungsstufen bietet.

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Berufssprache Deutsch – sprachlich fit im Beruf!

Jahrbuch 2012

kb -> kompetenzbereich: Sprechen und Zuhören

ab

<

-anforderungsbereich (ab) i förderung (GER: A1 - B1; VERA-8: Niveau I - II)

Die Schülerinnen und Schüler ver fügen über grundlegende inhaltliche und methodische Kenntnisse, die für die situationsangemes-sene und adressatengerechte Bewältigung kommunikativer Situationen in beruflichen Zusammenhängen erforderlich sind.

anforderungsbereich (ab) iiStandard (GER: B2; VERA-8: Niveau III)

Die Schülerinnen und Schüler be wältigen kommu nikative Situationen in beruflichen Zusammenhängen situationsangemessen und adressatengerecht.

anforderungsbereich (ab) iiiaufbau (GER: C1 - C2;VERA-8: Niveau IV- V)

Die Schülerinnen und Schüler re flektieren, bewerten und beurteilen eigenständig kom-plexe kommunikative Situationen in berufli-chen Zu sammenhängen und entwickeln ggf. eigene Lösungsansätze.

Abb. 4: Auszug aus dem Kompetenzraster Berufssprache Deutsch für den Kompetenzbereich „Sprechen und Zuhören“ (Radspieler 2012b, 47)

Das Kompetenzraster wurde auf Basis des bayerischen Deutschlehrplans für Berufs-schulen und Berufsfachschulen (StMUK 2009), der eine kompetenzorientierte und dif-ferenzierte Förderung nach Standard-, Förder- und Aufbauprogramm ermöglicht, und in Orientierung an den 2003 formulierten Anforderungsbereichen der KMK („Sprechen und Zuhören“, „Schreiben“, „Lesen – mit Texten und Medien umgehen“, „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“) erstellt. Das Kompetenzraster ist darauf aufbauend in drei Anforderungsbereiche (AB) gegliedert: AB I (Förderung, Taxonomieebene „Wieder-geben“), AB II (Standard, Taxonomieebene „Zusammenhänge herstellen“) und AB III (Aufbau, Taxonomieebene „Reflektieren und Beurteilen“). Den jeweiligen Anforderungs-bereichen wurden die Kompetenzstufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrah-mens (GER-Stufen: A1, A2, B1, B2, C1, C2) (vgl. Trimm 2001) und der Vergleichsarbeiten der Jahrgangsstufe 8 (VERA-8-Stufen: I, II, III, IV, V) zugeordnet. Die Zuordnung ist nicht empirisch getestet. Es ist auch nicht belegt, dass die VERA-Niveaustufen mit den GER-Niveaustufen übereinstimmen. Dies ist auch nicht das Ziel des Kompetenzrasters. Ziel des Rasters ist zum einen eine grobe Einschätzung der Sprachkompetenzen der Schülerinnen und Schüler (mit Hilfe des Einschätzungsverfahrens) und zum anderen die anschließende Förderung der Schülerinnen und Schüler (Radspieler 2012b, 45 ff.).

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Aus unserer Werkstatt

fazit

Die Zielsetzung des Projektes ist es, Jugendliche in Ausbildung sprachlich fit im Beruf zu machen. Diese Sprachförderung soll integriert und berufsbezogen stattfinden, da hier eine höhere Motivation und ein konkreter Handlungsbezug gegeben sind. Damit sind sowohl Fach- als auch Deutschlehrkräfte gefordert, an der Umsetzung des Projektes mit-zuwirken.

Dazu braucht es Unterstützungsmaßnahmen und Strukturen vor Ort. Beides wurde im Schuljahr 2012/13 für die 1. Implementierungsphase geschaffen. So wird die Umsetzung unterstützt durch ein breit angelegtes Schulungsangebot für Lehrkräfte aller Fachrichtun-gen. Die Fortbildungen finden nicht nur zentral über die Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen, sondern vor allem auf regionaler Ebene statt. Hier können die neu ernannten Fachmitarbeiter für Berufssprache Deutsch an den Regierun-gen die Planung, Koordination und Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen in den Bezirken steuern. Dies bietet langfristig die Möglichkeit, ein kontinuierliches Angebot zu sichern. Dabei liegt der Schwerpunkt sicherlich auch darauf, eine Vernetzung im Bezirk unter Fachlehrkräften einer Berufsrichtung und unter den Deutschfachbetreuern her-zustellen. Die Lehrkräfte haben damit für die Umsetzung dieses Projektes schon einen Ansprechpartner vor Ort, der einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch und den Aus-tausch und die Erarbeitung von (neuem) Unterrichtsmaterial koordinieren kann.

An jeder Schule kann die Einführung des Projektes unterstützt werden, z. B. durch Ab-sprachen und Zusammenarbeit bei der Unterrichtsplanung in den Berufsbereichen, wenn Fach- und Deutschunterricht in einer Hand sind, wenn regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte möglich gemacht werden, durch organisatorische Unterstützung durch die Schulleitung und durch eine gemeinsame Erarbeitung von Unterrichtskonzepten.

An erster Stelle steht aber natürlich auch das Angebot an Umsetzungshilfen zur sprach-sensiblen Unterrichtsgestaltung, sei es in Form von vollständigen Unterrichtseinheiten oder geeigneten methodischen „Werkzeugen“ zur schnellen Problemlösung. Die Nach-frage ist hier auch abhängig vom Beruf bzw. Berufsfeld; hier kann es nur berufsbezogene Lösungen geben.

Wenn also eine zielgerichtete und strukturierte Sprachförderung das Ziel sein soll, müs-sen Rahmenbedingungen geschaffen und fachliche Unterstützung angeboten werden sowie Initiativen vor Ort starten. Berufssprache Deutsch ist hier schon auf einem guten Weg und wird diesen unter Berücksichtigung dieser ersten Ergebnisse weiter ausgestal-ten und unterstützen können (vgl. Sogl et al., 2013, 9). Insofern kann dieses Fazit als Zwi-

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Berufssprache Deutsch – sprachlich fit im Beruf!

Jahrbuch 2012

schenfazit angesehen werden – durch eine gezielte Weiterführung und Weiterentwick-lung kann der innovative Projektansatz noch mehr Lehrkräfte auf einen sprachsensiblen Unterricht vorbereiten und zur Umsetzung motivieren, sodass immer mehr Jugendliche sagen können: „Ja, ich bin sprachlich fit im Beruf!“

literaturBayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (StMUK) (2009): Lehrplan für die Berufs-

schule und Berufsfachschule. Unterrichtsfach: Deutsch. Jahrgangsstufen 10 bis 12. München.

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus/Staatsinstitut für Schulqualität und Bil-

dungsforschung (StMUK/ISB) (Hrsg.) (2012): Berufssprache Deutsch. Handreichung zur Förderung

der beruflichen Sprachkompetenz von Jugendlichen in Ausbildung. München.

Kimmelmann, N. (2012a): Bedeutung integrierter Sprachförderung. In: Bayerisches Staatsminis-

terium für Unterricht und Kultus/Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hrsg.):

Berufssprache Deutsch. Handreichung zur Förderung der beruflichen Sprachkompetenz von Ju-

gendlichen in Ausbildung. München, 11-19.

Kimmelmann, N. (2012b): Grenzen einer integrierten Sprachförderung. In: Bayerisches Staatsminis-

terium für Unterricht und Kultus, Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hrsg.):

Berufssprache Deutsch. Handreichung zur Förderung der beruflichen Sprachkompetenz von Ju-

gendlichen in Ausbildung. München, 37-39.

Leisen, J. (2011): Praktische Ansätze schulischer Sprachförderung – Der sprachsensible Fachunterricht.

In: http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/Berichte/111027_RM_Leisen.pdf (26.02.2013).

Radspieler, A. (2012a): Zusammenfassung der Modellprojekte. In: Bayerisches Staatsministerium für

Unterricht und Kultus/Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hrsg.): Berufsspra-

che Deutsch. Handreichung zur Förderung der beruflichen Sprachkompetenz von Jugendlichen in

Ausbildung. München, 21-24.

Radspieler, A. (2012b): Kompetenzraster Berufssprache Deutsch. In: Bayerisches Staatsministerium

für Unterricht und Kultus/Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hrsg.): Berufs-

sprache Deutsch. Handreichung zur Förderung der beruflichen Sprachkompetenz von Jugendli-

chen in Ausbildung. München, 45-50.

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München/Akademie für Lehrerfortbildung

und Personalführung (ISB/ALP) (Hrsg.) (2012): Didaktische Jahresplanung. Kompetenzorientierten

Unterricht systematisch planen. Dillingen a. d. Donau.

Sogl, P., Reichel, P., Geiger, R. (2013): „Berufssprache Deutsch“ – Ein Projekt zur berufsspezifischen

Sprachförderung im Unterricht an der Berufsschule bzw. Berufsfachschule. In: www.bwpat.de/

ht2013.

Trim, J., et al. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren,

beurteilen. [Niveau A 1, A 2, B 1, B 2, C 1, C 2]. Berlin.

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Aus unserer Werkstatt

10 Jahre leSeforuM bayern – eine erfolgSbilanZ

Hermann Ruch, ISB – Grundsatzabteilung

texte lesen, verstehen, beurteilen und verarbeiten zu können, ist fraglos eine Schlüsselqualifikation in der Wissens- und informationsgesellschaft. „Wer liest, hat mehr von seiner freizeit, weiß mehr und erweitert seinen horizont, entwi-ckelt Phantasie und kreativität, verbessert seine Sprache, kommt weiter in Schu-le, Studium und beruf, profitiert von der erfahrung anderer, denkt, reflektiert, wertet und wird dadurch mündig, entdeckt kultur, gewinnt soziale anerken-nung“ – so die botschaft des flyers des leSeforuM bayern, das am iSb einge-richtet wurde und 2012 seinen 10. geburtstag feierte. anlass für einen kurzen rückblick.

„Lesen beflügelt!“ – unter diesem Motto fand am 19. November 2002 im Kul-tusministerium eine Fachtagung statt, die alsbald der schulischen Leseförderung

in Bayern neue Impulse verlieh und das LESEFORUM BAYERN aus der Taufe hob – als Einladung zum Dialog aller an der Leseförderung Interessierten, als Aufruf und Plattform für die Durchführung gemeinsamer Projekte und Aktionen. Der Anlass ist bekannt: die enttäuschenden Ergebnisse deutscher Schülerinnen und Schüler im Bereich „Lesekompe-tenz“ bei PISA 2000. Ziel war es fortan, ein flächendeckendes und möglichst breit gefä-chertes Beratungs- und Unterstützungssystem für alle bayerischen Schulen aufzubauen, ein kooperatives Netzwerk zur Systematisierung und Intensivierung der Leseförderung und Schulbibliotheksarbeit.

Zu Beginn des Schuljahrs 2002/03 wurde hierfür am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) das referat „Leseförderung und Schulbibliotheken“ eingerich-tet, das seither als organisatorisches Zentrum des LESEFORUMS dient, zunächst in der Gymnasialabteilung, seit dem Schuljahr 2004/05 in der damals neu gegründeten Grund-satzabteilung. Personalressource des LESEFORUMS ist der iSb-arbeitskreis „Leseförde-rung und Schulbibliotheksarbeit“, der aus zwei Teilgruppen und drei Schulbibliothekari-schen Fachberatern besteht:

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10 Jahre Leseforum Bayern – eine Erfolgsbilanz

Jahrbuch 2012

• Die regionalen beauftragten rekrutieren sich zu je drei Lehrkräften aus dem Be-reich der Realschule, der Beruflichen Schulen sowie dem Gymnasium, für die Volks-schulen wurde aus jedem Regierungsbezirk eine Lehrkraft berufen. Aufgabe dieser Gruppe ist es, sich im regionalen Umfeld für die Intensivierung der Leseförderung und Schulbibliotheksarbeit einzusetzen und die Schulen dabei zu unterstützen.

• Die zweite Teilgruppe bilden die sogenannten gutachter, die die Regionalen Be-auftragten bei ihrer Tätigkeit unterstützen, bestehend aus zehn Lehrkräften aller Schularten. Ihre Aufgabe ist es, in Fortsetzung der Arbeit des ehemaligen Gutachter-ausschusses den aktuellen Bücher- und Medienmarkt zu sichten und schulrelevante Empfehlungen auszusprechen. Neben belletristischen Titeln der Kinder- und Jugend-literatur für alle Jahrgangsstufen spielen dabei Sachbücher eine zunehmend wichtige Rolle.

• Seit dem Schuljahr 2010/11 stehen den bayerischen Schulen zusätzlich drei Lehrkräf-te mit einem Teil ihres Deputats als Schulbibliothekarische fachberater zur Verfü-gung, um die Arbeit in und mit der Schulbibliothek zu intensivieren, auch vor Ort an den Rat suchenden Schulen. Abgeordnet an das ISB erfüllen sie diese Aufgaben an der Landesfachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen der Bayerischen Staatsbib-liothek (BSB) in München, Nürnberg und Würzburg.

Zentrale Kommunikationsplattform des LESEFORUMS ist das vom ISB betreute internet-Portal www.leseforum.bayern.de, das sich seit Mai 2008 in neuer Aufmachung mit dif-ferenzierten Suchfunktionen und zahlreichen neuen Inhalten präsentiert:

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Aus unserer Werkstatt

• Die Startseite bietet stets aktuelle Meldungen zu allen Themen rund ums Buch, die die Schulen bei ihrer Arbeit unterstützen können. Ein Newsletter stellt sicher, dass Abonnenten hier nichts versäumen.

• Kern der Rubrik „lesenswert“ ist der Gesamtkatalog mit derzeit annähernd 6.000 Buchbesprechungen, pro Jahr kommen ca. 300 Rezensionen der Gutachter des LE-SEFORUMS hinzu. Der Lektürekatalog filtert hieraus die für die Verwendung im Un-terricht geeigneten Ganzschriften heraus. Die Rubrik „Unsere Besten“ fasst vor den Sommer- und Weihnachtsferien die jeweiligen Favoriten der Gutachter nach Alters-stufen zusammen und bietet Lehrkräften wie Eltern willkommene Orientierungshil-fen für Leseempfehlungen oder Buchgeschenke. Bei „Bücher des Monats“ werden Leseempfehlungen bayerischer Schülerinnen und Schüler veröffentlicht, die in schu-lischen Zusammenhängen entstanden sind und von den jeweiligen Lehrkräften als Bestenauslese verstanden werden. „Bücher Spezial“ widmet sich einzelnen Autoren, Themen, Jubiläen und Gedenktagen.

• „leseland bayern“ stellt die wichtigsten Akteure der Leseförderung in Bayern vor und informiert über Literaturpreise, Büchermessen und Literaturfestivals im Freistaat. Die Seite „Gütesiegel“ zeigt, welche Buchhandlungen und Bibliotheken sich in be-sonderer Weise der Leseförderung von Kindern und Jugendlichen annehmen und dabei intensiv mit Schulen zusammenarbeiten. Eine nach Regionen strukturierte Da-tenbank verzeichnet über 300 bayerische Autoren, die gerne auch in Schulen aus ihren Werken lesen oder für Schreibwerkstätten, Drehbuch- oder Radioseminare zur Verfügung stehen. Ob Lesungen, Ausstellungen, Workshops oder Poetry Slams – im „Lesekalender“ wird man immer fündig.

• Die Rubrik „leseförderung“ informiert über die Ergebnisse der Leseforschung und stellt vielfältige Ideen, Konzepte und Materialien für eine erfolgreiche Leseförderung vor. Links verweisen auf hilfreiche Internet-Seiten einschlägiger Anbieter. „Gute Pra-xis“ berichtet aus den Schulen und lädt zur Nachahmung ein. „Lesebegleithefte“ bietet Lehrerkommentare und Arbeitsblätter zu über 70 Titeln der Kinder- und Ju-gendliteratur.

• Dem Bereich „Schulbibliothek“ können unter „Organisation“ wichtige Hinweise zur Einrichtung, zum Bestandsaufbau und zur Verwaltung einer Schulbibliothek sowie zur Kooperation mit Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken entnommen werden. Bei „Multimedia“ geht es um Informationsbeschaffung und -verarbeitung, um Bildungsmedien und Bildungsdatenbanken. Bei „Nutzung“ werden Vorschläge für die Einbindung der Schulbibliothek in den Unterricht und das Schulleben ge-macht. Praxisbeispiele runden das Bild ab.

• Unter „links“ finden sich kommentierte Listen, die kompakt und übersichtlich zu den wichtigsten Internet-Adressen der Bereiche Leseförderung und Schulbibliotheken führen. Mehr als 25 Lemmata erschließen hier die Welt des Buches und des Lesens.

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10 Jahre Leseforum Bayern – eine Erfolgsbilanz

Jahrbuch 2012

Partner der leseförderung und aktionen

Da Leseförderung eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt und nur mit Partnern aus dem außerschulischen Raum gelingen kann, arbeitet das LESEFORUM eng mit zahlreichen einrichtungen, Vereinen und Verbänden zusammen, die sich als Lese-förderer engagieren. Die Mainzer Stiftung Lesen ist in diesem Zusammenhang genauso zu erwähnen wie die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach, Bayern liest e. V. und der Friedrich-Bödecker-Kreis oder STADTKULTUR, das Kulturnetz-werk bayerischer Städte, um nur einige zu nennen.

Von Anfang an trat hier der Landesverband Bayern des börsenvereins des deutschen buchhandels e. V. in Erscheinung, der seit 1959 alljährlich den bundesweiten Vorlese-wettbewerb für die 6. Jahrgangsstufe organisiert. In Bayern haben zuletzt über 50 % aller Schulen daran teilgenommen, mehr als 100.000 Kinder wurden zum (Vor-)Lesen motiviert. 2004/05 wurde im Rahmen des LESEFORUMS zusätzlich das Gütesiegel „Le-sespaß mit guten Büchern“ kreiert, das seither Buchhandlungen in allen Regionen des Freistaats auszeichnet, die sich in besonderer Weise bei der Leseförderung von Kindern und Jugendlichen engagieren. Im Jahr darauf folgte als bayerisches Pilotprojekt der Start-schuss für die alljährliche Gutscheinaktion „Ich schenk dir eine Geschichte“ zum Welttag des Buches am 23. April für die 5. und wenig später auch für die 4. Jahrgangsstufe. Durch diese Ausweitung konnten in den nächsten Jahren jeweils fast 150.000 Gutschei-ne für das kostenlose Welttag-Lesebuch an bayerische Schülerinnen und Schüler verteilt werden.

Angelehnt an das bewährte Konzept der „großen“ Münchner Bücherschau im Herbst findet seit 2007 jedes Jahr im Frühjahr zehn Tage lang eine große Buch- und Kinder-medienausstellung statt, die „Münchner Bücherschau junior“, die von einem attrakti-ven Programm mit Autorenlesungen, Spiel- und Aktionsprogrammen und informativen Abendveranstaltungen für Eltern und Erzieher begleitet wird. Für Schulklassen und Kin-dergartengruppen gibt es ein Spezialprogramm, Lehrkräfte werden in Workshops und durch die beliebten Empfehlungslisten „Die 100 Besten“ oder „Bücher, die noch keiner kennt“ über die besten Neuerscheinungen der Saison informiert.

Neben dem Buchhandel haben sich vor allem die bibliotheken des freistaats als starke Partner des LESEFORUMS erwiesen. Insbesondere die Landesfachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen an der Bayerischen Staatsbibliothek ist hier zu nennen, mit der zahlrei-che gemeinsame Aktionen durchgeführt wurden. Auffälligstes Ergebnis der Zusammen-arbeit zwischen LESEFORUM und der Landesfachstelle seit 2008 ist der Sommerferien-Le-seclub der bayerischen Bibliotheken. 2012 haben sich daran 122 bayerische Bibliotheken

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Aus unserer Werkstatt

und über 13.000 Schülerinnen und Schüler von der 5. bis zur 8. Jahrgangsstufe beteiligt, die dabei mehr als 90.000 Bücher gelesen haben. Über 8.000 von ihnen haben mindes-tens drei Bücher geschafft und bewertet und deshalb auch eine Urkunde und attraktive Preise bekommen.

Seit 2006 wird vom Kultus- und Wissenschaftsministerium das Gütesiegel „Bibliotheken – Partner der Schulen“ verliehen, das all jene Öffentlichen und Wissenschaftlichen Biblio-theken in Bayern würdigt, die im Bereiche Leseförderung sowie bei der Vermittlung von Informationskompetenz und bibliotheksfachlichen Dienstleistungen besonders intensiv und beispielhaft mit Schulen zusammenarbeiten. Mit Blick auf die W-und P-Seminare des Gymnasiums wird dabei seit einigen Jahren insbesondere der Kontakt zu den Wissen-schaftlichen Bibliotheken des Freistaats intensiviert.

Rechtliche Grundlage für die umfassende Unterstützung der bayerischen Schulen durch die Landesfachstelle/BSB und die Öffentlichen sowie Wissenschaftlichen Bibliotheken des Freistaats ist eine Interministerielle Vereinbarung, die im Mai 2006 zwischen dem Kultus- und Wissenschaftsministerium geschlossen wurde. Bekräftigend hierzu trat im Dezem-ber 2012 die Kooperationsvereinbarung „Bibliothek und Schule“, die von den Staats-ministern Dr. Ludwig Spaenle (StMUK) und Dr. Wolfgang Heubisch (StMWFK) sowie dem stellvertretenden Vorsitzenden des Bayerischen Bibliotheksverbands (BBV) Prof. Dr. Walter Eykmann unterzeichnet wurde. Auch in Zukunft wird es demnach eine enge Zu-sammenarbeit zwischen Bibliothek und Schule geben. Dem am ISB angesiedelten LESE- FORUM BAYERN wird hierbei eine zentrale Koordinationsfunktion zugeschrieben.

leseförderung und Schulbibliothek – so gelingt’s

Seit Gründung des LESEFORUMS bildete die Sammlung und Bereitstellung von Informa-tionen zur Leseförderung und Schulbibliotheksarbeit einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit, beginnend mit dem „Praxisleitfaden Schulbibliothek“ (2005). Die Studie „Extensives Lesen“ (2006) diente als Grundlage für das Konzept „Mehr lesen – mehr verstehen!“ (2007) für die Jahrgangsstufen 2 bis 7, das für eine verbindliche Lektüre zusätzlicher Ganzschriften im Schuljahr plädierte und erstmals verstärkt die Nicht-Leser unter den Schülerinnen und Schülern in den Blick nahm: Buben und Kinder mit Migra-tionshintergrund, Kinder aus bildungsfernen Schichten. Vor allem durch einen verstärk-ten Einbezug von Sachbüchern und handlungsorientierten Unterrichtsmethoden sollte der abnehmenden Leselust begegnet werden.

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Die mehrmals differenzierten Studien „Leseförderung nach PISA“ (2005 ff.) bahnten schließlich den Weg für das bundesweite KMK-Projekt „Prolesen“ (2008-2010), dessen Federführung dem Bayerischen Staats-ministerium für Unterricht und Kultus übertragen wurde, das mit der Durchführung das ISB-Referat für Leseförderung und Schulbibliotheksarbeit beauftrag-te. Für die wissenschaftliche Begleitung und Evaluati-on konnten Frau Prof. Dr. Cordula Artelt (Universität Bamberg) und Frau Prof. Dr. Christine Garbe (Univer-sität Lüneburg, seit Herbst 2010 Universität zu Köln) gewonnen werden. Aufgabe der am Ende 138 Pro-jektschulen in 12 Bundesländern war es, Konzepte, Materialien und Beispiele guter Praxis zu sammeln, zu

sichten, ggf. zu überarbeiten oder neu zu entwickeln. Das besondere Interesse galt dabei der Förderung der in den PISA-Studien identifizierten „Risiko“-Gruppen (vgl. hierzu auch ISB-Jahrbuch 2008, S. 40 ff.).

„ProLesen“ weitete den Blick aller Beteiligten und rückte, im Anschluss an die „experti-se. förderung von lesekompetenz“ (BMBF 2005), Aspekte der Leseförderung in den Vordergrund, die bis dahin vernachlässigt worden waren:

• die Notwendigkeit des systematischen Trainings basaler Lesefertigkeiten (Leseflüssig-keit, Lesegenauigkeit, Fähigkeit zum sinnbetonten Lesen);

• die Vermittlung zielgerichteter Lesestrategien zur Planung, Überwachung sowie Selbstkontrolle vor, während und nach dem Leseprozess;

• die Förderung der Lesemotivation durch Steigerung lesebezogener Einstellungen.

Mit Blick auf die Lehrkräfte und Schule:

• die Erweiterung der Diagnosefähigkeit als Voraussetzung für die individuelle Förde-rung;

• den professionellen Austausch von Lehrkräften bei der gemeinsamen Konstruktion und Diskussion von Textverstehensaufgaben;

• die Gabe eines lern- und leistungsfördernden Feedbacks;• Erfolg versprechende Instruktionsmethoden wie das reziproke Lehren und Lernen;• die Förderung der Lesekompetenz als gemeinsame Aufgabe aller Fächer und der ge-

samten Schule in Zusammenarbeit mit Eltern und außerschulischen Bildungspartnern.

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Aus unserer Werkstatt

lehrerfortbildung

Das im LESEFORUM angesammelte Wissen wurde von Beginn an zeitnah in die Lehrer-fortbildung eingespeist. 2003/04 begann die Dillinger Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP) mit der Schulung von Multiplikatoren für die leseförde-rung und Schulbibliotheksarbeit. Der am ISB erarbeitete „Praxisleitfaden Schulbiblio-thek“ (2005) fasste hierfür das einschlägige Grundwissen zusammen. Einen Einblick in diese Programmschiene bietet der Band „Leselust dank Lesekompetenz. Leseerziehung als Aufgabe aller Fächer“ (2006), dessen Titel heute noch Programm ist.

Vor diesem Hintergrund sind zahlreiche Vorträge und Seminare auf schulinterner, regi-onaler und überregionaler Ebene von Mitgliedern des Arbeitskreises und der Referatslei-tung zu verzeichnen, die in der „Expertengruppe Bibliothek und Schule“ des Deutschen Bibliotheksverbands (DBV) vertreten war und auch auf bundesweiten Tagungen referier-te. Einladungen des Europarates, der UNESCO und des Goethe-Instituts führten nach Straßburg und Oslo, in den Libanon, bis nach Usbekistan. Selbst in der fernen Mongolei und auf Sri Lanka stieß das bayerische Modell der Leseförderung und Schulbibliotheksar-beit auf Interesse und wurde die hiesige Expertise nachgefragt.

Den Höhepunkt der heimischen Fortbildungsaktivitäten stellten von 2005 bis 2009 die von jeweils rund 150 Lehrkräften besuchten zentralen fachtagungen des LESEFORUMS in der ForumAcademy des Münchner SiemensForums dar, die sich neben allgemeinen Fragestellungen der Leseförderung und dem Literaturunterricht besonders auch der Le-seförderung von Buben sowie von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund widmeten und Vorschläge zur Umsetzung des Konzepts „Mehr lesen – mehr verstehen!“ machten.

2009/10 und 2011/12 folgten in enger Kooperation mit der Landesfachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen der 1. und 2. bayerische Schulbibliothekstag in Nürn-berg – mit jeweils über 500 Teilnehmern an einem Haupt- und Nachtermin die größten Lehrerfortbildungsveranstaltungen in Bayern! Unter dem Titel „Die Schulbibliothek – neu gedacht, neu geplant“ stellte am 18. November 2012 im Rahmen eines kleinen Schul-bibliothekstags eine Fachtagung in der Stadtbibliothek Augsburg rund 130 Lehrkräften und Bibliothekaren neue Konzeptionen und Raumplanungen für eine Schulbibliothek vor – und musste wegen der großen Nachfrage alsbald wiederholt werden.

In allen Landesteilen haben die Regionalbeauftragten und Schulbibliothekarischen Fach-berater des LESEFORUMS im Bereich der regionalen lehrerfortbildung (RLFB) weithin sichtbare Spuren hinterlassen und mit zum Teil über 200 Teilnehmern ein großes Publi-

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10 Jahre Leseforum Bayern – eine Erfolgsbilanz

Jahrbuch 2012

kum erreicht: „Mittelfranken liest“ und der Niederbayerische und Oberpfälzer Lesetag zeigen dies ebenso wie die „Unterfränkische Lesewoche“ oder die „LesArt“ im unter-fränkischen Karlstadt. Für den Herbst 2013 ist der 1. Oberbayerische Lesetag angesetzt, Schwaben folgt.

bilanz und ausblick

Die schulische Leseförderung in Bayern hat durch die Einrichtung des LESEFORUMS BAY-ERN nach dem ersten PISA-Schock neuen Aufwind erhalten. Ausschlaggebend hierfür waren die Einrichtung eines Referats und Arbeitskreises zur Leseförderung und Schulbib-liotheksarbeit am ISB, die Schulung eines flächendeckenden Netzes von Multiplikatoren sowie der Aufbau eines landesweiten kooperativen Netzwerks unter der Marke LESEFO-RUM BAYERN.

Sichtbarer Ausdruck der engen Partnerschaft der Schulen mit Buchhandel, Verlagen und den bayerischen Bibliotheken sind zwei neu geschaffene Gütesiegel und gemeinsam durchgeführte Großaktionen. Eine Interministerielle Vereinbarung sowie die Kooperati-onsvereinbarung „Bibliothek und Schule“ ebnen den Weg für die intensive Zusammen-arbeit mit den Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken des Freistaats. Mit dem Internet-Portal des LESEFORUMS BAYERN steht ein hilfreiches Unterstützungsmedium zur Verfügung.

Aktionen wie die Vermittlung von nicht weniger als 145.000 Exemplaren der 50-bändi-gen SZ-Edition „Junge Bibliothek“ (2008/09 mit Hilfe der bayerischen Rotary-Clubs im Rahmen der Aktion „Lesen ist Zukunft) haben das LESEFORUM an bayerischen Schulen bekannt gemacht. Gleiches gilt für seine Fortbildungsveranstaltungen, die Organisation der Wanderausstellung „Die Türkische Bibliothek“ (2011/12), die auch im ISB gezeigt wurde, oder die Vermittlung der Autoren des ersten und zweiten White Ravens Festivals der Internationalen Jugendbibliothek Schloss Blutenburg 2010 und 2012.

allerdings: Angesichts der wachsenden Heterogenität der bayerischen Schülerschaft und der nach wie vor Besorgnis erregend niedrigen Lesekompetenz vieler Schüler, zumal in sog. Brennpunktschulen, bleibt noch viel zu tun.

Eine wirksame und nachhaltige Verbesserung der Situation kann demnach nur im Rah-men einer systematischen Schulentwicklung erzielt werden, die die Förderung der Schlüsselqualifikation Lesen als eine aufgabe aller fächer und der gesamten Schu-le begreift, fußend auf den Erkenntnissen der nationalen und internationalen lesefor-schung. Das LESEFORUM BAYERN und seine Partner stehen hier als Unterstützungs-

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Aus unserer Werkstatt

system bereit. Auch wenn Bayern bei allen nationalen Vergleichsarbeiten hinsichtlich der Lesekompetenz stets an der Spitze steht, bleibt nach wie vor ein großer Unterschied zur internationalen Spitzenklasse – Ansporn genug, diesen Abstand noch zu verringern.

eigene Publikationen zur leseförderungBayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hrsg.) (2003). Lesen beflügelt. Eine Doku-

mentation zur Veranstaltung „Leseforum Bayern“ des Bayerischen Staatsministeriums für Unter-

richt und Kultus 2002

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hrsg.) (2005). Praxisleitfaden Schulbiblio-

thek. Eine Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer. Furth: MDV Maristen Druck & Verlag

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus/Staatsinstitut für Schulqualität und Bil-

dungsforschung (Hrsg.) (2010): ProLesen. Auf dem Weg zur Leseschule. Leseförderung in den

gesellschaftswissenschaftlichen Fächern. Aufsätze und Materialien aus dem KMK-Projekt „ProLe-

sen“. Donauwörth: Auer

Alle genannten Titel sind abzurufen von der Homepage www.leseforum.bayern.de.

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nAchgEfrAgt

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Nachgefragt

neuroWiSSenSchaften und lehr-lern-forSchung:WelcheS WiSSen trägt Zu lern-WirkSaMeM unterricht bei?

Dr. Ralph Schumacher/Prof. Dr. Elsbeth Stern, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

neurowissenschaftliche ergebnisse besitzen für sich genommen keine bedeu-tung für die gestaltung schulischer lerngelegenheiten. die Methoden der hirnforschung eignen sich weder dazu, Wissensunterschiede zwischen den ler-nenden aufzudecken, noch geben sie anleitung für die darbietung von infor-mationen. ein zukünftiges Potenzial neurowissenschaftlicher Methoden liegt jedoch in der aufdeckung von unterschieden in der informationsverarbeitung, die sich auf der Verhaltensebene nicht beobachten lassen.

1. einleitung

Dank der Fortschritte auf dem Gebiet der Neurowissenschaften können wir heute geis-tige Prozesse wie Lernen nicht nur auf der Verhaltensebene beobachten, sondern pa-rallel dazu auch Aktivitäten im Gehirn verfolgen. So können uns bildgebende Verfah-ren zum Beispiel Informationen über die Unterschiede zwischen den Gehirnzuständen von Menschen mit normaler geistiger Entwicklung sowie normalen Lernfähigkeiten und Menschen mit Entwicklungsstörungen sowie eingeschränkten Lernkompetenzen liefern. Beispielsweise haben Einsichten in die Gehirnfunktionen von Schülern und Schülerinnen mit Lese-Rechtschreibschwäche (Dyslexie) dazu beigetragen, verständlich zu machen, aus welchen Gründen normale Unterrichtsmethoden in manchen Fällen erfolglos bleiben (vgl. Goswami 2004). Die Entdeckung solcher durch das Gehirn bedingten Einschränkungen für das Lernen hat eine fortdauernde Diskussion darüber ausgelöst, inwieweit Ergebnisse

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Neurowissenschaften und Lehr-Lern-Forschung

Jahrbuch 2012

der Hirnforschung generell dazu geeignet sind, eine Grundlage für die Verbesserung von Unterrichtsmethoden bereitzustellen.

Während einige Autoren und Autorinnen Leitideen dafür skizziert haben, wie sich päd-agogische, psychologische und neurowissenschaftliche Forschungen zum menschlichen Lernen integrieren ließen (vgl. Ansari/De Smed/Grabner 2012; Blakemore/ Frith 2006), haben andere vor unrealistischen Erwartungen an die Neurowissenschaften gewarnt (vgl. Bruer 1997; Schumacher 2007; Stern/Grabner/Schumacher 2005) und auf die Gefahr hingewiesen, dass dabei die weitaus besser ausgearbeiteten Theorien zur Verbesserung schulischen Lernens der psychologischen Lehr- und Lernforschung ignoriert werden (vgl. Stern 2005). In diesem Aufsatz wird erklärt, warum die Neurowissenschaften keine Be-deutung für die Gestaltung schulischer Lerngelegenheiten haben – und worin ihr eigent-licher Beitrag zum Verständnis menschlichen Lernens besteht.

2. Welches Wissen benötigen lehrpersonen, um guten unterricht zu erteilen?

Angenommen, eine Lehrperson hat den Schülerinnen und Schülern im Physikunterricht das zweite Newtonsche Gesetz erklärt, wonach es zu jeder Kraft eine gleich große Reak-tionskraft gibt, die in entgegengesetzter Richtung wirkt. Die Lehrperson stellt den Schü-lerinnen und Schülern im Anschluss an ihre Erläuterungen die folgende Aufgabe:

Zwei Skateboard-Fahrer mit gleichem Gewicht stehen sich je auf einem Skateboard gegenüber und sind mit einem gespannten Seil verbunden. Der Linke zieht aktiv am Seil, der Rechte hält es nur fest. Was passiert?

Abb. 1: Aufgabe zum zweiten Newtonschen Gesetz (Quelle: MINT-Lernzentrum der ETH Zürich)

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Nachgefragt

Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die das zweite Newtonsche Gesetz verstanden ha-ben und auf neue Situationen anwenden können, werden die richtige Antwort geben, dass sich beide Skateboard-Fahrer gleich schnell zur anfänglichen Mitte bewegen. Hin-gegen werden andere, die glauben, dass nur der aktiv ziehende linke Skateboard-Fahrer eine Kraft ausübt, antworten, der Linke würde stehenbleiben und der Rechte auf ihn zu rollen. Damit stellt sich die Frage, was Lehrpersonen wissen müssen, um nach Möglich-keit allen Schülerinnen und Schülern diesen physikalischen Zusammenhang verständlich zu machen. Woran liegt es, dass die einen etwas verstehen und die anderen nicht?

Eine wichtige Rolle bei der Erklärung und Vorhersage von Leistungsunterschieden beim schulischen Lernen spielt neben der Intelligenz das Vorwissen der Lernenden in den je-weiligen Inhaltsbereichen. Zu diesem Vorwissen gehören zum einen Vorstellungen, die mit den wissenschaftlichen Inhalten verträglich sind und an die man daher im Unterricht anschließen kann. Dazu gehört zum Beispiel die Vorstellung, dass Kräfte eine Richtung, einen Ansatzpunkt und einen Betrag besitzen. Diese Kenntnisse werden als anschluss-fähige Schülervorstellungen bezeichnet. Zum anderen zählen zum Vorwissen aber auch Vorstellungen, die mit den wissenschaftlichen Inhalten unverträglich sind und daher zu Verständnisschwierigkeiten führen können. Dazu gehört beispielsweise die Vorstellung, dass Kräfte nur dann wirken, wenn Lebewesen aktiv Bewegungen ausführen. Solche Vorstellungen werden als Fehlvorstellungen bzw. als nichtanschlussfähige Schülervorstel-lungen bezeichnet. Um den Unterricht optimal auf den Kenntnisstand der Lernenden abzustimmen, müssen Lehrpersonen also wissen, welche anschlussfähigen und nichtan-schlussfähigen Vorstellungen bei den Schülerinnen und Schülern vorliegen. Dieses Vor-wissen lässt sich mit geeigneten Tests, wie sie zum Beispiel vom MINT-Lernzentrum der ETH Zürich entwickelt werden, vor dem Unterricht erheben.1

Damit das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler im Unterricht gezielt genutzt werden kann, müssen Lehrpersonen zudem wissen, welche Lernformen sich besonders eignen, um das Gelernte zu vertiefen oder um vorliegenden Fehlvorstellungen entgegenzuwir-ken. Eine Lernform, die sich in zahlreichen Vergleichsstudien als besonders wirksam her-ausgestellt hat, besteht darin, die Lernenden mit inhaltlich genau abgestimmten Aufträ-gen dazu aufzufordern, Erklärungen zu bilden. Zur Vertiefung des Gelernten kann ihnen beispielsweise der Auftrag gegeben werden darzustellen, wie sie das zweite Newton-sche Gesetz einem Mitschüler oder einer Mitschülerin erklären würden, der bzw. die die betreffende Lektion verpasst hat. Sie müssen sich dabei also genau überlegen, welche Voraussetzungen sie ihrem Mitschüler bzw. ihrer Mitschülerin zunächst erklären müssen

1 Näheres dazu kann unter URL: http://www.educ.ethz.ch/mint, nachgelesen werden.

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Neurowissenschaften und Lehr-Lern-Forschung

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und welche Punkte für das Verständnis dieses Naturgesetzes besonders wichtig sind. Der oben genannten Fehlvorstellung lässt sich wiederum entgegenwirken, indem die Ler-nenden aufgefordert werden zu erklären, was genau an der Vorstellung falsch ist, Kräfte würden nur dann wirken, wenn aktiv Bewegungen ausgeführt werden – und durch wel-che Fälle diese Vorstellung widerlegt werden kann. Auf diese Weise machen sie sich diese Fehlvorstellung noch einmal besonders bewusst.

Wenn es um die Erklärung von Leistungsunterschieden beim schulischen Lernen geht, dann geht es um Leistungsunterschiede zwischen gesunden Personen mit einer Intelli-genz im normalen Bereich. Es ist wichtig, dies zu beachten, denn häufig wird von neu-rowissenschaftlichen Untersuchungen, die sich mit Unterschieden zwischen gesunden Personen und Personen mit pathologischen Störungen wie der Lese- und Rechtschreib-schwäche (Dyslexie) oder der Rechenschwäche (Dyskalkulie) befassen, fälschlich darauf geschlossen, sie könnten automatisch auch Leistungsunterschiede zwischen gesunden Personen erklären. Für Leistungsunterschiede zwischen gesunden Personen sind aber ne-ben Unterschieden in der Intelligenz vor allem Unterschiede im Vorwissen verantwortlich. Um guten Unterricht zu machen, müssen Lehrpersonen daher das Vorwissen der Ler-nenden kennen, und sie müssen wissen, welche Lernformen sich besonders eignen, um Fehlvorstellungen entgegenzuwirken sowie das Wissen zu vertiefen.

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Nachgefragt

3. Welche forschungsrichtung stellt dieses unterrichts-relevante Wissen bereit?

Das für die Unterrichtsgestaltung relevante Wissen über das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler sowie über wirksame Lernformen stellt nicht der Blick ins Hirn, sondern die empirische Lehr- und Lernforschung bereit. Schülervorstellungen werden erhoben, in-dem man die Kinder bzw. Jugendlichen Fragen wie die folgende bearbeiten lässt:

Mit Fragen wie diesen lässt sich herausfinden, ob die Lernenden bereits über bestimmte Kenntnisse verfügen oder ob sie noch Vorstellungen haben, die nicht anschlussfähig sind und damit zu Verständnisschwierigkeiten führen können. Solche Testfragen eignen sich ebenfalls, um im Anschluss an den Unterricht festzustellen, ob etwas gelernt bzw. richtig verstanden wurde. Denn Lernen zeigt sich im Bewältigen von Anforderungen: Wenn die Schülerinnen und Schüler im Unterricht etwas dazugelernt haben, dann zeigt sich das darin, dass sie nach dem Unterricht Aufgaben lösen können, die sie vor dem Unterricht noch nicht bewältigen konnten.

Eine Kugel liegt auf einem elastischen Brett. Welche der folgenden Aussagen treffen zu?

• Da die Kugel in Ruhe ist, wirken hier überhaupt keine Kräfte. • Auf die Kugel wirkt nur die Stützkraft des gespannten Bretts, sonst würde sie

herunterfallen. • Auf die Kugel wirkt nur die Anziehungskraft der Erde, da sich das Brett durchbiegt. • Das Brett stützt die Kugel ab und wirkt deshalb mit einer nach oben gerichteten

Kraft auf die Kugel.

Abb. 2: Fragen zur Ermittlung des Vorwissens von Schülerinnen und Schülern (Quelle: MINT-Lernzentrum der ETH Zürich)

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Hingegen lässt sich mit dem Blick ins Hirn nicht feststellen, ob etwas richtig gelernt wur-de. Denn grundsätzlich gehen alle Lernprozesse – auch wenn etwas Falsches gelernt wur-de – mit funktionellen oder strukturellen Veränderungen im Gehirn einher, so dass allein von dem Vorliegen neuronaler Veränderungen nicht darauf geschlossen werden kann, dass jemand etwas richtig verstanden hat. Die Beobachtung, dass sich im Gehirn neue Verbindungen von Nervenzellen gebildet haben, ist deshalb unterbestimmt in Bezug auf die Frage, ob das Richtige gelernt wurde. Deshalb gilt: Ganz unabhängig vom techni-schen Fortschritt in den bildgebenden Verfahren der Hirnforschung werden die bunten Bilder niemals die Erhebung von Wissen und Verhalten ersetzen können. Befragungen und Beobachtungen des Verhaltens haben also klare Priorität vor der Beobachtung von Vorgängen im Gehirn: Erst wenn man über das Bewältigen von Anforderungen in Test-situationen festgestellt hat, dass jemand etwas verstanden hat, kann anschließend mit den Methoden der Neurowissenschaften untersucht werden, welche Veränderungen im Gehirn mit diesen Lernprozessen einhergehen. Aber auch wenn man wissenschaftlich abgesicherte Zusammenhänge zwischen Lernprozessen und bestimmten Veränderungen im Gehirn gefunden hat, bleiben Befragung und Beobachtung weiterhin die einzigen sicheren Mittel, um festzustellen, ob etwas richtig gelernt bzw. verstanden wurde.

Auch die Wirksamkeit verschiedener Lernformen kann nur im Rahmen der empirischen Lehr- und Lernforschung untersucht werden. Dazu müssen Vergleichsstudien mit mehre-ren Gruppen durchgeführt werden, die unter verschiedenen Bedingungen bzw. mit ver-schiedenen Lernformen unterrichtet werden. Bei solchen Vergleichsstudien ist es natürlich zentral, zunächst mithilfe geeigneter Vortests sicherzustellen, dass das Ausgangsniveau der verschiedenen Gruppen vergleichbar ist. Dazu werden zum Beispiel Wissenstests mit Fragen wie den oben dargestellten verwendet. Anschließend werden den verschiedenen Gruppen dieselben Inhalte in unterschiedlichen Lernumgebungen bzw. mit verschiede-nen Lernformen präsentiert. Zum Beispiel werden die einen aufgefordert, eine Zusam-menfassung zu schreiben, während die anderen den Auftrag erhalten, Erklärungen zu geben oder genau aufzuschreiben, was sie im Einzelnen noch nicht verstanden haben. Nach Abschluss dieser Interventionen wird mithilfe von Nachtests geprüft, wie viel die Versuchsteilnehmer unter den verschiedenen Bedingungen gelernt haben – und ob sich zwischen den verschiedenen Gruppen statistisch bedeutsame Unterschiede feststellen lassen. Wenn sich gezeigt hat, dass – bei vergleichbaren Ausgangsvoraussetzungen und gleichem Zeitaufwand – eine Gruppe deutlich mehr gelernt hat als die übrigen Gruppen, dann kann behauptet werden, dass die betreffende Lernform wirksamer ist als die an-deren.

Hingegen lassen sich solche Aussagen auf der Grundlage der Beobachtung des Gehirns nicht machen. Denn aus dem Umfang oder der Art der Veränderung von Nervenverbin-

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Nachgefragt

dungen im Gehirn lässt sich nicht ablesen, welche Lernform im Vergleich mit anderen Lernformen am besten geeignet ist, um Individuen auf die Bewältigung von Anforderun-gen vorzubereiten. Zum Beispiel ist es nicht so, dass besonders viele Veränderungen bei der Bildung von Nervenzellen darauf hinweisen, dass besonders viel gelernt wurde. Viel-mehr ist der Umfang der Veränderung und Aktivierung von Hirnarealen davon abhängig, über wie viel Routine und Expertise die betreffenden Personen verfügen. Ob sich also bei einer bestimmten Lernform besonders viele oder besonders wenige Veränderungen bei der Bildung von Nervenzellen im Gehirn zeigen, hat folglich keine Bedeutung dafür, ob viel oder wenig gelernt wurde. Der Blick ins Hirn ist also auch in dieser Hinsicht unter-bestimmt.

Wie kommt diese Unterbestimmtheit zustande? Sie entsteht dadurch, dass die Lehr- und Lernforschung und die Neurowissenschaften unterschiedliche Phänomene auf verschie-denen theoretischen Ebenen erklären. Gegenstand der Lehr- und Lernforschung ist das Verhalten von Personen. Unterschiede im Verhalten wie Leistungsunterschiede werden beispielsweise mit Unterschieden im Wissen oder in der Intelligenz erklärt. Gegenstand der Neurowissenschaften sind Vorgänge im menschlichen Gehirn. Diese Vorgänge wer-den biologisch bzw. chemisch erklärt. Es ist zwar grundsätzlich möglich, geistigen Zu-ständen bestimmte Hirnzustände zuzuordnen, mit denen sie im Allgemeinen gemein-sam auftreten. Aber solche Zuordnungen sind aufgrund der individuellen Unterschiede niemals eindeutig. Denn jedes Gehirn ist aufgrund der Lerngeschichte der betreffenden Person anders. Dadurch kommt die oben dargestellte Unterbestimmtheit zustande: Auch wenn ich einen bestimmten Hirnzustand identifizieren kann, kann ich damit noch nicht mit Sicherheit sagen, in welchem geistigen Zustand sich die betreffende Person befindet – ob sie zum Beispiel das zweite Newtonsche Gesetz verstanden hat. Vielmehr kann ich das nur herausfinden, indem ich ihr Verhalten untersuche und prüfe, ob sie in der Lage ist, bestimmte Anforderungen zu bewältigen.

Erklärungen für ausbleibende Lernzuwächse, die auf Vorgänge im Gehirn abzielen (z. B.: „Es wurde nicht genügend Dopamin ausgeschüttet“ oder: „Der linke Parietallappen war nicht aktiviert“), können grundsätzlich nichts zur Steigerung der Lernwirksamkeit von Unterricht beitragen. Selbst wenn die physiologischen Indikatoren zuverlässig messbar sind (was zum jetzigen Stand der Forschung nur selten der Fall ist), kann die Lehrkraft daraus keine Handlungen ableiten. Stellen wir uns eine Expertenkommission vor, die die Ursachen für einen Flugzeugabsturz herausfinden soll und die nach wochenlanger, kos-tenintensiver Recherche zu dem Ergebnis kommt: „Es war die Gravitationskraft, die den Absturz auslöste“. Das ist zwar aus Sicht der Physik korrekt, aber es erklärt nicht, warum nur das besagte und nicht alle anderen Flugzeuge abgestürzt sind. Statt sich auf allge-meine Gesetze der Physik zu konzentrieren, wird die Kommission nach Konstruktions-

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mängeln und Fehlfunktionen bei dem speziellen Flugzeug suchen, die dazu führten, dass zum Zeitpunkt des Absturzes die Auftriebskräfte nicht größer als die Gravitationskraft waren. Parallel dazu muss die Lehrkraft herausfinden, warum es nicht zur Passung zwi-schen ihrem Input und dem Vorwissen der Lernenden gekommen ist.

4. haben neurowissenschaftliche untersuchungen zu diesem unterrichtsrelevanten Wissen etwas beige-tragen?

Auch wenn in der Wissenschaft Geist und Gehirn noch getrennt betrachtet werden müs-sen, weil die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sie zusammenwirken, noch gänzlich unbe-kannt sind, können beide Perspektiven voneinander profitieren. Es könnte sich immerhin zeigen, dass Erkenntnisse über das Gehirn gewonnen werden, welche psychologische Theorien über den Geist in Frage stellen. So wurden vor wenigen Jahrzehnten noch psy-chische Krankheiten wie Schizophrenie oder Autismus auf frühkindliche Störungen der Mutter-Kind-Beziehung zurückgeführt. Das klingt aus heutiger Sicht absurd: Wir kennen die internen Störungen der Hirnfunktionen bei diesen Krankheiten recht gut und wissen, dass sie sich weder durch Umwelteinflüsse auslösen noch heilen lassen. In der klinischen Psychologie musste man als Ergebnis der Hirnforschung Theorien und Hypothesen auf-geben. Wie aber sieht es in der Lehr- und Lernforschung aus? Zwingen uns Erkenntnisse aus der Hirnforschung zu neuen Sichtweisen des schulischen Lernens? In der Expertise von Stern, Grabner und Schumacher (2005) wurde gezeigt: Keine Einsicht der Lehr- und Lernforschung zur Unterrichtsgestaltung musste aufgrund von Ergebnissen der Neuro-wissenschaften revidiert werden. Psychologische Theorien zum Konzeptwechsel, zur Mo-tivation, zur grafisch-visuellen Wissensrepräsentation können recht präzise Bedingungen für lernwirksamen Unterricht aufzeigen (mehr dazu bei Felten und Stern 2012).

Eigenständige neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse, die zur Revision von Emp-fehlungen der Lehr- und Lernforschung zur Unterrichtsgestaltung geführt haben, lagen bis zum Jahre 2005 nicht vor (vgl. Stern/Grabner/Schumacher 2005). Aber hat sich in der Zwischenzeit der Forschungsstand vielleicht so verändert, dass die damaligen Schlussfol-gerungen nicht mehr zutreffen?

Einen aktuellen Überblick über die neurowissenschaftliche Forschung in diesem Bereich bietet der 2012 veröffentlichte Aufsatz „Neuroeducation – A Critical Overview of An Emerging Field“ von Daniel Ansari, Bert De Smedt und Roland Grabner (2012). Die Au-toren weisen gleich zu Anfang einschränkend darauf hin, dass sich die in diesem Bereich vorliegenden neurowissenschaftlichen Untersuchungen nicht mit der Erklärung von Leis-

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Nachgefragt

tungsunterschieden zwischen gesunden Personen befassen. Stattdessen beschäftigen sie sich mit pathologischen Phänomenen – insbesondere mit Dyslexie und Dyskalkulie. Es geht dabei also darum, Leistungsunterschiede zwischen gesunden Personen und Perso-nen mit bestimmten Leistungsstörungen zu erklären. Da sich diese Untersuchungen nicht mit Leistungsunterschieden zwischen gesunden Personen befassen, können sie folglich auch nicht erklären, warum zum Beispiel einige Schülerinnen und Schüler die eingangs dargestellte Mechanikaufgabe lösen können und andere nicht. Der Forschungsstand hat sich in den letzten fünf Jahren also nicht so stark verändert, dass sich nun behaupten ließe, die Neurowissenschaften würden eigenständige Vorschläge zur Gestaltung schuli-scher Lerngelegenheiten aufstellen.

Ein denkbarer Einwand könnte nun folgendermaßen lauten: „Aber die Neurowissen-schaften bestätigen doch Vieles, was die Lehr- und Lernforschung sagt. Und indem sie dies tun, leisten sie doch auch einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung des Schulunter-richts. Beispielsweise bestätigen sie, dass Personen mit höherer Lernmotivation besser lernen als Personen mit niedrigerer Lernmotivation.“ Dieser Einwand lässt sich mit zwei Überlegungen zurückweisen:

Erstens werden vielfach Ergebnisse der Verhaltensforschung, zu der auch die Lehr- und Lernforschung zählt, als Resultate der Neurowissenschaften ausgegeben. Das trifft auch auf das dargestellte Beispiel zu: Um diese Behauptung begründen zu können, muss man nämlich zunächst Unterschiede in der Lernmotivation erheben, indem Personen mit ge-eigneten Tests befragt werden. Anschließend muss verglichen werden, wie sich diese Motivationsunterschiede auf Leistungen beim Lernen auswirken. Auch dies geschieht wiederum mit entsprechenden Tests, mit denen geprüft wird, wie Personen unterschied-liche Anforderungen bewältigen. Damit wird deutlich, dass diese Behauptung nur durch die Untersuchung des Verhaltens von Personen gestützt werden kann. Hingegen trägt die Untersuchung von Gehirnzuständen zu dieser Einsicht nichts bei.

Zweitens werden vielfach Erkenntnisse der Lehr- und Lernforschung mit unpassenden oder viel zu allgemeinen Befunden der Neurowissenschaften unterfüttert. In diesem Fall wird also das Richtige mit den falschen Gründen gestützt. Um das obige Beispiel noch einmal aufzugreifen: Das ist so, als würde man auf die Frage: „Warum ist dieses Flugzeug abgestürzt?“ antworten: „Wegen der Schwerkraft.“ Diese Antwort ist natürlich viel zu allgemein, denn es interessiert einen ja gerade, warum manche Flugzeuge in der Luft bleiben – und manche nicht.

Ein häufiger Einwand von Anhängern und Anhängerinnen der neurowissenschaftlichen Perspektive ist, dass erst die Hirnforschung die Bedeutung der Emotionen für das Lernen

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Neurowissenschaften und Lehr-Lern-Forschung

Jahrbuch 2012

erkannt habe und dass man erst seitdem wisse, dass Angst ein schlechter Ratgeber beim schulischen Lernen sei. Dieses Argument entbehrt allerdings jeglicher Grundlage und ist wohl auf die Tatsache zurückzuführen, dass viele Kinder mit Schulangst bei Medizinern landen. Wir können derzeit selbst mit Hilfe der besten Hirnscannings nicht zwischen verschiedenen Emotionen unterscheiden. Wir wissen also durch den Blick ins Hirn nicht, ob jemand gerade traurig oder fröhlich ist. Und die Rolle der Angst beim Lernen wurde bereits zu Zeiten geklärt, als der Behaviorismus noch die Psychologie dominierte. Angst kommt auf, wenn negative Konsequenzen, also Strafreize zu erwarten sind, und die-sen kann man nur durch Flucht oder Vermeidung entgehen. Durch das Verabreichen von Strafen kann man also erreichen, dass ein Individuum ein unerwünschtes Verhalten unterlässt. Möchte man hingegen Verhalten aufbauen, müssen positive Konsequenzen erlebt werden. Eltern und Lehrpersonen könnten sich manches Ärgernis ersparen, wenn sie Straf- und Belohnungsreize gezielter einsetzen würden. Ziel der Schule ist es, Verhal-ten und Kompetenzen aufzubauen, die nicht spontan erworben werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Lernenden mit dem Verhalten positive Erlebnisse verbinden. Dazu gehört Kompetenzerleben, also die Bewältigung einer Anforderung. Aus der Tatsache, dass Lehrpersonen und Eltern eine lange bekannte Einsicht – nämlich dass man durch Strafen Verhalten ab-, aber nicht aufbauen kann – nicht konsequent nutzen, lässt sich also keineswegs ableiten, dass Neurowissenschaften zu neuen pädagogischen Einsichten geführt haben bzw. führen können.

5. Worin liegen die Stärken neurowissenschaftlicher un-tersuchungen in bezug auf das Verständnis menschli-chen lernens?

Daraus, dass die Neurowissenschaften keine Bedeutung für die Gestaltung schulischer Lerngelegenheiten haben, folgt selbstverständlich nicht, dass sie keinen Beitrag zum Verständnis menschlichen Lernens leisten können. Das wäre ein Fehlschluss. Um die Be-deutung der Neurowissenschaften für die psychologische Forschung zum menschlichen Lernen zu veranschaulichen, werden im Folgenden sechs exemplarische Fälle der Koope-ration zwischen beiden Disziplinen dargestellt.

Neurowissenschaftliche Erklärungen für entwicklungsspezifische kognitive Defizite

Neurowissenschaftliche Untersuchungen können Erklärungen für entwicklungsspezifi-sche kognitive Defizite liefern, die auf kognitionswissenschaftlicher Ebene bereits be-kannt und untersucht sind. Dies trifft zum Beispiel auf die Studie von Judy DeLoache

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Nachgefragt

(2004) zu, in der die mangelnde Fähigkeit von 18 bis 30 Monate alten Kleinkindern, verkleinerte Modelle von Gegenständen wie Stühlen, Rutschen oder Autos als solche zu erkennen (und entsprechend zu handeln), in Beziehung gesetzt wird zu der neurowis-senschaftlichen Einsicht, dass visuelle Informationen im menschlichen Gehirn in zwei ver-schiedenen Systemen, nämlich im ventralen und im dorsalen System, verarbeitet werden, die in diesem Entwicklungsstadium noch nicht ausreichend miteinander verbunden sind.

Neurowissenschaftliche Erklärungen für kognitive Leistungsstö-rungen

Neurowissenschaftliche Untersuchungen können zur Erklärung kognitiver Leistungs-störungen beitragen. Ein Beispiel ist die Erklärung der Lese- und Rechtschreibschwäche (Dyslexie). Die meisten Kinder mit Dyslexie haben eine verminderte phonologische Be-wusstheit. Das bedeutet, sie haben Schwierigkeiten, zusammengesetzte Sprachlaute in Wörtern zu erkennen und zu erzeugen. Kinder mit solchen phonologischen Defiziten zeichnen sich zudem durch deutlich geringere neuronale Aktivitäten im temporalparieta-len Bereich aus, wenn sie zum Beispiel mit Aufgaben beschäftigt sind, bei denen es dar-um geht zu entscheiden, ob sich bestimmte Silben reimen (vgl. Simos u. a. 2002). Da die Aktivierung in dieser Hirnregion mit besserer Lesefähigkeit zunimmt, lässt sich Dyslexie also mit einer verminderten Hirntätigkeit in diesem Bereich erklären.

Außerdem ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass neurowissenschaftliche Untersu-chungen dadurch für die psychologische Lehr- und Lernforschung Bedeutung gewinnen können, dass sie uns Hinweise auf die Art der neuronalen Ursachen kognitiver Leistungs-störungen geben. Zum Beispiel hat sich gezeigt, dass Dyslexie nicht auf einer Fehlent-wicklung des phonologischen Systems, sondern auf einer verlangsamten Entwicklung dieses Systems beruht (vgl. Goswami 2004). Da es denkbar ist, dass man auf verlangsam-te Entwicklungen mit anderen Trainingsmaßnahmen als auf Fehlentwicklungen reagiert, lassen sich aus solchen Einsichten möglicherweise auch praktische Konsequenzen für die Beseitigung von Leistungsstörungen ableiten.

Verschiedene Ursachen kognitiver Leistungsstörungen

Kognitive Leistungsstörungen können mehrere neuronale Ursachen haben. Während sich also in solchen Fällen auf der Verhaltensebene keine Unterschiede feststellen lassen, können im Zuge neurowissenschaftlicher Untersuchungen bei verschiedenen Personen unterschiedliche Ursachen dieser Störung identifiziert werden. Dies trifft zum Beispiel auf die Lese- und Rechtschreibschwäche zu, der sowohl Störungen im visuellen System

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Neurowissenschaften und Lehr-Lern-Forschung

Jahrbuch 2012

als auch Störungen im auditiven System zugrunde liegen können. Entsprechend diesen Unterschieden müssen also verschiedene Trainingsmaßnahmen ergriffen werden, um die kognitive Störung zu beseitigen. Auf diese Weise können neurowissenschaftliche Unter-suchungen praktische Konsequenzen für Trainings- bzw. Unterrichtsmaßnahmen haben. Dabei muss allerdings einschränkend hervorgehoben werden, dass sie noch nichts über die inhaltliche Beschaffenheit dieser Maßnahmen aussagen. In erster Linie erfahren wir durch solche Untersuchungen nämlich nur, dass wir verschiedene Trainingsmaßnahmen ergreifen müssen, um die kognitiven Störungen zu beseitigen.

Frühzeitige Diagnose kognitiver Entwicklungsstörungen anhand neurowissenschaftlicher Befunde

Es mag im Prinzip möglich sein, anhand neurowissenschaftlicher Befunde kognitive Ent-wicklungsstörungen frühzeitig zu diagnostizieren, bevor sie sich auf der Verhaltensebene zeigen. Dies setzt voraus, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Auf-treten bestimmter Hirnzustände zu einem bestimmten Entwicklungszeitpunkt und dem späteren Auftreten bestimmter Leistungsstörungen gibt. Gegenwärtig lassen jedoch die neurowissenschaftlichen Methoden noch keine zuverlässige Frühdiagnose – zum Beispiel von Sprachstörungen – im Einzelfall zu.

Entscheidungen zwischen konkurrierenden kognitionswissen-schaftlichen Erklärungen

Neurowissenschaftliche Befunde können in manchen Fällen herangezogen werden um zu entscheiden, welcher von zwei konkurrierenden kognitionswissenschaftlichen Erklärungen der Vorzug gegeben werden soll. Erklärt zum Beispiel Theorie A Dyslexie mit Störungen in der visuellen Wahrnehmung und Theorie B mit Störungen beim Sprachverstehen, dann ist es möglich, durch neurowissenschaftliche Untersuchungen der entsprechenden Hirnarea-le herauszufinden, welche dieser beiden Erklärungen zutrifft (siehe dazu auch Goswami 2004). Auch im sogenannten Normalbereich könnten sich hier interessante Entwicklungen ergeben. Ganz aktuell ist ein Artikel von Immordino-Yang, Christodoulou und Singh (2012) zu nennen, in dem gezeigt wird, dass sich verschiedene Zustände der Aufmerksamkeit im Gehirn identifizieren lassen, die Unterschiede im Lernzuwachs erklären können.

Das Trainieren von Vorläuferfähigkeiten

Neurowissenschaftliche Untersuchungen haben ferner gezeigt, dass bestimmte Hirnare-ale, die später bei Erwachsenen wichtige Funktionen für das Rechnen übernehmen, bei

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Nachgefragt

Kindern besonders aktiviert werden, wenn sie ihre Finger abzählen (vgl. Dehaene 1997). Dieser Befund ist vereinbar mit der Annahme, dass es sich beim Rechnen mit Fingern um eine mathematische Vorläuferfähigkeit handelt, deren Förderung sich positiv auf den späteren Kompetenzerwerb auswirkt. Sollte sich diese Prognose in längsschnittlich ange-legten Trainingsstudien als zutreffend herausstellen, dann würden sich aus neurowissen-schaftlichen Einsichten – in Kombination mit Ergebnissen psychologischer Längsschnitts-studien – Anleitungen für die Unterrichtsgestaltung ergeben.

In diesem Zusammenhang muss aber beachtet werden, dass allein aus dem Befund, dass durch das Abzählen der Finger bei Kindern Hirnareale aktiviert werden, die später im Erwachsenenalter für das Ausführen von Rechenoperationen relevant sind, noch nicht ableiten lässt, dass die späteren Rechenleistungen gezielt durch das Üben des Fingerab-zählens in der Kindheit verbessert werden können. Aus der Tatsache, dass man seine Hände beim Essen sowie beim Schreiben benutzt, würde man ja auch nicht schließen, dass Essen eine gezielte Übung für das spätere Schreiben ist. Dass am Zustandekommen zweier Kompetenzen die gleichen physiologischen Grundlagen beteiligt sind, lässt noch keinerlei Schlüsse über Fördermöglichkeiten zu. Bei der Entwicklung der Rechenleistung kann nämlich angenommen werden, dass diese zudem von einer ganzen Reihe kultu-reller Faktoren abhängt, die im Zuge der Beschreibung des menschlichen Gehirns über-haupt nicht erfasst werden.

6. fazit

Die sechs dargestellten Fälle machen deutlich, dass neurowissenschaftliche Untersuchun-gen für die psychologische Lehr- und Lernforschung durchaus von Bedeutung sind, weil sich mit ihnen Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufdecken lassen, die auf der Verhal-tensebene nicht beobachtet werden können. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu beachten, dass sich viele der dargestellten Fälle auf die Diagnose und Erklärung von kognitiven Leistungsstörungen beziehen. Von der unbestreitbaren Kompetenz der Neu-rowissenschaften hinsichtlich der Diagnose und Erklärung pathologischer Fälle darf aber nicht vorschnell darauf geschlossen werden, dass ihr damit die gleichen Kompetenzen auch für die Gestaltung von Lerngelegenheiten im normalen Schulunterricht zukommen. Für die Frage, was uns Menschen in die Lage versetzt, die komplexen Anforderungen, die unsere Umwelt an uns stellt, zu bewältigen, müssen wir die Unterscheidung zwischen Gehirn und Geist beibehalten. Mediziner setzen sich mit der Frage auseinander, ob und wie ein nicht optimal funktionierendes Gehirn medikamentös optimiert werden kann. Lehrerinnen und Lehrer hingegen müssen sich mit dem menschlichen Geist und vor al-lem dem darin gespeicherten Wissen auseinandersetzen. Die Auseinandersetzung mit der Hirnforschung ist zweifelsohne interessant, aber nicht erforderlich für die Gestaltung optimaler Lerngelegenheiten.

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Neurowissenschaften und Lehr-Lern-Forschung

Jahrbuch 2012

literatur Ansari, D./De Smedt, B./Grabner, R. (2012): Neuroeducation – A Critical Overview of An Emerging

Field. In: Neuroethics 2, H. 5, S. 105-117.

Blakemore, S./Frith, U. (2006): Wie wir lernen. Was die Hirnforschung darüber weiß. München: DVA.

Bruer, J. (1997): Education and the Brain: A Bridge Too Far. In: Educational Researcher 26, H. 8, S.

4-16.

Dehaene, S. (1997): The Number Sense. New York: Oxford University Press.

DeLoache, J./Uttat, D./Rosengreen, K. (2004): Scale Errors Off er Evidence for a Perception- Action

Dissociation Early in Life. In: Science 304, H. 5673, S. 1027-1029.

Felten, M./Stern, E. (2012): Lernwirksam unterrichten. Berlin: Cornelsen.

Goswami, U. (2004): Neuroscience and Education. In: British Journal of Educational Psychology, H.

74, S. 1-14. Immordino-Yang, M./Christodoulou, A./Singh, V. (2012): Rest Is Not Idleness: Impli-

cations of the Brain’s Default Mode for Human Development and Education. In: Perspectives on

Psychological Science, H. 7, S. 352-364.

Schumacher, R. (2007): The Brain Is Not Enough. Potentials and Limits in Integrating Neuroscience

and Pedagogy. In: Analyse und Kritik 2, H. 1, S. 38-46.

Simos, P./Fletcher, J./Bergman, M. (2002): Dyslexia-specific Brain Activation Profi le Becomes Normal

Following Successful Remedial Training. In: Neurology 58, H. 8, S. 1203-1213.

Stern, E. (2005): Pedagogy Meets Neuroscience. In: Science 310, H. 5749, S. 745.

Stern, E./Grabner, R./Schumacher, R. (2005): Lehr-Lern-Forschung und Neurowissenschaften: Erwar-

tungen, Befunde und Forschungsperspektiven. Reihe Bildungsreform, Band 13. Berlin: Bundesmi-

nisterium für Bildung und Forschung (BMBF).

hinweis:Erstveröffentlichung dieses Artikels in: Die Deutsche Schule, 104. Jg., Heft 4/2012, S. 383 ff.

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Nachgefragt

elternarbeit: lohnt der aufWand?

Antworten aus Untersuchungen der letzten drei Jahrzehnte zur Elternarbeit

Prof. em. Dr. Werner Sacher, Universität Erlangen-Nürnberg

hinweis:Erstveröffentlichung dieses Artikels in: Lernende Schule, Nr. 61 © 2013 Friedrich Verlag GmbH, Seelze

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WillkommEnund AbschiEd

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Willkommen und Abschied

Jahrbuch 2012

Der jährlich wiederkehrende Personalwechsel in den Abteilungen des Staatsinstituts ist 2012 mit 18 Verabschiedungen weniger drastisch ausgefallen als im Vorjahr, hat

aber trotzdem alle Abteilungen, insbesondere die Abteilung Berufliche Schulen und die Grundsatzabteilung, betroffen. Drei langjährige Mitarbeiter sind in den Ruhestand ein-getreten, viele haben ihre Teilabordnungen an das ISB beendet und sind wieder ganz an ihrer Stammschule tätig, andere haben sich erfolgreich auf Führungspositionen in den verschiedenen Schularten beworben. Jede erfolgreiche Bewerbung unserer Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter, zu der wir ganz herzlich gratulieren, ist auch eine Anerkennung für die hervorragende Arbeit, die von den Damen und Herren in ihrer Position am ISB geleistet wurde.

Bei aller Freude bleiben aber immer auch Lücken, bezogen auf die persönliche Zusam-menarbeit, und natürlich hinterlässt jede Kollegin, jeder Kollege auch eine schmerzhafte fachliche Lücke. Gerade 2012, am Beginn des schulartübergreifenden Projektes Lehr-planPLUS, war der Verlust qualifizierter Mitarbeiter besonders gravierend.

Für das Jahr 2012 möchte ich einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter namentlich er-wähnen:

Mit kirsten binder und dr. Jürgen Moosecker haben uns zwei erfahrene Förderschul-lehrkräfte verlassen, die sich insbesondere in der Entwicklung von Lehrplänen ihrer Schul-art engagiert haben. Aus der Abteilung Berufliche Schulen ist der stellvertretende Leiter der Abteilung, thomas hochleitner, an die Berufliche Oberschule Holzkirchen gewech-selt. Er hat in vielen Jahren am ISB das Berufsfeld Metalltechnik vertreten und in Modell-versuchen der Abteilung verantwortlich mitgearbeitet. reinhard rolvering, in der Qua-litätsagentur für das Aufgabenfeld der externen Evaluation mitverantwortlich, übernahm das Amt des Schulleiters am Gymnasium Neubiberg. Aus der Gymnasialabteilung hat sich Sabine nolte-hartmann nach mehr als sechs Jahren ISB-Tätigkeit erfolgreich auf die Stelle einer Schulleiterin am Gymnasium Maria Stern in Augsburg beworben.

Die drei Pensionisten waren alle in der Grundsatzabteilung tätig. Ihr beruflicher Wer-degang hat barbara Mörig und gabriele gust aus der zum 01.01.2001 aufgelösten staatlichen Landesbildstelle Südbayern an das ISB geführt. edgar Sailer war lange Jahre an der Zentralstelle für Computer im Unterricht in Augsburg tätig. Alle haben sich in ih-ren ISB-Jahren mit viel Engagement und Sachverstand ihren Aufgaben, der Förderung der Medien- bzw. IT-Kompetenz, gewidmet und waren anerkannte fachliche Experten. Edgar Sailer war in den letzten Jahren zudem als stellvertretender Leiter der Grundsatzabteilung verantwortlich tätig.

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Willkommen und Abschied

Den Pensionären wünschen wir Gesundheit und erfüllte weitere Jahre; wir danken ihnen ganz herzlich für die engagierte Arbeit für das ISB und die bayerische Schullandschaft. Bei allen noch aktiven Kolleginnen und Kollegen verbinden wir den Dank mit den besten Wünschen für ihr neues Aufgabenfeld und der Bitte, dem ISB auch in ihrer neuen Tätig-keit wohlwollend verbunden zu bleiben.

Dem Abschied verdienter Kolleginnen und Kollegen stehen 26 Zugänge gegenüber, die Mehrzahl von ihnen als teilabgeordnete Lehrkräfte. Insbesondere in der Abteilung Beruf-liche Schulen ist die Zahl der Teilabordnungen im Kontext der anstehenden Lehrplanar-beit erhöht worden.

Arnulf Zöller, Stellv. Direktor

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Willkommen und Abschied

Jahrbuch 2012

abSchiede neue Mitarbeiter(innen)

direktorat

Stefanie Haselmann

grundsatzabteilung

Doris Graf

Gabriele Gust

Barbara Mörig

Edgar Sailer

Angelika Schneider

Mario Beier

Uta Englisch

Günter Förschner

Tanja Schaad

Markus Schiele

Thomas Straßer

abt. grund-, Mittel- und förderschulen

Kirsten Binder

Karoline Finkenzeller

Dr. Jürgen Moosecker

Christine Fiener-Schachtner

Simone Nistl

Stefan Schaaf

Daniela Schinkinger

abt. realschule

Andreas Scheungrab Sabine Gruchmann-Schneider

Andreas Noll M. A.

Magnus Ortinger

Elisabeth Stumpferl

abt. gymnasium

Sabine Nolte-Hartmann Manuel Streubert

abt. berufliche Schulen

Christian Bruchhäuser

Gesa Führer

Thomas Hochleitner

Michael Klein

Georg Ott

Rolf Typke

Ruth Westphal

Jürgen Gleixner

Manuela Meixner

Johannes Müller

Martina Radlbeck

Peter Schmidt

Andreas Streinz

Michaela Wagner

qualitätsagentur

Reinhard Rolvering Karolina Croner

Edmund Rieger

Franziska Rudolph-Albert

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dAtEnund fAktEn

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Daten und Fakten

Jahrbuch 2012

ArbEitsbErEichE

Die folgenden Grafiken zeigen den für das Schuljahr 2012/13 geplanten Personaleinsatz in den verschiedenen Arbeitsbereichen des ISB.

Prüfungen, Tests

20%14%

20%

7%

31%

8%

Modell- und Schulversuche

Lehrpläne und Standards

Bildungsforschung

Beratung, Erfahrungsaustausch

Umsetzungshilfen

Abb. 1: Verteilung der Personentage: Grundsatzabteilung und Schulabteilungen

Merkmale von Schulqualität und ihre empirische Erfassung

Bildungsberichterstattung und Bildungsmonitoring

Vergleichsarbeiten

Externe und interne Evaluation der Einzelschule

25%

25%27%

23%

Abb. 2: Verteilung der Personentage: Qualitätsagentur

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Daten und Fakten

VEröffEntlichungEn dEs JAhrEs 2012

Das ISB veröffentlicht zahlreiche Materialien, die gedruckt und/oder online zum Herun-terladen zur Verfügung stehen.

Das hohe Interesse an den Produkten des ISB lässt sich insbesondere an den Zugriffen auf die neue ISB-Homepage ablesen: Seit der Freischaltung der neuen Seite Ende Dezember 2012 waren bis Ende Juni 2013 über 14,6 Millionen Klicks zu verzeichnen.

Zu verschiedenen Themen bietet das ISB zudem unter separaten Internetadressen er-reichbare Themenportale an:

Portal WebadreSSe

AWT: Landesarbeitsgemeinschaft für Arbeit-Wirtschaft-Technik

www.awt-bayern.de

Bausteine interkultureller Kompetenz www.kompetenz-interkulturell.de

Bilingualer Sachfachunterricht www.bayern-bilingual.de

Datenschutz in der Schule www.datenschutz-schule-bayern.de

DEMO – Denken in Modellen www.denken-in-modellen.de

Digitale Materialbörse für den Unterricht an Grund- und Förderschulen

www.ak-grundschule.de

Einsatz von ERP-Software im Unterricht www.erp-software-bayern.de

EU-Bildungsprogramme www.eu-bildungsprogramme.info

Europa-Portal – Demokratieerziehung an Schulen in Bayern

www.bayern-in-europa.de

Ganztagsschulen in Bayern www.ganztagsschulen.bayern.de

Gesundheit und Schule www.gesundheit-und-schule.info

Gymnasiale Oberstufe www.isb-oberstufegym.de

Historisches Forum Bayern www.historisches-forum-bayern.de

Individuell fördern www.foerdern-individuell.de

JoA – Jugendliche ohne Ausbildungsplatz www.joa.bayern.de

KIDS – Künstler in die Schulen www.kuenstler-in-die-schulen.de

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Daten und Fakten

Jahrbuch 2012

Portal WebadreSSe

Kompetenzorientierung an Schulen (KOMPAS) www.kompas.bayern.de

Kreisinformationssystem www.kis-schule-bayern.de

Kunst an der Realschule www.kunst-rs-bayern.de

Leseforum Bayern www.leseforum.bayern.de

mebis – Landesmedienzentrum Bayern www.mebis.bayern.de

Partnerklassen www.partnerklassen-bayern.de

Prima Mädchen – Klasse Jungs www.primamaedchen-klassejungs.de

QmbS – Qualitätsmanagement an beruflichen Schulen in Bayern

www.qmbs-bayern.de

Schulentwicklung in Bayern www.schulentwicklung.bayern.de

SchulKinoWoche Bayern www.schulkinowoche-bayern.de

SchulLaborBayern www.slb.bayern.de

SINUS Bayern www.sinus-bayern.de

Vergleichsarbeiten in Bayern vergleichsarbeiten.isb-qa.de

Wege zur Mittelschule www.isb-mittelschule.de

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Daten und Fakten

Alle aktuell verfügbaren Materialien sind zu finden unter www.isb.bayern.de. Folgen-de Aufstellung gibt einen Überblick über die 2012 neu erschienenen Publikationen.

für die realschule:• Der Korrektur-Knigge – Leistungserhebung und Leistungsbewertung im Fach Be-

triebswirtschaftslehre/Rechnungswesen

für das gymnasium:• Handreichung für Oberstufenkoordinatorinnen und Oberstufenkoordinatoren an

bayerischen Gymnasien• Leistungserhebungen im Fach Ethik• Sozialpraktische Grundbildung – Nähe zur sozialen Wirklichkeit• Kooperation Geschichte und Sozialkunde: Unterrichtsvorschläge und Materialien für

die Jahrgangsstufen 10 bis 12

für berufliche Schulen:• Berufssprache Deutsch – Förderung der beruflichen Sprachkompetenz von Jugendli-

chen in Ausbildung• Didaktische Jahresplanung• Deutschunterricht – innovativ und kompetent• Umsetzungshilfen zum Lehrplan für Fachschulen für Heilerziehungspflege

für förderschulen:• Förderschwerpunkt Hören - IM FOKUS

Schulartübergreifend:• Werte bilden• Bildungsbericht Bayern 2012• Bildungsbericht Bayern 2012: ausgewählte Befunde• Aktuelles aus der Qualitätsagentur 2012• Leitfaden für die Erstellung von Zielvereinbarungen• Geschichte ist überall• Mit Mut gegen Mobbing• Unterricht mit Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf Sehen• Schule bauen• MSD-Infobrief: Nachteilsausgleich• Leistungserhebungen im Fach Ethik• MSD-Infobrief: Schülerinnen und Schüler mit Epilepsie

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Daten und Fakten

Jahrbuch 2012

gästE im isbWie jedes Jahr konnte das ISB auch 2012 zahlreiche Gäste begrüßen, darunter mehrere Gruppen aus China. Weitere ausländische Besucher kamen aus folgenden Staa-ten:

• Belgien• Brasilien• Bulgarien• Dänemark• Estland• Finnland• Frankreich• Griechenland• Großbritannien• Indien• Irland• Island

• Israel• Italien• Japan• Kroatien• Lettland• Mazedonien• Niederlande• Norwegen• Österreich• Palästinensische

Autonomiegebiete• Polen

• Portugal • Rumänien• Schweden• Slowakei• Spanien• Tschechien• Türkei• Tunesien• Ukraine• Vereinigte Arabische

Emirate• Zypern

Bei den Besuchen standen Informationen zum bayerischen Schulsystem, zur beruflichen Bildung, zu den Aufgaben des ISB, insbesondere zur Lehrplanarbeit, zu Evaluation und Qualitätsentwicklung von Schule sowie zu fachspezifischen Fragestellungen im Zentrum des Interesses.

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Daten und Fakten

gEschäftsVErtEilung (Stand: Dezember 2012)

Genannt sind die Namen und die Hauptaufgaben der Mitarbeiter. Zwischen Planstellen und Teilabordnungen bzw. Beamten und Angestellten wird nicht unterschieden. Eine ge-nauere Beschreibung der Zuständigkeiten ist den entsprechenden Seiten der ISB-Home-page zu entnehmen.

direktorat

Direktor des Staatsinstituts Thomas Sachsenröder

Ständiger Stellvertreter des Direktors Arnulf Zöller

Hauptsekretariat Regina Auricchio

Öffentlichkeitsarbeit

Leitung Susanne Grupp-Robl

Mediengestaltung Stefanie Haselmann

Verwaltung

Verwaltungsleiter und Beauftragterfür den Haushalt

Klaus Hollmann

Personal- und Rechnungswesen Sylvia AuricchioBrigitte MayerKarin Röhrenbeck

Hausverwaltung Miroslav WimmerIbrahim Cakirbey

Allgemeine Verwaltungsaufgaben, Post Reinhold MerathSonja Schell

Bibliothek

Gabriele Mack-Graumann

Zentrale EDV-Stelle

Leitung Bertram Hütter

Betreuung von Netzwerk und Serverlandschaft Holger Fritzsche

Datenbankadministrator Christoph Höchtl

Entwicklung und Pflege hausinternerAnwendungen

Marcel Köberl

EDV-Einkauf und EDV-Organisation Heidrun Ulbrich

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Daten und Fakten

Jahrbuch 2012

grundsatzabteilung

Leitung der Abteilung Arnulf Zöller

Sekretariat Natalia BelenkiBirgitt Berger

Pädagogische Grundsatzfragen Günter FörschnerDr. Ulrich Kanz M. A.Claudia Reichmann M. A.Tanja SchaadBianca SchmidtDr. Ursula Weier

Organisations- und Qualitätsentwicklungan Schulen

Marlies KennerknechtUte MultrusMario BeierUta EnglischIngo Mayer

Medienbildung Dr. Vera HaldenwangEgon Birner Hermann RuchAndré Ruppert Thomas Straßer

Sekretariat Leseförderung Annette Achatz

Mitschnitt Christina LembergerGabrijela Varga

Wissenschaftliche Begleitungen, Evaluationenund empirische Erhebungen

Dr. Bernd SchaalDr. Reinhard AndreasBarbara KlöverDr. Katrin Vogt

Europäische Bildungsprogramme Markus SchieleWolfgang Schwarzenberger

Sekretariat EU-Bildungsprogramme Birgit Leonhard

Bayer. Landeskoordinierungsstelle für Musik Birgit Huber

Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Michael KochDr. Melanie Mönnich/Nicole Tödter

abteilung grund, Mittel- und förderschulen

Leitung der Abteilung Alexandra Brumann

Sekretariat Lisbeth BraunDagmar Hauffe

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Daten und Fakten

Grundschule Dr. Eva LangChristine Fiener-SchachtnerBarbara KastenmüllerSimone Nistl

Mittelschule I Karl RauschederCaterina Hentzschel Hella Tinis-Faur M. A.Dr. Vassilia Triarchi-Herrmann M. A.

Mittelschule II Rosa WagnerArnold Dietl Jürgen GroßeJudith Müller-WehUlrike Pyka

Sonderpädagogische Förderung – Inklusion I Dr. Ellen Kunstmann Christian AlbrechtDaniela Schinkinger

Sonderpädagogische Förderung – Inklusion II Thomas MillerStefan Schaaf Corina Sperr-Baumgärtner

abteilung realschule

Leitung der Abteilung Günter Frey

Sekretariat Hannelore Marschik

Deutsch, Geographie Rosa Maria Luible-Ernst

Französisch Stefanie Ambs

Englisch Daniela Bauer

Werken Elisabeth Mehrl

Kunst Sabine Gruchmann-Schneider

Mathematik Tobias Schiller/Andreas Noll M. A.

Physik Elisabeth Stumpferl

Chemie Michael Reisinger

Gesellschaftswissenschaften Gudrun Pfab

Wirtschaftswissenschaften/IT Wolfgang Jirschik/Magnus Ortinger

abteilung gymnasium

Leitung der Abteilung Jörg Eyrainer

Sekretariat Miranda FruthGerhild Kapitzke

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Daten und Fakten

Jahrbuch 2012

Kath. Religionslehre (schulartübergr.) Thomas Gottfried

Evang. Religionslehre (schulartübergr.) Sebastian Eisele

Ethik (schulartübergr.) Dr. Gerald Hofmann

Deutsch Jürgen Rotschedl M. A.

Latein, Griechisch Dr. Werner Scheibmayr

Englisch, Italienisch Sabine Schinzel

Französisch Carmen Jung

Spanisch Oliver Jordan

Russisch Gerd Flemmig

Mathematik Vasco Lorber

Informatik, Natur u. Technik Dr. Petra Schwaiger

Fibonacci Bayern Harald HaidlChristine Pichler/Bernhard Sauermann

Physik, Biophysik, Natur u. Technik Michael Haßfurther

Biologie, Chemie, Natur u. Technik Petra Reinold

Geschichte Josef Koller

Sozialkunde, Sozialprakt. Grundbildung Ansgar Stich

Geographie, Geologie Roland Marx

Wirtschaft und Recht, Wirtschaftsinformatik Tobias Tyll

Kunst (schulartübergr.) Dr. Ernst Wagner

Musik (schulartübergr.) Dr. Tina Erhardt

Sport (schulartübergr.) Dr. Holger Falk

Neue Oberstufe Manuel Streubert

Seminarausbildung Dr. Wolfgang Bergold

abteilung berufliche Schulen

Leitung der Abteilung Georg Renner

Sekretariat Gertrud BaierN. N.

Allgemeinbildende Fächer an beruflichen Schulen

Fremdsprachen Lucia SaalManuela Meixner

Deutsch, Geschichte, Sozialkunde Jürgen GleixnerPetra Sogl Sabine Loritz-Endter

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Daten und Fakten

Mathematik, Physik Johann MüllerMartina Radlbeck

Gewerblich-technische Bildung

Ernährung u. Hauswirtschaft; Chemie, Physik, Biologie

Gisela Stautner

Metall, Kfz-Technik, Monoberufe Thomas Hochleitner

Bau-, Holz-, Farbtechnik Rainer Witt

Elektro-, Medientechnik, Informatik Andreas Streinz

Kaufmännische Bildung

Wirtschaft und Verwaltung Caroline StahlJutta BremhorstHarald DeckerPeter SchmidtMichaela Wagner

Sozial- und Gesundheitswesen

Sozialwesen Astrid Gottbrecht

Gesundheit Christine Leike

qualitätsagentur

Leitung der Abteilung Prof. Dr. Eva-Maria Lankes

Sekretariat Katrin BemmannSusanne Werner

Bildungsberichterstattung/ Bildungsmonitoring

Florian BurgmaierMarkus Teubner Dr. Angelika TraubSusanne Werner

Vergleichsarbeiten Dr. Martin PookDr. Alexander CrössmannDr. Franziska Rudolph-Albert

Merkmale von Schulqualität und ihreempirische Erfassung

Dr. Franz HuberFlorian BäuerleFelicitas MandonDidier Vaccaro

Externe und interne Evaluation der Einzelschule

Michael SchefcsikAnnemarie Hruza-MayerCarolina KronerEdmund RiegerRalf Thaben

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111Jahrbuch 2012

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112Jahrbuch 2012