1
7 20. AUGUST 2011 U KOCHBÜCHER LITERARISCHE WELT H eute käme Goethe mit so etwas nicht mehr so leicht durch. Auf seiner italieni- schen Reise, die Kut- sche rollt soeben hin- term Brenner Rich- tung Verona, weiß er nicht, wo zuerst hin- blicken, nach links, nach rechts? Vorm Kutschen- fenster fliegen die Feigenbäume vorbei, die Reb- hügel und Weinranken, die Maulbeerbäume, Äp- fel, Birnen, Nüsse. Das Glücksgefühl in ihm gerät außer Rand und Band. Er gibt sich drein, mit Lust, und lässt es aus sich herausströmen: „Alles hat hier mehr Kraft und Leben, die Sonne scheint heiß, und man glaubt wieder einmal an einen Gott.“ Goethe ist auf dem Weg in sein ge- lobtes Land. Als Knabe hat er sich Italien stets mit einem Ausrufezeichen imaginiert: „Arkadi- en!“ Als auch er, endlich, dort ist, führt er sich auf wie ein Pennäler. Das Verlangen nach dem Eros des Südens verführt ihn zu einer Prosa der Schwärmerei: „Ach“, seufzt es aus seinen Zeilen heraus, als es auf Trient zu geht. Und er hofft: Hier, in diesem fruchtbaren Tale, würden „die Falten, die sich in mein Gemüt geschlagen ha- ben“, wohl wieder auszutilgen sein. Seit Goethe gilt es in Deutschland als ausge- macht, dass über Italien im Grunde nur in der Sprache der Liebe angemessen zu reden sei. Man schämt sich nicht der italophilen Schwelgerei, ja, man merkt in der Begeisterung meist nicht ein- mal, wie tief man bereits im Klischeesumpf steckt, wenn man, wie so oft, von den Superwei- nen aus der Toskana schwärmt und seine Sehn- süchte hineinprojiziert in das gute Olivenöl aus Ligurien, den bukolischen Agriturismo in den Marken oder die italienischen Mamafiguren, die mit wogendem Busen und heißem Herzen den Pastateig für la famiglia noch eigenhändig wal- ken. Medial blühten unsere Fantasien von Bella Italia in den Fünfzigerjahren mit den Spaghetti- filmen so richtig auf; da sang Vico Torriani mit Caterina Valente unter Zitronenbäumen an der Riviera. Später hat er in einem dieser Filmchen sogar Nudeln gekocht. Spätestens seitdem So- phia Loren 1971 ihr Kochbuch „In cucina con amore“ veröffentlichte und dabei für die Foto- grafen vor dampfenden Kochtöpfen mit ihrem Dekolleté wackelte, wirken Kochbücher über Ita- lien mehr und mehr wie Kitschpostkarten mit Rezepten. Schnulzen zum Nachkochen. Und die- ser Tage? Werden, so scheint es, kurz bevor sie endgültig den Löffel abgeben, sämtliche in Itali- en noch irgendwie aufzutreibende Pasta-Mam- mas bemüht, um das Bild von dem Land, in dem Mutter noch am Herde steht, wenigstens zwi- schen zwei Kochbuchdeckeln zu konservieren. Über die italienische Küche, so scheint es, ist in- zwischen alles gesagt. Diese Sorge drückt wohl auch die Autorin Mo- nika Kellermann. Sie beginnt ihr Buch mit dem bemerkenswerten Satz: „Noch ein Kochbuch? – das fragen Sie sich vielleicht beim Anblick dieses Buchs.“ In der Tat kann man sich fragen, ob man heutzutage wirklich noch ein Kochbuch braucht. Ein zusätzliches Kochbuch ist in der Regel so nützlich wie das 35. Paar Schuhe. Man braucht es nicht. Aber: Es ist nett, es zu haben. In diesem Falle: sogar besonders nett. Die Foodjournalistin Monika Kellermann hat Herrn Goethe nämlich insofern etwas Entscheidendes voraus, als sie nicht nur an den Gardasee fährt, um sich an des- sen Anblick zu erfreuen. Sondern, um dort zu wohnen. Sie lebt seit gut zehn Jahren am Ostu- fer des Sees. Seither hat sie einige kulinarische Reiseführer über diesen hübschen Landstrich ge- schrieben und sich ein Netzwerk an Gewährsleu- ten aufgebaut. Sie kennt die Gegend nicht aus der Perspektive der Camping- und Hotelgäste, sondern darf als Einheimische gelten. Als solche hat sie dort jede Menge gute Bekannte. Im Italie- nischen sagt man, wenn man einen Besuch macht: andare a vedere – schauen gehen. Das ist das Prinzip ihrer Recherche: Sie schaut bei Kö- chen, Fischern und regionalen Produzenten von Käse oder Olivenöl vorbei, geht bei Winzern ei- nen trinken, erntet Feigen oder Pfirsiche vom Baum. Und weil sie von Fotografen begleitet wurde, dürfen wir ihr dabei über die Schulter gu- cken. Sie nimmt uns mit zu Paolo, der Rosenku- chen backt, oder Amedeo, der eine Tagliata auf den Rost legt, oder zu Franca, der Metzgerin, de- ren Salamelle eine wunderbare Füllung für Nu- deln abgeben. Natürlich ist Kellermanns Buch eine große Liebeserklärung geworden. Als Frucht einer rei- feren Liebe – in zehn Jahren kann man einander ganz gut kennenlernen. Wenn man Glück hat, bleibt bei so einer Liebe trotzdem ein Rest Ge- heimnis. Bis heute verstehe sie nicht, schreibt Kellermann, weshalb die Leute am Gardasee so wenig aus den Kräutern machen, die hier wie wild wachsen und mit ihrem Duft die Luft schwängern. So trägt die Autorin zwar keine ro- sarote Brille, wenn sie sich am Gardasee um- sieht, versucht andererseits aber auch gar nicht erst, der Zuneigung zu ihrer zweiten Heimat sprachlich Zügel anzulegen. Die Köche, die sie uns vorstellt, sind mehrheitlich „leidenschaftli- che“ Charaktere, allüberall um den See wird ih- rer Einschätzung nach „mit Passion“ geköchelt, und jeder dritte, vierte Satz gerät der Autorin als Ausruf des Entzückens – etwa über die Konsis- tenz eines Rohmilchkäses oder die Fruchtigkeit des Limoncello von der Riviera dei Limoni, dem Westufer des Sees. Kellermann gibt unserer Itali- ensehnsucht also ordentlich Zucker. Und doch: Ihr Überschwang wirkt nicht unsympathisch. Ih- re Liebe zum Sujet hat vielmehr etwas Anste- ckendes. Sie pflegt einen warmherzigen Plauder- ton, der von Sachkenntnis und einer einnehmen- den Natürlichkeit getragen wird. Und so lässt man sich in ihr Buch hineinziehen wie von einer temperamentvollen Gastgeberin, die einen beim Hereinkommen beherzt an die Brust drückt und mit einem Schwall freundlicher Willkommens- worte zu Tisch bittet. Der lässt sich am Gardasee überreich decken. Wir lernen nicht nur neue Rezepte kennen, son- dern vor allem die Geschichten dazu. Keller- manns Kochbuch ist ein klassisches Land-und- Leute-Vademecum: Das Charmante an landesty- pischen Gerichten ist ja ihr gewisses Etwas. Die- ses ureigene Zusammenspiel aus Traditionen, Boden, Klima und dem Naturell der Landsleute. Eigentümlichkeiten, die unverwechselbar sind. Wie das Terroir bei einem guten Wein verleihen sie den Spezialitäten einer Landschaft Ausstrah- lung und Persönlichkeit. Man schmeckt, was man weiß: Wussten wir, dass sich am Gardasee nicht nur die Zitronenbäume wohlfühlen, son- dern dass Kakibäume, Kiwibäume und Esskasta- nienbäume dort einen natürlichen Lebensraum gefunden haben? Dass rund um den See die Ka- pern aus den Steinmauern wach- sen, wild und würzig? Dass Perl- hühner bei manchem Kleinbauern quasi zum Hausstand gehören, und dass gleich hinter den sieben Bergen, die im nördlicheren Teil des Sees die Ufer säumen, sich Weidelandschaften erstrecken? Dort werden Käse hergestellt, de- ren Namen man vielleicht noch nicht gehört hat, beispielsweise der Bagoss, ein Hartkäse aus Roh- milch, gelb wie fetter Rahm, oder der Monte Veronese, ein satter, milchiger Schnittkäse, dessen Herstellung die Zimbern in der Provinz Verona bereits im 11. Jahrhundert kultivierten? Der Gardasee liegt in Italien, natür- lich, aber genauer noch liegt er zwischen den Provinzen Trentino im Norden, Lombardei im Westen und Verona im Südosten. Der Wind treibt hier einerseits vom Mittelmeer her, andererseits von der Al- penseite, und so konnte sich eine Vegetation ausbilden, in der das alles zusammengeht: Pal- men und Hochalmen, Zitronen und Wein, Oli- ven und Kastanien, Äpfel und Granatäpfel. Ü ber 30 Fischarten beleben den See. Darunter auch Sardinen. Sardinen gehören zur Familie der Heringe, sie sind von Natur aus Meeresfi- sche, doch hat sich im Gardasee dank eiszeitlicher Kapriolen eine Sardinenart er- halten. Ihre Nachkommenschaft tummelt sich im Wasser zuhauf, und deshalb war es für die Leute am See ein Leichtes, sich Variationen aus- denken, die Sardella di Lago zuzubereiten: mari- niert, in Olivenöl frittiert, gegrillt. Semplice ma buono, sagt man hier, wenn ein Essen besonders gelungen ist: Einfach, aber gut. Und mit diesem Köder hat uns die italienische Küche wohl für al- le Zeiten an der Angel. Die Rezepte hat Monika Kellermann über die Jahre hinweg am Gardasee gesammelt. Kochan- leitungen der Sorte Trick 17: wenige Zutaten, einfache Zubereitung, und eins, zwei, drei, schon liegt ein Kunststück auf dem Teller. Ein frischer Fisch, ein paar Karotten, Zwiebeln, Rosinen – fertig ist die Vorspeise. Etwas Grapefruit, Fen- chel, ausgelöste Esskastanien, Olivenöl – schon steht der Salat auf dem Tisch. Was, es ist noch Risotto vom Vortag übrig? Kein Problem, ma- chen wir doch Pflanzerl draus, mit etwas Gor- gonzola und Thymian. Aber natürlich ist das mit der Einfachheit der Küche in einem Land wie Italien die reine Koketterie: Wenn das Aroma be- reits in den Produkten selbst steckt, weil sie Wärme getankt haben, weil sie bis zur Erntereife am Baum hängen durften und ihre ureigene Würzigkeit in Ruhe ausbilden konnten, braucht man keinen Zinnober zu veranstalten, um ein schmackhaftes Gericht zu kochen. Das weiß auch Roberto vom Ristorante Al Corsaro in Mal- cesine, der für Monika Kellermann ein Rezept für Melonensalat beisteuerte: Wenn die Melone „optimal reif“ sei, sagt er, sei das Gericht ganz einfach. Das Geheimnis der Gardaseeküche liegt, wer hätte es nicht geahnt: in der Frische und Qualität der Produkte. Außer einer Landkarte, die man hier doch sehr vermisst, hat die Autorin kaum eine Handrei- chung ausgelassen. Neben einer Warenkunde gibt sie uns die Adressen ihrer Freunde aus der Gastronomie, zum Beispiel von Guido aus Valeg- gio, der Tortelloni mit Rinderschmorbraten füllt und in eine Valpolicella Superiore- Sauce legt. Und wo man am Gar- dasee die Weine, Olivenöle, Käse- und Wurstsorten kaufen kann, mit denen Monika Kellermann die Re- zepte für ihr Buch nachgekocht hat, erfahren wir ebenfalls. Eines ist klar: Dieses satt bebilderte, sinnliche Buch ist viel zu dick, viel zu schwer und viel zu unhandlich, um als praktischer Reiseführer durchzugehen. Aber als Lockvogel ist es ausgesprochen talentiert. Es bekommt einen Platz im Auto, wenn wir über den Brenner fahren werden, um bei Guido vorbeizu- schauen. Seine Valpolicella-Tortel- loni könnten womöglich jene Fal- ten austilgen, die dieser Nicht- sommer uns ins Gemüt geschla- gen hat. Auch der amerikani- sche Schauspieler Kirk Douglas war der Pasta verfallen. Im Hinter- grund amüsiert sich Sophia Loren (M.) samt einer anderen, aber unbekannten Schönen über seine Begeisterung Einfach. Gut Nein, dieser Sommer war nicht groß. Sonne und Wärme spendet uns jetzt ein Kochbuch D Katja Mutschelknaus GETTY IMAGES Monika Kellermann: Gardasee. Das Kochbuch. Collection Rolf Heyne, München. 320 S., 49,90 ¤. Spaghetti, Tomaten, Basilikum, fertig ist die italienische Laube N ichts ist konservativer als Essge- wohnheiten; nur folgerichtig also, dass auch die Klischees, die sich damit verbinden, von Generation zu Gene- ration weitergereicht werden. Zum Beispiel über die britische Küche. Dabei herrscht an Gegenentwürfen zu altersschwachem Hammel in Pfefferminz- sauce kein Mangel, kommen doch gerade aus England mit Niggela Lawson, dem River Cafe oder – allen voran – Jamie Oliver die Propheten einer neuen Küche, deren millio- nenstarke Auflagen Anlass zu der Vermu- tung geben, dass am neuen englischen We- sen die Küchenwelt genesen könnte. Mit einer Einschränkung. Die meisten dieser Werke setzen fünf Minuten nach Erfindung des Feuermachens ein. Geduldig wird erklärt, was eine Kartoffel ist, wie man sie gart und wie sie schmeckt (bei Jamie Oliver in der Regel „fantastisch“). Es han- delt sich um Anleitungen für kulinarische Analphabeten – was wiederum auf die Kü- chenwirklichkeit des Landes schließen lässt, in denen sie entstehen. Donna Hay nun kommt, schlimmer noch, aus Australien, einer ehemaligen britischen Sträflingskolonie. Ihre Kochbücher haben eine Gesamtauflage von über drei Millionen, außerdem gibt sie eine Kochzeitschrift her- aus, verfasst Kolumnen für mehrere Tages- zeitungen, hat eine eigene Produktlinie für Kochutensilien und unlängst in Sydney ihr erstes eigenes Geschäft eröffnet. 2007 wähl- te sie die Jury des eindrucksvoll klingenden „Gourmand World Cookbook Awards“ in die Riege der „Magnificent Seven“. Und weil die Programmmacher Down Under mitt- lerweile die Vorteile des kostengünstigen Formats der Kochshow entdeckt hat, kocht Donna Hay jetzt auch im Fernsehen. Aus diesem Unternehmen entstand offenbar ihr neuestes Werk „Schnell, frisch, einfach“ – eine durchaus programmatische Zusam- menfassung ihres Tuns, wie ältere Titel à la „Meine spontane Küche“ beweisen. Donna Hay fasst ihre Philosophie so zusammen: „Schnelle Lösungen für vollgepackte Aben- de unter der Woche. Frische Aromen, die bewährten Lieblingsgerichten ohne großen Zeitaufwand eine moderne, trendige Note geben und die sich mit Zutaten aus dem Vorratsschrank und wenigen frischen Pro- dukten umsetzen lassen.“ Auf ein solches Credo lässt sich auch Jamie Olivers Œuvre reduzieren. Gleich- wohl darf man Donna Hay als Gegenentwurf zum Engländer vorstellen. Während dieser sich nicht scheut, sein ganzes Leben in die Waagschale zu werfen, um Menschen einen sinnlichen Bezug zum Kochen zu eröffnen, liefert Donna Hay klinisch reine Gebrauchs- anweisungen für Leute, die sich so wenig wie möglich in ihrer blitzblanken Einbaukü- che aufhalten wollen. Filets von Fisch und Vierbeiner sind daher die Grundbestand- teile der meisten Hay-Gerichte, deren äs- thetische Darstellung und kulturgeschicht- liche Ableitung sich auch in „schnell, frisch, einfach“ in nichts von den früheren Bänden unterscheidet. Zwar wird hin und wieder darauf hingewiesen, dass es sich um Kom- binationen „aus zwei ursprünglich eigen- ständigen Rezepten“ handelt, mehr Au- thentizität aber wird nicht zugelassen, nicht einmal beim „Spinat-Feta-Kuchen“. Dabei wüssten wir wirklich zu gern, was die große griechische Kolonie in Melbourne aus den Spanakopita der Athener Straßenbuden gemacht hat. Sei’s drum. Donna Hays Rezepte sind wunderbare Helferlein für den Küchen- alltag, gerade weil sie sich jede Vertiefung verbitten. Kochen ist Handwerk, nicht mehr, lautet die Botschaft. Doch so ganz scheint Donna Hay ihrem Credo nicht mehr zu trauen, gibt sie vielen Rezepten doch mitt- lerweile ein persönliches Editorial mit auf den Weg: „Das Leben ist zu kurz, um Blät- terteig selbst herzustellen – fertig gekaufter ist prima.“ Berthold Seewald Donna Hay: Schnell, frisch, einfach. 160 schnelle Rezepte, frische Aromen und einfache Gerichte für jeden Tag. AT Verlag, Aarau und München. 206 S., 24,90 ¤. KÜCHE TO GO: KEINE ZEIT FÜR BLÄTTERTEIG AUF DEN PUNKT

Presse_GardaWelt

Embed Size (px)

DESCRIPTION

http://www.monika-kellermann.de/assets/Kostproben/Presse_GardaWelt.pdf

Citation preview

7

+

20. AUGUST 2011 UKOCHBÜCHER

LITERARISCHE WELT

Heute käme Goethemit so etwas nichtmehr so leicht durch.Auf seiner italieni-schen Reise, die Kut-sche rollt soeben hin-term Brenner Rich-tung Verona, weiß ernicht, wo zuerst hin-

blicken, nach links, nach rechts? Vorm Kutschen-fenster fliegen die Feigenbäume vorbei, die Reb-hügel und Weinranken, die Maulbeerbäume, Äp-fel, Birnen, Nüsse. Das Glücksgefühl in ihm gerätaußer Rand und Band. Er gibt sich drein, mitLust, und lässt es aus sich herausströmen: „Alleshat hier mehr Kraft und Leben, die Sonnescheint heiß, und man glaubt wieder einmal aneinen Gott.“ Goethe ist auf dem Weg in sein ge-lobtes Land. Als Knabe hat er sich Italien stetsmit einem Ausrufezeichen imaginiert: „Arkadi-en!“ Als auch er, endlich, dort ist, führt er sichauf wie ein Pennäler. Das Verlangen nach demEros des Südens verführt ihn zu einer Prosa derSchwärmerei: „Ach“, seufzt es aus seinen Zeilenheraus, als es auf Trient zu geht. Und er hofft:Hier, in diesem fruchtbaren Tale, würden „dieFalten, die sich in mein Gemüt geschlagen ha-ben“, wohl wieder auszutilgen sein.

Seit Goethe gilt es in Deutschland als ausge-macht, dass über Italien im Grunde nur in derSprache der Liebe angemessen zu reden sei. Manschämt sich nicht der italophilen Schwelgerei, ja,man merkt in der Begeisterung meist nicht ein-mal, wie tief man bereits im Klischeesumpfsteckt, wenn man, wie so oft, von den Superwei-nen aus der Toskana schwärmt und seine Sehn-süchte hineinprojiziert in das gute Olivenöl ausLigurien, den bukolischen Agriturismo in denMarken oder die italienischen Mamafiguren, diemit wogendem Busen und heißem Herzen denPastateig für la famiglia noch eigenhändig wal-ken. Medial blühten unsere Fantasien von BellaItalia in den Fünfzigerjahren mit den Spaghetti-filmen so richtig auf; da sang Vico Torriani mitCaterina Valente unter Zitronenbäumen an derRiviera. Später hat er in einem dieser Filmchensogar Nudeln gekocht. Spätestens seitdem So-phia Loren 1971 ihr Kochbuch „In cucina conamore“ veröffentlichte und dabei für die Foto-grafen vor dampfenden Kochtöpfen mit ihremDekolleté wackelte, wirken Kochbücher über Ita-lien mehr und mehr wie Kitschpostkarten mitRezepten. Schnulzen zum Nachkochen. Und die-ser Tage? Werden, so scheint es, kurz bevor sieendgültig den Löffel abgeben, sämtliche in Itali-en noch irgendwie aufzutreibende Pasta-Mam-mas bemüht, um das Bild von dem Land, in demMutter noch am Herde steht, wenigstens zwi-schen zwei Kochbuchdeckeln zu konservieren.Über die italienische Küche, so scheint es, ist in-zwischen alles gesagt.

Diese Sorge drückt wohl auch die Autorin Mo-nika Kellermann. Sie beginnt ihr Buch mit dembemerkenswerten Satz: „Noch ein Kochbuch? –das fragen Sie sich vielleicht beim Anblick diesesBuchs.“ In der Tat kann man sich fragen, ob manheutzutage wirklich noch ein Kochbuch braucht.Ein zusätzliches Kochbuch ist in der Regel sonützlich wie das 35. Paar Schuhe. Man braucht esnicht. Aber: Es ist nett, es zu haben. In diesemFalle: sogar besonders nett. Die FoodjournalistinMonika Kellermann hat Herrn Goethe nämlichinsofern etwas Entscheidendes voraus, als sienicht nur an den Gardasee fährt, um sich an des-sen Anblick zu erfreuen. Sondern, um dort zuwohnen. Sie lebt seit gut zehn Jahren am Ostu-fer des Sees. Seither hat sie einige kulinarische

Reiseführer über diesen hübschen Landstrich ge-schrieben und sich ein Netzwerk an Gewährsleu-ten aufgebaut. Sie kennt die Gegend nicht ausder Perspektive der Camping- und Hotelgäste,sondern darf als Einheimische gelten. Als solchehat sie dort jede Menge gute Bekannte. Im Italie-nischen sagt man, wenn man einen Besuchmacht: andare a vedere – schauen gehen. Das istdas Prinzip ihrer Recherche: Sie schaut bei Kö-chen, Fischern und regionalen Produzenten vonKäse oder Olivenöl vorbei, geht bei Winzern ei-nen trinken, erntet Feigen oder Pfirsiche vomBaum. Und weil sie von Fotografen begleitetwurde, dürfen wir ihr dabei über die Schulter gu-cken. Sie nimmt uns mit zu Paolo, der Rosenku-chen backt, oder Amedeo, der eine Tagliata aufden Rost legt, oder zu Franca, der Metzgerin, de-ren Salamelle eine wunderbare Füllung für Nu-deln abgeben.

Natürlich ist Kellermanns Buch eine großeLiebeserklärung geworden. Als Frucht einer rei-feren Liebe – in zehn Jahren kann man einanderganz gut kennenlernen. Wenn man Glück hat,bleibt bei so einer Liebe trotzdem ein Rest Ge-heimnis. Bis heute verstehe sie nicht, schreibtKellermann, weshalb die Leute am Gardasee sowenig aus den Kräutern machen, die hier wiewild wachsen und mit ihrem Duft die Luftschwängern. So trägt die Autorin zwar keine ro-sarote Brille, wenn sie sich am Gardasee um-sieht, versucht andererseits aber auch gar nichterst, der Zuneigung zu ihrer zweiten Heimatsprachlich Zügel anzulegen. Die Köche, die sieuns vorstellt, sind mehrheitlich „leidenschaftli-che“ Charaktere, allüberall um den See wird ih-rer Einschätzung nach „mit Passion“ geköchelt,und jeder dritte, vierte Satz gerät der Autorin alsAusruf des Entzückens – etwa über die Konsis-tenz eines Rohmilchkäses oder die Fruchtigkeitdes Limoncello von der Riviera dei Limoni, demWestufer des Sees. Kellermann gibt unserer Itali-ensehnsucht also ordentlich Zucker. Und doch:Ihr Überschwang wirkt nicht unsympathisch. Ih-re Liebe zum Sujet hat vielmehr etwas Anste-ckendes. Sie pflegt einen warmherzigen Plauder-

ton, der von Sachkenntnis und einer einnehmen-den Natürlichkeit getragen wird. Und so lässtman sich in ihr Buch hineinziehen wie von einertemperamentvollen Gastgeberin, die einen beimHereinkommen beherzt an die Brust drückt undmit einem Schwall freundlicher Willkommens-worte zu Tisch bittet.

Der lässt sich am Gardasee überreich decken.Wir lernen nicht nur neue Rezepte kennen, son-dern vor allem die Geschichten dazu. Keller-manns Kochbuch ist ein klassisches Land-und-Leute-Vademecum: Das Charmante an landesty-pischen Gerichten ist ja ihr gewisses Etwas. Die-ses ureigene Zusammenspiel aus Traditionen,Boden, Klima und dem Naturell der Landsleute.Eigentümlichkeiten, die unverwechselbar sind.Wie das Terroir bei einem guten Wein verleihensie den Spezialitäten einer Landschaft Ausstrah-lung und Persönlichkeit. Man schmeckt, wasman weiß: Wussten wir, dass sich am Gardaseenicht nur die Zitronenbäume wohlfühlen, son-dern dass Kakibäume, Kiwibäume und Esskasta-nienbäume dort einen natürlichen Lebensraumgefunden haben? Dass rund um den See die Ka-pern aus den Steinmauern wach-sen, wild und würzig? Dass Perl-hühner bei manchem Kleinbauernquasi zum Hausstand gehören,und dass gleich hinter den siebenBergen, die im nördlicheren Teildes Sees die Ufer säumen, sichWeidelandschaften erstrecken?Dort werden Käse hergestellt, de-ren Namen man vielleicht nochnicht gehört hat, beispielsweiseder Bagoss, ein Hartkäse aus Roh-milch, gelb wie fetter Rahm, oderder Monte Veronese, ein satter,milchiger Schnittkäse, dessenHerstellung die Zimbern in derProvinz Verona bereits im11. Jahrhundert kultivierten? DerGardasee liegt in Italien, natür-lich, aber genauer noch liegt erzwischen den Provinzen Trentino

im Norden, Lombardei im Westen und Veronaim Südosten. Der Wind treibt hier einerseitsvom Mittelmeer her, andererseits von der Al-penseite, und so konnte sich eine Vegetationausbilden, in der das alles zusammengeht: Pal-men und Hochalmen, Zitronen und Wein, Oli-ven und Kastanien, Äpfel und Granatäpfel.

Ü ber 30 Fischarten beleben den See.Darunter auch Sardinen. Sardinengehören zur Familie der Heringe,sie sind von Natur aus Meeresfi-sche, doch hat sich im Gardasee

dank eiszeitlicher Kapriolen eine Sardinenart er-halten. Ihre Nachkommenschaft tummelt sichim Wasser zuhauf, und deshalb war es für dieLeute am See ein Leichtes, sich Variationen aus-denken, die Sardella di Lago zuzubereiten: mari-niert, in Olivenöl frittiert, gegrillt. Semplice mabuono, sagt man hier, wenn ein Essen besondersgelungen ist: Einfach, aber gut. Und mit diesemKöder hat uns die italienische Küche wohl für al-le Zeiten an der Angel.

Die Rezepte hat Monika Kellermann über dieJahre hinweg am Gardasee gesammelt. Kochan-leitungen der Sorte Trick 17: wenige Zutaten,einfache Zubereitung, und eins, zwei, drei, schonliegt ein Kunststück auf dem Teller. Ein frischerFisch, ein paar Karotten, Zwiebeln, Rosinen –fertig ist die Vorspeise. Etwas Grapefruit, Fen-chel, ausgelöste Esskastanien, Olivenöl – schonsteht der Salat auf dem Tisch. Was, es ist nochRisotto vom Vortag übrig? Kein Problem, ma-chen wir doch Pflanzerl draus, mit etwas Gor-gonzola und Thymian. Aber natürlich ist das mitder Einfachheit der Küche in einem Land wieItalien die reine Koketterie: Wenn das Aroma be-reits in den Produkten selbst steckt, weil sieWärme getankt haben, weil sie bis zur Erntereifeam Baum hängen durften und ihre ureigeneWürzigkeit in Ruhe ausbilden konnten, brauchtman keinen Zinnober zu veranstalten, um einschmackhaftes Gericht zu kochen. Das weißauch Roberto vom Ristorante Al Corsaro in Mal-cesine, der für Monika Kellermann ein Rezeptfür Melonensalat beisteuerte: Wenn die Melone„optimal reif“ sei, sagt er, sei das Gericht ganzeinfach. Das Geheimnis der Gardaseeküche liegt,wer hätte es nicht geahnt: in der Frische undQualität der Produkte.

Außer einer Landkarte, die man hier doch sehrvermisst, hat die Autorin kaum eine Handrei-chung ausgelassen. Neben einer Warenkundegibt sie uns die Adressen ihrer Freunde aus derGastronomie, zum Beispiel von Guido aus Valeg-gio, der Tortelloni mit Rinderschmorbraten füllt

und in eine Valpolicella Superiore-Sauce legt. Und wo man am Gar-dasee die Weine, Olivenöle, Käse-und Wurstsorten kaufen kann, mitdenen Monika Kellermann die Re-zepte für ihr Buch nachgekochthat, erfahren wir ebenfalls. Einesist klar: Dieses satt bebilderte,sinnliche Buch ist viel zu dick, vielzu schwer und viel zu unhandlich,um als praktischer Reiseführerdurchzugehen. Aber als Lockvogelist es ausgesprochen talentiert. Esbekommt einen Platz im Auto,wenn wir über den Brenner fahrenwerden, um bei Guido vorbeizu-schauen. Seine Valpolicella-Tortel-loni könnten womöglich jene Fal-ten austilgen, die dieser Nicht-sommer uns ins Gemüt geschla-gen hat.

Auch der amerikani-sche Schauspieler KirkDouglas war der Pastaverfallen. Im Hinter-grund amüsiert sichSophia Loren (M.)samt einer anderen, aber unbekannten Schönen über seine Begeisterung

Einfach. GutNein, dieser Sommer war nicht groß.

Sonne und Wärme spendet uns jetzt einKochbuch D Katja Mutschelknaus

GET

TY IM

AGES

Monika Kellermann:Gardasee.Das Kochbuch. Collection Rolf Heyne,München. 320 S., 49,90 ¤.

Spaghetti,Tomaten, Basilikum,fertig ist dieitalienischeLaube

N ichts ist konservativer als Essge-wohnheiten; nur folgerichtig also,dass auch die Klischees, die sich

damit verbinden, von Generation zu Gene-ration weitergereicht werden. Zum Beispielüber die britische Küche.

Dabei herrscht an Gegenentwürfen zualtersschwachem Hammel in Pfefferminz-sauce kein Mangel, kommen doch geradeaus England mit Niggela Lawson, dem RiverCafe oder – allen voran – Jamie Oliver diePropheten einer neuen Küche, deren millio-nenstarke Auflagen Anlass zu der Vermu-tung geben, dass am neuen englischen We-sen die Küchenwelt genesen könnte.

Mit einer Einschränkung. Die meistendieser Werke setzen fünf Minuten nachErfindung des Feuermachens ein. Geduldigwird erklärt, was eine Kartoffel ist, wie mansie gart und wie sie schmeckt (bei JamieOliver in der Regel „fantastisch“). Es han-delt sich um Anleitungen für kulinarischeAnalphabeten – was wiederum auf die Kü-chenwirklichkeit des Landes schließen lässt,in denen sie entstehen.

Donna Hay nun kommt, schlimmer noch,aus Australien, einer ehemaligen britischenSträflingskolonie. Ihre Kochbücher habeneine Gesamtauflage von über drei Millionen,außerdem gibt sie eine Kochzeitschrift her-aus, verfasst Kolumnen für mehrere Tages-zeitungen, hat eine eigene Produktlinie fürKochutensilien und unlängst in Sydney ihrerstes eigenes Geschäft eröffnet. 2007 wähl-te sie die Jury des eindrucksvoll klingenden„Gourmand World Cookbook Awards“ indie Riege der „Magnificent Seven“. Und weildie Programmmacher Down Under mitt-lerweile die Vorteile des kostengünstigenFormats der Kochshow entdeckt hat, kochtDonna Hay jetzt auch im Fernsehen. Ausdiesem Unternehmen entstand offenbar ihrneuestes Werk „Schnell, frisch, einfach“ –eine durchaus programmatische Zusam-menfassung ihres Tuns, wie ältere Titel à la„Meine spontane Küche“ beweisen. DonnaHay fasst ihre Philosophie so zusammen:„Schnelle Lösungen für vollgepackte Aben-de unter der Woche. Frische Aromen, diebewährten Lieblingsgerichten ohne großenZeitaufwand eine moderne, trendige Notegeben und die sich mit Zutaten aus demVorratsschrank und wenigen frischen Pro-dukten umsetzen lassen.“

Auf ein solches Credo lässt sich auchJamie Olivers Œuvre reduzieren. Gleich-wohl darf man Donna Hay als Gegenentwurfzum Engländer vorstellen. Während diesersich nicht scheut, sein ganzes Leben in dieWaagschale zu werfen, um Menschen einensinnlichen Bezug zum Kochen zu eröffnen,liefert Donna Hay klinisch reine Gebrauchs-anweisungen für Leute, die sich so wenigwie möglich in ihrer blitzblanken Einbaukü-che aufhalten wollen. Filets von Fisch undVierbeiner sind daher die Grundbestand-teile der meisten Hay-Gerichte, deren äs-thetische Darstellung und kulturgeschicht-liche Ableitung sich auch in „schnell, frisch,einfach“ in nichts von den früheren Bändenunterscheidet. Zwar wird hin und wiederdarauf hingewiesen, dass es sich um Kom-binationen „aus zwei ursprünglich eigen-ständigen Rezepten“ handelt, mehr Au-thentizität aber wird nicht zugelassen, nichteinmal beim „Spinat-Feta-Kuchen“. Dabeiwüssten wir wirklich zu gern, was die großegriechische Kolonie in Melbourne aus denSpanakopita der Athener Straßenbudengemacht hat.

Sei’s drum. Donna Hays Rezepte sindwunderbare Helferlein für den Küchen-alltag, gerade weil sie sich jede Vertiefungverbitten. Kochen ist Handwerk, nicht mehr,lautet die Botschaft. Doch so ganz scheintDonna Hay ihrem Credo nicht mehr zutrauen, gibt sie vielen Rezepten doch mitt-lerweile ein persönliches Editorial mit aufden Weg: „Das Leben ist zu kurz, um Blät-terteig selbst herzustellen – fertig gekaufterist prima.“ Berthold Seewald

Donna Hay:Schnell, frisch, einfach.160 schnelle Rezepte, frische Aromen und einfache Gerichte für jeden Tag.AT Verlag, Aarau und München.206 S., 24,90 ¤.

KÜCHE TO GO: KEINE ZEITFÜR BLÄTTERTEIG

AU F D E N P U N KT