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Thomas Hausen Akute und chronische Atemwegserkrankungen mit Besonderheiten im fortschreitenden Alter Pneumologie für die Praxis

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Thomas Hausen

Akute und chronische Atemwegserkrankungen mit Besonderheiten im fortschreitenden Alter

Pneumologie für die Praxis

Inhaltsverzeichnis

I Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . 1

1 Die Atemwege bei jung und alt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.1 Multimorbidität des Alters und Atemwegserkrankung . . . . . . . . . . 4

1.2 Altersbedingte Veränderungen . . . 51.2.1 Die Atembewegungen im Alter . . . . 51.2.2 Pathologie der alternden Lunge . . . . 51.3 Wann muss der atemwegs kranke

Patient zum Spezialisten? . . . . . . . 6

2 Diagnostik und Differenzialdiagnostik . . . . . . . . 9

2.1 Atemwegsbeschwerden . . . . . . . . . 92.1.1 Husten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.1.2 Auswurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.1.3 Luftnot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.2 Perkussion und Auskultation . . . . . 15

II Spezieller Teil . . . . . . . . . . . . . . . . 19

3 Akute Atemwegs erkrankungen . . . . . . 21

3.1 Atemwegsinfektionen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3.2 Atemwegsinfektionen bei älteren Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.2.1 Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 233.2.2 Diagnostische Besonderheiten . . . . . 233.3 Antibiotika sinnvoll einsetzen . . . . 243.3.1 Verordnungsverhalten . . . . . . . . . . . 243.3.2 Falsche Indikationen . . . . . . . . . . . . 253.4 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.4.1 Technische Untersuchungen bei

akuten Atemwegserkrankungen . . . 263.4.2 Infekt – ja oder nein . . . . . . . . . . . . 263.4.3 Virus, Bakterium oder Pilz . . . . . . . . 323.4.4 Nutzen von Laboruntersuchungen . . 333.4.5 Erregernachweis . . . . . . . . . . . . . . . 353.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

3.5.1 Ambulante oder stationäre Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

3.5.2 Indikationen der Antibiotika . . . . . . 393.5.3 Fehlender Nutzen von Antibiotika . . 403.5.4 Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . 413.5.5 Substanzwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.6 Therapie ausgewählter

Atemwegsinfektionen . . . . . . . . . . 453.6.1 Otitis media . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.6.2 Akute stenosierende

Laryngotracheitis (Krupp-Syndrom) . . . . . . . . . . . . . . . 46

3.6.3 Akute Rhinosinusitis . . . . . . . . . . . . 463.6.4 Angina tonsillaris . . . . . . . . . . . . . . 463.6.5 Laryngitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.6.6 Akute Bronchitis . . . . . . . . . . . . . . . 473.6.7 Akute Exazerbation einer COPD . . . . 483.6.8 Pneumonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503.7 Therapeutische Besonderheiten . . . 533.7.1 Ausbleibende Wirkung des

Antibiotikums . . . . . . . . . . . . . . . . . 533.7.2 Antibiotikatherapie bei

älteren Menschen . . . . . . . . . . . . . . 543.7.3 Typische Fehler bei

Antibiotikatherapie . . . . . . . . . . . . . 553.8 Prävention von

Atemwegsinfektionen . . . . . . . . . . 553.8.1 Impfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553.8.2 Vitamin D3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573.8.3 Immunmodulation . . . . . . . . . . . . . . 573.9 Husten nach Infekt . . . . . . . . . . . . . 573.9.1 Hyperreaktives Bronchialsystem . . . . 573.9.2 Dauerhaft geschädigtes

mukoziliäres System . . . . . . . . . . . . 59

4 Chronische Atemwegs erkrankungen . . . . . . 63

4.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . 644.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654.2.1 Laboruntersuchungen . . . . . . . . . . . 654.2.2 Lungenfunktionsprüfung . . . . . . . . . 654.2.3 Peak-Flow-Messung . . . . . . . . . . . . 72

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X Inhaltsverzeichnis

4.2.4 Allergiediagnostik . . . . . . . . . . . . . . 754.2.5 Messung der FeNO- Konzentration . . 774.2.6 Beurteilung der Entzündungsaktivität

bei Asthma und COPD . . . . . . . . . . . 814.3 Rhinitis allergica und Asthma . . . . 844.4 Asthma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854.4.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854.4.2 Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854.4.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864.5 Chronisch-obstruktive

Lungenerkrankung . . . . . . . . . . . . . 884.5.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 884.5.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894.6 Differenzialdiagnostik

Asthma – COPD . . . . . . . . . . . . . . . 924.6.1 Historische Entwicklung . . . . . . . . . 924.6.2 Bedeutung für die Therapie . . . . . . . 934.6.3 Altersabhängige Besonderheiten . . . 954.6.4 COPD oder extrinsisches/intrinsisches

Asthma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974.6.5 Asthma plus COPD . . . . . . . . . . . . . 974.6.6 Asthma oder COPD oder keines

von beiden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 994.7 Andere Differenzial diagnosen . . . . 1004.7.1 Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1004.7.2 Herzinsuffi zienz . . . . . . . . . . . . . . . . 1014.7.3 Atemwegstumoren . . . . . . . . . . . . . 1014.7.4 Nebenniereninsuffi zienz . . . . . . . . . 1024.8 Inhalationstherapie . . . . . . . . . . . . 1024.8.1 Inhalationsgeräte . . . . . . . . . . . . . . 1034.8.2 Überlegungen zur korrekten

Inhalation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1094.8.3 Wahl des Inhalationsgeräts . . . . . . . 1104.8.4 Inhalationstechnik . . . . . . . . . . . . . . 1134.8.5 Die zehn Gebote einer erfolgreichen

Inhalationstherapie . . . . . . . . . . . . . 1154.9 Inhalative Medikamente . . . . . . . . 1164.9.1 Inhalative Bronchodilatatoren . . . . . 1164.9.2 Inhalative Glukokortikoide . . . . . . . . 1184.9.3 Fixkombinationen . . . . . . . . . . . . . . 1204.10 Oral verabreichte Medikamente . . 1224.11 Therapie bei Rhinitis allergica,

Asthma und COPD . . . . . . . . . . . . . 1234.11.1 Therapie-Indikationen . . . . . . . . . . . 123

4.11.2 Rhinitis allergica . . . . . . . . . . . . . . . 1244.11.3 Asthma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1274.11.4 Chronisch-obstruktive

Lungenerkrankung . . . . . . . . . . . . . 1324.11.5 Asthma und COPD . . . . . . . . . . . . . 1394.12 Besondere Situationen . . . . . . . . . . 1394.12.1 Verreisen mit chronischer

Atemwegserkrankung . . . . . . . . . . . 1394.12.2 Akute Luftnot . . . . . . . . . . . . . . . . . 1414.13 Adhärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1434.13.1 Negative Einfl ussfaktoren auf die

Adhärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1444.13.2 Verbesserung der Adhärenz . . . . . . . 145

5 Häufi ge Fehler bei Asthma und COPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

5.1 Unterbliebene Frühdiagnose . . . . . 1535.2 Unterlassener

Bronchospasmolysetest . . . . . . . . . 1545.3 Fehldiagnose COPD bei schwieriger

Differenzial diagnose . . . . . . . . . . . 1545.4 Asthma plus COPD . . . . . . . . . . . . . 1555.5 Falsche oder unzureichende

Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1555.5.1 Fehlende antientzündliche

Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1555.5.2 DNCG bei Asthma . . . . . . . . . . . . . . 1565.5.3 Unzureichende Intensität der

Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1565.6 Unzureichende Adhärenz . . . . . . . . 1565.7 Falsche Durchführung der

Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1575.7.1 Kommt der Patient mit dem

verordneten Inhalationssystem zurecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

5.7.2 Inhaliert der Patient korrekt? . . . . . . 157

III Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Infektionen der Atemwege –

was Sie wissen sollten . . . . . . . . . . 162 Heuschnupfen . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Beschwerdekalender . . . . . . . . . . . 165 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

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10 2 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

2

2.1.1 Husten

M E R K E• Der gesunde Mensch hat keinen Husten .• Ein Husten, der über 4 Wochen besteht, muss abge-

klärt werden.• Die Verordnung eines Antitussivums ist in den wenigs-

ten Fällen richtig.

Die gesunde Lunge vollzieht ihre Reinigung über die mukoziliäre Clearance, die sozusagen lautlos erfolgt, und ohne dass der Mensch davon großartig Notiz nimmt. Nur, wenn dieser Mechanismus nicht aus-reicht oder defekt ist, kommt es zum Hustenreiz. Vorübergehend, z. B. im Verlauf eines akuten In-fekts, signalisiert der Hustenreiz den Schaden, den der Infekt verursacht hat und kann als Hinweis auf eine ernstere Krankheit vernachlässigt werden.

Akuter Husten Bei einem normalen Infektverlauf klingt der Husten innerhalb von wenigen Wochen ab. Typisch ist hier der Verlauf. Der Patient berich-tet von einem quälenden, fest sitzenden Husten. Ge-zielt gefragt, bestätigt er ein schmerzendes Gefühl hinter dem Brustbein und beim Atmen. Häufi g hat er vergeblich versucht, den Husten in Selbstbehand-lung mit frei verkäufl ichen Präparaten zu lockern. Der nur spärliche Auswurf bestätigt die hochgradig entzündete, aber trockene Schleimhaut.

Mit langsam zurückkehrender Schleimproduk-tion bessert sich der quälende Reizhusten und geht in einen produktiven Husten über, bis der abklin-gende Hustenreiz die Reparationsphase anzeigt.

Chronischer Husten Ein Husten , der länger als 4 Wochen besteht, muss immer ausführlich abgeklärt werden. Hier muss das gesamte Spektrum an Unter-suchungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit mit Ärz-ten anderer Fachrichtung ausgeschöpft werden.

Fallbeispiel 2.1 Herr T. ließ für seine 93-jährige Mutter ihren Hustensaft nachverordnen. Viele alte Patienten waren zu dieser Zeit von der regelmäßigen Ein-nahme eines damals noch verordnungsfähigen Hustensaft s (Expectorans Solucampher®) nicht abzubringen. Als er bereits nach 2 Tagen erneut

um ein Rezept bat, gab er auf Befragen an, dass seine Mutter seit wenigen Tagen unter einem unstillbaren Husten und Luft not litt.

Beim daraufh in erfolgten Hausbesuch saß die Mutter im Bett und bot alle Zeichen der dekom-pensierten Linksherzinsuffi zienz bei absoluter Tachyarrhythmie. Obwohl sie eine Kranken-hauseinweisung strikt ablehnte, konnte ihr doch schnell geholfen werden.

Differenzialdiagnosen

Häufi ge Ursachen eines länger andauernden Hus-tenreizes in der Hausarztpraxis sind in › Tab. 2.1 zusammengefasst. ACE-Hemmer (häufi gster medikamentös beding-ter Husten) Der unter einer Th erapie mit ACE-Hem-mern verzögerte Bradykininabbau führt bei etwa 20 % der Patienten zu Hustenreiz. Dieser tritt in der Regel innerhalb von 4 Wochen nach Th erapiebeginn auf. Danach ist mit dieser Nebenwirkung kaum mehr zu rechnen. Es ist sinnvoll, Patienten bei Be-ginn der Th erapie wegen der Adhärenz über die gro-ße Qualität der ACE-Hemmer aber auch über diese Nebenwirkung zu informieren und sie zu bitten, das Medikament bei Auft reten von Hustenreiz abzuset-zen und sich erneut vorzustellen. Bei Auft reten eines ACE-Hustens bleibt nur der Wechsel auf ein anderes Antihypertensivum.

M E R K EEin ACE-Hemmer-Husten kann nach Absetzen des Prä-parats bis zu 3 Wochen fortdauern. Ein Antitussivum kann nicht helfen. Darüber muss auch der Patient infor-miert werden.

Hyperreaktives Bronchialsystem Häufi ger Grund für anhaltenden Husten vor allem nach Virusinfekt (› Kap. 3.9.1).Pertussis (nicht häufi g, aber absolut erwähnens-wert) Diff erenzialdiagnostisch muss bei vielen älte-ren Menschen auch an Keuchhusten gedacht wer-den. Angehörige dieser Altersgruppe besitzen größ-tenteils keinen Schutz, weil sie in der Regel in ihrer Jugend nicht dagegen geimpft worden sind oder der Schutz abgelaufen ist. Sie infi zieren sich meist bei

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112.1 Atemwegsbeschwerden

2

Kindern, z. B. wenn sie die Enkelkinder vom Kinder-garten abholen.Chronische Atemwegserkrankung Hinweis auf eine noch unbekannte chronische Atemwegserkran-kung.Asthma und Exazerbation 40 % aller Patienten, die chronisch husten, leiden unter einem Asthma, auf das der Husten oft der einzige Hinweis ist. Die Fehlinterpretation verhindert vielfach die Frühdia-gnose Asthma. Ein Hustenreiz bei bekanntem Asth-ma ist ein Alarmsymptom. Dieser meistens trockene Husten kündigt die Instabilität und den drohenden Asthmaanfall an. Lungenfunktion oder Peak-Flow-Messung liefern den Beweis (› Kap. 4.2.5). Zu die-sem Zeitpunkt kann ein Asthmaanfall abgefangen werden, bevor er für den Patienten spürbar wird.Refl ux Seit der Einführung der Gastroskopie ist bekannt, dass ein weit klaff ender Mageneingang ei-nen Refl ux von Mageninhalt begünstigt und zu Hus-tenreiz führen kann. Weitere Beschwerden einer Refl uxösophagitis treten erst beim chronischen Re-fl ux auf. Bei Verdacht auf Refl uxbeschwerden kann die pH-Metrie zur Diagnose führen. Einfacher, für den Patienten schneller zum Erfolg führend und gleichzeitig beweisend ist ein Th erapieversuch mit einem Protonenpumpenhemmer. Voraussetzung ist, dass die Th erapie über einen ausreichend langen Zeitraum (3 Monate) und in der richtigen Dosis (2  ×  40 mg/d) erfolgt. Eine Gastroskopie muss den Verdacht bestätigen und Probleme ausschließen (z. B. Ulkus, Präkanzerose, Karzinom).

Herzinsuffi zienz Der Husten bei Herzinsuffi zienz ist zwar seltener als erwartet, aber trotzdem ein beim Patienten im hohen Alter wichtiges Symptom. Der Hustenreiz tritt in der Regel nachts im Liegen auf. Der Drang des Patienten, möglichst aufrecht zu schlafen, weist den Weg zur Diagnose. Der Patient mit Herzinsuffi zienz verspürt kurze Zeit nach dem Zubettgehen (1–2  h) den ersten Harndrang, der Herzgesunde erst in den frühen Morgenstunden, so-fern er am Abend nicht zu viel Flüssigkeit zu sich genommen hat.Aspiration In jedem Alter, besonders aber bei älteren und geschwächten Personen kommt bei Husten auch eine Aspiration, ganz besonders eine Fremdkörperaspiration, infrage. Die typischen Vor-aussetzungen (geschwächter, bettlägeriger Patient, Schluckstörungen nach Schlaganfall usw.) beim plötzlichen Auft reten von Husten ohne akute andere Auslöser wie Infektionen sollten immer daran den-ken lassen. Ein seitendiff erenter Auskultationsbe-fund erhärtet die Verdachtsdiagnose und stellt die Indikation für eine notfallmäßige Bronchoskopie.

M E R K EDer Verdacht auf Fremdkörperaspiration stellt die Indika-tion für eine notfallmäßige Bronchoskopie. Eine Rönt-genaufnahme des Thorax hilft nur selten weiter.

Insbesondere bei alten Patienten und vor allem bei Bettlägerigkeit kann eine Aspiration unbemerkt und ohne Husten erfolgen. Die Folgen können fatal sein,

Tab. 2.1 Ursachen von akutem und chronischem Husten (nach Kardos 2004)

Akut (< 8 Wochen) Chronisch (> 8 Wochen)

Erkrankungen der Atemwege, Lunge, Pleura

• Infektion der oberen Atemwege• Asthma• Aspiration (oft Kinder von 1–3 Jahren)• Inhalative Intoxikation (Unfälle, Brände)• Postinfektiöser Husten• Pneumonie• Pleuritis• Lungenembolie• Pneumothorax

• COPD• Asthma bzw. eosinophile Erkrankungen• Lungentumoren• Erkrankungen der oberen Atemwege• Infektionserkrankungen• Diffuse Lungenparenchymerkrankung• Systemerkrankungen mit Lungenbeteiligung• Inhalative Ereignisse (Aspiration, Reactive Airway Dys-

function Syndrome)• Pneumothorax – Bronchiektasen, Bronchomalazie• Zystische Fibrose

Extrapulmonale Ursachen

Herzerkrankung mit akuter Lungenstauung

• Herzerkrankung mit Lungenstauung• Endokarditis• Gastroösophageale Refl uxkrankheit• ACE-Hemmer

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12 2 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

2

wenn die Diagnose nicht gestellt wird. Häufi g werden nur die Folgen der Aspiration, die bakterielle Infek-tion/Pneumonie und deren Rezidive behandelt, was letztendlich das Schicksal des Patienten besiegeln kann. Eine irreversible Schädigung macht dann mög-licherweise eine Lungenteilresektion nötig.

Fallbeispiel 2.2 Frau B., 44 Jahre alt, stellte sich mit anhalten-dem trockenen Hustenreiz in der Spätsprech-stunde vor. Der Hustenreiz war nach dem Mit-tagessen aufgetreten. Sie konnte sich nicht dar-an erinnern, sich verschluckt zu haben. Die Auskultation war unauff ällig. Mit Verdacht auf Aspiration wurde die Patientin in einer Lungen-klinik vorgestellt. Die Röntgenaufnahme des Th orax war unauff ällig. Bei der Bronchoskopie konnte eine Erbse entfernt werden, die einen Bronchus komplett verschlossen hatte.

Fallbeispiel 2.3 Bei Frau R. waren wegen eines Hustens bereits 3 Th erapien mit unterschiedlichen Antibiotika durchgeführt worden, als sie sich erstmalig vor-stellte. Die Röntgenaufnahme des Th orax war bis auf ein leicht trübes Oberfeld rechts unauf-fällig. CT und Bronchoskopie zeigten eine fri-sche Oberlappentuberkulose.

M E R K EErfahrung und Fingerspitzengefühl für ein Problem sind wichtig. Es ist immer wieder bedrückend, wenn ein Karzi-nom der Lunge zu spät entdeckt wurde. Es gibt bedauer-licherweise viele Risikoparameter (z. B. Rauchen, COPD) und doch keine sicheren Frühwarnzeichen. Daher sollte die Indikation für eine Röntgenaufnahme des Thorax und für die weiterführende Diagnostik evtl. in Zusammenar-beit mit Fachärzten schon beim geringsten Verdacht großzügig gestellt werden.

2.1.2 Auswurf

M E R K E• Der Gesunde hat keinen Auswurf .• Länger anhaltender Auswurf sollte immer Anlass zur

Abklärung bzw. zum Ausschluss einer chronischen Er-krankung veranlassen.

Bei einem akuten Infekt der Atemwege belegt der Auswurf den Schaden, das Abstoßen der Schleimhaut und eine gestörte, zum Erliegen gekommene mukozi-liäre Clearance oder vermehrte Schleimproduktion. Nur über einen längeren Zeitraum anhaltender Aus-wurf gilt als Hinweis auf eine chronische Erkrankung.

Mit zunehmendem Alter altern auch die schleim-bildenden Zellen der Schleimhäute. Qualität und Quantität können sich ändern. Jetzt wird der Aus-wurf zu einem regelmäßig auft retenden Phänomen, ohne dass gleich eine behandlungsbedürft ige, chro-nische Atemwegserkrankung vorliegen muss.

Jeder Hausarzt kennt ältere Patienten, die unter ei-nem ständigen oder ständig rezidivierenden Nasen-laufen oder Auswurf zu leiden haben, ohne dass eine chronische Atemwegserkrankung bekannt ist oder dia gnosti ziert werden kann. Diese Patienten suchen oft mehrere Ärzte auf, weil sie sich mit den Beschwer-den und dem Hinweis auf eine fehlende Behandlungs-möglichkeit nicht abfi nden wollen und können. Eine ausführliche Aufk lärung kann diesen Patienten helfen.

Asthma Das Asthma zeichnet sich pathophysiolo-gisch durch die Trias Schleimhautödem, Hyper- und/oder Dyskrinie und Obstruktion aus. Beim Asthma ist der Schleim in seiner Konsistenz zäh wie Weingummi und nur schwer abzuhusten. Der Aus-wurf ist Zeichen der Schleimhautentzündung und weist damit auf die unzureichende Dosis der antiin-fl ammatorisch wirkenden Th erapie hin, also auf eine unzureichende Dauertherapie oder eine drohende Exazerbation. Die einzig korrekte Entscheidung ist die Kontrolle der Inhalationstechnik und Dosisan-hebung bei korrekter Anwendung.

Fallbeispiel 2.4 Herr H. litt unter einem ganzjährigen allergi-schen Asthma mit Betonung in den ersten Mo-naten des Jahres (Frühblüher). Zusätzlich quälte ihn ein unregelmäßiger Auswurf, der ihn vom geliebten Singen im Polizeichor abhielt.

Die Anamnese deckte die Problematik umge-hend auf. Bisher hatte er seine Inhalation (lang wirkender Beta-Agonist plus inhalatives Gluko-kortikoid) nur bei Beschwerden durchgeführt. Er war nicht über die Notwendigkeit einer re-gelmäßigen Inhalation aufgeklärt worden.

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132.1 Atemwegsbeschwerden

2

Nach nur wenigen Tagen korrekter Inhalation hatte er keinen Husten und wenig später auch keinen Auswurf mehr.

Kommentar

Wie bei vielen anderen Krankheiten auch müs-sen Patienten korrekt aufgeklärt werden und auf die Bedeutung einer regelmäßigen Th erapie hingewiesen bzw. davon überzeugt werden (› Kap. 4.8).

Fallbeispiel 2.5 Bei Frau W. war eine Allergie auf Birkenpollen bekannt. Bei der Erstvorstellung im März und seit Wochen kalter Witterung gab sie an, seit 4 Wochen unter Husten mit gelbem Auswurf zu leiden. Bisher war trotz der Th erapie mit zwei Antibiotika keine Besserung aufgetreten.

Bei der Auskultation fand sich ein sehr leises endexspiratorisches Giemen.

Die Th erapie mit einem ICS führte bereits nach wenigen Tagen zum Abklingen der Be-schwerden.

Kommentar

In der kalten Jahreszeit, wenn viele Patienten unter einem Infekt leiden, besteht die Gefahr, bei den diagnostischen Überlegungen die Aller-gie auszuklammern und dann, verleitet durch einen gelblich verfärbten Auswurf, ein Antibio-tikum zu verordnen.

Ein Th erapieversuch mit einem inhalativen Glukokortikoid vor allem bei fehlenden Hinwei-sen auf einen Infekt (› Kap. 3.4.2) wäre indi-ziert und die Reaktion (Besserung/ausbleibende Besserung) wegweisend gewesen. Unabhängig vom vielfach fehlenden Nutzen einer Antibioti-katherapie kann fast immer mit deren Beginn abgewartet werden.

COPD Bei der COPD ist bei vielen, nicht allen Pa-tienten, die Schädigung der Schleimhaut mit einem an Intensität unterschiedlichen Auswurf verbunden. Der Auswurf ist das Resultat einer Vermehrung der Schleim bildenden Zellen und/oder einer vermehr-ten Schleimproduktion. Bei gleichzeitig gestörter

mukoziliärer Clearance ist die Expektoration ge-stört, was wiederum eine Infektneigung erklärt. Meistens weist die Anamnese mit vermehrter Schad-stoffb elastung durch inhalatives Rauchen oder selte-ner Schadstoff e am Arbeitsplatz bereits den richti-gen Weg.

Auswurf kann auch bei anderen Krankheiten auf-treten, z. B. bei Infektionskrankheiten wie der Pneu-monie (an die seltene Tuberkulose ist immer zu den-ken), Herzerkrankungen und Tumoren (› Tab. 2.2). Selbstverständlich müssen diese Krankheiten vor der

Tab. 2.2 Auslöser von Husten und Auswurf (aus Lorenz 1998)

Befund Ursache

Unproduktiver Husten

Reizung der peripheren Atemwege

Fremdkörper, Tumoren, Laryngitis, Tracheitis, Bronchitis, Schleimhautnoxen

Reizung der zentralen Atemwege

Atelektase, Lungenembolie, interstitiel-les Ödem, Fibrose

Produktiver Husten

Mukös Virusinfekt, COPD

Purulent Eitriger Atemwegsinfekt?

Viskös Asthma

Wässrig Aspiration, Fistel

Blutig Bronchialarterien (häufi gste Blutungs quelle), Pulmonalarterien (z. B. Embolie, Karzinom)Bronchialvenen (Mitralstenose, Links-herzinsuffi zienz, diffuse hämorrhagi-sche Hämorrhagie)

Husten als Komplikation

Atem wege Heiserkeit, Stimmlippenläsion, intersti-tielles Lungenödem, Pneumo media-stinum, abdominelle Gasansammlung, Pneumothorax, Bronchusruptur

Stütz-gewebe

Bandscheibenhernie, Muskelriss, Rippen-fraktur, Petechien, Purpura

Gastro-intestinal

Ösophagusperforation, Pneumoperito-neum, Pneumatosis intestinalis

Zerebral Luftembolie (Einriss von Gefäßen), Husten-synkope, Kopfschmerz

Kardio-vaskulär

Arrhythmie, Hustensynkope, Hämorrhoiden, konjunktivale Blutung, nasale Blutung

Andere Harninkontinenz, Wunddehiszenz

Fettdruck = häufi ger im hohen Alter

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14 2 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

2

Festlegung auf eine chronische Atemwegserkrankung und Th erapiebeginn diff erenzialdiagnostisch ausge-schlossen werden.

Verfärbter Auswurf – ein trügerisches Zeichen

M E R K EDie Farbe des Auswurfs ist leider viel zu selten wegwei-send.

Eine gelbliche Verfärbung ist kein aussagefähiges Kriterium. Beim Allergiker weist der gelblich ver-färbte Auswurf häufi ger auf die Schleimhautentzün-dung nach Allergenexposition hin als auf einen In-fekt. Viel zu häufi g wird die gelbliche Verfärbung mit Bakterienbesiedlung gleichgesetzt und eine Th erapie mit einem Antibiotikum gestartet und nicht, wie in-diziert, eine antiinfl ammatorische Th erapie (ICS).

Selbst eine gelb-grüne Verfärbung des Sputums ist kein eindeutiger Hinweis auf einen bakteriellen Infekt. In einer Untersuchung (Gompertz et al. 2001) konnten bei farblos oder weißem Auswurf zu 19 % Erreger nachgewiesen werden. Bei grünem Sputum fand man nur in 83 % bakterielle Erreger.

2.1.3 Luftnot

Ein Missverhältnis von Sauerstoff angebot und -be-darf und eine damit verbundene gesteigerte Atemar-beit erzeugt das Symptom Dyspnoe . Somit kann auch der Gesunde Luft not verspüren, wenn er sich sehr stark belastet und seine Leistungsgrenze er-reicht, die Luft not seiner Belastung (Überlastung) ein Ende setzt.

Mit zunehmendem Alter verliert jeder Mensch an Leistungsfähigkeit, sodass Luft not als Belastungs-grenze von Natur gegeben und als normal hinge-nommen wird. Genau dieser Umstand erschwert es Menschen, Luft not als Hinweis auf eine Krankheit zu werten und einen Arzt aufzusuchen. Die Unter-scheidung zwischen Luft not als Alters- oder Krank-heitszeichen ist auch für den Arzt nicht immer ein-fach. Die Schwierigkeit wächst demzufolge mit zu-nehmendem Alter der Patienten.

Da die Diff erenzialdiagnostik des Symptoms Luft -not (› Tab. 2.3) den Rahmen dieses Buches spren-gen würde, wird auf die einschlägige Literatur ver-wiesen.

Fallbeispiel 2.6 Herr S., 55 Jahre alt, Raucher, klagte über Luft -not. Die Anamnese ließ keine Verdachtsdiagno-se zu. Die Lungenfunktion inklusive Broncho-spasmolysetest ergab keinen auff älligen Befund.

Die Untersuchungen beim Kardiologen erga-ben ebenfalls keine Erklärung für die Beschwer-den. In der festen Überzeugung, dass die Luft -not auf keinen Fall pulmonal zu erklären war, wurde der Patient zur Koronarangiografi e in ein Krankenhaus eingewiesen, wo die Diagnose KHK mit Stenosen gestellt wurde.

Fallbeispiel 2.7 Herr H., 58 Jahre alt, Nichtraucher und Allergi-ker, klagte über Magenschmerzen. Ein zeitlicher Zusammenhang mit bestimmten Nahrungsmit-teln oder einer Nahrungsaufnahme wurde ne-giert. Die Beschwerden traten regelmäßig beim Bergangehen beim Spaziergang auf.

Mit Verdacht auf instabile Angina wurde der Patient in eine Klinik eingewiesen, in der die KHK mit Stenosen nachgewiesen wurde.

Tab. 2.3 Differenzialdiagnosen der Dyspnoe

Pulmonal Extrapulmonal Kardial

Hyperreaktives Bron-chialsystemBronchitisAsthmaCOPDPneumoniePneumokonioseSarkoidoseFibroseTuberkuloseBronchialkarzinomLungenmetastasenBronchiektasenRezidivierende Embolien

PleuraergussPleuraschwartePneumothoraxKyphoskolioseThoraxtraumaPneumektomieAdipositasPickwick- SyndromAnämieHyperthyreoseHypothyreoseZwerchfellherniePolyzythämieMykosen

VitiumZ. n. InfarktLinksherzin-suffi zienzMyokarditisPerikarditisPerikardergussEndokard-fi broseKardiomyo-pathie

Fettdruck = häufi ger im hohen Alter

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152.2 Perkussion und Auskultation

2

M E R K EDie typischen Symptome einer Angina pectoris sind in den letzten Jahrzehnten nahezu verschwunden. Heute klagen Patienten mit einem drohenden Herzinfarkt eher über Luftnot oder Magenbeschwerden.

An dieser Stelle sollen nur die typischen Unterschei-dungsmerkmale der Luft not bei chronischen Atem-wegserkrankungen besprochen werden.

Mit einer sorgfältigen Anamnese kann zwischen inspiratorischer und exspiratorischer Dyspnoe un-terscheiden werden.

Inspiratorische Dyspnoe Wichtigster Hinweis auf eine teilweise Verlegung der oberen Atemwege (behinderte Nasenatmung, Stenosen im Pharynx und Larynx, Verengung der Trachea durch Tumore oder Kompression von außen) ist der inspiratori-sche Stridor. Äußerlich können manchmal Einzie-hungen der Zwischenrippenräume sichtbar werden. Diese Störungen der Atmung werden unter inspira-torischer Dyspnoe zusammengefasst. Auch psy-chisch ausgelöste Luft not zählt zu dieser Gruppe.Exspiratorische Dyspnoe Für die obstruktiven Atemwegserkrankungen (Asthma, COPD) ist die ge-störte Exspiration der Auslöser von Luft not, weswe-gen sie auch als exspiratorische Dyspnoe bezeichnet werden.

Typisch für ein Asthma ist die anfallsweise Luft -not, die durch den plötzlich auft retenden Broncho-spasmus ausgelöst wird und sowohl in Ruhe als auch unter Belastung auft reten kann. Zwischen den aku-ten Bronchospasmen ist der Asthmatiker oft völlig beschwerdefrei. Der Wechsel zwischen Beschwer-den und Beschwerdefreiheit gibt ihm die Chance, seine Beschwerden als auff ällig, krank zu erkennen.

Im Gegensatz dazu führt bei der COPD erst die Belastung zur Luft not, hervorgerufen durch die je nach Schweregrad unterschiedlich starke, perma-nent vorliegende Obstruktion der Atemwege. In Ru-he kann der Sauerstoffb edarf außer bei den sehr schwer kranken COPD-Patienten gedeckt werden, sodass keine Luft not existiert. Bei Zunahme der Be-lastung kommt der COPD-Patient schnell an seine Belastungsgrenze und entwickelt Luft not.

Diese Unterscheidungsmerkmale der Luft not bei Asthmatikern und Patienten mit einer COPD wer-den mit der Krankheitsdauer geringer, die Unter-

scheidung damit schwieriger. Beim Asthmatiker kann das sogenannte Remodeling durch Verdickung der Basalmembran der Schleimhaut und Hypertro-phie der Bronchialmuskulatur zu einer funktionel-len Obstruktion führen (Dauerobstruktion; › Kap. 4.4.2). Diese Obstruktion ist irreversibel und führt bei Belastung dann zu einer vergleichbaren Dyspnoe wie beim Patienten mit einer COPD. In der Lungen-funktion ist nur noch der nicht fi xierte asthmatische Anteil der Obstruktion reversibel, die Beschwerden können somit auch nur zum Teil behoben werden.

2.2 Perkussion und Auskultation

Die einfachen Untersuchungsmethoden geraten zu-nehmend in Vergessenheit, weil es bequemer zu sein scheint, eine technische Untersuchung zu veranlas-sen. Der in › Fallbeispiel 2.8 wiedergegebene Aus-zug aus einem Krankenhausentlassungsbrief ist als Armutszeugnis anzusehen.

Fallbeispiel 2.8 Bei einer 84-jährigen Patienten bestand als Hauptdiagnose eine Demenz. Wegen Husten und Auswurf wurde eine Röntgenaufnahme des Th orax angefertigt. Hier zeigte sich keine Pneu-monie, auch zeigten sich keine Entzündungszei-chen, sodass von einer Bronchitis ausgegangen wurde.

Der Hausarzt ist insbesondere bei Hausbesuchen, bei denen schnell eine Diagnose oder Verdachtsdia-gnose gefunden werden soll, weiterhin auf die einfa-chen Untersuchungen angewiesen. Außerdem zeigt das Röntgenbild des Th orax häufi g keine Verände-rungen, während bei der Auskultation eindeutige Hinweise zu vernehmen sind.• Eine regelmäßig durchgeführte Perkussion und

Auskultation liefert dem Untersucher Erfahrung und wertvolle Hinweise.

• Für den Patienten bedeutet das Abhorchen Zu-wendung. In den letzten Jahrzehnten ist die Me-dizin unpersönlicher geworden. Fragt man Pa-tien ten mit einem akuten Atemwegsinfekt nach

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16 2 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

2

einem Arztbesuch nach ihrem Eindruck, hört man leider nur zu oft : „Der Doktor hat mich noch nicht einmal abgehört.“

M E R K EEin Patient hat kaum Möglichkeiten, um sich über die Qualität seines Arztes ein korrektes Bild zu machen. Er kann aber sehr wohl erkennen, ob sich der Arzt Mühe gibt und den Patienten als Individuum ansieht. Anfassen und Abhören usw. sind wertvolle Möglichkeiten, die kor-rekte Diagnose zu fi nden und gleichzeitig Zeichen der Zuwendung, die ein Patient anerkennt.

Befunde

Mit ein wenig Erfahrung bieten Perkussion und Auskultation immer wieder die Möglichkeit, den Verdacht auf eine chronische Atemwegserkrankung zu stellen oder auch den Verlauf zu beurteilen. Gleichzeitig sind auff ällige Befunde oft Hinweise auf die Notwendigkeit weiterer Diagnostik. Einige Phä-nomene sollen die Bedeutung dieser selbstverständ-lichen Untersuchung unterstreichen:• Hypersonorer Klopfschall in Kombination mit

abgeschwächtem Atemgeräusch:– Beim alten Patienten wichtiger Hinweis auf ein

Emphysem.– Beim jungen Patienten Hinweis auf ein akutes

Volumen pulmonum auctum im Asthmaanfall (kommt heute praktisch nicht mehr vor).

• Giemen und Brummen: typischer Hinweis auf eine Obstruktion. Etwas überspitzt formuliert: Giemen fi ndet man nur beim Raucher und beim Allergiker.

• Bronchiales Atemgeräusch: sehr häufi g der Be-leg für eine fortgeschrittene (fi xierte?) Obstruk-tion mit erhöhtem intrathorakalen Atemvolumen. Alarmbefunde sind ein gleichzeitig hypersonorer Klopfschall und ein sehr leises Atemgeräusch (› Kap. 4.4.3).

• Anhusteversuch: kann Schwachstellen aufdecken. Wer sich angewöhnt, seinen Patienten vor dem

Beenden der Auskultation noch einmal husten zu lassen, wird zu seinem Erstaunen sehr häufi g Be-funde zu hören bekommen, die ohne Husten nicht zu hören waren. Gerade bei Patienten mit einer noch nicht entdeckten chronischen Atem-wegserkrankung fehlen leider immer wieder Hin-weise auf die Erkrankung bei der Untersuchung, was die erwünschte Frühdiagnose verhindert. Hilfreich können zum Beispiel beim Anhustever-such folgende Auskultationsbefunde sein:– Trockenes Atemgeräusch: möglicher Hinweis

auf eine Obstruktion (› Kap. 4.4.3). Man muss dieses typische, schwer zu beschreibende Geräusch einmal gehört haben.

– Feuchte Rasselgeräusche: Hinweis auf eine akut oder chronisch geschädigte Schleim haut-ober fl äche. Wer diese Phänomene vernimmt, kann seinem Patienten auf den Kopf zusagen, dass er Raucher ist. Der Untersucher wird mit seiner Einschätzung nur selten falsch liegen, aber bei vielen seiner Patienten Eindruck ma-chen. Vor allem, wenn er seinem Patienten ei-nen Rauchstopp empfehlen muss oder möchte, kann diese Vorgehensweise hilfreich sein.

– Ronchi sonori: Bei bettlägerigen Patienten kann man immer wieder ein intensives Bro-deln beim Atmen hören. Was normalerweise für eine intensive Verschleimung spricht, kann auch nur ein Schleimfädchen sein, das in ei-nem großen Bronchus bei der Ein- und Ausat-mung wie ein Fähnchen im Wind hin und her fl attert. Nach dem einmaligen Husten ist das Fädchen weg. Eine unnötige Antibiotikathera-pie, Absaugen oder sogar ein Krankenhausauf-enthalt kann leicht unterbleiben.

M E R K EEine Seitendifferenz bei Perkussion und Auskultation sollte immer alle Alarmglocken klingeln lassen (z. B. Ver-dacht auf Tumor, Pleuraerguss, Pneumothorax). Manch-mal deckt die Inspektion ein Nachschleppen einer Tho-raxseite auf und untermauert den festgestellten Befund von Perkussion und/oder Auskultation.

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172.2 Perkussion und Auskultation

2

Fallbeispiel 2.9 Herr B., 82 Jahre, litt seit vielen Jahren unter Luft not bei COPD. Bei einer seiner seltenen Vorstellungen war im Gegensatz zu links über der rechten Lunge ein deutliches Giemen zu hö-ren, das auch nach einem Anhusteversuch un-verändert hörbar blieb. Die daraufh in veranlass-te Röntgenaufnahme des Th orax bestätigte den Verdacht auf ein Bronchialkarzinom.

Fallbeispiel 2.10 Herr D., 84 Jahre, wurde seit einigen Jahren we-gen seiner COPD antiobstruktiv behandelt. Bei jeder Vorstellung gab der Patient auf Befragen akzeptables Befi nden an. Bei der Auskultation fi el immer wieder eine starke Verschleimung mit seitendiff erentem Giemen auf. Als der Patient endlich zu einer Röntgenaufnahme des Th orax bereit war, konnte der Verdacht auf ein fortgeschrittenes Lungenkarzinom bestätigt werden.

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26 3 Akute Atemwegs erkrankungen

3

3.4 Diagnostik

Hausärzte stehen vor dem großen Dilemma, dass sie die richtige Diagnose ohne Hilfe anderer Ärzte, praktisch ohne Hilfsmittel und auch noch schnell stellen müssen. Bei der Diagnose eines bakteriellen Infekts folgt dann die Entscheidung für oder gegen eine Antibiotikatherapie mit der Auswahl der kor-rekten Substanz unter Berücksichtigung der aktuel-len Resistenzlage.

Ein Abwarten, bis die routinemäßig erhobenen La-borwerte und der Röntgenbefund des Th orax vorlie-gen wie im Krankenhaus, ist nicht möglich. Die Pa-tienten wollen, dass ihnen umgehend geholfen wird.

Fallbeispiel 3.8 An einem Freitagnachmittag suchte eine junge Sängerin die Praxis auf. Anamnese und klini-scher Untersuchungsbefund boten Hinweise auf einen Virusinfekt. Weil die Sängerin unter Ter-mindruck stand, drängte sie auf die Verordnung des „berühmten Hammers“ (Antibiotikum), der sie schnell gesund machen sollte.

Die frustrane Diskussion führte zur Verord-nung von Doxycyclin, das zu dieser Zeit bereits wegen seiner schlechten Resistenzlage nur noch zurückhaltend verwendet wurde. Vier Tage spä-ter wurde ein Hausbesuch wegen hoher Tempe-ratur erforderlich, bei dem eine Pneumonie dia-gnostiziert und jetzt gezielt und mit dem richti-gen Antibiotikum erfolgreich behandelt wurde.

Kommentar

Trotz der Überzeugung, einen Virusinfekt dia-gnostiziert zu haben, erfolgte auf Drängen der Patientin die Verordnung eines Antibiotikums. Bei der schlechten Resistenzlage konnte sich sozusagen „unter dem Schutz“ des Antibioti-kums eine Pneumonie entwickeln.

3.4.1 Technische Untersuchungen bei akuten Atemwegserkrankungen

Technische Untersuchungen sollen eine klinische Verdachtsdiagnose bestätigen oder zu widerlegen

helfen. Dabei müssen die Ergebnisse immer kritisch und im Zusammenhang mit der Klinik beurteilt werden. Auf keinen Fall können sie Anamnese und Befund ersetzen.

Der Arzt behandelt Menschen und keine Laborwerte.

Laboruntersuchungen

Laboruntersuchungen spielen bei akuten Atem-wegs er kran kun gen in der Praxis eine untergeordne-te Rolle. Ihre Wertigkeit wird in › Kap. 3.4.4 be-sprochen.

Röntgenuntersuchung des Thorax

Die Forderung einer Verifi zierung der klinisch ge-stellten Diagnose einer Pneumonie durch eine Rönt-genaufnahme des Th orax ist heute kaum mehr zeit-nah zu erfüllen. Entweder ist vor Th erapiebeginn der weite Weg zum Röntgenologen nicht zumutbar oder aus Zeitmangel nicht möglich.

Indikationen Einige Indikationen für die Durch-führung einer Röntgenaufnahme des Th orax sollen hier aufgeführt werden. Dabei wird die Indikation selbstverständlich auch von der Klinik, dem Alter des Patienten usw. bestimmt:• Erstmalige Diagnose einer COPD (Diff erenzial-

diagnose).• Anhaltende Atemwegssymptome (Husten, Aus-

wurf, Luft not) > 4 Wochen.• Diff erenzierung pulmonal oder kardial bedingter

Luft not.• Diff erenzierung von

– Einseitigem Nachschleppen beim Atmen.– Seitendiff erentem Perkussions- oder Auskulta-

tionsbefund.

3.4.2 Infekt – ja oder nein

Wenn in der kalten Jahreszeit Patienten mit Infekt-beschwerden in die Praxis kommen, besteht immer die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit bei den zahl-

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273.4 Diagnostik

3

reichen Patienten mit nahezu identischen Beschwer-den nachlässt und dann bei nicht ganz eindeutigen Beschwerden zu schnell ein Infekt diagnostiziert wird. Da bei den Virusinfektionen nur eine sympto-matische Th erapie ansteht, ist eine Fehldiagnose nicht von großer Bedeutung und es kann oft gefahr-los abgewartet werden.

Die große Herausforderung besteht darin, die Pa-tienten herauszufi ltern, die nicht zur Masse dieser Infektpatienten gehören. Bei ihnen ist eine kausale Th erapie möglich oder sogar unbedingt nötig und kann sogar überlebenswichtig sein, z. B. bei AECOPD oder Pneumonie.

Skepsis ist wichtig: Sprechen alle Anzeichen wirklich für einen Infekt?

Außerdem verbirgt sich in der Masse der Infekt-kranken immer eine Reihe von Patienten, deren Be-schwerden auf den ersten Blick zu einem Infekt pas-sen, deren Erkrankung aber nichts damit zu tun hat.

Das erfordert zur Grippezeit eine große Aufmerk-samkeit. Etwas risikoärmer gestaltet sich dieser diff erenzialdiagnostische Weg zur richtigen Diagno-se, wenn außerhalb der typischen Jahreszeit im Wartezimmer keine Patienten mit einem akuten In-fekt zu fi nden oder die Ausnahme sind. Das Augen-merk fällt dann leichter auf Krankheiten, die nicht zum Formenkreis der Infektionskrankheiten zählen.

Bronchialkarzinom

Manchmal gibt es Hilfe, um einen Verdacht auszu-schließen oder andere Hinweise, ihn zu erhärten. Eine Lungenfunktionsprüfung ist schnell gemacht und kann oft weiterhelfen.

Fallbeispiel 3.9 Herr S. B., 71 Jahre alt, langjähriger Raucher, stellte sich Ende August mit leicht gelblich ver-färbtem Auswurf vor. Weitere Beschwerden be-standen nicht. Gutes Sommerwetter und Fehlen anderer Infektpatienten sprachen gegen einen Infekt. Die Untersuchung ergab keinen auff älli-gen Befund.

In der Lungenfunktion erfolgte der Nachweis ei-ner um fast einem Liter reduzierten IVC im Ver-gleich zu vor 2 Jahren, was erheblich über dem normalen Altersverlust lag.In der Röntgenaufnahme des Th orax (› Abb. 3.1) fi el eine leicht verwaschene Zwerchfellkuppe rechts auf. Mithilfe der Bron-choskopie (› Abb. 3.2) konnte der Bronchialtu-mor nachgewiesen werden.

Abb. 3.1 a. Unscharfe Begrenzung der Zwerchfellkuppe rechts (a. p.). b. Keilförmige Verschattung unten (seitlich). [T508]

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28 3 Akute Atemwegs erkrankungen

3

Abb. 3.2 Bronchoskopischer Nachweis des Bronchial-karzinoms . [T508]

Kommentar

Der Patient klagte über gelben Auswurf, obwohl zu dieser Sommerzeit kein Infekt grassierte. Der Verlust der inspiratorischen Vitalkapazität über das Altersmaß hinaus unterstrich diese Auff äl-ligkeit und motivierte zu weiteren Untersu-chungen, die letztendlich zur richtigen Diagnose geführt haben.

Die Tuberkulose als Fallstrick

Wenn Du keine Diagnose fi nden kannst, denke an Syphilis und Tuberkulose.

Josef Martin Hausen

Fallbeispiel 3.10 Frau R., Jahrgang 1957, Nichtraucherin, erschien wegen anhaltenden Hustenreizes auf Empfehlung in der Praxis. Die bisher durchgeführte Th erapie mit drei verschiedenen Antibiotika war erfolglos.

Anamnestisch bestanden weder Hinweise auf eine Allergie, Asthma oder eine COPD.

Die angefertigte Röntgenaufnahme des Th o-rax war bis auf einen weichen Fleck im Oberfeld unauff ällig.

Schichtaufnahmen, ein CT und die Broncho-skopie bestätigten eine Tuberkulose.

Kommentar

Eine bakterielle Atemwegserkrankung schied nach Th erapie mit drei verschiedenen Antibioti-ka praktisch aus. Auch für eine chronische Atemwegserkrankung boten sich keine Hinwei-se. Die weitere Diagnostik ergab dann die kor-rekte Diagnose.

Infektion oder Allergie

Allergische Beschwerden und Krankheiten nehmen an Häufi gkeit zu. Daher müssen Allergien als Auslö-ser von Beschwerden häufi ger in die diagnostischen Überlegungen einfl ießen.

Am häufi gsten scheitert die korrekte Diagnose al-lergische Reaktion an der Fehlüberlegung, der Pati-ent wäre an einem Infekt erkrankt. Diese Gefahr be-steht besonders durch das zeitliche Auft reten im Frühjahr und Herbst. Häufi g suchen diese Patienten ihren Hausarzt dann mit Hustenreiz auf, wenn gleichzeitig viele andere Patienten mit einem Infekt in der Praxis zu fi nden sind.

M E R K E• Grob geschätzt sind 10–30 % der Infektpatienten im

Frühjahr Allergiker mit ihrer typischen Reaktion.• Nicht vorschnell einen Infekt diagnostizieren, sondern

eine Allergie ausschließen.

Es erstaunt immer wieder, dass der Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der Allergie als de-ren Auslöser so häufi g übersehen wird. Dabei rei-chen meistens ein paar gezielte Fragen aus, um die korrekte Diagnose zu stellen. In erster Linie sollte nicht unbedingt auf Zeichen einer Allergie geachtet werden, sondern auf Zeichen, die gegen einen Infekt sprechen. Je weniger infekttypische Zeichen vorhan-den sind, desto eher sollte an eine Allergie als Auslö-ser der Beschwerden gedacht werden.

Allgemeinsymptome

Typischerweise gehen Infektionen mit Kopf-, Hals-, Muskel- und Gliederschmerzen einher und machen schlapp. Besonders hilfreich für die Diagnose eines Virusinfekts sind Schmerzen bei starker Seitwärts-

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293.4 Diagnostik

3

bewegung der Augen (Schmerzen der Augenmus-keln). Der Rachen ist gerötet und die Nasenatmung behindert. Je mehr dieser Hinweise fehlen, desto eher liegt eine allergische Reaktion vor.

M E R K EEin Giemen bei der Auskultation spricht „immer“ für ei-ne Allergie oder Rauchen.

Der Allergiker ist selten schlapp, sondern eher ge-reizt. Für eine allergische Genese sprechen zusätz-lich Augenjucken und-tränen mit Niesen und Na-selaufen, Piepsen beim Atmen und Giemen bei der Auskultation.

Zeitliches Auftreten

Eine obstruktive Bronchitis, die gehäuft im Septem-ber oder allgemein in den frühen Wintermonaten auft ritt, lenkt den Verdacht grundsätzlich auf eine Allergie.

Bei einer bekannten allergischen Diathese ist der Verdacht auf ein allergisches Geschehen schnell gestellt. Etwas schwerer gestaltet sich der Weg zum diesbezüglichen Verdacht allerdings bei Patienten, bei denen bisher keine Allergie bekannt ist. In die-sen Fällen ist eine Fehlinterpretation leicht ver-ständlich.

Es lohnt aber, die Aufmerksamkeit auf die Zukunft zu lenken, beim nächsten Infekt auf das zeit liche Auft reten des letzten zu achten. Diese Patienten werden die Praxis mit ziemlicher Regel-mäßigkeit zu denselben Zeiten mit ihrem Infekt auf-suchen. Es lohnt sich auch, sich bei entsprechendem Verdacht oder vorhandener Risikokonstellation ei-nen besonderen Vermerk zu machen, der dann in Zukunft schneller die Aufmerksamkeit wecken kann.

Als Risikokonstellation gelten familiäre Dispositi-on, Milchschorf oder Ekzem als Kleinkind. In sol-chen Fällen hat es sich auch bewährt, die Mutter oder den Patienten für diese Problematik zu sensibi-lisieren, zur Mitarbeit aufzufordern und zu bitten, sich den Zeitpunkt vergleichbarer Beschwerden zu notieren und auf erneutes Auft reten Obacht zu ge-ben.

Fallbeispiel 3.11 Als die Mutter ihren Jungen erstmalig Ende Juni wegen Husten und Fieber vorstellte, gab sie an, dass ihr Bernd in den letzten 2 Jahren jeweils Anfang Juni mit hohem Fieber und Lungenent-zündung in die Kinderklinik eingewiesen wor-den war.

Der Auskultationsbefund war bis auf ganz leichtes endexspiratorisches Giemen unauff ällig. Der Hustenreiz verschwand umgehend auf die Inhalation von Salbutamol.

Zur Sicherheit und zur Beruhigung der Mut-ter wurde eine Röntgenaufnahme des Th orax veranlasst, der keinen auff älligen Befund er-brachte. Der Allergietest bestätigte den Ver-dacht auf eine Allergie auf Gräser.

Kommentar

Hier ist einiges unstimmig und sollte zumindest aufh orchen lassen. Zweimal dieselbe Krankheit zum identischen Zeitpunkt. Zweimal die Dia-gnose Lungenentzündung, eine Krankheit, die in der Hausarztpraxis statistisch eher selten ist und ganz besonders zweimal bei ein und dem-selben Patienten aufgetreten sein soll. Und der Sommermonat Juni ist kein typischer Monat für Infektionen der Atemwege.

Bei kleinen Kindern läutet hohes Fieber häu-fi ger eine allergische Phase ein als man glauben möchte.

Fallbeispiel 3.12 Bei dem kleinen Th omas kündigte sich der Be-ginn der Allergiesaison viele Jahre immer wieder dadurch an, dass er ausgesprochen übellaunig war, dann Fieber bekam, bis dann endlich die bekannten Beschwerden der Allergie auft raten.

Rhinitis

Die allergische Rhinitis tritt meistens alleine auf, während eine infektbedingte Rhinitis fast immer Teil eines allgemeinen Infekts ist (› Tab. 3.1). Die-se Feststellung gilt mehr für den Virusinfekt und we-niger für den bakteriell ausgelösten Infekt.

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30 3 Akute Atemwegs erkrankungen

3

Husten

Etwas erschwert wird die Unterscheidung, wenn Husten hinzutritt. Aber auch hier existieren feine Unterschiede, die zur Diagnose beitragen können (› Tab. 3.2). Wird ein Patient mit Husten bei der Erhebung der Anamnese nach einer bekannten All-ergie gefragt, wird diese oft bestätigt. Anschließend sollte darüber nachgedacht werden, ob wirklich ein Erreger oder nicht vielleicht doch ein Allergen für den Hustenreiz verantwortlich ist.

Der Husten bei allergischer Reaktion ist trocken mit nur wenig weißlich bis gelbem, meist zähem Auswurf. (Die Frage nach der Konsistenz von Wein-gummi wird oft bejaht.) Der allergische Husten tritt besonders bei Allergenexposition, bei und nach kör-perlicher Belastung und in den frühen Morgenstun-den auf. Bei Inhalation eines Beta-Agonisten bessert

sich der Hustenreiz oder verschwindet total für die Dauer der Wirkung des Bronchodilatators.

Fallbeispiel 3.13 Bei Herrn P., geboren 1940, war seit der Kind-heit ein allergisches Asthma bekannt. Kurz vor Weihnachten stellte er sich in der Praxis vor, klagte über starkes Kratzen im Hals und leicht gelblich verfärbten Auswurf und bat um ein An-tibiotikum. Auf Nachfrage gab er ab und zu Hustenreiz, vor allem in der Nacht an. Luft not fehlte ebenso wie die typischen Hinweise auf ei-nen akuten Atemwegsinfekt.

Die Untersuchung zeigte keine Auff älligkeiten. Da der Rachen reizlos war und keine geschwolle-nen oder schmerzhaft en Lymphknoten vorhan-den waren, wurde auf eine Th erapie verzichtet.

Tab. 3.1 Unterschiede zwischen allergischer, viraler oder bakterieller Rhinitis bzw. Infekt

Parameter Allergische Rhinitis Infekt

Viral Bakteriell

Nasenatmung Behindert Behindert

Nasensymptome Niesen, Juckreiz Niesen

Naselaufen Ja Wechselnd

Nasenschleimhaut Blass bis livide Hochrot mit grauen Schlieren Oft gerötet und geschwollen

Nasensekret Klar Klar Trübe

Augensymptome Juckreiz, Tränen Augenmuskel-schmerzen Nein

Halsschmerzen Nein In der Regel vorhanden

Rachenschleimhaut Normal Gerötet Gerötet, belegt?

Halslymphknoten Unauffällig Oft schmerzhaft geschwollen

Fieber Nein Meistens Nicht immer

Krankheitsgefühl Nein Deutlich bis schwer Leicht bis deutlich

Kopf-, Glieder-, Muskelschmerzen Nein Deutlich bis schwer Keine bis leichte

Tab. 3.2 Unterscheidungsmerkmale bei Husten verschiedener Genese

Hustenmerkmale Asthma Virusinfekt Bakterieller Infekt

Charakter Fast nur trockenQuälend

TrockenSchmerzhaft

Feucht

Auftreten Bei Exposition, nachts (frühmorgens), bei Belastung

Wechselnd, v. a. vor dem Einschlafen

Bei Sekretbelastung

Auswurf Nicht bis wenig Eher nicht Wenig bis viel

Sekret Zäh, weiß bis gelblich Meistens wenig Weiß, gelb bis grün

Temperaturerhöhung Nein Häufi g hoch Meistens nur leicht

Nachtschweiß Nein Nein Ja

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313.4 Diagnostik

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Mit der Empfehlung, sich bei Zunahme der Be-schwerden jederzeit und ansonsten zur Kontrol-le in 2 Tagen vorzustellen, wurde Herr P. entlas-sen.

Bei der erneuten Vorstellung berichtete der Patient von blühenden Haselnusssträuchern vor dem Schlafzimmerfenster bei der aktuell war-men Witterung. Er äußerte die Überzeugung, dass die Beschwerden deutlich geringer waren, als er das Fenster über Nacht geschlossen hatte.

Bei einer bekannten Allergie gegen Hasel wurde die antientzündliche Th erapie angeho-ben, was innerhalb weniger Tage zu Beschwer-defreiheit führte.

Kommentar

Die Beschwerden vor Weihnachten lassen nicht sofort an eine allergische Reaktion denken. Das Fehlen von typischen Beschwerden und Verän-derungen, die man bei einem Infekt erwartet, fehlen. Bei den nur leichten Beschwerden kann abgewartet werden. Die Aufmerksamkeit des Patienten führt dann zur korrekten Diagnose und Th erapie.

Der typische Husten beim Virusinfekt ist trocken und schmerzhaft , mit einem Gefühl von Schmerzen hinter dem Brustbein, die mit Rückkehr der Schleim pro duk tion verschwinden. Der Hustenreiz ist schmerzhaft und tritt vermehrt bei vielem Spre-chen, Änderung der Umgebungstemperatur und beim Zubettgehen auf.

Der Husten beim bakteriellen Infekt ist feucht – leicht beim Anhusteversuch (› Kap. 2.2) zu hören – mit Produktion von wenig bis viel weiß, gelb oder grün verfärbtem Sekret. Nach erfolgreichem Abhus-ten ist der Patient vorübergehend vom Hustenreiz erlöst.

Auskultationsbefunde

Die heutige Dokumentation mittels Computer bietet auch die Option, sich nur Befunde oder Diagnosen anzeigen zu lassen. Wer dieses Potenzial öft er nutzt, kann nicht nur die Adhärenz am Verbrauch der Me-dikamente ungefähr beurteilen, sondern auch ande-re Auff älligkeiten fi nden.

In diesem Konzentrat können Auff älligkeiten, wie die Häufung von Giemen im Befund oder Diagnosen wie obstruktive Bronchitis u. Ä. viel leichter auff al-len. Wenn dann aktuell noch gelber Auswurf ange-geben wird und die typischen Merkmale eines In-fekts fehlen oder nur leicht ausgeprägt vorhanden sind, sollte man durchaus an eine allergische Reak-tion und nicht vorschnell an einen Infekt denken.

Fallbeispiel 3.14 Herr L., Jahrgang 1960, stellte sich während ei-ner Vertretung vor und gab die Diagnose Infekt vor. Er sei anfällig für Infektionen. Bisher war er verschiedentlich mit Antibiotika, Sekretolytika und auch Bronchodilatatoren mit und ohne in-halative Glukokortikoide therapiert worden.

Die Befundkonstellation, d. h. Fehlen von Kopf- und Gliederschmerzen usw., ein unauff äl-liger Rachenring, eine nur leicht behinderte Na-senatmung, Hustenreiz und vor allem das leise Giemen bei der Auskultation machten hellhörig.

Die Frage nach bekannten Allergien wurde ne-giert. Der Patient gab aber auf die Frage nach der behinderten Nase an, dass diese ganzjährig, vor allem morgens nach dem Aufstehen verstopft wäre. Leider war der Patient noch nicht oberhalb von 800–1.000 Meter, sodass die Gegenprobe (Besserung in der Höhe) nicht zu erfragen war.

Die Aufl istung der Diagnosen der letzten Jah-re lenkte den Verdacht auf ein allergisches Asth-ma, das als Infektneigung fehlinterpretiert wur-de. In den zurückliegenden Jahren wurde 33-mal ein Infekt der Atemwege dokumentiert, da-von 20-mal mit Giemen bei der Auskultation.

Die Lungenfunktion war wegen schlechter Mitarbeit nicht verwertbar. Die Th erapie mit ICS und LABA führte schnell zur Besserung.

Kommentar

Eine scheinbare Häufung von obstruktiven Bronchitiden entpuppt sich bei exakter Anam-nese und Beachten der Jahreszeit schnell einmal als fehlinterpretierte Allergie mit Asthma.

In diesem Fall ist neben der großen Zahl von vergleichbaren Ereignissen innerhalb von 17 Jahren vor allem die wiederholte obstruktive Komponente, deren Häufung in den Monaten

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32 3 Akute Atemwegs erkrankungen

3

November bis Februar und in den letzten Jahren auch noch Mai bis Juni auff ällig und verlangt nach Abklärung.

Der Verdacht liegt nahe, dass primär, also in den ersten 10 Jahren, ausschließlich eine Haus-staubmilbenallergie mit Asthma vorlag, die sich dann in den letzten Jahren um eine Allergie ge-gen Gräser erweitert hat. Ein Allergietest muss diesen Verdacht bestätigen.

Bei frühzeitiger, korrekter Th erapie des Asth-mas und Hyposensibilisierung hätte eine Aus-weitung der Allergie vielleicht verhindert wer-den können. Mit ziemlicher Sicherheit aber wä-ren diese Episoden unter der Th erapie nicht auf-getreten und zahlreiche Th erapien mit einem Antibiotikum hätten vermieden werden kön-nen.

3.4.3 Virus, Bakterium oder Pilz

Nachdem die schwierige Frage geklärt wurde, ob es sich tatsächlich um einen Infekt handelt, muss für eine gezielte Behandlung oder Symptomlinderung geklärt werden, welcher Erreger vorliegen könnte. Pilzinfektionen können weitgehend vernachlässigt werden, sollten aber nicht generell ausgeklammert werden. Zumindest bei bestimmten Risikofaktoren (z. B. HIV-Infektion, Immunsuppression) sind sie grundsätzlich möglich.

Bei sorgfältiger Anamnese ist die Unterscheidung zwischen viraler und bakterieller Genese gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick aussehen mag (› Tab. 3.3). Seit der Einführung der Neuramini-dasehemmer reicht es nicht mehr, einen bakteriellen Infekt auszuschließen und symptomatisch zu behandeln. Es gilt, die Patienten zu identifi zieren, bei denen eine Infektion mit dem Infl uenza-Virus vorliegen könnte, das gezielt behandelt werden kann.

Es sind fast immer dieselben Beschwerden, die durch ihre Konstellation, Geschwindigkeit und In-tensität des Auft retens auf eine Infl uenza hinweisen. Diese Patienten berichten, dass die Beschwerden von einer Sekunde zur anderen aufgetreten sind. Sie wurden regelrecht davon überfallen und hätten ein Gefühl verspürt, als wäre eine Dampfwalze über sie gefahren.

M E R K EHinweise auf eine Infektion mit Infl uenza-Viren (Lange, Vogel und Uphoff 1999)• Plötzlicher Beginn (aus Wohlbefi nden).• Starkes Krankheitsgefühl.• Schnell hohes Fieber.• Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen.• Schwächegefühl.• Trockener, nicht produktiver Husten.• Husten und Krankheitsgefühl für 1–2 Wochen.• Postgrippale Asthenie über Monate.• Kinder: Krampfanfälle, gastrointestinale Symptomatik.

Tab. 3.3 Wichtige Unterscheidungsmerkmale zwischen viralen und bakteriellen Atemwegsinfekten

Viral Infl uenza Bakteriell

Krankheitsgefühl Langsam progredient Sofort schlecht Sofort schlecht

Fieber Langsam ansteigend Sofort hoch Sofort hoch

Muskelschmerzen Häufi g Schwer Selten

Husten Trocken Trocken Feucht

Auswurf Nein Nein Kaum

Perkussion/Auskultation Eher unauffällig, evtl. verschärftes Atemgeräusch

Eher unauffällig, evtl. verschärftes Atemgeräusch

Auffällig?

BSG Nicht erhöht Nicht erhöht Erhöht

Leukozyten Normal bis reduziert Normal bis reduziert Leukozytose

Differenzialblutbild Relative Lymphozytose Relative Lymphozytose Linksverschiebung

CRP 0–10 mg/l 0–10 mg/l Erhöht

Procalcitonin (PCT) Niedrig normal Niedrig normal Erhöht

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76 4 Chronische Atemwegs erkrankungen

4

Wer selbst keine Allergiediagnostik und auch keine Hy-posensibilisierung durchführt, sollte die enge Zusam-menarbeit mit einem Allergologen suchen. Den HNO-Ärzten und Pneumologen mit Zusatzbezeichnung Aller-gologie sollte der Vorzug gegeben werden, weil diese in ihrem täglichen Berufsleben auch den Bezug zu Rhinitis allergica und Asthma haben.

Fallbeispiel 4.5 Herr N. klagte über Hustenattacken, die ihn zu-nehmend quälten. Anamnestisch konnten keine Hinweise auf einen stattgehabten Infekt erfragt werden. Auch die Frage nach einer bekannten Al-lergie bei ihm oder in der Familie wurde negiert.

Auf die Frage, wo die Beschwerden auft reten würden, wusste der Patient umgehend die Ursa-che. Seine Eltern hatten sich eine Katze zugelegt und der Husten trat erstmalig und wiederholt bei und nach dem Besuch der Eltern auf.

Die klinische Untersuchung und Lungen-funktion zeigten keine Auff älligkeiten. Mit der Peak-Flow-Messung konnte ein Abfall des Peak-Flow-Werts in der Wohnung als Bestätigung für den Verdacht registriert werden. Der abschlie-ßende Allergietest bestätigte die Diagnose.

Allergietest

Leider wird ein Allergietest viel zu häufi g ohne vor-herige sorgfältige Anamnese als Suchtest gemacht. Auf die Frage nach einer Allergie geben diese Patien-ten dann an, auf alles allergisch zu sein und präsen-tieren einen Allergieausweis, in dem zahlreiche All-ergien dokumentiert sind. Auf Nachfrage ergibt sich dann, dass nach Kontakt mit diesen Stoff en keine Beschwerden auft reten. Hier ist im Allergietest eine Sensibilität, nicht aber eine Allergie nachgewiesen.

M E R K EEine positive Reaktion im Allergietest belegt keine Allergie, sondern nur eine Sensibilität. Erst die allergische Reaktion nach Kontakt mit dem Auslöser beweist die Allergie.

Fallbeispiel 4.6 Der junge T. litt unter akuten Luft beschwerden. Die Anamnese ergab als mögliche Ursache

einen kürzlich erworbenen Vogel im Kinderzim-mer. Nach der Beseitigung des Vogels aus dem Zimmer traten keine Beschwerden mehr auf.

Der Junge zeigte im Prick-Test hochgradige (++++) Reaktionen auf nahezu alle untersuch-ten Allergene, obwohl weder vor noch nach die-sem Ereignis jemals allergische Reaktionen auf die Umgebung zu verzeichnen waren.

Kommentar

Die Beseitigung des Vogels aus dem Kinderzim-mer war die einzig korrekte Maßnahme in der Überzeugung, dass hier eine drohende Alveolitis erste Beschwerden machte. Die Reaktion im All-ergietest dokumentiert nur die Sensibilisierung, aber keine Allergie.

Jeder Arzt sollte die Patienten nach einem Allergie-test auf den feinen Unterschied zwischen Sensibili-sierung und Allergie hinweisen, damit sie sich nicht krank fühlen und möglicherweise falsche Konse-quenzen ziehen.

Für diese übertriebene Vorsorge gibt es aktuell genügend Beispiel: Menschen bevorzugen laktose-freie Nahrung oder meiden Nahrungsmittel mit Glu-ten, um sich zu schützen. Berühmtes Beispiel ist der belgische König Philippe, der glutenfreie Kost zu sich nimmt und glaubt, sich damit etwas Gutes tun zu können. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Gluten-freie Kost führt zu Mangelerscheinungen.

Prick-Test

Der Prick-Test ist immer noch die schnellste und si-cherste, dabei preiswerteste Möglichkeit, eine Sensibi-lisierung nachzuweisen oder auszuschließen. Ein ne-gatives Ergebnis im Allergietest schließt eine Allergie aber nicht aus. Manchmal belegen die Beschwerden und die erfolgreiche Th erapie die richtige Diagnose.

Fallbeispiel 4.7 Frau S. begann im Februar über typische Asth-masymptome zu klagen. Die Lungenfunktion inklusive Bronchospasmolysetest bestätigte den Verdacht auf ein Asthma. Ein Allergietest verlief negativ. Die Th erapie im Sinne eines allergischen Asthmas zeigte Erfolg.

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774.2 Diagnostik

4

In den darauff olgenden Jahren traten die Be-schwerden immer wieder zur selben Zeit auf, was für eine allergische Reaktion auf Baumpol-len spricht. Wiederholte Prick-Tests blieben im-mer negativ.

RAST-Test

Der im Labor durchgeführte RAST-Test ist recht teu-er und wird allgemein zu häufi g eingesetzt. Er sollte nur durchgeführt werden, wenn eine Diskrepanz zwi-schen dem Ergebnis des Prick-Tests besteht (s. o.) oder eine Hauttestung aus irgendwelchen Gründen nicht durchgeführt werden kann (ernste Hauterkran-kungen, Medikamente, die die Hautreaktion beein-trächtigen und nicht abgesetzt werden können u. Ä.).

Beschwerdekalender

Immer wieder versagen alle Möglichkeiten einer Al-lergiediagnose, vor allem der Zusammenhang von Anamnese, Beschwerden und Allergietest, sodass man intensiver fahnden muss. In diesem Fall kann das Führen eines Beschwerdekalenders zur richtigen Diagnose führen. Der Patient wird gebeten, abends vor dem Zubettgehen kurz durch Ankreuzen auf ei-nem Vordruck (› Kap. 6) eine Befunddokumenta-tion für den abgelaufenen Tag vorzunehmen. Die auf den ersten Blick aufwendige Aufgabe ist schnell erledigt, kann aber ausgesprochen hilfreich sein.

Fallbeispiel 4.8 Frau L-S. litt im Mai seit Wochen unter Husten und einer eingeschränkten Belastbarkeit. Eine Allergie, ein Asthma oder Beschwerden in den Jahren zuvor konnten nicht angegeben werden.

Einige Monate später bestätigte ein Pneumo-loge die Allergie, lehnte aber die Diagnose Asth-ma wegen normaler Lungenfunktion ab.

Mithilfe des Beschwerdekalenders konnte festgestellt werden, dass die Beschwerden im Frühjahr beginnen und bis etwa Ende Juni fort-bestehen.

Unter der Th erapie des periodischen allergi-schen Asthmas traten auch in den Folgejahren keine Beschwerden mehr auf.

Kommentar

Bei ganzjährigen Beschwerden und dem Nach-weis zahlreicher Allergene kann mit einem Be-schwerdekalender die Entscheidung erleichtert werden, gegen welche Allergene eine Hyposen-sibilisierung sinnvoll ist bzw. begonnen werden sollte.

4.2.5 Messung der FeNO- Konzentration

Die Messung der Stickoxidkonzentration in der Aus-atemluft (Fraction exhaled NO, FeNO) ist eine neue Untersuchungsmöglichkeit zur Diff erenzierung und Beurteilung der Intensität einer Schleimhautentzün-dung der Atemwege.

Grundlagen

Bei Asthma entsteht die Entzündung der Schleimhaut durch die Aktivierung von Mastzellen und antigenspe-zifi schen TH2-Zellen, die mit der Produktion von Zyto-kinen einhergeht, darunter auch Interleukin (IL)-4, IL-5 und IL-13. Die Interleukine 4 und 13 induzieren die Expression von Stickstoff oxid (NO) aus Schleim-hautzellen. NO ist somit ein wertvoller Biomarker für eine TH2-Zell-vermittelte eosinophile Entzündung.

Die Zahl der Eosinophilen im Sputum korreliert mit dem Schweregrad des Asthmas. Die Höhe des FeNO-Messwerts verhält sich wiederum proportio-nal zur Intensität der Entzündung, gemessen an der Zahl der Eosinophilen im Bronchialsekret (Petsky et al. 2012).

Die verschiedenen Asthmaformen kommen sel-ten rein, sondern häufi ger als Mischbilder vor. Die FeNO-Messung identifi ziert die Patienten mit einer eosinophilen Entzündungskomponente, bei denen Th erapie mit einem inhalativen Glukokortikoid Aussicht auf Erfolg hat (› Tab. 4.5, › Tab. 4.6). Die Existenz eines neutrophilen Asthmas wird kon-tro vers diskutiert; es ist auf jeden Fall selten. Dieser Phänotyp ist gleichbedeutend mit fehlender Sensiti-vität für inhalative Glukokortikoide.

Erhöhte FeNO-Werte bei einem COPD-Patienten sprechen für eine asthmatische Komponente, die er-

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78 4 Chronische Atemwegs erkrankungen

4

folgreich mit inhalativen Glukokortikoiden behan-delt werden kann. Zusätzlich kann die niedrigst-mögliche Dosis des Glukokortikoids titriert werden.

Hilfreich ist diese Messmethode auch bei Patien-ten mit Kortisonangst und bei Schwangeren (Pfaar et al. 2014), bei denen mit der Dosistitration die Ad-härenz möglicherweise gesteigert werden kann.

Besonderheiten

Wie bei jeder Untersuchung müssen auch die Ergeb-nisse einer FeNO-Messung kritisch und unter Berück-sichtigung möglicher Einfl ussfaktoren (› Tab. 4.4) gesehen und im Zusammenhang mit dem klinischen Bild interpretiert werden. Auch bei der FeNO-Mes-sung sind falsch negative Ergebnisse möglich. Für das  inhalative Rauchen konnte inzwischen nachge-

wiesen werden, dass die Werte auch bei Rauchern mit der Schwere der Entzündung korrelieren, sich das Niveau lediglich insgesamt nach unten verschoben hat.

Die Untersuchung sollte nicht nach schnellem At-men, z. B. nach dem Laufen oder nach einer Lungen-funktionsuntersuchung erfolgen. In beiden Fällen wurde das NO abgeatmet, sodass die gemessenen Werte zwangsläufi g niedriger sind als erwartet.

Die FeNO-Messung bietet wegen der leichten und schnellen Messbarkeit in der Praxis in einigen auch entscheidenden Situationen wertvolle Hilfe (› Tab. 4.5).

Diagnostischer Wert

Die Diagnose Asthma wird gestellt durch die typi-sche Anamnese und bestätigt durch eine Obstruk-tion in der Lungenfunktionsprüfung mit teilweiser oder vollständiger Reversibilität im Bronchospas-molysetest. Einige Problemsituationen erschweren diese Bestätigung:• Kinder (< 6 Jahre) sind oft noch nicht in der La-

ge, die für eine verwertbare Lungenfunktionsun-tersuchung erforderlichen Atemmanöver auszu-führen.

• Wenn die Kinder dazu in der Lage sind, resultiert häufi g ein normales oder sogar hochnormales Er-gebnis.

• Viele Erwachsene können die Atemmanöver nicht korrekt ausführen.

• Zum Zeitpunkt der Vorstellung fehlt die zu er-wartende Obstruktion bei einem nur leichten Asthma oder im beschwerdefreien Intervall.

In diesen Fällen blieb zur Sicherung der Diagnose bisher jeweils nur eine weiterführende und zeitrau-bende Diagnostik mittels Peak-Flow-Messung durch den Patienten oder bronchialer Provokation beim Pneumologen. Die Beschwerden rufen aber meis-tens nach einer schnellen Entscheidung, sodass die Bestätigung durch einen Th erapieversuch erfolgen musste.

Mithilfe der FeNO-Messung (bei Kindern ab dem 4. Lj.) kann in der Hausarztpraxis die eosinophile Ent-zündung schnell und ohne großen Aufwand nachge-wiesen oder ausgeschlossen werden (› Tab. 4.6).

Tab. 4.4 Möglichkeiten der Beeinfl ussung der FeNO-Messwerte

Einfl ussfaktor FeNO-Wert

Nitratreiche Kost

Virusinfekt

Rauchen

Schnelles Atmen

Anstrengung

Spirometrie

Therapie mit ICS

Tab. 4.5 Indikationen für die FeNO-Messung in der Hausarztpraxis

Indikation Werte

Nachweis oder Ausschluss einer eosinophilen Entzündung bei Asthma oder COPD = Nachweis einer Ansprechbarkeit auf ICS

Entzündungsaktivität (Intensität der not-wendigen Therapie)

Stark

Gering bis keine

Bestätigung des Therapieerfolgs (Abnahme Entzündungsintensität)

Dosistitration (antientzündliche Therapie)

Risikobemessung für eine drohende Exazerbation

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794.2 Diagnostik

4

Fallbeispiel 4.9 Frau P. litt seit ihrer frühen Kindheit unter einem Asthma, das sich nur zur Zeit der Baumblüte be-merkbar machte. Den Rest des Jahres war sie be-schwerdefrei. Jedes Jahr begann sie im Januar vor-sorglich mit der Behandlung, um die Entzündung gar nicht erst ausbrechen zu lassen. Auf diese Wei-se konnten sich Beschwerden nicht entwickeln.

Im Januar hatte Frau P. keine Beschwerden und auch die Lungenfunktion zeigt keine Auff älligkeit.

Die leicht angehobenen FeNO-Werte signalisier-ten aber, dass bereits eine Entzündung vorhanden war, die sich nach Behandlungsbeginn normali-sierte (› Abb. 4.9). Ende Februar stiegen die FeNO-Werte trotz fort-laufender Behandlung langsam aber stetig an. Ur-sache waren off ensichtlich ein intensiver Pollen-fl ug und eine dafür unzureichende Dosis der anti-

M E R K EBei Kindern erlaubt ein erhöhter FeNO-Wert sogar die Vorhersage einer späteren Erkrankung an Asthma. Wird bei 4-jährigen Kindern ein erhöhter FeNO-Wert nachge-wiesen, ist bis zum 8. Lj. häufi ger mit einem manifesten Asthma zu rechnen (Peirsman et al. 2013).

Entscheidungshilfe für die Intensität der Therapie

Die FeNO-Messung liefert einen Messwert ver-gleichbar mit der Blutzucker- oder Blutdruckmes-sung für Diagnostik und Bewertung der Entzün-dung. Die Höhe des Messwerts entspricht der Inten-sität der Entzündung und ermöglicht eine bessere Abstimmung der Th erapie, als Symptome, Lungen-funktion, Peak-Flow-Messung oder bronchiale Pro-vokation.

Beispiel

Bei einem neu diagnostizierten Asthma entsprechen Ausmaß und Reversibilität der Obstruktion in der Lun-genfunktionsprüfung der Intensität der eosinophilen Ent-zündung. Anders verhält es sich mit einem Asthma mit

vergleichbarer Obstruktion, aber bereits vorliegender funktioneller Obstruktion. Hier ist die Obstruktion die Summe aus reversibler und nicht reversibler (fi xierter) Obstruktion. Nur ein Teil wird sich im Bronchospasmoly-setest und dann unter Therapie bessern. Im ersten Fall sind die FeNO-Werte deutlich höher als im zweiten Fall. Demzufolge muss die antientzündliche The-rapie im ersten Fall höher dosiert werden als im zweiten Fall.

Langzeitbetreuung

Sobald der FeNO-Wert einmal erhöht war, ist er ein guter Verlaufsparameter. Normalerweise erfolgt die Langzeitbetreuung anhand von Symptomen, den be-funden der Lungenfunktionsprüfung und dem Be-darf an Notfallmedikamenten. Bei Th erapiesteue-rung mittels FeNO-Messungen kann die niedrigste erforderliche Dosis ermittelt werden. Folgerichtig könnte auch bei COPD-Patienten mit erhöhtem Fe-NO-Wert und notwendigen inhalativen Glukokorti-koiden (› Kap. 4.11.4) eine Dosistitration erfolgen und das Risiko einer Überdosierung reduziert wer-den.

Tab. 4.6 Wahrscheinlichkeit einer eosinophilen Entzündung und Kortisonsensitivität sowie Interpretation

Niedrig Mittel Hoch

Kinder < 20 ppb 20–35 ppb > 35 ppb

Erwachsene < 25 ppb 25–50 ppb > 50 ppb

Eosinophile Unwahrscheinlich Leicht vorhanden Signifi kant

Asthma Unwahrscheinlich Wahrscheinlich Sehr wahrscheinlich

Vorgehen Effekt eines ICS unwahrscheinlichWeitere Diagnostik

Therapieversuch je nach KlinikLungenfunktionsprüfung, Peak-Flow-Messung?FeNO-Kontrolle

Effekt eines inhalativen Glukokorti-koids sehr wahrscheinlichFeNO-Kontrolle

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80 4 Chronische Atemwegs erkrankungen

4

entzündlichen Th erapie. Die Lungenfunktion blieb unauff ällig. Anfang April quälte die Patien-tin eines Morgens ein unstillbarer Reizhusten. Erst jetzt zeigt auch die Lungenfunktion eine Ver-

schlechterung und machte eine Akutbehandlung erforderlich (› Abb. 4.10). Trotz massivem Lun-genfunktionsverlust bestanden also nur ein quä-lender Hustenreiz und keine Luft not.

Abb. 4.9 Die Werte für FEV1 zeigen unter der Therapie einen stabilen Verlauf bis zur plötzli-chen Exazerbation im April (3.4.). Die im Januar bereits leicht erhöhten Werte für FeNO sinken mit Beginn der Therapie, beginnen aber bereits im Fe-bruar wieder anzusteigen. Mit Eskalation der Therapie signali-sieren der Anstieg der FEV1 und Abfall des FeNO das erfolgrei-che Abfangen der Exazerbation. [L231]

10.1

FEV1 (l) FeNO (ppb)

0 0

10

20

30

40

50

60

70

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

4,5

5

17.1 24.1 6.2 21.2 2.4 11.4 25.4 24.5 4.6 24.6

IVC

22.02.2007, 18:31

Fluss in l/s

Soll Referenz: 18:31 Spasmolyse

FVCFEV1FEV1%VCPEFMEF25MEF50MEF75Rfo 8Hz

3.333.332.87

806.731.744.125.823.50

6.034.834.02

679.501.874.548.863.23

181%145%140%83%

141%108%110%152%92%

5.454.774.27

7810.712.554.989.641.87

164%143%149%97%

159%147%121%166%54%

IVCFVCFEV1FEV1%VCPEFMEF25MEF50MEF75Rfo 8Hz

3.313.312.85

806.701.714.105.793.50

2.912.842.22

767.010.792.156.021.28

88%85%78%95%

105%46%52%

104%37%

3.432.962.38

697.271.012.406.441.68

104%90%84%86%

109%59%59%

111%48%

03.04.2007, 14:27Soll Referenz: 14:27 Spasmolyse

121086420

–2–4

1 2 3 4 5 Volumen in lReferenz Spasmolyse Referenz Spasmolyse

121086420

–2–4

1 2 3 4 5 Volumen in l

MesskurveFluss in l/sMesskurve

Abb. 4.10 Im Februar zeigt die Lungenfunktionsprüfung bei guter Mitarbeit in der Fluss-Volumen-Kurve einen fast norma-len Kurvenverlauf. Trotz normaler Werte belegt die leichte Besserung im Bronchospasmolysetest eine bereits leichte asthma-tische Schleimhautentzündung. Mit Beginn der Exazerbation halbieren sich die Lungenfunktionsparameter und es erfolgt nur eine minimale Änderung im Bronchospasmolysetest. [L231]

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814.2 Diagnostik

4

4.2.6 Beurteilung der Entzündungs-aktivität bei Asthma und COPD

Heute ist es wichtiger denn je, exakt zwischen Asth-ma und COPD zu diff erenzieren. Außerdem muss zur Entscheidung über die Intensität der Th erapie möglichst auch die Entzündungsaktivität vor Beginn und auch im weiteren Krankheitsverlauf möglichst exakt beurteilt werden, um Umfang und Dosis der Th erapie entsprechend abstimmen zu können. Die Ergebnisse sind immer in Zusammenhang mit der Klinik zu interpretieren.

Leider lässt sich die Intensität der Entzündung bei der COPD praktisch nicht bemessen. Dies war einer der Gründe für die Neudefi nition der COPD (GOLD 2017, Vogelmeier et al. 2018). Bei der COPD bleibt aktuell nur die Möglichkeit, die Intensität der Th era-pie vor allem nach subjektiver Beschwerdeäußerung der Patienten und Auft reten von Exazerbationen zu bemessen.

Im Gegensatz dazu kann die erforderliche Intensi-tät der Th erapie beim Asthma an die Intensität der Entzündung gekoppelt werden. Die möglichst ge-ringste Dosis kann mit dieser Einschätzung der Ent-zündung praktisch titriert werden.

Zur Beurteilung der Intensität der Entzündung stehen mehrere Verfahren zur Verfügung, die in di-rekte und indirekte Nachweismethoden unterteilt werden (› Tab. 4.7).

Sputumanalyse

Die Analyse des Bronchialsekrets ist die sicherste Methode, die Art der Entzündung, eosinophil oder neutrophil, zu sichern und gleichzeitig die Intensität zu messen. Gewonnen werden kann das Sputum durch spontane Expektoration, als induziertes Spu-tum (nach Inhalation von Kochsalz) oder mittels Bronchoskopie oder bronchoalveolärer Lavage.

Kommentar

Es wird kontrovers diskutiert, ob eine antient-zündliche Th erapie vor Beginn des Pollenfl ugs oder dem Kontakt mit anderen Auslösern sinnvoll ist. Gegen diese vorzeitige Th erapie spricht die bis zu diesem Zeitpunkt fehlende Entzündung. Dafür spricht allerdings, dass der Beginn zum optimalen Zeitpunkt, d. h. dem Beginn der Allergenbelas-tung, nur schwer vorhersehbar ist.

Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass Patien-ten dazu neigen, ihre Behandlung nicht vorsorglich zu beginnen, sondern jedes Jahr von Neuem durch den Irrglauben gelenkt werden, in diesem Jahr von Beschwerden verschont zu bleiben und auf die un-bequeme Th erapie verzichten zu können.

Wenn sie dann mit akuten Beschwerden vor-stellig werden, muss immer mit intensiver Th era-pie versucht werden, diese Exazerbation abzufan-gen. Es werden mehr Medikamente (z. B. systemi-sche Glukokortikoide) und höhere Dosen benö-tigt, als wenn der Patient zu einem frühen Zeitpunkt vor Beginn des Pollenfl ugs bereits mit seiner Standardtherapie beginnen würde, die sich in den letzten Jahren als optimal erwiesen hat.

Eine vorbeugende Th erapie zum noch verfrüh-ten Zeitpunkt erscheint unter diesen Bedingungen sinnvoller als abzuwarten, bis die Entzündung voll ausgeprägt ist. Für diese Variante spricht alleine schon die Feststellung, dass der Beginn des Pol-lenfl ugs wegen der wechselnden Witterung stän-dig leicht wechselt und der darauf abzustimmen-de Termin für den optimalen Th erapiebeginn nur schwer zu kalkulieren ist.

Im vorliegenden Fall befolgte die Patientin die Anweisung, mit Beginn des Jahres ihre bekannte Th erapie vorsorglich zu beginnen. Der zu diesem Zeitpunkt bereits leicht erhöhte FeNO-Wert be-stätigte, dass die Schleimhautentzündung bereits begonnen hat, was in der Lungenfunktion nicht deutlich zum Ausdruck kommt (› Abb. 4.9).

Der bei gleichbleibender Lungenfunktion an-steigende FeNO-Wert belegt hier eine größere Sensibilität als die Lungenfunktion. Wäre eine an den ansteigenden FeNO-Wert adaptierte Anhe-bung der antientzündlichen Th erapie erfolgt, wäre die Akutsituation möglicherweise nicht eingetre-ten und die Notfalltherapie vermutlich nicht nötig geworden.

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82 4 Chronische Atemwegs erkrankungen

4

Bei der COPD ist die Sputumanalyse die einzige Möglichkeit, die Entzündung und deren Intensität nachzuweisen.

Beim Asthma korreliert die Zahl der gefundenen Eosinophilen mit dem Schweregrad des Asthmas. Eine Abnahme der Eosinophilenzahl bestätigt den Th erapieerfolg. Außerdem besteht eine Korrelation zwischen Eosinophilie und Lungenfunktion, bron-chialer Hyperreaktivität und FeNO.

Die Sputumanalyse ist für die tägliche Arbeit in der Praxis wegen ihres Aufwands ungeeignet. Sie fi ndet nahezu ausschließlich anlässlich wissen-schaft licher Untersuchungen Verwendung.

Lungenfunktionsprüfung

Beim Asthma ist die Obstruktion die Summe aus akuter und funktioneller Obstruktion. Die Besse-rung im Bronchospasmolysetest (ΔFEV1) belegt die Intensität der akuten Entzündung beim Asthma (› Abb. 4.3) und ist damit ein Anhalt für die erfor-derliche Stärke der antientzündlichen Th erapie. Die verbleibende Obstruktion ist der irreversible Anteil (funktionelle Obstruktion = Remodeling).

M E R K EDer Abstand der Exspirationskurven und der FEV1 vor und nach Bronchospasmolyse sind beim Asthma ein Maß für die Intensität der Schleimhautentzündung.

Im weiteren Verlauf der Betreuung kommt es beim Asthma als Bestätigung der ausreichend bemesse-nen Th erapie eine Besserung/Normalisierung der Lungenfunktion mit zunehmender Annäherung der Exspirationskurven bis zu deren Verschmelzung (› Abb. 4.3). Bei Verschmelzung der beiden Kur-ven ist davon auszugehen, dass die Entzündung ein-

gedämmt ist und keine Beschwerden mehr auft re-ten. Die verbleibende Obstruktion ist ein Ausmaß für die funktionelle Obstruktion.

Peak-Flow-Messung

Niedrige Werte und starke Schwankungen im Ta-gesverlauf sprechen für ein Asthma (› Abb. 4.8). Die Tagesschwankungen sind gleichzeitig ein Mar-ker für die Stärke der Entzündung (› Tab. 4.8).

Bei einer Messung vor und nach Inhalation eines Bronchodilatators, ist der Abstand zwischen den beiden resultierenden Kurven ein weiteres Maß für die Entzündung (› Abb. 4.11).

Ein Anstieg der Werte, die Abnahme der Schwan-kungen im Tagesverlauf signalisieren eine Abnahme (› Abb. 4.12) der Entzündung. Bei einer Messung vor und nach eventueller Inhalation eines Broncho-dilatators sollte die Diff erenz gleichzeitig abnehmen.

Im Gegenzug signalisieren sinkende Werte, Zu-nahme der Schwankungen und Diff erenz vor und nach Bronchodilatation die Zunahme der Entzün-dung und rufen nach frühzeitiger Reaktion.

Bronchiale Provokation

Auf die Inhalation bestimmter Substanzen (z. B. Me-tacholin, Histamin, Mannit) reagiert jeder Mensch abhängig von der Konzentration mit einer Broncho-konstriktion, der Kranke eher als der Gesunde. Zur

Tab. 4.7 Direkte und indirekte Methoden zum Nach-weis und Differenzierung der Entzündung bei Asthma und COPD

Direkte Methode Indirekte Methoden

SputumGewonnen mit spontaner Ex-pektoration, Induktion, bron-choalveoläre Lavage, Broncho-skopie

Lungenfunktion

Peak-Flow-Messung

Bronchiale Provokation

FeNO-Messung

Tab. 4.8 Beurteilung der Entzündungsaktivität mittels Peak-Flow-Messung bei Asthma und COPD

Asthma COPD

Vor der Therapie

Tagesschwankungen Groß Wenig bis keine

Abstand bzw. Differenz vor und nach Broncho-dilatation

Groß Wenig bis keine

Nach der Therapie

Tagesschwankungen Im Idealfall keine

Unverändert

Abstand bzw. Differenz vor und nach Broncho-dilatation

Gering bis nicht vor-handen

Unverändert

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834.2 Diagnostik

4

Vergleichbarkeit wird die Pc20 (Konzentration, bei der die FEV1 um 20 % abfällt) ermittelt. Von Nach-teil ist, dass die Reaktion nicht vorhersehbar ist. Manche Asthmatiker reagieren auf Metacholin, nicht aber auf Histamin und umgekehrt. Die benö-tigte Dosis ist proportional zur vorliegenden Eosino-philie und damit ein Maß für die Hyperreagibilität und die Entzündung.

Bei einer COPD weist eine gesteigerte Hyperreagi-bilität entweder auf eine asthmatische Komponente

oder auf eine schlechtere Prognose hin. Auf jeden Fall sollte hier, wenn möglich eine weitere Diff eren-zierung (FeNO, Sputum-/Bluteosinophilie) oder ein Th erapieversuch mit einem inhalativen Glukokorti-koid erfolgen, um die asthmatische Komponente nachzuweisen bzw. auszuschließen.

Wegen der geringen Frequenz der Untersuchun-gen und des großen Aufwands eignet sich diese Un-tersuchung nicht für die Hausarztpraxis und bleibt dem Pneumologen vorbehalten.

Abb. 4.11 Peak-Flow-Diagramm unter regelmäßiger Inhalation (4 × 2 Hübe) von DNCG plus Reprote-rol, jeweils vor und ca. 10 Minuten nach Inhalation. Die Werte steigen leicht an, die Variabilität und die Differenz zwischen den beiden Kurven nehmen leicht ab. Diese Effekte sind aber sicher mehr auf die Wirkung von acht Dosen Re-proterol (Bronchodilatation und kurzfristige Stabilisierung des Asthmas für die Wirkdauer von 4–6 h) zurückzuführen als auf die Mastzellen stabilisierende Wirkung des DNCG. [L231]

1 11 21 31400

450

500

550

600

650

700

750

850

800

nach Inhalationvor Inhalation

l/Min.

Abb. 4.12 Dauertherapie des Asthmas mit einem inhalativen Glukokortikoid. Zu Beginn der Therapie belegen niedrigere Werte und größere Schwankungen die Aktivität der asthmatischen Ent-zündung. Mit zunehmender Dauer der Therapie steigen die Werte an und die Variabilität nimmt immer mehr ab als Hinweis auf die ab-nehmende Intensität der Schleim-hautentzündung. [L231]

81400

450

500

550

600

650

700

750

800

15 22 29 36 43 50 57

l/Min.

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84 4 Chronische Atemwegs erkrankungen

4

FeNO-Konzentration

Die Höhe des FeNO-Werts ist ein direktes Maß für die Intensität der Entzündung. Die FeNO-Messung bietet die Möglichkeit zur Diff erenzierung der Ent-zündung vor Th erapiebeginn und vor allem für die Verlaufsbeobachtung bei Patienten mit Asthma oder COPD. Voraussetzung ist ein Asthma mit Pro-duktion von NO in der Schleimhaut, was für die meisten Asthmatiker zutrifft (› Tab. 4.9).

Unter Th erapie signalisieren fallende Werte eine Abnahme der Entzündung, ansteigende Werte eine Zunahme der Entzündung (drohende Exazerbation) lange Zeit vor einem Akutereignis und sind Indika-tor für eine notwendige Th erapiesteigerung. Damit besitzen gerade Hausärzte eine gute Möglichkeit, die Intensität der Entzündung vor allem im Verlauf ver-gleichen und die Th erapie adaptieren zu können (› Tab. 4.9, › Abb. 4.9).

4.3 Rhinitis allergica und Asthma

Wie bereits erwähnt, bilden obere und untere Atem-wege eine funktionelle Einheit und die Unterteilung ist rein willkürlich. Rhinitis allergica und Asthma müssen demnach viele Gemeinsamkeiten aufweisen:• Beiden gemeinsam ist eine IgE- und TH2-vermit-

telte Entzündungsreaktion, die zur Freisetzung von Mediatoren wie Histamin aus Mastzellen und Basophilen führt. In den oberen Atemwegen kommt es zur Schleimhautschwellung mit Behin-derung der Nasenatmung, Niesen und Rhinor-

rhö, in den unteren Atemwegen zur asthmati-schen Trias.

• Als Risikofaktoren gelten für beide Hyperreakti-vität und als Auslöser atopische Dermatitis, All-ergene und Reizstoff e.

• Vermutlich beeinfl ussen sich beide Atemwegsbe-reiche gegenseitig durch nasobronchiale Kom-munikation. Off ensichtlich breitet sich die Ent-zündung durch zirkulierende Entzündungszellen aus. Bei einer nasalen Provokation kann es auch zur bronchialen Reaktion kommen und umge-kehrt (Braunstahl et al. 2000, 2001).

Unter diesen Voraussetzungen wundert es nicht, dass es bei 30 % der Patienten zu einem sogenannten Etagenwechsel kommt und zur Rhinitis allergica ein Asthma hinzukommt. Zwischen 40 % und 75 % (Praxis des Autors: 63 %) der Asthmatiker leiden gleichzeitig unter einer Rhinitis allergica. Zusätzlich ist eine Rhinitis allergica auch bei chronischer Sinu-sitis (75 %), Otitis media (21 %) und nasalen Polypen (2,5 %) zu fi nden.

Da eine Rhinitis allergica eher unangenehm und lästig ist, ein Asthma im Gegensatz dazu aber eine potenziell tödlich verlaufende Krankheit ist, muss bei jedem Patienten mit Rhinitis allergica ein Asth-ma ausgeschlossen werden.

Fallbeispiel 4.10 Die Schauspielerin Charlotte Coleman, bekannt geworden durch den Film „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ mit Hugh Grant, verstarb 2003 innerhalb weniger Minuten in einem Londoner Hotel an einem Asthmaanfall.

Viele der Patienten mit Rhinitis allergica und Asth-ma halten den wiederholt auft retenden Hustenreiz

Tab. 4.9 Interpretation der FeNO-Werte unter laufender Therapie

Anhaltend erhöht Normal bzw. akzeptabel

Kein ICS-sensitives Asthma ICS-sensitives Asthma

Unzureichende Intensität der Therapie (Therapiesteigerung erwägen)

Ausreichende Inten sität der Therapie (Therapiereduktion erwägen)

Schlechte Adhärenz (verordnete Dosen?) Gute Adhärenz möglich

Zu geringe bronchiale Deposition durch• falsches Inhaliersystem für den Patienten,• fehlerhafte Inhalationstechnik

Korrekte Inhalationstechnik

ICS = inhalatives Glukokortikoid

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854.4 Asthma

4

in ihrer Saison geduldig aus und umschreiben ihn verharmlosend als allergischen Husten. Asthma wird eben immer mit Luft not assoziiert.

M E R K E40 % aller Menschen, die regelmäßig husten, haben Asthma (Jill Cockburn).

Die Allergiker sollten zumindest zu Beginn des Jah-res einmalig mit Aushändigung des Rezepts über ihr Heuschnupfenmedikament folgende Empfehlung erhalten: „Wenn Sie Husten oder Luft not in den frü-hen Morgenstunden und während oder nach kör-perlicher Belastung haben, suchen Sie mich bitte in der Praxis auf.“ In diesem Moment sollte man das Wort Asthma meiden. Husten und alle Krankheiten, die damit verbunden sind, sind immer noch negativ belegt (Tuberkulose). Gleichzeitig soll auf diese Wei-se keine Angst vor Asthma geweckt werden.

4.4 Asthma

Asthma ist eine variable und spontan oder medika-mentös (teil)reversible Atemwegsobstruktion infol-ge Entzündung und Hyperreagibilität (Überemp-fi ndlichkeit) der Atemwege. Ausgelöst wird diese asthmatische Reaktion durch eine vorwiegend eosi-nophile Schleimhautentzündung.

Daraus ergeben sich folgende Fakten für die Anam nese und Diagnose des Asthmas: Der Patient hat Phasen von Wohlbefi nden und Beschwerden, die spontan entstehen und auch spontan verschwin-den können. Sie werden ausgelöst durch eine über-wiegend eosinophile Entzündung in der Schleim-haut der Atemwege, die zu Hyperreagibilität der Atemwege mit wechselnd intensiver Obstruktion führt. Die Art der Entzündung erklärt das gute An-sprechen auf Glukokortikoide.

4.4.1 Ätiologie

Bei Kindern und Jugendlichen beginnt das mit einer allergischen Entzündung, deren Allergen meistens gut zu eruieren ist. Im Erwachsenenalter nimmt die

Allergie als Auslöser an Häufi gkeit ab, obwohl sich auch noch im fortgeschrittenen Alter ein allergi-sches Asthma entwickeln kann.

Die Zunahme von Asthma ist zum Teil auf die verbesserten hygienischen Verhältnisse und die Be-kämpfung von Infektionskrankheiten zurückzufüh-ren.

Bei Kindern scheint eine breite Exposition mit Al-lergenen in Kombination mit einer Endotoxinbelas-tung aus Bakterien der direkten Umgebung nach der Geburt die Entwicklung eines Asthmas zu hemmen. Eine spätere Allergenexposition scheint dagegen ein Asthma zu begünstigen. Impfungen scheinen nicht, wie früher angenommen, die Entwicklung von Asth-ma zu fördern. Möglicherweise wirken sie sogar pro-tektiv.

Längeres Stillen für 3–6 Monate kann die Ent-wicklung einer Allergie verhindern. Darüber hinaus konnte kein Eff ekt nachgewiesen werden.

Eine familiäre Häufung kann festgestellt werden (› Kap. 4.1).

Neben dem allergischen und nicht allergischen Asthma und den Mischformen gibt es noch zahlrei-che andere Asthmaformen, die sich in ihrem Ent-zündungstyp unterscheiden, wie das sicher extrem seltene neutrophile Asthma. Das erklärt auch das unterschiedliche Ansprechen auf die inhalativen Glukokortikoide.

4.4.2 Symptomatik

Akute

Die altbekannte Trias aus Schleimhautödem, Hyper- oder Dyskrinie und Bronchospasmus führt akut zu den typi-schen Beschwerden Husten, Auswurf und Luftnot.

Die in der entzündeten Schleimhaut gebildeten Ent-zündungsmediatoren steigern die Reaktionsbereit-schaft des Bronchialsystems (Hyperreaktivität) auf unspezifi sche oder spezifi sche Reize, sodass es zur Bronchokonstriktion kommt. Eine anhaltende (un-zureichende, unbehandelte) Entzündung verstärkt die Bereitschaft zu Asthmaanfällen und sekundären Veränderungen (› Abb. 4.13).

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142 4 Chronische Atemwegs erkrankungen

4

lassen. Auf diese Komplikation weisen eine bekann-te KHK und Herzinsuffi zienz und ein langjähriger Hypertonus hin. Der Blutdruck ist meistens hoch und der Husten im Gegensatz zum Asthmaanfall nicht trocken, sondern es brodelt eher.

Fallbeispiel 4.41 Bei Frau S., 78 Jahre alt, war seit vielen Jahren ein Asthma und ein Mitralvitium mit absoluter Arrhythmie bekannt. In den letzten 10 Jahren war ein Hypertonus hinzugekommen. Regelmä-ßig benötigte sie einen Hausbesuch wegen aku-ter Luft not.

Die Diff erenzierung zwischen Asthmaanfall und Linksherzproblematik war immer schwer. Manchmal gab es Hinweise auf einen Infekt, ein anderes Mal wiesen der deutlich erhöhte Blut-druck sowie der unterschiedliche Husten den richtigen Weg und erleichterten das Abwägen für die eine oder andere Th erapie.

Vorgehen

Durch das Beachten einiger Kriterien (› Tab. 4.23) können die Bedrohlichkeit und die Notwendigkeit

einer Krankenhauseinweisung beurteilt werden. Die richtigen Maßnahmen helfen dabei, den Asthmaan-fall gezielt abzufangen (› Tab. 4.24).

M E R K ETheophyllin wird heute zur Behandlung des Asthmaan-falls nicht mehr empfohlen.

Tab. 4.23 Zeichen einer bedrohlichen Asthmaattacke

Potenziell lebens bedrohlich

Wahrscheinlich lebensbedrohlich

Atemnot In Ruhe In Ruhe

Aktivität Kann kaum gehen Kann kaum gehen

Sprechen Keine ganzen Sätze Kann kaum sprechen

Bewusstsein Agitiert Benommen

Atemfre-quenz

> 25/Min. > 25/Min.

Pulsfrequenz > 100/Min. Evtl. bradykard

Atemge-räusch

Laut pfeifend Stille Lunge

Peak-Flow Werte

30–40 % des Soll-wertes oder schlechtes Anspre-chen auf Beta-Ago-nisten

20–0 % des Soll-werts und/oder keine Besserung auf Beta-Agonisten

pO2 < 60 mmHg > 60 mmHg trotz O2-Gabe

pCO2 > 40 mmHg > 45 mmHg

Tab. 4.24 Vorschlag für das Vorgehen beim Asthma-anfall (modifi ziert nach Buhl et al. 2017)

Leichter bis mittelschwerer Asthmaanfall• Peak-Flow messen• Kontrollierte Inhalation von 2–4 Hüben eines schnell

wirkenden Beta-Agonisten (Fenoterol, Salbutamol) bzw. Formoterol (max. 72 μg/24 h). Viele Patienten verwenden in der Notfallsituation zwar ihr Akut-Spray, inhalieren aber falsch, wodurch der Effekt ausbleiben muss. Die vom Arzt kontrollierte Inhalation führt dann oftmals zu einem verblüffend schnellen Effekt. Eventu-ell und sofern vorhanden, kann diese Inhalation über Spacer erfolgen.

• Peak-Flow-Wert nach 10 Minuten kontrollieren• Ggf. Inhalation wiederholen• Glukokortikoide: 25–50 mg Prednisolonäquivalent i. v.• Atemerleichternde Lagerung (sitzend, Unterarme un-

terlagert)• Lippenbremse (unbedingt vormachen und mitmachen,

bis der Patient dazu selbstständig in der Lage ist)• Vor dem Verlassen Therapieeffekt unbedingt mittels

Peak-Flow-Wert überprüfen• Anhaltend niedrige Werte sprechen für einen schweren

Asthmaanfall

Schwerer Asthmaanfall• Sofern vorhanden, Sauerstoff 2–4 l/Min. über Nasen-

sonde (Atmung beachten)• Kontrollierte Inhalation von 2–4 Hüben eines kurz wir-

kenden Beta-Agonisten• Wenn vorhanden, 2–4 Hübe Ipratropium inhalieren• Ggf. Inhalation wiederholen• Kortison (50–100 mg Prednisolonäquivalent) i. v. oder

p. o.• Atemerleichternde Lagerung• Lippenbremse• Beta-Agonist parenteral, z. B.

– Terbutalin (Bricanyl®) 0,25–0,5 mg s. c. (ggf. Wie-derholung in 4 h) oder

– Reproterol 0,09 mg (= 1 Amp.) (Bronchospasmin® Injektionslösung) langsam i. v. (Wiederholung nach 10 Min. möglich)

• Umgehende Klinikeinweisung bei fehlendem Therapie-erfolg

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1434.13 Adhärenz

4

Besondere Vorsicht ist geboten bei:• Kürzlicher stationärer Behandlung wegen Asth-

ma.• Asthmaanfall am Abend: Es ist mit einer nächtli-

chen Verschlechterung zu rechnen.• Ungenügender Hilfe durch anwesende Angehöri-

ge.• Zu weite Entfernung zum Krankenhaus.• Welche Medikamente nimmt der Patient?

Der Erfolg der Akuttherapie lässt sich am besten mit der Peak-Flow-Messung beurteilen. (Ein Peak-Flow-Gerät fi ndet leicht in der Notfalltasche Platz.)

Fallbeispiel 4.42 Herr W. litt unter einem leichtgradigen Asthma. Als bei ihm eine Hypertonie festgestellt wurde, war ihm ein Betablocker verordnet worden. Ei-ne Stunde nach der Einnahme der ersten Tab-lette trat bei ihm starke Luft not auf, die im Not-dienst von mir behandelt werden musste.

Fallbeispiel 4.43 Trotz intensiver Dauertherapie besserten sich die Asthmabeschwerden bei Frau R. nicht. Die Luft not nahm ständig an Intensität zu. Eine ein-gehende Befragung klärte das Problem. Ihr Au-genarzt hatte die Th erapie ihres Glaukoms auf ein Präparat umgestellt, das einen Betablocker enthielt.

Fallbeispiel 4.44 Frau S. war dem Pollenfl ug durch einen Urlaub auf Fuerteventura ausgewichen. Auf der Insel hatte sie sich sehr wohl gefühlt. Einen Asthma-anfall hatte sie am zweiten Tag nach ihrer Rück-kehr erlitten. Erst auf gezieltes Nachfragen ge-stand sie, dass sie wegen Wohlbefi ndens die Medikamente vorübergehend weggelassen (Drug Holidays) und erst zu Hause wieder inha-liert hatte. Durch das Pausieren ging die Schutzwirkung des ICS langsam verloren. Der späte Beginn mit der Inhalation konnte den Asthmaanfall wegen des sich nur langsam wie-der aufb auenden Schutzes nicht verhindern.

M E R K ENach einem Asthmaanfall sollte immer nach dem Auslöser gefahndet werden, um weiteren Problemen vorzubeugen.

4.13 Adhärenz

Eine erfolgreiche Th erapie ist die Summe aus:• Korrekter Diagnose: nur eine korrekte Diagnose

ermöglicht die richtige Th erapie.• Korrekter Medikation: Gabe der richtigen Th era-

peutika in der optimalen Dosis.• Guter Adhärenz.• Korrekter Durchführung der Th erapie.• Regelmäßiger Anpassung der Th erapie an die ak-

tuelle Situation.Wird einer der Punkte vernachlässigt, muss unwei-gerlich auch der Erfolg der Th erapie ins Wanken ge-raten.

Die Erfahrung hat gelehrt, dass viele Asthmatiker zwar mehrere Medikamente erhalten, eine Stabilität mit Beschwerdefreiheit aber nicht erreicht wurde. Dabei benötigen die Patienten meistens nur einen Bruchteil der bisherigen Medikamente für eine er-folgreiche Th erapie.

Bedauerlicherweise sind zu dieser Stabilisierung selten andere Medikamente erforderlich, sondern fast immer nur aufk lärende Worte und das Einüben einer korrekten Anwendung.

Fallbeispiel 4.45 Auf die Schilderung der Behandlung in der Praxis des Autors nach Beendigung des Fremdgehens erwiderte ihr alter und wieder neue Hausarzt: „Das hätte ich Ihnen auch aufschreiben können.“

Die Patientin war überzeugt, dass die Haupt-arbeit zur Stabilisierung darin bestanden hatte, ihr die Ernsthaft igkeit des Asthmas und der Not-wendigkeit und gleichzeitig Harmlosigkeit der Th erapie mit inhalativen Glukokortikoiden zu vermitteln. Ihrer Ansicht nach hatte ihr Haus-arzt diese Überzeugungsarbeit nie versucht.

Dieser Zeitaufwand lohnt in jedem Fall und erleich-tert die erfolgreiche Zusammenarbeit in der Zu-kunft . Die zu Beginn oder zwischendurch erforderli-

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144 4 Chronische Atemwegs erkrankungen

4

che Zeit wird im weiteren Verlauf der Betreuung mehrfach eingespart werden können. Man sollte sich aber auch nicht scheuen, Patienten die Betreu-ung aufzukündigen, die zu einer Zusammenarbeit nicht bereit sind. Diese Patienten kosten nur Zeit, Nerven, Geduld und Budget etc. und sind in der Re-gel doch nicht zufriedenzustellen.

Genaue Diagnose und optimale Th erapie sind sinnlos, wenn der Patient die Th erapie nach Gut-dünken ändert oder nicht oder nur unzureichend anwendet.

Fallbeispiel 4.46 Für eine Studie mit einem Inhalativum wurden die Dosieraerosole mit einem Chip versehen, der die Zahl und den Zeitpunkt der Inhalatio-nen registrieren konnte. Bei jedem Kontrollter-min wurde das Dosieraerosol gewogen, um den Substanzverbrauch festzuhalten.

Bei der Aufarbeitung der ausgelesenen Daten mussten die Untersucher feststellen, dass viele Studienteilnehmer unregelmäßig inhaliert hat-ten. Um den Eindruck einer guten Mitarbeit und den Substanzverbrauch zu bestätigen, lös-ten sie kurz vor den Kontrollterminen zahlrei-che Hübe aus, ohne zu inhalieren.

4.13.1 Negative Einfl ussfaktoren auf die Adhärenz

Mit der Adhärenzforschung konnten zahlreiche Fak-toren aufgedeckt werden, welche die Bereitschaft zur Mitarbeit der Patienten beeinfl ussen (› Tab. 4.25).

Dazu gehört die Zahl der pro Tag einzunehmenden Medikamente bzw. die Frequenz notwendiger Inhala-tionen. Je häufi ger eine Anwendung erfolgen muss, umso eher werden Einnahmen eingespart.

Fehlende Krankheitseinsicht

Fallbeispiel 4.47 Frau Th ., Alter 40, Mutter von drei kleinen Kin-dern, gab an, im September einen Infekt gehabt zu haben, der mit einem Antibiotikum hatte be-handelt werden müssen. Der Husten sei weg, sie verspüre aber immer wieder ein Engegefühl in der Brust.

Auskultatorisch konnten aktuell keine Auff äl-ligkeiten festgestellt werden.

Gezielt gefragt, konnte dann eine Hausstaub-milbenallergie mit Beschwerdebeginn im Sep-tember (behinderte Nasenatmung am Morgen und Niesen) eruiert werden. Die Allergie wurde bestätigt durch das Abnehmen und Verschwin-den der Beschwerden bei Aufenthalten in grö-ßeren Höhen.

Erst im späteren Verlauf des Gespräches ge-stand die Patientin, dass sie seit 4 Wochen eine Katze im Haus hätten und fragte, ob die Be-schwerden mit der Katze zusammenhängen könnten.

Da die Patientin unter Zeitdruck stand, wur-de ein späterer Termin zur Lungenfunktion ver-einbart, zu dem die Patientin aber nicht er-schien. Zusätzlich wurde der Patientin empfoh-len, einen Allergietest zu wiederholen, der den Verdacht einer Sensibilisierung gegen Katzenei-weiß bestätigen sollte. Rückfragen bei der HNO-Ärztin, zu der sie gehen wollte, bestätigten, dass sie auch dieser Empfehlung nicht gefolgt war.

Kommentar

Zwischen den Zeilen kommt im Gespräch ziem-lich klar zum Ausdruck, dass die Mutter den Auslöser der frischen Beschwerden sehr wohl kannte, aber eine Bestätigung erhofft e, die Katze nicht wieder schnell abschaff en zu müssen, weil ihre Kinder sie schon ins Herz geschlossen hat-ten.

Tab. 4.25 Einfl üsse auf die Adhärenz

Positiv Negativ• Positive Haltung des Arztes• Lange Arzt-Patienten-Be-

ziehung• Hoher ärztlicher Zeitauf-

wand• Patient hält Therapie für

wirksam• Feedback vom Patienten• Schwerwiegende Krankheit

• Länge der Therapie• Zahl der verordneten

Medikamente• Zahl der täglichen Ein-

nahmen• Nebenwirkungen der

Therapie• Hohes Alter• Unzufriedenheit mit

dem Arzt

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1454.13 Adhärenz

4

4.13.2 Verbesserung der Adhärenz

Die Adhärenz muss bei jeder sich bietenden Gele-genheit optimiert werden. Wird die Th erapie regel-mäßig und korrekt durchgeführt, profi tieren Patient und Arzt. Und die Beschwerden des Patienten sind reduziert bis beseitigt. Der Patient ist zufrieden (und ein zufriedener Patient ist die beste Werbung) und der Arzt gewinnt Zeit. Ein stabiles Krankheitsbild fordert weniger Aufwand als ein instabiles (zeitlich, medizinisch).

Im Gegensatz dazu belastet ein Patient mit einem instabilen Krankheitsbild Praxis, Arzt und Arbeits-zeit, und belasten als notwendig erachtete therapeu-tische Versuche zur Steigerung des Th erapieerfolgs mit Medikamentenwechsel oder einer Mehrverord-nung das Budget. Außerdem ist der Patient unzu-frieden und neigt auf der Suche nach Linderung zum Arztwechsel.

M E R K EDer Patient muss zum Experten seiner Krankheit und zum Partner im Kampf gegen die Krankheit gemacht werden.

Gelingt es nicht, neue Patienten (untersucht bei Asthmatikern) innerhalb einiger weniger Vorstel-lungen an den Arzt zu binden, wechseln diese schnell den Arzt (Hausen 1997). Außerdem muss der Patient verstehen, dass er die Th erapie für sich durchführt und nicht anderen zuliebe.

Zur Steigerung der Adhärenz ist es empfehlens-wert, einige Aufk lärungspunkte abzuarbeiten. Be-dauerlich ist, dass diese Arbeit zeitaufwendig ist und fast immer zum falschen Zeitpunkt erfolgen muss. Sie ist aber für die Zukunft des Arzt-Patient-Verhält-nisses und die Adhärenz unerlässlich und lohnt im-mer. Die vorhandenen Möglichkeiten können auch fraktioniert genutzt werden, sodass sie weniger Zeit auf einmal beanspruchen (Hausen 1998, 1999a, b). Die aufgewendete Zeit wird im späteren Verlauf an vielen Stellen und sicher in größerem Umfang einge-spart werden können.

Aufklärung über die Krankheit

An dieser Stelle sollen mögliche Inhalte und Anre-gungen zur Formulierung erwähnt werden.

Asthma

Beim Asthma besteht eine Entzündung der Schleim-haut. Damit kein Missverständnis aufk ommt, sollte erwähnt werden, dass diese nicht durch Erreger son-dern durch andere Ursachen ausgelöst wird. Bei die-ser Entzündung werden Stoff e gebildet (Entzün-dungsmediatoren), welche die Schleimhaut an-schwellen lassen, zur Bildung von zähem Schleim (wie Weingummi) anregen und die Muskulatur ver-krampfen lassen, die die Bronchien umgibt.

Diese drei Vorgänge verengen akut die Bronchial-öff nung, sodass die Luft nur unter Mühe hinein und mehr noch wieder hinaus gelangen kann. Es kommt zu Husten, Auswurf und Luft not. Wichtig ist, dass Luft not oft fehlt und selbst im Notfall nur Husten-reiz als einziger Hinweis auf die Verengung der Atemwege besteht.

COPD

Bei der COPD ist die Schleimhaut in den Bronchien entzündet. Diese Entzündung führt durch eine Zer-störung der Schleimhaut zur Infektanfälligkeit und allmählichen Verengung der Atemwege.

Der Hustenreiz ist Zeichen der geschädigten Schleimhaut. Es wird sehr häufi g ein im Gegensatz zum Gesunden schlechter Schleim gebildet, der den Betroff enen sehr quälen und seine ursprüngliche Aufgabe nicht mehr richtig erfüllen kann. Das Lun-genvolumen nimmt ab und es kommt durch eine langsam aber stetige Verengung der Atemwege zu zunehmender Luft not.

Therapiebereitschaft

Ein Patient, der einsieht, dass er krank ist und etwas für sich tun muss, führt die verordnete Th erapie eher durch.

In den 1980er-Jahren gab es viele Patienten, die regel-mäßig täglich Beruhigungsmittel vom Typ der Benzo-diazepine einnahmen.Es bedurfte intensiver Aufklärungsarbeit, diese von der Unnötigkeit dieser Medikamente zu überzeugen und über die großen Gefahren aufzuklären. Nach einem langen Aufklärungsgespräch kam dann oft der entwaffnende

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146 4 Chronische Atemwegs erkrankungen

4

Einwand: „Aber Herr Doktor, ich nehme doch nur eine Tablette pro Tag.“Derselbe Patient erhielt dann ein Antihypertensivum mit der Empfehlung, eine Tablette pro Tag einzunehmen, woraufhin der Einwand kam: „Wie – davon soll ich wirk-lich jeden Tag eine Tablette einnehmen?“

Asthma

Ein Asthmatiker kann heute ein nahezu beschwer-defreies Leben führen, wenn er seine Behandlung regelmäßig und korrekt durchführt.

Unbehandelt wird die entzündete Schleimhaut dauerhaft zerstört, die Basalmembran verdickt sich und die Bronchialmuskulatur nimmt durch die ständige Anspannung an Masse zu. (Wie bei ei-nem Sportler, der seine Muskulatur regelmäßig trai-niert.)

Diese Vorgänge führen zur Infektneigung und ei-ner zunehmenden, nicht mehr rückgängig zu ma-chenden Verengung der Atemwege und damit zu fortgesetzter Luft not. Nur die korrekte Behandlung kann diesen Prozess aufh alten oder verhindern.

COPD

Ist der Krankheitsmechanismus bei der COPD erst einmal in Gang gesetzt, kann ihn nichts mehr zum Stillstand bringen. Nur eine möglichst frühzeitige Ausschaltung des Auslösers (meistens Rauchen) kann die Geschwindigkeit des Fortschreitens mindern.

Therapeutika

Ist ein Patient über die Wirkung und die dazu nöti-gen Verhaltensmaßnahmen aufgeklärt, wird er sie auch korrekt einsetzen und kann sich vielleicht so-gar zum richtigen Zeitpunkt selbst helfen.

Ein großes Problem stellt heute die Verordnung eines Glukokortikoids dar. In den 1980er-Jahren war es eine mühevolle, frustrierende und zeitauf-wendige Aufgabe den Patienten die Gefahren einer regelmäßigen und kritiklosen Anwendung von Kor-tison nahezubringen. Damals besaßen viele Patien-ten Kortisonsalben, die sie kritiklos und regelmäßig auf jede Hautstörung auft rugen.

In den folgenden Jahrzehnten lernten die Men-schen in den Medien dramatische Horrorgeschich-

ten durch die Anwendung von Kortison kennen. Das Resultat war die bekannte Kortisonangst.

Wer bei einem Patienten eine Kortisontherapie starten will, egal mit welcher Applikationsform, ris-kiert eine unterlassene oder in der Dosis eigenmäch-tig veränderte Anwendung, wenn vor Beginn keine Aufk lärung erfolgt.

Die Kortisonangst muss angesprochen und ni-velliert werden. Selbst bei erfolgreicher Aufk lärung und Überzeugungsarbeit besteht immer wieder die Gefahr, dass diese Th erapie aus verschiedenen Gründen unterbrochen, in der Dosis reduziert oder abgebrochen wird. Bedauerlicherweise schüren manche Apotheker diese Angst, wenn sie das Präpa-rat mit den Worten abgeben: „Aber nehmen Sie das nicht zu oft . Da ist Kortison drin.“

Versucht man, Hinweise für die Adhärenz über die Nach-verordnungswünsche für ein inhalatives Glukokortikoid zu überprüfen (Hausen 1994), fi ndet man ernüchternde Fak-ten. Ob diese nur für die untersuchende Praxis gelten oder allgemeingültig sind, muss offen bleiben: Nur ein Drittel der Patienten ließ sich ihr ICS über einen längeren Zeit-raum (untersucht wurden 10 Quartale) wiederholt mehr oder weniger regelmäßig neu verordnen, was zumindest als Indiz für eine gute Mitarbeit angesehen werden kann.Ernüchternd ist die Feststellung, dass ein Fünftel keine Nachverordnungen mehr haben folgen lassen (eigen-mächtiges Absetzen?) und ein weiteres Fünftel den Kon-takt zur Praxis abgebrochen hat und davon wiederum deutlich mehr als die Hälfte bereits nach dem ersten Quartal. Eine gewisse Anzahl dieser Patienten hat hof-fentlich nur den weiteren Weg zur Praxis gescheut und ist nach einer einzigen Konsultation in der untersuchen-den Praxis zum bisherigen Arzt zurückgekehrt und hat die Therapie dort hoffentlich fortgesetzt.Festzuhalten bleibt allerdings, dass das Ende der Nachver-ordnungen und der Bruch der Arzt-Patient-Beziehung meistens schnell, d. h. nach nur einem oder zwei Quartalen, erfolgten. Daraus kann unter Vorbehalt geschlossen wer-den, dass eine schlechte Adhärenz zu befürchten ist, wenn der Patient nicht während der ersten Kontakte erfolgreich aufgeklärt und an die Praxis gebunden werden kann.

Fallbeispiel 4.48 Der 15 Jahre alte Patient kam erstmalig im Januar 1991 zusammen mit seiner Mutter in die Sprech-stunde, nachdem er in den Weihnachtsferien in Spanien unter Asthmaanfällen gelitten hatte. Anamnestisch war seit Jahren ein allergisches

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1474.13 Adhärenz

4

Asthma mit polyvalenter Allergisierung bekannt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden nach Bedarf In-halationen mit der Kombination aus Beta-Ago-nist plus DNCG durchgeführt. Ergänzt wurde diese Th erapie mit topischen Anwendungen (Na-se, Augen) von DNCG zur Pollenfl ugzeit.

Der Junge war besonders bei seiner Sportart Rudern, durch belastungsinduzierte Luft not und Husten gehandicapt. Die Empfehlung lautete, statt der bisher bedarfsgerechten Inhalationsthe-rapie regelmäßig 4 × 2 Hübe der Kombination sowie zusätzlich bei aufk eimenden Beschwerden zusätzlich zu inhalieren. Zusätzlich sollten regel-mäßig Peak-Flow-Messungen zum Zweck der Objektivierung von Beschwerden und Nachweis der Medikamentenwirkung vorgenommen wer-den. Trotz mehrfacher Nachfragen wurden die Ergebnisse dieser Messungen niemals gezeigt.

Als erstes Zeichen zukünft iger Probleme kris-tallisierte sich bei der Mutter sehr schnell die Angst vor Treibmitteln in Dosieraerosolen her-aus. Dies war bis zu diesem Zeitpunkt der Grund für eine Fortführung einer ausschließlich be-darfsmäßigen Th erapie. In einem ausführlichen Gespräch, dem bei späteren Konsultationen wei-tere folgten, erfolgte weitere Information zur Krankheit und Behandlung einschließlich Auf-klärung über die Ungefährlichkeit von FCKW für den menschlichen Körper. Die Gespräche dienten alle als Vorbereitung für die Th erapie mit einem inhalativen Glukokortikoid. Zur Unterstützung der Argumente wurden ein Patientenratgeber und Broschüren ausgehändigt.

Auch unter jetzt regelmäßiger Th erapie trat die Belastungsluft not unverändert auf. Bei weite-ren Vorstellungen, bei denen die Mutter stets zu-gegen war, wurde der Pathomechanismus beim Asthma und der Angriff sort der verschiedenen Medikamente, besonders die semikausale Wir-kung von Kortison, sowie die Vorteile einer In-halation mit inhalativen Glukokortikoiden erläu-tert. Wegen einer off ensichtlichen Ablehnung dieser schweren Th erapie wurde die entspre-chende Th erapieänderung nicht vorgenommen.

Die zusätzliche Behandlung mit Nedocromil wurde wegen Übelkeit nach nur wenigen (?) In-halationen abgebrochen.

Bei weiteren Besuchen, bei denen ständig die Mutter das Wort führte, klagte der junge Mann immer wieder über seine Leistungsbeschrän-kung im Sport, sodass letztendlich nach erneu-ter ausführlicher Aufk lärung trotz des spürba-ren Widerstands der Mutter die Verordnung ei-nes inhalativen Glukokortikoids erfolgte. Das traurige Ergebnis dieses letzten Schritts war ein Behandlungsabbruch.

Nach Zusatzinformationen musste der Junge auf Drängen seiner Ruderkameraden das Boot verlassen, weil diese seine Abbrüche verständli-cherweise nicht mehr tolerieren wollten.

Fallbeispiel 4.49 Der kleine Patrick (Jahrgang 1981) stellte sich im November 1992 erstmalig vor. Die Mutter berich-tete, dass er seit der Kindheit unter einem ganz-jährigen allergischen Asthma leide. Bisher inha-lierte der Junge DNCG plus Reproterol bei Bedarf.

Klinisch imponierten Ruhedyspnoe, leichte Lippenzyanose sowie Giemen, Brummen und feuchte RG über allen Lungenabschnitten bei anamnestischem Nachtschweiß.

Es erfolgte die Verordnung eines Antibioti-kums (Amoxicillin) wegen der bakteriellen Bronchitis sowie Aufk lärung, dass eine optimale Wirkung von DNCG nur bei regelmäßig 4-mali-ger Inhalation zu erreichen ist.

Obwohl die Infektzeichen und auch die aku-ten massiven Krankheitszeichen einem leichter ausgeprägten Krankheitsbild wichen, machte der Patient auch bei drei weiteren Vorstellungen insgesamt den Eindruck eines in der Entwick-lung zurückgebliebenen Jungen.

Erst im September des Folgejahres fanden sich Sohn und Mutter wieder in der Praxis ein. In der Zwischenzeit sei die Luft nicht schlecht gewesen. Der Junge klagte aber jetzt über Schmerzen in der Brust beim Atmen.

Klinisch imponierten wieder deutliches Gie-men und Brummen jetzt aber ohne Infektzeichen.

Nach eingehender, erneuter Aufk lärung über die Notwendigkeit einer regelmäßigen Behan-dung, Vor- und fehlender Nachteile und Gefah-ren einer Th erapie mit einem ICS wurde ein in-halatives Glukokortikoid plus Spacer rezeptiert,

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Pneumologie für die Praxis 2018. 208 S., 20 farb. Abb., kt. ISBN: 978-3-437-22712-7 € [D] 34,99 / € [A] 36,-

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