Plessner Handout

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  • Einfhrung in die Kultursoziologie WS 2007/08 Thomas Schmidt-Lux Handout zur Vorlesung Natrliche Knstlichkeit: Kultur als Natur des Menschen 1. Die Philosophische Anthropologie in den 1920er Jahren Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen. 2. Helmuth Plessner Geb. 1892 Ab 1911 Studium der Zoologie und Philosophie in Heidelberg, Berlin und Gttingen. Habilitation 1920, Privatdozent fr Philosophie in Kln 1933 entlassen. Asyl in den Niederlanden Asyl, lehrte seit 1934 an der Universitt Groningen Philosophie und Soziologie. Ab 1940 im Untergrund. 1946 Ordinariat fr Philosophie in Groningen. 1951 Rckkehr nach Deutschland, Lehrstuhl fr Soziologie in Gttingen. Erster Inhaber der Theodor-Heuss-Stiftungsprofessur an der New School of Social Research in New York. Lehrauftrag in Zrich 1985 starb Plessner in Gttingen 3. Plessners Werk: Die Stufen des Organischen und der Mensch Lebewesen sind grenzrealisierende Wesen: Erst die Konzentration des belebten Dinges auf seinen Abschluss, also auf die Grenze, ffnet es auf charakteristische Weise zugleich nach innen und auen. Begriff der Position: Die drei Organisationsformen des Lebendigen lassen sich nach ihrer jeweiligen Positionalitt unterscheiden:

    Pflanzen sind offen organisiert, sie haben keine zentralen Organe. Tiere sind zentrisch organisiert: sie leben aus einem Mittelpunkt heraus. Die Organisationsform des Menschen ist dagegen exzentrisch, weil der Mensch jederzeit in ein reflexives Verhltnis zu seinem Leben treten kann: Er steht gleichzeitig hinter sich bzw. ber sich. Plessner (1975: 288): Die Schranke der tierischen Organisation liegt darin, dass dem Individuum sein selber Sein verborgen ist, weil es nicht in Beziehung zur positionalen Mitte steht, whrend Medium und eigener Krperleib ihm gegeben, auf die positionale Mitte, das absolute Hier-Jetzt bezogen sind. Sein Existieren im Hier-Jetzt ist nicht noch einmal bezogen, denn es ist kein Gegenpunkt mehr fr eine

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  • mgliche Beziehung da. Insoweit das Tier selbst ist, geht es im Hier-Jetzt auf. Dies wird ihm nicht gegenstndlich, hebt sich nicht von ihm ab, bleibt Zustand, vermittelndes Hindurch konkret lebendigen Vollzugs. Das Tier lebt aus seiner Mitte heraus, in seine Mitte hinein, aber es lebt nicht als Mitte. Es erlebt Inhalte im Umfeld, Fremdes und Eigenes, es vermag auch ber den eigenen Leib Herrschaft zu gewinnen, es bildet ein auf es selber rckbezgliches System, ein Sich, aber es erlebt nicht sich. Reflexivitt, Selbstbewusstsein lsst Menschen nicht nur zentriert, sondern gleichzeitig exzentrisch sein. Er erlebt gleichzeitig sein Erleben. unaufhebbarer Doppelaspekt seiner Existenz, Bruch seiner Natur. Dreifache Bestimmung des Menschen: Der Mensch als Lebendiges ist Krper, ist im Krper im Sinne eines Innenlebens oder einer Seele und ist auer dem Krper als Blickpunkt, von dem aus er beides ist. Dieses Auer-sich-sein macht das Tier zum Menschen, das Individuum zur Person. Unterscheidung von Krper und Leib: Der Mensch hat einen Krper, den er distanzierend betrachten kann, aber ist immer Leib, ohne den diese Betrachtung des Krpers niemals stattfinden kann. Drei Welten: Auenwelt, Innenwelt, Mitwelt Durch diese Grenzziehungen differenziert der Mensch verschiedene Welten aus: eine Auenwelt, eine Innenwelt und eine Mitwelt. Auenwelt richtungsrelatives Raum-Zeit-Ganzes, aus der der Mensch fr sich relevante Umwelten ausdifferenziert. Innenwelt: Gegensatz zum Auen Welt im Leib, das, was das Lebewesen selbst ist. Doppelaspekt der Existenz des Menschen (das Hinter-Sich-Stehen) in der Unterscheidung von Seele und Erlebnis (Plessner 1975: 295): Der Mensch erlebt und wird seiner Erlebnisse inne, er vollzieht die psychische Realitt und ist sie gleichzeitig. Das Selbstsein des Menschen durchzieht, weil es exzentrisch ist, eine keimhafte Spaltung. Durch die exzentrische Positionsform seiner selbst ist dem Menschen die Realitt der Mitwelt gewhrleistet die vom Menschen als Sphre anderer Menschen erfasste Form der eigenen Position. Nur der Mensch verfgt ber eine solche Mitwelt. Anthropologische Grundgesetze 1. Das Gesetz der natrlichen Knstlichkeit impliziert, dass der Mensch sich zu dem, was er schon ist, erst machen muss, er muss das Leben fhren, welches er lebt. Die Natrlichkeit anderer Lebewesen ist fr ihn unerreichbar, er ist ergnzungsbedrftig und aus Grnden seiner Existenzform knstlich. 2. Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit der Mensch erfhrt alles als Bewusstseinsinhalt und nur deshalb nicht als etwas im Bewusstsein, sondern

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  • auerhalb des Bewusstseins Seiendes (ebd.: 328) (Bewusstseinsimmanenz). Die Unmittelbarkeit der Erfahrung geht also zwangslufig durch unser Bewusstsein hindurch, ist vermittelte Unmittelbarkeit. Daraus resultiert als wesentliches Merkmal des Menschen seine Expressivitt: Der Mensch lebt mit der Welt in einem Ausdrucksverhltnis. 3. Das Gesetz des utopischen Standortes Die Exzentrizitt des Menschen erlaubt keine eindeutige Fixierung seiner Stellung: Sein Standort ist u-topisch.

    Kern aller Religion, insofern sie ein Definitivum und Heimat schafft. Weil der Mensch das Hier-Jetzt seiner Position zugleich einnimmt und nicht einnimmt, die Realitt des Menschen also einen realisierten Widersinn birgt, braucht der Mensch einen Halt, der ihn aus dieser Wirklichkeitslage befreit. Bezug auf die Welt auf eine Welt, der die Individualitt gegenbersteht. Exzentrische Positionsform und Gott als das absolute, notwendige, wesensbegrndende Sein stehen in Wesenskorrelation (345). Gleichzeitig zwingt aber die exzentrische Positionalitt den Zweifel gegen die gttliche Existenz, den Grund fr diese Welt und die Einheit der Welt zu richten. Weitere Literatur von Plessner: Die Grenzen der Gemeinschaft (1924) Die versptete Nation, Frankfurt/M. (1959/1935) Empfehlenswerte Sekundrliteratur: Ebach, Wolfgang (1994): Der Mittelpunnkt auerhalb. Helmuth Plessners Philosophische Anthropologie. In: Dux, Gnter und U. Wenzel (Hg.): Der Prozess der Geistesgeschichte. Frankfurt/M., 15-44. Haucke, Kai (2000): Plessner zur Einfhrung. Hamburg Dietze, Carola (2006): Nachgeholtes Leben. Helmuth Plessner 1892-1985. Gttingen

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    Einfhrung in die KultursoziologieWS 2007/08