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ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2012; 15 (6) 3 Highlight zum Jahresende 2012: Die Praxisgebühr wird abgeschafft! S eit 2004 wurde sie – nach Angaben der Bundes- regierung – 200 Millionen Mal im Jahr erhoben. Die Kosten von 330 Millionen Euro für diesen bü- rokratischen Kraſtakt mussten die Praxen aurin- gen. Aber nicht nur die finanzielle Belastung wurde ihnen aufgebürdet, auch den Unmut der Patienten mussten die Ärzte und ihre Teams erdulden. Zudem hielt sich bei den Patienten hartnäckig der Irrglau- be, dass Geld lande im „Säckel“ ihrer Ärzte. Aber nicht die ungerechtfertigt erzwungene bü- rokratische Belastung der Einzelpraxen gab den Ausschlag zur Abschaffung der Praxisgebühr und ebenso wenig die verfehlte Zielsetzung, die Praxis- besuche zu reduzieren. Nein, ein schwarz-gelber Gefälligkeitsdeal war maßgeblich: Praxisgebühr ge- gen Betreuungsgeld. Kosten: 1,8 Milliarden Euro jährlich für die Praxisgebühr, 1,2 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld. Was lernen wir daraus? Nicht die Unsinnigkeit ei- nes Gesetzes führt zu seiner Abschaffung, sondern politisches Kalkül und Kungelei. Bleibt abzuwarten, welches Gesetz demnächst zu Lasten des Gesund- heitswesens eingeführt wird. Denn merke: Eine kla- re Zielsetzung fehlt der Gesundheitspolitik. Es gibt nur verquaste Ideologien und verworrenen Aktio- nismus. Alles umsonst und bitte aus Gold Alle Berufenen und Unberufenen des Gesundheits- wesens sorgen sich um Qualitätsmängel. Warum auch nicht? Angeprangert werden Zertifizierungs- mängel bei Medizinprodukten, Qualitätsmängel bei Krankenhäusern usw. Zaghaſt keimt das Pflänz- chen der Einsicht, dass unter Wettbewerb und Geld- mangel auch die Qualität leidet. Fehlt das Geld für die hinreichende Ausstattung mit qualifiziertem Personal, bleiben Qualitätsansprüche leeres Ge- schwätz. Das gilt auch für Medizinprodukte. Auf dem Orthopäden- und Unfallchirurgenkongress in Berlin warnte der Verband der Hersteller, dass bei einer Verschärfung der Zulassungskriterien auch die niedrigen Marktpreise nicht zu halten sind. Die AOK hat Behandlungsergebnisse der Kran- kenhäuser ausgewertet: Demnach sind in 25% der Kliniken die chirurgischen Komplikationen, u.a. nach Hüſtendoprothesen, im Vergleich zu dem bes- ten Viertel der Kliniken zu hoch. Uwe Deh vom AOK-Bundesverband folgerte: „Das zeigt, dass hier eine großes Potenzial an Qualitätsverbesserungen von den Kliniken gehoben werden muss.“ Sollte Herr Deh für die Realität wieder aufnahmefähig sein, wird er feststellen, dass in den Kliniken nichts mehr zu heben ist, da sie dem Prozess enthoben sind, d.h. in die Insolvenz getrieben. Redet Tacheles! Hohle Anspruchsformulierungen wie „Jeder be- kommt alles medizinisch Notwendige auf dem ak- tuellsten Stand der Wissenschaſt“ sollte man schleu- nigst aus dem Propagandamanifest der Kassen und Gesundheitsministerien streichen. Welche medizi- nische Qualität – materiell und personell – können wir uns leisten? Da müssten die flächendeckende Versorgung, die erapieoptionen und Indikatio- nen ebenso zur Disposition stehen wie das arrivier- te, hierarchische Chefarzt- und Abteilungssystem zugunsten einer Poliklinik mit ambulanter und be- legärztlicher Haus- und Facharztversorgung. Da ra- dikale Eingriffe an Lobbyismus und Wiederwahl- phobien scheitern, bleibt alles beim Alten. Geruhsame Feiertage und viel Spaß im Neuen Jahr wünscht Ihnen Ihr Editorial „Zur Abschaffung der Praxisgebühr führte nicht etwa deren verfehlte Zielsetzung, maßgeblich war vielmehr ein schwarz-gelber Gefälligkeitsdeal.“ Dr. med. Michael Pieper (Chefredakteur Orthopäde am Endocenter Damme

Highlight zum Jahresende 2012: Die Praxisgebühr wird abgeschafft!

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ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2012; 15 (6) 3

Highlight zum Jahresende 2012: Die Praxisgebühr wird abgeschafft!

S eit 2004 wurde sie – nach Angaben der Bundes-regierung – 200 Millionen Mal im Jahr erhoben.

Die Kosten von 330 Millionen Euro für diesen bü-rokratischen Kraftakt mussten die Praxen aufbrin-gen. Aber nicht nur die finanzielle Belastung wurde ihnen aufgebürdet, auch den Unmut der Patienten mussten die Ärzte und ihre Teams erdulden. Zudem hielt sich bei den Patienten hartnäckig der Irrglau-be, dass Geld lande im „Säckel“ ihrer Ärzte.

Aber nicht die ungerechtfertigt erzwungene bü-rokratische Belastung der Einzelpraxen gab den Ausschlag zur Abschaffung der Praxisgebühr und ebenso wenig die verfehlte Zielsetzung, die Praxis-besuche zu reduzieren. Nein, ein schwarz-gelber Gefälligkeitsdeal war maßgeblich: Praxisgebühr ge-gen Betreuungsgeld. Kosten: 1,8 Milliarden Euro jährlich für die Praxisgebühr, 1,2 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld.

Was lernen wir daraus? Nicht die Unsinnigkeit ei-nes Gesetzes führt zu seiner Abschaffung, sondern politisches Kalkül und Kungelei. Bleibt abzuwarten, welches Gesetz demnächst zu Lasten des Gesund-heitswesens eingeführt wird. Denn merke: Eine kla-re Zielsetzung fehlt der Gesundheitspolitik. Es gibt nur verquaste Ideologien und verworrenen Aktio-nismus.

Alles umsonst und bitte aus Gold Alle Berufenen und Unberufenen des Gesundheits-wesens sorgen sich um Qualitätsmängel. Warum auch nicht? Angeprangert werden Zertifizierungs-mängel bei Medizinprodukten, Qualitätsmängel bei Krankenhäusern usw. Zaghaft keimt das Pflänz-chen der Einsicht, dass unter Wettbewerb und Geld-mangel auch die Qualität leidet. Fehlt das Geld für die hinreichende Ausstattung mit qualifiziertem Personal, bleiben Qualitätsansprüche leeres Ge-schwätz. Das gilt auch für Medizinprodukte. Auf dem Orthopäden- und Unfallchirurgenkongress in Berlin warnte der Verband der Hersteller, dass bei

einer Verschärfung der Zulassungskriterien auch die niedrigen Marktpreise nicht zu halten sind.

Die AOK hat Behandlungsergebnisse der Kran-kenhäuser ausgewertet: Demnach sind in 25% der Kliniken die chirurgischen Komplikationen, u.a. nach Hüftendoprothesen, im Vergleich zu dem bes-ten Viertel der Kliniken zu hoch. Uwe Deh vom AOK-Bundesverband folgerte: „Das zeigt, dass hier eine großes Potenzial an Qualitätsverbesserungen von den Kliniken gehoben werden muss.“ Sollte Herr Deh für die Realität wieder aufnahmefähig sein, wird er feststellen, dass in den Kliniken nichts mehr zu heben ist, da sie dem Prozess enthoben sind, d.h. in die Insolvenz getrieben.

Redet Tacheles! Hohle Anspruchsformulierungen wie „Jeder be-kommt alles medizinisch Notwendige auf dem ak-tuellsten Stand der Wissenschaft“ sollte man schleu-nigst aus dem Propagandamanifest der Kassen und Gesundheitsministerien streichen. Welche medizi-nische Qualität – materiell und personell – können wir uns leisten? Da müssten die flächendeckende Versorgung, die Therapieoptionen und Indikatio-nen ebenso zur Disposition stehen wie das arrivier-te, hierarchische Chefarzt- und Abteilungssystem zugunsten einer Poliklinik mit ambulanter und be-legärztlicher Haus- und Facharztversorgung. Da ra-dikale Eingriffe an Lobbyismus und Wiederwahl-phobien scheitern, bleibt alles beim Alten.

Geruhsame Feiertage und viel Spaß im Neuen Jahr wünscht Ihnen

Ihr

Editorial

„Zur Abschaffung der Praxisgebühr führte nicht etwa deren verfehlte Zielsetzung, maßgeblich war vielmehr ein schwarz-gelber Gefälligkeitsdeal.“

Dr. med. Michael Pieper (Chefredakteur)� Orthopäde am Endocenter Damme