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Wendungen eines Forscherinnenlebens 10 Computer für Schulkinder in Schwellenländern 12 Ideen für kleineren ökologischen Fussabdruck 15 Die Kunden- und Publikumszeitschrift der Empa Jahrgang 6 / Nummer 23 / Oktober 2008 Empa News Zurück an den Himmel: Neustart eines Pionierflugzeugs 04

EmpaNews Oktober 2008

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Magazin für Forschung, Innovation und Technologietransfer - Jahrgang 6, Nummer 23

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Page 1: EmpaNews Oktober 2008

Wendungen einesForscherinnenlebens 10

Computer für Schulkinderin Schwellenländern 12

Ideen für kleinerenökologischen Fussabdruck 15

Die Kunden- und Publikumszeitschrift der EmpaJahrgang 6 / Nummer 23 / Oktober 2008

EmpaNews

Zurück an den Himmel:Neustart eines Pionierflugzeugs 04

Page 2: EmpaNews Oktober 2008

02 // Editorial

Zurück an den HimmelNeustart eines historischenPionierflugzeugs 04

… et respice finem!

Neues ist zwar häufig besser. Doch in erster Linie ist es –nun ja, neu. Und unbekannt. Deshalb wirft es Fragen auf.Dies gilt auch für innovative Technologien wie die Nano-

technologie. Einerseits verspricht die atomare und molekulareMaterialwissenschaft unzählige neuartige Werkstoffe mit massge-

schneiderten Eigenschaften, die unseren Alltag erleich-tern dürften. Andererseits wecken vor allem freie Nanop-artikel Befürchtungen. Welchen Einfluss haben die Winz-linge auf Gesundheit und Umwelt?

Diese Fragen müssen schnellstmöglich diskutiert undgeklärt werden – interdisziplinär und unter Einbindung al-ler beteiligten Akteure. Denn nur wenn Nano-Sicherheits-forschung ernst genommen wird, kann die Nanotechno-logie ihr immenses Potenzial entfalten. Dem verantwor-tungsvollen Umgang mit Technologien hat sich auch die

Empa verschrieben, unter anderem durch die Organisation der«Nanotox 2008», der bislang grössten internationalen Konferenzzu diesem Thema, die vor kurzem in Zürich stattfand (S. 24).

Um die Auswirkungen unseres Handelns geht es auch im ak-tuellen Fokus-Thema Ökobilanzen (ab S. 12). Ob wir ein neues«Gadget» kaufen, Biosprit tanken oder zu einem Geschäftstreffenreisen – stets hinterlassen wir einen ökologischen Fussabdruck,belasten also die Umwelt. Mal mehr, mal weniger. Genau hier set-zen die Lebenszyklusanalysen der Empa-ForscherInnen an; siezeigen auf, wie und wo wir Energie und Resourcen schonen kön-nen. Die alten Römer hätten gesagt «Quidquid agis, prudenter agaset respice finem!» Dieser Satz gilt bis heute: Was immer Du tust,handle weise und bedenke das Ende.

Aber auch sonst bietet die neuste Ausgabe der EmpaNewswieder viel Spannendes aus Wissenschaft und Technik, etwa eineZeitreise zu den Anfängen der Fliegerei – oder gar in die Bronze-zeit. Oder in die Zukunft der Materialwissenschaften, in der neueWerkstoffe am Computer «designt» werden. Viel Spass!

Michael HagmannLeiter Kommunikation

Impressum

HerausgeberinEmpaÜberlandstrasse 129CH-8600 Dübendorfwww.empa.ch

Redaktion & GestaltungAbteilung Kommunikation

KontaktTelefon +41 44 823 45 98Telefax +41 44 823 40 [email protected]

Erscheint viermal jährlich

ISSN 1661-173X

Page 3: EmpaNews Oktober 2008

Inhalt // 03

Hin und zurück ohne ReiseIdeen für kleinerenökologischen Fussabdruck 15

Zurück ins LaborWendungen einesForscherinnenlebens 10

Zurück auf die WerkbankComputer für Schulkinderin Schwellenländern 12

Titelbild

Diesen Flug-Oldtimer aus demVerkehrshaus der Schweizwollen Forscher wiederbeleben:Hundert Jahre nach demhistorischen Rekordflug soll die«Dufaux IV» wieder abheben,als originalgetreuer Nachbau.

Forschung und Entwicklung

04 Rückflug in die Belle Epoque

Forschung und Entwicklung

09 «Intelligente» Materialien aus dem Computer

Forschung und Entwicklung

10 Die auf Bakterien baut

Fokus: Ökobilanzen

12 Nachhaltig über den digitalen Graben

15 Dabei sein ist nicht alles

Plastiktaschen: besser als ihr Ruf

16 «Wir müssen das Vorleben eines Produkts berücksichtigen»

18 Die Wunder-Nuss für den Tank?

20 Nächster Schritt Algen-Sprit?

Dienstleistung

21 Bessere Strassen braucht das Land

Wissens- und Technologietransfer

24 Nano-Gefahren im Brennpunkt

Wissens- und Technologietransfer

25 «Nano» zum Anfassen

Wissens- und Technologietransfer

26 KMU erhalten Unterstützung durch die Wissenschaft

Wissenschaft im Dialog

26 Einblicke ins Leben der Bronzezeit

Wissenschaft im Dialog

27 Grosser Andrang bei Zürcher «Nacht der Forschung»

28 Veranstaltungen

Page 4: EmpaNews Oktober 2008

04 // Forschung und Entwicklung

Rückflug in die Belle Epoque

Der Traum vom Fliegen lebt. Genau Hundert Jahre nach ihrem Rekordflugsoll das Flugzeug der Schweizer Luftfahrtpioniere Armand und Henri Dufauxnoch einmal abheben. Die Wissenschaft ist gefordert, um den Nachbau deshistorischen Doppeldeckers sicher zu machen.

TEXT: Ivo Marusczyk

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Page 5: EmpaNews Oktober 2008

Forschung und Entwicklung // 05

Genervt quetschen wir uns in eng be-stuhlte, stickige Metallröhren. ImMinutentakt schrauben sich Jets in

den Himmel. Dort oben herrscht Stau, dieWarteschlangen werden immer länger,Flüge verspäten sich, die Stimmung anBord ist gereizt. Fliegen ist lästig gewor-den.

Kaum zu glauben, dass es Zeiten gab,als Fliegen noch ein fantastischer Mensch-heitstraum war. Eine Mutprobe mit unge-wissem Ausgang für furchtlose Tüftler.Und kaum zu glauben, dass diese Zeit nureinen Wimpernschlag der Geschichte hin-ter uns liegt. Vor nicht einmal hundert Jah-ren setzten sich tollkühne Männer in flie-gende Kisten, um den Himmel zu erobern.

Im Verkehrshaus Luzern erzählt dasdrittälteste erhaltene Flugzeug der Luft-fahrtgeschichte noch heute von dieser Fas-zination. Ein Kunstwerk aus Holz und Se-gelplanen, elegant, grazil und feingliedrigwie eine über dem Wasser schwebende Li-belle. 8 Meter 50 beträgt die Spannweiteder «Dufaux IV», mit der Armand Dufauxim August 1910 der Länge nach über denGenfer See flog. Ein neuer Rekord: Zwarhatte der Franzose Louis Blériot schon einJahr zuvor den Ärmelkanal überquert,doch der Flug über den Genfer See war mit80 Kilometern doppelt so weit. Damit warbewiesen: Flugmaschinen können vielmehr, als nur ein paar Dutzend Meter zugleiten. Auch längere Streckenflüge sindmöglich. Der Kampf gegen die Schwerkraftwar gewonnen, der Himmel gehörte nichtmehr den Vögeln allein. Und die Schweizwar stolz auf Armand und Henri Dufaux,ihre Flugpioniere.

Ein neuer DoppeldeckerHeute will Anibal Jaimes diese Begeiste-rung für die Fliegerei wieder zum Lebenerwecken: Die «Dufaux IV» soll wieder flie-gen. Am 28. August 2010, genau hundertJahre nach dem Rekordflug, soll der Dop-peldecker noch einmal in den Himmel überdem Genfer See aufsteigen. Das Originalhat allerdings schon heftig unter dem Zahnder Zeit gelitten, es verbleibt in den siche-ren Hallen des Verkehrshauses. Stattdes-sen wollen Jaimes und sein flughistori-scher Verein «hepta» (histoire et pionniersde la technologie aéronautique) einen ori-ginalgetreuen Nachbau in die Luft zu brin-gen, die «Faux Dufaux», also die «falscheDufaux».

Ein ehrgeiziges Projekt, für das Jaimesauf die Unterstützung der Wissenschaft an-gewiesen ist. Viele Hochschulen und For-schungsinstitute, vor allem aus der West-schweiz, beteiligen sich an der detektivi-

schen Suche nach den Geheimnissen derechten Dufaux. Denn auch wenn das Flug-gerät gut erhalten ist – was die GebrüderDufaux seinerzeit in ihrer Werkstatt ausge-tüftelt haben, ist heute nur mit grossemAufwand zu rekonstruieren. Welche Mate-rialien wurden verwendet? Sind sie stabilgenug, um den Belastungen standzuhal-ten? Und ist der Flieger, der heute im Ver-kehrshaus hängt, so erhalten, wie die Ge-brüder Dufaux ihn zusammenbastelten?Oder haben Beschlagnahme durch das Mi-litär, die darauf folgende Umlackierung,Restaurierungen und die lange Zeit im Mu-seum doch einiges verändert?

Wie sicher ist das Fluggerät?Empa-Fachleute um Marianne Senn, dieSpezialistin für Kulturgüteranalytik, undMarkus Zgraggen, Metallograph in der Ab-teilung «Korrosion und Werkstoffintegri-tät», sollen dabei untersuchen, was dasFlugzeug zusammenhält: Aluminiumbe-schläge, Bleche und Stahlseile verbindendas Holzgerüst des Doppeldeckers zu ei-nem Fluggerät. Welchen Belastungen siestandhalten können, ist schwierig zu be-rechnen – allerdings hängt die Sicherheitder neuen Dufaux davon ab. Und damitauch die Frage, ob das Bundesamt für Zi-villuftfahrt den Jubiläumsflug überhauptgenehmigt. Der Nachbau soll dem Originalmöglichst nahe kommen, muss aber zu-gleich heutige Sicherheitsbestimmungenerfüllen.

«Wir haben zunächst versucht, die Me-talllegierungen direkt am Flugzeug zu be-stimmen. Aber durch Farbe, Schmutz undKorrosionsschichten ergaben sich völlignutzlose Werte bei diesen Messungen,» er-zählt Senn von den Schwierigkeiten.

Schliesslich musste der historischeFlieger doch Federn lassen. Die Forscherdurften die Metallsägen ansetzen, um win-zige Materialproben zu entnehmen. Natür-lich nur an versteckten Stellen, die kein Be-sucher je zu sehen bekommt. WinzigeDrahtfasern und Metallspäne wurden inden Labors der Empa untersucht. Für diemeisten Stellen kann Zgraggen die Flug-zeug-Konstrukteure beruhigen. Die Metall-verbindungen sind stabil genug ausgelegt.

Schwachstelle am FahrwerkDoch es gibt auch Ausnahmen: Eine Stahl-klammer, die das Rad mit den Streben desFahrgestells der «Dufaux IV» verbindet, istgebrochen. Das Ergebnis einer Bruchlan-dung? War das Fahrgestell gar zu schwachdimensioniert? Oder hat das historischeFluggerät gar erst in seiner Zeit als Muse-umsstück Schaden genommen?

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1Der Doppeldecker, mitdem die Dufaux-Brüder1910 einen Weltrekordaufstellten, ist heuteim Verkehrshausin Luzern ausgestellt.(Foto: Verkehrshausder Schweiz)

2Empa-SpezialistinMarianne Senn (rechts)und Ludovic Rumo,Diplomand ander Haute Ecole Arcmussten die Metall-verbindungen desFluggeräts analysieren,um den Nachbauzu ermöglichen.(Foto: hepta.aero)

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06 // Forschung und Entwicklung

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Zgraggen konnte das nach einem Blickdurch das Mikroskop beantworten. «Die ty-pischen Linien, die bei einem Ermüdungs-bruch entstehen, waren deutlich zu erken-nen. Wir nennen sie Rastlinien», sagt derMetall-Fachmann. Materialermüdung also,hier ist Gefahr im Verzug. Den holprigenLandungen auf Äckern und Wiesen warendie Motorrad-Bauteile, die die Dufaux-Brü-der verwendeten, auf Dauer nicht gewach-sen. Für die Erbauer der neuen «Dufaux»ein wichtiger Hinweis: An dieser Stellemüssen sie eine stabilere Konstruktion ausVergütungsstahl verwenden, um die Si-cherheit des Doppeldecker-Nachbaus zugarantieren.

High-Tech der PionierzeitAbgesehen von dieser Schwachstelle flösstdas historische Flugzeug dem Metall-Ex-perten Respekt ein. «Für die damalige Zeit,war das High-Tech,» sagt er. «Aluminiumwar ein ganz neuer Werkstoff. Die Erbauerhaben von allem, was es gab, das Beste ge-nommen und zu einem neuen Ganzen zu-sammengefügt. Man sieht, dass das Gerät

bis ins kleinste Detail durch-dacht war.» Das Chassis desFlugzeugs ohne Motor undFlügel wiegt gerade einmal16 Kilogramm.

Daher hat Zgraggen auchkeine Bedenken, was die Si-cherheit des Nachbaus be-trifft. Zumal die Konstrukteu-re auf moderne Legierungenzurückgreifen können, diestabiler sind als das Alumini-um, das damals zur Verfü-gung stand. Er würde sich so-

fort in den Doppeldecker setzen, sagt er.Und zögert dabei nur den Bruchteil einer Se-kunde.

Der Einsatz moderner Werkstoffebringt Sicherheitsreserven. So soll der Mo-tor deutlich mehr Leistung bringen, ohneschwerer zu sein. Ein paar Reserven müs-sen allerdings auch sein. Schliesslich wirddie Strecke, die die «Faux Dufaux» zurück-legt, etwas länger sein als beim Flug ihresVorbilds vor hundert Jahren. Armand Du-faux flog damals auf kürzestem Weg vonNoville nach La Gabiule, das heisst, er hieltsich nahe am Südufer, der französischenSeite des Genfer Sees. Beim Jubiläumsflugwird der Pilot einen grösseren Bogen flie-gen und sich am Nordufer in Sichtweite derWaadtländer Riviera halten. Die Initiatorenwollen so unterstreichen, dass der Flug einSchweizer Projekt ist.

Chirurgisches Feingefühl am OldtimerAuch an anderer Stelle war die Unterstüt-zung der Empa gefragt. Die Forschermussten dabei mit chirurgischem Feinge-fühl vorgehen. Um Materialproben vomStoff der Flügel zu entnehmen, benutz-ten sie ein Endoskop. Wie ein Arzt, derminimal-invasiv im Körper operiert,konnten sie so an unsichtbarer, vonaussen unzugänglicher Stelle ein paarFasern aus der Bespannung schneiden.«Solche Untersuchungen mit chirurgi-schen Instrumenten sind unsere Spe-zialität», sagt Zgraggen. So konnte erder «Dufaux IV» gleich noch ein paarGeheimnisse mehr entreissen. Die En-doskop-Aufnahmen zeigten deutlichkleine Metallplatten unter der Stoff-beplankung an den Flügelspitzen.Aus Form und Abnutzung lässt sichschliessen, dass sie früher über dem Stofflagen und vermutlich das Tuch hielten. Einwichtiges Detail, das bei irgendeiner Res-taurierung falsch wieder eingebaut wurde.

Seit 2005 Jahre tüfteln, messen, rech-nen und entwerfen Forscher an der «fal-schen Dufaux». Wie viele Arbeitsstundenim historischen Nachbau stecken, könnendie Beteiligten längst nicht mehr beziffern.Doch bei dem Projekt geht es nicht nur umdie Liebhaberei einiger Nostalgiker. «Unse-re Diplomanden und Nachwuchsforscherkönnen dabei unheimlich viel über dieGrundlagen ihres jeweiligen Fachgebietslernen», sagt Senn.

Die Zeit läuft. Am 28. August 2010 sollder zartgliedrige Doppeldecker wieder inden Himmel über dem Genfer See aufstei-gen. Und tausende Zuschauer daran erin-nern, dass noch vor wenigen Jahrzehntenabenteuerlustige Tüftler und Visionäre da-für gesorgt haben, den Traum vom Fliegenwahrzumachen. Vielleicht bleibt ein wenigvon dieser Begeisterung erhalten. Und zau-bert ein kleines Lächeln auf ihre Lippen,wenn sie sich das nächste Mal in eine flie-gende Metallröhre zwängen, einen Ururen-kel der stolzen «Dufaux IV».

1Alle Metallteile des Flugzeugs,von Beschlägen über Drahtseilebis hin zur kleinsten Schraube,wurden genau erfasst und aufihre Stabilität untersucht.

2Schwachstelle: Diese Stahl-klammer am Fahrwerk desDoppeldeckers muss beimNachbau durch eine stabilereKonstruktion ersetzt werden.

3Marianne Senn und Empa-Metall-Fachmann Markus Zgraggenmussten bei der Untersuchungdes Flug-Oldtimers vielFingerspitzengefühl beweisen.(Fotos: hepta.aero)

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Forschung und Entwicklung // 07

LausanneSchweiz

Genfer See

Frankreich

Genf

Im Morgengrauen des 28. August 1910 heult ein zweckentfrem-deter Töff-Motor am Ostufer des Genfer Sees auf: Armand Dufauxstartet zu seinem Rekordversuch. Beinahe endet der Start in einermorastigen Sumpfwiese bei Noville im Waadtland, gerade nochrechtzeitig kann der Pilot seinen Doppeldecker hochziehen.

Ein waghalsiges Unterfangen. Es soll die längste Streckewerden, die ein Flugzeug bislang zurückgelegt hat. Vergleich-bare Maschinen waren bis zu diesem Zeitpunkt höchstens 20Minuten in der Luft. Für den Flug über den See wird Dufauxhingegen rund eine Stunde brauchen. Die steilen Ufer bietennirgends Platz für eine Notlandung, und das Seebecken ist fürseine plötzlichen Windböen bekannt. Zumal über den Bergenan diesem Morgen bedrohliche Wolken stehen.

Der Flug wird dann auch unruhig: Turbulenzen und Luftlöcherbringen den Flugpionier an den Rand des Absturzes. Mehrmals be-fürchtet Dufaux, dass er sich schwimmend ans Ufer retten muss.In den Tagen zuvor hatten Armand und sein Bruder Henri in sämt-lichen Genfer Metzgereien Schweineblasen erstanden, sie mit Luftgefüllt und in alle Hohlräume der Flugmaschine gestopft. Sie sol-len im Fall einer Notwasserung für Auftrieb sorgen.

Doch die Schwimmeigenschaften seines Flugzeugs sindnicht Dufaux’ grösste Sorge: Ihm ist klar, dass der Motor eher

früher als später versagen wird. Deswegen gab es kaum Test-flüge mit der «Dufaux IV». Was den Flugpionier in dieser Si-tuation nicht gerade beruhigt.

Eine Zelluloidscheibe soll den Piloten vor Fahrtwind, Ab-gasen und Öltropfen aus dem stotternden Motor schützen.Doch der Windschutz reisst schon nach wenigen Kilometern inder Luft ab. An eine Brille hat Dufaux nicht gedacht. Somitkämpft er den Rest des Fluges mit Öl in den Augen.

Rund eine Stunde lang ringt er um die nötige Höhe und Ge-schwindigkeit, um halbwegs sicher zu navigieren. Doch derMotor hält durch. Nach 80 Kilometern setzt er zum Landean-flug auf ein Feld bei La Gabiule im Kanton Genf an.

Dort stehen allerdings Telefonmasten. Die Drähte durften fürden Rekordversuch entfernt werden, die Pfosten mussten stehenbleiben. Der vom Öl fast blinde Dufaux fürchtet, einen von ihnenzu übersehen, doch das Manöver gelingt. Mit russgeschwärztemGesicht und vom Öl durchweichtem Anzug entsteigt er der Ma-schine. Der Einsatz hat sich gelohnt: Ein Eintrag ins Geschichts-buch der Luftfahrt ist den Brüdern sicher, der Bundesrat stiftet eineUhr mit der Inschrift «Den ersten Schweizer Luftfahrern» und dieFirma Perrot-Duval zahlt die versprochene Prämie in Höhe vonfünftausend Franken. //

Der Rekordflug

1Schon die Testflüge der «Dufaux IV»zogen viele Schaulustige an.

2Im Tiefflug über den Genfersee: Der Flugder «Dufaux IV» war eine Sensation.(Archivbilder: Verkehrshaus der Schweiz;Illustration: André Niederer)

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08 // Forschung und Entwicklung

«Intelligente» Materialienaus dem ComputerVor rund einem Jahr hat an der Empa ein neues Computerzeitalter begonnen. Mit Hilfeeines neu installierten Hochleistungscomputers simulieren Forscher der Gruppe«Atomistic Simulation» unter anderem das Verhalten neuartiger Materialien – mit demZiel, die Entwicklung massgeschneiderter Materialien erheblich zu beschleunigen.

TEXT: Martina Peter / FOTOS: Empa

Mit Computersimulation lässt sich veranschaulichen, wo sich ein Molekül räumlicham liebsten niederlässt. Hier etwa Hexabenzobenzol-Coronen, ein Kohlenwasserstoff,der sich aufgrund der elektronischen Dichte auf einer stufigen Oberfläche von Goldbevorzugt anlagert. Diese Information ist hilfreich, um neue Nanostrukturen zu entwerfenund Nanodevices zu konstruieren.

Page 9: EmpaNews Oktober 2008

Sein Doktorvater habe ihm damals zu seinem neuen Job ander Empa gratuliert, erzählt Daniele Passerone, Leiter derGruppe «Atomistic Simulation». «Du wirst Dich als Theore-

tiker bei der grossen Auswahl an guten Empa-Experimenten füh-len wie ein Mann im muslimischen Himmel», habe er ihm pro-phezeit. Doch weshalb sollte sich ein theoretischer Physiker un-ter Wissenschaftlern, die sich der anwendungsorientierten For-schung verschrieben haben, derart zufrieden und begehrt fühlen?Weil Passerone den Empa-ForscherInnen etwas vom Wertvollstenschenken kann, das es gibt: Zeit. Er hilft ihnen mit seinem Hoch-leistungscomputer, bei der Simulation von hochkomplizierten Ab-läufen Zeit zu sparen. «Für mich ist es wiederum sehr befriedi-gend, dass ich unsere Theorien in Lösungen von interessanten,praxisnahen Problemen der Materialwissenschaften einfliessenlassen kann», meint Passerone.

«Könnt Ihr für uns ein Experiment mit Aluminium-Silizium-Nitrid-Schichten simulieren? Welchen Effekt erzielen wir, wenn wirdiesen Schichten auf Nanoebene Silizium hinzufügen? Können wiraus Al-N-Nanokristallen mit einer Hülle aus amorphen Silizium-Ni-triden ein Nanokomposit herstellen?» wollte kürzlich ein Wissen-schaftler aus der Abteilung «Nanoscale Materials Science» wissen. Erbeschäftigt sich mit ausserordentlich harten, aber transparentenSchichten aus Nanokompositen. Mit seinen Messgeräten hatte er ex-perimentell bereits schon Eigenschaften und Mikrostrukturen diesesSystems bestimmt. Erklären konnte er die Physik dieser Experimenteauf atomistischem Niveau jedoch erst mit den computergestützten Si-mulationen von Passerone: Mit ihnen verfolgte er «virtuell» den Ein-fluss jedes einzelnen Parameters aufs Ganze.

Gefragt ist in derartigen Projekten Teamwork zwischen den ex-perimentellen Wissenschaftlern und den «Rechenkünstlern» um Pas-serone. «Es ist ausserordentlich wichtig, dass Theoretiker und Prakti-ker die Experimente miteinander durchdenken – und zwar von Be-ginn an», so Passerone. Unsorgfältige, zu wenig durchdachte Nähe-rungen – also Grössen, die sich der exakten Berechnung entziehen –können für eine Computersimulation nämlich fatal sein und ein gan-zes Experiment scheitern lassen.

Das Warten hat ein EndeWer modellieren will, wie sich eine (mehr oder weniger) grosse An-zahl von Atomen verhält – beispielsweise welches Atom unter ver-schiedenen Bedingungen mit welchem Partner zu welchem Produktreagiert –, der kommt mit einer durchschnittlichen PC-Leistungschnell ans Limit. Beim Design eines neuartigen Farbstoffs für or-ganische Solarzellen, wie ihn ForscherInnen aus der Abteilung«Funktionspolymere» entwickeln, braucht es rund 1200 Stunden,um auf einem Standard-PC ein «Gedankenexperiment» durchzufüh-ren. Anders mit Passerones Computer: «Zurzeit sind wir in der Lage,ein System mit 1000 Atomen zu simulieren. Wir können zu jedemZeitpunkt der Simulation sogar angeben, mit welcher Wahrschein-lichkeit sich jedes einzelne Elektron in den Atomhüllen an einem be-liebigen Punkt des Raums befindet.» Für das Farbstoff-Projekt spieltder Empa-Hochleistungscomputer simultan gleich mehrere «Gedan-kenexperimente» mit verschiedenen Materialien und Randbedin-gungen durch. In den Experimenten wird gefragt «Wie sieht eine Mo-lekülkette aus x Teilen aus? Und: «Wo müssen wir in dieser Kettedie Stickstoffatome platzieren, damit die Materialien durch eine be-stimmte Wellenlänge des Lichts aktiviert werden und beispielswei-se auf Infrarot mit gewissen Effekten reagieren?»

Nicht, dass die ChemikerInnen diese Berechnungen nicht auchselbst anstellen könnten. Doch auf einem durchschnittlichen PC dau-ert eine derartige Simulation Tage, wenn nicht gar Wochen. Passero-nes Computercluster, in dem 30 Einzelrechner zusammenwirken, lie-fert die Resultate deutlich schneller; jeder der insgesamt 120 Prozes-soren ist rund fünfmal leistungsfähiger als ein Standard-PC. Die For-scherInnen erhalten also nicht über einen Zeitraum von 50 Tagen allezwei Tage eine Teilantwort auf ein Gedankenexperiment, sondernnach nur 12 Stunden – also praktisch über Nacht – viele Antwortenauf verschiedene Experimente.

Empa-Hochleistungscomputer kann sich sehen lassenDas Simulieren hat seinen Preis; rund 150000 Franken investierte dieEmpa bereits in den neuen Computercluster, der demnächst noch wei-ter ausgebaut wird. Aber es lohnt sich; verlangen doch externe An-

bieter für Simulationen auf Clustern inEmpa-Grösse rund 400 Franken pro StundeRechenzeit. Seit Januar 2008 ist der Empa-Cluster stets zwischen 60 bis 70 Prozentausgelastet und das rund um die Uhr.

«Theoretisch können wir nun – fast –alles «in house» durchsimulieren, die Re-chenleistung unseres Clusters kann sich se-hen lassen», sagt Daniele Passerone. Beiallzu aufwändigen Berechnungen, die die(Re-)Aktionen von mehreren Tausend Ato-men – samt all ihrer Elektronen – simulie-ren, wie zurzeit ein Projekt zur Modellie-rung komplexer Metall-Legierungen, greifter jedoch nach wie vor auf die Unterstüt-zung des ETH-Rechenzentrums «CentroSvizzero di Calcolo Scientifico (CSCS)» inManno zurück. Gäbe es keine «Ausweich-stelle Manno», wäre der Computerclusteran der Empa für einzelne Projekte tagelangblockiert – sehr zum Verdruss von Passe-rones immer zahlreicheren «Kunden». «Diewürden mir bestimmt bald die Hölle heissmachen», lächelt er. //

Forschung und Entwicklung // 09

Die Material-Simulanten

Die Gruppe «Atomistic Simulation» erfüllt zwei Aufgaben. Sie leistet zum einenMethodik-Forschungsarbeit für die eigene Abteilung nanotech@surfaces undfür über ein Dutzend andere Forschungsgruppen der Empa und Eawag. Die An-fragen sind so facettenreich wie die Arbeitsgebiete der beiden Institutionen:Da werden zum Beispiel Fehlfunktionen auf winzig kleinen Nano-Elektronik-bauteilen analysiert, damit die Bauteile in der Massenproduktion korrekt kon-struiert werden. Andere WissenschaftlerInnen haben an Stationen wie demJungfraujoch mit Gasspektrometern Messdaten zu Dutzenden von Luftschad-stoffen gesammelt. Nun müssen sie quasi «unendlich» viele Daten von Schad-stoffen auswerten, um sie auf ihre «Quellregionen» zurückzuführen – ohneComputersimulationen geht da (fast) nichts mehr.Zum anderen ist Daniele Passerones Gruppe Dienstleisterin für über ein Dut-zend Empa- und Eawag-Abteilungen. Zusammen mit Jürg Schächtelin von derEmpa-Informatikabteilung koordiniert sie den Bedarf an Hochleistungsrech-nern und unterhält die Hardware.

Page 10: EmpaNews Oktober 2008

10 // Forschung und Entwicklung

Ich mag Überraschungen», sagt LindaThöny und denkt dabei an ihr Studiumzurück. «Was wir in einem Ferienkurs in

Meeresbiologie mit Netzen aus den Tiefendes Ozeans raufholten, das waren wunder-schöne Überraschungen.» Ähnliche Emotio-nen hätte sie im Labor gespürt: «Wenn Duwartest, lange nichts siehst und in der Dun-

kelkammer dann plötzlich et-was erkennst … und dann auchbegreifst, was das Gesehene be-deutet – das ist für mich über-wältigend.» Solche Momentewaren ein Grund, weshalb Thö-ny sich für die Mikrobiologieentschieden hat. Nach dem Di-plom promovierte sie am Insti-tut für Mikrobiologie an der ETH

bei Professor Hauke Hennecke mit einer Ar-beit über ein neu entdecktes Atmungsen-zym. Einer Weiterbildung in Australien folg-te schon bald ein zweiter, längerer Aufent-halt an der renommierten amerikanischenStanford University School of Medicine.

Von der Mikrobiologie in der Schweizzu den Myxobakterien in den USABeim Pionier der Myxobakterien, Dale Kai-ser, lernte sie viel Neues über Entwick-lungsbiologie. «In meinen Studien beschäf-tigte ich mich mit dem kommunikativen Ver-halten dieser Lebewesen, welche im Über-gang von ein- zu mehrzelliger Lebensweisestehen, und studierte, wie Myxobakterienzusammen auf ihre Umwelt reagieren.» My-xobakterien sind unter anderem deshalb sointeressant, weil sie medizinisch und indus-triell nutzbare chemische Stoffe produzie-ren, die als Antibiotika oder in der Krebsbe-kämpfung verwendet werden können.

1992 kehrte Linda Thöny als Oberas-sistentin ans Institut für Mikrobiologie derETH zurück und habilitierte fünf Jahre spä-ter zum Thema «Biogenese von Atmungs-ketten-Proteinen in Bakterien». Zwei Jahrespäter trat sie eine Assistenzprofessur ander ETH an, fand Befriedigung in der For-schungsarbeit mit ihrem Team und hatteSpass an den Führungsaufgaben. Allein –eine feste Anstellung war immer nochnicht in Aussicht. Doch als sie 2004 der Rufeiner renommierten amerikanischen Uni-versität ereilte, zögerte sie: «Nochmals einebefristete Anstellung, weit weg von Fami-lie und Freunden – das war keine Perspek-tive mehr.» Trotz all der Vorteile eines ame-rikanischen Universitätslebens, mit Experi-menten rund um die Uhr dank flexiblen La-boröffnungszeiten und trotz anregendenUmständen, die sie Eigenständigkeit undDurchsetzungsvermögen gelehrt hatten,entschied sie sich gegen eine Professur ander Pennsylvania State University.

Ein radikaler Schnitt undzwei NeuanfängeÜberrascht stellte Thöny fest, dass beruflichnoch eine ganz andere Herausforderung aufsie wartete. Sie entdeckte das Stelleninserateines Patentanwaltbüros, das ihr plötzlichTüren zu einer neuen Welt und einem si-cheren Job öffnete. Mit einem Nachdiplom-studium der Université de Strasbourg liesssie sich zur Patentanwältin ausbilden. «Ichhabe damals meine Forschungsarbeit regel-recht beerdigt, meine Unterlagen verschenkt– sogar an die Konkurrenz. Es war wirklichein radikaler Schnitt.» – Wenn da nur nichtwieder ein Stelleninserat gewesen wäre, miteiner neuerlichen Überraschung.

«Wenn Du plötzlichsiehst und erkennst,das ist überwältigend.»

Die auf Bakterien bautNicht immer verlief der Lebensweg von Linda Thöny-Meyer geradlinig. Nicht, als sie sich als19-Jährige für ein Studium an Uni oder ETH Zürich entscheiden musste, und auch nicht,als sie sich vermeintlich für immer von der Forschung verabschiedete, um Patentanwältin zuwerden. Schliesslich obsiegten trotzdem die Liebe zur Wunderwelt der Mikrobiologie unddas nicht nachlassende Interesse für biotechnologische Zusammenhänge. 2006 trat sie dieLeitung der neu gegründeten Empa-Abteilung «Biomaterialien» an.

TEXT: Martina Peter / FOTOS: Ruedi Keller

Page 11: EmpaNews Oktober 2008

«Es war ein kleiner Schock,als ich das Profil im Inserat derEmpa las. Die Stellenbeschrei-bung war perfekt auf mich zuge-schnitten.» Die Aussicht, die Ab-teilung «Biomaterialien» neu auf-zubauen, faszinierte sie, für dieForschung schlug ihr Herz nochimmer, und die Erfahrungen, dieaus der Industrie mitzubringenwaren, hatte sie sich in ihrer Ar-beit als Patentanwältin angeeig-net. Sehr rasch entschied sie, dieStelle anzunehmen, obwohl es ihrschwer fiel, dem Anwaltsbürowieder den Rücken zu kehren.

«Weisse» Biotechnologie nutztWerkzeuge der NaturIn Thönys Abteilung steht heutedie Entwicklung von Biomateria-lien und Biomolekülen für medizi-nische und industriell interessan-te Anwendungen im Zentrum.Die «weisse» Biotechnologie, dieWerkzeuge der Natur und Orga-nismen für die industrielle Pro-duktion einsetzt, gewinnt zuse-hends an Bedeutung. Thöny er-klärt: «Viele Mikroorganismenhaben die Fähigkeit, dank spe-zieller Enzyme neue Werkstoffeherzustellen. Ich suche mit mei-nem Team nach Wegen, wie wirMikroorganismen anregen kön-nen, in grösserem Massstab sol-che Biomasse zu produzieren.Das ist für unsere Partner in derIndustrie ausserordentlich attrak-tiv.» Deshalb steht in der Empaseit kurzem ein Hightech-Biore-aktor, in dem Bakterien in einer definiertenNährstoffsuppe gezielt zur Produktion wert-voller Biopolymere – chemischer Verbindun-gen aus Monomeren – angeregt werden. «Wirarbeiten aber auch mit Proteinen. Beispiels-weise optimieren wir zusammen mit der Fir-ma Glycovaxyn, einem Biotech-Startup, diemikrobielle Produktion bestimmter Impfstof-fe», gibt Thöny Auskunft. Als Patentanwältinhat sie gelernt, vorsichtig zu formulieren,wenn es um Pläne geht. Deshalb möchte siedie Details nicht weiter erläutern.

Kampf den BakterienteppichenFür den Kampf gegen schleimige Bakterien-teppiche, so genannte Biofilme, lassen sichBiopolymere ebenfalls rekrutieren. «Wirwollen wissen, wie die unerwünschten Be-läge entstehen, und wie wir sie mit «Anti-fouling»-Methoden und unseren Polymerenam besten bekämpfen und verhindern», sagt

Forschung und Entwicklung // 11

Thöny. Die übel riechenden Filme könnenKrankheitserreger enthalten und die Ge-sundheit beeinträchtigen: Besonders beimedizinischen Implantaten sind sie ge-fürchtet, da sie schlimme Entzündungenhervorrufen. Hier gilt es, Oberflächen zukreieren, die das Ausbreiten der Biofilmeverhindern. Die natürlichen, biokompati-blen Polymere aus dem Bioreaktor eignensich dafür bestens. Sie sind Träger für Mo-leküle, die verhindern, dass sich der Bak-terienschleim ansiedelt.

Biofilme sind nicht nur medizinischgesehen eine Herausforderung, auch in derRaumforschung sind sie ein Thema. Denndie Beläge siedeln sich gern auf schlecht zureinigenden Oberflächen an: Das stelltWeltraumstationen, wo eine Sterilisationnicht möglich ist, vor Probleme. Die Empaführt deshalb mit der ETH Zürich, ausge-hend von einer erfolgreichen Zusammen-

arbeit mit der European Space Agency(ESA) auf dem Gebiet des «Antifoulings»,eine Studie zu Biofilmen unter Mikrogra-vitation durch. Ihr Schwerpunkt: Wie ver-halten sich die Bakterienteppiche, wennsie den Bedingungen des Weltraums aus-gesetzt sind? Und schliesslich noch einletztes Beispiel: Die schleimigen Belägebeschleunigen die Korrosion technischerSysteme – auch im Haushalt. Deshalb wid-met sich ein KTI-Projekt zusammen mitdem Empa-Spin-off «Empa Test Materials»dem Thema «Biofilme in Waschmaschi-nen».

Die Arbeit in der Abteilung «Biomate-rialien» ist abwechslungsreich und steckt –auch thematisch – voller Überraschungen:vom Haushalt bis zum Weltall liegt allesdrin. «Ich habe den Entscheid, an die Empazu kommen, noch keine Minute bereut»,bekennt Thöny. //

Im Bioreaktor an der Empa werden unter kontrolliertenWachstumsbedingungen Biopolymere hergestellt.

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Der «digital divide» wird immer tiefer. Während Internetund andere Informations- und Kommunikationstechnolo-gien (ICT) die Industriestaaten immer enger zusammen-

wachsen lassen, ist ein Grossteil der Weltbevölkerung von dieserEntwicklung abgekoppelt, ist also sozusagen unfreiwillig offline.Dies hat in einer Welt, die sich – wie allgemein behauptet – zu ei-ner Informations- oder gar Wissensgesellschaft hin entwickelt,gravierende Konsequenzen: Wer modernste ICT nutzen kann, hatbessere Chancen, wirtschaftlich und sozial aufzusteigen.

Das deutsche Nachrichtenmagazin «Focus» warnte in diesemZusammenhang bereits vor einer neuen Zweiklassengesellschaftzwischen «Info-Elite» und «digitalen Analphabeten». Vielleichtnicht ganz zu Unrecht, wenn wir uns die (spärlich vorhandenenund nicht immer zuverlässigen) Zahlen anschauen. So sollen inAfrika weniger als vier Prozent der Bevölkerung online sein, undnicht einmal ein Prozent besitzt einen Breitbandinternetan-schluss.

Brücken über den digitalen GrabenUm den digitalen Graben zu überbrücken, organisierten die

Vereinten Nationen 2003 und 2005 den «World Summit on the In-formation Society» in Genf und Tunis. Gleichzeitig «rüsten» vieleSchwellen- und Entwicklungsländer digital auf. Die kolumbiani-sche Regierung lancierte beispielsweise bereits im Jahr 2000 dasProgramm «Computadores para Educar» (CPE; Computer für Bil-dung). Ziel ist es, gebrauchte Computer, Bildschirme und Zube-hör technisch aufzurüsten, um sie dann kostengünstig an Bil-dungseinrichtungen zu verteilen. Seither hat CPE rund 9400 Schu-len in ganz Kolumbien mit Second Hand-Computern ausgerüstet,die in Kolumbien gesammelt und in fünf eigens eingerichtetenZentren wieder in Stand gesetzt wurden.

Andere Länder wie Uruguay und Ruanda setzen auf das «100-Dollar-Laptop» namens XO, den ersten speziell für die Bedürfnis-se von SchülerInnen in Entwicklungsländern konzipierten Computer.

Nachhaltig über dendigitalen Graben«Internet für alle!» lautet eine Forderung in der Bildungspolitik.Und das besonders für Schwellen- und Entwicklungsländer,in denen nur eine Minderheit Zugang zu Computern hat. Dochwie lässt sich der digitale Graben überbrücken, so dass derNutzen für die Gesellschaft möglichst gross, die Belastung für dieUmwelt dagegen möglichst gering ausfällt? Ist der innovative100-Dollar-Laptop «XO» oder der zweitverwertete Alt-Computerbesser? Eine Empa-Studie liefert Antworten.

TEXT: Michael Hagmann

12 // Fokus: Ökobilanzen

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Fokus: Ökobilanzen // 13

Billig – und trotzdem chic: Der neue XO-Laptop sollfür SchülerInnen in Schwellen- und Entwicklungsländerneine Brücke über den digitalen Graben schlagen.Auf Wunsch gibt es den Computer auch mit Stromkurbel.(Foto: Mike McGregor)

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Genau genommen kostet er heute 188 US-Dollar; der Name wareine Art Zielvorgabe seiner «Erfinder», den MIT-Forschern Nicho-las Negroponte und Marie Lou Jepsen, die ihre Vision am WEF2005 erstmals präsentierten und später die Stiftung «One LaptopPer Child» (OLPC) gründeten, die heute den Computer vertreibt.

Der XO gilt als kleine Revolution im ICT-Sektor, der mit al-lerhand Neuerungen aufwartet. So enthält er im Gegensatz zu her-kömmlichen Computern «praktisch keine toxischen Stoffe mehr,lässt sich also sehr gut entsorgen», erklärt Heinz Böni, Leiter dersustec-Gruppe (für «sustainable technology cooperation») an derEmpa, deren Ziel es ist, in Schwellen- und Entwicklungsländernressourcenschonende Technologien umzusetzen. Auch im Ener-gieverbrauch ist der XO ein Vorreiter, er braucht nur rund 10 Pro-zent der Energie eines Standard-Laptops. Der XO-Bildschirm funk-tioniert selbst bei gleissendem Sonnenlicht tadellos. Und – last butnot least: Der Rechner vernetzt sich automatisch mit Nachbarge-räten, sodass über diese zum Beispiel Zugang zum Internet her-gestellt werden kann.

100-Dollar-Laptop gegen Second Hand-ComputerWas ist nun nachhaltiger, vor allem, wenn der gesamte Lebens-zyklus der Produkte sowie sozioökonomische Faktoren wie dieSchaffung von lokalen Arbeitsplätzen oder der Ausbildungsaspektmitberücksichtigt werden – das technische Wunderding XO oderein neu aufbereiteter Second Hand-Computer? Um dies zu beant-worten, verglichen Böni und seine Kollegen drei Szenarien mitei-nander: den XO, vollständig in Kolumbien wieder instand gesetz-te Second Hand-Computer und im Ausland durch Nicht-Regie-rungsorganisationen wie «ComputerAid» oder «World ComputerExchange» aufgerüstete, importierte Computer.

In die Analyse flossen zahlreiche Faktoren ein: Preis samt Un-terhaltskosten, technischer Standard der Geräte, Beteiligung derörtlichen Wirtschaft, Energie-, Material- und Wasserverbrauch beiHerstellung und Gebrauch, Umweltbelastung etwa durch toxischeEmissionen. Die Kriterien wurden durch Expertengespräche vorOrt gewichtet und in einen Gesamtnutzwert umgerechnet.

Vorreiter KolumbienFazit der Studie, die Böni Mitte September an der «Electronic GoesGreen 2008+» in Berlin vorstellte: Die Instandsetzung von SecondHand-Computern in Kolumbien ist die insgesamt nachhaltigste Lö-sung – obwohl die Kosten pro Gerät höher und der technische Stan-dard dabei niedriger sind. Will man dagegen möglichst billige, tech-nisch fortschrittliche Computer, schneidet der XO am besten ab, derauch mit Abstand am wenigsten Energie verbraucht und somit um-weltfreundlich betrieben wird. Die Umweltbelastung durch die Her-stellung neuer Geräte überwiegt hierbei jedoch deutlich, was zu ei-ner negativen Gesamtökobilanz führt. Und auch der lokale Arbeits-markt profitiert kaum vom XO.

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«Man kann den XO als Ergänzung in Betracht ziehen», sagt dannauch Böni. «Aber ein Land, das vollumfänglich auf den XO setzt,nutzt seine natürlichen und menschlichen Ressourcen nicht opti-mal.» Dies gelte auch für Kolumbien, das Land mit dem grösstenWiederverwertungsprogramm für Computer in ganz Lateinamerika.

Da die kolumbianische Regierung das ehrgeizige Ziel hat, bis2010 die Anzahl Schüler, die sich einen Computer teilen müssen,von derzeit rund 40 auf 20 zu halbieren, ist CPE allerdings auf«ausländische» Computer angewiesen. Am nachhaltigsten wäre esgemäss Bönis Analysen, zunächst auf im Ausland aufbereiteteComputer zurückzugreifen.

Etwa durch Computer aus der Schweiz. Darauf dürften die Ko-lumbianer allerdings lange warten. Denn hier zu Lande sind Re-cycling und Zweitverwertung elektronischer Geräte – so sie über-haupt vorgesehen ist – entkoppelt. «Bringen wir einen ausran-gierten Computer zurück zum Händler, muss er diesen zurück-nehmen. So weit, so gut. Das Gerät landet dann aber im Recyc-ling, sprich: Es wird entsorgt», so Böni. Das verlangt das Gesetz.Eine Zweitverwertung ist dadurch ausgeschlossen, ein gross an-gelegtes Programm zur ICT-Wiederverwertung gibt es nicht. Böni:«Wenn ich sehe, welche Computer bei uns im Recycling landen,kommen mir die Tränen.» //

14 // Fokus: Ökobilanzen

Schweiz fördert Recyclingvon e-Waste in Lateinamerika

Selbst nach mehrmaligem Aufrüsten und Wiederverwerten – ir-gendwann gibt jeder Computer den Geist auf. Dann muss er alsElektroschrott – oder e-Waste – fachgerecht entsorgt werden,denn in den meisten Elektrogeräten schlummern neben wertvol-len Rohstoffen auch Gifte wie Schwermetalle und Flammschutz-mittel. Mitte Juli hat das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco ent-schieden, ein e-Waste-Projekt in Kolumbien und Peru unter Lei-tung der Empa für die nächsten drei Jahre mit rund 1.7 MillionenFranken zu fördern. In beiden Ländern fallen jährlich zwischen7000 und 9000 Tonnen «Computerabfall» an, Tendenz steigend.In Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort sollen umweltgerechteRecycling-Systeme aufgebaut werden. «Ein schöner Erfolg», freut

sich Projektleiter Heinz Böni von der sustec-Gruppe der Empa (s.auch Hauptartikel). «Dabei können wir unsere Erfahrung aus denseit mehr als drei Jahren laufenden Projekten in Indien, China undSüdafrika einbringen.» In Südafrika haben sich dank der Unter-stützung der Empa inzwischen sämtliche Akteure im IT-Sektor zu-sammengeschlossen, um das e-Waste-Recycling weiterzubringen;im März dieses Jahres wurde in Kapstadt die erste e-Waste-Recyclingfabrik des Landes eingeweiht. Und in China beriet dieEmpa die Regierung, als es darum ging, neue e-Waste-Gesetze zuerlassen. «Dass dabei nicht die USA oder Deutschland zum Zug ka-men, sondern ein kleines Land wie die Schweiz, ist eine tolle An-erkennung für uns», so Böni.

«Computerfriedhof» inKolumbien: Seit 2007 werdenim «Centro Nacional delAprovechamiento deResiduos Electronicos»(CENARE) in Bogotá nichtmehr funktionstüchtigeComputer – ein beträchtli-cher Teil des e-Waste-Berges– fachgerecht entsorgt.Dabei werden die Computerso weit wie möglich manuellzerlegt, die Bestandteile anandere Recyclingunter-nehmen oder Schmelzereienverkauft. Einige Komponen-ten finden im «Robotic»-Ausbildungsprogramm Ver-wendung, durch das diekolumbianische Regierungversucht, das Interesse vonSchülern und Studenten anElektrotechnik und Tech-nologie allgemein zu wecken.(Fotos: CENARE)

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Fokus: Ökobilanzen // 15

Dabei sein ist nicht allesReisen hat massive Auswirkungen auf die Umwelt. Umweltbewusste Unternehmenstehen daher vor der Wahl, Geschäftsreisen durch Videokonferenzen zuersetzen. Die Empa hat berechnet, ob dies tatsächlich umweltschonender ist –schliesslich «fressen» auch Server, Computer und Co. jede Menge Energie.

TEXT: Michael Hagmann / FOTO: Ruedi Keller

Die Führung eines internationalenUnternehmens möchte in Züricheine Sitzung abhalten, ein Mitglied

müsste dazu aus London anreisen. Was istumweltfreundlicher – Telekonferenz viaInternet oder Anreise? Und ist der Unter-schied markant oder zu vernachlässigen?

Soweit die Ausgangslage, die derEmpa-Forscher Roland Hischier von derAbteilung «Technologie und Gesellschaft»mit Hilfe von «ecoinvent»-Daten analysierthat, einer weltweit einzigartigen Samm-lung von Ökobilanzdaten, deren Leitungbei der Empa liegt. Von Microsoft bekamHischier eine Liste der nötigen Hardware -vom Laptop über Videokamera und Bea-mer bis zu Server und Router – samt Strom-verbrauch und benötigter Kühlleistung.Daraus berechnete der Empa-Forscher zum«Tag der Informatik» am 28. August dannden Ausstoss an Treibhausgasen.

Fazit: Das virtuelle Meeting schneidetmit lediglich 20 Kilogramm CO2-Äquiva-lent mit Abstand am besten ab; diese gehenfast vollständig auf das Konto der Daten-übertragung. Die günstigste Reisevariante– der Zug, in diesem Fall ein Hochge-schwindigkeitszug über Paris – bringt esauf 108 Kilogramm – rund fünfmal mehr.Flugzeug und Auto stossen dagegen16- bis18-mal mehr Treibhausgase aus.

Maximaldistanz bereitsauf 100 Kilometer. Beigrösseren Tagungensind virtuelle Meetingsalso um ein Vielfachesumweltverträglicherals reale.

Da es bei Tagun-gen und Konferenzenauch um persönlicheKontakte geht und davor allem die Trans-kontinentalflüge dieUmwelt belasten, be-rechnete Hischier eineweitere Variante: eineParallel-Konferenz anverschiedenen Orten,in diesem Beispiel Zü-rich, Dallas und To-kio. Dadurch liess sich

die Umweltbelastung im Vergleich zu ei-nem zentralen Konferenzort nahezu hal-bieren. Diesen «Trick» wird der Forschernächstes Jahr bei der Organisation des«R’09 Twin World Congress on ResourceManagement and Technology for Materialand Energy Efficiency» anwenden. DieseTagung wird erneut in Davos und erstmalszeitgleich im japanischen Nagoya über dieBühne gehen. //

Plastiktaschen sind ökologischer als Stofftaschen.Das geht aus einer Empa-Studie zur Ökobilanz vonTragtaschen hervor. Allerdings gilt dieser überra-schende Befund nur, wenn die Stofftasche wenigerals zehn Mal verwendet wird. Vor allem der Pro-duktionsaufwand durch Baumwollanbau und -ver-arbeitung schlägt bei der als ökologisch geltendenStoffbeutel als Umweltbelastung zu Buche. Plastik-und Papiertaschen lassen sich dagegen schnell undohne grossen Rohstoffverbrauch produzieren.

Die Stofftasche schneidet indes dann klar besserab, wenn sie mehr als zehn Mal im Einsatz ist – wasdem Normalfall entsprechen dürfte. Dann ist siedeutlich ökologischer als ein Plastiksack, die oftnach einmaligem Gebrauch entsorgt wird. Die Plas-tiktüte wiederum wird ökologisch gesehen dann in-teressant, wenn man sie mehr als zweimal einsetzt.Somit gilt: Je häufiger eine Tasche verwendet wird,desto «umweltfreundlicher» ist sie. Das gilt aller-dings auch für den Plastiksack. // Cornelia Zogg

Plastiktaschen: besser als ihr Ruf

Der Zug ist mit Abstand das umwelt-freundlichste ReisemittelTrotzdem ist die Videokonferenz nicht im-mer überlegen. Hischier kam zu einemüberraschenden Ergebnis: Bei Entfernungenunter 200 Kilometern ist es umweltfreundli-cher, Teilnehmende mit dem Zug anreisenzu lassen. «Das gilt allerdings nur für eineeinzelne Person», schränkt Hischier ein.Reisen zwei Personen an, reduziert sich die

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16 // Fokus: Ökobilanzen

«Wir müssen auch dasVorleben eines Produktsberücksichtigen»

Was ist umweltfreundlich? Um diese Frage zu beantworten, muss mansämtliche Umweltauswirkungen eines Produkts oder Prozesses währenddes gesamten Lebenswegs «von der Wiege bis zu Bahre» betrachten.Das Ergebnis einer solchen Ökobilanz oder «Life Cycle Analysis» (LCA)fällt oft überraschend aus, wie Roland Hischier, Empa-Fachmann fürÖkobilanzen, im Gespräch mit EmpaNews erläutert.

INTERVIEW: Ivo Marusczyk / FOTO: Urs Bünter

Was genau ist eine Ökobilanz und wozu braucht man sie?Wir Menschen haben die Tendenz, nur anzuschauen, was uns

unmittelbar betrifft. Nur wenige können sich vorstellen, was allesgeschieht, bis zum Beispiel Nahrungsmittel auf ihrem Tisch lan-den. Manchmal sollten wir uns aber vor Augen führen, was allesvorher passiert ist – etwa während der Herstellung des unter-suchten Produkts – und was danach noch folgt. Eine Ökobilanzzeigt sämtliche ökologischen Auswirkungen eines Produkts, einesProzesses oder einer Dienstleistung auf. Dabei werden alle Ein-flüsse auf die Umwelt und den Menschen, also auf Ökosystem undGesellschaft, sowie der Verbrauch von Ressourcen bewertet.

Wie gehen Sie dabei vor?Wir versuchen, möglichst alle Material- und Energieströme zu

erfassen, die in dieses System hinein- oder herausfliessen. Also ei-nerseits alle Rohstoffe und Energieträger, die nötig waren, um die-se oder jene Produkte oder Dienstleistungen zu erhalten, ande-rerseits die Abfälle und Emissionen, die dabei entstanden sind.

In eine Ökobilanz gehen also völlig unterschiedliche Grössenein. Heisst das nicht, Äpfel und Birnen zu vergleichen?

Das ist richtig, wir rechnen mit unterschiedlichen Währungen.Es gibt zwei Möglichkeiten, dies zu berücksichtigen. Man kann dasResultat entweder in einer Reihe von Einzelfaktoren ausdrücken undauf eine einheitliche Kenngrösse verzichten. Der Vorteil ist, dassman so spezifische Auswirkungen wissenschaftlich sauber quantifi-zieren kann. Allerdings funktioniert der direkte Vergleich «A ist bes-ser als B» dann nicht. Es lassen sich allenfalls einzelne Aspekte ver-gleichen. Also zum Beispiel «Vorgang A verbraucht mehr Ressour-cen bei der Herstellung, B dann später beim Betrieb.»

Und die andere Möglichkeit? Sozusagen Äpfelin Birnen umwandeln?

Dabei rechnen wir alle Faktoren in eine einzige Kenngrösseum. Das hat den Vorteil, dass wir am Schluss einen Wert bekom-men, den wir vergleichen können. Dazu benötigen wir aber einUmrechnungssystem, das die einzelnen Faktoren gewichtet. Unddabei fliessen Wertvorstellungen ein. Dessen müssen wir uns be-wusst sein.

Wie komme ich dann zu einem objektiven Vergleich?Das aufwändigste an einer Ökobilanz oder LCA ist, die Zah-

len zu den Energie- und Materialströmen zusammenzutragen. Hatman diese Zahlen erst einmal zusammen, kann der Computerschnell mehrere Berechnungen unter Annahme verschiedener Ge-wichtungen machen. Zum Beispiel können wir einmal die gesell-schaftlichen Wirkungen in den Mittelpunkt stellen und ein ande-res Mal die Treibhausgas-Emissionen. Dabei kristallisiert sich he-raus, welche Prozesse oder Produktionsschritte besonders schäd-lich sind. Wenn ein bestimmter Teilprozess – unabhängig von derGewichtung – immer wieder das Resultat schwer belastet, dannweiss man, wo das Problem liegt.

Alle Material- und Energieströme erfassen – das würde jabedeuten, man muss erst die Ökobilanz jedes Ziegelsteinsberechnen, der für ein Gebäude gebraucht wird, in demdann irgendein Prozess stattfindet.

Das ist genau die Grundidee. Wir müssen dafür allerdingsnicht jedes Mal das Rad neu erfinden, sondern wir können auf be-kannte Daten zurückgreifen. Seit 2003 gibt es dafür zum Beispieldie Datenbank ecoinvent, die an der Empa geführt wird.

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Fokus: Ökobilanzen // 17

Dort würde ich zum Beispiel finden, wie viel Material undEnergie für ein durchschnittliches Industriegebäude in derSchweiz gebraucht werden?

Genau. Wahrscheinlich ist ecoinvent die weltweit umfas-sendste LCA-Datenbank. Wichtig bei einer solchen Datenbank ist,dass die Daten darin konsistent und transparent aufbereitet sind.Es muss nachvollziehbar sein, woher die Daten stammen, um zubeurteilen, ob diese für meinen spezifischen Prozess, mein spezi-fisches Produkt relevant sind. Bei der Berechnung stellt sich dannschnell heraus, wie stark der jeweilige Datensatz die Ökobilanzbeeinflusst: Wenn der Bau eines Hauses in einer Ökobilanz deut-lich zu Buche schlägt, muss ich prüfen, ob die verwendeten Da-ten wirklich zu dem beschriebenen Gebäude passen, oder ob ichhier genauere Daten benötige. Wenn das Gebäude in der Gesamt-bilanz aber nur eine geringe Rolle spielt, dann genügt die Nähe-rung mit Standarddaten.

Die Ergebnisse von Ökobilanzen sind oft ziemlichüberraschend und widersprechen dem, was man gemeinhinerwarten würde.

Das liegt daran, dass wir die Tendenz haben, nur einzelneSchritte zu betrachten statt die gesamte Lebensspanne eines Pro-dukts zu berücksichtigen. Ein typisches Beispiel sind Tragtaschen(s. S. 15). Die meisten denken, dass der Plastiksack am schlech-testen für die Umwelt ist, aber unsere Berechnungen zeigen, dassman genauer hinschauen muss.

Haben Sie das Gefühl, dass man auf Sie hört?Das ist schwer zu sagen – aber jedenfalls hat das Interesse an

LCAs in letzter Zeit stark zugenommen. Und man muss klar se-hen, dass es nicht nur die Ökobilanzen gibt, die veröffentlicht wer-den. Viele Firmen geben LCAs in Auftrag, die aber nie publik ge-macht werden, da die Konkurrenz daraus Details über die Pro-duktionsmethoden ableiten könnte.

Wieso führt die Empa überhaupt eine Datenbank wieecoinvent?

Um rasch korrekte Ökobilanzen erstellen zu können brauchenwir eine klare, nachvollziehbare, transparente Datenbasis. Nur sokönnen wir Prozesse in Richtung Nachhaltigkeit beurteilen undumstellen. Die Bereitstellung solch objektiver Grunddaten ist eineAufgabe, die eine öffentliche Institution übernehmen sollte. In derSchweizer Bundesverfassung steht ja auch ganz vorne, dass derStaat sich für eine dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebens-grundlagen einsetzen muss.

Roland Hischier, GruppenleiterLCA (Life Cycle Analysis) inder Empa-Abteilung «Technologieund Gesellschaft», verbessertseine persönliche Ökobilanz aufdem Weg zur Arbeit.

Schnelltest für nachhaltige Treibstoffe

Mit wenigen Mausklicks zur Ökobilanz: Genau das soll der neue Nachhaltig-keits-Schnelltest für Biotreibstoffe leisten. Ab Ende des Jahres können Herstel-ler von Agrotreibstoffen in kürzester Zeit feststellen, ob ihr Biodiesel oder Bio-ethanol den strengen Schweizer Kriterien für Nachhaltigkeit entspricht und so-mit steuerbefreit wäre.Gerade kleinere Hersteller in Schwellen- und Entwicklungsländern schreckenhäufig vor den Kosten einer aufwändigen Ökobilanz zurück. Nach Ansicht des

Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) sollten aber auch sie die Chanceauf einen Markteintritt in der Schweiz haben.Deswegen beauftragte das Seco die Empa, einen Schnelltest zu entwi-ckeln, den «Sustainability Quick Check for Biofuels». Den Forschern um

Mireille Faist von der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» kam zuGute, dass sie auf ausführlichen Ökobilanzen für verschiedene Kraftstoffe

aufbauen konnten (s. S. 18). Die kritischen Faktoren bei deren Herstellung sinddaher bekannt, die entscheidenden Daten können rasch mit einem Online-Fra-gebogen erfasst und ausgewertet werden.Zugleich soll das Instrument den Herstellern helfen, ihre Produktion umweltfreund-licher zu gestalten. So lässt sich schnell absehen, wie sich der Einsatz von Dün-gern oder Pestiziden auf die Ökobilanz auswirken. Schliesslich geht die Schweizin ihren Forderungen wesentlich weiter als beispielsweise die EU: Steuerbefrei-te Treibstoffe müssen nicht nur Treibhausgas-Emissionen verringern; sie dürfenauch bei der Herstellung und beim Verbrauch die Umwelt nicht stärker schädi-gen als herkömmliches Benzin.

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18 // Fokus: Ökobilanzen

Die Wunder-Nussfür den Tank?Für die einen ist die Jatropha-Pflanze die perfekte Quelle für Biotreibstoff, für dieanderen nur ein weiterer Holzweg auf der Suche nach neuen Energielieferanten.Empa-Forscher haben Ökobilanzen für den Anbau von Jatropha erstellt.Dabei schneidet die tropische Energiepflanze tatsächlich gut ab – zumindest wennsie gleich vor Ort genutzt wird und wenn man die Verarbeitungsmethoden optimiert.

TEXT: Ivo Marusczyk / FOTOS: Winrock India

1Die Kapselfrüchte derPurgiernuss (Jatrophacurcas) enthaltenstark ölhaltige Samen.Aus ihnen lässt sichhochwertiger Biotreib-stoff gewinnen.

2Pilotprojekt Ranidehra:In dem zentralindi-schen Dorf sorgtein Kleinkraftwerk seit2007 für Strom.Das Öl dazu liefernJatropha-Pflanzen.

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Fokus: Ökobilanzen // 19

Der Hoffnungsträger heisst Jatrophaoder – auf deutsch – Purgiernuss undhat im Tropengürtel der Erde zum Sie-

geszug angesetzt: Ein Wolfsmilchgewächs,das sauberen Biotreibstoff liefern soll, ohnedass dabei die Nachteile heutiger Energie-pflanzen auftreten.

Im Gegensatz zu Raps, Mais, Palmöloder Zuckerrohr ist die Purgiernuss unge-niessbar, ja sogar giftig. Damit vermeidet Ja-tropha den Konflikt «Tank oder Teller», derdie anderen Biotreibstoffe in Verruf gebrachthat. Zumal die Pflanze selbst dort noch wu-chert, wo sonst kein Kraut mehr wächst: ZurNot reichen ihr 300 Millimeter Regen imJahr. Sie gedeiht auf Öd- oder Brachland undnimmt somit keine Flächen in Beschlag, aufdenen Nahrungsmittel wachsen könnten.

Zugleich steckt im Jatropha-Samen ei-nes der hochwertigsten Pflanzenöle, das jein einem Tank gelandet ist. Eine Aufberei-tung ist nicht zwingend nötig, Motoren undGeneratoren verlangen nur kleine techni-sche Veränderungen, damit sie das Jatro-pha-Öl schlucken. Angesichts dieser Chan-cen erlebt die Pflanze einen regelrechtenBoom: Die britische Entwicklungshilfe-Or-ganisation GEXSI listet weltweit 242 Jatro-pha-Projekte auf, davon 85 Prozent inAsien. Die Anbaufläche beträgt derzeitrund 900 000 Hektar, bis 2010 dürfte siesich verfünffachen.

An der Empa will die Abteilung «Tech-nologie und Gesellschaft» herausfinden, obJatropha die Erwartungen erfüllen kann. Einhalbes Jahr lang nahm der Umweltwissen-schaftler Simon Gmünder, noch im Rahmenseines Zivildienstes, verschiedene Jatropha-Projekte in Indien unter die Lupe: Zum ei-nen wird versucht, mit kleinen Kraftwerkenin entlegenen Siedlungen Strom zu produ-zieren. Gmünders Ökobilanz gibt der Pflan-ze hier hervorragende Noten. Zum anderengeht es um die Frage, ob sich auch ein gross-flächiger, intensiver Anbau der Energie-pflanze lohnt. Hier bleiben aus ökologischerSicht noch Fragezeichen.

Licht für indisches DorfNur auf abenteuerlichen Pisten ist Rani-dehra im bitter armen zentralindischenBundesstaat Chhattisgarh zu erreichen.«Das Leben verläuft dort im Wesentlichennoch genauso wie im Mittelalter», be-schreibt der junge Empa-Forscher seine Ein-drücke. «Ich bin gar nicht aus dem Staunenherausgekommen.» Pfeil und Bogen sind diewichtigsten Jagdwaffen, zum Pflügen wer-den Wasserbüffel eingespannt und abendsspendeten nur Kerosinlämpchen den Dorf-bewohnern schummriges Licht.

Doch das war einmal. Seit April 2007 er-hellen Glühbirnen und Strassenlaternen dieNacht von Ranidehra. Drei Generatorenbrummen im nagelneuen Dorfkraftwerk.Für die Treibstoffversorgung wurden 25 000

Jatropha-Setzlinge an Feldrainen und ent-lang von Wegen gepflanzt. Eine Filterpres-se extrahiert das Öl vor Ort aus denschwarzen Samenkapseln. Ranidehra hatnun immerhin für vier Stunden am TagStrom. Für Indien eine ziemlich stabileVersorgung.

Technisch sind dezentrale Jatropha-betriebene Stromnetze also machbar. Dochsind sie auch ökologisch sinnvoll, wennman alle Faktoren einbezieht? GmündersBetreuer Rainer Zah, der Empa-Fachmannfür Ökobilanzen und Biotreibstoffe, hatte2007 in einer Aufsehen erregenden Studienachgewiesen, dass die angeblich so sau-beren Biotreibstoffe gar nicht so «grün»sind, werden alle Umwelteinflüsse überden Lebenszyklus der Pflanze hinweg indie Bilanz eingerechnet.

Auch Jatropha verbraucht RessourcenSchliesslich liefert auch die angeblicheWunderpflanze ihr Öl nicht zum Nulltarif.Die Setzlinge mussten in das entlegeneDorf transportiert werden, für das Klein-kraftwerk wurde ein Generatorenhäuschengebaut, ausserdem mussten Strukturen ge-schaffen werden, um das Dorfstromnetz zuverwalten.

Bei genauerem Hinsehen ist die Pur-giernuss auch nicht ganz so anspruchslos:Eine gewisse Menge Wasser und Dünger istnötig, um die Setzlinge zu Früchte tragen-den Büschen hochzupäppeln. Und obwohldie meisten Schädlinge Jatropha ver-schmähen, müssen die Pflanzen zumindestvor Termiten geschützt werden. Ganz ohnePestizide geht es also nicht.

All diese Grössen schlagen sich in derÖkobilanz nieder. Allein der Bau des Ge-neratorenhäuschens geht zwangsläufig mitFlächenverbrauch und Umweltverschmut-zung einher. Düngemittel und Energie wa-ren nötig, um das Dorfkraftwerk zum Lau-fen zu bringen. «Ich muss einberechnen,woher die Setzlinge kommen, wie sietransportiert werden, ob Wasser, Pestizideoder Dünger verwendet werden», erklärt

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20 // Fokus: Ökobilanzen

Gmünder. Der Ertrag der Pflanzen, der Öl-gehalt der Samen, selbst die Energie zumPressen des Öls gehen mit in die Berech-nung ein.

Das Ergebnis scheint denen Recht zugeben, die in der Pflanze gern die Lösungunserer Energieprobleme sehen: Gmünderstellt dem Nuss-Kraftwerk von Ranidehra

ein hervorragendes Zeugnis aus: «UnsereStudie zeigt: Jatropha schneidet viel besserab als Dieselgeneratoren oder ein An-schluss des Dorfes ans nationale Strom-netz.» Das heisst: Ein Dieselaggregat, fürdas der Brennstoff mühsam per Traktor he-rangekarrt werden müsste, oder ein Netz-anschluss schadet der Umwelt wesentlichmehr als das mit Nussöl befeuerte Klein-kraftwerk.

Das liegt auch an den Besonderheiten derindischen Stromversorgung. In Chhattisgarhkommen 95 Prozent des eingespeisten Stromsaus Kohlekraftwerken, nur fünf Prozent ausWasserkraft.

Solarzellen wären die sauberste Energie-quelle für ein Dorf wie Ranidehra. Allerdingssind die dafür nötigen schwermetallhaltigenBatterien ein Problem. Ob die Akkus im ent-legenen Ranidehra ordnungsgemäss entsorgtwerden, scheint mehr als fraglich.

Forscher schlagen Verbesserungen vorDas Jatropha-Kraftwerk könnte noch we-sentlich besser abschneiden. Doch bei derSamengewinnung begehen die Dorfbewoh-ner aus ökologischer Sicht einen entschei-denden Fehler. Um an die schwarzen Kap-seln zu kommen, werden die Jatropha-Früchte mit Dampf erhitzt; das Feuer dazuwird noch mit Holz geschürt. Das ist zwar

CO2-neutral, setzt aber viel Feinstaub frei.Deswegen kostet dieses Holzfeuer das Ja-tropha-Kraftwerk in Ranidehra entschei-dende Punkte in der Ökobilanz.

Gmünder hat zur Sicherheit noch be-rechnet, wie Jatropha in der Ökobilanzläge, wenn sich dieser Verarbeitungsschrittanders lösen liesse: Bei Verzicht auf Holz-

verbrennung wäre Strom aus Ja-tropha praktisch genauso gut wieSolarenergie.

Trotzdem zögert Gmünder,in den Chor der Jatropha-Fanseinzustimmen. «Man wird niepauschal sagen können, ob diePflanze gut oder schlecht ist. Ja-tropha ist nicht gleich Jatropha.Die Anbau- und Verarbeitungs-methoden vor Ort unterscheidensich grundlegend von Projekt zuProjekt. Deswegen sind die öko-logischen Auswirkungen auchsehr variabel», erklärt der Um-weltwissenschaftler.

Jatropha im grossen Stil?Das gilt vor allem, wenn diePflanze nicht extensiv angebautwird wie in Ranidehra, sondernauf Grossplantagen. Dafür erstelltGmünder zusammen mit indi-

schen Kollegen derzeit ebenfalls eine Öko-bilanz. Noch liegen nicht alle Daten vor,doch es deute sich an, so Gmünder, dass Ja-tropha dabei schlechter abschneidet als imdezentralen Dorfkraftwerk in Ranidehra.

«Jatropha hat ein Riesenpotenzial, aberman weiss noch zu wenig, um ein ab-schliessendes Urteil zu fällen», sagt Zah.Zum Beispiel sei noch nicht bekannt, wiedas Ökosystem darauf reagiert, wenn dieaus der Karibik stammende Pflanze gross-flächig angebaut wird. Immerhin ist die Pur-giernuss giftig. Deswegen ist auch nochnicht klar, ob sich die Presskuchen – dieÜberreste nach der Ölproduktion – als Vieh-futter eignen oder nur als Dünger.

«Ausserdem gelten dieselben Regelnwie für Mais oder Raps: Zur Ertragsmaxi-mierung ist auch Jatropha auf Wasser, Dün-ger und einigermassen fruchtbare Böden an-gewiesen. Aber wenn man den Anbau ingrossem Stil betreibt, überwiegen schnelldie negativen Seiten», sagt Zah. Damit rela-tivieren sich viele Vorteile. Zahs Fazit: «Esgibt keine Pflanze, die man völlig ohne Was-ser und Dünger in der Wüste wachsen las-sen kann und die dann trotzdem eine reicheErnte verspricht.»

Wer von Jatropha ein Wunder erwartetoder gar die Lösung aller Energieprobleme,muss sich wohl auf Enttäuschungen einstel-

len. Ein kleines Wunder kann die Öl-Nussallenfalls als Kraftstofflieferant für die de-zentrale Energieversorgung in den Tropenbewirken. Den Beweis, dass sie als Bio-spritlieferant in grossem Ausmass besserabschneidet als andere Pflanzen, den ist Ja-tropha allerdings noch schuldig. //

Nächster SchrittAlgen-Sprit?

In Zukunft könnte Biotreibstoff auch aus Algen ge-wonnen werden. Rainer Zah, Biotreibstoff-Exper-te der Empa erklärt: «Es wäre sogar möglich, Al-gen in der Wüste zu züchten.» In geschlossenenBioreaktoren oder auf dem offenen Meer wucherndie Algen, ohne der Landwirtschaft Acker- undWeideland streitig zu machen. Alles, was Algenbenötigen, sind Wasser, Sonnenlicht, sowie Koh-lendioxid CO2 – und natürlich Nährstoffe. Da Al-gen genau wie jede Pflanze CO2 in Sauerstoff um-wandeln, belastet die Zucht die Umwelt nicht. ImGegenteil: Weltweit sind bereits Pilotanlagen ent-standen, oftmals in der Nähe von Kohle- und Gas-kraftwerken. Deren Emissionen inklusive CO2 wer-den direkt in die Algentanks eingeblasen, was dasWachstum der Pflanze zusätzlich fördert. Eine vielversprechende Idee mit einem dicken Haken:«Noch ist es viel zu teuer. Die Technik, die die Al-gen in Biotreibstoff umwandelt, ist noch nichtausgereift», so Zah.

Der Vorteil der Jatropha-Pflanze: Sie gedeiht auch auf kargen Bödenund macht daher Nahrungsmitteln keine Konkurrenz.

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Dienstleistung // 21

Bessere Strassenbraucht das Land

Hohe Erdölpreise machen nicht nur das Autofahren immer teurer, sie lassen auchdie Kosten für den Strassenbau kräftig steigen. Denn einer der wichtigstenBestandteile von Asphaltbelägen ist Bitumen, ebenfalls ein Produkt des «schwarzenGoldes». Wer sparen will, tut also gut daran, sich Gedanken zur Wiederverwertungdes wertvollen Gutes Asphalt zu machen. Die internationale Gesellschaftfür Asphaltbeläge (ISAP) stellte an ihrem Kongress im August Überlegungen insZentrum, die noch einen Schritt weiterführen: Asphaltbeläge zu bauen kann durch-aus umweltfreundlich sein und zur Nachhaltigkeit beitragen.

TEXT: Martina Peter / FOTOS: Ruedi Keller

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Für den Empa-Forscher Manfred Partl sind Strassen – imwahrsten Sinne des Wortes – ein «wertvoller» Bestandteilder Umwelt. «Sie garantieren schliesslich unsere Mobilität»,

so der Leiter der Abteilung «Strassenbau/Abdichtungen», der seitzwei Jahren ISAP-Präsident («International Society for Asphalt Pa-vements») sowie Organisator der diesjährigen Konferenz ist. Al-lerdings müsse der Strassenbau in Zukunft deutlich nachhaltigervonstatten gehen und Ressourcen schonender behandelt werden.Daher entwickelt Partl mit seinem Team bereits seit Längerem um-

Auf einer Verlängerung der ZürcherOberlandautobahn bei Hinwilsimulierte der Strassentester Dauerverkehr.

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weltverträgliche, Lärm dämpfende, widerstandsfähige und lang-lebige Asphaltbeläge. Die Empa-Wissenschaftler und -Ingenieureerforschen Methoden für ein effizientes Asphalt-Recycling und fürdie Herstellung von so genannten Kaltasphalten, die wenigerEnergie verschlingen, da sie beim Verlegen nicht erhitzt werdenmüssen.

Erkennen, was den Asphalt im Innersten zusammenhältDie seit 1987 regelmässig stattfindenden ISAP-Tagungen ermögli-chen ForscherInnen und PraktikerInnen aus der ganzen Welt, sichregelmässig auf den neuesten Stand des technischen Wissens zumStrassenbau zu bringen. Manfred Partl ist stolz darauf, dass er2008 das Symposium zum Thema «Asphaltbeläge und Umwelt»für die vor knapp 50 Jahren an der University of Michigan ge-gründete Gesellschaft organisieren durfte. Mehr als 70 Fachleutepräsentierten in Zürich vor rund 170 ZuhörerInnen aus 34 Län-dern ihre aktuellsten Ergebnisse. Sie berichteten unter anderem,wie Asphalt rezykliert werden kann, wie mit Asphalt nicht nurEnergie gespart, sondern sogar gewonnen wird, und wie dankneuer Asphaltmaterialien Lärm vermindert wird und die Lebens-dauer der Beläge steigt.

Ein Material hat es dem Empa-Forscher besonders angetan:Bitumen. Das klebrige, pechschwarze Naturprodukt aus Erdöl,das den Splitt im Asphaltbelag zusammen hält, wird schon seitJahrtausenden genutzt. Bereits die alten Babylonier benutzten eszur Abdichtung ihrer Bewässerungsanlagen und als Baumaterialfür ihre Tempel. Chemisch gesehen ist Bitumen eine geheimnis-volle «Suppe» aus Harz, Öl und Polymeren. Über die innere Struk-tur oder weshalb Bitumen so gut bindet, darüber weiss die Wis-senschaft noch herzlich wenig.

Mit Hilfe der Nanotechnologie wollen die Empa-Wissen-schaftlerInnen dem Geheimnis nun auf die Spur kommen. Sie hof-fen, mit Kenntnissen über die Wechselwirkungen der Moleküleverstehen zu lernen, was Bitumen sozusagen im Innersten zu-sammenhält. Diese Erkenntnisse sollen dann helfen, wichtige Ei-genschaften von Bitumen masszuschneidern, damit Strassenbelä-ge beispielsweise weniger schnell altern.

Um diese Nanoforschung voranzutreiben, rief Partl mit einemKick-off-Meeting ein neues internationales Komitee ins Leben, dasunter der Dachherrschaft der wichtigen RILEM-Vereinigung (RI-LEM International Union of Laboratories and Experts in Con-struction Materials, Systems and Structures) steht.

Es blieb jedoch nicht bei dieser einen Gründung: ISAP verfügtseit dem Symposium im August ebenfalls über ein neues Komitee,das von Partl gegründet und geleitet wird. Dieses verschreibt sichtechnischen Lösungen, die die Umweltverträglichkeit vonAsphaltbelägen gewährleisten sollen.

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10.7m

4.2m

65 kN

ElektrischeSteuerung

Generator

Transport-räder

Lasträder 3.0 m

1Erste Auswertungsarbeitennach dem Einsatz des Ver-kehrslastsimulators «MLS10»finden noch vor Ort statt.

2Der elf Meter lange und dreiMeter hohe Koloss muss fitsein für den Dauereinsatzund dementsprechend tadellosgewartet sein.

3Schematische Darstellung desVerkehrslastsimulators.

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Empa-Strassentester im DauereinsatzNeben derartigen Forschungsprojekten geht es Partl jedoch vor al-lem um die Umsetzung des erarbeiteten Wissens in die Praxis.Etwa mit Hilfe des «MLS10». Hinter dem rätselhaften Kürzel ver-birgt sich ein von der Empa zusammen mit der südafrikanischenUniversität Stellenbosch entwickelter Verkehrslastsimulator, derStrassenbeläge im Zeitraffertempo verschleisst und dadurch derenAlterung simuliert. Inzwischen wurde der Strassentester auf Herzund Nieren überprüft. Die Resultate waren derart überzeugend,dass die Empa mit Unterstützung des Bundesamts für StrassenASTRA die Maschine Anfang dieses Jahres erworben hat. «DieAuftragsbücher für unsere mobile Grossanlage füllen sich all-mählich mit spannenden Projekten», berichtet Partl.

Nächstens wird der Tester auf der A4 im Zürcher Knonauer-amt einen neu erstellten Autobahnabschnitt malträtieren. Im vomASTRA finanzierten Projekt werden Daten gesammelt, die nachder Inbetriebnahme der Autobahn als Vergleichswerte dienen sol-len. Partl: «In einigen Jahren, nachdem hunderttausende von Last-wagen und Autos den Abschnitt befahren haben, werden wir se-hen, ob sich der Belag tatsächlich so präsentiert, wie wir es mitunserer beschleunigten Abnützung vorausgesagt haben.»

Selbstverständlich können Partl und seine Crew bereits heu-te etliches über die zu erwartende Lebensdauer eines untersuch-ten Strassenabschnitts aussagen und Empfehlungen zur Sanie-rung von alten Strassen oder zur Dimensionierung von zukünfti-gen Belägen abgeben. So wird der Empa-Strassentester auch in ei-nem Projekt des 7. EU-Rahmenprogramms eine (ge-)wichtige Rol-le spielen: Strassenbeläge im EU-Mitgliedstaat Polen und in derAssoziierungspartnerin Ukraine sollen besonders energie- undressourcenschonend saniert werden.

Auch Pflasterstrassen müssen dran glaubenDer Strassentester eignet sich aber nicht nur für Einsätze auf Au-tobahnen. Deshalb beabsichtigt die Empa zusammen mit ver-schiedenen Industriepartnern und dem Institut für Geotechnik derETH Zürich demnächst ein Projekt zu verschiedenen Pflästerun-gen und Plattendecken für Strassen durchzuführen. Auf einemStrassenabschnitt mit ungebundenen und gebundenen Pfläste-rungen wollen die Forscher Feldversuche anstellen. «Pflasterstei-ne sind wie Zähne in einem Gebiss», erläutert Partl. Es gilt, sie sogut wie möglich im Fundament zu verankern. Die Steine müsseneine gute Unterlage zum Begehen und Befahren bieten und dür-fen sich auf keinen Fall selbständig machen oder zu wackeln be-ginnen. Partl will mit seinem Team herausfinden, welches Fun-dament sich für den Belag mit Pflastersteinen am besten eignet,welche Pflastersteingrösse ideal ist und wie sich die Fugen am bes-ten ausbilden lassen, damit keine Risse entstehen. Derzeit exis-tiert in der Schweiz noch keine zuverlässige Norm für den Bauvon Pflaster- und Plattendeckenstrassen. Der Strassentester solldafür nun die notwendigen Daten liefern. //

Dienstleistung // 23

Empa-Forscher Manfred Partl erhieltProfessur an der KTH Stockholm

Die Königlich Technische Hochschule Stockholm(KTH) hat Manfred Partl Ende Juni zum «AssociateProfessor for Highway Engineering» ernannt. Ein Drit-tel aller schwedischen Ingenieurinnen und Ingenieu-re durchlaufen ihre Ausbildung an der KTH. Partl hatbereits Lehraufträge an der kanadischen Carleton Uni-versity in Ottawa und an der ETH Zürich, begleitetDoktorarbeiten an der argentinischen UniversidadNacional in Rosario und an der italienischen Univer-sità Politecnica delle Marche in Ancona. An der gröss-ten technischen Hochschule Schwedens wird Partl inZukunft auch als Doktorvater amtieren und eine ei-gene Doktorandengruppe aufbauen. Ab 2009 wird erzudem in Blockkursen KTH-Studierende im Bereichmechanische Langzeiteigenschaften von Baustoffenim Asphaltstrassenbau unterrichten.

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24 // Wissens- und Technologietransfer

Nano-Gefahrenim BrennpunktNano zwischen Hype und Hysterie: Die Diskussionum eventuelle Risiken der Nanotechnologiewird immer lauter. Die weltweit führenden Nano-toxikologen trafen sich im September zueinem Kongress in Zürich. Dabei wurde deutlich:Es gibt keinen Grund zur Panik, aber einige Fragenrund um die winzigen Partikel müssen dringendbeantwortet werden.

TEXT: Ivo Marusczyk

Der Brocken ist zu gross für dieFresszellen: Die «Ausputzer» desImmunsystems greifen den Fremd-

körper an, können ihn aber nicht beseiti-gen. Es handelt sich um ein Nanotube, einKohlenstoff-Nanoröhrchen. Und die Mikro-skopaufnahme, die Ken Donaldson vomZentrum für Entzündungsforschung derUniversity of Edinburgh beim Kongress«Nanotox 2008» auf die Leinwand des Hör-saals projiziert, zeigt deutlich: Das Nano-röhrchen ist so klein, dass es ins Gewebevordringen kann, aber zu gross, um vonden Makrophagen verschlungen zu wer-den. Er verbleibt im Körper, wo es nachAnsicht des schottischen Fachmanns Un-heil anrichten kann. Im Gegensatz zu denspeerähnlichen Nanotubes, die DonaldsonMäusen injizierte, ähneln die meisten heu-tigen Röhrchen eher vielfach verhedder-ten, verwickelten Telefonschnüren oder siesind deutlich kürzer als Donaldsons Ver-suchspartikel – leichte Beute also für dieFresszellen. Doch lange, gerade Nanotubesverhalten sich offenbar ähnlich wie Asbe-stfasern: Binnen 24 Stunden riefen sieschwere Entzündungsreaktionen hervor.

Solche Resultate lassen aufhorchen. Na-nopartikel gelten nach wie vor als Hoff-nungsträger für neue Werkstoffe und Be-

schichtungen. Die winzigen Teilchen sorgenfür schlierenfreie Fenster, machen das Fahr-rad von Olympiasieger Fabian Cancellarastabil und gleichzeitig leicht. Und sie sollenin Zukunft Medikamente zielgenau zu er-krankten Organen transportieren. Doch wieNanoteilchen auf Lebewesen wirken, wel-chen Schaden sie gar im Körper anrichten –bei dieser wichtigen Frage fällt die Antwortnoch schwer. Manche Untersuchungen wei-sen auf Gefahren hin, andere Ergebnisse be-ruhigen, und Vergleiche zwischen den Un-tersuchungen sind kaum möglich. Völlig ei-nig sind sich die Fachleute nur in einemPunkt: Es besteht Diskussionsbedarf.

Treffen der Nanotoxikologen in ZürichDrei Tage lang trafen sich deshalb die wich-tigsten Vertreter des neuen Forschungsge-biets «Nanotoxikologie» in Zürich, um einigeder bisher bekannten Puzzleteile zu einemgrösseren Ganzen zusammenzufügen. Ge-meinsam mit Fachleuten der ETH Zürich undder Universität Bern hatte Empa-Experten Ha-rald Krug zu der Tagung eingeladen.

Noch sehen die Biologen, Chemiker undToxikologen, die sich zur «Nanotox 2008»versammelt hatten, keinen Grund, Alarm zuschlagen. «Immerhin zeigt Donaldsons Un-tersuchung auch, dass kleinere Nanotubes

1Bei der «Nanotox 2008»konnte Empa-FachmannHarald Krug (links) auchseinen schottischenKollegen Ken Donaldsonbegrüssen. DessenStudien hatten für grossesAufsehen gesorgt.(Foto: Ruedi Keller)

2Histologische Schnitt-aufnahme: Makrophagen,die Fresszellen desImmunsystems, habenProbleme mit langen,gerade Fremdkörpernwie Asbestfasern oderNanoröhrchen. (Aus:Nature Nanotechnology,Vol. 3, July 2008, p. 427)

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Wissens- und Technologietransfer // 25

ungefährlich sind. Und die langen Röhrchen,die sich wie Asbest verhalten sollen, werdenim Alltag nicht verwendet», sagt Krug.

Sicher ist, dass es innerhalb des Körperskaum Barrieren gibt, die für die winzigen Teil-chen nicht passierbar sind. Ihre Auswirkun-gen auf den Organismus sind aber erst in An-sätzen erforscht. «Es gibt neue Risiken. Abersicher nicht so viele, wie manche befürch-ten», fasst Kenneth Dawson vom UniversityCollege in Dublin zusammen. «Die Nano-technologie ist eine Chance, wie jede Genera-tion sie nur einmal erlebt. Die dürfen wirnicht verspielen.» Er befürchtet, dass fehlen-de Erkenntnisse mittelfristig zu Unsicherheitund Bedenken in der Öffentlichkeit führenund dem Ruf der neuen Technologie schaden.

Das Fehlen von Standards behindertdie ForschungDawson beklagt vor allem das Fehlen ein-heitlicher Standards und Versuchsprotokolle.Das macht es schwierig, die Aufsehen erre-genden Ergebnisse einzelner Forscherteamszu vergleichen oder ihre Relevanz zu beur-teilen. Internationale Organisationen wie dieOECD haben es noch nicht geschafft, ent-sprechende Richtlinien zu erlassen. Deswe-gen wurde im Rahmen der «Nanotox 2008»auch eine Initiative zur Harmonisierung der

Risikoforschung ins Leben gerufen. Vertreterder weltweit wichtigsten Forschungszentrenwollen einheitliche Protokolle und Regeln fürRingversuche einführen.

Insgesamt waren 270 Forscherinnenund Forscher aus 29 Ländern nach Zürichgekommen. Das Interesse sei noch grössergewesen, doch wegen des eingeschränktenPlatzangebots musste Krug die Teilnehmer-liste vorzeitig schliessen. Fünf Experten hat-ten den Weg von Australien beziehungswei-se Neuseeland auf sich genommen. 28 Be-sucher kamen aus den USA und Kanada. Einhochrangiges Treffen: «Wir konnten diewichtigsten Forscher weltweit nach Zürichholen. Wir hatten genau diejenigen Fachleu-te hier, die sich international abstimmenmüssen, um bei der Beurteilung der Risikenweiterzukommen», zieht Krug Bilanz. Under attestiert grosse Fortschritte, seit dem ers-ten Treffen in Miami vor zwei Jahren.

«Um nur ein Beispiel zu nennen: Fastalle Forscher, die Vorträge gehalten oder ihreArbeit auf Postern vorgestellt haben, habeneine genaue Beschreibung der verwendetenNanomaterialien mitgeliefert. Das war vorzwei Jahren noch nicht der Fall», sagt Krug.«Hier sieht man ganz deutlich, dass der Aus-tausch, den wir etablieren wollen, die For-schung weitergebracht hat.» //

«Nano» zum Anfassen

«Was neu ist, macht oft Angst. Darum ist es wich-tig, der Öffentlichkeit neue Technologien wie dieNanotechnologie verständlich zu erklären», sagtAndreas Wälchi, Student am Zentrum für berufli-che Weiterbildung ZbW in St.Gallen. Gemeinsammit Studierenden des Gewerblichen Berufs- undWeiterbildungszentrums (GBS) in St.Gallen undLehrlingen der Empa betreute er die 4. NanoPu-bli, eine Ausstellung, die Nanotechnologie für diebreite Öffentlichkeit verständlich vermittelt – die-ses Jahr unter dem Titel «Nanotechnologie erle-ben». So durften Besucher etwa Hightech-Stoffemit Ketchup bekleckern und dann mit Cola «wa-schen». Die nanobeschichteten Textilien wiesenauch nach der stärksten Verschmutzung keineRückstände mehr auf. Bei Vorträgen und Experi-menten der Empa-Forscher um Marcel Halbeisenkonnten die Gäste erfahren, welche Möglichkei-ten, aber auch Risiken die Nanotechnologie birgt.

Mikroskope boten spannende Einblicke in die Welt desKleinen; der Nanokosmos lässt sich aber selbstmit Lichtmikroskopen noch nicht sichtbar machen.

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Einblickeins Lebender Bronzezeit

Schon von weitem sind die Hammerschläge auf den Ambosszu hören. Der Verein für experimentelle Archäologie EXPE-RIMENTA, hat zum Tag der offenen Tür unter dem Titel «Le-

ben wie in der Bronzezeit» auf das Empa-Areal Kämmaten bei Dü-bendorf geladen. Die 25 Mitglieder, darunter fünf Empa-Mitarbei-tende, sind dabei, prähistorische Handwerkstechniken zu erler-nen, um Fragen zum Leben in der Frühzeit zu beantworten. DerVerein will so die Brücke zwischen Theorie und Praxis schlagen,zwischen archäologischen Fundgegenständen und ihrer tatsächli-chen Verwendung in grauer Vorzeit.

Die Mitglieder des Vereins verbringen einen grossen Teil ih-rer Freizeit auf dem Empa-Areal Kämmaten. Warum opfern sieihre Zeit dafür? Eveline Haydon, Archäologiestudentin, fasziniertvor allem das Praktische. «Vieles kennen wir nur in der Theorie.Aber ich will wissen, wie es damals wirklich war, und rekonstru-ieren, ob die gefundenen Gegenstände tatsächlich auf die vermu-tete Art und Weise verwendet worden sind.»

26 // Wissenschaft im Dialog

KMU erhalten Unterstützungdurch die Wissenschaft

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU)haben häufig zu knappe Ressourcen füreine eigene Entwicklungsabteilung, uminnovative Produkte auf den Markt zubringen. In der Schweiz gibt es verschie-dene Institutionen, die sie im Innovati-onsprozess unterstützen. Mit dem «Inno-vation Day 2008» schufen SwissTexnet –das textile Innovationsnetzwerk derSchweiz – und die Empa eine Plattformfür den Austausch zwischen Vertreternvon Textilunternehmen, Exponenten derInnovationsförderung und der For-schung.

Häufig ist fehlendes Kapital ein we-sentlicher Bremsklotz für Innovationenin KMU. Dabei sind neue Produkte be-sonders für kleine Unternehmen wichtig,denn sie fördern Gewinn, Wachstum,Image – und damit nicht zuletzt die Mo-tivation der Mitarbeitenden. Hier hilft dieFörderagentur für Innovation (KTI) mitder Finanzierung von Forschungsprojek-ten an der Schnittstelle zwischen Wis-senschaft und Wirtschaft. Im vergange-nen Jahr hat die KTI 270 Unternehmenunterstützt, 78 Prozent davon warenKMU. Marktfähige, innovative Produkteentstanden etwa aus der Zusammenar-beit der Empa mit den Textilfirmen Weis-brod-Zürrer AG und Unico swiss texGmbH.

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Wissenschaft im Dialog // 27

Genau das ist auch Marianne Senn wichtig, der Leiterin desZentrums für Kulturgüteranalytik (ZKGA) an der Empa: «Wennich noch nie am Herd gestanden bin, kann ich hundert Rezepte le-sen. Kochen kann ich dann immer noch nicht». Zurzeit untersuchtsie, wie ein so genannter Rennofen funktioniert. In ihm wurdenEisenerz und Holzkohle verbrannt, um einen «Eisenschwamm» zugewinnen, aus dem unsere frühen Vorfahren dann Werkzeugeund Waffen schmiedeten.

Von Schwertern bis zu kleinen Nägeln wird von EXPERI-MENTA alles handgefertigt. Wie die Klinge einer Waffe ge-schmiedet wurde, zeigt Metall-Experte Markus Zgraggen an derEsse. Ein Schwert bedeutet enormen Aufwand: Mindestens 100Arbeitstunden stecken in einer fertigen Waffe, vom Schmieden biszur Verzierung des Griffs. Die Klingen werden aus so genanntemDamasteisen hergestellt und sind dadurch fast unzerbrechlich. //

Grosser Andrang bei Zürcher«Nacht der Forschung»

Am 26. September verwandelte sich das Zürcher See-becken in ein Labor unter Sternen. Die in fast 30 eu-ropäischen Ländern ausgerichtete «Nacht der For-schung» zog allein in Zürich 15000 BesucherInnen an.Bis Mitternacht hatten sie Gelegenheit, Wissenschaft-lerInnen zu ihrem Spezialgebiet «auszuquetschen» –an sechs Themenständen auch ForscherInnen derEmpa.

«Wir reisen doch extra ans Tote Meer, um im Bromzu baden», reklamierte eine ältere Zuhörerin, als sieden Ausführungen der Empa-Chemiker zum Weg vonbromierten Flammschutzmitteln bis in die Organe derFischen in unseren Gewässern folgte. Detailliert er-klärt ihr der Fachmann, dass die Wissenschaft vielebromhaltige Verbindungen als Umweltgefahr taxiert.

Ein paar Schritte weiter zog eine silberne Schau-fensterpuppe die Blicke auf sich, am Stand der Empa-Spezialisten für funktionelle Fasern und Textilien. Ei-ner von ihnen trug ein spezielles Metallfaser-Shirt, dasseine Herzaktivität per Funk auf den Computer über-trug. Im Internet konnte das Publikum beobachten,wie sein Puls stieg, wenn knifflige Fragen kamen.

Wer beim Zuhören zu frieren begann, konnte sichauf dem Shuttle-Boot zwischen Bellevue und Zürich-horn aufwärmen. «Komm, hilf mir», wurde ein kleinerKnirps aufgefordert, der fasziniert beobachtete, wieaus einem «Ballon», Kabeln und ein paar Stäbchen eintragfähiger Balken entstand. Was der Empa-Forscherwährend der rund 10-minütigen Fahrt zu «Tensairity– Bauen mit Luft» vorführte, wird nicht nur dem jungenBesucher im Gedächtnis bleiben.

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Veranstaltungen30. Oktober 2008Feuer, Wasser, Luft und Licht –Neues aus Chemie und Textil10. Empa-TextiltagungEmpa, Dübendorf, AkademieTagungsleitung: Martina Hirayama, ZHAW Winterthur

4. November 2008Fitnesskur für das Bauwerk SchweizEmpa Technology BriefingEmpa, Dübendorf, AkademieTagungsleitung: Mark Zimmermann, Empa

4. November 2008Empa-Kolloquium: Photovoltaicsof the Third GenerationEmpa, Dübendorf, Theodor-Erismann-AuditoriumReferent: Peter Bäuerle, Universität Ulm

5. – 6. November 2008Titan-Anwenderseminar 2008Empa, DübendorfOrganisation: Empa Akademie / Haus der Technikder RWTH AachenLeitung: Heinz Sibum, ThyssenKrupp Titanium

10. November 2008Moderne Implantate und deren EntwicklungEmpa Technology BriefingEmpa, Dübendorf, AkademieTagungsleitung: Arie Bruinink, Empa

16. bis 18. November 2008A Look inside Solar CellsCentro Stefano Franscini, Mone Verità, Ascona.Organisator: Frank Nüesch, Empa

25. November 2008Empa-Kolloquium: MagnetoelectronicsEmpa, Dübendorf, Theodor-Erismann-AuditoriumReferent: Daniel Bürgler, Forschungszentrum Jülich

Details und weitere Veranstaltungen unterwww.empa-akademie.ch

Ihr Zugang zur Empa:

Die Nanotox 2008

war eine hervorragende

wissenschaftliche

Konferenz. Es ist den

Veranstaltern gelungen,

die wichtigsten Meinungs-

führer in der Welt

der Nanotoxikologie nach

Zürich zu holen.

Ken DonaldsonNanotoxikologe,University of Edinburgh

Meinung

Ken Donaldson

[email protected] +41 44 823 44 44www.empa.ch/portal