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Porträtbroschüre Einblicke

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Page 1: Porträtbroschüre Einblicke
Page 2: Porträtbroschüre Einblicke

E I N B L I C K EE I N S T E I N - F E L L O W S U N D - P R O F E S S O R E N

Page 3: Porträtbroschüre Einblicke

KFRANK KELLETERFREDERICK KLAUSCHENRALPH KRÄHNERTTOBIAS KÜMMERLEGITTA KUTYNIOK

LTHOMAS Y. LEVIN

MDAVID J. MOONEY STEFFEN MÜLLER

JMICHAEL JOSWIG

SDIETMAR SCHMITZ HANS SCHREIBERADRIEN SEMIN JAMES A. SETHIAN

TLIBA TAUB ANDREAS THIEL ANITA TRANINGER ROGER D. TRAUB

GADELE E. GOLDBERG DETLEF GÜNTHER

HJOHN F. HARTWIG

DRAYMOND DOLANCLAUDIA DRAXL

EANGELIK A EGGERTA. EHRENHOFER-MURRAY HÉLÈNE ESNAULT

ABETTINA ALBERSALEX ARTEAGAK AAN ATAK

PNURIA PLATTNER

RJURI RAPPSILBER MICHIEL REMMESTEFAN RINKE

WWENDELIN WERNER

BVERA BEYER

CCRAIG J. CALHOUN

OMARTIN OESTREICH

FNANCY FRASER

Page 4: Porträtbroschüre Einblicke

A L B E R T E I N S T E I N , 1 9 5 5

»Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen«

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B E T T I N A A L B E R S E I N S T E I N J U N I O R F E L L O W

»Ich horche in die Tiefe«

Page 6: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Sie nutzen Schallwellen, um Böden zu untersuchen? Ja, üblicherweise macht man Bohrungen und ent­

nimmt Proben, um den Baugrund zu erkunden. Doch dabei muss man den Boden zerstören. Ich versuche mit meiner theoretischen Arbeit die Grundlagen für die Entwicklung zer­störungsfreier Prüfmethoden zu schaffen, die zudem kos­tengünstiger sind. Dabei bediene ich mich der Eigenschaften akustischer Wellen. Wenn man ein Signal durch den Boden schickt und zum Beispiel die Wellengeschwindigkeit misst, kann man daraus auf die Zusammensetzung und Standfestig­keit des Bodens schließen. Das ist auch beim Schiefen Turm von Pisa so gemacht worden. Eine andere Welleneigenschaft lässt sich möglicherweise zur Vorhersage von Erdrutschen nutzen: Bei einem bestimmten Sättigungsgrad des Bodens verdoppelt eine der Schallwellen ihre Geschwindigkeit na­hezu. Wenn dieser Sättigungsgrad durch viel Regen erreicht wird, kann man den Geschwindigkeitsanstieg messen und ein Warnsystem aktivieren.

Sie leisten also theoretische Forschung mit sehr konkretem Nutzen?

Ich sehe mich als Grundlagenforscherin, aber als Ingenieurin bin ich immer auch an der Praxis interessiert. Eines meiner Anliegen ist es, ingenieurtechnische und mathe ­matische Herangehensweisen miteinander zu verknüpfen und eine komplexe Modellbildung für praktische Anwendun­gen zu nutzen. Ich finde es faszinierend, die Vorgänge in der

Tiefe eines Mediums auf eine abstrakte mathematische Ebe­ne zu übertragen. Das ist besonders interessant bei porösen Medien, bei denen das Zusammenspiel von Feststoffen und Hohlraum fluiden beschrieben werden muss. In den Hohl­räumen teilgesättigter Böden bewegen sich nichtmisch bare Flüssigkeiten, zwischen denen eine Oberflächenspannung auftritt. Der sogenannte Kapillardruck weist bei gleichem Sättigungsgrad des Bodens unterschiedliche Werte auf, je nachdem ob Wasser hinein­ oder abfließt. Ich entwickle in meinem Projekt als Einstein Junior Fellow ein mathemati­sches Modell, das den Einfluss dieser Faktoren auf die Aus­breitung von Schallwellen beschreibt, um noch bessere zer­störungsfreie Prüfverfahren schaffen zu können.

Woran denken Sie, wenn Sie Schallwellen untersuchen? Wellenausbreitung ist für mich ein bisschen wie

das Leben der Menschen. Wenn eine Welle gedämpft ist und ihre Amplitude langsam abnimmt, ist das vergleichbar mit der Kraft des Menschen, die zum Ende des Lebens abnimmt. Auch die Amplitude einer Welle mit ständigem Auf und Ab ist mit dem Leben vergleichbar: Auf Rückschläge folgen meist positive Ereignisse. Für mich ist ein solches positives Ereig­nis, dass die Einstein Stiftung mir die Gelegenheit bietet, mit viel Freiheit in meinem Gebiet zu forschen.

S E I T 2 0 1 2

Einstein Junior Fellow am Institut für Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin

2 0 1 0

Habilitation an der Technischen Universität Berlin

2 0 0 5 — 2 0 0 9

Projektleiterin eines DFG­ Forschungs projekts an der Technischen Universität Berlin

1 9 9 7 — 2 0 0 5

Doktorandin und Postdoktorandin am Weierstraß­Institut für Angewandte Analysis und Stochastik in Berlin

Die Geomechanikerin B E T T I N A A L B E R S erforscht die Ausbreitung akustischer Wellen in Böden und Gesteinen. Sie ist Privatdozentin am Fachgebiet Grundbau und Boden­mechanik des Instituts für Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin.

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»Kunst ist Philosophie mit anderen Mitteln« A L E X A R T E A G A E I N S T E I N J U N I O R F E L L O W

Page 8: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Was ich tue, ist ästhetische Forschung. Ich bewe­ge mich in einem hybriden Forschungsfeld zwischen Kunst, Philosophie und Architektur. Mir geht es um die Frage, wie Architektur den Prozess beeinflusst, durch den wir die Welt in unserer alltäglichen Erfahrung als sinnvolles Ganzes ver­stehen. Ich möchte die klassische Dualität zwischen gebau­ter Umgebung und erlebtem Raum überwinden. Mein Modell schlägt stattdessen ein dynamisches System vor, in dem das Erleben von gebautem Raum als Bedingung für die Entste­hung von individuellem und kollektivem Sinn gilt. Das ist zunächst einmal sehr abstrakt, aber ich hoffe durch meine Forschung auch einen Beitrag zur Veränderung der archi­tektonischen Praxis zu leisten. Grundlagenforschung ist für mich ein Mittel, die Welt zu verändern.

Ich erfahre die gebaute Umgebung als zunehmend distanziert und schwer zugänglich für eine bereichernde Interaktion. Das führe ich unter anderem zurück auf Lücken in der Architekturausbildung, die durch eine zweidimensio nale und eine ingenieursorientierte Herangehensweise geprägt ist – Architektur als Schaffen von Bildern und Architektur als Konstruktion. Dem möchte ich eine Architektur entge­gensetzen, die aus der Raumerfahrung gedacht wird – eine Architektur als Raumkunst. Es braucht eine Neubestimmung und Aufwertung des Subjektiven.

In meiner Arbeit erkunde ich den architektonischen Raum durch ästhetische Feldforschung. Dabei gehe ich nicht von einer gegebenen Realität aus, aus der ich Daten entneh­

me, die ich später im Büro auswerte, sondern versuche einen ästhetischen Zugang zum Raum zu schaffen, der seine Pro­zesshaftigkeit offenlegt und ihn nicht als zeitlos erscheinen lässt. Zum Beispiel durch performative Videoaufnahmen von einem Ort, die ich am selben Ort als Installation zeige. Durch diese Verdopplung und mediale Verschiebung ergibt sich ein dynamischer Zugang zum Raum – eine Wahrnehmung der Wahrnehmung des Raums.

Mein Interesse an Wahrnehmung kommt aus mei­ner künstlerischen Praxis. Wahrnehmung habe ich dabei immer als mein Arbeitsmaterial gesehen. Sie ist das funda­mentale Moment der Weltkonstitution, in dem wir die Welt zu neuem Leben erwecken. Künstlerisch zu arbeiten heißt für mich daher nicht, schöne Objekte zu schaffen, sondern einen anderen Zugang zur Welt zu schaffen. Kunst ist Philosophie mit anderen Mitteln.

S E I T 2 0 1 3

Einstein Junior Fellow an der Auditory Architecture Research Unit der Universität der Künste Berlin

2 0 0 8 — 2 0 1 2

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kolleg­Forschergruppe Bildakt und Verkörperung der Humboldt­Universität zu Berlin

S E I T 2 0 0 6

Mitgründer und Leiter der Forschungs­stelle Auditive Architektur, Universität der Künste Berlin

2 0 0 5 — 2 0 0 8

Promotion in Philosophie über Kognition und ästhetische Praxis an der Humboldt­Universität zu Berlin als Stipendiat der Heinrich­Böll­Stiftung

A L E X A R T E A G A erforscht die Entstehung von Sinn durch ästhetische Erfahrung. Er ist Leiter der Forschungsstelle Auditive Architektur im Masterstudiengang Sound Studies an der Universität der Künste Berlin.

A L E X A R T E A G AE I N S T E I N J U N I O R F E L L O W

»Künstlerisch zu arbeiten heißt für mich nicht,

schöne Objekte zu schaffen«

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» Den Tanz der Moleküle verstehen«

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K U R Z V I T A

Wenn wir ein Problem im Innern unseres Körpers ha­ben, machen Ärzte Röntgenaufnahmen, um ihm auf die Spur zu kommen. Ich nutze die Röntgenspektroskopie, um in den Mikrokosmos zu schauen und zu beobachten, wie Moleküle und Atome interagieren. Unsere Geräte ermöglichen es uns, Dinge zu sehen, die sonst im Verborgenen bleiben würden. Dieser Blick auf mikroskopische Prozesse ist notwendig, um die Ursachen unterschiedlicher Phänomene zu erkennen – nur so können wir zum Beispiel verstehen, warum Viren uns krank machen.

Es ist so, als würde man das Treiben in einem Tanz­saal beobachten. Tanzpartner kommen zusammen, reagie­ren auf Signale, geben ihre Zu­ oder Abneigung zu erkennen. Auch Moleküle und Atome vollführen eine Art Tanzbewegung. Sie gehen Verbindungen ein und verständigen sich über Elek­tronen. Ihre elektronische Struktur ist entscheidend für die Dynamik zwischen ihnen. Wir beschießen die Moleküle, die wir untersuchen, mit Röntgenstrahlen aus der Synchrotron­quelle BESSY II in Adlershof bei Berlin. Die Röntgenstrahlen, die sie zurücksenden, zeichnen wir auf und erhalten so wich­tige Informationen über ihre elektronische Struktur.

Im Moment untersuche ich eine bestimmte Grup­pe von Biomolekülen, sogenannte Porphyrine, vor allem ein Häm­Molekül, das ein Eisen­Atom enthält. Das Eisen bindet kleinere Moleküle wie Wasser, Sauerstoff und Kohlendioxid. Wie das genau geschieht, interessiert uns, weil es uns hilft, die Funktion von Hämoglobin besser zu verstehen, ein we­

sentlich größeres Molekül, das den Sauerstofftransport in unsere Zellen gewährleistet.

Unsere Untersuchungen zielen darauf, die grundle­genden Eigenschaften und elektronischen Strukturen unter­schiedlicher Materialien zu verstehen. Doch sie können auch konkret dabei helfen, effizientere Moleküle zu „bauen“, die zum Beispiel für eine effektivere Verteilung von Medikamen­ten im Blut sorgen können.

Ich bin schon immer ein sehr neugieriger Mensch gewesen. Als Kind habe ich mein Spielzeug zerlegt, um her­auszufinden, wie es funktioniert. Ich wusste schon früh, dass ich in die Wissenschaft wollte, um die Welt besser zu verste­hen, in der wir leben. Das ist noch heute so. Ich interessiere mich für alles Mögliche, insbesondere auch für Psycholo­gie und Geschichte. Aber am faszinierendsten finde ich die Physik. Physiker sind für mich so etwas wie die Orakel unse­rer Zeit. Wir sind auf der Suche nach den Gesetzen des Uni­versums. Und haben wir die erst einmal verstanden, können wir die Zukunft voraussagen. Für mich ist das wie Magie.

S E I T 2 0 1 2

Einstein International Postdoctoral Fellow an der Freien Universität Berlin

S E I T 2 0 1 2

Mitglied der Helmholtz­Nachwuchs­gruppe „Struktur und Dynamik funk­tionaler Materialien in Lösung“

2 0 1 1

Postdoktorand am Helmholtz­Zentrum Berlin für Materialien und Energie

2 0 0 0 — 2 0 0 9

Lehr­ und Forschungsassistent an der Bogaziçi­Universität, Istanbul, Promotion in Physik

K A A N A T A K untersucht Eigenschaften von Metalloproteinen im menschlichen Körper mit röntgenspektroskopischen Methoden. Der Physiker ist Postdoktorand an der Freien Universität Berlin.

K A A N ATA KE I N S T E I N I N T E R N A T I O N A L P O S T D O C T O R A L F E L L O W

»Physiker sind die Orakel unserer Zeit«

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»Sahen andere Kulturen anders?«

Page 12: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Ich beschäftige mich mit dem ureigensten Instru­ment der Kunstgeschichte: mit dem Sehen. Wir schauen na­türlich immer mit unseren eigenen, heutigen Augen. Aber ich glaube, dass Bilder einen Eindruck davon vermitteln können, wie man früher und anderenorts gesehen hat – und wie sich die Modi entwickelt haben, wie wir heute sehen.

Hierfür betrachte ich Bilder, in denen Momente des Sehens dargestellt werden. Zum Beispiel eine Szene der Josephsgeschichte, die im Alten Testament auftaucht: Hier wirft die Frau des Potiphar – im persischen Kontext heißt sie Zulaikha – einen Blick auf Joseph. Diese Szene wird im Koran aufgegriffen, aber auch in der persischen mystischen Dich­tung und in protestantischen Katechismen – sie wurde im­mer wieder umgedacht oder umgedichtet. Dadurch kann man transkulturell vergleichend beobachten, wie unterschiedlich dieser Blick auf Joseph dargestellt und bewertet wird.

Rembrandt etwa stellt die Szene sehr körperlich dar. Doch körperliche Schönheit bleibt im europäischen Kontext meist ambivalent: Sie wird gezeigt, aber man soll sie nicht be­gehren. Und die Frau, die dieses Begehren weckt, wird negativ bewertet. Im persischen Kontext hingegen verlieren sich diese negativen Beurteilungen: Zulaikha erkennt, dass die körperli­che Schönheit Josephs eigentlich der Abglanz göttlicher Schön­heit ist. Daraufhin nimmt die Geschichte eine für den westlichen Betrachter überraschende Wendung: Nachdem Zulaikha ver­standen hat, dass Josephs Schönheit nicht als körperliche, son­dern als geistige anzusehen ist, willigt er ein, sie zu heiraten.

Seit ich zu Bezügen zwischen europäischen und nah­ östlichen Bildkulturen forsche, bin ich mit Klischees konfron­tiert, die grundlegende Unterschiede unterstellen: Dass die nahöstlichen Kulturen im Unterschied zu den europäischen bilderfeindlich seien, ist nur eines dieser Stereotype. Dage­gen versuchen mein Team und ich, die engen Verflechtun­gen zwischen diesen Bildkulturen in den Blick zu rücken – gemeinsame Bezüge auf die Antike beispielsweise oder Objekte, die zwischen Europa und dem Nahen Osten zirku­lierten, sodass man Teppiche mit arabischer Schrift in west­ europäischen Kirchen findet und deutsche Heiligenbilder in den Alben der Mogulherrscher. Vor diesem Hintergrund werden auch Abgrenzungen in einer gemeinsamen Geschich­te verständlich. Das heißt freilich nicht, dass Kunst eine universell verständliche Sprache wäre – vielmehr gilt es ein Artefakt in seinem Kontext zu verstehen, um Klischees entgegenzuwirken.

S E I T 2 0 1 2

Einstein Junior Fellow am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin

S E I T 2 0 0 8

Leitung der DFG Emmy Noether­ Nachwuchsgruppe „Kosmos/Ornatus. Ornamente in Persien und Frankreich um 1400 im Vergleich“

2 0 0 5 — 2 0 0 8

Lehre und Forschung in New York, Bochum und Basel

2 0 0 2 — 2 0 0 5

Graduiertenkolleg „Repräsentation – Rhetorik – Wissen“, Europa­Universität Viadrina, Frankfurt/Oder; Promotion mit Auszeichnung an der Universität Hamburg

V E R A B E Y E R erforscht die Vorstellung vom Sehen in unterschiedlichen Kulturräumen. Die Kunsthistorikerin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin.

V E R A B E Y E RE I N S T E I N J U N I O R F E L L O W

»Ein Artefakt in seinem Kontext verstehen«

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C R A I G J . C A L H O U N E I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Die großen Fragen unserer Zeit verstehen«

Page 14: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

S E I T 2 0 1 2

Direktor der London School of Economics and Political Science

2 0 1 0 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow, Berlin Graduate School of Social Sciences, Humboldt Universität zu Berlin

2 0 0 1

Mitbegründer des Nachwuchs­ und Kooperationsprojektes NYLON, New York State University/London School of Economics and Political Science

1 9 9 6 — 2 0 1 2

Professor für Soziologie an der New York University und an der Columbia University New York

C R A I G J . C A L H O U N ist Direktor der London School of Economics and Political Science. Der Soziologe beschäftigt sich unter anderem mit der Wechselwirkung von individuel­len Ansprüchen und kollektivem Handeln.

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Ich habe immer ein emotionales Verhältnis zu mei­ner Arbeit gehabt, nicht nur ein rein intellektuelles Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen. Das ist mir vor allem bei den Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 in China so gegangen, als ich an Ort und Stelle mit den Studenten gesprochen habe. Ich fühlte eine große Verbundenheit mit ihnen und eine moralische Verpflichtung, dem Rest der Welt verständ­lich zu machen, was dort vor sich ging. Seitdem habe ich es mir zum Prinzip gemacht, meine Arbeit öffentlich zu machen.

Eine wichtige Lektion in dieser Hinsicht war der 11. September 2001 mit den Angriffen auf das World Trade Cen­ter. Wir haben damals führende Sozialwissenschaftler gebeten, die Bedeutung dieses Ereignisses in kurzen, verständlichen Abhandlungen zu erläutern. Wie funktioniert das Netzwerk der Untergrundbewegung Al­Kaida? Mit welchen Risiken ist eine In­vasion in den Irak verbunden? Wie sieht der Krieg heutzutage aus und welche Rolle spielen die Medien dabei? Diese Essays wurden von mehr als anderthalb Millionen Menschen weltweit heruntergeladen.

Das war der Startschuss für unsere sozialwissen­schaftliche Forschung „in Echtzeit“. Wir untersuchen seither Probleme von großer Tragweite noch während sie sich ereignen, etwa die sozialen Begleiterscheinungen von Hurrikan Katrina. Ich versuche andere Sozialwissenschaftler davon zu überzeu­gen, ihre Erkenntnisse auch in aktuelle Debatten einzubringen. Natürlich bleiben Langzeitstudien weiterhin wichtig.

Am spannendsten ist für mich die Frage, wie indivi­duelle Wünsche und Werte in kollektives Handeln „übersetzt“ werden. Warum ist es zum Beispiel so schwierig, unsere Re­gierungen dazu zu bringen, Armut zu beseitigen oder auf den Klimawandel zu reagieren? Mit meiner Einstein­Forscher­gruppe in Berlin untersuche ich, wie einander fremde Men­schen ihr soziales Miteinander organisieren und welche Rolle physische Orte bei diesem sozialen Prozess spielen. Diese Arbeit wollen wir auch auf das Thema Migration ausdehnen.

Ich bin der Überzeugung, dass die Sozialwissen­schaften Erkenntnisse liefern, die relevant sind für das Le­ben der Menschen. Doch Sozialwissenschaftler müssten sich stärker einbringen, damit die öffentliche Debatte informier­ter verläuft und das empirische Wissen zu den großen Fragen unserer Zeit allgemeiner bekannt wird. Ich betrachte es als unsere Pflicht, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.

»Die Sozialwissenschaften liefern Erkenntnisse, die relevant

sind für das Leben der Menschen«

Page 15: Porträtbroschüre Einblicke

R A Y M O N D D O L A N E I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Wie kommt das Gehirn zu Entscheidungen?«

Page 16: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Wie viel wissen wir eigentlich über das Gehirn? Die Neurowissenschaft als Disziplin ist erst vor

150 Jahren entstanden, übrigens maßgeblich hier in Berlin mit Hermann von Helmholtz. Seither hat sich viel getan. Wir haben heute eine ziemlich genaue Vorstellung von der Kom­plexität des Gehirns, das aus ungefähr 100 Milliarden Ner­venzellen besteht. Jede einzelne davon ist mit bis zu 10.000 anderen verbunden. Wir wissen auch recht gut über seinen Energieverbrauch Bescheid und können inzwischen genau kartieren, wo Funktionen wie Sehen, Hören und Schmecken angesiedelt sind.

Trotzdem sind wir von Unwissenheit umgeben. Die größte Frage, vor der wir im Augenblick stehen: Wie sieht der mathematische Algorithmus für die Informationsweiterga­be und ­verarbeitung im Gehirn aus? Das Schlagwort dafür lautet „neuronaler Code“. Die Entschlüsselung dieses Algo­rithmus wäre so bedeutend, wie es die Entschlüsselung des genetischen Codes war.

Welche Funktionen des Gehirns erforschen Sie?Ich beschäftige mich mit der Frage, wie Menschen

sich entscheiden. Da ist die Vorstellung naheliegend, es gäbe eine zentrale Instanz im Gehirn, die alle Entscheidungen trifft – quasi einen obersten Chef im Unternehmen. Aber es hat sich herausgestellt, dass Entscheidungsfindung dezentral verläuft, unter Beteiligung verschiedener Gehirnzentren. In der Regel kooperieren sie, um in jeder Situation die beste Lösung zu fin­

den. Manchmal kommen sie sich allerdings ins Gehege. Das ist eine mögliche Erklärung für Krankheiten wie Zwangsstörungen.

Uns interessiert vor allem, wie das Gleichgewicht zwi­schen diesen verschiedenen Entscheidungssystemen zustande kommt. Auf welchen Gehirnfunktionen und neurochemischen Prozessen beruht es? Für die Untersuchung setzen wir auf bild­gebende Verfahren wie die funktionelle Kernspintomografie, mit der wir dem Gehirn beim Lesen, Denken, Erinnern „zuschauen“ können.

Verändert Ihre Forschung auch die Psychiatrie? Die Neuropsychiatrie und die Neurologie gehen nun

schon seit mehr als 100 Jahren getrennte Wege. Heute lassen sich die wichtigsten psychiatrischen Probleme allerdings nur verstehen, wenn man auch die jüngsten neurowissenschaft­lichen Erkenntnisse berücksichtigt. In den letzten 25 Jahren habe ich schwerpunktmäßig in der Neurowissenschaft ge­forscht, aber begonnen habe ich meine wissenschaftliche Laufbahn in der Neuropsychiatrie. Jetzt möchte ich den Kreis schließen und mein Wissen nutzen, um die Ursachen für psy­chiatrische Störungen zu ergründen, aus denen für die Men­schen so viel Unglück und Leid erwächst.

2 0 1 4

Leiter des Max Planck UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research, London und Berlin

2 0 1 0 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow an der Berlin School of Mind and Brain der Hum­boldt­Universität zu Berlin

S E I T 1 9 9 6

Professor für Neuropsychiatrie am Institute of Neurology am University College London

1 9 9 4

Gründer des Wellcome Trust Centre for Neuroimaging am University College London

R A Y M O N D D O L A N erforscht, wie Entscheidungen in unserem Gehirn zustande kommen. Der Neuropsychiater ist Professor am University College London und Direktor des dortigen Wellcome Trust Centre for Neuroimaging.

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»Wir lassen am Computer neue Materialien entstehen«

Page 18: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Materialdesign am Bildschirm – wie funktioniert das? Wir berechnen die physikalischen Eigenschaften

von Materialien, das können einfache Metalle, Halbleiter oder Kunststoffe sein. Und wir beschäftigen uns mit den Metho­den, mit denen man diese Eigenschaften berechnen kann. Dafür schreiben wir Computerprogramme und wenden diese auf unterschiedlichste Materialien an. Wenn wir Material­komponenten miteinander mischen oder auch nur einzelne Atome ersetzen, sollte möglichst etwas Neues entstehen, ein neues Material mit Eigenschaften, die es bisher gar nicht gab. Am Computer geht das besonders leicht. Man muss die Mate­rialien nicht herstellen, kann aber vorhersagen, wie sich ihre Eigenschaften verändern.

Welche Materialien sind für Sie die interessantesten?Im Moment die Hybridmaterialien. Das sind nano­

strukturierte Materialien mit Grenzflächen, an denen Kom­ponenten mit unterschiedlichen Eigenschaften aufeinander­ treffen. Ein Beispiel ist die Kombination von Kohlenstoff­ Nanoröhren und organischen Molekülen – zwei sehr unter­schiedliche Materialien. Kohlenstoff­Nanoröhren sind robust, sie haben auch sehr gute elektrische Eigenschaften, aber für optoelektronische Bauelemente sind sie nutzlos, weil sie kein Licht im sichtbaren Bereich aussenden oder einfangen können. Unter den organischen Molekülen gibt es dagegen

viele, die genau das können. Wenn wir sie in die Nanoröh­ren hineinbringen, dann schaffen wir ein neues Material und kombinieren die mechanischen und elektrischen Eigenschaf­ten der Nanoröhren mit den lichtabsorbierenden Eigenschaf­ten des Moleküls. Die Idee dahinter ist, ein lichtaussendendes Nanoobjekt herzustellen mit der Aussicht, es irgendwann einmal für optoelektronische Bausteine zu nutzen, wie sie zum Beispiel für Flachbildschirme benötigt werden.

Ein neues Material kreieren – heißt das, die Natur zu überlisten? Die Natur überlisten, das müssten die Experimen­

tatoren bewerkstelligen. Sie sind es, die herstellen, was wir mithilfe des Computers für ein gutes Material befunden haben. Aber der Weg von der Findung eines neuen Materials bis zur Anwendung dauert typischerweise 20 Jahre, es können auch 30 sein.

Ich bin Grundlagenforscherin. Doch das schließt nicht aus, dass ich immer auch ein Auge darauf habe, was in Zukunft nützlich sein könnte, thermoelektrische Materialien zum Beispiel, um Abwärme in elektrische Energie umzuwan­deln. Aber wir müssen bei den elementaren Fragen bleiben, damit wir vorankommen.

S E I T 2 0 1 1

Einstein­Professorin für Theoretische Festkörperphysik an der Humboldt­ Universität zu Berlin

2 0 0 5 — 2 0 1 1

Professorin an der Montanuniversität Leoben, Österreich

2 0 0 0 — 2 0 0 1

Gastprofessorin an der Universität Uppsala, Schweden

1 9 9 0 — 2 0 0 5

Universität Graz: Habilitation, außeror­dentliche Professorin, Direktorin des Instituts für Theoretische Physik

C L A U D I A D R A X L erforscht die atomare Struktur von Materialien. Die Österreicherin ist Professorin für Theoretische Festkörperphysik an der Humboldt­Universität zu Berlin.

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»Unser Ziel ist es, Kinderkrebs heilbar

zu machen«

Page 20: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Viele wundern sich, warum ich gerne mit krebskran­ken Kindern arbeite. Das liegt daran, dass es sehr positive Momente gibt, in denen ich Heilungen sehe oder schöne Er­lebnisse mit den Kindern habe. Es ist eine Freude mitzuerle­ben, wenn sie aufwachsen und ein ganz normales Leben füh­ren können. Die Heilungsrate für Kinderkrebs liegt heute bei 80 Prozent, in den 60er Jahren waren es noch 20 Prozent. Die Fortschritte wurden vor allem über bessere Kombinationen von Chemotherapie und Bestrahlung erreicht, doch das ist ausgereizt. Wir müssen jetzt neue, molekular gezielte Medi­kamente entwickeln, die ganz bestimmte Strukturen auf der Oberfläche eines Tumors erkennen und angreifen können – und jedem Patienten eine individualisierte Therapie ermögli­chen. Das ist die Zukunft, auf die wir hinarbeiten. Unser Ziel muss es sein, Heilungsraten von 100 Prozent zu erreichen.

In meiner Arbeitsgruppe forschen wir an individu­alisierten Therapien zum Neuroblastom bei Kindern. Diese Tumorart interessiert mich, weil sie zwei völlig verschiedene Verlaufsformen hat. Es gibt eine Gruppe von Patienten, bei der sich dieser biologisch bösartige Tumor plötzlich spon­tan zurückentwickelt. Das ist etwas Faszinierendes, was wir von Krebs sonst nicht kennen. Man könnte es als Wun­der bezeichnen. Aber wir wollen diesen Prozess verstehen, um die Erkenntnisse für die schreckliche Verlaufsform zu nutzen, bei der die Neuroblastome bereits in die Leber oder ins Knochenmark metastasiert sind. Diese Patienten kön­nen wir selbst mit aggressiver Chemotherapie, Bestrahlung

oder Knochenmarktransplantation fast nie heilen. Daher hoffen wir auch hier neue Medikamente zu entwickeln, die den Tumor in seine positive Verlaufsform drängen.

Wenn eine Therapie nicht erfolgreich ist, dann ist das ein sehr bewegendes Erlebnis, das ich mit nach Hause nehme und persönlich verarbeiten muss. Meistens ist es so, dass ich ein Kind, wenn es bei ihm zum Rückfall kommt, schon sehr gut kenne. Im schlimmsten Fall stirbt das Kind. Das gehört leider auch zu unserem Alltag. In solchen Situationen gehe ich oft ins Labor und bin motiviert, dort noch mehr zu leisten. Auch gibt es Phasen im Labor, in denen keine Hypothese hält und kein Experiment klappt. Dann freue ich mich über schöne Erlebnisse in der Kinderklinik. Wenn ich zum Beispiel eine Nacht auf der Intensivstation um ein Kind gekämpft habe, für das es schlecht aussah, und es am Mor­gen über den Berg ist. Das sind Erfolgserlebnisse, die man im Labor nie haben kann.

S E I T 2 0 1 3

Einstein­Professorin für Pädiatrisch­ Onkologische Forschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

2 0 0 8 — 2 0 1 3

Direktorin der Klinik für Kinderheil­ kunde III am Universitätsklinikum Essen

2 0 0 7 — 2 0 1 3

Direktorin des Westdeutschen Tumorzentrums in Essen

2 0 0 4 — 2 0 0 8

Professorin für Pädiatrisch­Onkolo­ gische Forschung bzw. Pädiatrie am Universitätsklinikum Essen

A N G E L I K A E G G E R T forscht zum Neuroblastom, einem Krebstumor bei Kindern. Sie ist Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

A N G E L I K A E G G E R TE I N S T E I N - P R O F E S S O R I N

»Wenn ein Kind stirbt, bin ich motiviert, im Labor noch mehr

zu leisten«

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»Das Buch des Lebens verstehen«

Page 22: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Reicht es aus, die menschliche DNA-Sequenz zu kennen, um das Leben zu verstehen?

Nein, die Musik spielt jenseits der DNA. Das mensch­liche Genom ist in seiner Primärsequenz seit 2001 bekannt, aber was wir noch nicht so gut verstehen und derzeit unter­suchen, ist, wie Erbinformation tatsächlich umgesetzt wird. Wie werden einzelne Gene an­ oder ausgeschaltet, um aus einem Genom bestimmte Funktionen entstehen zu lassen? Als Epigenetiker erforschen wir die molekularen Mechanis­men, die dabei an der DNA­Sequenz ablaufen. Uns interes­siert, wie die DNA verpackt ist und welche Änderungen an den Verpackungsproteinen zu Abweichungen bei der Umsetzung genetischer Information führen. Krebszellen zum Beispiel sind sowohl genetisch als auch epigenetisch ganz anders als normale Zellen. Ihre genetische Veränderung lässt sich nicht rückgängig machen, die epigenetische aber vielleicht schon. Das ist ein Ansatzpunkt für neue Krebstherapeutika. Wir wol­len epigenetische Mechanismen verstehen, zum Beispiel En­zyme, die unerwünschte Reaktionen durchführen, um dann entsprechende Hemmstoffe zu entwickeln.

Was treibt Sie in Ihrer täglichen Forschung an? Ich dringe sehr gerne ins molekulare Detail vor und

gehe dabei so weit in die Tiefe, dass ich den Mechanismus eines Prozesses verstehe. Im Alltag erfreue ich mich auch an kleinen Einsichten, etwa wenn ein Experiment funktioniert oder wir es schaffen, einen Puzzlestein in das Gesamtbild

einzusetzen. Letztendlich würde ich gerne alle Vorgänge ver­stehen, die an der Umsetzung genetischer Informationen be­teiligt sind, und dann schauen, worin sich diese bei kranken Zellen unterscheiden und wo man eingreifen kann. Doch wir sind noch weit davon entfernt, alles zu verstehen.

Womit befasst sich die Epigenetik in Zukunft? Ein neues Gebiet sind neurodegenerative Erkran­

kungen, wie zum Beispiel Alzheimer oder Parkinson. Da gibt es mittlerweile Indizien, dass epigenetische Therapien helfen könnten. Wir haben bereits ein Molekül isoliert, das ein bestimmtes Enzym hemmt und dessen Auswirkung auf neurogenerative Defekte jetzt getestet wird. Auch in der Altersforschung spielt Epigenetik eine immer wichtigere Rol­le. In Modellorganismen wurden bereits genetische Mutati­onen nachgewiesen, die ein verändertes Protein entstehen lassen, das ein langsameres Altern bewirkt. Es sollte daher möglich sein, einen chemischen Hemmstoff zu finden, der dasselbe macht. Die Frage ist, ob das nicht auch negative Konsequenzen haben könnte. In die Alterung einzugreifen heißt schließlich, gesunde Menschen zu behandeln. Aber eine spannende Forschungsfrage ist es in jedem Fall.

S E I T 2 0 1 3

Einstein­Professorin für molekulare Zellbiologie an der Humboldt­ Universität zu Berlin

2 0 0 8 — 2 0 1 3

Professorin für Genetik an den Universitäten Duisburg­Essen und Gießen

1 9 9 7

Nachwuchsgruppenleiterin am Max­Planck­Institut für molekulare Genetik

1 9 9 4 — 1 9 9 7

Postdoctoral Fellow an der University of California, Berkeley

A N N E H R E N H O F E R - M U R R A Y untersucht die molekularen Grundlagen für das Ablesen der genetischen Information. Sie ist Professorin für molekulare Zellbiologie an der Humboldt­Universität zu Berlin.

A N N E H R E N H O F E R - M U R R A YE I N S T E I N - P R O F E S S O R I N

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»Auf der Suche nach dem Licht «

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Page 24: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Ich denke in der Sprache von Licht und Nebel. Wir leben im Nebel und sehen weder Formen noch Farben, dann klart es ein bisschen auf, und wir sehen erste Formen, Licht und Farben. Das Licht ist für mich die Mathematik. Wenn wir forschen, also nachdenken, um ein Problem zu verstehen, brauchen wir Licht. Wir sind auf der Suche nach dem Licht.

Es gibt große Vermutungen in der Mathematik, von denen niemand ahnt, wie man sie beweisen kann. Wir sind ratlos. Es ist so, als würde man in einem dichten Ur­wald stehen, in dem kein Lichtstrahl weiter reicht als zwei Meter, und am Ende des Walds vermutet man etwas, das man erreichen möchte. Man versucht eine Strategie zu ent­wickeln, erst nach rechts zu gehen, ein paar Bäume zu fäl­len, dann nach links. Andere behaupten, man solle es lieber gleich links versuchen. Generationen von Mathematikern entwickeln Theorien, um neue Wege zu finden. Doch viele davon sind Holzwege, ganz selten kann man eine Vermu­tung lösen. Manchmal glaubt man auf dem richtigen Weg zu sein, und dann kommt doch ein Unbehagen, vielleicht sogar nachts, mitten in einem Traum. Genauso merkt man, wenn es stimmt.

Mein Forschungsfeld, die algebraische arithmeti­sche Geometrie, ist ein sehr abstraktes Gebiet der Mathema­tik, das im Zentrum anderer Teildisziplinen steht, etwa der Arithmetik, Differenzialgeometrie oder Topologie. Ich versu­che Probleme immer über die Grenzen hinweg zu verstehen. Da gab es zum Beispiel eine alte Frage, die in der Arithmetik

verankert war, also in der Zahlentheorie. Ich hatte ein Bild im Kopf, das aus der Geometrie kam, die im Prinzip nichts mit der Zahlentheorie zu tun hat. Aber es hat sich herausgestellt, dass ich es übersetzen konnte, sobald ich die Analogie zwi­schen dem Gebilde in der Geometrie und der Frage aus der Arithmetik verstand. Das Bild ergab einfach eine Antwort auf die Vermutung. Das war ein Glücksmoment der Mathematik.

Was ich erforsche, findet Resonanz in der Grundla­genforschung. Es könnte sein, dass jemand es in 50 Jahren für etwas Angewandtes nutzt, aber bis jetzt ist das noch nicht geschehen. Meine Motivation liegt ganz in der Eigendynamik der Mathematik und in der Abstraktion – Mathematik ist für mich Abstraktion. Für meine Arbeit brauche ich nur einen Kugelschreiber, und selbst der ist nicht notwendig. Im Grun­de passiert alles im Kopf. Selbst während eines Konzertes kann es passieren, dass ich mich nicht mehr auf die Musik konzentrieren kann, weil ich einen Gedanken verfolgen muss. Es ist wie bei einem Dichter, der plötzlich einen Satz findet, der so prägend ist, dass er alles andere ausblendet.

S E I T 2 0 1 2

Einstein­Professorin für Algebra und Zahlentheorie an der Freien Universität Berlin

2 0 0 3

Gottfried Wilhelm Leibniz­Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft

2 0 0 1

Paul­Doisteau­Émile­Blutet­Preis der Pariser Akademie der Wissenschaften

1 9 9 0 — 2 0 1 2

Professorin für Mathematik, Universität Essen

H É L È N E E S N A U L T forscht auf dem Gebiet der algebraischen arithmetischen Geome­trie. Sie ist Professorin für Algebra und Zahlentheorie an der Freien Universität Berlin und Leibnizpreisträgerin.

H É L È N E E S N A U LTE I N S T E I N - P R O F E S S O R I N

»Alles passiert im Kopf«

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Page 25: Porträtbroschüre Einblicke

N A N C Y F R A S E R E I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Ich arbeite an einer Diagnose der Gegenwart«

Page 26: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

2 0 1 1 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow am John­F.­Kennedy­Institut für Nordamerikastudien, Freie Universität Berlin

2 0 1 1

Humanitas­Professorin „Women’s Rights“, Cambridge University

1 9 9 9 — 2 0 1 1

Professorin für Philosophie und Politik­ wissenschaft an der New School for Social Research, New York

1 9 8 4

Assistenzprofessorin für Philosophie an der Stanford University

N A N C Y F R A S E R ist Professorin für Philosophie und Politikwissenschaft an der New School for Social Research in New York. An der Freien Universität Berlin leitet sie die Forschungs­ gruppe „Krise der Demokratie“.

N A N C Y F R A S E RE I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

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Ich möchte verstehen, wodurch sich die Ungleich­heitsverhältnisse auszeichnen, die für unsere heutige Welt spezifisch sind. Ich analysiere sie aus kritischer Perspektive, um Konzepte zu ihrer Beseitigung zu entwickeln – etwa in Be­zug auf den Wohlfahrtsstaat, Multikulturalismus, Gender­Be­ziehungen, Demokratie und Ökonomie. Man könnte mich als Philosophin bezeichnen, denn aus dieser Disziplin stammen meine akademischen Abschlüsse. Ich selbst sehe mich aber eher in der Tradition der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule – als eine Gegenwartsdiagnostikerin, die sich auf Er­kenntnisse der Sozialwissenschaften, der Geschichte und der Philosophie gleichermaßen beruft. Ich versuche, Vorgän­ge oder Ereignisse unserer Zeit theoretisch zu erfassen, die wir zwar wahrnehmen, aber noch nicht auf einen Begriff ge­bracht haben.

Die Gender­Thematik spielt in meiner wissenschaft­lichen Arbeit eine große Rolle. Das geht auf mein Engagement in der Neuen Linken Ende der 60er Jahre und die daraus her­vorgegangene „zweite Welle“ des Feminismus zurück. Ich war in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, in der Antivietnamkriegsbewegung und dann in der Frauenbewe­gung aktiv. Das waren radikale, von Utopien geprägte Jahre. Der Glaube an die Utopien ist mit der Zeit verblasst und übrig geblieben ist etwas, das ich die bürgerliche Frauenbewegung nennen würde. Feministisches Gedankengut dient heute zur Legitimation des Neoliberalismus. Die wichtige Kritik am Modell des männlichen Alleinverdieners wird inzwischen in

Anspruch genommen, um die Grundlagen einer neoliberalen Arbeitsorganisation abzusichern.

Meine Einstein­Forschungsgruppe in Berlin widmet sich der Krisenforschung – von der Wirtschafts­ und Finanz­krise über die Krise des ökologischen, politischen und sozi­alen Systems bis hin zur Krise der Emanzipation – worunter wir die Schwierigkeit sozialer Bewegungen verstehen, die gegenwärtige Situation zu erfassen und mit angemessenen Strategien zu reagieren.

Wie der Feminismus sind auch viele andere ins Fahr­wasser des Neoliberalismus geraten. Das ist etwa bei bedeu­tenden Gruppierungen innerhalb der Grünen zu beobachten, die mit grünen Finanzanlagen oder ökonomischen Derivaten liebäugeln. Oder auch innerhalb der Schwulen­ und Lesben­bewegung. In all diesen Fällen ist es zu unbeabsichtigten Fol­gen gekommen, die wir offenlegen müssen, um die Frage zu ermöglichen: Soll es wirklich so sein wie jetzt? Oder können wir einen anderen, einen besseren Weg einschlagen?

»Unbeabsichtigte Folgen müssen offengelegt werden«

Page 27: Porträtbroschüre Einblicke

A D E L E E . G O L D B E R G E I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Warum berühren uns Metaphern emotional?«

Page 28: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Besteht ein Zusammenhang zwischen Emotionen und Sprache?

Metaphern von Geschmackseindrücken sind ver­breitet – nicht nur in der Literatur, sondern auch in unserer Alltagssprache. Sätze wie „Sie ist wirklich süß“ oder „Die Trennung war bitter für ihn“ sind Beispiele dafür. In einer Studie mit der Neurowissenschaftlerin Francesca Citron haben wir die Gehirnaktivitäten von Studienteilnehmern gemessen, während sie solche metaphorischen Sätze und ihre nicht­bildlichen Entsprechungen zu lesen bekamen, in diesem Fall: „Sie ist wirklich nett“ und „Die Trennung war schlimm für ihn“. Wir konnten herausfinden, dass beim Le­sen von Sätzen mit Geschmacksmetaphern dieselben Gehirn­regionen aktiv waren wie beim Schmecken selbst. Außerdem stellten wir fest, dass die Amygdala und die umgebenden, für Emotionen zuständigen Hirnareale aktiver waren als beim Lesen nicht­bildlicher Sätze.

Welche Fragen versuchen Sie mit Ihrer Forschung über Sprache zu beantworten?

Die große Frage lautet für mich: Was ist Sprache eigentlich? Unsere Forschung liefert Hinweise darauf, dass Sprache ein Netzwerk aus Form­Funktions­Paarungen ist. Diese Paarungen bezeichne ich als Konstruktionen. Was da­mit gemeint ist, wird auf der Ebene der Wörter am deutlichs­ten: Ihre Funktion besteht in ihrer Bedeutung. Aber auch grö­ßere Einheiten wie Relativsätze oder Passivkonstruktionen sind solche Paarungen.

Eine andere wichtige Frage ist: Woher kommt unser enormes Wissen in unserer Muttersprache, die wir doch so mühelos erlernen? In unserem Labor konzentrieren wir uns darauf zu erforschen, wie wir lernen, was man nicht sagen kann. Auf Englisch ist es etwa möglich, zu einem Sturm „hohe Winde“, aber nicht „große Winde“ zu sagen. Kinder lernen, welche Formulierungen sie nutzen können und welche nicht, ohne dass man sie eigens korrigieren müsste. Dann wieder­um nutzen wir Wörter gelegentlich auf sehr kreative Weise, wie wir sie vorher noch nicht gehört haben. Wie gelingt uns das? Woher wissen wir, wann eine Formulierung natürlich klingt, wann einfach nur fehlerhaft?

Warum ist Sprache Ihnen so wichtig?Sprache ermöglicht uns Einblicke in eine spezifisch

menschliche Form der Intelligenz. Sie erlaubt uns, eine un­geheure Menge an noch so winzigen Informationen zu be­wahren, uns an Redewendungen, Liedtexte oder bestimmte Sätze zu erinnern, aber dieses Wissen auch zu verallgemei­nern und Sätze zu formulieren, die wir noch nie zuvor gehört haben. Es ist ein Gebiet, auf dem wir erstaunliche Fähigkeiten entwickelt haben. Das ist bei keinem anderen Lebewesen so. Ich finde das wirklich faszinierend.

2 0 1 0 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow am Exzellenz­cluster „Languages of Emotion“ an der Freien Universität Berlin

S E I T 2 0 0 4

Professorin für Linguistik, Princeton University

1 9 9 6 — 1 9 9 7

Gastprofessorin, Stanford University1 9 8 1 — 1 9 9 2

Studium der Mathematik und Philosophie an der University of Pennsylvania und der Linguistik an der University of California, Berkeley

A D E L E E . G O L D B E R G S Forschungsthema ist die menschliche Fähigkeit zum Spracher­werb. An der Freien Universität Berlin untersucht die Linguistik­Professorin der Prince­ton University die emotionale Wirksamkeit von Geschmacksmetaphern.

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Page 29: Porträtbroschüre Einblicke

D E T L E F G Ü N T H E R E I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Wir erleben jeden Tag einen Tatort im Labor«

Page 30: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Elemente nachzuweisen ist wie Kriminalistik für mich. Wir erleben jeden Tag im Labor unseren Tatort. Statt nach dem Täter zu fahnden, suchen wir nach den Elementen. Wir entwickeln Instrumente und Methoden für die Spuren­ elementanalytik. Das heißt, wir versuchen in flüssigen, festen und gasförmigen Proben die Elemente nachzuweisen.

Dazu verdampfen wir sehr kleine Probenmengen mit einem Laserstrahl und führen das entstehende Aerosol – kleine Partikel – einer ungefähr 8.000 Grad heißen Plasma­quelle zu, in der es atomisiert und ionisiert. Mit Massens­pektrometrie können wir die Elemente und die Isotopen­ zusammensetzung dann bestimmen. Die von uns entwickel­ten Geräte und Methoden werden heute in vielen geologi­schen Instituten eingesetzt. Die Empfindlichkeiten dabei sind sehr hoch: Eine Silbermünze im Stahl des Eiffelturms ver­steckt, könnten wir in einer Probe von nur einem Milligramm nachweisen.

Als Analytiker stehen wir an der Schnittstelle zu vie­len anderen Wissenschaften, je mehr Grundlagenforschung wir machen, desto mehr Anknüpfungspunkte finden sich. Das macht es extrem spannend. Wir haben zum Beispiel ein portab­les Lasergerät entwickelt, um Proben von großen Objekten ent­nehmen zu können. Man führt es wie bei James Bond in einem Koffer mit sich. Das eröffnet völlig neue Anwendungsgebiete, etwa für Museen, die uns ihre Ausstellungstücke nicht schicken können. Wir können so etwa die Herkunft der Farbpigmente in der chinesischen Terrakotta­Armee untersuchen.

Bei unserem Einstein­Projekt geht es um die Quan­tifizierung von Nanoteilchen, deren Wirkung auf Mensch und Umwelt weltweit ein großes Thema ist. Nanomaterialien werden heute überall eingesetzt, zum Beispiel in antibakte­riellen Socken, die bei jedem Waschgang Hunderttausende Silber­Nanoteilchen ins Abwasser abgeben. Meine Doktoran­din in Berlin arbeitet derzeit an einer Probeneinführung für Flüssigkeiten. Wir wollen die Anzahl und Größe der Nanoteil­chen im Abwasser von Kläranlagen bestimmen. Es ist wich­tig, solche Partikel auf ihre Verbreitung in der Natur und ihre Schädlichkeit hin zu untersuchen.

Kaum jemand kann sich die Umweltverschmutzung vorstellen, die ich gesehen habe, als ich 1986 für ein Betriebs­ praktikum bei den Buna­Werken in Schkopau war. Damals konnte niemand in Saale oder Elbe baden. Das hat mich mo­tiviert, im Bereich Analytik zu arbeiten. Mir war klar, wenn ich Verfahren lerne und weiterentwickle, mit denen man um­weltschädliche Elemente nachweisen kann, werde ich garan­tiert etwas Sinnvolles tun.

S E I T 2 0 1 3

Einstein Visiting Fellow an der School of Analytical Science Adlershof (SALSA) der Humboldt­Universität zu Berlin

2 0 1 0 — 2 0 1 2

Leitung des Departements Chemie und Angewandte Biowissenschaften an der ETH Zürich

1 9 9 9 — 2 0 0 3

Vorsitzender des Kompetenzzentrums für Analytische Chemie ETH Zürich

S E I T 1 9 9 8

Professor für Spurenelement­ und Mikroanalytik an der ETH Zürich

D E T L E F G Ü N T H E R ist Professor für Spurenelement­ und Mikroanalytik an der Eidgenössi­schen Technischen Hochschule Zürich. Der Chemiker entwickelt Instrumente und Methoden für die Elementanalytik, unter anderem für den Nachweis von Nanoteilchen in der Umwelt.

D E T L E F G Ü N T H E RE I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Elemente nachzuweisen heißt, etwas Sinnvolles zu tun«

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J O H N F. H A R T W I G E I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Wie können wir effizientere Katalysatoren entwickeln?«

Page 32: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Technologischer Fortschritt beruht zum großen Teil auf Katalyse. Öl oder erneuerbare Energien, Medikamen­te, landwirtschaftliche Chemikalien und die Kunststoffe der nächsten Generation – sie alle sind auf Moleküle angewiesen, die aus katalytischen Reaktionen hervorgehen.

Wir erfinden chemische Reaktionen mit neuen Ka­talysatoren und versuchen systematisch zu verstehen, wie Katalyse funktioniert. Dabei arbeiten wir mit Katalysatoren aus Übergangsmetallen wie Platin, Palladium, Rhodium oder Eisen in Kombination mit organischen Strukturen, die auf das Metall aufgebracht werden. Diese Katalysatoren können bei der Herstellung von modernen Kunststoffen oder von Essig­ säure eingesetzt werden, die für viele chemische Produkte von Klebstoff bis Aspirin die Grundlage ist. Das Anwendungs­potenzial ist in den letzten Jahren enorm gewachsen.

Ich war schon als Junge fasziniert vom Übergang zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Die Brücke dazwischen besteht aus der chemischen Struktur von Mo­lekülen, denen die Welt um uns herum ihre Farbigkeit und andere Eigenschaften verdankt. Wenn ich heute Experimente aufbaue und durchführe, fühle ich mich noch immer wie beim Spielen. Es macht Spaß, aber wir nennen es Wissenschaft, weil wir damit das Wissen über die Welt erweitern. Was wir durch Experimente erfahren, gibt uns die Möglichkeit, wich­tige Probleme der Menschheit anzugehen, etwa auf dem Feld der Medizin oder des Energieverbrauchs. Wenn Reaktionen aus unserem Labor zu Standardverfahren in der Medikamen­

tenentwicklung werden, empfinde ich das als unglaublich be­friedigend.

In unserem Einstein­Forschungsprojekt haben wir Silizium­Verbindungen als Reagens mit Iridium­Katalysa­toren eingesetzt, um Reaktionen der Kohlenstoff­Wasser­stoff­Bindungen zu bewirken, die normalerweise unreaktiv sind. So entstanden große Moleküle, die bei der Medikamen­tenentwicklung für Diabetes oder HIV eingesetzt werden kön­nen oder dazu beitragen, Ernten vor Ungeziefer zu schützen.

Ein langfristiges Ziel meiner Forschung besteht da­rin, die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen und die vielen Schritte chemischer Reaktionen auf einen einzigen zu redu­zieren. Bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg. Die große Frage lautet: Wird es uns gelingen, am Computer oder auf dem Papier gezielt Katalysatoren für gewünschte Transfor­mationen zu entwickeln? Im Moment ist das noch Zukunfts­musik. Noch befinden wir uns in der Trial­und­Error­Phase, aber wir kommen langsam voran.

2 0 1 1 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow im Exzellenzcluster „Unifying Concepts in Catalysis“

S E I T 2 0 1 1

Professor für Chemie an der University of California, Berkeley

1 9 9 0 — 1 9 9 2

Postdoctoral Associate in der American Cancer Society am Massachusetts Institute of Technology, Cambridge

1 9 8 6 — 1 9 8 9

Graduate Student Instructor an der University of California, Berkeley

J O H N F. H A R T W I G forscht zu grundlegenden Funktionen der Katalyse, um effizientere Katalysatoren zu entwickeln. Er ist Chemie­Professor an der University of California in Berkeley.

J O H N F. H A R T W I GE I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Noch befinden wir uns in der Trial-und-Error-Phase«

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Page 33: Porträtbroschüre Einblicke

»Zahlen sind unsere Freunde« M I C H A E L J O S W I G E I N S T E I N - P R O F E S S O R

Page 34: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Mein Interesse am Programmieren fing früh an. Als Jugendlicher habe ich auf Taschenrechnern physikali­sche Formeln und Spiele programmiert, „Lunar Lander“ zum Beispiel. Dabei musste man eine Raumkapsel sicher auf der Mondoberfläche landen. Es gab zwei Parameter: Höhe und Bremsraketen, die Zahl im Display stand für die Höhe über dem Mond. Ich habe gleich mehrere Varianten davon pro­grammiert. Heute spielen Computer eine wesentliche Rolle in meiner Forschung. Ich beschäftige mich mit geometri­scher Grundlagenforschung im Zusammenhang mit linearen Optimierungsproblemen in den Ingenieurwissenschaften und in biologischen Anwendungen.

Gemeinsam mit Kollegen habe ich die Software „polymake“ programmiert, eine flexible Forschungsplattform für geometrische Kombinatorik, die weltweit genutzt wird. Mit polymake kann man geometrische Informationen für Opti­mierungsprobleme gewinnen. Wir haben damit zum Beispiel ein Motorensteuerungsproblem analysiert, das von sechs Parametern abhing. Die Standardmethoden waren dafür nicht einsetzbar, aber mit polymake haben wir Methoden gefunden, um es geeignet zu modellieren.

Gerade weil ich Computer häufig nutze, denke ich immer wieder grundsätzlich darüber nach, wie wir mithil­fe von Computerrechnungen zu gültigen mathematischen Beweisen gelangen können. Solche Fragen spielen im Mo­ment nur ein Nischendasein, aber ich denke, in Zukunft wird uns das viel mehr beschäftigen, weil Computer immer häufi­ger mathematische Sachverhalte klären.

Mathematische Probleme lassen mich oft über Tage, Wochen oder Jahre nicht mehr los. Das geht auch abends und nachts im Kopf weiter, und es kommt durchaus vor, dass ich morgens mit einem Funken einer neuen Idee aufwache, der sich unter der Dusche dann zu etwas Brauchbarem entwickelt. Das permanente Beschäftigen mit einem Problem bringt mich voran.

Für viele Menschen sind Zahlen etwas Fremdes, das mit dem Alltag nichts zu tun hat, sie haben keine natürliche Beziehung zu ihnen. Als Mathematiker habe ich da keinerlei Berührungsängste, wir nehmen sie anders wahr – Zahlen sind unsere Freunde.

In meinem Kopf spielen geometrische Bilder eine we­sentliche Rolle. Ich fotografiere seit vielen Jahren, und in mei­nen Bildern suche ich nach geometrischen Formen in meiner Umgebung. Aber auch wenn ich einfach nur durch die Stadt laufe und eine gewisse Form beobachte, kann das auf den Ge­dankenprozess zurückwirken. Es ist eine visuelle Inspiration, die meine Gedanken in eine unerwartete Richtung lenkt.

S E I T 2 0 1 3

Einstein­Professor für Diskrete Mathematik und Geometrie an der Technischen Universität Berlin

2 0 0 4 — 2 0 1 2

Professor für Algorithmische Diskrete Mathematik an der Technischen Universität Darmstadt

2 0 0 6

Research Professor, Mathematical Sciences Research Institute, University of California, Berkeley

1 9 9 5 — 1 9 9 6

Lise­Meitner­Stipendium für einen Forschungsaufenthalt am Research Institute for Symbolic Computation, Linz

M I C H A E L J O S W I G forscht auf dem Gebiet der polyedrischen und geometrischen Kombi­ natorik und entwickelt mathematische Software. Er ist Professor für Diskrete Mathematik und Geometrie an der Technischen Universität Berlin.

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»In meinem Kopf spielen geometrische Bilder eine

wesentliche Rolle«

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Page 35: Porträtbroschüre Einblicke

»Serien verlangen Hingabe« F R A N K K E L L E T E R E I N S T E I N - P R O F E S S O R

Page 36: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Sind Serien ein Phänomen der Gegenwart? Wenn heute jemand das Wort Serie benutzt, denkt

er vor allem an TV­Serien, das Fernsehen ist zu einem Leit­medium des Seriellen geworden. Doch seitdem Menschen sich Geschichten erzählen, tun sie das in Fortsetzungen. Mit der industriellen Produktion im frühen 19. Jahrhundert wurde serielles Erzählen dann zu einer dominanten Erzähl­form ganzer Gesellschaften. In unserer Forschungsgruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ untersuchen wir neben Fernsehserien und Feuilleton­Romanen des 19. Jahr­hunderts auch Kinofilme und Computerspiele und haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass Serialität als Be­obachtungskategorie neu wahrgenommen wird.

Was ist für Sie das Spannende an seriellen Erzählformen? Serien stehen vor einem der schwierigsten Proble­

me des Erzählens überhaupt: Sie müssen gleichzeitig Inno­vation und Wiedererkennbarkeit schaffen. Es ist allgemein bekannt, dass uns ein gelungenes Ende einer Geschichte Befriedigung verschafft – etwa wenn die Liebenden heiraten oder der Mörder gefasst wird. Weniger oft behandelt wird die Frage, welche Befriedigung eigentlich Wiederholungen bie­ten. Ich denke, hier leisten Serien einen wichtigen Beitrag zum Selbstverständnis moderner Gesellschaften. Sie schaf­fen Vertrauen darin, dass immer neue Geschichten kommen

und die kommunikativen Strukturen weiterlaufen wie bisher. Sie bringen ständig neue Aufregung, das aber in verlässlicher Form. Vor allem Amerika steht aufgrund seiner Heteroge­nität und geografischen Größe vor der Frage, wie sich seine Einwohner als Mitglieder ein und derselben Gesellschaft ver­stehen können. Für dieses Verständnis sind moderne Medien und serielles Erzählen enorm wichtig.

Schauen Sie auch privat gerne Serienformate? Es ist schwer zu sagen, was ich mir privat anschaue

und was beruflich. Selbst wenn ich mit meiner Frau abends vor dem Fernseher sitze, mache ich mir oft Notizen. Der Kopf läuft immer mit. Die Entscheidung, welche Serien man in der Familie verfolgt, ist zudem eine sehr weitreichende. Serien verlangen eine gewisse Hingabe. Man wechselt ja auch nicht ohne Weiteres seinen Zahnarzt, von dem man schon lange behandelt wird. Genauso verzeiht man einer Serie sehr viel und hofft, dass sie bald besser wird. Sie wird oft als Ritual in die Alltagsstrukturen eingebunden. Das beste Beispiel dafür ist der deutsche Tatort am Sonntagabend, der zu einer sozia­len Instanz geworden ist.

S E I T 2 0 1 3

Einstein­Professor für Nordamerikanische Kultur und Kulturgeschichte und Leiter der Abteilung Kultur am John­F.­Kennedy­In­stitut der Freien Universität Berlin

S E I T 2 0 1 0

Sprecher der DFG­Forschergruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“

2 0 0 2 — 2 0 1 2

Professor für Englische Philologie und Lehrstuhlinhaber Nord­amerikastudien, Georg­August­ Universität Göttingen

2 0 0 0 , 2 0 0 5 , 2 0 0 9

Visiting Scholar New York University, University of California, Berkeley, und Nanjing University

F R A N K K E L L E T E R erforscht die kulturelle Bedeutung serieller Erzählformen und die amerikanische Kulturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Er ist Leiter der Abteilung Kultur am John­F.­Kennedy­Institut der Freien Universität Berlin.

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Page 37: Porträtbroschüre Einblicke

»Krebszellen sind wie sehr komplexe Maschinen«

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Page 38: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Wird Krebs in Zukunft heilbar sein? Es gab immer wieder Vorhersagen von sehr renom­

mierten Krebsforschern, dass wir Krebs in fünf oder zehn Jahren heilen können, doch leider hat sich das immer wieder als falsch herausgestellt. Die Krebsmedizin hat sich bisher immer an anatomischen Veränderungen orientiert, die be­reits Forscher wie Rudolf Virchow vor mehr als 100 Jahren erforscht haben. In den letzten Jahren sind jedoch neue mo­lekulare Methoden entwickelt worden, die uns ermöglichen, genetische Veränderungen in Tumoren sehr detailliert zu erfassen. Dadurch hat man zum Beispiel festgestellt, dass Tumoren gleichen anatomischen Typs auf genetischer Ebene sehr unterschiedlich aussehen können. Die neuen Methoden erlauben es uns auch, Therapien zu entwickeln, die geneti­sche Veränderungen zielgerichtet angreifen.

Ist das ein Ziel Ihrer Forschung als Einstein Junior Fellow? Bei meinem Einstein­Projekt geht es darum zu ver­

stehen, warum einige Patienten mit Lungenkrebs auf eine zielgerichtete Therapie ansprechen, andere aber weniger, obwohl sie die gleiche genetische Veränderung haben. Wir untersuchen Zelllinien und Patientengewebe im Labor, um die Funktion von Tumorzellen auf molekularer Ebene auf­zuklären. Die experimentellen Ergebnisse bilden wir auf Computermodellen ab, um Zellprozesse zu simulieren. Wir können zum Beispiel eine genetische Mutation simulieren, sie mit einem Medikament behandeln und am Computer be­

obachten, wie die Zelle reagiert. Unsere Vorhersagen müssen wir dann wieder experimentell überprüfen.

Für mich sind Krebszellen wie sehr komplexe Ma­schinen, in die Fehler eingebaut sind. Diese Fehler bedeuten einen Überlebensvorteil für die Krebszelle, die mit ihrem ungehemmten Wachstum im Körper massiven Schaden an­richtet. Ich will verstehen, wie diese Fehler in Mechanismen des Zellwachstums eingreifen und welche besonders wichtig sind, um so zur Entwicklung neuer Medikamente beizutragen.

Kommen Sie bei Ihrer Forschung auch mit Einzelschick-salen in Berührung?

An der Charité haben wir viele Krebspatienten und am Institut für Pathologie beschäftigen wir uns täglich mit der Frage, ob ein Patient Krebs hat oder nicht, und erstellen die Befunde. Zu wissen, dass mit jeder Gewebeprobe das Schicksal eines Menschen verbunden ist, motiviert mich sehr dazu, durch Diagnostik und Forschung ein besseres Ver­ständnis von Krebs zu erlangen. Meine Vision ist es, die Kreb­serkrankung eines jeden Patienten so gut zu verstehen, dass wir maßgeschneiderte Therapien entwickeln und langfristig gesehen eine Heilung von Krebs herbeiführen können.

S E I T 2 0 1 4

Einstein Junior Fellow an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

S E I T 2 0 1 1

Young Investigator beim Human Frontier Science Program

S E I T 2 0 0 9

Leiter der AG Systempathologie an der Charité–Universitätsmedizin Berlin

2 0 0 4 — 2 0 0 9

Postdoctoral Fellow, Laboratory of Immunology and Laboratory of Systems Biology, National Institutes of Health, Bethesda, USA

F R E D E R I C K K L A U S C H E N analysiert und simuliert Zellprozesse von Tumorzellen, um neue Therapien gegen Krebs zu entwickeln. Er leitet die Forschungsgruppe System­pathologie am Institut für Pathologie der Charité –Universitätsmedizin in Berlin.

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»Wir bauen effiziente Umwege«

Page 40: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Die Zukunft der Energiewende ist ein wichtiger An­trieb für meine Forschung. Ich will einen Beitrag dazu leisten, dass wir in Deutschland in absehbarer Zeit unsere Energie vorrangig aus erneuerbaren Energien beziehen und weniger von fossilen Rohstoffen oder Stromimporten abhängig sind. Ein Grundproblem bei den erneuerbaren Energien ist, dass der Strom nur selten gerade dann benötigt wird, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Energie aus Solarzellen oder Windkraft muss daher zwischengespeichert werden. Das gelingt, wenn man sie in chemische Energie umwandelt, die zu geeigneter Zeit wieder zurückverwandelt werden kann. In unserer Arbeitsgruppe entwickeln wir die Katalysatorma­terialien, die für diese Umwandlungen benötigt werden.

Die Wirkung eines Katalysators kann man sich vor­stellen wie bei einer Wanderung. Da hat man oft die Wahl zwischen einem direkten Weg zum Ziel, der über hohe Berg­gipfel führt, und einem Pfad um den Berg herum, der weniger Energie erfordert. Wir bauen solche Umwege. Wir versuchen Katalysematerialien zu entwickeln, die billiger, haltbarer und effizienter sind als die vorhandenen. Wenn ich einen effizien­ten Katalysator finde, kann ich den Energieaufwand bei che­mischen Reaktionen minimieren.

Die von uns entwickelten Katalysatoren können in den nächsten Jahren zum Beispiel in Elektrolyseuren einge­setzt werden, die sich an Windparks ankoppeln lassen, um den vor Ort produzierten Strom möglichst effizient in Was­serstoff umzuwandeln und zu speichern. Wasserstoff ist ein

sauberer Kraftstoff, aber nur mit Aufwand und unter Gefah­ren zu lagern und zu transportieren. Um ihn einfacher zu handhaben, kann man ihn vorübergehend an flüssige Kohlen­wasserstoffe binden. Ein von der Einstein Stiftung geförder­tes Projekt unserer Arbeitsgruppe befasst sich damit, einen geeigneten Katalysator zu finden, um den chemisch gebun­denen Wasserstoff bei Bedarf wieder in reinen Wasserstoff zurückzuverwandeln – den man zum Beispiel in Brennstoff­zellen nutzen kann.

Ich bin ein großer Befürworter der Energiewende, weil sie sinnvoll für alle ist, die auf diesem Planeten leben. In den letzten 100 Jahren haben wir einen Großteil der flüssigen Kohlenwasserstoffe der Erde verbraucht und das Endprodukt Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. Wenn wir keine weitere Erwärmung der Erde wollen, brauchen wir nachhalti­ge Alternativen zu diesem Vorgehen. Als Naturwissenschaft­ler finde ich es sehr spannend, mich mit Techniken zu be­schäftigen, die einen großen gesellschaftlichen Nutzen haben.

S E I T 2 0 1 2

Einstein Junior Fellow an der Technischen Universität Berlin

S E I T 2 0 1 1

Nachwuchsgruppenleiter im Exzellenzcluster „UniCat“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft

2 0 0 7 — 2 0 1 2

Leitung einer NanoFutur­Nachwuchs­gruppe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

2 0 0 6

NanoFutur­Preis des Bundes­ ministeriums für Bildung und Forschung

R A L P H K R Ä H N E R T forscht zu neuen Katalysatormaterialien für die Energiespeicherung. Er ist Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Chemie der Technischen Universität Berlin und im Exzellenzcluster „UniCat“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

R A L P H K R Ä H N E R TE I N S T E I N J U N I O R F E L L O W

»Die Energiewende ist sinnvoll für alle, die auf diesem

Planeten leben«

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»Ich möchte Wege zu einer nach haltigeren Welt finden«

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Page 42: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Es ist schon interessant, dass ich mich heute mit Themen beschäftige, die schon sehr lange meine Leiden­schaft sind. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen und soweit ich zurückdenken kann, habe ich mich gerne im Wald herumgetrieben, Frösche gefangen und Heinz Sielmanns „Ex­peditionen ins Tierreich” geschaut. Schon seit meiner Jugend habe ich mich für den Naturschutz engagiert, heute versu­che ich jedoch einen neutralen Blick zu bewahren. Zwar ma­che ich mir große Sorgen über den weltweiten Artenverlust, aber gleichzeitig stellen Prozesse wie die Landwirtschaft, die zu Artenverlust führen, für die Menschheit essenzielle Güter zur Verfügung. Wichtig ist es, eine gute Balance zu finden. Als Wissenschaftler möchte ich Erkenntnisse gewinnen, die Ent­scheidungsträgern und gesellschaftlichen Akteuren helfen, in dieser Beziehung bessere Beschlüsse zu fassen.

Ich finde es erstaunlich, wie wenig über entschei­dende Mensch­Umwelt­Zusammenhänge bekannt ist. Wenn wir in Europa beschließen, intensive Landwirtschaft weniger stark zu fördern, der Konsum von Agrarprodukten aber gleich bleibt oder zunimmt, dann bedeutet das auch, dass in Brasili­en, Argentinien oder Paraguay die Entwaldungsraten steigen, weil wir zum Beispiel mehr Soja für Tierfutter importieren müssen. Im Rahmen eines von der Einstein Stiftung geför­derten Projekts untersuchen wir daher auf globaler Ebene, wie sich Expansions­ und Intensivierungsprozesse in der Landwirtschaft auf die Artenvielfalt in verschiedenen Welt­regionen auswirken. Wissen über solche Rückkopplungsef­

fekte ist entscheidend, um unsere Ressourcennutzung mit dem Schutz von Ökosystemen in Einklang zu bringen.

Wenn man mit Leuten spricht, die schon länger in der Naturschutzbiologie tätig sind, trifft man nicht gerade viele Optimisten. Der Druck auf die Ökosysteme wird seit Jahrzehnten immer stärker und dadurch auch der Verlust von Arten und einzigartigen Landschaften. Gleichzeitig zeigt sich, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, um Ressourcen­nutzung und Naturschutz besser miteinander in Einklang zu bringen. Insbesondere seit ich zwei Kinder habe, weigere ich mich, pessimistisch zu sein, auch wenn wir eine viel funda­mentalere Gesellschaftstransformation brauchen, als sie im Moment möglich erscheint. Mit meiner Forschung möch­te ich dazu beitragen, dass wir die Auswirkungen menschli­cher Aktivitäten auf die Artenvielfalt besser verstehen und so Wege zu einer nachhaltigen Welt finden. Ich bin überzeugt, dass wir diese Transformation schaffen können.

S E I T 2 0 1 2

Einstein Junior Fellow und Gastpro­fessor für Biogeographie und Natur­schutzbiologie an der Humboldt­Uni­versität zu Berlin

2 0 1 0 — 2 0 1 1 Forschungsgruppenleiter am Geographischen Institut der Hum­boldt­Universität zu Berlin

2 0 1 0 Forscher am Potsdam­Institut für Klimafolgenforschung

2 0 0 8 — 2 0 1 0 Forscher an der University of Wiscon­sin­Madison als Stipendiat der Alexander von Humboldt­Stiftung

T O B I A S K Ü M M E R L E erforscht Mensch­Umwelt­Beziehungen, vor allem den Einfluss von Landschaftswandel auf die Artenvielfalt. Er leitet die Arbeitsgruppe Biogeographie und Naturschutz biologie am Geographischen Institut der Humboldt­Universität zu Berlin.

T O B I A S K Ü M M E R L EE I N S T E I N J U N I O R F E L L O W

»Ich weigere mich, pessimistisch zu sein«

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»Big Data stellt die Menschheit vor existenzielle Fragen«

Page 44: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Wir leben in einem Datenzeitalter. Täglich werden wir mit Massen von Daten konfrontiert. In der Astronomie bei­spielsweise nehmen neue Generationen von Teleskopen rie­sige Datenmengen auf, um ferne Galaxien zu erkennen. Das Phänomen Big Data stellt die Menschheit vor die existenzielle Frage, wie man aus dieser Flut relevante Informationen her­auslesen kann. Ich entwickle in meiner Forschung effiziente mathematische Methoden dafür. Bildlich gesprochen könnte man sagen, ich betrachte Daten durch eine mathematische Brille und erkenne Strukturen in ihnen. Ich tauche ein in die Mathematik, stelle Modelle auf, entwickle Methoden und nut­ze dabei verschiedenste Theorien – aus der Angewandten Harmonischen Analysis, Frame­Theorie, Approximationsthe­orie oder dem Compressed Sensing.

Im neuen Forschungsfeld Compressed Sensing, das ich in Berlin ausbauen möchte, befinden wir uns in ei­ner sehr spannenden Phase. Es gibt immer mehr Anwen­dungsmöglichkeiten. Zum Beispiel in der Medizin, wenn es darum geht, die Zeit zu reduzieren, die Patienten in Magnet­ resonanztomografen liegen müssen. Da kommt es darauf an, die Anzahl der Abtastwerte zu reduzieren, bei gleichblei­bender Bildqualität. Also nur die wirklich wichtigen Daten zu erfassen. Um das Bild anschließend als Ganzes zurück­zugewinnen, muss man einen Algorithmus entwickeln, der ein Bausteinsystem verwendet und die fehlenden Bereiche mit möglichst wenigen Bausteinen auffüllt. Mit Wavelet­Bau­steinen konnte man bereits erreichen, dass Patienten nur noch ein Sechstel der Zeit, also etwa statt einer Stunde nur

noch zehn Minuten, im MRT liegen müssen. Wir nutzen eine Weiterentwicklung, sogenannte Shearlets, um noch deutlich unter zehn Minuten zu kommen.

Ich kann mich stundenlang oder tagelang in mathe­matische Fragestellungen verbeißen, um Aussagen zu be­weisen. Das war schon während meiner Schulzeit so. Wenn ich dann eine Lösung gefunden habe, freue ich mich, etwas zu sehen, was niemand vor mir je gesehen hat. Aber nach kurzer Zeit kommt meist das dringende Bedürfnis, weiteren Fragen nachzugehen oder es noch besser zu machen. Es ist ein Perfektionsdrang, ich versuche so nah wie möglich an die Perfektion zu gelangen.

Was mich an der Mathematik fasziniert, ist ihre Ex­aktheit. Es ist die einzige Wissenschaft, die wirklich absolute Garantien für ihre Aussagen geben kann. Man lebt in der ma­thematischen Welt in einer völlig strukturierten Umgebung und stellt oft fest, dass die Methoden auch beeindruckend gut in der Realität wirken. Man versteht die natürliche Welt viel besser, wenn man auf festem Boden steht.

S E I T 2 0 1 1

Einstein­Professorin für Angewandte Funktionalanalysis an der Technischen Universität Berlin

2 0 0 8 — 2 0 1 1

Professorin für Angewandte Analysis an der Universität Osnabrück

2 0 0 7 — 2 0 0 8

Heisenberg­Stipendiatin an den Universitäten Princeton, Stanford und Yale

2 0 0 4 — 2 0 0 5

Visiting Scholar am Georgia Institute of Technology und an der Washington University in St. Louis

G I T T A K U T Y N I O K forscht über mathematische Methoden für die Datenanalyse. Sie ist Professorin für Angewandte Funktionalanalysis am Institut für Mathematik der Technischen Universität Berlin.

G I T TA K U T Y N I O KE I N S T E I N - P R O F E S S O R I N

»In der mathematischen Welt lebt man in einer völlig

strukturierten Umgebung«

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»Ich betreibe akustische Spurensuche«

Page 46: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Wurden Schallplatten auch für Sprachaufnahmen genutzt? Ja, Anfang der 30er bis Ende der 50er Jahre war das

Grammofon als Sprachaufzeichnungsgerät sehr weit verbrei­tet. In Europa, in Nord­ und Südamerika, aber auch anderswo gab es Aufnahmekabinen in Postämtern, Bahnhöfen, Vergnü­gungsparks, und eine stand sogar im 86. Stock des Empire State Buildings! Großbürgerliche Haushalte hatten oft ein ei­genes Gerät für Sprachaufnahmen.

Viele dieser Aufzeichnungen wurden als akustische Briefe per Post verschickt. Meine Einstein­Forschungsgruppe befasst sich mit der Rekonstruktion dieser Kulturgeschichte der grammofonischen Post. Für mich hat alles vor ein paar Jahren begonnen, als ich auf dem Flohmarkt einen Umschlag mit einer merkwürdigen Scheibe aus Aluminium fand, die in einem Briefumschlag steckte. Meine Recherchen ergaben, dass es sich um einen ehemals weit verbreiteten Typus der Schallplatte handelte, der von der Mediengeschichte aber bisher nicht beachtet worden war. Am Anfang unseres Pro­jekts ging es daher zunächst einmal darum, solche Schall­plattenbriefe zu sammeln, zu katalogisieren, einzuscannen und zu digitalisieren. Das so entstandene Tonarchiv dient mir nun als Grundlage für meine kulturgeschichtliche Studie.

Was ist das Besondere an diesem Tonarchiv?Diese Aufnahmen bezeichnen den medienhistorisch

außerordentlich bedeutsamen Moment, an dem viele Men­schen ihre eigene Stimme zum ersten Mal so hören können,

wie sie anderen zu Gehör kommt. Ab jetzt existiert ihre Stim­me außerhalb des eigenen Körpers. Es verwundert daher nicht, dass oft vom Tod die Rede ist, denn den Menschen ist bewusst, dass ihre aufgezeichnete Stimme sie überdauern wird. Es ist ein Archiv überwiegend namenloser, längst verb­lichener Menschen. Und es ist ein Archiv der Alltagssprache: Hier sprechen ganz normale Menschen in ganz normalen Worten über ganz alltägliche Angelegenheiten.

Haben Sie sich wissenschaftlich schon immer mit Alltags-gegenständen beschäftigt?

Mein Forschungsinteresse ist durch einen medien­ theoretischen Materialismus geprägt, der auch dieses Projekt auszeichnet. Ich bin sehr daran interessiert, wie scheinbar banale Dinge ein neues Licht auf alle möglichen Kulturtech­niken werfen können.

Besonders schön an diesem Projekt ist, dass ich meinen Sammeltrieb mit wissenschaftlicher Forschung ver­binden kann. Ich bin ein leidenschaftlicher Jäger und Samm­ ler, nichts verschafft mir mehr Befriedigung als ein guter Fund, und nichts ist besser für die Wissenschaft als ein guter Fund. Was für ein Glück, wenn beides zusammenkommt!

2 0 1 0 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien der Freien Universität Berlin

2 0 0 4

Senior Scholar, Getty Research Institute, Los Angeles

2 0 0 1

Kurator von „Ctrl [Space]: Rhetorics of Surveillance from Bentham to Big Brother“ am Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe

S E I T 1 9 9 0

Außerordentlicher Professor am German Department der Princeton University

T H O M A S Y . L E V I N schreibt an einer Mediengeschichte der grammofonischen Post und schafft ein digitales Archiv dieser vergessenen Kulturtechnik. Der Medientheoreti­ker ist außerordentlicher Professor an der Princeton University.

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»Können Biomaterialien Implantate ersetzen?«

Page 48: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Die Medizin zeichnet sich seit jeher durch recht brachiale Eingriffe in unseren Körper aus. Selbst bei lokal begrenzten Verletzungen oder Erkrankungen behandeln wir meist den ganzen Körper. Mit Bioengineering können wir das betroffene Gewebe oder Organ präzise ansteuern. So entwi­ckeln wir gerade Verfahren, um mithilfe von Biomaterialien – im Wesentlichen sind das Plastikmaterialien – Stammzellen zielgenau an die betroffene Stelle im Körper zu transpor­tieren, um sie zu reparieren. Für die Behandlung von Kno­chen experimentieren wir mit Biomaterialien, die sogar die Fähigkeit besitzen, im Körper bereits vorhandene Zellen zu „rekrutieren“, also an sich zu binden, und dorthin zu brin­gen, wo Knochengewebe ersetzt werden muss. Zeitpunkt, Ort und Dauer solcher Eingriffe können wir genau kontrollie­ren. Bioengineering gibt uns also ein Mehr an zeitlicher und räumlicher Kontrolle.

Unsere Biomaterialien sind biologisch abbaubar, sie sollen nur so lange im Körper bleiben, wie sie gebraucht werden. Um die Zellen im Körper zu „dirigieren“, müssen sie zudem kommunizieren können. Das erreichen wir auf chemi­schem Weg, indem wir sie Medikamente oder Moleküle aus­schütten lassen, die sich an Zellen binden und deren Funkti­on verändern. Oder auf mechanischem Wege, denn die Zellen reagieren auch auf die Festigkeit des Materials.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Medizin von der Symptombekämpfung und der Verwendung einfa­cher Implantate abwenden wird. Stattdessen werden wir in

der Lage sein, den Organismus zur Gewebeerneuerung zu veranlassen. Das wird eine Veränderung von unvorstellbarer Tragweite sein.

Als ich mit dieser Forschung begann, war ich fas­ziniert von der Idee, Gewebe durch Zellen zu erneuern und wachsen zu lassen. Aber schon bei einem der ersten Tierver­suche sind die meisten transplantierten Zellen abgestorben. Nach dieser Enttäuschung kam mir allmählich die Einsicht, es könnte aussichtsreicher sein, körpereigene Zellen zu „trainieren“, anstatt Zellen zu transplantieren. Insofern hat mir dieser Rückschlag den Weg gewiesen.

Ernüchternd waren auch unsere ersten Schritte bei der Forschung an einem Impfstoff gegen Krebs. Es stellte sich heraus, dass wir damit das Wachstum der Tumoren noch beschleunigten. Doch wenn wir etwas verschlimmern kön­nen, können wir es vielleicht auch irgendwann verbessern. Ich habe mit der Zeit begriffen, dass eine negative Wirkung immer noch besser ist als gar keine. Denn das heißt auch: Wir haben Einfluss.

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D A V I D J . M O O N E Y experimentiert mit neuen Biomaterialien, die im Körper des Menschen verletztes Gewebe reparieren oder die Immunabwehr gezielt aktivieren sollen. Mooney ist Professor für Bioengineering an der Harvard University in Cambridge, USA.

S E I T 2 0 1 1

Einstein Visiting Fellow an der Berlin­Brandenburg School for Regenerative Therapies

S E I T 2 0 0 9

Kernmitglied des Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering an der Harvard University

S E I T 2 0 0 4

Professor für Bioengineering an der Harvard University

1 9 9 2

Ph.D. Massachusetts Institute of Technology, University of Cambridge

»Rückschläge haben mir den Weg gewiesen«

Page 49: Porträtbroschüre Einblicke

S T E F F E N M Ü L L E R E I N S T E I N - P R O F E S S O R

»Ich möchte dazu beitragen, Autos sicherer zu machen«

Page 50: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Herr Müller, fahren Sie selbst gerne Auto?Ja, aber nicht immer. Mich fasziniert die Techno­

logie, und Mobilität halte ich für ein sehr wichtiges Gut. Zur Arbeit nehme ich aber die öffentlichen Verkehrsmittel, weil ich mich da mit anderen Dingen beschäftigen kann. Ich finde es einen großen Nachteil beim Autofahren, dass man an die Führung des Fahrzeugs gebunden ist, selbst wenn die Fahr­aufgabe monoton ist.

Ich begeistere mich für Autos, aber ich bin nicht von klein auf mit dem Gedanken groß geworden, Kraftfahrzeuge zu bauen. Ich habe Luft­ und Raumfahrt studiert und bin dann über die Schienenfahrzeuge zur Fahrzeugtechnik gekommen. Meine Begeisterung für Kraftfahrzeuge begann bei BMW in der Forschungsabteilung. Seither reizt mich die Aufgabe, Autos sicherer und attraktiver zu machen. Aber ich sehe das Auto nicht als das ultimative Transportmittel.

Woran arbeiten Sie derzeit?Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit der Inter­

aktion von unterschiedlichen Assistenzsystemen. Wir analy­sieren gerade, inwieweit das Zusammenwirken etwa eines Abstandhaltesystems und eines Spurhalteassistenten mit einem Überhol­ oder Spurwechselwarnsystem die Beherrsch­barkeit einer Fahrsituation beeinflusst. Stellen Sie sich vor, Sie fahren, und plötzlich schert ein anderes Fahrzeug vor Ihnen ein. Ihr Abstandregelsystem will dann übergeben, weil es eine

Gefahrensituation erkennt, wenn jemand so dicht vor Ihnen fährt. Gleichzeitig blinkt es, weil jemand Sie links überholt, und wenn Sie in einer Kurve fahren, greift der Spurhalteas­sistent gleichzeitig in die Lenkung ein. Das kann zur Über­forderung des Fahrers führen. Solche Szenarien schauen wir uns an.

Wann werden unsere Fahrzeuge ohne uns fahren?In der Presse heißt es oft, das sei 2020 der Fall. Aber

ich wäre da vorsichtig, auch wenn Google bereits fahrerlose Fahrzeuge erprobt und Daimler eine Demonstrationsfahrt über 100 Kilometer durchgeführt hat. Der Wagen fuhr au­tonom, doch es saß immer ein Fahrer am Steuer, der hätte eingreifen können. Die Entwicklung wird in Schritten erfol­gen. Assistenzsysteme regeln ja bereits den Abstand, sorgen dafür, dass die Spur eingehalten wird oder chauffieren Sie sicher im Stau. In der Gebrauchsanweisung steht bei all diesen Systemen: Sie müssen sie ständig überwachen und die Hände am Lenkrad behalten. Dass man erste Neben­beschäftigungen erledigen darf, wird vermutlich innerhalb der nächsten Jahre kommen. Vielleicht darf man lesen oder SMS schreiben – aber von der Vision des vollautomatisierten Fahrens sind wir noch ein gutes Stück entfernt.

S E I T 2 0 1 3

Einstein­Professor für Kraftfahrzeuge an der Technischen Universität Berlin

2 0 0 8 — 2 0 1 3

Leiter des Lehrstuhls für Mechatronik in Maschinenbau und Fahrzeugtech­nik an der Technischen Universität Kaiserslautern

2 0 0 1 — 2 0 0 8

Unterschiedliche Leitungsfunktionen am BMW Group Forschungs­ und Innovationszentrum, München

2 0 0 0 — 2 0 0 1

Postdoktorand an der University of California, Berkeley

S T E F F E N M Ü L L E R forscht zu Elektromobilität, autonomem Fahren, Fahrzeugdynamik und Fahrerassistenzsystemen. Er leitet das Fachgebiet Kraftfahrzeuge an der Technischen Universität Berlin.

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Page 51: Porträtbroschüre Einblicke

»Wie ein Spiel mit Legosteinen«

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Page 52: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Mit eigenen Händen an der Laborbank Moleküle zu gestalten erinnert mich ein wenig an das Spielen mit Lego­steinen. Für mich war dieses Basteln von Molekülen ein Grund, Chemie zu studieren. Inzwischen arbeite ich aller­dings nicht mehr im Labor. Die wissenschaftliche Laufbahn bringt es mit sich, dass man vom Experimentator zum Mana­ger wird. Heute ziehe ich meine Befriedigung eher daraus, dass ich schwierigere und größere Projekte anpacken kann, weil es bei 20 Mitarbeitern einen steten Fluss an Ergebnis­sen gibt, die bei mir zusammenlaufen. Und mich motiviert die Ausbildung der jungen Forscher. Sie als eigenständige Wis­senschaftler nach der Doktorarbeit zu entlassen erfüllt mich mit Stolz.

Meine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit grundle­genden Fragen der Katalyse. Ich versuche die in der organi­schen Chemie eher unüblichen Elemente Bor und Silicium in organische Moleküle hineinzubringen und auf dieser Grund­lage Katalysatoren zu entwickeln. Diese Katalysatoren sollen auf lange Sicht kostspielige Edelmetalle ersetzen und die Knüpfung chemischer Bindungen beschleunigen oder über­haupt erst ermöglichen.

Ich sehe mich ganz klar als Grundlagenforscher. Natürlich könnte ich behaupten, dass unsere Forschungs­ergebnisse in 20 Jahren für Dinge des täglichen Lebens wich­tig sein könnten. Aber in Wirklichkeit stehen wir ganz am An­fang der Nahrungskette. Ich empfinde es als Problem, dass unser wissenschaftliches System immer mehr den schnellen

Erfolg will. Nützlichkeit wird oft als Rechtfertigung vor dem Geldgeber verlangt, es fehlt an Risikokapital, um Wissenschaft freier betreiben zu können. Doch wenn alle nur noch plan­bare Forschung mit direktem Bezug zur Anwendung machen, kommt nichts Neues mehr nach. Die Kristallisationskeime für Innovationen entstehen in der Grundlagenforschung.

Das System ist nicht darauf ausgelegt, lange Durst­strecken in der Forschung zu tolerieren. Ich habe mich als Habilitand für ein Forschungsgebiet entschieden, das damals nicht im Mainstream lag, und musste eine lange Phase ohne wissenschaftliche Erfolge überbrücken. Mitunter hatte ich 80­Stunden­Wochen im Labor, aber es hat sich ausgezahlt. Irgendwann kamen ausgezeichnete Ergebnisse und plötzlich wurde ich wahrgenommen. Um erfolgreich Forschung zu betreiben, braucht man nicht nur viel Durchhaltevermögen, sondern auch Mentoren und Geldgeber, die nicht die Nerven verlieren, wenn nicht gleich alles funktioniert. Erkenntnis­gewinn ist nun einmal nicht auf dem Reißbrett zu entwerfen.

S E I T 2 0 1 1

Einstein­Professor für Organische Chemie an der Technischen Universität Berlin

2 0 0 6 — 2 0 1 1

Professor für Organische Chemie an der Westfälischen Wilhelms­Universität Münster

2 0 0 1 — 2 0 0 5

Habilitation an der Albert­ Ludwigs­Universität Freiburg

1 9 9 9 — 2 0 0 1

Postdoktorand an der University of California, Irvine

M A R T I N O E S T R E I C H beschäftigt sich mit grundlegenden Fragen der Synthese und Katalyse. Er ist Professor für Chemie an der Technischen Universität Berlin.

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»Wenn alle nur noch planbare Forschung machen, kommt nichts

Neues mehr nach«

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»Mit Simulationen molekulare Prozesse besser

verstehen«

Page 54: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Grundsätzlich geht es in meiner Forschung um die Simulationen von Biomolekülen. Das sind Simulationen mit dem Atom als kleinster Einheit – im Gegensatz zu quanten­mechanischen Simulationen, bei denen Elektronen als noch kleinere Einheit betrachtet werden. Mit unseren Simulationen studieren wir die Organisationsprozesse von Molekülen, zum Beispiel von Proteinen. Es gibt bereits etablierte Methoden und Computerprogramme, um sich die Dynamik einzelner Proteine anzuschauen. Diese nehmen wir als Grundlage, um zu verstehen, was passiert, wenn viele verschiedene Proteine untereinander in ganz unterschiedliche Wechselwirkungen treten. Die Frage ist dann: Wie verhält sich das Ganze?

Als Computer­Chemikerin arbeite ich sehr eng mit experimentellen Forschern zusammen. Wir benötigen ihre Daten als Input für unsere Simulationen, zum Beispiel Daten zu den Kristallstrukturen von Proteinen oder zur Entwicklung der Kraftfelder, also zur Wechselwirkung zwischen den Ato­men. Mithilfe der Simulationen kann ich dann entweder den Ausgang eines Experiments vorhersagen, das noch gar nicht stattgefunden hat, oder einen Vorgang reproduzieren, der im Experiment demonstriert wurde, und so das Ergebnis des Experiments verifizieren.

Das Ergebnis von Experimenten ist oft nur eine Zahlenreihe. Wenn diese Zahlenreihe mit meiner Si­mulation in Übereinstimmung gebracht wird, kann man detailliert sagen, welche Werte welchem Vorgang im Protein entsprechen. Auf dem Bildschirm kann man dann zum Bei­

spiel zeigen: Diese Bestandteile des Proteins bewegen sich so, hier löst sich ein Molekül, dort kommt ein anderes hinzu. Die Visualisierung hilft dabei, molekulare Prozesse besser zu verstehen. Das halte ich für einen der wichtigsten Beiträge der Simulation.

Unsere Gesellschaft kann aus der technischen Entwicklung nur schwer wieder aussteigen, auch wenn der technische Fortschritt viele Schwierigkeiten mit sich bringt. Ich denke dabei zum Beispiel an die nukleare Bedrohung oder den Klimawandel. Dennoch sehe ich eine Hoffnung darin, weiter zu forschen. Das heißt für mich, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und neue Handlungsmöglich­keiten aufzuzeigen. Was meine eigene Arbeit anbetrifft, will ich dazu beitragen, dass wir biologische Vorgänge besser verstehen. Das wiederum eröffnet die Möglichkeit, Krankhei­ten besser zu verstehen – und damit die Aussicht auf neue Heilungschancen.

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Einstein International Postdoctoral Fellow in der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Computational Molecular Biology“ an der Freien Universität Berlin

2 0 1 0 — 2 0 1 1

Postdoctoral Researcher an der Brown University, Providence

2 0 0 6 — 2 0 0 9

Promotion an der Universität Basel2 0 0 2 — 2 0 0 5

Studium der Chemie an der Universität Basel

N U R I A P L A T T N E R sucht nach den besten Simulationsmethoden, um die Organisation von Biomolekülen zu erforschen. Sie ist Postdoktorandin am Fachbereich Mathematik und Informatik der Freien Universität Berlin.

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»Ich möchte dazu beitragen, dass wir biologische Vorgänge

besser verstehen«

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»Proteine sind die Liebe meines Forscherlebens«

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Page 56: Porträtbroschüre Einblicke

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Die große Liebe meines Forscherlebens ist es, Pro­teine mittels Massenspektrometrie zu analysieren. Wie der Künstler Pinsel und Farbe, so liebt auch der Wissenschaftler seine Werkzeuge. Mir macht es Spaß, mit Massenspektrome­tern und ihren Daten zu arbeiten und das Leben auf moleku­larer Ebene zu erkunden.

Proteine sind sehr komplizierte und vielfältige Mo­leküle, letztlich sind es die Bausteine des Lebens. Wir unter­suchen Proteine, indem wir sie in Einzelteile zerlegen und diese Bruchstücke im Massenspektrometer wiegen.

Um die Funktionen von Proteinen zu verstehen, müs­sen wir auch ihre Beziehungen untereinander aufklären. Mit der gegenwärtigen Technologie ist das leider sehr aufwen­dig. Unsere neue Technologie soll es so sehr vereinfachen, dass wir ganze Proteinnetzwerke im Detail beschreiben und ihre Veränderungen verfolgen können. Wir verknüpfen Pro­teine dazu mit einem kleinen Trick, indem wir benachbar­te Punkte in einem Protein oder in zwei interagierenden Proteinen chemisch miteinander verbinden. Spuren der drei­dimensionalen Struktur und der Interaktionen bleiben damit auch in den Bruchstücken erhalten, welche wir im Massenspektrometer untersuchen. So können wir erkennen, ob sich zwei Proteine quasi die linke Hand geben oder die rechte.

Eines Tages würde ich gerne die Interaktionen aller Proteine in einer Zelle verfolgen, sie wie in einem Film be­trachten können. Das würde uns einen umfassenden Einblick

geben, wie Leben funktioniert und wie Krankheiten zustande kommen. Denn viele Erkrankungen lassen sich an falschen Strukturen und Interaktionen von Proteinen festmachen. Um den richtigen Ansatz für neue Medikamente zu finden, hilft es, diese Fehler zu kennen. Dafür wird unsere Technologie eine wichtige Rolle spielen.

Der Weg dorthin ist ein sehr langer. Doch unsere Technologie ist bereits jetzt bedeutsam, um eine ganze Reihe wichtiger Fragestellungen gemeinsam mit Kollegen anzuge­hen. Wir testen so unsere Werkzeuge im Forschungsalltag und helfen gleichzeitig, die Grenzen des biologischen und medizinischen Wissens zu verschieben.

Die Komplexität des Lebens bereitet mir keine Kopf­schmerzen. Irgendwann als Kind ist mir klar geworden, dass man die Unendlichkeit des Universums nicht begreifen kann, man kann nur in diesem Raum leben und ihn erkunden. Die­ses Erkunden macht mir sehr viel Spaß. Dass ich nie in der Lage sein werde, das Leben komplett molekular zu verste­hen, fällt in den Bereich der Unendlichkeit.

S E I T 2 0 1 1

Einstein­Professor für Bioanalytik an der Technischen Universität Berlin

S E I T 2 0 0 6

Fellow am Wellcome Trust Centre for Cell Biology an der University of Edinburgh

2 0 0 3 — 2 0 0 6

Gruppenleiter am FIRC Institute of Molecular Oncology, Mailand

1 9 9 5 — 2 0 0 3

Harvard Medical School, FMP Berlin, EMBL Heidelberg, IMP Wien, University of Dundee und University of Southern Denmark

J U R I R A P P S I L B E R erforscht die Beziehungen und die Faltung von Proteinen mithilfe von Massenspektrometrie, um Grundlagen für neue Medikamente zu schaffen. Er ist Professor für Bioanalytik an der Technischen Universität Berlin.

J U R I R A P P S I L B E RE I N S T E I N - P R O F E S S O R

»Die Komplexität des Lebens bereitet mir keine Kopfschmerzen«

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»Wie kommunizieren Nervenzellen?«

Page 58: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

In den Neurowissenschaften gibt es eine große Bandbreite an Themen, von Untersuchungen auf moleku­larer Ebene bis hin zu Psychologie und Psychophysik. Mein Forschungszweig ist die Neurophysiologie. Es geht darum, die Aktivitäten einzelner Neuronen, das heißt Nervenzel­len, zu messen. Davon gibt es viele verschiedene Typen. Ich konzentriere mich auf die pyramidalen Neuronen, die im Cortex, der Hirnrinde, vorkommen.

Was kann ein Neuron tun? Es empfängt elektrische Signale von 10.000 bis 20.000 anderen Nervenzellen und ver­wandelt sie in elektrische Signale, die es sendet. Überall an der Zelle gehen kleine Abzweigungen ab, sogenannte Dendri­ten. Die sind mein Spezialgebiet. Man kann sie sich wie feine, weit verästelte Strukturen vorstellen. Sie sehen wirklich sehr schön aus. Dendriten sind Hunderte Mikrometer lang und weniger als einen Mikrometer breit. Jeder Zweig bezieht Ein­gangssignale von Hunderten anderer Zellen. Ich untersuche, wie sich die räumliche Anordnung der Dendriten auf die Wei­tergabe von Signalen auswirkt.

Es hat in den letzten 15 Jahren viele neue Erkennt­nisse gegeben. Tierversuche sind dafür leider nicht zu ver­meiden. Wenn eine Maus eine bestimmte Aufgabe löst, zum Beispiel mit der Pfote einen Stab anstößt, um einen Tropfen Wasser zu bekommen, kann man heute über Elektroden die Aktivitäten einzelner Neuronen messen. Außerdem kann man – auch das ist neu – gleichzeitig über fluoreszierende Substan­zen anzeigen, wie sich die Konzentration von Kalzium in einer

Zelle verändert. Kalzium ist ein wichtiges Signal dafür, dass eine Zelle Input bezieht oder Output erzeugt.

Ich selbst führe keine Experimente durch. Meine Aufgabe ist eine mathematische. Ich interpretiere Daten, die andere Experten in Experimenten gewonnen haben. Viele neu­ ronale Prozesse lassen sich mit komplizierten mathemati­schen Gleichungen abbilden und verstehen. Ich visualisiere Dendriten zwar nicht, aber auch in diesen Gleichungen steckt für mich Schönheit, eine mathematische Schönheit.

Meine große Leidenschaft neben der Forschung ist die Musik. Ich beginne meinen Tag immer damit, Klavier zu spielen, Bach zum Beispiel. Ich habe früher einmal Musik­wissenschaften studiert, aber zu meiner jetzigen Arbeit sehe ich keine direkte Verbindung. Wir sind sehr, sehr weit davon entfernt, auf einer neurowissenschaftlichen Ebene zu verste­hen, wie es sein kann, dass Menschen Musik genießen und schätzen. Ich bin auch recht skeptisch, ob wir jemals so weit kommen werden.

S E I T 2 0 1 1

Einstein International Postdoctoral Fellow am Institut für Theoretische Biologie, Humboldt­Universität zu Berlin

2 0 0 8 — 2 0 1 1

Postdoctoral Research Fellow am Center for Neural Science, New York University

2 0 0 6 — 2 0 0 8

Postdoctoral Research Fellow der Group for Neural Theory an der École normale supérieure und am Collège de France, Paris

2 0 0 1 — 2 0 0 6

Promotion am Center für Neuroscience, University of Amsterdam

M I C H I E L R E M M E simuliert die Weitergabe von Signalen zwischen Nervenzellen. Der niederländische Neurobiologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theo­retische Biologie an der Humboldt­Universität zu Berlin.

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»In Gleichungen steckt für mich mathematische Schönheit«

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»Das zeitlich Fremde vor Augen«

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Page 60: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Ich bin mit Menschen aufgewachsen, die ein sehr bewegtes Leben hatten. Die Verlustgeschichten lagen damals noch in der Luft. Der Lehrer mit der einen Hand – wo war die andere geblieben? Solche Fragen habe ich oft gestellt und die Erwachsenen wollten oder konnten sie nicht beantwor­ten. Später habe ich mich daran gemacht, selbst Antworten zu finden.

Meine Leidenschaft ist eine doppelte. Sie gilt der Geschichte, weil sie uns das zeitlich Fremde vor Augen führt und die Möglichkeit gibt, Probleme menschlichen Zusam­menlebens quasi mit der Lupe zu untersuchen und Schlüsse daraus zu ziehen. Und sie gilt Lateinamerika, das im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder Labor für politische und soziale Probleme war. Schon in der Oberstufenzeit haben mich die Konflikte des Kontinents sehr bewegt. Später habe ich mit Amnesty International gegen Menschenrechtsverbre­chen in Chile und Argentinien gekämpft. Im Studium konnte ich die beiden Leidenschaften dann zusammenbringen.

In meiner Forschung frage ich nach der Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Lateinamerika. Er hat dort eine viel größere Diskussion ausgelöst, als uns bisher bewusst war. Ich möchte herausfinden, wie sich das globale Bewusstsein innerhalb Lateinamerikas in dieser Zeit verändert hat. Die Eli­ten stellten sich damals die Frage, wie sie sich in einer Welt verorten sollten, die in Flammen stand. Nach gut 300 Jahren Kolonialzeit und 100 Jahren Unabhängigkeit im Schatten der Alten Welt wandte man sich ab vom großen Vorbild Europa,

das in Barbarei versank, und suchte nach eigenen Identi­tätsmodellen. Man hoffte auf eine gleichberechtigte Stel­lung im Weltkonzert.

Um an Quellen aus dieser Zeit zu gelangen, besu­che ich viele lateinamerikanische Archive. Das kann mitunter recht abenteuerlich sein. Es kommt vor, dass man mich in einen Keller schickt, wo stapelweise alte Dokumente herum­liegen. Die Durchsicht ist zeitaufwendig, aber spannend, weil man äußerst überraschende Funde machen kann.

Die Geschichtswissenschaft hat Europa bisher im­mer getrennt vom Rest der Welt wahrgenommen. Erst in den letzten Jahren hat sich diese Sichtweise geändert, Historiker interessieren sich zunehmend für außereuropäische The­men. Es gibt eine Öffnung zu transnationalen und globalen Fragestellungen. Als Regionalwissenschaftler möchte ich einen Beitrag dazu leisten, dass Lateinamerikas Geschichte nicht länger als die einer Peripherie betrachtet wird. Das alte Modell von Zentrum und Peripherie gilt es zu erschüttern.

S E I T 2 0 1 2

Einstein Research Fellow am Ibero­ Amerikanischen Institut (IAI)

S E I T 2 0 0 9

Sprecher des Graduiertenkollegs „Zwischen Räumen/Entre Espacios“, seit 2010 Co­Sprecher des SFB „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“

S E I T 2 0 0 5

Universitätsprofessor für die Geschichte Lateinamerikas an der Freien Universität Berlin

2 0 0 3

Habilitationspreis der Eichstätter Universitätsgesellschaft an der Katholischen Universität Eichstätt­In­golstadt

S T E F A N R I N K E erforscht die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Lateinamerika. Während seiner Forschungszeit als Einstein Research Fellow finanziert die Einstein Stiftung seine Vertretung durch Nikolaus Böttcher als Professor für Lateinamerika­nische Geschichte am Lateinamerika­Institut der Freien Universität Berlin.

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»Historiker interessieren sich zunehmend für

außereuropäische Themen«

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»Wie die Arbeit eines Detektivs«

Page 62: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Je tiefer man in die Hirnforschung einsteigt, umso mehr spürt man eine gewisse Ehrfurcht. Wenn ich im Expe­riment sitze und Hirnzellen ihre Rhythmen generieren sehe, frage ich mich oft: Wie kann das sein? Wie entsteht so etwas? An manchen Tagen denke ich, das werde ich nie verstehen. Aber das dominiert bei mir nicht. Mir ist klar, dass wir nicht alle Details ergründen können, aber kleine Fortschritte mo­tivieren mich sehr in der täglichen Arbeit. Es sind viele kleine Beobachtungen in vielen Laboren, die die Hirnforschung in den großen Fragen voranbringen.

Am Gehirn fasziniert mich die hohe Komplexität und die Plastizität. Es ist nicht statisch, sondern ständige Verän­derungen der Synapsen führen dazu, dass man immer wieder neue Informationen speichern kann. Einerseits können klei­ne Veränderungen zu großen Erkrankungen führen, anderer­seits kann das Gehirn große Verletzungen gut kompensieren. Wie das möglich ist, hat man im Detail noch gar nicht verstan­den. Es ist eine von vielen Fragen, die das Gehirn aufwirft.

Unsere Arbeitsgruppe erforscht, wie Hirnzellen mit­einander kommunizieren und wie Lernen und Gedächtnisbil­dung funktionieren. Bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sind diese Prozesse oft gestört – zum Beispiel bei Epilepsie, Alzheimer, Autismus oder Schizophrenie. Wir versuchen die zellulären und molekularen Mechanismen da­hinter zu verstehen, um bessere Diagnostik und Therapien zu entwickeln. Bei der Epilepsie haben wir vor einigen Jahren erkannt, wie Nervenzellen gestört sind, und Ideen entwickelt, um diese Störung zurückzunehmen.

Ich habe mich sehr lange vornehmlich auf die Grund­lagenforschung konzentriert, auch weil es mich frustriert hat, dass es bei der klinischen Anwendung im neuropsychiatri­schen Bereich wenige Fortschritte gab. Jetzt denke ich, dass wir viel erreichen können. Die Technologie hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt und große Forscherverbünde, wie unser Exzellenzcluster NeuroCure oder das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, ermöglichen eine intensive Grundlagenforschung mit enger Verzahnung zur klinischen Anwendung.

Unsere Forschung erinnert mich oftmals an die Arbeit eines Detektivs. Wir lesen viel und stellen Hypothesen auf, die wir dann in Experimenten testen und analysieren. Aber das Gehirn ist meist zu komplex für unsere Hypothesen. Daher ist es sehr wichtig, im Experiment genau zu beobachten und für unerwartete Ergebnisse offen zu sein. So sind mir oft schon interessante Phänomene aufgefallen, die dann ganz neue Einblicke in die Hirnfunktionen gegeben haben.

S E I T 2 0 1 1

Einstein­Professor für Neurowissen­schaften an der Charité – Universitäts­medizin Berlin

S E I T 2 0 1 1

Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen in Berlin

2 0 0 5 — 2 0 1 4

Sprecher und Ko­Sprecher eines Graduiertenkollegs und des Exzellenz­clusters NeuroCure

S E I T 2 0 0 5

Direktor des Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums der Charité – Universitätsmedizin Berlin

D I E T M A R S C H M I T Z erforscht die Funktion von Synapsen und neuronalen Netzwerken sowie ihre Rolle bei neuropsychiatrischen Erkrankungen. Er ist Professor für Zelluläre und Molekulare Neurowissenschaften an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

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»Das Gehirn ist meist zu komplex für unsere Hypothesen«

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»Dem Mörder in unserem Körper auf der Spur«

Page 64: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Krebs ist wie ein fremdes Wesen, das sich in unse­rem Körper einnistet, um uns von innen heraus zu zerstören. Er ist ein äußerst komplexes Gebilde, das viele Genmutatio­nen aufweist. Wir versuchen, uns ein Bild von seiner Persön­lichkeit zu machen und seinen genetischen Fingerabdruck als Zielscheibe zu nutzen, um ihn zu zerstören. Das ist fast wie bei der Suche nach einem echten Mörder.

Wir wollen das Immunsystem zur Krebsbekämpfung einsetzen. Viele denken, dass das Immunsystem nichts mehr ausrichten kann, wenn der Krebs erst einmal ausgebrochen ist. Aber auch wenn ein gesundes Immunsystem den Ausbruch nicht verhindert hat, kann es helfen, die Krankheit zu bekämpfen. Unsere Hypothese lautet, dass die T­Zellen, die Immunzellen unseres Körpers, Krebszellen vernichten können – ein sehr eleganter und logischer Ansatz. Den Immunzellen gelingt es nicht, das Krebswachstum zu verhindern, weil sie darauf pro­grammiert werden, die Tumorzellen für körpereigene Zellen zu halten – mit katastrophalen Folgen für den Patienten.

Wir entfernen die sogenannten T­Zellen­Rezeptoren dieser erfolglosen Immunzellen, klonen sie und modifizieren damit noch unverbrauchte Immunzellen, die den Krebs „erken­nen“ und angreifen können. Das ist wie bei einer Bohrmaschine, wenn der Motor defekt ist, aber der richtige Bohrer draufsitzt: Wir stecken ihn in eines der vielen funktionstüchtigen Geräte, die im Körper noch vorhanden sind.

Bei Tierversuchen haben wir auf diesem Wege schon dramatische Heilungserfolge erzielen können. Der Krebs ist

quasi zerfallen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Methode auch bei Menschen erfolgreich sein wird. Im Moment versu­chen wir, patientenspezifisch und krebsspezifisch Mutationen zu identifizieren, die vom Immunsystem angegriffen werden können. So wird eine sehr individuelle Therapie möglich.

Meine Mutter und einige meiner besten Freunde sind an Krebs gestorben. Die meisten Menschen sind kern­gesund, wenn dieser Einbrecher in ihren Körper eindringt, um sie mitten aus dem Leben zu reißen. Ich will unbedingt herausfinden, wie man ihn daran hindern kann.

In meinem Alter setzen sich viele zur Ruhe, aber für mich kommt das nicht in Frage. Ich freue mich jeden Tag, wenn ich mein Labor betrete. Forschung ist ein Lebensziel für mich, die ungelösten Fragen treiben mich an. Gemeinsam mit meiner Frau führe ich innovative Experimente durch. Ich finde es wichtig, immer wieder Neues entdecken zu wollen, auch noch im höheren Alter.

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H A N S S C H R E I B E R sucht neue Wege für die Krebstherapie, die auf dem Immunsystem beruhen. Er ist Professor am Fachbereich Pathologie der University of Chicago.

S E I T 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow an der Berlin School of Integrative Oncology der Charité –Universitätsmedizin Berlin

2 0 0 3

Humboldt­Forschungspreis der Alexander von Humboldt­Stiftung

S E I T 1 9 8 6

Professor für Pathologie an der University of Chicago

1 9 8 3 — 1 9 8 4

Gastprofessor an der Fakultät für Genetik, University of California, Berkeley

»Forschung ist ein Lebensziel für mich, die ungelösten Fragen

treiben mich an«

Page 65: Porträtbroschüre Einblicke

A D R I E N S E M I N E I N S T E I N I N T E R N A T I O N A L P O S T D O C T O R A L F E L L O W

»Wenn sich die Natur auf eine Formel bringen ließe, gäbe es

keine Überraschungen mehr«

Page 66: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Warum brauchen wir mathematische Modelle für die Beschreibung von Naturphänomenen?

Modelle und Simulationen sind weniger zeitaufwen­dig und kostenintensiv als empirische Experimente. Manch­mal ist es auch gar nicht möglich, Experimente durchzuführen. So wäre es etwa bei der Untersuchung der Aerodynamik ei­nes Flugzeugs extrem schwierig, die Luftströme während des Fluges zu beobachten und zu messen. Ähnliches gilt auch für die akustische Wellenausbreitung in Flüssigkeiten, die ich mit einer Navier­Stokes­Gleichung zu modellieren versu­che. Ich will verstehen, wie die Wellenausbreitung auf unter­schiedlichen Längenskalen zustande kommt. Ein Beispiel: In einer Turbinenkammer von einem Meter Länge und mit Löchern von einem Millimeter Durchmesser kommt es in der Nähe der Löcher zu kleinen Verwirbelungen. Es ist aber nicht so, dass diese bei größeren Löchern gleichmäßig zunehmen. Wir wollen mathematische Modelle entwickeln, die für beide Größenordnungen passen.

Macht es für die Simulation einen Unterschied, um welchen Typus von Welle es sich handelt?

Aus der Sicht eines Mathematikers spielt es keine Rolle, ob er Wasser­, Schall­ oder Lichtwellen untersucht. Auch wenn sich diese verschiedenen Wellenarten in ihren theoretischen Modellen, in ihrer Geometrie und in unserer Wahrnehmung voneinander unterscheiden, die Mathematik

dahinter ist immer die gleiche. Dementsprechend gleichen sich auch die Methoden für die Modellentwicklung mehr oder weniger.

Wie nah kommen Modelle der Realität? Nicht sonderlich nah, glaube ich. Um ein komplexes

physikalisches Phänomen wie fließendes Wasser in einem Turbinenraum zu untersuchen, müssen wir es in eine Reihe unterschiedlicher mathematischer Probleme unterteilen. Wir fangen mit vereinfachten Gleichungen an, bei denen nur einige Parameter berücksichtigt werden, etwa die Größe des Turbi­nenraums. Es ist mathematisch unmöglich, ein vollständiges Modell zu entwickeln, in das alle denkbaren Parameter eines gegebenen Problems eingehen. Unsere Modelle können also nicht mehr sein als Annäherungen. Das ist unproblematisch, solange wir sie auch nur auf die berücksichtigten Parameter anwenden. Problematisch wird es allerdings dann, wenn wir versuchen, sie auf andere Parameter zu übertragen.

Die Realität ist viel zu komplex, als dass sie sich auf mathematische Formeln reduzieren ließe. Das ist nicht unbe­dingt bedauerlich. Denn wenn die Natur sich auf eine Formel bringen ließe, gäbe es auch keine Überraschungen mehr. Und mein Leben als Wissenschaftler wäre ziemlich langweilig.

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Einstein International Postdoctoral Fellow am Institut für Mathematik der Technischen Universität Berlin

2 0 1 0 — 2 0 1 2

Postdoc in Angewandter Mathematik, Foundation of Research and Technology – Hellas, Heraklion, Griechenland

2 0 0 7 — 2 0 1 0

Promotion in Mathematik, Université Paris­Sud und INRIA Rocquencourt

2 0 0 7

Studium der Angewandten Mathematik, Université Paris­Sud

A D R I E N S E M I N entwickelt mathematische Modelle für die Simulation der akustischen Wellenausbreitung. Er ist Postdoktorand am Institut für Mathematik an der Technischen Universität Berlin.

Page 67: Porträtbroschüre Einblicke

J A M E S A . S E T H I A N E I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Mathematik hat großen Einfluss«

Page 68: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Ihr Arbeitsgebiet sind dynamische Grenzflächen. Was ist darunter zu verstehen?

Wir sprechen von Grenzflächen, um dynamische Schnittstellen zwischen zwei oder mehr Zonen zu beschrei­ben. Solche dynamischen Grenzflächen spielen bei vielen in­genieurwissenschaftlichen Problemen eine Rolle, aber auch in der Natur. Eine Meeresoberfläche ließe sich zum Beispiel als Wasser­Luft­Grenze bezeichnen, ein verschmutztes Flussgewässer hat eine Grenze zwischen sauberem Wasser und Schadstoffen. Solche bewegten Grenzflächen nachzu­zeichnen ist wichtig, aber sehr schwierig, weil es sehr kom­plexe dynamische Phänomene sind.

Sind Ihre Methoden ein Universalwerkzeug für die Beschrei-bung dynamischer Grenzen?

Der größte Teil meiner Arbeit dreht sich darum, ma­thematische Modelle und numerischen Methoden zu entwickeln, mit denen sich solche Phänomene beschreiben lassen. Dahinter steht letztlich das Ziel, akkurate und effiziente Algorithmen zu entwerfen, die auch auf ausgesprochen komplexe Grenzflä­chendynamiken noch anwendbar sind. Denn in der Wirklichkeit kommen auch Grenzflächen vor, die auseinanderbrechen und mit anderen Grenzflächen verschmelzen. Im dreidimensiona­len Raum wird das Problem dann noch komplexer. Um solche wirklich anspruchsvollen Probleme zu lösen, haben wir einen auf der „impliziten Funktion“ beruhenden Lösungsansatz entwi­ckelt, der die Bewegung dynamischer Grenzflächen beschreibt.

Diese Methoden finden auf vielen Gebieten Anwen­dung, etwa bei Verbrennungsprozessen in Motoren, in der Halbleiterfertigung, bei der Entwicklung neuer Materialien mit Industrieschaum bis hin zur Bildverarbeitung für die Früh­ erkennung von Krankheiten.

Was ist das Neue an diesen mathematischen Modellen? Unsere Methoden sind besonders geeignet, um sol­

che komplexen Probleme im dreidimensionalen Raum zu lösen. Im Wesentlichen beruhen sie darauf, dass wir ver­schiedene Gebiete der Mathematik, die analytische Mathe­matik, Differentialgleichungen und die Differentialgeometrie, sowie Algorithmen aus der Informatik miteinander kombinie­ren. Das ist das Schöne an der angewandten Mathematik: Ihr stehen viele verschiedene Gebiete zur Verfügung, um daraus genau die passenden Werkzeuge für die Lösung von prakti­schen Problemen zu basteln. Dann wiederum gibt es Werk­zeuge, sie sich nur basteln lassen, wenn man neue mathe­matische Wege beschreitet und neue Computer­Algorithmen entwickelt. Diese Mischung aus Alt und Neu ist es, was die computerbasierte angewandte Mathematik zu dem macht, was sie ist: spannend, einflussreich und ein Vergnügen!

J A M E S A . S E T H I A NE I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

J A M E S A . S E T H I A N entwickelt mathematische Methoden, um physikalische Phänomene am Computer zu modellieren. Der Mathematiker forscht an der University of California, Berkeley.

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)2 0 1 1 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow an der Berlin Mathematical School

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Mitglied der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften, seit 2008 Mitglied in der US National Academy of Engineering

2 0 1 1

SIAM­Pioneer­Preis der Society for Industrial and Applied Mathematics, 2004 Norbert­Wiener­Preis

S E I T 1 9 9 6

Professor und Fachbereichsleiter Mathematik an der University of California, Berkeley

Page 69: Porträtbroschüre Einblicke

L I B A T A U B E I N S T E I N V I S I T I N G F E L L O W

»Wie dachten antike Wissenschaftler?«

Page 70: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Können wir von Wissenschaftlern aus der Vergangenheit etwas lernen?

In unserer Zeit hat die Wissenschaft enorme Macht. Selbst wenn man ein Shampoo verkaufen will, beruft man sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Doch haben sie immer schon mehr gegolten als andere Wissensformen? Die Antwort darauf lautet vermutlich nein. Für Newton, Ptolemäus oder Aristoteles stand noch fest, dass es verschiedene Formen der Erkenntnis gab und diese miteinander verwoben sind.

Der Blick in die Wissenschaftsgeschichte bietet uns die Gelegenheit, unsere heutige Kultur und Gesellschaft ein wenig besser zu verstehen. Er lässt uns zweifeln an Aussagen wie: „Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass ...“. Ptolemäus hielt die Erde noch für den Mittelpunkt des Universums. Heu­te erscheint uns allein der Gedanke, es könne im Universum einen Mittelpunkt geben, geradezu abwegig. Das Studium der Wissenschaftsgeschichte erinnert uns daran, dass Wissen veränderlich ist.

Womit genau befassen Sie sich in Ihrer Forschung gerade?In den letzten Jahren habe ich mich vor allem mit den

verschiedenen Gattungen befasst, in denen wissenschaftlicher Austausch stattfand. Wissenschaftliche Ideen wurden etwa in Gedichte gefasst oder in Listen aufgezeichnet. In der „Antho­logia Graeca“ sind 40 kurze Gedichte über mathematische Pro­bleme enthalten, die vermutlich auf Gastmählern vorgetragen wurden, bei denen Männer zum intellektuellen Wettstreit zu­

sammenkamen. Ich untersuche aber auch Gegenstände der al­tertümlichen Forschung. Im Neuen Museum in Berlin steht das Fragment eines astronomischen Globus, dessen wissenschaft­licher Zweck vermutlich darin bestand, ein astronomisches Lehrgedicht des Aratos nachzustellen. Interessant an diesem Globus ist aber schon seine schiere Existenz. Sie ist der Beweis dafür, dass das Wissen über die Erde als Kugel viel älter ist, als wir gemeinhin denken.

Versuchen Sie sich in die Denker der Antike hineinzuver-setzen?

Das ist leider unmöglich. Dennoch stellt sich manchmal das beglückende Gefühl ein, etwas verstanden zu haben, was für den Verfasser zentral war. So ist es mir etwa ergangen, als ich mich eingehend mit der schwierigen Einlei­tung des „Almagest“ von Ptolemäus befasst habe, die in der Forschung meist beiläufig übergangen wird. Für Ptolemäus selbst war sie meiner Ansicht nach aber alles andere als nebensächlich. Ich hatte das Gefühl, ihm dadurch sehr nahe zu sein. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass Ptolemäus, träte er zur Tür herein, aller Wahrscheinlichkeit nach einwenden würde: „Moment mal, das siehst du alles komplett falsch!“ Diesen Gedanken behalte ich immer im Hinterkopf.

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L I B A T A U B forscht zu wissenschaftlichen Diskursen und Instrumenten der Antike. Sie ist Professorin für Wissenschaftsgeschichte und ­philosophie an der University of Cambridge, UK, und Leiterin des Whipple Museum of the History of Science in Cambridge, UK.

2 0 1 0 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow der Freien Universität Berlin am Exzellenzcluster Topoi (The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations)

2 0 0 7

Visiting Scholar an der Oregon State University

2 0 0 6

Visiting Scholar am Kármán Center for Advanced Studies in the Humanities an der Universität Bern

S E I T 1 9 9 5

Professorin für Wissenschaftsgeschichte und ­philosophie und Kuratorin/Direktorin des Whipple Museum of the History of Science an der University of Cambridge

Page 71: Porträtbroschüre Einblicke

»Warum sieht unsere Umwelt so aus,

wie sie aussieht?« A N D R E A S T H I E L E I N S T E I N J U N I O R F E L L O W

Page 72: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Sind die EU-Umweltgesetze wirklich die bürokratischen Ungetüme, für die viele sie halten?

Aus meiner Sicht nicht, es sind vielmehr Innovati­onstreiber, sie verändern die Verwaltungspraxis und führen häufig zu einer Verbesserung im Umweltmanagement. Die Bürokraten vor Ort überlegen sehr genau, wie sie die euro­päischen Regularien im Sinne einer guten Verwaltungspraxis nutzen können. Es gerät sehr viel in Bewegung und es findet ein intensiver Gedankenaustausch statt – man begibt sich sozusagen auf eine Entdeckungsfahrt zu einem besseren Umweltmanagement. Für mich wäre eine passende Meta­pher der Schattenwurf in der Abendsonne: Auf EU­Ebene sind die Direktiven sehr schlanke Objekte, aber in den Mit­gliedsländern werfen sie unglaublich große Schatten. Dort haben sie eine einschneidende Wirkung, sind aber auch sehr verwaltungsintensiv.

Was genau interessiert Sie an EU-Gesetzen und ihrer Umsetzung?

In meinem Projekt als Einstein Junior Fellow geht es um die Veränderung der Steuerung von Frischwasser­ und Meeresnutzung aufgrund von EU­Regularien in den Mitglieds­ländern der EU. Ich möchte verstehen, wie die Länder diese Regularien umsetzen und welche Faktoren dazu führen, dass sie zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen – etwa Verwaltungspraktiken, politische und kulturelle Kontexte, unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten oder die Charakte­

ristiken spezifischer Naturräume. Das Neue an meiner He­rangehensweise ist die Zusammenführung von Erklärungs­ansätzen aus Institutionenökonomie, Politikwissenschaft und Geografie sowie der Einsatz von Methoden, die hierfür noch nicht angewandt wurden, etwa soziale Netzwerkanalyse zur Untersuchung von Akteurskonstellationen. Natürlich bin ich auch auf intensive Gespräche angewiesen, um zum Beispiel zu verstehen, wie ein Bürokrat in Brandenburg ein europäi­sches Gesetz begreift und auf die Havel anwendet.

Wollen Sie mit Ihrer Forschung zu einem besseren Umgang mit natürlichen Ressourcen beitragen?

Mir geht es darum, die besten Koordinationsme­chanismen zu suchen, um Umwelt möglichst gut nutzen und schützen zu können. Wir haben bei Weitem nicht die passen­den Instrumente, um den Umgang mit Umwelt so zu steuern, dass sie auch langfristig lebenswert bleibt. Es braucht neue interdisziplinäre Ansätze, um genaueres Wissen zu generie­ren und neue Ideen auszuprobieren. Ich hoffe mit meiner For­schung mittelfristig dazu beizutragen, dass Bürokraten pass­genauere Regulierungen für unterschiedliche Naturräume erarbeiten und die Werkzeuge des Umweltmanagements ausdifferenziert werden. Wir dürfen nicht für jedes Problem den gleichen Hammer nutzen.

S E I T 2 0 1 2

Einstein Junior Fellow am Institut für Agrarökonomie der Humboldt­Uni­versität zu Berlin

S E I T 2 0 1 2

Gastprofessor für Umweltgovernance an der Humboldt­Universität zu Berlin

2 0 0 7

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institute for Prospective Technological Studies (Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission), Sevilla

1 9 9 9 — 2 0 0 5

Studium und Promotion an der Technischen Universität Berlin und der Oxford Brookes University

A N D R E A S T H I E L forscht zu gesellschaftlichen Mechanismen im Umgang mit natürlichen Ressourcen, derzeit vor allem in Bezug auf EU­Gesetzgebung. Er ist Gastprofessor für Umweltgovernance am Institut für Agrarökonomie der Humboldt­Universität zu Berlin.

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»Ich stelle Gewissheiten in Frage«

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Page 74: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Was ich an meiner Forschung schön finde, ist, dass ich für meine Fragestellungen auf die Arbeit mit Original­quellen angewiesen bin, die nicht in modernen Ausgaben vor­liegen. Es ist natürlich eine Erleichterung, dass mittlerweile viele alte Drucke digital zugänglich sind. Aber manche Ent­deckungen macht man eben nur, wenn man ein Buch in die Hand nimmt: Manchmal sind Drucke zusammengebunden, und man stößt durch Zufall auf etwas, das plötzlich ein ganz neues Licht auf eine Fragestellung wirft. Das sind Glücks­momente der historischen Forschung. Besonders berührt es mich, wenn ich handschriftliche Randnotizen finde – ein Echo von Lesern, die vor Hunderten von Jahren den gleichen Band in der Hand hatten.

In meinem aktuellen Forschungsprojekt widme ich mich der Vorgeschichte des Begriffs der Unparteilichkeit. Mich reizt an diesem Thema, dass es für uns heute ein so selbst­verständlicher Begriff ist, der zentral ist für unser Selbst­verständnis als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Mit meiner Forschung kann ich jedoch zeigen, dass Unpartei­lichkeit sich erst im 17. Jahrhundert als wissenschaftliches Ideal durchgesetzt hat. Davor ist die Wissenschaft seit der Antike ohne den Begriff ausgekommen. Und ich kann zeigen, dass Unparteilichkeit nicht allein mit der empirischen For­schung aufkam, wie oft angenommen, sondern in vielen Be­reichen gleichzeitig und unabhängig davon Karriere macht – etwa in theologischen Kontroversen, im Rezensionswesen oder in der Ästhetik.

Mit meiner Forschung möchte ich bewusst machen, dass manche unserer vermeintlich universellen Werte noch relativ jung sind. Ich stelle diese Gewissheiten in Frage, in­dem ich ihre Geschichte untersuche. Das kann sehr erhel­lend sein. Eine immer noch weitverbreitete Grundannahme der europäischen Kulturgeschichte ist ja zum Beispiel, dass mit der Renaissance ein neuer Tag in der Geschichte der Menschheit anbricht und das dunkle Mittelalter überwunden ist. Doch wenn man die Quellen genauer untersucht, erkennt man, dass viele Wissenspraktiken der mittelalterlichen Uni­versität in der Renaissance weiter präsent sind. Sie prägen sogar humanistische Schriften, die eigentlich als Gegenstück zu denen der spitzfindigen Scholastiker gelten. Der Bruch war also keineswegs so radikal, wie er dargestellt wird.

Ich empfinde es als großes Privileg, dass ich The­men zum Gegenstand meiner Forschung machen kann, die mich selbst brennend interessieren. Natürlich gibt es im Uni­versitätsalltag auch Zwänge, aber zentrale Bereiche meiner Tätigkeit sind selbstbestimmt. Diese Freiheit in der akade­mischen Forschung weiß ich sehr zu schätzen.

S E I T 2 0 1 2

Einstein Junior Fellow am Institut für Romanische Philologie der Freien Universität Berlin

2 0 0 9 — 2 0 1 2

Wissenschaftliche Koordinatorin der Vorbereitungsphase des SFB „Episteme in Bewegung“

2 0 1 0

Habilitation an der Freien Universität Berlin

2 0 0 1 — 2 0 0 4

Managing Director des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen, Wien

A N I T A T R A N I N G E R erforscht die Vorgeschichte des Begriffs der Unparteilichkeit und anderer Gewissheiten. Die Literaturwissenschaftlerin lehrt am Institut für Roman­ische Philologie der Freien Universität Berlin.

A N I TA T R A N I N G E RE I N S T E I N J U N I O R F E L L O W

»Die Freiheit der Forschung empfinde ich als großes Privileg«

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»Ohne Modelle wären wir verloren«

Page 76: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Das Gehirn ist ein Denkorgan – und es besteht aus vielen einzelnen Zellen. Wie das Gehirn als Ganzes funktio­niert, können wir im Moment noch nicht erfassen. Aber wir beginnen zu verstehen, wie die einzelnen Zellen miteinander interagieren, und irgendwann wird uns das auch helfen zu verstehen, wie Bewusstsein zustande kommt.

Ich entwickle Computermodelle von einzelnen Ge­hirnzellen und von neuronalen Netzen, um zu untersuchen, wie die Zellen über die Synapsen oder auch auf anderen We­gen Botschaften untereinander austauschen. Diese Modelle bringe ich dann in Verbindung mit Experimenten an In­vitro­ Gehirnschnitten und mit Messungen bei Menschen.

Für so ein Modell einer Gehirnzelle lege ich die Eigenschaften der Zellmembran experimentell fest, die in gewisser Weise Tiefsee­Datenkommunikationskabeln gleicht und mit derselben partiellen Differentialgleichung beschrie­ben werden kann. Ich definiere die Eigenschaften der Prote­ ine in dieser Membran, deren Verhalten sich nach der Stärke des lokalen elektrischen Felds richtet, betrachte die Wech­selwirkung zwischen elektrischen und chemischen Signalen – und führe all diese Informationen schließlich zusammen. Dafür sind riesige Datenspeicher und viele Jahre Arbeit erforderlich. Für das Modell, mit dem ich am meisten arbeite, habe ich fünf Jahre Entwicklungszeit gebraucht, es besteht aus mehr als 35.000 Codezeilen mit einigen Tausend Zellen.

Im Moment liefern meine Modelle vor allem wich­tige Ergebnisse für die Erforschung der Epilepsie. Unsere

Forschung hier an der Charité in Berlin hat gezeigt, dass sich die elektrischen Aktivitätsmuster im Gehirn während eines epileptischen Anfalls experimentell nachbilden und detail­liert verstehen lassen. Dabei legen wir ein mit Kollegen ent­wickeltes Modell zugrunde, das die „spitze Wellen“ genannten elektrischen Entladungen während eines Anfalls auf die „gap junctions“ zwischen den wichtigsten Zellen zurückführt. Soll­te sich dieses Modell als richtig erweisen, wäre der Nachweis gelungen, dass Gehirnaktivitäten auch auf anderen Wegen als nur über Synapsen zustande kommen. Möglicherweise lassen sich epileptische Anfälle sogar über die Regulation der Gap­Junction­Kommunikation unterbinden.

Aufgrund der ungeheuren Komplexität des Gehirns sind wir in der Forschung auf mathematische Modelle mit vielen verschiedenen Gleichungen und Simulationen ange­wiesen. Ohne solche Modelle wären wir verloren. Das ist wie bei der Wettervorhersage – allein der Versuch wäre ohne ma­thematische Modelle aussichtslos.

2 0 1 0 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow am Exzellenz­cluster NeuroCure an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

2 0 0 7

Humboldt­Forschungspreis der Alexander von Humboldt­Stiftung

2 0 0 1 — 2 0 0 8

Professor für Physiologie, Pharma­ kologie und Neurologie, State University of New York

1 9 6 7 — 1 9 7 2

Studium der Mathematik und Medizin am Massachusetts Institute of Technology und den Universitäten Pennsylvania und Princeton

R O G E R D . T R A U B entwickelt Computermodelle, mit denen er neuronale Netzwerke simulieren kann, um Krankheiten wie Epilepsie besser zu verstehen. Der Neurowissen­schaftler arbeitet am IBM T. J. Watson Research Center in New York.

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»Die Gehirnforschung ist auf mathematische Modelle angewiesen«

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»Es gibt vielleicht 30 Leute weltweit, die im Detail verstehen, was ich tue«

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Page 78: Porträtbroschüre Einblicke

K U R Z V I T A

Mathematikern geht es oft darum, eine emotionale Welt aus der Kindheit in der Mathematik wiederzufinden. Bei mir sind das Emotionen, die geweckt wurden, als ich mit mei­nem Bruder und meinem Vater abends im Garten die Sterne angeschaut habe. Damals fand ich faszinierend, dass es von der Betrachtungsebene abhängt, ob Sterne klein oder groß sind, und dass alles, was man sieht, vor sehr langer Zeit ge­schehen ist. Das hat bei mir einen Rausch ausgelöst, solche Fragen intellektuell zu beherrschen. Ich denke, das ist bis heute eine Hauptmotivation für meine Arbeit.

Eine Sache, die mich interessiert, ist die Beziehung zwischen Zufall und Kontinuum. Intuitiv verstehen wir, dass Zeit und Raum ein Kontinuum bilden. Grob gesagt erforsche ich, wie Zufall in „einem Kontinuum von Zufall“ zerstreut und wieder aufgesammelt werden kann. Diese Frage stellt sich zum Beispiel bei Phasenübergängen in der Physik. Wenn ein Wasserglas null Grad hat, kann darin Wasser oder Eis sein. Doch wie genau entscheidet sich der Zustand „Wasser“ oder „Eis“ an den verschiedenen Stellen? Welche mikroskopische Entscheide lösen die makroskopischen Entscheide aus?

Ich kann meine Forschungsthemen auf diese Weise grob schildern, aber im Grunde ist das Demagogie. Es gibt vielleicht 30 Leute weltweit, die wirklich im Detail verstehen, was ich gerade tue. Ich empfinde das als eher angenehm, unter anderem weil viele dieser Kollegen tolle Menschen sind. Die Welt von Mathematikern ist menschlich sehr reich. Gleichzeitig ist es eine besonders abstrakte Welt, in die man sich zurückziehen und in der man sich sicher fühlen kann.

Als Wahrscheinlichkeitstheoretiker werden mir oft pseudophilosophische Fragen gestellt – existiert Zufall? Was bedeutet Zufall? Ist unsere Welt deterministisch vorge­prägt? Aber eine der schönen Sachen ist, dass man solche Fragen in der Mathematik nicht beantworten muss und nicht einmal beantworten sollte. Man arbeitet ohnehin innerhalb der abstrakten mathematischen Welt. Genauso, wie man nicht zu wissen braucht, ob bestimmte Geometrien in der realen Welt existieren, wenn man mit ihnen arbeitet. In der abstrakten mathematischen Welt kann man ja zum Beispiel auch Eigenschaften von siebendimensionalen Räumen be­weisen, selbst wenn wir solche Räume ja nie mit unseren Augen sehen können.

Ich denke eher nicht, dass meine Forschung in 20 oder 50 Jahren direkte Anwendungen im Alltag haben wird. Das ist auch gar nicht mein Ziel. Wie die meisten reinen Mathematiker ziehe ich meine Motivation eher daraus, eine schöne mathematische Struktur oder Theorie mit schönen Beweisen zu bilden.

2 0 1 1 — 2 0 1 4

Einstein Visiting Fellow an der Berlin Mathematical School

1 9 9 7 — 2 0 1 3

Professur an der Université Paris­Sud, seit 2013 Mathematik­Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich

2 0 0 8

Aufnahme in die Französische Akademie der Wissenschaften

2 0 0 6

Verleihung der Fields­Medaille

W E N D E L I N W E R N E R forscht auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie, insbeson­ dere zu selbstvermeidenden Irrfahrten und der Brownschen Bewegung. Er ist Mathematik­Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.

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»Die Welt von Mathematikern ist menschlich sehr reich«

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