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  * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums für Bürgerliche Initiativen Lemberg,  www.cehrin.org.ua. Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 1  Verwaltungsreform in der Ukraine  Dezentralisierung auf dem Weg Miriam Kosmehl* Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / 14. Juli 2015 Zusammenfassung Staatsgewalt nach dem Subsidiaritätsprinzip auf die kleinstmögliche Einheit vor Ort zu verlagern  damit verbinden viele Ukrainer den Wunsch, mehr Einfluss auf Regierende und Verwalter zu nehmen. Diese haben ihr an Potential so reiches Land seit der Unabhängigkeit wiederholt so schlecht regiert und verwaltet, dass die Bürger zweimal massiv aufbegehrten: 2004 in der Orangen Revolution und 2013/14 in der „Revolution der Würde“. Tatsächlich dürfte Dezentralisierung nach Neugestaltung der Justiz, ohne die weder Machtmissbrauch noch Korrupti- on beizukommen sein wird, die wichtigste rechtsstaatliche Reform sein. Sie steht zudem im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, weil am 25. Oktober landesweit Kommunal- und Regionalwahlen stattfinden  obwohl die angestrebte Neuord- nung bis dahin keinesfalls umzusetzen ist. Schließlich ist sie Teil jener Verfas- sungsreform, die für die Befriedung des Donbass ins Feld geführt wird. Ein Zau- bertrank zur Befriedung der Aggressoren des Krieges ist sie nicht, ebenso wenig wie ein Allheilmittel gegen schlechte Regierungsführung. Aber es ist zu begrü- ßen, dass dem Parlament endlich ein einheitlicher Entwurf für den verfassungs- rechtlichen Rahmen zur Abstimmung vorliegt.

Ukraine: Dezentralisierung auf dem Weg

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Staatsgewalt nach dem Subsidiaritätsprinzip auf die kleinstmögliche Einheit vor Ort zu verlagern – damit verbinden viele Ukrainer den Wunsch, mehr Einfluss auf Regierende und Verwalter zu nehmen. Diese haben ihr an Potential so reiches Land seit der Unabhängigkeit wiederholt so schlecht regiert und verwaltet, dass die Bürger zweimal massiv aufbegehrten: 2004 in der Orangen Revolution und 2013/14 in der „Revolution der Würde“. Tatsächlich dürfte Dezentralisierung nach Neugestaltung der Justiz, ohne die weder Machtmissbrauch noch Korruption beizukommen sein wird, die wichtigste rechtsstaatliche Reform sein. Sie steht zudem im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, weil am 25. Oktober landesweit Kommunal- und Regionalwahlen stattfinden – obwohl die angestrebte Neuordnung bis dahin keinesfalls umzusetzen ist. Schließlich ist sie Teil jener Verfassungsreform, die für die Befriedung des Donbass ins Feld geführt wird. Ein Zaubertrank zur Befriedung der Aggressoren des Krieges ist sie nicht, ebenso wenig wie ein Allheilmittel gegen schlechte Regierungsführung. Aber es ist zu begrüßen, dass dem Parlament endlich ein einheitlicher Entwurf für den verfassungsrechtlichen Rahmen zur Abstimmung vorliegt.

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  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 1

    Verwaltungsreform in der Ukraine

    Dezentralisierung auf dem Weg

    Miriam Kosmehl*

    Hintergrund:

    Ukraine

    Nr. 43 / 14. Juli 2015

    Zusammenfassung

    Staatsgewalt nach dem Subsidiarittsprinzip auf die kleinstmgliche Einheit vor

    Ort zu verlagern damit verbinden viele Ukrainer den Wunsch, mehr Einfluss auf Regierende und Verwalter zu nehmen. Diese haben ihr an Potential so reiches

    Land seit der Unabhngigkeit wiederholt so schlecht regiert und verwaltet, dass

    die Brger zweimal massiv aufbegehrten: 2004 in der Orangen Revolution und

    2013/14 in der Revolution der Wrde. Tatschlich drfte Dezentralisierung

    nach Neugestaltung der Justiz, ohne die weder Machtmissbrauch noch Korrupti-

    on beizukommen sein wird, die wichtigste rechtsstaatliche Reform sein. Sie steht

    zudem im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, weil am 25. Oktober landesweit

    Kommunal- und Regionalwahlen stattfinden obwohl die angestrebte Neuord-nung bis dahin keinesfalls umzusetzen ist. Schlielich ist sie Teil jener Verfas-

    sungsreform, die fr die Befriedung des Donbass ins Feld gefhrt wird. Ein Zau-

    bertrank zur Befriedung der Aggressoren des Krieges ist sie nicht, ebenso wenig

    wie ein Allheilmittel gegen schlechte Regierungsfhrung. Aber es ist zu begr-

    en, dass dem Parlament endlich ein einheitlicher Entwurf fr den verfassungs-

    rechtlichen Rahmen zur Abstimmung vorliegt.

  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 2

    Territorialer Neuaufbau der Verwaltung

    Motiviert von der Vorstellung, dass lokale Verwaltungseinheiten auch Brgerbelange regeln sollen

    und nur bergreifende Befugnisse bei zentralstaatlichen Behrden verbleiben, die vernnftigerweise

    unter die gide der Hauptstadt gehren gab es in der Ukraine seit der Jahrtausendwende zwei Ver-

    suche, die zentralstaatliche Machtvertikale mit den sog. Gouverneuren, korrekt heien sie Vorsitzen-de der Gebietsverwaltungen, zu verndern.1 Beide scheiterten. Dieses Mal soll es anders kommen.

    Klar ist, die neue Verwaltungs-

    struktur wird vier Ebenen haben:

    neben der zentralstaatlichen die

    der Region (frher: Oblast), des

    Kreises2 und der Gemeinde (Hro-

    mada). Den sog. Gouverneuren,

    hufig wahrgenommen als Hand-

    langer politischer Gunst und Herr-

    schaft, soll ebenso die Macht ent-

    zogen werden wie den zentralisti-

    schen, von den Gouverneuren

    organisierten Kreisverwaltungen.

    Stattdessen sollen auch auf Regi-

    ons- und Kreisebene gewhlte

    Parlamente (Rte) ihre eigene

    Exekutive bekommen, indem die

    Rte sog. Exekutivkomitees bilden.

    Im Rahmen der Selbstverwaltung

    sollen diese neuen Krfte die Re-

    gionalentwicklung auf den Weg bringen. In den Stdten und Gemeinden existiert diese Praxis bereits.

    Dort sind die Vorsitzenden der Gemeinderte gleichzeitig Brgermeister.

    1 S. in Englisch Duncan Leitch, The Wrong Solution to the Wrong Problem?, The Ukrainian Week No. 6 (88), Juni 2015, S.

    11, elektronische Version unter http://ukrainianweek.com/Politics/139503. 2 Anscheinend wird die altukrainische Bezeichnung fr Kreis, Powit, nun doch nicht die bislang herkmmliche Bezeichnung

    aus der Sowjetzeit Rayon ersetzen. Das finden Experten vor allem deshalb bedauerlich, weil sich so in den langen Jahren,

    die diese Reform dauern wird, neu geformte Kreise dem Namen nach nicht sofort erkennbar von alten unterscheiden wer-

    den.

    Wartende in einem Kiewer Brgeramt / Foto: FNF-Projektbro Kiew.

  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 3

    Graphik Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr brgerliche Initiativen Lemberg, zu den Reformen auf der Regions- und Kreisebene /

    auf: cehrin.org.ua

    Angelehnt an das polnische Modell der Woiwoden bzw. an das franzsische Modell, sollen sog. Pr-fekten als Reprsentanten des Zentralstaats die Gouverneure und Vorsitzenden der staatlichen Kreis-

    verwaltungen ersetzen. Sie werden jedoch nur noch die Rechtsaufsicht ber die neuen Selbstverwal-

    tungskrperschaften haben.

    Insgesamt soll eine massive territoriale Neuorganisation kleine, ineffiziente Einheiten im ganzen Land

    zusammenfassen aber im Gegensatz zu frheren Initiativen3 auf freiwilliger Basis, verbunden mit

    finanziellen Anreizen. Dennoch ist die angestrebte administrativ-territoriale Neuorganisation der Uk-

    raine, das zeigen die Erfahrungen anderer Lnder, eine langfristige Herkulesaufgabe. Auf der untersten

    Verwaltungsebene geht es immerhin um rund 14.000 Verwaltungseinheiten, die auf fast ein Zehntel

    (1.500-1.800 Gemeinden) reduziert werden sollen. Aus den bislang etwa 500 Kreisen sollen 120-150

    werden. Nur die bisherigen 27 Oblasti sollen, bezeichnet als Regionen, erhalten bleiben.

    3 Etwa der unter Ex-Prsident Juschtschenko sog. Reform fr die Menschen, der aber vorgeworfen wird, ohne Einbezie-

    hung der Brger geplant worden zu sein, und die es nicht einmal auf die Gesetzesebene schaffte.

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    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 4

    Auch wenn die Zusammenschlsse der Effizienz dienen, ist Freiwilligkeit problematisch. Wahrschein-lich steht ein jahrelanger Prozess bevor, weil Gemeindezusammenlegungen immer eine heikle und

    langwierige Angelegenheit sind, wenn die Zusammenschlsse am Ende auch in der Praxis funktionie-

    ren sollen.

    Enorme Anstrengungen werden auch damit verbunden sein, die fr die Brger wichtigen Verwaltungs-

    dienstleistungen, die bislang nur ber die zentralistisch organisierten Regions- und Kreisverwaltungen

    zu erhalten waren, auf der lokalen Ebene anzubieten. In der gesamten Ukraine sollen rund 2.000 Br-

    germter entstehen mit dem Ziel, ffentliche Dienstleistungen nher an den Brger zu bringen und sie

    dadurch besser (und billiger) zu machen.4 Gegenwrtig gibt es knapp 670 Brgermter, und schon

    diese Zahl ist das stolze Zeugnis einer Reform von unten, die erst im Zuge der rasanten politischen

    Vernderungen der letzten eineinhalb Jahre wirklich in Bewegung kam.

    4 Die Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit fhrt mit dem Zentrum fr politische und rechtliche Reformen seit 2010

    regelmig in den Regionen Seminare zur Einfhrung und Verbesserung von Brgermtern durch. S. aber auch

    http://www.ukraine.fnst.org/webcom/fancyuri.php/_c-764/_nr-32080/_p-1/i.html.

    Graphik Ihor Koliuschko vom Zentrum fr politische und rechtliche Reformen. Der ukrainische Rechts- und Verwaltungsexperte schlgt

    die dargestellte Aufteilung in Kreise vor / auf: http://www.en.pravo.org.ua

  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 5

    Zudem unterscheiden sich die bereits existierenden Brgermter noch stark in Bezug auf Funktionali-

    tt und Service. Nicht alle sind tatschlich funktionstchtig.

    Nach dem Regimewechsel 2014: Dezentralisierung nimmt endlich Fahrt auf

    Bereits am 1. April 2014, noch vor der Amtseinfhrung Prsident Poroschenkos, billigte das ukraini-

    sche bergangskabinett ein Konzept zur Dezentralisierung.5 Formell musste sich das inhaltlich als

    vernnftig eingestufte und zwischen dem Ministerkabinett und dem Prsidialamt abgestimmte Kon-

    zept allerdings den Vorwurf gefallen lassen, die Rechts- und Verwaltungsexperten und Praktiker, die

    sich in ukrainischen Think-Tanks und anderen NRO seit der Unabhngigkeit mit dem Thema administ-

    rativ-territorialer Modernisierung befassen, nicht ausreichend eingebunden zu haben und schon gar

    nicht die normale ffentliche Meinung eingeholt zu haben. So erarbeiteten Experten der zivilgesell-schaftlichen Initiative Reanimation Package of Reforms, die seit dem Machtwechsel im Februar 2014

    die Arbeit des Ministerkabinetts nicht nur genau beobachten, sondern konkrete Politikvorschlge ma-

    5 Vorbereitet durch das Ministerium fr Regionalentwicklung, Bauwesen und Wohnungs- und Kommunalwirtschaft unter

    dem damaligen Vize-Premierminister und Minister fr Regionalentwicklung Wolodymyr Groisman (seit 27.2.14) entstand

    das Konzept fr Selbstverwaltung und die territoriale Organisation der Staatsgewalt in der Ukraine, auf Ukrainisch

    http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/333-2014-%D1%80.

    Eingang zum Brgeramt von Ivano Frankivsk / Foto: http://www.cnap.if.ua/photo

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    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 6

    chen, ein Parallelkonzept. Uneinig war man sich vor allem, ob der Prsident die neuen Prfekten ein-

    setzt und abberuft oder das Ministerkabinett.

    Auch der Einfluss des Prsidenten auf die neuen lokalen Machtstrukturen war strittig: Sollte er das

    Recht haben, vorzeitig die Befugnisse eines Gemeinde-, Kreis- oder Regionsrates, genauer des jeweili-

    gen Ratsvorsitzenden, aufzuheben und stattdessen einen staatlichen Beauftragten bestimmen knnen

    und, falls ja, unter welchen Voraussetzungen?

    Im Mrz d.J. rief Prsident Poroschenko eine Verfassungskommission ins Leben, in der sowohl alle Par-

    lamentsfraktionen wie auch Think-Tanks, NRO und Universitten vertreten sind (darunter die Universi-

    tten aus Donezk, Luhansk, Mariupol und der Autonomen Republik Krim).6 Den Vorsitz fhrt Parla-

    mentsprsident Wolodymyr Groisman, erster Regionalminister nach dem Regimewechsel 2014 und

    davor erfolgreicher Oberbrgermeister der Vorzeigestadt Winnyzja, ein erfahrener Kommunalpolitiker.7

    Er leitet zudem die Arbeitsgruppe Dezentralisierung, die es neben den Arbeitsgruppen Justizreform und Menschenrechte bislang in der Verfassungskommission gibt.8

    Der erste magebliche Erfolg dieser Kommission drfte nun

    die Zusammenfhrung mehrerer Dezentralisierungsentwrfe

    sein, inklusive der Abstimmung mit Gesetzentwrfen des Par-

    laments, das seinerseits seit Jahresbeginn 2015 die Lokal-

    wahlen fr den Herbst im Blick einige neue Gesetze auf den Weg gebracht hatte. Denn neben

    der Verfassungskommission des Prsidenten gibt es auch den

    Verfassungsausschuss der Werchowna Rada. Dabei handelt es

    sich insbesondere um Haushaltsnderungen, die sicherstellen

    sollen, dass Kommunen auch anteilig an Steuereinnahmen

    beteiligt sind bzw. Steuern und Abgaben erheben drfen, um

    neue Verantwortlichkeiten, etwa im Rahmen von Bildung oder

    Gesundheit, auch wahrnehmen zu knnen.

    6 Dekret Nr. 190/2015 vom 31.3.15 gibt detailliert Auskunft ber die rund 55 Mitglieder, in Ukrainisch s.

    http://www.president.gov.ua/documents/19212.html. Dreizehn internationale Experten drfen teil- und Stellung nehmen,

    aber nicht whlen. Gem der ukrainischen Verfassung hat die Kommission nur beratende Funktion, weil das Initiativrecht

    fr Verfassungsnderungen entweder der Prsident oder 150 Abgeordneten des nationalen Parlaments haben. Aufgrund

    der Reputation einzelner Mitglieder und der gemischten Zusammensetzung haben Entscheidungen der Kommission aber

    Autoritt und entsprechen zumindest ein Stck weit der Forderung vieler ukrainischer Brger, Reformen mitzugestalten.

    Die Universitten von Donezk und Luhansk wurden in andere Regionen der Ukraine umgesiedelt. 7 Vize-Vorsitzende der Kommission sind der ehemalige Richter des EGMR Prof. Volodymyr Butkevytsch und Prof. Viktor

    Musiyaka. Sekretr der Kommission ist Oleksiy Filatov, Stellvertretender Leiter der Prsidialadministration. 8 Die Problematik, dass sich die unterschiedlichen Bereiche Dezentralisierung, Justizreform, Menschenrechte und ggf. wei-

    tere gegenseitig lhmen knnten, weil man auf eine gemeinsame Verfassungsnderung wartet, wurde adressiert, indem

    die Verfassung nun in Schritten gendert wird. Damit die Substanz nicht leidet, schlagen Experten die Selbstverpflichtung

    vor, in zwei Jahren eine Analyse der gesamten Verfassung durchzufhren.

    Parlamentsprsident Groisman (li.) begrt Besu-

    cher von LI und ALDE, in Begleitung der FNF-

    Projektleiterin, im April 2015 im Parlament / Foto:

    Anastasia Sirotkina

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    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 7

    Meilenstein! Einheitlicher Entwurf fr notwendige Verfassungsnderungen

    Vielleicht trieb die Handelnden die rege Parlamentsttigkeit an. In jedem Fall haben die Ukrainer nun

    am 1. Juli einen Meilenstein gesetzt. Nachdem am 26. Juni die Verfassungskommission einen einheit-

    lichen Entwurf gebilligt und so die verfassungsmigen Grundlagen fr die Dezentralisierung entlang

    der oben dargelegten Grundlinien auf den Weg gebracht hatte, stellte Prsident Poroschenko am 1.

    Juli mndlich die wichtigsten Punkte der ukrainischen ffentlichkeit vor.9 Er selbst sei aber nur der

    Vorschlagende. Poroschenko verwies auf zwei ehrenwerte Kommissionen die ukrainische Verfas-

    sungskommission und die Venedig-Kommission, also die Europarats-Experten fr Osteuropas Verfas-

    sungen als die wahren Autoren. Letztere prften das Ergebnis der Beratungen der ukrainischen

    Verfassungskommission und erarbeiteten Empfehlungen, die die Ukrainer bercksichtigten.10

    9 Information auf der Site der Prsidialadministration in Englisch unter http://www.president.gov.ua/en/news/prezident-

    predstaviv-zmini-do-konstituciyi-decentralizaciya-35579. 10

    S. Opinion No. 803/2015 v. 24.6.15 unter http://venice.coe.int/files/CDL-PI%282015%29008-e.pdf. Auerdem Gianni

    Buquicchio, Prsident der Venedig-Kommission am 29.6.15, http://www.venice.coe.int/webforms/events/?id=2051: I very

    much welcome that the Constitutional Commission of Ukraine approved on Friday [26.6.15] draft amendments to the

    Constitution regarding decentralisation. The text approved integrates most of the recommendations made by the Venice

    Commission ()

    Gemeindekompetenzen nach der Reform von Witali Sahajniy, Zentrum fr brgerliche Initiativen

  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 8

    Seit dem 1. Juli stehen die vorgeschlagenen Verfassungsnderungen, gegossen in einen Gesetzent-

    wurf, auf der Website des ukrainischen Parlaments, der Werchowna Rada.11

    In ihrer detaillierten

    Meinung 12 hoben

    die Europer hervor,

    dass nach den n-

    derungen die Orga-

    ne der kommunalen

    Selbstverwaltung

    endlich nicht mehr

    der allumfassenden

    Aufsicht der Gene-

    ralstaatsanwalt-

    schaft (Ukrainisch:

    nahliad, Russisch:

    nadsor) unterlgen,

    einer aus der Sow-

    jetzeit briggeblie-

    benen allmchtigen

    und willkrlichen

    Behrde, und dass

    die Voraussetzungen

    fr die finanzielle Selbstndigkeit von Gemeinden geschaffen wrden. Insgesamt fhrten die Geset-

    zesentwrfe eine Form der Dezentralisierung von Staatsgewalt ein, die berwiegend mit der Europi-

    schen Charta der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar sei.13

    Erwhnenswert ist auch, dass knftige Kommunal- und Regionalwahlen nach den nderungsvorschl-

    gen aufgrund gesetzlicher Regelungen stattfinden sollen, nicht mehr aufgrund eines schlichten Parla-

    mentsbeschlusses. Letzteres hatte in der Vergangenheit wiederholt dazu gefhrt, dass in zahlreichen

    Kommunen gar nicht gewhlt wurde und man dort auch ohne Brgermeister blieb sogar in der

    Hauptstadt.14

    The speedy adoption of the text by the Verkhovna Rada is now very important with a view to the local elections, which

    will take place in October, and the continuing negotiations in the framework of the Minsk process. 11

    Auf Ukrainisch unter http://w1.c1.rada.gov.ua/pls/zweb2/webproc4_1?pf3511=55812. 12

    S. Fn. 10. 13

    Die Europische Charta der kommunalen Selbstverwaltung wurde ab 15. Oktober 1985 von den Mitgliedstaaten des

    Europarates unterzeichnet und trat am 1. September 1988 in Kraft. Mittlerweile haben fast alle Mitgliedstaaten des Euro-

    parates die Charta ratifiziert. 14

    S. FNF-Bericht Europische Hauptstadt ohne Brgermeister aus dem April 2013, http://www.freiheit.org/Politische-

    Berichte-aus-aktuellem-Anlass/415c24882i1p/index.html.

    Prsident Poroschenko mit Premierminister Arseni Jazeniuk / Foto: Arseniy Yatsenyk Foundation Open

    Ukraine

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    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 9

    Kompromisse

    Den strittigen Punkt, wer nun die Prfekten einsetzt bzw. abberuft und letztendlich mehr Einfluss auf

    deren Ttigkeit haben wird, Prsident oder Ministerkabinett, beantwortete die Verfassungskommission

    mit einem Kompromiss zwischen Prsident und Ministerkabinett.15

    Die andere strittige Frage, ob der Prsident gewhlte Lokalorgane bei verfassungswidrigen Akten auf-

    zulsen und Vorsitzende abzusetzen vermag, betrifft nach dem Entwurf nur solche Rte bzw. Vorsit-

    zenden, deren Handlungen die Souvernitt, territoriale Integritt und nationale Sicherheit der Ukrai-

    ne gefhrden. Dann wird gleichzeitig das Verfassungsgericht eingeschaltet und der Prsident setzt

    anstatt des betreffenden Lokalratsvorsitzenden einen zeitweilig Bevollmchtigten ein. Wenn das Ver-

    fassungsgericht die Bedenken besttigt, kommt es zu Neuwahlen.

    Reform unter Druck

    Das ukrainische System fr Verfassungsnderungen ist kompliziert. Deshalb wnschte Parlamentspr-

    sident Groisman, der Verfassungskommissionsvorsitzende und Leiter der Arbeitsgruppe Dezentralisie-

    rung, das ukrainische Parlament solle noch im Juni ber die fr die Dezentralisierungsreform notwen-

    digen Verfassungsnderungen abstimmen. Nachdem die Zeit knapp wurde, schlug er den Abgeordne-

    ten vor, keine oder eine verkrzte Sommerpause zu machen, in jedem Fall aber solange zu arbeiten,

    bis die Verfassungsnderungen noch in dieser Sitzungsperiode des Parlaments, die eigentlich Mitte

    Juli zu Ende ist, verabschiedet werden. Der Grund ist simpel: Wenn die Gesetzentwrfe in dieser Sit-

    zungsperiode der Werchowna Rada die notwendige einfache Mehrheit von 226 Stimmen erreichen,

    mssen die Entwrfe zunchst an das ukrainische Verfassungsgericht weitergereicht werden. Wenn

    dieses die nderungen akzeptiert, muss das Parlament in einer neuen Sitzungsperiode, also frhestens

    Anfang September, wieder zustimmen, dann mit Zweidrittelmehrheit.

    Geht alles glatt, wird der Gesetzentwurf fr Ver-

    fassungsnderungen zur Dezentralisierung also

    frhestens Anfang September verabschiedet. Dann

    muss er noch unterschrieben und verffentlicht

    werden, und es werden drei Monate bis zu seinem

    Inkrafttreten vergehen. Zur Erinnerung: Am 25.

    Oktober d.J. sind Kommunal- und Regionalwahlen.

    Von Umsetzung der Reform bis zu oder gar vor den

    Wahlen kann deshalb keine Rede sein. Aber es

    drfte der verfassungsrechtliche Rahmen gesetzt

    sein, wenn die Ukrainer im Oktober whlen.

    15

    Im Detail s. Art. 118 und 119. Der Prfekt wird nach der Vorgabe des Ministerkabinetts der Ukraine vom Prsidenten der

    Ukraine ernannt und entlassen (Art. 118 III). Art. 119 III regelt, welche Verwaltungsakte des Prfekten der Prsident und

    welche das Ministerkabinett widerrufen kann.

    Das nationale Parlament der Ukraine, die Werkhowna Rada /

    Foto: Oleg Friesen

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    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 10

    Vorwurf mangelhafter Brgerbeteiligung

    Eine besondere Herausforderung besteht fr die Politik darin, bei aller gebotenen Eile neben der ukrai-

    nischen Fachwelt auch noch mglichst viele normale Brger zu beteiligen bzw. sie fr den Reform-prozess zu gewinnen. Reformergebnisse sollen schnell umgesetzt und fr die Brger schnell (positiv)

    sprbar sein. Dabei ist dieser Prozess schon ohne lange ffentliche Debatte schwierig genug. Als Kom-

    promiss mssen die Regierenden zentrale Reformprozesse mglichst transparent gestalten und zwar

    bevor das Parlament abstimmt. In Sachen Verfassungsreform ist die Website der Verfassungskommis-

    sion noch immer sprlich bestckt.16

    Das gilt auch fr die offizielle Website, die ber Reformen Aus-

    kunft geben soll.17

    Viel besser sieht es mit der Website des Regionalministeriums aus18

    , und mit denen

    verschiedener ukrainischer NRO sowieso.19

    Nur: diese Sites besucht nicht unbedingt der Normalbrger

    aus den Regionen. Und sie sollten etwa Townhall meetings in den Regionen nicht ersetzen.20 Ukrai-nische Politiker sollten hufiger in die Regionen reisen und verstndlich kommunizieren, warum der

    eingeschlagene Weg vorteilhaft ist.

    Einige Experten kritisieren die ukrainischen Medien zu Recht dafr, Reformdebatten und -inhalte

    nicht in ausreichendem Mae an die Brger weiter zu vermitteln.21

    Allerdings waren gerade die ukrai-

    nischen Journalisten seit Oktober 2013 extrem beansprucht, zunchst mit dem Maidan, dann mit der

    Krim-Annexion und dem aufgezwungenen Krieg, nun mit Reformen in zentralen Bereichen und einer

    bedrohlichen Wirtschaftslage neben hufigen Skandalen im Regierungslager.22

    Keine Lsung von der Stange fr das komplexe Problem Regionalpolitik

    Es wird nicht leicht sein, den Umgestaltungsprozess der lokalen Verwaltungen so zu kontrollieren,

    dass die Korruption nicht einfach dorthin wandert, wo ehemals zentralstaatliche Kompetenzen an

    neue Entscheidungstrger bergehen. Oleksandr Solontaj, selbst Befrworter von Dezentralisierung

    und Mitbegrnder der neuen Kleinpartei Syla Lyudey (Kraft der Menschen), die zu den Kommunal- und

    Regionalwahlen antreten wird, machen insbesondere Budgetkompetenzen Sorge. Die Gebiets- und

    Kreisverwaltungen waren von jeher korrupt und veruntreuten Staatsgelder.

    16

    S. http://constitution.gov.ua Ukrainisch und, in Auszgen, Englisch. Eine russische Version gibt es nicht. Letzter Zugriff

    am 7.7.15. 17

    http://www.reforms.in.ua/index.php?pageid=constitution-reform, letzter Zugriff am 7.7.15. 18

    S. http://minregion.gov.ua und http://decentralization.gov.ua/en (insbesondere letztere enthlt Material, dass die

    schwierigen Zusammenhnge leicht verstndlich vermittelt). 19

    S. beispielsweise die Site des Zentrums fr politische und rechtliche Reformen, die auch einen englischen Teil enthlt,

    http://www.en.pravo.org.ua/. 20

    Auch internationale Organisationen haben es sich zum Ziel gemacht, den innerukrainischen Dialog ber Dezentralisie-

    rung zu frdern und Kapazitten fr die Umsetzung zu verbessern, etwa USAID in Kooperation mit dem Regionalministeri-

    um und dem Europarat http://radaprogram.org/en/content/regional-reform-implementation-support-offices-launched oder

    die Schweizer Internationale Entwicklungszusammenarbeit http://despro.org.ua/en/despro/project/. 21

    S. Democracy Reporting International, Briefing Paper 56, Constitutional Reforms in Ukraine: An Update on Recent De-

    velopments and Debates, Juni 2015, http://democracy-reporting.org/publications/country-reports/ukraine/briefing-paper-

    56-june-2015.html in Englisch, Ukrainisch und Russisch. DRI ist in der Verfassungskommission als Beobachter vertreten. 22

    Aktuell wurden innerhalb weniger Wochen entweder entlassen oder traten zurck: der Umweltminister, der Gesund-

    heitsminister, der Chef des Sicherheitsdienstes.

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    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 11

    Deshalb ist die Befrchtung begrndet, dass die Provinzfunktionre dort die Kontrolle ber die lokalen

    Finanzen nicht einfach aufgeben werden.

    Experten warnen zudem, dass

    schwerwiegende Probleme

    gerade in den ukrainischen

    Regionen, die hufig an ein

    Entwicklungsland erinnern,

    sich nicht gut mit dezentrali-

    sierten Strukturen lsen lie-

    en.23

    So sei der Nationalen Strategie fr Regionalentwick-

    lung bis 2020 zu entnehmen, dass 39% der Infrastruktur fr

    die Frischwasserversorgung

    privater Haushalte in marodem

    Zustand ist, in manchen Regi-

    onen sogar 60%. Auch kom-

    munale Wohnungsbestnde

    sind in schlechtem Zustand,

    meist noch als Folge der

    Schnellprivatisierung der

    1990er Jahre, als die Woh-

    nungsbesitzer Eigentmer ihrer

    Wohnung wurden, aber das Gemeinschaftseigentum an die Kommunalverwaltungen ging. Der Zustand

    der Straen ist im ganzen Land katastrophal. Dezentralisierung berge das Zusatzrisiko, so die Mahner,

    dass mit den notwendigen Investitionen in kommunale Infrastruktur kleinen Einheiten, die eigentlich

    von der Reform profitieren sollen, zu viel Verantwortung aufgebrdet werde.

    Die gravierenden Mngel bei grundlegenden Versorgungsleistungen auerhalb der Stdte seien aber

    auch mit den neo-patrimonialen Beziehungen zwischen politischen, brokratischen und Geschftseli-

    ten aller Regierungs- bzw. Verwaltungsebenen verbunden. Dieses Phnomen habe sich aus der institu-

    tionellen Erosion der Ukraine nach der Unabhngigkeit entwickelt und unter Prsident Janukowytsch

    seinen traurigen Hhepunkt erreicht.24

    Korrupte Praktiken zur Geldwsche und Steuervermeidung sei-

    en oft von regionalen Eliten ausgebt worden, die solange freies Spiel in ihrer Region hatten, wie sie

    fr stetigen Geldfluss nach Kiew sorgten.

    Damit nicht lokale Eliten die Dezentralisierung nutzen, um ihre Partikularinteressen zu verfolgen, ist

    es wichtig, parallel auch geeignete und schlagkrftige Monitoring-Institutionen einzurichten.

    23

    Etwa Duncan Leitch, Experte fr Reform fr Regionalpolitik, in The Wrong Solution to the Wrong Problem?, The Ukrai-

    nian Week No. 6 (88), Juni 2015, S. 11, elektronische Version unter http://ukrainianweek.com/Politics/139503. 24

    Derselbe, s. Fn. 23.

    Oleksandr Solontai ( Partei Syla Lyudey), Mitgewinner des Democracy Awards des National

    Democratic Institutes 2014, hier im Bild mit Dr. W. Gerhardt und dem Parteibanner/ Foto:

    FNF-Projektbro Kiew

  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 12

    Die Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit fhrt in den Regionen der Ukraine zahlreiche Semina-

    re durch, die unterschiedlichen Zielgruppen Wissen ber Dezentralisierung sowie ber effektives Ar-

    beiten als lokale NRO vermitteln.25

    Mindestens ebenso wichtig ist es, die Kapazitten knftiger Ratsmitglieder bzw. von Mitgliedern der

    Exekutivkomitees zu strken. Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat deshalb vor rund zwei Jahren ein

    Netzwerk Freier Kommunalpolitiker ins Leben gerufen, das engagierten Aktivisten das notwendige

    Know-how fr qualitativ hochwertige Kommunalpolitik vermitteln und auch das innerukrainische Ler-

    nen voneinander ermglichen soll.26

    Nur formelle Bedeutung fr den Friedensprozess im Donbass

    berschtzt wird die Bedeutung von Dezentralisierung fr Minsk II. Der Krieg im Donbass hat eine Dimension, die mit einer Verwaltungsreform nicht zu lsen ist. Die Bewohner, die noch nicht geflohen

    sind,27

    misstrauen Moskau und Kiew und den lokalen Machthabern sowieso. Zudem ist Dezentrali-sierung nicht das, was sich der Kreml oder die sog. Separatisten vorstellen. In Moskau wnscht man

    sich die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk ja gerade deshalb als autonome terri-

    toriale Gebilde, inklusive eigener Polizei und auenpolitischer Befugnis, weil man mittels ostukraini-

    scher Vetos die gesamtukrainische Politik nach Gutdnken beeinflussen knnte, ohne Regierungsver-

    antwortung fr die zerstrten Gebiete zu bernehmen. Das muss Kiew kategorisch ablehnen.28

    Das

    Vorgehen Prsident Putins im eigenen Land zeigt zudem, dass ein fderativer Staat aus russischer

    Perspektive nicht gleichbedeutend ist mit einem fderativen System nach deutschem oder schweizeri-

    schem Verstndnis. Seit seinem Amtsantritt zur Jahrtausendwende ersetzte der Kremlherrscher alle

    eigenstndigen Gouverneure Russlands durch Vertrauenspersonen und strkte gezielt die eigene

    Machtvertikale. Und was der Kreml unter Konfliktbeilegung und lsung mit lokalen Krften versteht,

    kann jeder am bedenklichen Zustand Tschetscheniens unter Ramsan Kadyrow beobachten.29

    25

    Z.B. Runde Tische zu Dezentralisierung (http://www.ukraine.fnst.org/webcom/fancyuri.php/_c-764/_nr-31931/_p-

    1/i.html) und Seminare Wie schreibt man verstndlich ber Verwaltungsreform und Dezentralisierung (http://www.ukraine.fnst.org/webcom/fancyuri.php/_c-764/_nr-31856/_p-1/i.htmlSeminare) oder NRO als Instrumente

    lokaler Antikorruptionskontrolle durch die ffentlichkeit (http://www.ukraine.fnst.org/webcom/fancyuri.php/_c-764/_nr-

    31765/_p-1/i.html). 26

    S. etwa http://www.ukraine.fnst.org/webcom/fancyuri.php/_c-764/_nr-31660/_p-1/i.html. 27

    Nach groben Schtzungen hat die Hlfte der ursprnglichen Bewohner den Donbass verlassen. Die, die geflohen sind,

    haben das brigens berwiegend in den Rest der Ukraine getan, wo rund 1,4 Millionen Binnenflchtlinge registriert sind,

    nicht Richtung Russland (750.000 registrierte Flchtlinge), das ja vorgibt, sie vor der faschistischen Ukraine zu schtzen.

    Zahlen des UN-Flchtlingshochkommissariats v. Juni 2015,

    http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNHCR%20UKRAINE%20Operational%20update%2026%20June%2

    02015.pdf. 28

    Prsident Poroschenko hat wiederholt betont und nachvollziehbar begrndet, dass und warum Fderalisierung fr die

    Ukraine nicht in Betracht kommt, etwa bei der Auftaktveranstaltung zur Verfassungskommission: Integritt und Einheit

    der Ukraine mssten erhalten werden. Jenen, die eine sog. Fderalisierung wollten oder, tatschlich, eine Teilung der

    Ukraine drften keine Zugestndnisse gemacht werden. 29

    Fr die auf Repression und Willkr beruhende Scheinstabilitt Tschetscheniens s. die aktuelle Analyse der International

    Crisis Group unter http://www.crisisgroup.org/en/regions/europe/north-caucasus/236-chechnya-the-inner-abroad.aspx.

  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 13

    Sprache und Kultur

    Eine dezentralisierte Verwaltungsstruktur bietet auch den zu Recht gewnschten Freiraum, wichtige

    Bereiche des Alltagslebens selbst zu gestalten.

    In der Antrittsrede, die Prsident Poroschenko vor rund einem Jahr auf Ukrainisch und Russisch hielt,

    betonte er, sein Dezentralisierungsvorschlag beinhalte die Garantie, dass Russisch in den Gebieten

    Donezk und Luhansk frei verwendet werden drfe.30

    Ohnehin ist die Situation vor Ort komplex, weil auch die Donbass-Gebiete nicht durchgngig russisch-

    sprachig und ein Beispiel fr ein bereinander von Kulturrumen31 sind. So wird in den Stdten

    berwiegend Russisch gesprochen, und das Gebiet Donezk ist ein stark industrialisierter Ballungsraum.

    Auf dem Land dagegen vor allem in der Region Luhansk, deren zentraler und nrdlicher Teil die sog. Sloboda-Ukraine ausmacht (zusammen mit dem grten Teil der Region Charkiw) berwiegt der

    Gebrauch des Ukrainischen, mit mehr oder weniger starkem lexikalischen russischen Einfluss.

    30

    Fr die deutsche bersetzung der Rede s. http://ukraine-nachrichten.de/antrittsrede-ukrainischen-pr%C3%A4sidenten-

    petro-poroschenko_4016_politik. 31

    Ulrich Schmid, NZZ-Podium vom 28.5.2015, http://podium.nzz.ch/content/uploads/2014/12/Referat_Kampf-um-die-

    Ukraine_formatiert_korrigiert.pdf.

    Karte Sloboda-Ukraine / @Wikipedia

  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 14

    Fazit und Ausblick

    Die Reform strkt lokale Selbstverwaltung, indem die drei Ebenen Region, Kreis und Gemeinde ihre

    eigene Exekutive haben werden. Diese sind klar von der exekutiven Macht des Zentralstaats auf re-

    gionaler und Kreisebene getrennt, denn die neue Verfassungsregelung soll festschreiben, dass der Pr-

    fekt nur die Rechtsaufsicht ber die Selbstverwaltungskrperschaften hat.

    Der zweite zentrale Aspekt lokaler Selbstverwaltung, dass Brger und ihre Organisationen in ihrem

    unmittelbaren Umfeld mglichst viel selbst eigenverantwortlich regeln und umsetzen, funktioniert in

    der ukrainischen Praxis gerade bestens. Das hat sowohl damit zu tun, dass korrupte Eliten den Staat

    zu ihrem Nutzen ausgehhlt haben, wie auch mit dem durch den Majdan wiedererstarkten brgerli-

    chen Bewusstseins vieler.

    Mit Dezentralisierung verbinden viele Ukrainer die europische Vision einer freien Gesellschaft im

    ganzen Land. Ein Allheilmittel gegen schlechte Regierungsfhrung auf allen Verwaltungsebenen ist

    Dezentralisierung aber nicht, ebenso wenig das Zaubermittel fr korruptionslose Verwaltung oder fr

    die Befriedung des Krieges im Donbass. Zudem darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass Kom-

    munen die Mglichkeit erhalten mssen, finanziell selbstndig zu werden. Transparenz und Kontrolle

    bleiben zentrale Erfolgsfaktoren fr Dezentralisierung (neben Justizreform), und es ist zu hoffen, dass

    die Brger die Nhe der lokalen Ebene entsprechend nutzen (knnen).

    Insgesamt ist die Umsetzung der Reform in der Ukraine, dem nach Frankreich flchenmig zweit-

    grten europischen Land, eine immense Herausforderung, denn auch die grundstzlich sinnvolle

    Zusammenlegung ineffektiver Verwaltungseinheiten ist nie einfach und schnell zu verwirklichen. Dies

    wollen viele Ukrainer aber auf sich nehmen, weil Dezentralisierung als bestmglicher Weg erscheint,

    Korruption, Misswirtschaft und Willkr zu kontrollieren und so den schwierigen Alltag am eigenen

    Lebensort aktiv mit zu gestalten und das eigene Land auch in seinen Regionen zu modernisieren.

    Die angesichts des Kriegs im Donbass vielen in der Ukraine zentral erscheinende Frage, ob der Prsi-

    dent Schutz vor der Machtbernahme durch lokale Krfte bentige oder ob die Machtvertikale des

    Zentralstaats bzw. der Missbrauch der prsidialen Macht die grere Gefahr ist, lsst sich allein auf

    dem Papier nicht beantworten.32

    Keine legislative Reform als solche wird den Krieg beenden, in dem

    Banden aus Sldnern und Desperados mit massiver Untersttzung des Kremls in einem System der

    Straflosigkeit herrschen. 33

    Dasselbe gilt fr die eigentlich landesweit geplante Lokalwahl im Oktober,

    und fr die nun aktuell von den selbsternannten Fhrern der Volksrepubliken Donezk und Luhansk

    angekndigten Kommunalwahlen ohnehin. Minsk II leidet unter dem Konstruktionsfehler, der Ukrai-ne erst dann die Kontrolle ber die von sog. Separatisten und Russen kontrollierten Abschnitte der

    ukrainisch-russischen Grenze zuzusprechen, wenn Lokalwahlen und Reformen stattgefunden haben.

    32

    Einige ukrainische Politiker kritisieren die aktuellen Kompromissvorschlge als nicht eindeutig und befrchten, dass der

    Prsident die Bestimmungen ausnutzen knnte, um Lokalorgane zu suspendieren. 33

    Der aktuelle Gesetzentwurf fr Verfassungsnderungen bercksichtigt, dass die besetzen Gebiete ein Sonderfall sind,

    etwa durch den Verweis, dass Sonderregelungen fr Selbstverwaltung in einigen Teilen der Regionen Donezk und

    Luhansk per Gesetz zu regeln sind.

  • * Unter Mitarbeit von Witali Sahajniy, Direktor des Zentrums fr Brgerliche Initiativen Lemberg, www.cehrin.org.ua.

    Hintergrund: Ukraine Nr. 43 / Juli 2015 | 15

    Wie eine Verwaltungsreform oder freie und faire Wahlen stattfinden sollen, solange weiter regelmig

    schwere Waffen und Kmpfer ber eben diese Grenze in die Ukraine gelangen, bleibt das Geheimnis

    der Minsk II-Diplomatie.

    Im Gegenzug kostet jeder weitere Tag Krieg den ukrainischen Staatshaushalt einige Millionen Euro.34

    Geldwert nicht zu erfassen sind Aufmerksamkeit und Kraft, die die Ukrainer besser in Reformanstren-

    gungen stecken knnten. Das haben sich viele auf die Fahne geschrieben, weil sie die von ihnen selbst

    so getaufte Revolution der Wrde, die machtvollste Freiheitsbewegung seit der polnischen Soli-

    darno,35 nicht enden sehen wollen wie die Orange Revolution.

    Miriam Kosmehl ist Projektleiterin der FNF fr die Ukraine und fr Belarus.

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam

    34

    In einem Interview mit der sterreichischen Zeitung Der Standard bezifferte Finanzministerin Jaresko jeden Tag, den

    der Krieg andauere, mit 5 Millionen Euro. 35

    So Katharina Raabe/Manfred Sapper, Hrsg. Testfall Ukraine, Europa und seine Werte, Januar 2015.