5
Brief eines Vaters an seinen Sohn Du beklagst dich, mein lieber Sohn, darüber, daß ich dich höchst mangelhaft erziehe, daß ich dich z. B. nach Nidau hinausschicke, um eine Kommission zu verrichten, und darüber, daß ich dir befehle, in den Holzkeller hinunterzuspazieren, um Holz zu spalten. Sei nicht unaufrichtig, sei nicht sentimental, Junge: weiß ich ja doch ganz genau, daß dir das Laufen auf der heißen und staubbedeckten Landstraße, die nach Nidau, dem altersgrauen Städtchen hinausführt, Vergnügen macht, und daß du leidenschaftlich gern Holz spaltest. Du wirfst mir vor, daß im Mülleimerheruntertragen und im Holzhacken keine Erziehung liege. Ich bin aber anderer Ansicht. Es liegt sehr viel Erziehung von der besten Sorte in der Verrichtung gewissermaßen schäbiger, schimmeliger und niedriger Arbeiten. Wenn du z. B. mit dem Milchtopf in der Hand über die Gasse gehen mußt, um Milch beim Milchhändler zu holen, eine Verrichtung, deren du dich vielleicht ein wenig schämst, weil bekannte Leute dir begegnen, von denen du weißt, daß sie sich sagen, »jetzt muß er sogar Milch über die Gasse holen,« so ist das, wenn auch nicht scheinbar, doch aber in Wirklichkeit eine ausgezeichnete Erziehung, denn da lernst du dich demütigen, und im Genuß

Robert Walser Brief Eines Vaters an Seinen Sohn SYNTAX

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Brief

Citation preview

Brief eines Vaters an seinen SohnDu beklagst dich, mein lieber Sohn, darber, da ich dich hchst mangelhaft erziehe, da ich dich z.B. nach Nidau hinausschicke, um eine Kommission zu verrichten, und darber, da ich dir befehle, in den Holzkeller hinunterzuspazieren, um Holz zu spalten. Sei nicht unaufrichtig, sei nicht sentimental, Junge: wei ich ja doch ganz genau, da dir das Laufen auf der heien und staubbedeckten Landstrae, die nach Nidau, dem altersgrauen Stdtchen hinausfhrt, Vergngen macht, und da du leidenschaftlich gern Holz spaltest. Du wirfst mir vor, da im Mlleimerheruntertragen und im Holzhacken keine Erziehung liege. Ich bin aber anderer Ansicht. Es liegt sehr viel Erziehung von der besten Sorte in der Verrichtung gewissermaen schbiger, schimmeliger und niedriger Arbeiten. Wenn du z.B. mit dem Milchtopf in der Hand ber die Gasse gehen mut, um Milch beim Milchhndler zu holen, eine Verrichtung, deren du dich vielleicht ein wenig schmst, weil bekannte Leute dir begegnen, von denen du weit, da sie sich sagen, jetzt mu er sogar Milch ber die Gasse holen, so ist das, wenn auch nicht scheinbar, doch aber in Wirklichkeit eine ausgezeichnete Erziehung, denn da lernst du dich demtigen, und im Genu dessen, was demtigend ist, liegt eine kstliche Bildung. So und hnlich, lieber Sohn, bilde ich dich, und ich glaube, du darfst mir dankbar sein dafr. Du scheinst es nicht zu sein: nun, ich denke, du verstehst es eben noch nicht. Spter wirst du es zu schtzen, zu wrdigen und zu verstehen wissen.Ferner, mein Junge, glaubst du sollen drfen herausgemerkt haben (eine richtige Sohnes-Spitzfindigkeit), da ich dich gerade dann an irgendeine Beschftigung anzuspannen liebe, wenn ich wei oder du mir zu verstehen gibst, da du dich gern mit deinen bevorzugten Kameraden im Freien, sei es im Wald oder sei es am See, herumtummeln mchtest. So boshaft, meinst du, bin ich? Und wenn auch? Sollen denn arme, sorgengeplagte Vter, stets angespannt an den klglichen, elendiglichen Tglichen-Brot-Gedanken, nicht auch, zur Erheiterung und Abwechslung, sich kleine, feine, reizende Bosheiten leisten drfen? Bedenke das. Bedenke, wie viele Sorgen ich habe, und du wirst geners genug sein, mir zu erlauben, dich von Zeit zu Zeit ein wenig zu necken mit: Du spaltest jetzt hbsch Holz, verstanden!, sowie ich etwa merke, da du das Baden oder das Herumstreifen in den Gassen im Sinne hast. Vter haben auch ihre Schwchen, merke dir das.Etwas sehr Seltsames, in der Tat Frappierendes sagst du, indem du mir den Vorwurf machst, da ich ja selber Sonntagnachmittag, zum schwarzen Kaffee, die Schundromane lese, die ich geruhe, dir, dem Sohn, wenn ich dich beim heimlichen Lesen und Verschlingen ertappe, um den Kopf herumzuschlagen. Doch du bist im Unrecht, und dein Vorwurf ist eine Weinerlichkeit. Ich werde fortfahren, dir die Romanlektre zu verbieten, so gut, wie ich fortfahren zu drfen meine, sie mir persnlich zu gestatten. Sei taktvoll und mignne nicht ein Vergngen einem Menschen, der anfngt zu altern, deshalb, weil es Pflicht dieses Menschen ist, den Genu dieses Vergngens seinem Sohne zu versagen.Ich gebe nun im allgemeinen von Herzen gern zu, da ich deine Erziehung ziemlich vernachlssige, doch ich mache mir deswegen keine Sorgen. Sei versichert: Deinen Weg durch das Leben wirst du schon finden, denn es gibt Dutzende Lebenswege, und jeder Lebensweg fhrt ohne alle Frage vor das eherne, erzene Tor der Unabnderlichkeit. Du wirst mir erlauben, ein wenig mit dir zu philosophieren. Werde ein Philosoph, mein Junge, was sagen will, bilde Tapferkeit in dir aus, und dann brauchst du gar nicht so viel Erziehung, das Leben wird dich gengend erziehen, habe keine Bange. Sieh, wenn ich dich ein bichen wild und unerzogen lasse, so taugst du um so viel besser fr das Leben; ungebildet lasse, so wird dich um so viel besser das sptere Leben bilden, striegeln, gltten und pltten knnen; ungehobelt lasse, so wirst du dich um so besser eignen fr die Zurechthobelung und Polierung durch eben das Leben, welches mit Vergngen an den Menschen herumhobelt. Die Welt, in welche du wirst zu sitzen und zu stehen kommen, wird Erzieher an dir sein und dich grndlich erziehen. Auch dafr, also dafr, da ich dich vernachlssigt habe, wirst du mir einst danken. Bedenke, ich bitte dich, folgendes; und alsdann lasse mich ausruhen vom Schreiben und diesen vterlichen Brief beendigen.Nimm an, ich htte dich mustergltig erziehen lassen: mit was fr einer furchtbaren Verantwortungslast auf Kopf und auf Rcken wrdest du dann dastehen. Denn wisse: eine wirklich und in jeder Hinsicht gute, eine sogenannte glnzende Erziehung verpflichtet, sie verpflichtet den Empfnger zu ihr entsprechenden glnzenden Leistungen, sie verpflichtet auch zu der glnzenden Karriere. Sei du glcklich, mein Sohn, da du wirst atmen drfen, ohne immer nur an das Emporkommen denken zu mssen. Deine mangelhafte Erziehung verpflichtet dich nicht zu dem Gespenste, zu der Mustergltigkeit, zu dem frchterlichen Mssen-in-jeder-Hinsicht-hervorragen. Frei wirst du sein. Ein Sohn der Natur, ein Sohn der Welt wirst du sein. Atmen und leben wirst du drfen. Die da musterhaft sind, die leben nicht, und hiermit grt dich beraus herzlich, im Bewutsein, da er dir etwas Vernnftiges gesagt hat, deinVater.