41
HANDELSHOF LEIPZIG NEUGESTALTUNG EINES MESSEPALASTES LEIPZIGER STADTBAU AG

Handelshof Leipzig

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Fotografie, Architektur

Citation preview

Page 1: Handelshof Leipzig

HANDELSHOF LEIPZIG

NEuGEStALtuNG EINES

MESSEPALAStES

LE

IPZ

IGE

r S

tA

Dt

bA

u A

GDer Handelshof – Stein gewordenes Zeugnis

Leipziger Geschichte und Ort spannender

Geschichten. Hervorgegangen aus dem Wandel des

Messewesens infolge der Industriellen Revolution

verkörpert der Handelshof eine über einhundertjährige

Tradition geschäftstüchtigen Handels. Er ist Ort

grenzüberschreitender Begegnungen und zeugt

vom Selbstbewusstsein einer Stadt und ihrer Bürger.

Orientierung und Neuanfang führten zu seinem

Entstehen, Verantwortung setzte Maßstäbe für seine

architektonische Gestaltung. Sie stellten die Weichen

für die eigentliche Herausforderung: ein großartiges

Gebäude im Herzen der Innenstadt durch eine

zukunftsorientierte Umnutzung und denkmalgerechte

Sanierung in das Leben und Bewusstsein der

Leipziger und ihrer Gäste zurückzuführen.

Leipzig, Handelshof, um 1909

Atelier Hermann Walter, vor 1913

HA

ND

EL

SHO

F L

EIP

ZIG

N

Eu

GE

StA

Lt

uN

G E

INE

S M

ESS

EPA

LA

StE

S

Page 2: Handelshof Leipzig
Page 3: Handelshof Leipzig

HANDELSHOF LEIPZIG

NEUGESTALTUNG EINES

MESSEPALASTES

LEIPZIGEr STADTbAU AG

Page 4: Handelshof Leipzig

6

In diesem Haus steckt viel von Leipzig – Geschäftigkeit und Repräsentation, Bürgerstolz und Geltungsdrang. Der Name ist Programm: Handelshof. Er wird sich in sei-

ner neuen Paraderolle als eine Perle in der Kette der Steigen-berger Grandhotels den Leipzigern und den Besuchern dieser Stadt einprägen. Der Austausch von Waren, an einer Stelle, wie sie zentraler für Europa kaum sein könnte, machte Leipzig wohlhabend und bekannt. In den Höfen, vor allem in den berühmten Durch-gangshöfen der Innenstadt, wogte besonders zur Messezeit der Handel hin und her, dort wurden auswärtige Kaufleute will-kommen geheißen und gute Geschäfte besiegelt. Die Leiden-schaft für Innovationen verbündete sich trefflich mit nüchternem ökonomischen Kalkül. Auf diese historische Mittlerfunktion im großen Weltgetriebe sind die Leipziger zu Recht stolz. Im Na-men Handelshof schwingt der Anspruch mit, ein Flaggschiff hoher Ansprüche zu sein.

Die seit den 1870er Jahren einsetzende Entwicklung war für Leipzig Glückssträhne und Prachtentfaltung schlechthin. „Pleiß-Athen“ reihte sich in die Spitzengruppe der am schnells-ten wachsenden europäischen Städte ein. Umliegende Ort-schaften, die heutzutage jeder nur als Leipziger Stadtteile im

Munde führt, wurden eingemeindet, um von deren industriel-lem Aufschwung zu profitieren. Repräsentative Fabrikantenvil-len begannen die Kanten der Parks zu säumen. Für die rasch wachsende Arbeiterschaft wurden auf frisch abgesteckten Arealen typisierte Wohnhäuser hochgezogen. Sechs rund um das Stadtzentrum gruppierte Fernbahnhöfe verlangten gerade-zu, in einem „Central-Bahnhof“ vereint zu werden. Leipzig bau-te seine Spitzenposition als Stadt des Buches aus und festigte mit dem Bau des Reichsgerichts – in seiner wuchtig auftrump-fenden Gestalt bewusst an den Reichstag in Berlin angelehnt – seinen Ruf als Stadt des bürgerlichen Rechts. Die Leipziger Messe stieg zur Weltmesse auf und brauchte neue Ideen, wie der expandierende Handel weiter florieren kann.

Nur der Rat der Stadt saß immer noch in dem zwar schönen, repräsentativen, aber viel zu engen Renaissance-Rathaus am Markt. Der Leipziger Rat begann, die dicht an dicht mit den historischen Fleischbänken und Schänken bebauten Grund-stücke hinter dem Rathaus aufzukaufen, um nach dem nötigen Komplettabriss einen größeren Verwaltungsneubau für die ex-pandierende Metropole zu errichten. Als der Rat das Areal in seiner Hand hatte und endlich mit dem Bau beginnen wollte, fiel jedoch eine andere Entscheidung. Auf dem Grundstück

rAUM Für GUTE GEScHäFTE – rEFUGIUM Für ANSPrUcHSvOLLE GäSTE

Page 5: Handelshof Leipzig

7

der ehemaligen Pleißenburg am Rande des Stadtzentrums sollte die neue „Bürgerburg“ entstehen. Das historische Alte Rathaus entging im letzten Moment dem Abriss und an der südwestlichen Ecke der einstigen Stadtbefestigung erhob sich alsbald das Neue Rathaus. Ein größeres stand nirgend-wo im Deutschen Reich. Es sollte ja zum Lebensgefühl der Stadt Leipzig passen. Damit war das arrondierte Grundstück in exponierter Zentrumslage plötzlich wieder frei für andere Nut-zungen. Schnell stellte sich heraus, dass es perfekt zu dem soeben modernisierten Profil der Leipziger Messe passte. Mit seiner ersten Mustermesse im Jahr 1895 sprang Leipzig mu-tig auf den Zug der Zeit auf und eroberte mit Innovationskraft die Steuerungsfunktion im internationalen Handel zurück. Das Städtische Kaufhaus am Neumarkt war weltweit das erste wirklich moderne Messehaus für die Präsentation von Waren-mustern.

Nach einer aufregenden Bauphase, die sich über die Jahre 1908 bis 1909 erstreckte, erhielt das Leipziger Messeamt mit dem Handelshof nunmehr seinen zweiten Ausstellungspalast. Rund 9.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, verteilt über vier Stockwerke, verschafften ihm den dritten Platz im erlauchten Kreis der letztlich 30 innerstädtischen Leipziger Messehäuser.

Handelshof, Grimmaische Straße, Ecke Naschmarkt

Page 6: Handelshof Leipzig
Page 7: Handelshof Leipzig

11

wenn sich die Besucher erst an das rote Sowjetbanner ge-wöhnen mussten, das sie oberhalb des Eingangs empfing. An den Fassaden vieler Häuser prangten in jenen Tagen kyrillische Schriftzeichen.

Mit der Gründung zweier deutscher Staaten im Jahre 1949 vertiefte sich die Spaltung und die Verankerung in zwei völlig verschiedenen Wirtschaftssystemen. Gerade deshalb ist je-doch die Rolle der Leipziger Messen nicht hoch genug ein-zuschätzen. Sie stellten zweimal im Jahr für einen vom freien Weltmarkt abgeschotteten Teilmarkt bescheidene Kontakte her und zeigten wie auf einem Präsentierteller die im Laufe der Zeit immer fernere, gerade deshalb aber begehrte Warenwelt. Den Frühjahrs- und Herbstmessen waren rege Besucherströme si-cher. Am Wahrheitsgehalt des Leipziger Selbstverständnisses „Zweimal im Jahr sind wir Millionenstadt“ konnte kein Zweifel aufkommen.

Intensiver als jemals zuvor wurden die Messehäuser seit den 1960er Jahren auch außerhalb der jährlich wiederkehrenden Frühjahrs- und Herbstmessen genutzt. Betriebe, denen die zentrale Planung nicht genügend Heizmaterial zugeteilt hatte, bemühten sich darum, Teile der Belegschaft im Winter in den

gut geheizten Handelshof ziehen zu lassen und führten darü-ber einen intensiven Schriftwechsel mit der Vermietungs-Ab-teilung des Leipziger Messeamtes.

Fand in Leipzig ein Turn- und Sportfest der DDR statt, wur-den zahlreiche Teilnehmer in den Messehäusern einquartiert. Hätte einer der im Handelshof untergebrachten Sportler aus dem Bezirk Gera damals geäußert, er habe davon geträumt, dass in die Räume seiner bescheidenen Gemeinschaftsunter-kunft später mal ein Grandhotel einziehen wird – er wäre sicher schallend ausgelacht worden.

Im Handelshof fanden zwischen den Messen Präsentatio-nen einzelner Kombinate für Einkäufer aus Großhandelsbe-trieben statt. Hier zog vorübergehend der Drehstab für den DEFA-Film „Du und ich und Klein-Paris“ ein, einen in Leipzig spielenden Unterhaltungsstreifen nach einem Buch von Rudi Strahl. Und für mindestens eine Generation Leipziger Kinder war der Handelshof immer in der Vorweihnachtszeit der Ort für die große Modelleisenbahn-Ausstellung. Zwei der bekannten Großanlagen, der Fährhafen Sassnitz auf Rügen mit der Eisen-bahn-Verladung auf die Fährschiffe nach Schweden und die Gotthardbahn in der Schweiz, waren die Publikumsrenner. So

Geschäfte in der Reichsstraße Geschäft am NaschmarktLadenzone, Grimmaische Straße in Richtung Altes Rathaus

Ladenzone, Grimmaische Straße in Richtung Reichshof

Page 8: Handelshof Leipzig

12

verwandelten sich Kinderträume in die Sehnsucht nach der weiten Welt ...

Ende der 1980er Jahre deutete sich an, dass in Leipzig nichts mehr seinen fatal gewordenen, üblichen Gang gehen konnte. Nirgendwo als auf den Messen wurde so deutlich, wie sich der technologische Abstand des Ostblocks zum Westen laufend vergrößerte. Abgeblockte Reformen, verweigerte Bürgerrechte und fehlende politische Freiheiten stauten sich zu einem ex-plosiven Gemisch an. So reifte der 9. Oktober 1989, der Tag der Entscheidung, heran. Das spürten alle Leipziger und zwar unabhängig davon, welchen Hoffnungen oder Illusionen sie sich hingaben.

Von den sturzbachartigen Veränderungen wurde nicht zuletzt die Leipziger Messe mitgerissen. Schon die Frühjahrsmesse im März 1990 offenbarte, wie sehr die nun offenen Grenzen das faktische Leipziger Messeprivileg im Ost-West-Handel ausge-höhlt hatten. Der Druck, sich in Leipzig zeigen zu müssen, um Geschäfte im Osten Deutschlands machen zu können, war weg. Die Messebeteiligung wandelte sich von der stillschwei-genden Präsenzpflicht der Aussteller zur längst fälligen freien Entscheidung nach den Spielregeln des Marktes.

Dadurch tauchten im Handelshof zuvor nie gesehene, teils exotische Aussteller auf, die ihr Glück in dem urplötzlich offe-nen, konsumfreudigen Absatzgebiet suchten. Insgesamt aber ging die Messebeteiligung gegenüber den Jahren zuvor deut-lich zurück. Auch der Besucherstrom wälzte sich nicht mehr in gewohnter Intensität über die so vertraut knarrenden Holz-dielen des in die Jahre gekommenen Handelshofs, weil es in-zwischen ausreichend andere Informationsmöglichkeiten über Produktneuheiten und aktuelle Angebote gab.

Alles hat seine Zeit. Im einst so stolzen, mittlerweile jedoch arg lädierten Handelshof fand 1991 die letzte Messeveranstaltung statt. Anschließend senkte sich der Vorhang über dieses Kapi-tel Leipziger Handelsgeschichte. Ansichtskarten als gedruckte Zeitzeugen des Messetrubels, Sonder-Briefmarken mit den Ansichten des Handelshofs und die Zeitgeist verströmenden Werbemarken wanderten ins Archiv der Leipziger Messe.

Unter wachsendem Wettbewerbsdruck entschied die neue Geschäftsführung der Leipziger Messe GmbH, den sehr gro-ßen Schritt zu einem völlig neuen Messegelände im Norden von Leipzig zu wagen. Das begehrte Immobilienpaket der in-nerstädtischen Häuser sollte durch den Verkauf seiner einzel-

Relief einer Reiterfigur über dem Hoteleingang, Salzgäßchen

Türgewände mit Schlussstein, Reichsstraße Handelshof-Passage vom Naschmarkt zur Reichsstraße

Page 9: Handelshof Leipzig

13

nen Teile einen gewichtigen Beitrag zur Finanzierung des neu-en Geländes leisten.

Viele potenzielle Investoren besichtigten die Traditionsgebäude der Messegesellschaft in bester Innenstadtlage, darunter den Handelshof. Doch die Vorstellungen von Käufer und Verkäufer der in die Jahre gekommenen Häuser klafften meist erheblich auseinander, so dass sich die Veräußerungen länger als er-wartet hinzogen. In dieser Situation wurde für den Handelshof das Kapitel Interim aufgeschlagen: Bis zum Verkauf sollte das bekannte Haus nicht leer stehen, sondern mit vorübergehen-den Nutzungen gefüllt werden und somit in der Vermarktung bleiben. Ein anspruchsvolles Zwischenspiel eben.

So kam der Handelshof zu der seltenen Ehre, zwischen 1998 und 2004 das Interim des Museum der bildenden Künste zu beherbergen. Der gesamte Reichtum der Sammlungen ließ sich im Handelshof allerdings nicht zeigen, aber wenigstens ging der Kontakt der Kunstfreunde zu ihren geliebten Schät-zen dank Zwischenquartier nicht verloren. Keine Frage, dass massiv in dringend erforderliche Sicherheitstechnik investiert werden musste, ehe der Schritt vom Messehaus zum Schatz-haus möglich wurde.

Geschäftseingang Grimmaische Straße,

ursprünglich Haupt - eingang mit Portal

Page 10: Handelshof Leipzig
Page 11: Handelshof Leipzig

19

Blick vom Handelshof auf Riquet-Haus und Nikolaikirche

Überdachter Innenhof Brasserie „Le Grand“ am Naschmarkt

wiedererstandene Stadtzentrum möglich ist. Viele fleißige Hän-de regen sich derweil im Küchenbereich, um den Handelshof mit allem, was die Kochkunst hergibt, in der Leipziger Spitzen-gastronomie zu verankern.

Das zweite Obergeschoss ist die Konferenzetage. Zwei Konfe-renzräume mit 130 Plätzen, vier Seminar- und Gruppenräume und ein Boardroom bieten alle Möglichkeiten von der Tagung eines größeren Personenkreises bis zum gediegenen Rück-zugsraum für vertrauliche Besprechungen im kleinen Kreis.

Weiter nach oben geht es zu den Zimmern und Suiten. Die originalen Holzdielen in den Treppenhäusern blieben nach entsprechender Schönheitskur durch handwerklich erfahrene Tischler erhalten, die wertvollen schmiedeeisernen Ziergitter der Geländer in den Aufgängen ebenfalls.

Insgesamt 177 Zimmer und Suiten zählt der Handelshof. 163 Deluxe- und Superior-Zimmer, vier Junior-Suiten, neun Suiten mit getrenntem Wohn- und Schlafbereich sowie als Krönung die Präsidenten-Suite mit 200 Quadratmetern unterm Dach und einem Balkon zur Grimmaischen Straße bieten alle An-nehmlichkeiten für anspruchsvolle Gäste. Für die Möbel in den

Zimmern und Suiten wählte die Designerin Cornelia Markus-Diedenhofen kräftige Holztöne aus. Marmor und Swarowski-Kristall setzen Akzente in den Bädern. Lässt sich die Leitlinie des Designs, historisierende Elemente einzusetzen, auch in den Bädern fortsetzen? Ja, denn die Glastüren sind mit Ver-sen des Osterspaziergangs aus Goethes „Faust“ geschmückt. „Zufrieden jauchzet Groß und Klein“ ist klassische Zier und An-spruch in Einem.

Der Premium-Spa- und Wellnessbereich des Grandhotels ver-heißt „Feuer und Wasser.“ Er erstreckt sich über zwei Unterge-schosse des Hauses und lädt zum Entspannen ein.

An einer ganz unerwarteten Stelle holte der Umbau des Han-delshofs die ursprünglichen, vor mehr als einhundert Jah-ren geborenen Ideen der Architekten zurück: Der historische Durchgang zwischen Naschmarkt und Reichsstraße, der Jahr-zehnte verschlossen war, ist seit der Eröffnung des Grandho-tels im April 2011 wieder offen. Das anspruchsvolle Motto der Renaissance des Handelshofs „Wir geben den Leipzigern ein Stück Leipzig zurück“ wurde eingelöst.

Dr. Helge-Heinz Heinker

Handelshof, Grimmaische Straße, Ecke Naschmarkt

Page 12: Handelshof Leipzig

20

INS rESTAUrANT, INS DAMENPUTZGEScHäFT ODEr IN DIE vOGELFUTTErHANDLUNG?KLEINEr SPAZIErGANG UM DEN HANDELSHOF

Am Fisch- oder Fleischmarkt? Nein – am Naschmarkt!„Nimm die Finger weg, genascht wird hier nicht!“ – Wer hat dies als Kind nicht öfters einmal gehört? Das verstohlene und mehr oder weniger unerlaubte Genießen von etwas Essbarem ist Ursache der Namensgebung für einen Leipziger Markt, der sich Ende des 16. Jahrhunderts herausgebildet hat.

An irgendeiner Stelle, die heute der Handelshof einnimmt, wer-den schon um 1600 in „geraumer“ (geräumiger) Stube „das gantze Jahr hindurch sowohl Frembde als Einheimische ums Geld nach Belieben gespeiset“. Der Burgkeller-Komplex mit zwei Stadtküchen, Brotverkaufsständen und Gaststuben ent-wickelt sich im 17. Jahrhundert zur wichtigsten Imbiss- und Versorgungszentrale, zum „Fresszentrum“ der Stadt, das vor allem Fremde frequentieren. Und irgendein Extra, ob Brezeln, Krapfen, Makronen und dergleichen „Naschwerk“ kann man auf dem Platz vor allem zur Messezeit von fliegenden Händ-

lern kaufen. Obwohl die Bürgerschaft diesen Platz offensicht-lich schon lange Naschmarkt nennt, steht noch 1712 auf einem Stadtplan „Börsen oder Asch Marckt“ (Asch = Topf bzw. Schachtel, Dose). Offiziell wird der heutige Name erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts.

Der alte Burgkeller Ob ein im 15. Jahrhundert (ab 1419) mehrfach erwähnter Namensvetter „Burgkeller“ sich hier, am Markt oder anderen-orts befindet, ist bis heute nicht geklärt, wird aber 1934 zum feucht-fröhlichen Anlass genommen, ein 475-jähriges Burg-keller-Jubelfest am Naschmarkt zu veranstalten. Bescheidener bei solcherart Reputationserhöhung ist der Gastwirt Carl Bött-ger, der als Betreiber 1888 nicht auf irgendein methusalemi-sches Gründungsjahr zurückgreift, sondern schlicht von einem 25jährigen Jubiläum spricht, als er seine Burgkeller-Festschrift erscheinen lässt.

Altes Rathaus und Handelshof,

Luftbild 2010

Page 13: Handelshof Leipzig
Page 14: Handelshof Leipzig

24

sehaus Handelshof als moderne Großgaststätte mit einem Café im Hochparterre und Gasträumen in Souterrain und Kel-ler. Noch darunter befinden sich die weitläufigen Lager- und Versandkeller der renommierten Weinhandlung Fertsch & Si-mon: „Viele Hunderttausend volle Flaschen haben sich in stil-ler Zurückgezogenheit hier zusammengefunden und harren darauf, bei fröhlicher Auferstehung Freudenspender für die Menschheit zu werden“, heißt es 1913 nach dem Besuch des sächsischen Königs Friedrich August, dem der nobelste Trunk des Kellers (ein 1900er Rubbertsberger Gaisböhl Ausbruch) offeriert worden war.

Die dritte Lebensphase des Burgkellers wird zum vollen Erfolg. Alle sind begeistert von dem als Wirtsgarten gestalteten Nasch-markt zwischen Goethe-Denkmal und Löwenbrunnen. Nur der stadtbekannte Dichter Georg Bötticher (Vater von Joachim Ringelnatz) hat einen schwerwiegenden Einwand. Warum? Wegen Goethe! Wieso? Seit 1903 steht der vom Bildhauer Carl Seffner gestaltete junge Goethe auf einem Denkmalsockel vor der Handelsbörse. Aber jetzt gibt es aufgrund des mit Zäu-nen und Grünpflanzen umstellten Burgkeller-Freisitzes plötzlich das Problem, dass man Goethe „gratis bloß von hinten / Un der Seite her betrachten gann“!

An das Denkmal nämlich hat m’r dichteÄnne Gartenwertschaft angebaut,Auf die gradezu mit’n GesichteUnser hochberiehmter Dichter schaut.Wer’n von vorn in Augenschein will nähmen,Gann das freilich nur im Restaurang …Nu, da goost m’r sich ä „Helles“ ähmen,Dafir hat m’r’n dann ooch stundenlang.

Rundumspaziergang um den Handelshof Man braucht 1929 fast zwei Stunden, wenn man sich in jedem der mindestens fünfundzwanzig Läden nur fünf Minuten aufhal-ten wollte – die Wegminuten ums Geviert nicht mitgerechnet.

Am Naschmarkt befinden sich das Burgkeller-Restaurant, ein Damenputzgeschäft, eine Vogelfutterhandlung und ein Elektro-laden. In der Grimmaischen Straße gibt es einen Glas- und Porzellanladen, eine Galanterie- und eine Seidenwarenhand-lung, ein Geschäft für Bürstenwaren, Textil- und Kurzwaren, ein Leinenhaus, eine Seilerwarengroßhandlung und einen Schokoladenladen. Im Salzgäßchen findet man eine Zahlstelle der Städtischen Sparkasse, die Weinhandlung En gros und

Blick von der Brasserie auf Alte Börse und Altes Rathaus

Brasserie und Eingang Handelshof-Passage am Naschmarkt

Spiegelung des Handelshofs in den Fenstern des Alten Rathauses

Goethe-Denk-mal von Carl

Seffner vor dem Eingang zur Handels-hof-Passage

Page 15: Handelshof Leipzig
Page 16: Handelshof Leipzig
Page 17: Handelshof Leipzig

27

En detail von Fertsch & Simon (Untergeschoss), einen Laden für Bürsten, einen für Bürobedarf, die Reinigungsanstalt Pura und ein Wollwarengeschäft. Entlang der Reichsstraße reihen sich auf: die Mammut-Werke, eine Wäschefabrik, ein Drechs-lergeschäft, ein Lotterieeinnehmer, eine Blumenhandlung, ein Korsett-, daneben ein Handschuhladen, das Musikhaus Lip-sia, eine Pelzwaren- und eine Weißwarenhandlung. Und zwi-schendrin gibt es irgendwo noch eine Bindfadenfirma.

Kaufte man in jedem Geschäft auch nur eine winzige Kleinig-keit – ein formendes Korsett, eine kleine Kehrschaufel, ein si-birisches Zobelpelzchen –, brauchte man mindestens vier Ge-päckträger, die einem die Einkäufe nach Hause trügen. Nein, man braucht mehrere Gepäckträger, denn allein ein Grammo-phon der Mammut-Werke kann man nicht so einfach unter den Arm klemmen.

Die Ladenmieter in den Erdgeschosszonen des Handelshofes kommen und gehen im Laufe von hundert Jahren. Überschau-bar ist die Anzahl derer, die über mehrere Jahrzehnte bleiben bzw. bleiben konnten wie die Weingroßhandlung Fertsch & Si-mon, die seit dem Neubau 1909 die Keller mietet und über die 1954 gar ein DEFA-Dokumentarfilm gedreht wird.

Viele Jahrzehnte floriert vor 1945 das Luxus- und Galanterie-warengeschäft von Louis Behne, seit den 1960er Jahren das Porzellangeschäft von Kristall Lorenz.

„Hast du Probleme in Hemd oder Hose – dann hilft dir Gummi-Klose“ Der Zufall bringt in den 1960er Jahren drei renommierte priva-te Leipziger Einzelhändler in den verliesartigen Gewölben der Reichsstraße in unmittelbare Nachbarschaft, was im ansons-ten volkseigenen Stadtgefüge zum Synonym für „Uns-gibts-immer-noch“ wird: Samen-Koch, Gummi-Klose und Waffen-Moritz sind neben Juwelier Gramm alteingesessene private Fachgeschäfte, deren Inhaber es mit eherner Standhaftigkeit schaffen, zu DDR-Zeiten nicht verstaatlicht zu werden.

„Hast du Probleme in Hemd oder Hose – dann hilft dir Gummi-Klose“ – lautet der offizielle Reklamespruch des ältesten Sani-tätshauses Deutschlands (1968–1990 im Handelshof), dem Viola Schäfer (Enkelin des Firmengründers) vorsteht, deren Haupteinnahmequelle das damals lukrative und diskrete Ge-schäft mit Kondomen ist (Nachnahmeversand in alle Orte der DDR). Bei Waffen-Moritz, d. h. beim Inhaber Günter Müller, gibt es zu DDR-Zeiten Jagd- und Sportwaffen, Munition, Zubehör

Fassade Salzgäßchen 2007, vor der Sanierung Nach der Sanierung 2011

Grandhotel Steigenberger, Salzgäßchen

Page 18: Handelshof Leipzig
Page 19: Handelshof Leipzig

31

DIE MESSEHäUSEr – AUFSTIEG UND FALL EINEr LEIPZIGEr ErFINDUNG

M it der Industrialisierung und der Massenproduktion entwickelte sich im späten 19. Jahrhundert das Messegeschäft von der Warenmesse zur Muster-

messe. Das bis heute gültige Logo der Leipziger Messe, das doppelte M, leitet sich von diesem Begriff ab. Es wurde 1917 vom Grafiker Erich Gruner im Auftrag des damals neu gegrün-deten „Meßamtes für die Mustermessen“ entworfen.

Um Warenmuster zu präsentieren, waren keine großen Flächen nötig, man konnte sie auf verhältnismäßig kleinem Raum und auf mehreren Ebenen unterbringen und zur Schau stellen. Da-mit war das Prinzip des Messehauses erfunden. Dieser neue Gebäudetyp fand schon bald seine funktionellen und ökono-mischen Grundsätze: Man schaffte möglichst einen Zwangs-rundgang, durch den die Einkäufer an allen Messeständen oder Kojen vorbei geführt wurden. Da die Grundstücke in Form und Größe sehr unterschiedlich waren, blieb es Aufgabe der Architekten, dafür jeweils eine Lösung zu finden. Obwohl den Messehäusern ein ähnliches funktionales Prinzip zu Grunde liegt, entwickelte sich kein einheitlicher Architekturstil. Das mag daran liegen, dass fast alle Messehäuser von verschiedenen Architekten entworfen wurden. Die architektonische Gestal-tung orientierte sich an den unterschiedlichen Stilen des be-

ginnenden 20. Jahrhunderts, vom Historismus über Reform- und Jugendstil zu Art Déco und Klassischer Moderne.

Der Erfolg des Bautyps Messehaus zeigt sich daran, dass al-lein bis 1918 siebzehn Messehäuser in der recht kleinen Innen-stadt von Leipzig errichtet wurden, zu denen bis 1938 weitere zwanzig hinzukamen. Das bedeutete, dass ältere Gebäude, meist aus Renaissance und Barock, abgebrochen werden mussten, darunter der berühmte Auerbachs Hof. In dieser Zeit muss die Innenstadt eine ständige Baustelle gewesen sein.

Im Zweiten Weltkrieg wurden mehrere Messehäuser durch Bomben beschädigt oder zerstört. Schon 1946 fand aber die erste Nachkriegsmesse statt, und viele Messehäuser wurden wieder auf- oder neu gebaut. Als Folge der deutschen Teilung bekam die Leipziger Messe eine stärkere politische Bedeu-tung: als Schaufenster zwischen den Wirtschaftsblöcken Ost und West. Als 1989 die Mauer fiel, fiel auch die DDR-Planwirt-schaft, und ein Ost-West-Schaufenster wurde überflüssig. In den vierzig Jahren der Nachkriegszeit hatten sich in der Bun-desrepublik mit der schnell gewachsenen Wirtschaft neben den vorhandenen Messeplätzen wie Frankfurt/Main und Köln viele neue Messen etabliert. In Hannover wurde, quasi als Er-

Handelshof Grimmaische Straße, Ecke Reichsstraße

Page 20: Handelshof Leipzig

36

Page 21: Handelshof Leipzig

37

vOM MESSEPALAST ZUM GrANDHOTEL

D ie Entscheidung für ein neues Konzept der Leipzi-ger Messe wurde zum Schicksal der sämtlich als Denkmale erfassten innerstädtischen Messehäu-

ser. Wegen ihrer zentralen Lage in einer historisch gewach-senen Infrastruktur galten sie als besonders begehrte Immo-bilien, die recht bald eine adäquate Nutzung erhalten sollten. Indes verlief der Umnutzungsprozess der alten Messehäuser nach Inbetriebnahme der Neuen Messe im April 1996 weni-ger schnell als erwartet. Im Zeitraum von nunmehr fünfzehn Jahren war er alles andere als eine denkmalpflegerische Er-folgsgeschichte, sondern in einigen Fällen durch Teilabbrüche und umfangreiche Entkernungen mit dramatischen Substanz-verlusten verbunden wie etwa beim Zentralmessepalast, dem Hansahaus, dem Petershof und dem ehemaligen Buchmesse-haus am Markt.

Diese zugegebenermaßen unvollständige Aufzählung verdeut-licht, dass sowohl von Seite der Bauherren als auch von den ausführenden Architekten die architektonische Gestaltqualität der Leipziger Messehäuser häufig nur unzureichend wahr-genommen wurde und es weitgehend an Bereitschaft und Fantasie fehlte, deren baukünstlerisches Potential kreativ zu nutzen.

Anzuerkennen ist natürlich, dass gerade bei den großen, le-diglich für Ausstellungszwecke errichteten Messepalästen mit ihren enormen Raumtiefen und Belichtungsproblemen die An-passung an eine neue Funktion in besonderem Maße Schwie-rigkeiten bereitet. Selten nur ist eine Umnutzung ohne struktu-relle Eingriffe und bauliche Erweiterungen möglich. Erfolgen die erforderlichen Umbauten aber mit dem gebührenden Respekt vor dem Original, d. h. in funktionaler und gestalterischer Ab-hängigkeit zum Vorhandenen, und wird vor jeder notwendigen Veränderung auch die Frage des Verlustes gestellt, so lassen sich selbst unter schwierigen Voraussetzungen Umbau und Erweiterung mit der Bewahrung von historischer Authentizität und besonderer Atmosphäre verbinden.

Beim Handelshof waren die Voraussetzungen für eine Umnut-zung jedoch vergleichsweise günstig. Wegen der besonderen städtebauliche Situation inmitten der Altstadt und der unmittel-baren Nähe zu Handelsbörse und Altem Rathaus hatten die Architekten Weidenbach und Tschammer mit ihrem bei einem 1905 durchgeführten Wettbewerb als Sieger hervorgegan-genen Entwurf zumindest für das Äußere ganz bewusst auf besondere Modernität der Erscheinung und Ablesbarkeit der Funktion verzichtet. Stattdessen war mit allerdings ins Monu-

Haupteingang zum Grandhotel

Steigenberger

Page 22: Handelshof Leipzig

38

mentale übertragenen Renaissance- und Barockzitaten, wie einer bewegten Fassadengestaltung, der durchgängigen Arka-dengliederung des Erdgeschosses, den Erkertürmen und dem hohen Mansarddach, versucht worden, den Neubau in einem durchaus historistischen Sinne möglichst harmonisch in das gewachsene Stadtbild einzufügen. Er sollte sich keineswegs als einer von seiner hauptsächlichen Nutzung bestimmter Zweckbau darstellen, sondern seiner Bezeichnung „Messpa-last“ gerecht werdend, hinter einer repräsentativen, durchaus wörtlich verstandenen palastartigen Fassade seine eigentliche Funktion verbergen. Die architektonische Verwandtschaft des Messepalastes zum aristokratischen Stadtpalais erschließt sich freilich erst auf den zweiten Blick, etwa beim Vergleich des ehemaligen Hauptzuganges an der Grimmaischen Straße, ehemals flankiert von monumentalen Skulpturen, die hier Tat-kraft und Gewinn symbolisierten, mit den Skulpturenportalen barocker Adelspaläste oder dem in die Dachzone hineinragen-den segmentbogenförmigen Frontgiebel, der dem Frontispiz einer Schlossfassade gleicht, wobei aber das Leipziger Stadt-wappen die Stelle der Kartusche für ein Adelswappen vertritt.

Die Moderne und Funktionalität des Baues zeigen sich erst im Inneren, wo mit der Stützen- und Deckenkonstruktion die

Stahlbeton-Skelettbauweise weitgehend sichtbar blieb. Der Handelshof besaß in den nur von Stahlbetonpfeilern getrage-nen Obergeschossen die Möglichkeit eines ungeteilten Um-ganges und Raum für über dreihundert variable Messekojen. Der Erschließung des Gebäudekomplexes dienten vier geräu-mige Treppenhäuser und Aufzüge. Das Erdgeschoss war für Einzelhandelsläden vorgesehen, die meist über Galerien mit dem Zwischengeschoss verbunden waren, sowie für die am Naschmarkt gelegene, schon im Vorgängerbau vorhandene Gaststätte Burgkeller.

Der bereits 1925 an der Seite des Salzgäßchens nach Plä-nen des Architekten Richard Tschammer in Verbindung mit Arno Caroli durch Aufstockung erweiterte Bau war bei dem großen Luftangriff auf Leipzig im Dezember 1943 erheblich be-schädigt worden. Die vor allem im Dachbereich ohne Turm-aufbauten und Erkerhauben vereinfachte Wiederherstellung der Nachkriegszeit hatte sich bis in die 60er Jahre hingezo-gen. An der Hauptfassade zur Grimmaischen Straße erfolgten unter anderem aus statischen Gründen die Verkleinerung der Schaufenster und die Beseitigung der Arkadengliederung mit einer im Zeitstil modern empfundenen Verkleidung aus Sand-steinplatten, die zu einer vollständigen Veränderung der Erd-

Hotellobby Hotellobby Richtung Empfang

Empfang Grandhotel

Page 23: Handelshof Leipzig
Page 24: Handelshof Leipzig

40

Blick vom Treppenhaus zum Empfang

Treppenhaus mit original erhaltener Treppe

Page 25: Handelshof Leipzig

41

geschosszone führten. Dabei verschwand auch ein Teil des bedeutenden bauplastischen Schmuckes wie etwa die beiden den Haupteingang flankierenden Portalfiguren.

Indem der Handelshof zum Interim des Museums der bilden-den Künste wurde, bewies der monumentale Bau allein schon flächenmäßig das Potential, das er für eine dauerhafte Nutzung als Museum gehabt hätte. Ohne ausreichend über den öko-nomischen und ökologischen Sinn eines solchen Vorgehens nachzudenken und befangen von dem schier unerschütter-

lichen Glauben einer unbedingten Überlegenheit moderner Architektur sind die in Verwaltung und Stadtparlament für Kultur und Bauplanung Verantwortlichen dieser Vision jedoch niemals ernsthaft nachgegangen, sondern haben konsequent das Konzept eines Museumsneubaus verfolgt. Dass in einer Zeit knapper werdender Ressourcen die mit Umbauen, Ergän-zen und Sanieren verbundene Umnutzung und nicht der Neu-bau und damit der Austausch von Bausubstanz die zentrale Bauaufgabe der Zukunft darstellen wird, hatte sich seinerzeit aber auch anderenorts noch nicht herumgesprochen.

Empfang Empfang

Page 26: Handelshof Leipzig

46

die Hotelgäste in eine großzügige Lobby, die als eingeschos-siger Neubau in den Innenhof hineingestellt wurde. Der an-sonsten original erhaltene historische Hofraum bleibt mit einer gläsernen Dachfläche für den Besucher erlebbar. Die zwischen Reichsstraße und Naschmarkt vermittelnde Passage ist von dem Einbau nicht direkt betroffen und weiterhin öffentlicher Durchgang.

Mit dem Umbau des Handelshofes zum luxuriösen Grandhotel ist es dem Bauherrn in beispielhafter Weise gelungen, Tradition und Moderne zu verbinden und zugleich weltstädtische Maß-stäbe zu setzen. Dass dem Vorhaben Erfolg beschieden sein wird, ist kaum zu bezweifeln. Schon das äußere Erscheinungs-bild zeigt deutlich, hier ist kein langweiliges Allerweltshotel ent-standen, das dem überwiegend geschichtsfeindlichen, gestal-tungsarmen Mainstream moderner Baukultur folgt, sondern ein Haus mit ganz eigenem Profil, das auf die Befindlichkeit eines großen Teils der Leipziger Bürger und auf die Erwartungshal-tung seiner Gäste und deren Lust auf das Erlebnis von Historie und Individualität eingeht.

Dr. Alberto Schwarz

Nord-West-Erker

Blick vom Hotelzimmer

auf den Zentral-Messepalast

Page 27: Handelshof Leipzig
Page 28: Handelshof Leipzig

48

Leipziger Herbstmesse 1947, provisorischer Eingang zum Handelshof an der Grimmaischen Straße

Ehemaliger Haupteingang in heutigem Zustand

Hauptportal an der Grimmai-schen Straße vor der Kriegs-zerstörung

Page 29: Handelshof Leipzig

49

Abbruch der Fleischbänke für den Neubau Handelshof, um 1908

Abbruch der Fleischbänke, 1908

Abriss des Burgkellers an der Reichsstraße, 1905, Fotograf: Adolf Deininger

Baustellen vor der Nikolaikirche, nach 1908: rechts der Handelshof, Speck´s Hof dahinter und das Riquet-Haus links,Fotograf: F. Kofahl

Page 30: Handelshof Leipzig

50

DEr HANDELSHOF UND DIE DENKMALKOMMISSION

A ls die Stadt Leipzig 1905 zwischen Naschmarkt und Reichsstraße ein neues Messehaus plante, kam es wegen mehrerer abzubrechender historischer Ge-

bäude zum Konflikt mit der Denkmalkommission in Dresden.

Bereits 1895/96 hatte der Architekt und Kunsthistoriker Cor-nelius Gurlitt eine Darstellung der älteren Bau- und Kunst-denkmäler der Stadt Leipzig in zwei Bänden vorgelegt. Dem Portal eines Wohnhauses und vier Gebäuden von den insge-samt dreizehn Vorgängerbauten des Handelshofs wurde ein Denkmalwert zuerkannt. Das wertvollste Bauwerk des Häuser-blocks war das an der Reichsstraße gelegene Gasthaus Burg-keller, eines der bemerkenswertesten Renaissancegebäude der Messestadt mit einem mächtigen, drei Geschosse hohen Volutengiebel. Die Werksteinarbeiten an der Fassade waren in dem für Leipzig typischen, rötlichen Rochlitzer Porphyrtuff ausgeführt. Nur am Marktplatz fanden sich noch vergleichbare Häuser mit solchen Ziergiebeln.

Im Jahr 1905 schrieb die Stadt einen Wettbewerb für ein Mus-termessehaus unter Leipziger Architekten aus. Vierunddreißig Entwürfe kamen für den späteren Messepalast Handelshof in die Auswahl. Zum Sieger bestimmte man den Vorschlag

von Baurat Georg Weidenbach und Richard Tschammer. Sie entwarfen ein monumentales, um zwei Innenhöfe gruppier-tes Geschäftshaus von vier Geschossen in repräsentativen, neobarocken Formen, das bereits im September 1909 – al-lerdings nach erheblich abgewandelten Planungen – eröffnet wurde.

Das ausgeführte Messehaus ist ein monumentales Gebäude mit einem malerisch gegliederten Mansarddach und sparsam dekorierten Putzfassaden. Der plastische Schmuck stammt von dem Leipziger Bildhauer Bruno Wollstädter. Anfangs war vorgesehen, die Hauptfassade an der breiten Front zur Reichsstraße auszubilden, bei dem fertig gestellten Neubau lag die hervorgehobene Ansicht schließlich an der Grimmai-schen Straße. Eine Belebung der Fassaden erfolgte unter Er-langung bewegter Baumassen mit Vor- und Rücksprüngen, wie das schon in der Wettbewerbsausschreibung gefordert wurde. Die Durchfahrt zur Anlieferung des Messegutes verlief von der Reichsstraße durch die beiden Lichthöfe zum Salzgäß-chen, was zur Verlegung der Gaststätte Burgkeller vom Ge-bäudekern an die Naschmarktseite führte. Auch wurde eine Passage vom Naschmarkt zur Reichsstraße durch den großen Lichthof angelegt, die beiden Portale des Durchgangs sind in

Eingang zum Empfang und zur

Hotellobby

Page 31: Handelshof Leipzig

51

Page 32: Handelshof Leipzig

52

Kalkstein ausgeführt, die Ladenzone im Erdgeschoss ist mit Elbsandstein verkleidet. Die gleichförmige Reihung der recht großen Fenster der Obergeschosse resultiert aus der inneren Stützenkonstruktion, die in der damals noch neuartigen Eisen-beton-Skelettbauweise ausgeführt wurde. Die Stützenweiten gehen auf die Grundfläche der Messeräume mit einer Größe von 3 x 3,5 Metern zurück. Das Innere des Hauses ist ganz auf die Anforderungen der Mustermesse abgestellt gewesen. Vier Treppenhäuser gewährleisteten eine zügige Zuführung des Pu-blikums in den Rundgang.

Neben den funktionalen Anforderungen war möglicherweise ein weiterer Grund für die Modifikation des Erstentwurfs des Handelshofs eine Auseinandersetzung um den Denkmalschutz des historischen Ortes. Der Direktor der Leipziger Bauge-werkeschule, Architekt Eugen Kayser, machte 1905 in einem Brief die „Königlich Sächsische Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler“ in Dresden darauf aufmerksam, dass der Abbruch des von Naschmarkt, Reichsstraße, Salzgäßchen, Grimmaischer Straße begrenzten Häuserblocks beabsich-tigt sei. Er berichtete: „Der Unterzeichnete kann nicht glau-

Geometrisches Ornament am Treppengeländer Originalgetreue Restaurierung der TreppeHandlauf mit Befestigung

Page 33: Handelshof Leipzig

53

ben, daß der Rat [der Stadt Leipzig] bei der Neubebauung jenes Häusergevierts wirklich dazu verschreiten sollte, diese alten Bauten aus Leipzigs Vergangenheit zu beseitigen, es ist vielmehr anzunehmen, daß der in nächster Zeit auszuschrei-bende Wettbewerb über die Neubebauung jenes Gevierts gewiß Vorschriften über die Erhaltung dieser Bauwerke enthal-ten wird.“ In einer ihrer nächsten Sitzungen entschloss sich die Denkmalkommission, den Stadtrat von Leipzig vorerst nicht schriftlich um den Stand der Planungen zu bitten, sondern ein Kommissionsmitglied sollte gelegentlich mündlich eine Vorlegung der Pläne durch die Stadt in Erinnerung rufen. Wobei das Wort „gelegentlich“ in den Akten mit Bleistift unterstrichen ist und an den Rand die Bemerkung: „Eilt also gar nicht!“ geschrieben steht. Damit ruhte der Vorgang erst einmal.

Zwei Jahre später, im August 1907, teilte das Baupolizeiamt der Stadt Leipzig der Königlichen Kommission mit, dass eini-ge denkmalgeschützte Gebäude für den Neubau eines Ge-schäftshauses zum Abbruch kämen. Die Denkmalkommission beschloss daraufhin, den Leipziger Stadtbaurat Otto Wilhelm Scharenberg, der selbst ein Mitglied der Kommission war, auf-zufordern, ein Gutachten abzugeben. Die Argumente für einen

Treppenhaus im Hotelbereich

Page 34: Handelshof Leipzig

54

Stützkonsole am Erker mit allegorischer Darstellung Aufblick von der Lobby in den Lichthof Tür mit rekonstruiertem Schriftzug aus der Zeit als Messehaus

Abbruch der Denkmäler, die Scharenberg daraufhin darlegte, sind gegenwärtigen Erklärungen hierzu nicht unähnlich:

1. „… der Bodenwert des städtischen Häusergevierts von über 3 Millionen Mark wirft nur geringe Rente ab“

2. „… den Bedürfnissen des wachsenden Verkehrs ist Rech-nung zu tragen, die angrenzenden Straßen um 6 bis 8 Meter zu verbreitern“

3. „… der Gebäudebestand befindet sich – mit wenigen Ausnahmen – in einem höchst baufälligen Zustand“

Bemerkenswert ist, dass man von den abzubrechenden Bau-ten fotografische Aufnahmen und ein farbiges Aquarell zur Erin-nerung an ein Stück Alt-Leipzig anfertigen zu lassen bereit war. Scharenberg empfahl der Kommission, sich nicht gegen den Abbruch der Denkmäler und eine Neubebauung des Karrees auszusprechen.

Page 35: Handelshof Leipzig

55

Ovales Fenster mit Ziergitter

Handelshof-Passage

Die Königliche Kommission bezweifelte die Notwendigkeit der Denkmalabbrüche und beauftragte das Kommissionsmit-glied Hans Erlwein nach Leipzig zu fahren, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Der Dresdner Stadtbaurat Erlwein berichte-te nach seiner Reise, dass die Stadt Leipzig schon sämtliche Wohnungen des Baublocks geräumt habe, um den Abbruch am 15. Oktober 1907 zu beginnen und nach genehmigtem Baufluchtlinienplan die Straßenverbreiterung durchführen zu können. Der Auftrag an die Planverfertiger des Messehaus-neubaus sei ebenfalls schon perfekt. Auch die Straßenver-

Page 36: Handelshof Leipzig
Page 37: Handelshof Leipzig

59

turdenkmäler Alte Börse und Altes Rathaus beurteilen und bat daher um Vorlegung der Neubaupläne.

„Selbst der radikalste Denkmalschützler kann nicht leugnen, daß an Stelle des Verschwundenen wenigstens zum Teil neue künstlerische Werte getreten sind, die sich sehen lassen kön-nen, die sich neben den guten alten Bauten zu behaupten ver-mögen,“ schrieb 1915 der Kunstkritiker Albrecht Kurzwelly, da-mals Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums zu Leipzig. Er hob die individuelle Gestaltung des Handelshofs hervor, da

die Architekten sich jene „stereotypen Riesenwarenhäuser pal-ladiesk-messelscher Herkunft“ nicht zum Vorbild nahmen. Der Autor bezieht sich hierbei auf die Formensprache Andrea Pal-ladios, der seine Palastbauten mit Kolossalpilastern schmück-te. Diese Vertikalgliederung durch Wandpfeiler über mehrere Geschosse hatte um 1900 der Berliner Architekt Alfred Messel an seinen Bauten für den Kaufhauskonzern Wertheim wieder aufgegriffen.

Balkonbrüstung im fünften Obergeschoss mit bauplastischem Figurenschmuck, Naschmarkt

Bauplastischer Figurenschmuck an der Fassade Naschmarkt

Zierbalkon an der Fassade Naschmarkt

Allegorische Figurenam BalkonNaschmarkt

Page 38: Handelshof Leipzig

60

Die zeitgenössische Tagespresse bescheinigte dem Handels-hof trotz seiner kräftigen Formen „ein idyllisches Bild am Nasch-markt inmitten des geschäftigen Treibens der Großstadt.“ So ist es nicht verwunderlich, dass die Urteile einzelner Mitglieder des sächsischen Denkmalausschusses zum Handelshof-Neu-bau durchaus positiv waren und Stadtbaurat Scharenberg die Kommission aufforderte, sich mit der Fassadengestaltung ein-verstanden zu erklären. In einem positiven Sinn ist dann auch 1908 die abschließende Stellungnahme der Denkmalkommis-sion zum Messehaus Handelshof an den Stadtrat zu Leipzig

gehalten. Die Wirkung des Neubaus wurde unter den gegebe-nen Umständen nicht bemängelt, der Ausführung der Planung zugestimmt und abschließend festgestellt, dass der Neubau sich gut in das Stadtbild einfügen dürfte.

Mathis Nitzsche

2007, vor der SanierungFassade Grimmaische Straße, nach der Sanierung 2011

Blick vom Handelshof-Balkon, Reichsstraße,

im zweiten Oberge-schoss auf Speck´s Hof

und Riquet-Haus

Page 39: Handelshof Leipzig
Page 40: Handelshof Leipzig

64

IMPRESSUM

ISBN 978-3-00-034902-7

HerausgeberLeipziger Stadtbau AG Konzept und LektoratMarianne Portius-Wünscher/PUNCTUM Fotografie

Grafisches Konzept und UmsetzungCaroline Kober

Druckvorstufegrafotex Leipzig

DruckMessedruck Leipzig GmbH

© 2011 PUNCTUM Fotografie Leipzig [email protected]

Die Verwendung von Texten und Bildern, auch auszugs-weise, ist ohne Zustimmung der Rechteinhaber urheber-rechtswidrig und strafbar. Dies gilt auch für Vervielfälti-gungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

BILDNACHWEISE

PUNCTUM/Peter FrankeTitel, Seite 7, 8, 10, 11, 12, 13, 16, 18, 19, 24, 27 r., 28, 29, 30, 36, 38, 40 l., 42, 44 l., 45, 46, 47, 48 u., 51, 52, 54 l., 54 r., 55, 56 r., 57, 59, 60, 61, 62

PUNCTUM/Bertram KoberSeite 2, 4, 21, 25, 26, 27 l., 34, 39, 40 r., 41, 43, 44 r., 51, 53, 54 M., 58

Leipziger MesseSeite 15 M., 17 u., 23, 32, 33 r., 33 u., 35, 48 r.o.

Stadtarchiv LeipzigSeite 14, 15 l., 15 r., 49 l.u.

Stadtgeschichtliches Museum LeipzigRücktitel, Seite 17 l., 17 M., 17 r., 22 l., 22 r., 33 l., 48 l., 49 l.o., 49 l.M., 49 r., 56 l.

Page 41: Handelshof Leipzig

HANDELSHOF LEIPZIG

NEuGEStALtuNG EINES

MESSEPALAStES

LE

IPZ

IGE

r S

tA

Dt

bA

u A

G

Der Handelshof – Stein gewordenes Zeugnis

Leipziger Geschichte und Ort spannender

Geschichten. Hervorgegangen aus dem Wandel des

Messewesens infolge der Industriellen Revolution

verkörpert der Handelshof eine über einhundertjährige

Tradition geschäftstüchtigen Handels. Er ist Ort

grenzüberschreitender Begegnungen und zeugt

vom Selbstbewusstsein einer Stadt und ihrer Bürger.

Orientierung und Neuanfang führten zu seinem

Entstehen, Verantwortung setzte Maßstäbe für seine

architektonische Gestaltung. Sie stellten die Weichen

für die eigentliche Herausforderung: ein großartiges

Gebäude im Herzen der Innenstadt durch eine

zukunftsorientierte Umnutzung und denkmalgerechte

Sanierung in das Leben und Bewusstsein der

Leipziger und ihrer Gäste zurückzuführen.

Leipzig, Handelshof, um 1909

Atelier Hermann Walter, vor 1913

HA

ND

EL

SHO

F L

EIP

ZIG

N

Eu

GE

StA

Lt

uN

G E

INE

S M

ESS

EPA

LA

StE

S