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124 Charadrius 51, Heft 3-4, 2015 (2017): 124-130 Einleitung islang fehlten für Nordrhein-Westfalen (NRW) jähr- liche Bestandsübersichten zu den seltenen Brutvo- gelarten und Koloniebrütern. Teilweise waren sie in den Sammelberichten enthalten, mussten dort aber bei den einzelnen Arten gesucht werden (z. B. Team Sammelbericht 2014). Deshalb starten wir nun den Versuch die Daten nach niederländischem Vorbild (Boele et al. 2015) in übersichtlicherer Form zusam- menzustellen. Die Anzahl der behandelten Arten beläuft sich auf 55, ist aber sicherlich noch steige- rungsfähig. Methode Die Datenbasis für die Zusammenstellung ist recht heterogen und entstammt den Bestandserhebun- gen der Biologischen Stationen NRW, der Vogel- schutzwarte im LANUV aus den EU-Vogelschutz- gebieten, den landesweiten Monitoringprogrammen der NWO, privaten Erfassungen und Meldungen über ornitho.de, über die Regionalkoordinatoren des Sammelberichts (Team Sammelbericht 2015) und über ornithologische Kartierungen der Kreise und kreisfreien Städte. Bestandserhebungen bzw. Datenzusammenstellungen zu einzelnen Arten auf Landesebene wurden von folgenden Personen bzw. Arbeitsgemeinschaften durchgeführt: Joop Treep, Dr. Dietmar Ikemeyer (Flamingos), Prof. Dr. Wil- fried Stichmann, Michael M. Jöbges & Bettina Fels (Graureiher), Michael M. Jöbges, Michael Tillmann & Dr. Rolf Bense für die AG Weißstorch, Hubertus Illner für die ABU (Wiesenweihe), Hubertus Illner, Thomas Laumeier & Ingobert Rex (Rohrweihe), Jens Brune für AG Greifvögel (Schwarzmilan), Stephanie Krüßmann, Michael Kladny, Peter Weg- ner & Thorsten Thomas für NABU LAG Wander- falke (Wanderfalke), Stefan Bulk, Ernst-Günther Bulk & Michael M. Jöbges (Kranich), AG Wiesen- vogelschutz der Biologischen Stationen NRW (Gro- ßer Brachvogel, Uferschnepfe, Rotschenkel, Bekas- sine), Alfons Pennekamp, Dr. Dietmar Ikemeyer & Armin Deutsch (Lachmöwe, Schwarzkopfmöwe), Achim Vossmeyer (Trauerseeschwalbe), Barbara C. Meyer & Stefan R. Sudmann (Flussseeschwalbe), Tobias Krause (Halsbandsittich, Alexandersit- tich), Robert Tüllinghoff (Sumpfohreule), Stefan Brücher & Michael M. Jöbges für EGE (Uhu), Siggi Franke & Andreas Kämpfer-Lauenstein für AG Eulen (Steinkauz), Michael Kuhn, Michael M. Seltene Brutvögel und Koloniebrüter in Nordrhein-Westfalen 2014 Michael M. Jöbges & Stefan R. Sudmann Zusammenfassung Für 55 in Nordrhein-Westfalen seltene Brutvogelarten bzw. Koloniebrüter wird der Brutbestand im Jahre 2014 angegeben und mit den Daten aus der Kartierzeit für den landesweiten Brutvogelatlas (2005-2009) verglichen. Für einige Arten wird die aktuelle Bestandssituation kurz kommentiert. Summary Rare and colonial breeding birds in North-Rhine – Westphalia 2014 For 55 rare and colonial breeding birds in North-Rhine – Westphalia, the number of breeding pairs in 2014 is presented and compared to the data from the breeding bird atlas 2005-2009, accompanied by additional comments on the breeding occurrence of some of the species. Michael M. Jöbges, Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW, Leibnizstraße 10, D-46658 Recklinghausen; [email protected] Stefan R. Sudmann, Eickestall 5, D-47559 Kranenburg; [email protected] Abgeschlossen am 4.4.2017

Seltene Brutvögel und Koloniebrüter in Nordrhein-Westfalen

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Einleitung
islang fehlten für Nordrhein-Westfalen (NRW) jähr- liche Bestandsübersichten zu den seltenen Brutvo- gelarten und Koloniebrütern. Teilweise waren sie in den Sammelberichten enthalten, mussten dort aber bei den einzelnen Arten gesucht werden (z. B. Team Sammelbericht 2014). Deshalb starten wir nun den Versuch die Daten nach niederländischem Vorbild (Boele et al. 2015) in übersichtlicherer Form zusam- menzustellen. Die Anzahl der behandelten Arten beläuft sich auf 55, ist aber sicherlich noch steige- rungsfähig.
Methode
Datenzusammenstellungen zu einzelnen Arten auf Landesebene wurden von folgenden Personen bzw. Arbeitsgemeinschaften durchgeführt: Joop Treep, Dr. Dietmar Ikemeyer (Flamingos), Prof. Dr. Wil- fried Stichmann, Michael M. Jöbges & Bettina Fels (Graureiher), Michael M. Jöbges, Michael Tillmann & Dr. Rolf Bense für die AG Weißstorch, Hubertus Illner für die ABU (Wiesenweihe), Hubertus Illner, Thomas Laumeier & Ingobert Rex (Rohrweihe), Jens Brune für AG Greifvögel (Schwarzmilan), Stephanie Krüßmann, Michael Kladny, Peter Weg- ner & Thorsten Thomas für NABU LAG Wander- falke (Wanderfalke), Stefan Bulk, Ernst-Günther Bulk & Michael M. Jöbges (Kranich), AG Wiesen- vogelschutz der Biologischen Stationen NRW (Gro- ßer Brachvogel, Uferschnepfe, Rotschenkel, Bekas- sine), Alfons Pennekamp, Dr. Dietmar Ikemeyer & Armin Deutsch (Lachmöwe, Schwarzkopfmöwe), Achim Vossmeyer (Trauerseeschwalbe), Barbara C. Meyer & Stefan R. Sudmann (Flussseeschwalbe), Tobias Krause (Halsbandsittich, Alexandersit- tich), Robert Tüllinghoff (Sumpfohreule), Stefan Brücher & Michael M. Jöbges für EGE (Uhu), Siggi Franke & Andreas Kämpfer-Lauenstein für AG Eulen (Steinkauz), Michael Kuhn, Michael M.
Seltene Brutvögel und Koloniebrüter in Nordrhein-Westfalen 2014
Michael M. Jöbges & Stefan R. Sudmann
Zusammenfassung Für 55 in Nordrhein-Westfalen seltene Brutvogelarten bzw. Koloniebrüter wird der Brutbestand im Jahre 2014 angegeben und mit den Daten aus der Kartierzeit für den landesweiten Brutvogelatlas (2005-2009) verglichen. Für einige Arten wird die aktuelle Bestandssituation kurz kommentiert.
Summary Rare and colonial breeding birds in North-Rhine – Westphalia 2014 For 55 rare and colonial breeding birds in North-Rhine – Westphalia, the number of breeding pairs in 2014 is presented and compared to the data from the breeding bird atlas 2005-2009, accompanied by additional comments on the breeding occurrence of some of the species.
Michael M. Jöbges, Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW, Leibnizstraße 10, D-46658 Recklinghausen; [email protected] Stefan R. Sudmann, Eickestall 5, D-47559 Kranenburg; [email protected] Abgeschlossen am 4.4.2017
125M.M. Jöbges & s.R. sudMann: Seltene Brutvögel und Koloniebrüter in NRW 2014
Jöbges & Stefani Pleines (Bienenfresser), Manfred Scholz (Saatkrähe), Biologische Station Rieselfelder Münster (u. a. Kolbenente, Bartmeise, Rohrschwirl, Zwergsommel).
Ergebnis
Die Ergebnisse sind in Tab. 1 zusammengestellt, wobei zum Vergleich die Bestandsgrößen aus dem Brutvogelatlas NRW für die Jahre 2005-2009 (Grü- neberg & Sudmann et al. 2013) angegeben werden. Einige Arten werden nachfolgend kurz kommentiert.
Schwäne bis Störche Die Schneegans brütet weiterhin ausschließlich auf einer Insel in einem Neusser Parkgewässer (Jröne Meerke). Dort wurden 2014 alle Eier auf behörd- liche Anordnung eingesammelt, so dass es keinen Bruterfolg gab (Team Sammelbericht 2015). Bei der Rotschulterente gab es eine erfolgreiche Brut im bekannten Brutgebiet Rombergpark in Dortmund (Team Sammelbericht 2015). Mit der insgesamt erst dritten dokumentierten Gänsesägerbrut in NRW (AviKom 2015) scheint sich die Art zu etablieren. Für zwei weitere Paare bestand in gleichen Raum (Ruhr-Lenne) Brutverdacht. Die Brutpaarzahlen bei den Flamingos lassen sich wegen der Mischpaare nicht exakt bestimmen. Ende April/Anfang Mai wurden 16 Nester gebaut. Insgesamt wurden neun Küken beobachtet, die alle ausflogen (Treep 2015). Die Zunahme des Kormorans in NRW steht in Zusammenhang mit der Bestandszunahme der euro- päischen Population, welche nach Beendigung der
starken Verfolgung der Art einsetzte und als Anpas- sung der Bestände an die derzeitig herrschenden günstigen Umweltbedingungen für diese Art zu bewerten ist. 2014 konnten konkret 1.185 besetzte Kormoran-Nester gezählt werden, womit ein neuer Maximalbestand erreicht wurde (Jöbges & Herken- rath 2017). 2014 konnte eine erfolgreiche Brut der Zwergdom- mel im EU-Vogelschutzgebiet Rieselfelder Müns- ter nachgewiesen werden. Leider wurde eine tote diesjährige Zwergdommel am Straßenrand im VSG gefunden (Abb. 1; Feldmann & Klein 2014). Für den Nachtreiher (Nycticorax nycticorax) bestand erstmals in NRW starker Brutverdacht (AviKom 2015). Der erste Brutnachweis für diese Art steht jedoch noch aus. In den letzten Jahren ist beim Graureiher ein Trend von Großkolonien zur Gründung kleinerer Kolonien festzustellen. Dadurch ist die Art in der Lage lan- desweit alle gewässer- und nahrungsreichen Natur- räume zu besiedeln. Die Bildung von Kleinstkolo- nie, vor allem in Fichten, erschwert die Erfassung. Insgesamt deutet sich eine leichte Bestandsabnahme gegenüber dem Atlaszeitraum an. Gefährdungen der Kolonien betstehen durch Holzeinschlag an den Koloniestandorten. Zudem liegen erste Hinweise auf Prädation durch Uhu und Waschbären (Procyon lotor) vor. Die Verbreitung des Schwarzstorchs konzentriert sich immer noch auf die Mittelgebirgslagen. Außer einem Brutpaar auf dem Truppenübungsplatz Senne sind keine weitere Brutvorkommen im Tiefland
Abb. 1: Zwergdommel, Totfund, Rieselfelder Münster, MS, 16.8.2014 – Little Bittern. © Andreas Leistikov.
126 Charadrius 51, Heft 3-4, 2015 (2017)
Vogelart 2005-2009 2014 erfasst 2014 geschätzt Trend Schwarzschwan Cygnus atratus 5-10 4 4-10 = Weißwangengans Branta leucopsis 50-90 50 60-90 = Schneegans Anser caerulescens 5-8 3 3-4 = Rotschulterente Callonetta leucophrys 0-3 1 1 = Kolbenente Netta rufina 0-2 3 3-4 (+) Gänsesäger Mergus merganser 0 1-3 1-3 (+) Truthuhn Meleagris gallopavo ? 1 5 W = Rosaflamingo Phoenicopterus roseus 2-3 ~2 ~2 = Chile-Flamingo Phoenicopterus chilensis 5-8 ~5 ~5 = Schwarzhalstaucher Podiceps nigricollis 5-8 6 6-7 = Kormoran Phalacrocorax carbo 843-1.010 1.185 1.185 = Zwergdommel Ixobrychus minutus 0-1 1 1 = Graureiher Ardea cinerea 2.200-2.700 2.000 2.200 ? Schwarzstorch Ciconia nigra 90 100 120 ? Weißstorch Ciconia ciconia 54 160 160 + Kornweihe Circus cyaneus 0-1 0 0 uB Wiesenweihe Circus pygargus 18-35 29 29-32 (-) Schwarzmilan Milvus migrans 50-80 60 60-100 + Wanderfalke Falco peregrinus 132 211 211 + Kranich Grus grus 0-2 5 11 + Wachtelkönig Crex crex 50-150 30 30-50 - Tüpfelsumpfhuhn Porzana porzana 5-10 2 2-3 - Stelzenläufer Himantopus himantopus 0-1 0 0 uB Großer Brachvogel Numenius arquata 630-680 703 703 = Uferschnepfe Limosa limosa 220-250 177 177 - Bekassine Gallinago gallinago 66-86 33 33 - Rotschenkel Tringa totanus 47-76 49 49 - Lachmöwe Larus ridibundus 4.000-6.000 6.000 6.000 + Schwarzkopfmöwe Larus melanocephalus 14 15 15-20 + Mittelmeermöwe Larus michahellis 10-30 10 10-30 + Heringsmöwe Larus fuscus 30-60 100 100-130 + Trauerseeschwalbe Chlidonias niger 40-62 45 45 = Flussseeschwalbe Sterna hirundo 120-166 154 154-177 (+) Alexandersittich Psittacula eupatria 10-15 40 + Halsbandsittich Psittacula krameri 850-1.100 1.100 = Sumpfohreule Asio flammeus 0-2 2 2 uB Uhu Bubo bubo 250-300 500 500-550 + Ziegenmelker Caprimulgus europaeus 250-300 200 200-220 (-) Bienenfresser Merops apiaster 3-12 2 2 - Wendehals Jynx torquilla 15-20 10 10-15 = Raubwürger Lanius excubitor 30-50 15 15-25 - Saatkrähe Corvus frugilegus 9.500-12.000 12.991 12.991 = Beutelmeise Remiz pendulinus 30-50 5 5-15 - Bartmeise Panurus biarmicus 2-3 4 4 =
Tab. 1: Brutbestandsübersicht zu seltenen Arten und Koloniebrütern in Nordrhein-Westfalen für 2014 im Vergleich zum Atlaszeitraum 2005-2009 (Grüneberg & Sudmann et al. 2013). die Spalte „erfasst“ gibt die Anzahl der nachgewiesenen, die Spalte „geschätzt“ der hochgerechneten Brutpaarzahlen wieder; der Trend die Veränderung gegenüber 2009-2014 (= stabil, (+) leichte Zunahme, + Zunahme, (-) leichte Abnahme, - Abnahme, ? unsicher, uB unregelmäßig auftretende Brutvogelart. – Number of breeding pairs of rare and colonial breeding birds in North-Rhine – Westphalia in 2014, compared to the atlas data from 2005-2009; data for 2014 counted and estimated and trend from 2005-2009 to 2014.
127M.M. Jöbges & s.R. sudMann: Seltene Brutvögel und Koloniebrüter in NRW 2014
Vogelart 2005-2009 2014 erfasst 2014 geschätzt Trend Rohrschwirl Locustella luscinioides 1-5 1 1-2 = Schilfrohrsänger Acrocephalus schoenobaenus 0-3 10 10-15 + Drosselrohrsänger Acrocephalus arundinaceus 2-5 4 4-7 = Orpheusspötter Hippolais polyglotta 0-7 10 10-20 + Ringdrossel Turdus torquatus 0-1 0 0 uB Braunkehlchen Saxicola rubetra 200-250 180 180-200 - Blaukehlchen Luscinia svecica 80-120 140 150-170 = Steinschmätzer Oenanthe oenanthe 10-20 10 10-15 - Grauammer Emberiza calandra 300-400 150 150-200 - Zaunammer Emberiza cirlus 0-2 1 1 uB Zippammer Emberiza cia 15-20 5 5-7 (-)
dokumentiert. Die Zusammenstellung des landes- weiten Brutbestand wird immer schwieriger, da aus Schutzgründen von den Fortverwaltungen und Revierbeamten sowie ehrenamtlichen Horstbetreu- ern keine Angaben mehr zu Brutplätzen weiterge- geben werden. Zudem erschweren die Aufgabe von Horsten und Umsiedlungen innerhalb der Reviere, die großräumige Aktionsradien adulter Tiere und das Umherstreifen von Nichtbrütern die exakte Bestand- serfassung. Insgesamt scheint sich der Brutbestand zu stabilisieren. Dagegen wird der Brutbestand vom Weißstorch von der AG Weißstörche in der NWO exakt erfasst. Er zeigt weiterhin eine positive Entwicklung und betrug nun 160 Horstpaare. Die Verbesserung der Auenlebensräume, der Feuchtwiesenschutzgebiete sowie das Aufstellen von Nistplattformen korrelie- ren positiv mit der Bestandszunahme.
Greifvögel bis Rallen Das Schwerpunktvorkommen der Wiesenweihe befindet sich in der Hellwegbörde, Haarstrang und Paderborner Hochfläche. Daneben existieren spora- dische Vorkommen in der Kölner Bucht, Warburger Börde und im Kreis Minden-Lübbecke. Nahezu alle Bruten finden in Getreideschlägen in der offenen Agrarlandschaft statt, wobei der aktuelle Bestand ohne Nestschutzmaßnahmen und ökologische Auf- wertung der Agrarflächen nicht gehalten werden kann (Illner 2014). Im Jahre 2014 konnten landes- weit 32 Brutpaare der Wiesenweihe nachgewiesen werden, davon 29 Paare in der Hellwegbörde ein- schließlich Paderborner Hochfläche und Marsberg Meerhof. Weitere Paare brüteten in den Kreisen Minden-Lübbecke und Euskirchen (Illner 2015). Die aktuelle Hauptverbreitung der Rohrweihe kon- zentriert sich auf die Westfälische Bucht mit Schwer- punktvorkommen in der Hellwegbörde, in der Lip-
peniederung Soest und Warendorf sowie auf das öst- liche Münsterland. Hohe Siedlungsdichten erreicht der Kreis Warendorf mit nahezu 100 Brutpaaren bzw. Revieren (Illner 2013; I. Rex, Kreis Waren- dorf, unveröffentl.). Weiterhin auf geringem Niveau verharrt der Brutbestand im Landesteil Nordrhein. Vereinzelt fanden auch Bruten in der Rheinischen Börde satt, vor allem in Getreidefeldern. Seit der Wiederbesiedlung des Landes Ende der 1980er Jahre und der ersten erfolgreichen Felsbrut 1990 an den Bruchhauser Steinen ist beim Wander- falken eine stetige Bestandszunahme und Arealaus- dehnung zu beobachten (Wegner & Brücher 2013). Aktuell weist der Wanderfalke in der Rheinschiene und im Ballungsraum Ruhrgebiet hohe Siedlungs- dichten auf. Im Jahre 2014 konnten 211 Brutpaare mit 344 ausgeflogenen Jungfalken registriert werden (Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz NRW 2015). Seit dem Nachweis der ersten erfolgreichen Kra- nichbrut 2008 im Großen Torfmoor im Kreis Minden-Lübbecke (Bulk et al. 2008) erhöhte sich kontinuierlich die Anzahl der erfolgreichen Paare. Zusätzlich liegen weitere Brutzeitbeobachtungen von Revier anzeigenden „Paaren“ und Nichtbrütern vor (Jöbges 2013, Bulk 2014). 2014 konnten elf Revierpaare, davon fünf Brutpaare mit mindestens drei flüggen Jungvögeln festgestellt werden. Lan- desweiter Siedlungsschwerpunkt des Kranichs ist die Bastauniederung im Kreis Minden-Lübbecke. Eine vollständige Erfassung des nachaktiven Wach- telkönigs ist aufgrund der jährlichen Bestands- fluktuationen nicht möglich. Der Verbreitungs- schwerpunkt befindet sich in der Hellwegbörde mit dem Haarstrang und der Paderborner Hochfläche (Joest 2013). 2014 war ein Einflugjahr mit relativ hohen Beständen, was landesweit und überregio- nal bemerkbar war. Auf einer Teilfläche des VSG
128 Charadrius 51, Heft 3-4, 2015 (2017)
Hellwegbörde konnte Joest (2015) 38 Reviere nach- weisen. Den wohl landesweit einzigen Brutplatz des Tüp- felsumpfhuhns stellt das EU-Vogelschutzgebiet Rieselfelder Münster. Gegenüber dem Vorjahr (4-6 Reviere) war das Auftreten 2014 mit 2-3 Revieren etwas schwächer (Feldmann & Klein 2014).
Limikolen bis Seeschwalben Die Ermittlung des Brutbestands der Wiesenlimi- kolen erfolgte durch die AG Wiesenvogelschutz, einer AG der Biologischen Stationen in NRW, der Vogelschutzwarte im LANUV und der NWO, dem auch weitere ehrenamtliche Naturschützer angehö- ren. Der Bestand des Großen Brachvogels ging von 1975 bis 1984 von 730 auf 540 Revierpaare zurück. 2014 wurde mit 703 Revierpaaren fast wieder der Wert von 1975 erreicht (Beckers et al. 2018). Dage- gen befindet sich der Brutbestand der Uferschnepfe seit Mitte der 1970er Jahre in stetem Rückgang und erreichte 2014 mit nur noch 177 Paaren seinen bisherigen Tiefstand (Beckers et al. 2018). Auch die Bekassine zeigt einen deutlichen Abwärtstrend und erreichte 2014 mit nur noch 33 Revieren einen neuen Tiefstwert. 1975 waren es noch 340 bis 450 Revier- paare (Beckers et al. 2018). Mittlerweile wurde die Mittelgebirgsregion fast vollständig aufgegeben und die Bekassine kommt schwerpunktmäßig nur noch in den Restmooren in den Kreisen Steinfurt und Minden-Lübbecke vor. Der Bestand des Rotschen- kels reduzierte sich von 90 Paaren (1975) auf jetzt 49 Revierpaare, wobei in den letzten Jahren eine Stabilisierung des Brutbestands einsetzte (Beckers et al. 2018). Schwerpunkt der Verbreitung und der Vorkommen ist das Vogelschutzgebiet Unterer Nie- derrhein. In NRW brütet die Lachmöwe bevorzugt in Verlan- dungszonen und auf Inseln von Abgrabungsgewäs- sern. Im Jahre 2014 konnten rund 6.000 Brutpaare erfasst werden, davon brüten allein rund 4.500 Paare im Zwillbrocker Venn im Kreis Borken. Deut- lich niedrige Brutbestände weisen die Rieselfelder Münster und der Diersfordter Waldsee im Kreis Wesel auf. Die Schwarzkopfmöwe tritt mittlerweile als regelmäßiger Brutvogel, wenn auch nur in sehr geringer Anzahl auf. Brutvorkommen wurden bis- her nur in Lachmöwenkolonien beobachtet, wobei es 2014 im Zwillbrocker Venn mindestens zehn und auf dem Diersfordter Waldsee sieben Brutpaare waren. Die einzigen Brutplätze der Trauerseeschwalbe befinden sich im EU-Vogelschutzgebiet Unterer
Niederrhein im Kreis Kleve. Durch das Ausbrin- gen spezieller Brutflöße (Artenschutzprojekt des Naturschutzzentrums im Kreis Kleve e.V.) konnte eine Stabilität der Brutvorkommen erreicht werden. Im Jahre 2014 brüteten 45 Paare (zwei Kolonien, ein Einzelpaar) und brachten 66 Jungvögel zum Ausfliegen (Vossmeyer & van der Winden 2017). Bei der Flussseeschwalbe wurde 2014 mit gut 160 Paaren der zweithöchste Brutbestand registriert (nur 2003 lag er geringfügig höher). 95 % brüten am Niederrhein in den Kreisen Wesel, Kleve und Bor- ken (sieben Kolonien); lediglich circa sieben Paare traten in der Weseraue auf. Fast alle Bruten fanden auf Nistflößen statt, die restlichen auf Inseln.
Papageien bis Spechte Die Sumpfohreule überwintert regelmäßig in unter- schiedlicher Anzahl in Abhängigkeit des Kleinsäu- gervorkommens. Bei hoher Nahrungsverfügbarkeit kommt es dann lokal zu Brutansiedlungen, so dass 2014 zwei Brutpaare nachgewiesen wurden. Es gab Hinweise zu weiteren möglichen Bruten, die aber aufgrund der heimlichen Lebensweise dieser Art nicht bestätigt werden konnten. Der Uhu findet in der Kulturlandschaft optimale Lebensraumbedin- gungen vor. Gegenwärtig besiedelt die Art verstärkt die Wälder und Abgrabungen im Tiefland und dringt in die Ballungsräume vor, so dass Beobachtungen von Uhus in Städten keine Seltenheit mehr sind Die positive Bestandsentwicklung hält unvermindert an und erreicht mit 500 bis 550 Revierpaaren ein neues Maximum (Jöbges 2017). Der Ziegenmelker besiedelt halboffene Heide- und Sandtrockenrasen-Biotopkomplexe, weshalb hohe Bestände auf dem Truppenübungsplatz Senne, den ehemaligen militärischen Liegenschaften Borken- berge und Lavesum sowie auf der Schwalm-Nette- Platte vorhanden sind. Witterungs- und nahrungs- bedingt schwanken die landesweiten Bestände zwi- schen 200 bis 220 Revieren. In den letzten Jahren ist das Vorkommen in der Wahner Heide und auf dem Flughafen Köln/Bonn, trotz umfangreicher Bio- topoptimierung, erloschen. Ebenfalls gibt es Hin- weise, dass das bisher stärkste Vorkommen auf dem Truppenübungsplatz Senne rückläufig ist. Bundesweit steigt die Anzahl der Bienenfresserbru- ten deutlich an und erreichte 2014 mit rund 1.300 Brutpaaren ein neues Bestandsmaximum (Fachgruppe „Bienenfresser“ DO-G 2015). Die überregionale Ent- wicklung läuft jedoch an NRW vorbei, da hier nur ein Brutvorkommen mit zwei Paaren im Tagebau Garzwei- ler in der Kölner Bucht bestätigt werden konnte.
129M.M. Jöbges & s.R. sudMann: Seltene Brutvögel und Koloniebrüter in NRW 2014
NRW liegt an der nordwestlichen Verbreitungs- grenze des Wendehalses in Deutschland (Gedeon et al. 2014). 2014 brütete die Art nur noch mit einem Paar in der Wahner Heide bei Köln und steht dort kurz vor dem Aussterben. Auf dem Truppen- übungsplatz Senne konnten nur noch fünf Reviere festgestellt werden. Dagegen sind Neuansiedlung im Kreis Höxter zu beobachten, die jedoch durch Waschbären gefährdet sind (Prädation in Nistkäs- ten). Die Art profitiert dort von der Pflege des Magergrünlandes und der Schaffung von Lichtwäl- dern (B. Beinlich, pers. Mitt.).
Singvögel Die aktuelle Verbreitung des Raubwürger konzent- riert sich nahezu auf die Mittelgebirgslagen mit dem Schwerpunkt in der Medebacher Bucht im Hoch- sauerlandkreis. Der Brutbestand schwankt jährlich in Abhängigkeit von der Nahrungsverfügbarkeit. Eine exakte Erfassung der Vorkommen gestaltet sich schwierig, da die Art auch Sukzessionsflächen und Windwurfflächen kurzfristig besiedelt. 2014 lag der Brutbestand unter dem Niveau des Atlaszeit- raumes. Die Brutvorkommen der Saatkrähe wer- den jährlich nahezu komplett erfasst. 2014 konnten 12.991 besetzte Nester in 318 Kolonien gezählt werden. In den letzten Jahren pendelt sich der Landesbestand damit bei rund 13.000 Paaren ein. Infolge von legalen und illegalen Störungen an den Brutplätzen und Vergrämungsmaßnahmen ist eine Tendenz der Aufsplitterung von Kolonienstandorten zu beobachten. NRW liegt am westlichen Rand des europäischen Brutverbreitungsgebiets der Beutelmeise. In den 1980 und 1990er Jahren wurde das Rheinland wie- derbesiedelt. Seitdem ist ein nahezu flächiger Rück- zug der Brutverbreitung zu beobachten. Aktuell sind nur Bruten aus der Weseraue im Kreis Minden-Lüb- becke bekannt. Da die Art schwierig nachzuweisen ist, kann von einer leichten Unterschätzung des ver- bliebenen Restbestandes ausgegangen werden, so dass der Brutbestand mit 5-15 Paaren beziffert wird. Das einzige Brutvorkommen der Bartmeise befin- det sich in den Rieselfeldern Münster mit aktuell vier Revieren (Feldmann & Klein 2014). Die Blaukehlchenvorkommen sind in NRW im Gegensatz zu anderen Regionen starken Bestands- schwankungen unterworfen. Die Art ist zwar in der Lage rasch geeignete Habitate zu besie- deln, verschwindet aber kurzfristig bei zu starken Lebensraumveränderungen wieder (Pleines & Jöb- ges 2010). Schwerpunkt der Verbreitung bilden die
Abb. 2: Außerhalb der Rieselfelder Münster gibt es in NRW nur wenige Orte, an denen Blaukehlchen brüten (Kranenbur- ger Bruch, Kreis Kleve, 4.6.2014). – Bluethroat. © Stefan R. Sudmann.
Vogelschutzgebiete Rieselfelder Münster und die Schwalm-Nette-Platte mit Grenzwald und Mein- weg. In den Rieselfelder Münster konnten alleine 116 Blaukehlchen-Reviere nachgewiesen werden (Feldmann & Klein 2014), was etwa 70 % des Lan- desbestands entspricht. Aktuell besiedelt die Grauammer nur noch die Jülich-Zülpicher Börde, an anderen Stellen werden nur noch unregelmäßig Reviere besetzt. Der landes- weite Brutbestand wird auf nur noch 150 bis 200 Reviere beziffert und ist deshalb vom Aussterben bedroht (Fels et al. 2014, Schieweling et al. 2014).
Dank
Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen im Metho- denteil aufgeführten Koordinatoren und AG-Leitern, bei Erich Hauth & Dr. Andreas Skibbe (OAG Wah- ner Heide) sowie bei allen Datenlieferanten. Leider ist es uns unmöglich eine komplette Namensliste aller Beteiligten zu erstellen.
Literatur
130 Charadrius 51, Heft 3-4, 2015 (2017)
AviKom (2015): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2014. Charadrius 51: 109-123. Beckers, B., A. Barkow, M. Frede, P. Herkenrath, D. Ikeme- yer, M. Jöbges, S.R. Sudmann & R. Tüllinghoff (2018): 40 Jahre Wiesenvogelschutz in Nordrhein-Westfalen: Entwick- lung der Brutbestände von Großem Brachvogel Numenius arquata, Uferschnepfe Limosa limosa, Rotschenkel Tringa totanus und Bekassine Gallinago gallinago. Vogelwelt (an- genommen). Boele, A., F. Hustings, J. van Bruggen, K. Koffijberg, J.-W. Vergeer, C. Plate & T. van der Meij (2015): Kolonievogels en zeldzame broedvogels in Nederland in 2012 en 2013. Li- mosa 88: 173-191. Bulk, E.-G., S. Bulk & E. Möller (2008): Kranich: Erster Brutnachweis in Nordrhein-Westfalen. Charadrius 44: 126- 127. Fachgruppe „Bienenfresser“ DO-G (2015): Jahresbericht 2014. http://www.do-g.de/fileadmin/do-g_dokumente/ DO-G_FG_Bienenfresser_Jahresbericht_2014.pdf Feldmann, B. & A. Klein (2014): Die Brutvögel der Riesel- felder Münster. Jahresbericht 2014 der Biologischen Station „Rieselfelder Münster“: 49-55. Fels, B., R. Joest, M. Jöbges & P. Herkenrath (2014): Die Grauammer Emberiza calandra in Nordrhein-Westfalen – bald nur noch eine Erinnerung? Charadrius 50: 61-74. Gedeon, K., C. Grüneberg, A. Mitschke, C. Sudfeldt, W. Eikhorst, S. Fischer, M. Flade, S.. Frick, I. Geiersberger, B. Koop, M. Kramer, T. Krüger, N. Roth, T. Ryslavy, F. Schlot- mann, S. Stübing, S.R. Sudmann, R. Steffens, F. Völker & K. Witt (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten, Hohenstein-Ernstthal und Münster. Grüneberg, C. & S.R. Sudmann sowie J. Weiss, M. Jöbges, H. König, V. Laske, M. Schmitz & A. Skibbe (2013): Die Brutvögel Nordrhein-Westfalens. NWO & LANUV (Hrsg.), LWL-Museum für Naturkunde, Münster.