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PDF-Datei der Seite: https://www.ku.de/forschung/forschung-an-der- ku/forschungseinr/forschungseinrzimos/publikationen/forum/dokumente/kollotaj-briefe/ Die "geheime Verbindung": Briefe von Aleksandra Kollontaj an Vja?eslav Molotov 1926-1952. Zur Illustration der Rolle des "Patron-Klient"- Verhältnisses in der Sowjetunion Vorbereitet und kommentiert von M. Fuchs ZU DEN BRIEFEN In den letzten Jahren ist es in den Geisteswissenschaften zu einer Modeerscheinung geworden, die Rolle der persönlichen Netzwerke in den verschiedenen Gesellschaften und ihre Auswirkungen auf die formellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen zu untersuchen. [1] Die Palette der in der bisherigen Forschungsliteratur gezogenen Schlußfolgerungen spiegelt die ganze Breite möglicher Variationen wider. Die besondere Rolle der informellen Beziehungen in dieser oder jener Gesellschaft wird sowohl mit zivilisationsbedingten Besonderheiten [2] als auch mit den situativen Gegebenheiten der entsprechenden Gesellschaft auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung in Verbindung gebracht. [3] Ein wertvolles "Untersuchungsmaterial" für die Analyse der soziometrischen Aspekte der sozialen Macht in Sowjetrußland stellt der vor einiger Zeit im RGASPI freigegebene fond 82 (opis' 2) dar, der eine umfangreiche Kollektion an Briefen umfaßt, die in den zwanziger - sechziger Jahren von verschiedenen, in der sowjetischen Gesellschaft bedeutenden oder weniger bedeutenden Persönlichkeiten an Vja?eslav Molotov geschrieben wurden. Diese Briefe sind nach den Namen der Absender alphabetisch geordnet und innerhalb der "Absender-Mappe" noch chronologisch sortiert. Es handelt sich sozusagen um "pis'ma k vlasti" [Briefe an die Herrschenden], obwohl die Mehrheit der Schreibenden Molotov irgendwann auch privat kennengelernt hatte. Ein "feed-back" ist nur indirekt nachweisbar. Es ist einzig dem Inhalt der Briefe zu entnehmen, daß Molotov solchen "spontanen" Briefwechsel regelrecht pflegte. Die Absender erhielten von ihm öfter Unterstützung bei der Lösung dieser oder jener Probleme, die unter der Kategorie "Zugang zu Ressourcen" eingestuft werden können, sei es Protektion für eine bessere Position, günstigere Arbeitsbedingungen oder moralische Hilfe in Konflikten mit der Umgebung oder Vorgesetzten. Als Austausch für die Unterstützung im Rahmen des "Patron- Klient"-Verhältnisses schickten Molotovs Briefpartnern ihm ausführliche "nicht offizielle" Berichte über die Lage in der Institution oder der Branche, in der sie gerade tätig waren. Die Information darüber bekam Molotov nicht "ex officio", die sozialen und wirtschaftlichen Bereiche, die von seinen Briefpartnern beschrieben wurden, gehörten nicht immer zu seiner unmittelbaren Kompetenz. Die handschriftlichen Bemerkungen Molotovs an den Rändern dieser Briefe zeigen aber, daß er diese zusätzlichen Informationen regelrecht aufsaugte, bewertete und als Mittel zur weiteren Machtausweitung benutzte. Der aus diesem fond von der Autorin für die Publikation ausgewählte kleine Teil einer Kollektion von Briefen an Molotov stammt aus der Feder einer Frau, die in der sowjetischen Geschichte keine

Verhältnisses in der Sowjetunion Molotov 1926-1952. Zur ... · Molotov war Kollontaj noch die Geliebte von Å ljapnikov, der als Molotovs Chef im Russischen Büro agierte. Sie war

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Die "geheime Verbindung": Briefe von Aleksandra Kollontaj an Vja?eslavMolotov 1926-1952. Zur Illustration der Rolle des "Patron-Klient"-Verhältnisses in der Sowjetunion

Vorbereitet und kommentiert von M. Fuchs

ZU DEN BRIEFEN

In den letzten Jahren ist es in den Geisteswissenschaften zu einerModeerscheinung geworden, die Rolle der persönlichen Netzwerke inden verschiedenen Gesellschaften und ihre Auswirkungen auf dieformellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen zuuntersuchen.[1]

Die Palette der in der bisherigen Forschungsliteratur gezogenenSchlußfolgerungen spiegelt die ganze Breite möglicher Variationenwider. Die besondere Rolle der informellen Beziehungen in dieser oderjener Gesellschaft wird sowohl mit zivilisationsbedingten

Besonderheiten[2] als auch mit den situativen Gegebenheiten der entsprechenden Gesellschaftauf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung in Verbindung gebracht.[3]

Ein wertvolles "Untersuchungsmaterial" für die Analyse der soziometrischen Aspekte der sozialenMacht in Sowjetrußland stellt der vor einiger Zeit im RGASPI freigegebene fond 82 (opis' 2) dar,der eine umfangreiche Kollektion an Briefen umfaßt, die in den zwanziger - sechziger Jahren vonverschiedenen, in der sowjetischen Gesellschaft bedeutenden oder weniger bedeutendenPersönlichkeiten an Vja?eslav Molotov geschrieben wurden.

Diese Briefe sind nach den Namen der Absender alphabetisch geordnet und innerhalb der"Absender-Mappe" noch chronologisch sortiert. Es handelt sich sozusagen um "pis'ma k vlasti"[Briefe an die Herrschenden], obwohl die Mehrheit der Schreibenden Molotov irgendwann auchprivat kennengelernt hatte. Ein "feed-back" ist nur indirekt nachweisbar. Es ist einzig dem Inhalt derBriefe zu entnehmen, daß Molotov solchen "spontanen" Briefwechsel regelrecht pflegte. DieAbsender erhielten von ihm öfter Unterstützung bei der Lösung dieser oder jener Probleme, dieunter der Kategorie "Zugang zu Ressourcen" eingestuft werden können, sei es Protektion für einebessere Position, günstigere Arbeitsbedingungen oder moralische Hilfe in Konflikten mit derUmgebung oder Vorgesetzten. Als Austausch für die Unterstützung im Rahmen des "Patron-Klient"-Verhältnisses schickten Molotovs Briefpartnern ihm ausführliche "nicht offizielle" Berichteüber die Lage in der Institution oder der Branche, in der sie gerade tätig waren. Die Informationdarüber bekam Molotov nicht "ex officio", die sozialen und wirtschaftlichen Bereiche, die vonseinen Briefpartnern beschrieben wurden, gehörten nicht immer zu seiner unmittelbarenKompetenz. Die handschriftlichen Bemerkungen Molotovs an den Rändern dieser Briefe zeigenaber, daß er diese zusätzlichen Informationen regelrecht aufsaugte, bewertete und als Mittel zurweiteren Machtausweitung benutzte.

Der aus diesem fond von der Autorin für die Publikation ausgewählte kleine Teil einer Kollektionvon Briefen an Molotov stammt aus der Feder einer Frau, die in der sowjetischen Geschichte keine

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Unbekannte war. Die Rede ist von Aleksandra Kollontaj, einer der ersten Verfechterinnen derrevolutionären feministischen Ansätze in Sowjetrußland. Ihre Glorifizierung - nicht zuletzt wegenihrer langjährigen und erfolgreichen Tätigkeit in einer "Männerdomäne", dem höherendiplomatischen Dienst der jungen Sowjetrepublik[4] - machte sie für mehrere Generationensowjetischer Frauen zur Legende.

Um die Beziehungen zwischen Molotov und Kollontaj im Zeitraum zwischen 1926 und 1952anhand der hier untersuchten Briefe besser deuten zu können, muß man die Geschichte derpersönlichen Netzwerke, in die Kollontaj 1916-1926 involviert war, kurz skizzieren. Einerseits istdiese Vorgehensweise dadurch bedingt, daß uns keine Quellen bekannt sind, die direkt über denCharakter ihrer Beziehung zu Molotov von 1917 bis 1926 berichten. Deshalb sind wir gezwungen,diese Erkenntnisse aus Indizien zu rekonstruieren. Anderseits haben die Schlüsselfiguren unsererAnalyse nicht im Vakuum agiert, sondern in einem bestimmten politischen Umfeld, das auch aufdie persönlichen Beziehungen einen gewaltigen Einfluß ausübte. Dabei prägte das Prinzip "????? ? ????, ??? ?????? ???" [wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns] entscheidend das politischeLeben des neu entstehenden bolschewistischen Regimes.

Die persönlichen Verflechtungen und Netzwerke spielten eine außerordentlich wichtige Rolleinnerhalb der bolschewistischen Partei in Rußland, besonders in den Jahren des ErstenWeltkrieges, als zahlreiche führende bolschewistische Köpfe (u.a. Lenin, Bucharin, Zinov'ev), diesich damals in der Emigration im Ausland befanden, neue Verbindungskanäle nach Rußlandsuchten.

Auch die Bekanntschaft zwischen Kollontaj und Molotov entwickelte sich irgendwann zwischen1914 und 1917, als Kollontaj in Skandinavien die Rolle eines "Kuriers" zwischen Lenin, der sichdamals in der Schweiz aufhielt, und den bolschewistischen Untergrundorganisationen in Petrogradausübte. Während ihrer zahlreichen Reisen in Lenins Auftrag unterhielt sie enge Kontakte nicht nurzu dem sogenannten "Russischen Büro"[5] des ZK in Petrograd, das sich seit Herbst 1916 ausMolotov, P. Zaluckij und Å ljapnikov[6] zusammensetzte, sondern auch mit dem "halboffiziellen","informellen" Untergrund in Petrograd, den ein Verwandter von Zinov'ev, Samuil Zaks,[7]zusammen mit der Schwester von Lenin, Anna Elizarova, und Zinov'ev selbst leitete. Diese NäheKollontajs zu Lenin und auch zu den führenÂden Köpfen der Bolschewiki, unabhängig davon, daßsie noch bis 1917 häuÂfig als eine "men'Å¡evi?ka" bezeichnet wurde, kam über drei Menschen,und zwar über Aleksandr Å ljapnikov, Elena Stasova und Ljudmila Stal' zustande. Å ljapnikov kamim September 1914 aus Petrograd nach StockÂholm, um die sogenannte "nothern connection" fürLenin aufzubauen. Dort lernte er auch die zehn Jahre ältere Aleksandra Kollontaj kennen und gingbald daÂrauf eine Liaison mit ihr ein. Å ljapnikov wurde für Kollontaj zu einer Art "EinÂtrittsticket"nicht nur in die höheren Reihen der Bolschewiki. Sie konÂnte mit seiner Hilfe auch Kontakte zuden führenden schwedischen Sozialdemokraten Karl Branting, Frederik Ström und Carl HöglundaufÂbauen.

Eine zweite Persönlichkeit, die Kollontaj den Weg zu den Bolschewiki geebnet hat, war ElenaDmitrievna Stasova. Die Verbindung zu dieser Frau, die zu Lenins engsten Parteigefährtengehörte und 1912 auf der Prager Konferenz sogar als "rotierendes Mitglied" in das von denBolschewiki domiÂnierte ZK gewählt wurde,[8] hat dazu beigetragen, daß die anfängliche Nähe zuPlechanov, den Kollontaj noch vor dem Krieg regelrecht vergöttert hatte, ihr später von der Lenin-Kohorte nicht mehr in Rechnung gestellt wurde. In den späteren Jahren werden auch diepersönlichen Kontakte von Stasova zur Familie Menžinskij, sowohl für Kollontaj selbst als auchfür ihre anderen Bekannten, lebensrettend sein.[9]

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Auch die langjährige Freundschaft zwischen Kollontaj und Ljudmila Stal', die ihrerseits solchenbekannten Frauen der bolschewistischen Parteiorganisation wie Nadežda Krupskaja, InessaArmand und der Frau von Zinov'ev, Zlata Lilina, nahe stand, hat dazu beigetragen, daß Kollontajs"Frontenwechsel" relativ problemlos verlief.

Es sind nur indirekte Indizien für die Beantwortung der Frage vorhanden, wie Kollontaj Molotovkennenlernen konnte. Auf jeden Fall arbeitete Kollontaj schon im März 1917 mit Å ljapnikov undMolotov in einer Gruppe der sogenannten "radikalen Linken" zusammen, hinter der die MoskauerProvinzorganisation stand. Diese Gruppe widersprach der vor der Rückkehr Lenins nach Rußlandin der bolschewistischen Partei herrschenden politischen Auffassung der Gruppe um Stalin undKamenev, wonach in Rußland eine längere Phase einer bürgerlich-demokratischen Regierungbegonnen habe und die angestrebte Diktatur des Proletariats sich erst auf eine ferne Zukunftbezöge. In der Schweiz arbeitete Lenin zusammen mit Zinov'ev die Richtlinien derbolschewistischen Offensive gegen die Provisorische Regierung aus, die er Kollontaj in Formeines Briefes übergab. Diese historische Tatsache, daß Kollontaj schon so früh mit Molotov einegemeinsame politische Linie vertrat, die später sowohl von der ganzen Partei als auch von demzukünftigen Diktator Stalin mitgetragen wurde, sagt dennoch wenig über den Charakter ihrergegenseitigen Beziehung aus.

Die menschlichen Beziehungen zwischen zwei Personen werden auch davon beeinflußt, zuwelchen weiteren Personen die Partner Verbindungen unterhalten. Zur Zeit der Bekanntschaft mitMolotov war Kollontaj noch die Geliebte von Å ljapnikov, der als Molotovs Chef im RussischenBüro agierte. Sie war eine Frau, die in einem derart patriarchalischen Land wie Rußland ständigmit bestimmten Vorurteilen konfrontiert wurde, umso mehr als sie 18 Jahre älter als Molotov war.Durch ihre adlige Abstammung besaß Kollontaj ein ganz anderes Bildungsniveau als Molotov undwar außerdem von 1917 bis 1918 eine enge Vertraute Lenins und seiner "Frauengefolgschaft"gewesen. Eben diese "Lenin-Clique" bremste 1917 die politische Karriere von Molotov. NachLenins Rückkehr nach Petrograd übernahm Elena Stasova von Molotov die Funktion desSekretärs im Russischen Büro. So ist es kaum vorstellbar, daß 1917-1918 die menschlichenBeziehungen zwischen Kollontaj und Molotov durch besondere Wärme gekennzeichnet waren

1916/1917 entstand eine ganze Reihe persönlicher Sympathien und Antipathien, die späterEinfluß auf das politische Schicksal von Aleksandra Kollontaj ausüben sollten. Dazu zählt nichtzuletzt die gegenseitige Antipathie von Trockij und Kollontaj. Schon im Januar 1916 bezeichneteKollontaj, "versehentlich", wie sie später zugab, Trockij in der sozialistischen Zeitschrift NewReview wegen seiner besonderen Position auf der Zimmerwalder Konferenz als einen"Menschewik", was natürlich die späteren Kontakte belastete. Ihre Wege kreuzten sich zum erstenMal in den USA im Januar 1917, als Kollontaj für einige Monate mit der Aufgabe betraut war, eineKooperation zwischen den europäischen und den amerikanischen Linken aufzubauen. In seinemBrief an Lenin charakterisierte Trockij Kollontaj als eine "ultraradikale" Persönlichkeit, die vieleerdachte Gerüchte und unstrukturierte Informationen in die Welt setzte.[10] Die Gemüter konntensich auch nach der Machtergreifung durch die Bolschewiki nicht beruhigen. Die feministischenInitiativen von Aleksandra Kollontaj, die in der neuen Regierung zur Kommissarin für staatlicheFürsorge (???????????? ?????????) ernannt wurde und ihre Aufrufe zur "freien Sexualität"bezeichnete Trockij abschätzig als "her penchant for falling in love with younger men".[11] Diese"Profilierung" von Kollontaj in ihrer Privatsphäre war wirklich nicht zu übersehen. Die Liaison mitÅ ljapnikov war nur von begrenzter Dauer. 1918 ging die 46jährige Kollontaj eine neuePartnerschaft mit dem 29jährigen Pavel Dybenko ein, dem ersten Kommissar für militärischeAngelegenheiten in der bolschewistischen Regierung.[12]

Im Unterschied zur Zeit vor 1917 fiel Kollontaj in der neuen Regierung und im bolschewistischen

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ZK nicht als aktives und einflußreiches Mitglied auf. Außerdem häuften sich die Fälle, in denen siemit der strategischen Linie der Partei und Lenin persönlich in Konflikt geriet. Die Ablehnung desBrest-Litovsker Friedens im Frühling 1918 hat Kollontaj und ihre langjährige Mitstreiterin inFrauenfragen, Varvara Jakovleva, die Mitgliedschaft im ZK gekostet. Mitte März 1918 trat Kollontajauch von ihrem Posten als Kommissarin zurück. Ihren Mann Pavel Dybenko traf die Schärfe desParteigesetzes noch härter. Zuerst wurde er auf Befehl Lenins wegen der Übergabe der StadtNarva an die deutschen Truppen am 3. März als "Verräter" verhaftet. Seine weitere Kritik am Brest-Litovsker Friedensvertrag führte dann im Mai 1918 zu einer gerichtlichen Verurteilung und zumParteiausschluß. Kollontaj bangte einige Monate um sein Leben, bis man ihn schließlich imOktober auf freien Fuß setzte und in die Ukraine abkommandierte, um dort die Arbeit dermilitärischen Einheiten der Bolschewiki im Untergrund zu koordinieren.

Die andere Freundin von Kollontaj, Elena Stasova, machte dagegen während dieser Zeit Karriere.Wegen ihrer Unterstützung des Brest-Litovsker Friedensvertrages und ihrer ausgesprochenenLoyalität gegenüber Lenin, Stalin und Sverdlov wurde sie zum ZK-Mitglied ernannt.

Seit dem Frühjahr 1919 arbeitete Kollontaj zuerst neben Dybenko in der Ukraine alsVolkskommissarin für Bildungswesen und Propaganda in der Regierung, zu der auch ihrelangjährigen Freunde Christian Rakovskij und Jurij Pjatakov gehörten. In September 1919 kehrtesie allerdings der Ukraine den Rücken und fuhr zurück nach Moskau.

Kollontaj profilierte sich wieder in der Frauenarbeit. Im September 1920, nach dem Tod von InessaArmand, übernahm sie die Führung der vom ZK ins Leben gerufenen "Frauenabteilung"(Ženotdel). Auch in der Frauenabteilung machte sich der aufgeflammte "Fraktionskampf" in derPartei bemerkbar. Die in der Arbeit des "Ženotdel" involvierten Vinogradskaja und Jakovlevagehörten zu den Sympathisanten von Trockij, Nikolaeva war die Mitstreiterin von Zinov'ev.Smidovi? und Stasova dagegen unterhielten enge Kontakte zu Stalin. Kollontaj verband sichzuerst mit keinem "Patron" aus den höheren Parteietagen. Ungeachtet ihres beschädigten Imagesin der Partei aufgrund ihrer emotionalen Eskapaden und ihrer für Rußland exotischen Partnerwahl,besaß sie als Mitglied der "Lenin-Kohorte der ersten Stunde" eine gewisse Autorität.

Als sie auf dem 10. Parteitag im März 1921 zusammen mit Å ljapnikov, Medvedev und Kuznecovdie sogenannte "Arbeiteropposition" bildete, ihre Vorstellungen über die NÖP, die Demokratie inder Partei und die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften und der Partei verbreitete,versuchte Lenin zuerst, seine "verselbständigten" ehemaligen Adlaten auf sanfte Weise zurVernunft zu bringen. Auf Lenins ausdrücklichen Wunsch hin wurde Å ljapnikov ins ZK gewählt.Gleichzeitig verabschiedete der Parteitag eine Resolution, die in ihrem letzten Absatz, der bisOktober 1923 geheimgehalten wurde, die Befugnis, einen Parteiausschluß auszusprechen,teilweise dem ZK übertrug. Diese Klausel legte fest, daß wenn es sich bei dem Übeltäter, der eineeigene Plattform innerhalb der Partei gebildet hat, um ein Mitglied des ZK handle, der Beschlußauf Ausschluß aus der Partei nur mit zwei Drittel aller Stimmen der Mitglieder, Kandidaten undMitglieder der Zentralen Kontrollkommission gefaßt werden dürfe.[13]

Diese Klausel wurde auf Å ljapnikov und Kollontaj (obwohl sie im Unterschied zu Å ljapnikov keinZK Mitglied war) auf dem 11. Parteitag im März 1922 angewandt, als das ZK in Anwesenheit vonLenin den Beschluß faßte, die beiden Führer der "Arbeiteropposition" aus der Parteiauszuschließen, und ihn dem Parteikongreß vorlegte. Der Zorn der neuen Parteiführer, Zinov'ev,Stalin, Kamenev, Trockij und Bucharin wurde durch den Appell der 22 Anhänger der"Arbeiteropposition" an die Kommunistische Internationale ausgelöst, in dem die"Arbeiteropposition" die Aufmerksamkeit des EKKI auf undemokratische Vorgehensweiseninnerhalb der russischen Partei zu ziehen versuchte. Vermutlich hat die "Opposition" ein Problem

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angesprochen, das sehr viele Delegierte des 11. Kongresses als wunden Punkt desinnerparteilichen Lebens empfanden. Schlußendlich widersetzte sich die Versammlung dem ZKund verweigerte dem Parteiausschluß die Zustimmung. Kollontaj blieb in der Partei, allerdings hatman ihr die Führungsposition in der Frauenbewegung genommen.

Im September 1922 kam ein neues Problem persönlicher Art hinzu. Als Kollontaj Dybenko inOdessa besuchte, mußte sie feststellen, daß ihr Mann eine Liebesbeziehung mit einem 19jährigenMädchen unterhielt, die er vor einem Leben auf der Straße gerettet hatte. Kollontaj entschloß sich,Dybenko zu verlassen, wollte allerdings nicht nach Moskau zurückkehren, um eine weitereInvolvierung in die oppositionelle Tätigkeit zu vermeiden. Vermutlich hatte sie schon zu diesemZeitpunkt verstanden, wer zu den späteren Siegern in der Auseinandersetzung um die Macht in derPartei gehören würde. Sie schrieb einen Brief an Stalin, in dem sie ihn darum bat, für sie einenArbeitsplatz als ROSTA/TASS-Korrespondentin zu finden. Stalin versprach ihr in einemTelegramm seine Hilfe und schlug eine Beschäftigung im diplomatischen Korps als möglicheAlternative vor.[14] In den Memoiren von Emy Lorentsson, die ab 1932 als Kollontajs persönlicheReferentin arbeitete, wird auch eine weitere Unterstützung seitens Stalin erwähnt: Dybenko erhieltim März-April 1923 die Möglichkeit, Kollontaj 6 Wochen lang in Oslo zu besuchen, um zum letztenMal ihre persönlichen Probleme miteinander zu besprechen.[15]

Die ursprüngliche Idee im Politbüro war, Kollontaj nach Kanada zu entsenden. Dieses Vorhabenkonnte aber nicht realisiert werden, weil Kanada Kollontaj die Einreise verweigerte. Impersönlichen Gespräch mit Stalin wurde dann Norwegen als Alternative erwogen, wo sie mit derZeit den damaligen sowjetischen Bevollmächtigten Jakov Suric beerben sollte. Kollontaj selbstträumte davon, nach Schweden reisen zu dürfen. Für dieses Ziel hatte sie den Versuchunternommen, ihre früheren Kontakte zu den schwedischen Sozialdemokraten zu nutzen.[16]

Für den Bevollmächtigen Vertreter in Norwegen, Jakov Suric, war Kollontajs Ankunft eine großeÜberraschung. Auch in dem Begleitbrief von ?i?erin fand sich keine Erklärung dafür.[17] InNorwegen traf Kollontaj einen alten Bekannten wieder, den französischen Kommunisten MarcelBody, der 1922 in der sowjetischen Botschaft zuerst als zweiter und ab 1923 als erster Sekretärtätig war. Body, der früher für die Komintern in der Ukraine arbeitete, kannte Kollontaj schon seit1919, als sie noch zusammen mit Dybenko in Kiev wohnte.

Im Mai 1923, nachdem das NKID [Volkskommissariat des Äußeren] entschieden hatte, Suric alsBotschafter in die Türkei zu entsenden, wurde Kollontaj Bevollmächtigte Vertreterin derSowjetunion und Leiterin der Handelsvertretung in Norwegen. Von diesem Zeitpunkt an bis zuihrer erzwungenen Abreise aus Norwegen im September 1924 entwickelten sich auch die"persönlichen Netzwerke" von Aleksandra Kollontaj entsprechend ihrer diplomatischen Aufgabenneu.

Im Narkomindel verstand sie sich recht gut mit Maksim Litvinov, dessen Rivalität mit Georgij ?i?erinsie für ihre eigenen Zwecke nutzte. Obwohl Litvinov, wie auch Jakov Suric, überzeugt war, daß dieSowjetunion auf eine offizielle diplomatische Anerkennung durch Norwegen noch lange werdewarten müssen, und daß dieses Arbeitsfeld für den bolschewistischen Staat ohnehin nur vonzweitrangiger Bedeutung sei, unterstützte er Kollontaj bei Kaderentscheidungen im Narkomindel,welche die sowjetische Vertretung in Norwegen betrafen. Mit Litivinovs Unterstützung war esKollontaj gelungen, im Kollegium des NKIDes die Versetzung von Marcel Body aus Oslo gegenden Willen von ?i?erin bis Anfang 1925 zu verhindern. Wie die späteren Ereignisse zeigen sollten,spielte dabei nicht zuletzt auch ihre persönliche Zuneigung zu Body eine Rolle.[18]

Zur Schaffung günstiger Bedingungen für den sowjetisch-norwegischen Handel erhielt sie auch

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persönliche Unterstützung von Leonid Krasin, dem bolschewistischen Volkskommissar fürAußenhandel. Die beiden kannten sich schon seit der Zeit vor der Revolution. Als Kollontaj imAugust 1917 von der Provisorischen Regierung verhaftet und ins Gefängnis in Vyborg gebrachtworden war, hatte sie es der Einmischung von Maksim Gor'kij und Leonid Krasin zu verdanken,daß sie nach einiger Zeit gegen eine Kaution von 5.000 Rubel frei kam.

Während ihres kurzen Besuches in Moskau im November-Dezember 1923 versuchte Kollontajauch die Beziehungen mit Stalin wiederzubeleben. Sie informierte ihn telefonisch über ihreAnkunft und suchte bei einem persönlichen Treffen bei ihm Rat bezüglich der Aufgaben dersowjetischen Außenpolitik in Norwegen. Stalin war sich darüber im klaren, wie nützlich Kollontajmit ihrem "persönlichen Netzwerk" ihm in dem entbrannten Kampf um den Einfluß in der Parteinoch sein könnte.

Durch die Auseinandersetzungen um den Führungsanspruch in der Frauenbewegung, denKollontaj auch während ihrer kurzen Reise nach Moskau wiederherstellen wollte, spitzte sich diegegenseitige Antipathie zwischen ihr und der Frau von Grigorij Zinov'ev, Zlata Lilina, zu. Kollontajäußerte offen ihre "Besorgnis" über den wachsenden Führungsanspruch von Zinov'ev in derPartei. Nach dem Tod von Lenin, als Gerüchte über sein "politisches Testament" zu kursierenbegannen, wies sie "Spekulationen" darüber als unbegründet zurück und schrieb sogar einen Briefan Stalin.[19] Im Winter 1924-1925 stellte Kollontaj der Partei einige Briefe von Lenin zurVerfügung, die er während des Ersten Weltkrieges geschrieben hatte und in denen er Trockij starkangriff. Stalin hat diese Geste eindeutig als eine Hilfeleistung in seiner Auseinandersetzung mitseinen politischen Konkurrenten empfunden.[20]

Im Grunde hatte Kollontaj schon 1923-1924 (und nicht erst 1926, wie viele ihre Zeitgenossen inden Memoiren meinten) einen Schlußstrich unter ihre oppositionelle Tätigkeit gezogen.[21] Einentscheidendes Motiv für ihre geänderte Haltung dürfte in ihrem Wunsch nach einer weiterenpolitischen Karriere in den ersten Reihen der bolschewistischen Nomenklatura liegen. Ein äußerstausgeprägter Ehrgeiz war schon seit ihrer Kindheit ein Markenzeichen von Aleksandra Kollontaj.Sie achtete immer penibel darauf, daß ihre persönlichen Verdienste, mag es in derFrauenbewegung oder in der diplomatischen Tätigkeit sein, in die Annalen der Geschichteeingingen. So zum Beispiel war der Moment der Freude nach der lang ersehnten offiziellenAnerkennung der Sowjetunion durch Norwegen im Februar 1924 für Kollontaj getrübt. Wie siespäter in ihren Memoiren schrieb, hatte Norwegen "die Priorität" an England und Italien verloren,die schon vorher offizielle diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion aufgenommen hatten.Außerdem war der Beschluß darüber im norwegischen Parlament nicht einstimmig angenommenworden.[22]

Obwohl sich die Ergebnisse ihrer Tätigkeit in Norwegen sehen lassen konnten, zumal es imDezember 1925 auch gelang, einen Vertrag über den Seehandel mit Norwegen zu unterschreiben,wurde im Politbüro entschieden, Kollontaj nach Moskau abzuberufen. Bald darauf, im September1926, folgte die Versetzung nach Mexiko.

In der wissenschaftlichen Literatur wird spekuliert, welche Hintergründe zu dieser Versetzunggeführt haben könnten. Erste Anzeichen, daß ?i?erin mit Kollontajs selbstbewußtem Arbeitsstilunzufrieden war, wurden schon zu Beginn ihrer diplomatischen Karriere sichtbar. Es gelang ihrallerdings durch den Aufbau von "Gegengewichten" im NKID und im Politbüro, die eigene Positionzu sichern. Zu diesem Zweck versuchte Kollontaj zunächst, die Feindschaft zwischen ?i?erin undLitvinov auszuspielen.

Die freundschaftlichen Verhältnisse mit Litvinov wurden allerdings bald auf eine Probe gestellt, als

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sich das NKID und das Politbüro weigerten, Norwegen Zugeständnisse in denHandelsbeziehungen einzuräumen, die aus der Klausel "režim naibol'Å¡egoblagoprijatstvovanija" [Meistbegünstigungsklausel] hätten abgeleitet werden können. Bei denVerhandlungen mit der norwegischen Seite über die diplomatische Anerkennung der Sowjetunionhat Kollontaj immer davon gesprochen, daß in dem zukünftigen Handelsvertrag einentsprechendes Entgegenkommen der sowjetischen Regierung, z.B. in der Konzessionsfrage zuerwarten sei. Auch die von Kollontaj und dem norwegischen Außenminister Micheletunterschriebene Deklaration vom 15. Februar 1924 sprach von der Anwendung des "režimnaibol'Å¡ego blagoprijatstvovanija" in den bilateralen Beziehungen beider Länder. Es war für eineweitere erfolgreiche diplomatische Karriere ein kaum zu verzeihender Fehler, daß Kollontaj dieseKlausel ohne Abstimmung mit dem NKID in die Deklaration hineingeschrieben hatte. Als dasnorwegische Außenministerium diesen Fauxpas zur Kenntnis nehmen mußte, kamen dieVerhandlungen über den Handelsvertrag praktisch zum Stillstand und wurden erst dann erfolgreichabgeschlossen, als Litvinov sie persönlich übernahm.[23] Das diplomatische Image von Kollontajhatte damit in Norwegen einen irreparablen Schaden erlitten, obwohl der am 15. Dezember 1925in Moskau unterschriebene Vertrag über Handel und Seefahrt dann doch dieMeistbegünstigungsklausel für Norwegen enthielt, welche die Fischereirechte im Weißen Meerund in den sowjetischen Territorialgewässern des Arktischen Ozeans regelte.

Anfang April 1926 stand fest, daß Kollontaj Norwegen verlassen würde. Es ist allerdings nicht klar,inwieweit diese Entscheidung im Zusammenhang mit ihrer eigenen Bitte vom Herbst 1925 an dasPolitbüro stand, ihre diplomatische Arbeit quittieren zu dürfen. Sie schrieb, sie sehe sich nicht mehrin der Lage, den ewigen Zwängen des diplomatischen Dienstes ausgesetzt zu sein.[24] Zu diesemZeitpunkt befand sich Kollontaj in einer schlechten psychischen Verfassung, was nicht zuletzt mitder Versetzung von Marcel Body aus Oslo in den Fernen Osten verknüpft war.

Nach der Rückkehr nach Moskau wurde ihre Versetzung nach Mexiko nicht sofort besiegelt. ImFrühling 1926 fuhr Kollontaj zur Kur nach Deutschland, von wo sie Marcel Body einen Brief mitdem Vorschlag schrieb, sich zusammen mit ihr aus dem politischen Leben zurückzuziehen und inFrankreich als "freier Schriftsteller" tätig zu werden. Body, der damals schon Frau und Kind in Oslohatte, wurde von diesem Vorschlag, der einer Ausweitung ihrer intimen Beziehungen gleichkam,regelrecht überrollt. Er lehnte den Vorschlag mit der Begründung ab, daß die Partei einenfreiwilligen Ausstieg aus dem aktiven politischen Leben nicht akzeptieren würde.[25] Enttäuschtkehrte Kollontaj im Juli 1926 in ein von innenpolitischen Kämpfen erschüttertes Moskau zurück.Dieser Aufenthalt war allerdings nur von kurzer Dauer. Schon im Herbst 1926 wurde Kollontaj zuihrer neuen Dienststelle in der sowjetischen diplomatischen Vertretung in Mexiko abkommandiert.

Die hier publizierten Briefe von Kollontaj an Molotov umspannen den Zeitraum vom Herbst 1926,als sie ein Schiff für die Atlantiküberquerung bestieg, bis kurz vor ihrem Tod im Jahre 1952. Indiesem Briefwechsel ist eine Lücke für die Zeit von 1936 bis 1943 bemerkenswert. Der Ton ihrerBriefe, der einerseits Hochachtung für den "Patron" und andererseits einen Hauch von Intimitätzeigt, läßt es als sehr abwegig erscheinen, daß Kollontaj eine derartige Beziehung über einen solangen Zeitraum ausgesetzt hat. Vermutlich ist dieser Teil der Briefe noch nicht frei gegebenworden, weil verschiedene wichtige Ereignisse, wie z.B. die Verschärfung der Repressionen imApparat des NKID oder die Entscheidungen über den Krieg gegen Finnland in diesen Zeitraumfallen und aus russischer Sicht noch zu den "Staatsgeheimnissen" gehören könnten.

Sowohl die Archivierung der Dokumente im Bestand des ehemaligen KPdSU-Archivs (heuteRGASPI) als auch ein ständiger Verweis auf die Arbeit von Molotov im Politbüro bestätigen dieAnnahme, daß Kollontaj Molotov als eine "höhere Instanz" (sie verwendet auch selbst diesenAusdruck) gegenüber dem NKID angesehen hat und deshalb auch versuchte, einen "halb-

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offiziellen" Einfluß auf das Geschehen auszuüben. Es ist auch zu spüren, wie im Laufe der Zeit derdirekte Kontakt zu Stalin schwindet und gleichzeitig Molotov zum einzigen noch "erreichbaren"Patron aufsteigt. Kollontaj ließ jedoch nie außer acht, daß Molotov einen unmittelbaren Zugang zuStalin besaß. Die ständigen Grüße an "I.V." [Iosif Vissarionovi? Stalin] belegen das.

Die Mehrheit der Briefe beinhalten private Bitten an Molotov insbesondere in den Fällen, in denensie vermutete, daß ihr unmittelbarer Chef im NKID (M.M. Litvinov) nicht zu ihren Gunstenentscheiden würde. In dem konkreten Kontext besitzt das Wort "chozjain" [Hausherr, Chef], dasKollontaj für ihren unmittelbaren Vorgesetzten verwendete, eine ironische, manchmal sogarverächtliche Färbung. Es wird deutlich, daß die Versetzung von Kollontaj nach Mexiko ein "Deal"zwischen ihr und dem Politbüro war, wobei ihr die Unterstützung der "höheren Instanz" inKaderfragen im NKID versprochen worden war. Die Versetzung war allerdings auch eine Art "Exil",wie in der nur gedämpft geäußerten Freude ("ein interessantes Land") und in der gleichzeitigenKlage über die fehlende Kurierverbindung ("Abgeschiedenheit ist deprimierend"- Brief 1) deutlichwird.

Aus dem Brief an Molotov (und gleichzeitig an Stalin) vom 01.03.1927 (Brief 2) wird ersichtlich, daßdie Abberufung von Kollontaj aus Mexiko mit privaten Gründen in Zusammenhang stand undzumindest nicht primär mit der Welle von Restriktionen gegenüber sowjetischen Einrichtungen inder ganzen Welt in Verbindung zu bringen ist. Ihren Höhepunkt erreichten diese in derHausdurchsuchung der sowjetischen Handelsmission in London durch die britische Polizei im Mai1927 ("Arcos-incident"). Drei Menschen verdankt Kollontaj, daß sie Mexiko im Mai 1927 denRücken kehren durfte: Molotov, Stalin und ihrer alten Freundin Elena Dmitrievna Stasova, die zudiesem Zeitpunkt in der Geheimabteilung des ZK tätig war und schon öfter für AleksandraMichajlovna die Rolle des Schutzengels gespielt hatte. In dem Brief aus Berlin scheint Kollontajnoch nicht zu wissen ("schicken Sie mich bitte nicht wieder in 'exotische' Länder"), daß dasSchicksal ihr eine Rückkehr nach Norwegen ermöglichen würde. Kollontaj kam nämlich zugute,daß der sowjetische Bevollmächtigte in Oslo, Aleksandr Makar, im Juni 1927 eineTrauerveranstaltung anläßlich des Attentates auf den sowjetischen Vertreter in Polen Petr Vojkovorganisierte. Dafür mußte er heftige Kritik wegen "Propagandatätigkeit" in der norwegischenPresse einstecken. Ironischerweise erbte Makar schon im Oktober 1927 den Posten von Kollontajin Mexiko.[26]

Die Notiz von Kollontaj an Molotov vom 11.10.1927 (Brief 4) zeigt die Tatsache auf, daß fürKollontaj der Besitz von Macht- und Einfluß-Insignien (z.B. ein Platz im Präsidium auf demFrauenkongreß) zu diesem Zeitpunkt schon einen höheren Stellenwert hatten als ihre früherenGedanken über Demokratie in der Partei und den Gewerkschaften. Mit entschiedener Heftigkeitwidersetzte sie sich der Vermutung, sie könne in irgendeiner Weise zur Opposition von 1927gehören. Kollontaj versuchte zu argumentieren, daß ihre Oppositionszugehörigkeit doch näher an1921 liege.

In den Briefen 5 bis 8 geht es um die Bewilligung von Mitteln für eine Privatsekretärin Kollontajsaußerhalb des üblichen Stellenplans. Dabei kommt ihr Durchsetzungsvermögen beim Kampf umzusätzliche Machtinsignien nochmals deutlich zur Geltung. In diesem Zusammenhang ist nicht nurinteressant, daß vermutlich die adlige Abstammung mit dementsprechenden VerhaltensmusternKollontaj auf die Idee bringt, eine Assistentin zuerst privat einzustellen. Auch die Tatsache, daß sieihre Sekretärin Prokof'eva im Alleingang von Mexiko nach Norwegen "bestellte", wobei AleksandraMichajlovna die Reise- und Lohnkosten zuerst selbst übernahm, weist auf einen erstaunlichenGrad an Eigenwilligkeit hin, die Kollontaj sich als sowjetischer Botschafter, unabhängig von derZentrale, in Kaderfragen erlauben durfte.

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Es erstaunt immer wieder, mit wieviel Geschick Kollontaj persönliche Vorteile unter dem Vorwand,daß dies im "Interesse der Arbeit" sei, zu erzwingen versuchte (Briefe 9-10). Dabei kamen ihrsowohl die persönlich sehr spartanisch veranlagten bolschewistischen Führer als auch dieUmstände selbst zu Hilfe. Im Brief an Molotov aus Oslo vom 21.Mai 1928 (Brief 9) versuchteKollontaj Molotov zu überzeugen, daß anstelle von Viktor Kopp, einem engen Verbündeten undVertrauensmann von Maksim Litvinov, nicht der Sekretär der Bevollmächtigten VertretungDmitrievskij als sowjetischer Botschafter nachrücken solle, sondern sie selbst, AleksandraMichajlovna Kollontaj. Diese Bitte wiederholte sie an Molotov am 29.12.1929 [27] mit derBemerkung, daß Litvinov diesem Wechsel nicht wohl gesonnen sein würde. Zu diesen Zeitpunktwar aber schon bekannt, daß Kopp an einem unheilbaren Krebsleiden litt und seine Tage gezähltwaren.

Anfang 1930 wurde in Berlin das Buch eines ehemaligen hochrangigen Mitarbeiters dersowjetischen Botschaft in Paris, des Überläufers Grigorij Besedovskij veröffentlicht, der zeitweiseals Nachfolger des Bevollmächtigten Vertreters in Japan Viktor Kopp gearbeitet hatte. Besedovskijbeschrieb ausführlich, wie Kopp 1925-1926 entgegen den offiziellen Richtlinien in der asiatischenPolitik, die mit den Namen von Stalin, ?i?erin, Karachan und Borodin assoziiert wurde, in derPraxis gegen die Sowjetisierung Chinas auftrat. Unterstützt von Maksim Litvinov aus Moskau,verbreitete Kopp damals die Information an das NKID und das Politbüro, daß die militärischeEinmischung der sowjetischen Truppen in den Konflikt um die Ostchinesische Eisenbahn in derMandschurei von den Japanern als "casus belli" beantwortet werde. Wie die sowjetischen Agentennämlich vor Ort berichteten, hätten die Japaner ausschließlich die Einmischung der Roten Armeein das politische Geschehen in der Südmandschurei als eine Verletzung japanischer Interessenangesehen.[28] Diese Enthüllungen konnten Viktor Kopp, der an den Folgen seiner schwerenKrankheit am 24.03.1930 gestorben war, schon nicht mehr schaden.

Eine weitere Tatsache ebnete Aleksandra Kollontaj den Weg nach Stockholm. Die Verschärfungder Parteikontrolle über das diplomatische Korps, in den Jahren 1929/30 und die Entsendung vonzahlreichen Kaderüberprüfungskommissionen ins Ausland steigerte die Zahl der sogenannten"nevozvraÅ¡?ency" [Nichtrückkehrer]. Nach dem Tod von Kopp weigerten sich zwei hochrangigeMitarbeiter der sowjetischen Vertretung in Schweden, Botschaftsrat Dmitrievskij und MarineattachéOras, in die Sowjetunion zurückzukehren, wo sie Disziplinarmaßnahmen befürchten mußten.Aleksandra Kollontaj wurde vom Politbüro beauftragt, mit den abtrünnigen DiplomatenÜberzeugungsgespräche zu führen. Ab April 1930 war sie dreimal in Stockholm, bis letztlich imJuli in Moskau die Entscheidung getroffen wurde, daß Kollontaj die Führung in der sowjetischenVertretung in Schweden übernehmen sollte. Es ist schwer festzustellen, inwieweit ihre Bitte anMolotov diesen Vorgang beeinflusst hat.

Die vorhandenen Archivdokumente zeigen, daß Aleksandra Michajlovna häufig bei mehreren"Patronen" gleichzeitig für Unterstützung in eigener Sache warb. In diesem Fall bei den Schwedenund bei Litvinov, den sie allerdings in ihren Briefen an Molotov ständig als ihren Widersacherdarstellte. Außerdem darf man nicht vergessen, daß zu diesem Zeitpunkt die enge Freundin vonKollontaj, Elena Stasova, Mitglied der Zentralen Kontrollkommission der KPdSU war.

Die Briefe 10-11 wurden speziell aus einer Reihe von Kollontajs Notizen an Molotov von 1929 bis1935 ausgewählt, um zu zeigen, wie vielfältig die Anliegen waren, mit denen sich Kollontaj anMolotov wandte - von Personalentscheidungen bis hin zu Urlaubsanträgen. Die Inhalte dieserBriefe zeigen auch die Widersprüche in der Persönlichkeit von Kollontaj selbst.

Wie der Mitarbeiter des Pressedienstes in der schwedischen Botschaft A. Aleksandrov-Agentovberichtete, drehte sich in der Botschaft in Stockholm in den dreißiger Jahren alles um die Person

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von Kollontaj. Die Innenräume der Botschaft wurden mit signierten Fotos, auf denen Kollontaj mitprominenten Politikern und Künstlern abgebildet war, ausstaffiert. Eine spezielle Sekretärin wardamit beschäftigt, täglich Artikel aus der Weltpresse, in denen etwas über Kollontaj geschriebenwurde, auszuschneiden und in besondere Alben zu kleben. Kollontaj wählte ihren schwedischenFahrer höchstpersönlich aus und beschäftigte längere Zeit auch eine private Referentin, die sieaus eigenen Mitteln bezahlte.[29] Sie war eine Königin in ihrem Reich und wollte auch von denBotschaftsmitarbeitern als eine Königin angesehen werden.

Gleichzeitig schrieb sie Briefe voller Unterwürfigkeit an Molotov, um manchmal lächerliche Vorteilezu erbeten. Diese Neigung, private Vorteile in den Vordergrund zu stellen, die sie nach außenauch nicht tarnte, stand im Gegensatz zu der in den dreißiger Jahren in der Gesellschaftherrschenden spartanischen Atmosphäre und wurde öfter Grundlage von Denunziationen ihrerMitbewerber.

Wie Aleksandrov-Agentov berichtet, bekam Molotov, der zu diesem Zeitpunkt als Volkskommissarschon "ex officio" ein unmittelbarer Vorgesetzter von Kollontaj geworden war, am 19. Juni 1941 dieKopie eines Denunziationsbriefes über Kollontaj. Der Verfasser des Briefes warf ihr vor, zahlreicheschwedische Bedienstete zu haben, die Schmeichelei gegenüber der eigenen Person zu fördern,und nicht zuletzt, daß der Sohn von Kollontaj und ihre Schwiegertochter im Gebäude derdiplomatischen Vertretung wohnten.[30] Molotov schrieb folgende Resolution darauf: "Wir müssenüber die Genossin Kollontaj nachdenken. Wieso befindet sich eigentlich ihr Sohn mit seinerFamilie da?"[31] Diese Fragen hatten für Kollontaj allerdings kein böses Nachspiel, weil sie einpaar Tage vor dem Krieg aufkamen.

Vermutlich haben sich jedoch ihre Beziehungen zu Molotov schon Ende 1939 drastisch abgekühlt,nicht zuletzt wegen der verschiedenen Positionen, die Molotov und Kollontaj bezüglich desFinnischen Krieges einnahmen.

Im Oktober 1939 versuchte sie während ihres Treffens mit Molotov in Moskau, nochmals Einflußauf eine vertragliche Lösung des Konfliktes mit Finnland zu nehmen. Es scheint, daß Molotov anihren Ratschlägen nicht interessiert war. "Er hörte nur sich selbst", äußerte sich Kollontaj über dasTreffen mit dem Volkskommissar.[32]

Die Frage der Beziehungen zu Finnland wird zweimal einen außerordentlichen Einfluß auf diediplomatische Karriere von Kollontaj haben. Zuerst wird diese Frage 1938-1939 den Tiefstandihrer Beteiligung an den Entscheidungsprozessen in der skandinavischen Politik markieren.

Kollontaj konnte damals von geheimen Verhandlungen mit der finnischen Regierung zum Zweckeeines bilateralen "Verteidigungsvertrages" nichts wissen. In deren Verlauf wurden ursprünglichnur Stalin, Molotov, VoroÅ¡ilov und der Leiter des NKVD-Spionagenetzes in Finnland, BorisRybkin, eingeweiht. Rybkin, der damals unter dem Namen Jarcev zuerst als Konsul und späterzeitweise als diplomatischer Bevollmächtigter in der sowjetischen Vertretung arbeitete, führte vonApril bis November 1938 persönlich die geheimen Gespräche mit dem finnischen Außenminister,die sich allerdings als völlig erfolglos herausstellten. Rybkin-Jarcev lieferte nach Moskau dieInformation, die die Schlußfolgerung zuließ, daß die Lösung der festgefahrenen Situation mitmilitärischen Mitteln zu erzwingen sei.[33]

Im März-April und im Oktober-November 1939 fanden zuerst in Helsinki und dann in Moskau inzwei Etappen offizielle Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und Finnland statt. Die finnischeSeite weigerte sich weiter den sowjetischen Vorschlag anzunehmen, daß zuerst der Verlauf dergemeinsamen Grenze geändert werden sollte. Aus sowjetischer Sicht barg die Tatsache, daß sichLeningrad nur in einer Entfernung von 32 Kilometer von der Grenze mit Finnland befand, eine

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latente Gefahr für die Stadt. Die Forderungen der Sowjetunion wurden immer umfassender: ImOktober-November 1939 war schon von der Lösung des sowjetisch-finnischen Problemsentsprechend dem "baltischen Muster" die Rede, wobei die Sowjetunion das Recht beanspruchte,auf dem finnischen Territorium eigene Truppen zu stationieren, wie bereits in Lettland, Estland undLitauen geschehen.

Kollontaj war nicht direkt in den Entscheidungs- und Verhandlungsprozeß bezüglich dersowjetischen Politik in Finnland involviert. Als sie aus eigener Initiative in der Hoffnung auf einefriedliche Lösung Molotov im Oktober 1939 wegen der finnischen Frage in Moskau aufsuchte,waren die Würfel praktisch schon gefallen. Wie der neue Leiter des NKVD-Spionagenetzes inFinnland, Elisej Sinicyn, der ab Anfang November 1939 als Nachfolger von Jarcev-Rybkin inHelsinki tätig war, in seinen Memoiren mit Hinweis auf Otto Kuusinen[34] berichtet, äußerte Stalinschon während eines Treffens mit VoroÅ¡ilov und Kuusinen Anfang September 1939 seineÜberzeugung, daß die militärische Lösung unausweichlich sei, falls die Finnen nicht freiwillig aufden Vorschlag zur Änderung der Grenze eingingen.[35] Am 29. Oktober 1939 bekam derVolkskommissar für Verteidigung Klim VoroÅ¡ilov aus dem Leningrader Militärbezirk einenausgearbeiteten "Operationsplan für die Zerstörung des finnischen Heeres und der Flotte".[36] Am13. November wurden die offiziellen sowjetisch-finnischen Verhandlungen als gescheitert erklärt.

Nach Aussage von Sinicyn versuchte Molotov, nicht ohne Erfolg, Druck auf die sowjetischenAgenten in Finnland auszuüben, damit sie zuerst ihm und erst danach ihrem unmittelbarenVorgesetzten Berija Rapport erstatteten.[37] Molotov fühlte sich einflußreich genug, um die NKVD-Agenten per Telegramm nach Moskau zu bestellen, wozu er eigentlich auch formal befugt war, dadie Agenten als "Dach" eine Anstellung im NKID hatten. Sinicyn übte z.B. zu diesem Zeitpunkt inHelsinki offiziell die Funktion des sowjetischen "vremennyj poverennyj" [Interims-Bevollmächtigter]aus.[38]

Auch nach dem Beginn des Krieges konnte sich Kollontaj nicht mit den strategischen Zielen dersowjetischen Außenpolitik bezüglich Finnland anfreunden. Ende 1939, als die StellvertretendeLeiterin des NKVD-Spionagenetzes in Finnland, die Frau von Jarcev - Zoja Rybkina[39] - nachSchweden kam, um die Verbindungen mit den sowjetischen Agenten in Finnland von Schwedenaus wiederherzustellen und zu koordinieren, beschwerte sich Kollontaj in einem Telegramm anMolotov und forderte die Abberufung von Rybkina.[40] Die Antwort aus Moskau warausgesprochen kalt und wies darauf hin, daß "Genossin Rybkina die Aufgaben ihrer Vorgesetztenausführt". Kollontaj wurde hier praktisch mit der Tatsache konfrontiert, daß solche Anfragen nichtzu ihrer Kompetenzsphäre gehörten.

Erst die später entstandene langjährige Freundschaft mit Rybkina, die bis in die fünfziger Jahrehinein andauerte, brachte einen Durchbruch. Die sowjetische NKVD-Agentin involvierte nuneinerseits Kollontaj in ihre Arbeit und lieferte ihr andererseits zusätzliche Informationen.

Aus der wissenschaftlichen Literatur ist bekannt, daß in den ersten sowjetisch-finnischenVerhandlungen über einen Waffenstillstand ein privater Brief von der ursprünglich aus Estlandstammenden finnischen Unternehmerin und Schriftstellerin Hella Wuolijoki an FinnlandsAußenminister Vainö Tanner im Januar 1940 als Ansatzpunkt diente. Wuolijoki machte denVorschlag, als Unterhändlerin der finnischen Regierung zu ihrer "alten Freundin" AleksandraKollontaj nach Stockholm zu fahren, um dann ihrerseits Kollontaj zu bitten, einen entsprechendenKontakt mit Moskau herzustellen.[41]

Aus den Memoiren von Rybkina geht eindeutig hervor, daß Wuolijoki spätestens seit 1942 alsInformantin für die sowjetische Aufklärung arbeitete. Es ergibt sich die Frage, ob Wuolijoki mit

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Kollontaj schon seit langem befreundet war oder ob dieser Kontakt ausgerechnet durch dieVermittlung von Zoja Rybkina entstanden war. Es gibt viele Gründe anzunehmen, daß Rybkinadiejenige war, die eine Verbindung zwischen Wuolijoki und Kollontaj herstellte. Nicht zuletztwegen dieser Verbindung wurde Kollontaj 1940 in den finnisch-sowjetischen Verhandlungsprozeßeinbezogen. Ihre aktive Beteiligung daran ermöglichte es ihr später, der sowjetischen Führungpositive Resultate vorzuweisen.

Die zwischen der sowjetischen NKVD-Agentin Zoja Rybkina und Aleksandra Kollontajentstandene tiefe Sympathie hatte noch ein weiteres Nachspiel. Im Herbst 1941, als Boris Rybkinunter dem Deckmantel eines Botschaftsrates nach Schweden geschickt wurde, um dort dasNKVD-Spionagenetz zu leiten, setzte Kollontaj ihren Einfluß im NKID ein, um Zoja Rybkina inSchweden zu halten. Sie wurde zum Presseattaché in der sowjetischen Botschaft in Stockholmernannt.[42]

Mit der Familie Rybkin in der Stockholmer Vertretung gewann auch die sowjetische Botschaft inSchweden insgesamt im Mechanismus der sowjetischen Außenpolitik an Gewicht. DieHauptaufgabe des NKVD-Nachrichtendienstes in Schweden bestand darin, wirtschaftliche undpolitische Informationen über Deutschland zu sammeln.[43] Von Stockholm aus koordinierte manauch die antideutschen Agentennetze in Norwegen und Finnland. Die Restaurierung derabgerissenen Kontakte zu der berühmten "Roten Kapelle" in Deutschland wurden vom Januar bisJuni 1942 auch von Stockholm aus unter Federführung der Familie Rybkin vorangetrieben.

In Anbetracht der Tatsache, daß Schweden während dieser Zeit für die sowjetische Außenpolitikaufgrund schwedischer Neutralität gegenüber Deutschland eine außerordentlich wichtige Rollespielte, erscheint die große Lücke in der vorhandenen Kollektion der Briefe an Molotov für dieKriegsjahre verwunderlich. Nur mit einer möglichen Abkühlung der Verhältnisse zwischen denbeiden läßt sich diese Tatsache nicht erklären. Es ist eher zu vermuten, daß sehr viele Dokumente,unter dem Gesichtspunkt der russischen "Informationssicherheit", wie die heutige Regierung diePolitik der begrenzten Informationsfreigabe zu "strategisch-wichtigen" Fragen dersowjetischen/russischen Außenpolitik nennt, noch in den nicht frei gegebenen Archivbeständengehortet werden.

Auch die Art der persönlichen Beziehungen zwischen Kollontaj und Molotov läßt sich aus denvorhandenen Quellen ablesen. Der Inhalt der nach 1943 an Molotov gerichteten Briefe läßtvermuten, daß Kollontaj selbst die wachsende Distanz zwischen ihr und der Führung im Kremlbewußt geworden war. Der Inhalt wird sachlicher, der Ton untergebener. Sie bittet kaum um etwasPersönliches, der Charakter der Beziehungen unterscheidet sich kaum von denen andererUntergebener zu einem Volkskommissar. Einziges Anzeichen für einen informellen Charakter derBriefe sind die Grüße an Molotov's Frau. 1936-1947 sendete Kollontaj in ihren Briefen an Molotovherzliche Grüße und Einladungen an Polina Semenovna Žem?užina. Der sehr offenherzigeTon läßt vermuten, daß die beide Frauen miteinander freundschaftlich kommunizierten.

Zu diesem Zeitpunkt ist Kollontaj schon sehr krank. Im August 1942 erlitt sie einen Schlaganfallund blieb bis Oktober 1943 ihrem Arbeitsplatz fern. Während ihrer Krankheit verrichtete VladimirSemenov [44] als chargé d'affaires die tägliche Arbeit in der Botschaft. Eine Sternstunde Kollontajskommt nochmals im Herbst 1943, als sie von Semenov die Sondierungsgespräche über einenWaffenstillstand mit Finnland übernimmt.

Dabei konnte sie auf den Erfahrungen von Rybkin-Jarcev in bezug auf die Position dersowjetischen Führung zur "finnischen Frage" und auf seinen Erinnerungen an die Einzelheiten dergeheimen sowjetisch-finnischen Verhandlungen vor dem Krieg aufbauen. Schon vor ihrerKrankheit bat Kollontaj Rybkin, sie darüber ausführlich zu informieren.

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Krankheit bat Kollontaj Rybkin, sie darüber ausführlich zu informieren.

Im Dezember 1943 schickte Moskau einen weiteren "Kenner" der sowjetischen Finnland-Politiknach Stockholm. Es war Elisej Sinicyn (alias Eliseev), der im November 1939 und von März 1940bis Juni 1941 gleichzeitig als Leiter des NKGB-Aufklärungsdienstes und der sowjetischendiplomatischen Vertretung in Helsinki arbeitete. Nach der "Evakuierung" aus Finnland zu Beginndes Krieges mit Deutschland übernahm Sinicyn für einige Jahre bei der NKVD-Auslandsspionagedie Verantwortung für die "skandinavische" Abteilung. Ende 1943 wurde er zum StellvertretendenLeiter des NKVD-Spionagenetzes in Schweden ernannt. Zur Tarnung übernahm Sinicyn die Stelledes ersten Sekretärs in der sowjetischen Botschaft. Sinicyn berichtet folgendes: Nachdem erKollontaj als Hauptziel seiner zukünftigen Tätigkeit das Ausscheiden Finnlands aus dem Krieggenannt und ihr über seine Tätigkeit als persönlicher Emissär von Molotov in Finnland imNovember 1939 berichtet hatte,[45] versprach ihm Kollontaj ihre volle Unterstützung und schlugihm die höhere Stelle eines Konsuls in der Botschaft vor.[46]

Aus der Gegenüberstellung der Aussagen von Zoja Rybkina und Elisej Sinicyn, die beideAleksandra Kollontaj in Stockholm begegneten, entsteht der Eindruck, daß die Führung im Kremlzwecks einer Offensive in der "finnischen Frage" bewußt das diplomatische Geschick und dieKontakte von Aleksandra Kollontaj nutzen wollte, um einen Auftrag unter direkter Kontrolle derGeheimdienste durchführen zu können. Es ist allerdings nicht klar, wer konkret in der MoskauerFührung hinter dieser Idee stand. Auf jeden Fall hat Aleksandra Kollontaj, gemäß vorliegenderAussagen, eine entscheidende Rolle gespielt, um die nach Schweden geschickten NKVD-Mitarbeiter mit Kontakten bis in die höheren Etagen der schwedischen Gesellschaftauszustatten.[47] Für Kollontaj persönlich bedeutete diese Kooperation mit den NKVD-Agentendie Rückkehr in die Reihen der aktiven Akteure der skandinavischen Politik der Sowjetunion.

Die Rechnung von Moskau ging auf. Es gelang Kollontaj, nicht nur die schwedische Seite alsVermittler in den Verhandlungen mit Finnland zu gewinnen, sondern auch die ersten Gesprächemit dem finnischen Vertreter Juho Paasikivi zu ermöglichen. Ihre Verhandlungstaktik wird am 20.September 1944 mit einem die internationale Öffentlichkeit beeindruckenden Erfolg gekrönt, alseine Vereinbarung über den Waffenstillstand zwischen Finnland und der Sowjetunionunterschrieben wurde.[48] Unter dem Gesichtspunkt, daß Kollontaj die ihr zugedachte Rolle für diesowjetischen Geheimagenten in Schweden erfolgreich wahrgenommen hatte, sind auch dieBemühungen der Kreml-Führung zu bewerten, für ihre ärztliche Betreuung 1943 die bestenschwedischen Ärzte zu verpflichten. Angeblich soll Stalin einen Brief über Vladimir Semenov andie schwedische Ärztin N. Svartz mit der persönlichen Bitte geschickt haben, alles Erdenkliche fürdie Genesung Kollontajs zu unternehmen.

Im Februar 1945 verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Aleksandra Kollontaj erneut.Sie litt an einer an Lungenentzündung grenzenden Erkältung, so daß ihre Ärzte ernste Bedenkenhinsichtlich ihrer Überlebenschancen hatten.

Am 18. März erfolgte die endgültige Abberufung nach Moskau. In Moskau wurde sie als einelebende Legende betrachtet, auf jeden Fall bekam Kollontaj zusammen mit ihrer persönlichenReferentin Emy Lorentsson eine neue Dreizimmerwohnung im Haus des Ministerrates. Der Titeleines Botschafters, den sie in Schweden in den letzten zwei Jahren ihres dortigen Aufenthaltestrug, blieb ihr auch weiterhin zuerkannt. Aus den hier publizierten Briefen (Briefe 17, 19-20) wirdersichtlich, daß sie für diese Gratifikationen während ihrer Pensionierung (Recht aufPrivatsekretärin, Verbindung mit dem Marx-Engels-Lenin Institut usw.) Molotov zu Dank verpflichtetwar.

In der wissenschaftlichen Literatur wird behauptet, daß Kollontajs Beziehung zu Molotov eine

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schwierige und unfreundliche war.[49] Die Rückgabe des Kollontaj-Archives aus demAußenministerium an Kollontaj wird auf Stalins Intervention zurückgeführt. In diesemZusammenhang erwähnte man auch die Rolle von Elena Stasova, einer langjährigen Mitarbeiterinder Geheimabteilung des Politbüros, die für Kollontaj die Verbindung mit dem "Vater der Völker"herstellte.[50] Auch Kollontaj setzte das Gerücht im Umlauf, sie habe einen direkten Draht zuStalin. Die "Connection" mit Molotov verschwieg sie.

Als der Referent des schwedischen Außenministers Boheman sie informierte, daß eineschwedische Vermittlerrolle im sowjetisch-finnischen Konflikt nicht in Frage käme, falls diesowjetische Seite den Oberkommandeur der finnischen Streitkräfte Mannerheim weiter als"Kriegsverbrecher" bezeichnen würde, versprach Kollontaj diese Bitte direkt an Stalin zu richten.Wie sie Boheman sagte, würden die Gesuche über Molotov nur Komplikationen hervorrufen.Einige Tage später berichtete sie, daß das Problem gelöst sei.[51]

In dem Brief an Molotov vom 11. Februar 1947, in dem sie seine Genehmigung erbat, Ivan Majskijals "Vertrauensperson" für die Arbeit mit ihrem Archiv[52] zu beauftragen, dankte sie Molotov mitkeinem Wort, daß ihr das Archiv aus dem Außenministerium im Dezember 1946 zurückgegebenworden war. Seine Beteiligung an der Rückgabe wurde nicht erwähnt. Auch Emy Lorentsson führtedie Rückgabe des Archivs auf die Einmischung Stalins zurück.[53] Es bleibt allerdings die Frageoffen, ob nicht auch Ivan Majskij, der Stellvertretende Volkskommissar für Äußere Angelegenheitenvon 1943 bis 1946, den Kollontaj zu ihrem Freundeskreis zählte, sporadisch die Funktionen einesSchutzengels ausübte.

Vermutlich hatte Kollontaj nach ihrer Rückkehr nach Moskau die Möglichkeit, auch mit Stalin inirgendeiner Form Kontakte zu unterhalten. Entgegen ihrer Gewohnheit ließ sie in ihren Briefen anMolotov ab März 1945 keine Grüße mehr an Iosif Vissarionovi? ausrichten, wie sie für ihre früherenBriefe typisch gewesen waren.

In den Briefen von Kollontaj an Molotov könnte ein aufmerksamer Leser auch Hinweise auf eineÄnderung in der Zusammensetzung der politischen Kräfte um Stalin in den Jahren 1947 bis 1952finden. Erinnert man sich, daß MoloÂtov ab 1947 bis zu Stalins Tod am Rande seiner VerhaftungbalanÂcierte, bekommt auch der Brief von 05.03.1949 (Brief 18) eine zusätzliche Bedeutung. Indiesem Brief gratuliert Kollontaj Molotov zum InternaÂtionalen Frauentag, was auf den ersten Blick,auch in der stalinistischen Epoche, als man der Partei und ihrer Führung für alles zu danken hatte,ans Absurde grenzt.[54] Wenn man hingegen ins Auge faßt, daß Molotov einen Tag zuvor, am 4.März 1949, von seiner Funktion als Außenminister entÂbunden wurde, bekommt der Inhalt desBriefes eine andere Bedeutung. Dann wirkt der Satz: "Ich kann mich nicht nur auf diese Wünscheund Gratulationen zum 8. März beschränken, ohne Ihnen meine tiefe DankÂbarkeit für Ihrewertvolle Führung als mein Vorgesetzter im Außenministerium, zu äußern", wie ein geheimerHändedruck und Zeichen der Unterstützung. Auch die Grüße an die Familie sind Zeugnissemenschlicher Anteilnahme, zumal zu diesem Zeitpunkt Molotovs Frau, Polina Žem?užina,[55]schon verhaftet und wegen "des Verlustes geheimer Dokumente" verurteilt und in die Verbannungnach Kasachstan geschickt worden war.[56]

Die hier publizierten Briefe von Aleksandra Kollontaj an Vja?eslav Molotov sind in mehrerenHinsicht von großem Interesse.

Sie zeigen uns neue Facetten der Persönlichkeit von Aleksandra Kollontaj, die wohl wie keinanderer, die Züge eines Rebellen und eines ergebenen Untertanen in sich vereinigte. Ihrepolitische Karriere barg große Widersprüche. Hinter dem äußerlichen Glamour der diplomatischenKarriere und den jahrelangen persönlichen Verbindungen mit den Machthabern im Kreml verbarg

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sich häufig Hilflosigkeit. Eine ständig wachsende Anpassung war auch ihr Preis für politischeLanglebigkeit. Die Briefe an Molotov demonstrieren uns die Schattenseiten eines Mythos, eineandere Aleksandra Kollontaj, die ganz gezielt die höfische Kunst der Schmeichelei anwendete, umihre persönlichen Ziele mit aller Durchsetzungskraft zu erreichen. Dabei stellte sie trotzdem sowohlfür die breite Öffentlichkeit und die offiziellen Kreise im Ausland als auch für ihre unmittelbarensowjetischen Kollegen und Mitarbeiter eine einzigartige Persönlichkeit mit hervorragendenintellektuellen Fähigkeiten dar, ausgestattet mit einer selbstbewußten Denkart und einemausgesprochen scharfsinnigen Humor. Im stalinistischen Rußland waren diese Fähigkeiten ansich schon eine Ausnahme, so daß auch heute noch an der Person Kollontaj jegliche Kritik wieWasser abperlt.

Viele Zeitzeugen berichten, daß Molotov keine "sentimentale" Persönlichkeit war. In seinenMemoiren schildert Valentin Berežkov die Tatsache, daß Molotov ihn praktisch vor dem ZornBerijas und einer unausweichlichen Verhaftung gerettet hat, als eine Ausnahme und einen fürMolotov nicht typischen "Gefühlsausbruch".[57] Dieser Mensch, erinnerte sich Berežkov, schriebauf den Listen der Verhafteten das Kürzel V. M. (vysÅ¡aja mera), das die Höchststrafe -Erschießung - bedeutete, mit der Leichtigkeit, mit der er auch seine Initialen V.M. (Vja?eslavMolotov) auf die von ihm gelesenen Dokumenten kritzelte.

Vermutlich gehörte auch Aleksandra Kollontaj von Zeit zu Zeit zu diesen "unerklärlichen" Fällenhochdosierter "Sympathieausbrüche" Vja?eslav Molotovs.

Für die Analyse des Funktionierens "persönlicher Netzwerke" als "channels of command" impolitischen Mechanismus des sowjetischen Rußland können diese Briefe nur begrenzt Aufschlußgeben. Es ist offensichtlich, daß für eine ausführliche Analyse die Rekonstruktion eines ganzenNetzes persönlicher Verbindungen in jedem konkreten Zeitabschnitt von Bedeutung ist. Dafür istdas computergestützte Aussieben zahlreicher Memoiren und Archivdokumente unter Verwendungstatistischer Methoden[58] notwendig. Damit diese "erstellten" Netzwerke nicht nur Aufschlüsseüber eine konkrete Persönlichkeit erlauben, sondern auch Erkenntnisse über den ganzenMechanismus der politischen Macht gestatten, darf die Auswahl der "Core-members" (Definitionvon Gerald Easter) solcher Netzwerke nicht dem Zufall überlassen werden. Allerdings würdeschon die Erstellung eines Algorithmus zum Festlegen der "core-members" für die wichtigstenpersönlichen Netzwerke in Sowjetrußland während verschiedener Zeitabschnitte einebemerkenswerte wissenschaftliche Leistung darstellen.

[1] Z.B. in bezug auf die Sowjetunion / Rußland: Baker, R.H.: Clientelism in the Post-RevolutionaryState: The Soviet Union.- In: Clapham, C. (Ed.): Private Patronage and public power. Politicalclientelism in the modern state. London 1982, p. 36-52; Stephan, John J.: The Russian Far East. AHistory. Stanford: Stanford Univ. Press 1994; Easter, Gerald M.: Reconstructing the State. Personalnetworks and elite identity in Soviet Russia. Cambrige: Cambrige Univ. Press, 2000; laufendeProjekte: z. B. Buck, Andrew D.: Principled Particularism: Patronage and Post-socialist Elites.Columbia University, USA.

[2] Z.B. Inglehart, Ronald: Modernization and Post-Modernization. Princeton: unpublishedManuscript, 1997.

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[3] Easter, Gerald, op.cit; Rose, Richard: Modern, pre-modern and anti-modern social capital inRussia.- In: CSPP Publications. Glasgow: Univ. of Strathclyde, 1999; außerdem laufendes Projekt:"Coping with organizations: Network of Russian social capital† . Finanziert von Leverhulme Trust,2000-2002.

[4] Ab 1922 stand A. Kollontaj beim sowjetischen Staat im diplomatischen Dienst. 1922-1926arbeitete sie in Norwegen. 1926 wurde Kollontaj als Bevollmächtigte Vertreterin nach Mexikoentsandt, blieb jedoch aus gesundheitlichen Gründen nur bis 1927. 1927-30 übte sie die Funktionder Bevollmächtigten Vertreterin in Norwegen und 1930-1941 in Schweden aus. 1941-45 wurdesie zur Gesandten in Schweden ernannt. Wegen fortschreitender Krankheit kam Kollontaj 1945 indie Sowjetunion zurück, wo sie bis zu ihrem Tod 1952 sporadische Berateraufgaben imAußenministerium wahrnahm.

[5] Trotz des Rückschlages, der durch die Verhaftung der bolschewistischen Dumaabgeordnetennach dem Ausbruch des Krieges eingetreten war, gelang es den Bolschewiki den Schaden zubegrenzen und wieder eine Reihe von Organisationen zu gründen. Sie wurden durch das"Russisches Büro" des ZK in Petrograd geleitet, das mit den illegalen Komitees in Verbindungstand, deren gesamte Mitgliedschaft auf 10.000 geschätzt wird. (S. Schapiro, Leonhard: DieGeschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Berlin: Fischer Verlag, 1961, S. 169.

[6] Aleksandr Gavrilovi? Å ljapnikov, 1885-1937. Von 1914 bis 1916 die Schlüsselfigur in derPartei bei der Organisation der Kommunikationsverbindungen zwischen Lenin in der Schweiz unddem bolschewistischen Russischen Büro in Petrograd. Nach der Februarrevolution in RußlandMitglied des Exekutivkomitees im Petrograder Sowjet. 1921 einer der Gründer der sogenannten"Arbeiteropposition". 1936 wurde er verhaftet und am 03.09.1937 erschossen.

[7] Samuil Markovi? Zaks (alias Ivan Ivanovi? Gladnev), Geschäftsmann und Bolschewik. Um1907 hat Zaks die ältere Schwester von Zinov'ev, Lija Aronovna Radomysl'skaja, geheiratet. Dieverwandtschaftliche Verbindung zum Sohn eines reichen Kaufmannes erlaubte es dem Zinov'ev-Familienklan, einen Umzug von Ekaterinoslavl' nach Petrograd zu finanzieren. Ausführlicher überdie Rolle von Zaks in der illegalen Arbeit und bei der Finanzierung der bolschewistischen Parteisiehe: Semion Lyandres. The Bolsheviks' "German Gold" revisited. An inquiry into the 1917Accusations.-The Carl Beck Papers in Russian and East European studies, 1995, Number 1106, p.97-98, 120.

[8] 1917, als Stasova aus dem Exil zurückkehrte, löste sie Molotov ab, der beim Sturz derMonarchie mit den Pflichten des Sekretärs des "Russischen Büros" betraut wurde.

[9] Die Mutter von Elena Stasova, Poliksena Stasova, war eine nahe Freundin von MarijaŠakeeva-Menžinskaja, der Mutter von Vera, Ludmila und Vja?eslav Menžinskij. Vja?eslav

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Menžinskij war ab 1923 Stellvertretender Vorsitzender und ab 1926 bis zu seinem Tod 1934Vorsitzender der OGPU (sowjetische Sicherheitsorgane).

[10] Farnsworth, Beatrice: Aleksandra Kollontaj. Socialism, Feminism and Bolshevik Revolution.Stanford Univ. Press 1980, p. 65.

[11] Farnsworth, p. 76.

[12] Dybenko ist auch dadurch in die Geschichte eingegangen, daß er im Januar 1918 demberüchtigten Matrosen Železnjak den Befehl gab, die Mitglieder der KonstituierendenVersammlung auseinanderzujagen. (S. Politi?eskie dejateli Rossii 1917. Biografi?eskij slovar'.Moskva: Bol'Å¡aja rossijskaja ?nciklopedija 1993, S. 108)

[13] Schapiro, Leonhard: Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion,

S. 231.

[14] Hauge, Kaare: Aleksandra Mikhailovna Kollontaj: The Scandinavian Period, 1922-1945.Unpublished dissertation of University of Minnesota 1971, p. 50-51.

[15] Hauge, Kaare, p.. 53.

[16] Hauge, Kaare, p. 53-55.

[17] Šumrikova, L. P.: Aleksandra Kollontaj: Ženš?ina i politik. Dnepropetrovsk: Izdatel'stvoDGU, 1992, S. 63.

[18] Å umrikova, S. 77

[19] Å umrikova, S. 79.

[20] Hauge, S. 102.

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[21] Serge, Victor: Memoirs of a Revolutionary, 1901-1941. London 1963, p. 205.

[22] Kollontaj, A. M.: Zapiski za 23 goda diplomati?eskoj raboty. Tetrad' vtoraja: Priznanie de-jure.In: Meždunarodnaja žizn'. Moskva 1988, N 12, S. 122.

[23] Hauge, S. 82-83.

[24] Å umrikova, S.89

[25] Farnsworth, p. 372-373.

[26] Hauge, S. 124-126.

[27] RGASPI, fond 82, opis' 2, S. 98-99.

[28] Besedovskij. Na putjach k termidoru.- Moskva: Sovremennik, 1997, S. 184-185.

[29] Aleksandrov-Agentov, A.M.: Ot Kollontaj do Gorba?eva. Moskva: Meždunarodnyeotnošenija, 1994, S. 34-35.

[30] Kaare Hauge schreibt, daß Kollontaj ihren Sohn und seine Familie 1940 nach Schwedenbrachte. Hauge, S. 226.

[31] Aleksandrov-Agentov, S. 37.

[32] Nach Überlieferungen von Emy Lorentsson, S. 8. Zitiert nach Hauge, S. 203.

[33] Nevežin, V.A.: Sindrom nastupatel'noj vojny. Moskva: AIRO XX, 1997, S. 82-83.

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[34] Otto Kuusinen (1881-1964), finnischer Kommunist, leitete die kurzlebige, von der Sowjetunionin Karelien /Terioki/ proklamierte Marionettenregierung der sogenannten "DemokratischenFinnischen Republik".

[35] Sinicyn, Elisej: Rezident svidetel'stvuet. Moskva: TOO Geja, 1996, S. 42.

[36] Nevežin, S. 84.

[37] Sinicyn, S. 32-34.

[38] Die Umstände, unter denen derselbe Sinicyn nach dem Abschluß der Verhandlungen überden Waffenstillstand mit Finnland am 12. März 1940 von Molotov zum Bevollmächtigten Vertreterder Sowjetunion in Finnland wieder ernannt wurde, bekräftigen die Schlußfolgerung, daß esMolotov zu diesem Zeitpunkt gelungen war, auch die Tätigkeit der sowjetischenAufklärungsdienste teilweise unter seine Kontrolle zu bringen. Damit wurde eine Art Präzedenzfallfür die Tätigkeit des nach dem Krieg unter Aufsicht von Molotov im NKID entstandenen Komiteesfür Information (1948-1951) geschaffen, dem alle Aufklärungsdienste untergeordnet wurden.(Sinicyn, S.62-63; Pavel Sudoplatov, S. 385-388)

[39] Gleichzeitig auch als Schriftstellerin Zoja Voskresenskaja bekannt.

[40] Tajna Zoi Voskresenskoj: Dos'e. Osobye missii, diplomatija i razvedka. Moskva, Olma press1998, S. 76.

[41] Hauge, S. 209.

[42] Tajna Zoi Voskresenskoj, S. 50-51.

[43] Deshalb ist es nicht erstaunlich, daß viele führende Mitarbeiter der sowjetischendiplomatischen Vertretung in Stockholm in ihrer späteren Karriere nach dem Krieg wichtigeAufgaben bezüglich der deutschen Politik wahrnahmen: Zoja Rybkina war z.B. ab Juni 1953Leiterin der deutschen Abteilung für sowjetische "Außenaufklärung" (vneÅ¡njaja razvedka).Lavrentij Berija, der kurz vor seiner Verhaftung vermutlich den Plan verfolgte, beide TeileDeutschlands zu vereinigen, plante die in Berlin wohnende russische Schauspielerin Ol'ga ?

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echova für Sondierungsgespräche mit Bundeskanzler Konrad Adenauer zu engagieren. Schonwährend des Krieges unterhielt ?echova beste Verbindungen in die höchsten Etagen desdeutschen Reiches, besonders zu Göring, so daß Stalin einige Zeit für sie eine wichtige Rolle beieinem möglichen Attentat auf Hitler vorsah. Zoja Rybkina wurde 1953 nach Berlin entsandt, umKontakte mit ?echova aufzunehmen. Sie traf ?echova am 26. Juni, an demselben Tag, an dem inMoskau Lavrentij Berija verhaftet wurde. Nur durch Zufall konnte sie in Berlin einer Verhaftung alsGesandte des "Volksfeindes" Berija entgehen und unversehrt nach Moskau zurückkehren (Siehe:Tajna Zoi Voskresenskoj, S. 306). Ein anderes Beispiel eines solchen "Deutschland-orientierten"-Mitarbeiters, der einige Jahre seiner Karriere in Stockholm verbracht hatte, ist Vladimir Semenov.Siehe Anmerkung 44.

[44] Vladimir Semenovi? Semenov, nach dem Krieg (1946-1949) politischer Berater desOberbefehlshabers der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland; 1949-1953 politischerBerater der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland; 1953-1954 Oberster Kommissar derSowjetunion in Deutschland und Botschafter in der DDR; 1955-1978 StellvertretenderAußenminister; danach Botschafter in Bonn.

[45] Sinicyn sollte Molotov direkt und unverzüglich über die Reaktion Finnlands auf den Inhalt desletzten Ultimatums der sowjetischen Regierung (26. November 1939) vor dem Beginn des Kriegesinformieren.

[46] Sinicyn, S. 152-153.

[47] Sinicyn, S. 177-180.

[48] Valentin Berežkov beschreibt in seinen Memoiren allerdings, wie ein speziell gespielterWutausbruch von Molotov über die Unnachgiebigkeit der Finnen auf dem Empfang für dieschwedische Delegation, die eine Vermittlerrolle zwischen Finnland und der Sowjetunion ausübte,eine Einigung mit Finnland erleichterte. Die Rolle von Kollontaj erwähnt er mit keinem Wort. Siehe:Valentin Berežkov. Rjadom so Stalinym.-Moskva: Vagrius, 1998, S. 257-261. Sinicyn tendiertnicht dazu, die diplomatischen Künste sowohl von Kollontaj als auch von Molotov als Erfolgsrezeptzu bewerten. In seinen Augen spielte der militärische Schlag der sowjetischen Armee in Karelienbei der Entscheidung der finnischen Regierung über ein Friedensabkommen die Schlüsselrolle.(Sinicyn, S. 168).

[49] Z. B. Hauge, Aleksandrov-Agentov

[50] Itkina, A. M.: Revoljucioner, tribun, diplomat: Stranicy žizni Aleksandry MichajlovnyKollontaj. Moskva (2-e izdanie) 1970, S. 283; Hauge, S.262.

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[51] Hauge, S. 262.

[52] Elisej Sinicyn schreibt in seinen Memoiren, daß das Kollontaj-Archiv während ihrer Krankheit1943 von dem vorherigen Leiter des NKVD-Spionagenetzes in Schweden praktisch aus ihremZimmer im Krankenhaus "entführt" und nach Moskau zu Berija geschickt wurde. (Unter diesem"vorherigen Leiter" könnte nach unseren heutigen Erkenntnissen nur Boris Rybkin gemeint sein.Bald nach diesem Vorfall wurde Rybkin zurück nach Moskau abkommandiert.) Berija übergab dieKoffer mit Dokumenten an den damaligen Leiter der Abteilung für skandinavische Länder, ElisejSinicyn, mit der Bitte um aufmerksames Lesen und eine Expertise, ob in diesen Notizenirgendwelche aufrührerischen Informationen zu finden seien. Sinicyn las die Dokumente undschrieb anschließend in seinem Bericht an Berija, daß er in diesem Archiv keine für Kollontajkompromittierenden Fakten gefunden habe. Anschließend wurden diese zwei Koffer versiegelt undins Marx-Engels-Lenin Institut zur Aufbewahrung gegeben. Über diesen Bericht und das Schicksaldes Archivs erzählte Sinicyn Kollontaj Ende 1944 in Stockholm. (Siehe Sinicyn, S. 162-163) DieFrau von Boris Rybkin Zoja erwähnte in ihren Memoiren den Namen von Sinicyn (alias Eliseev)mit keinem Wort, auch der Grund der Abberufung ihres Mannes war ihr unbekannt. Sie verriet nurin einzelnen Sätze, daß sie irgendwelche Strafmaßnahmen gegen ihren Mann vermutete. (TajnaZoi Voskresenskoj, S. 160). Anscheinend hat das Verschwinden des Kollontaj-Archivs auch beiMolotov zu Verstimmungen geführt. Boris Rybkin kam 1947 unter geheimnisvollen Umständenums Leben. Seine Frau berichtete, daß sie am Kopf der Leiche Schußspuren gesehen hatte. DenAussagen der Freunde von Rybkin zufolge war sein Tod in irgendeiner Weise mit derbevorstehenden Restrukturierung des Systems der Auslandsspionage und der Entstehung desKomitees für Information unter der Leitung von Molotov verbunden. (Tajna Zoi Voskresenskoj, S.368-379). Es ist allerdings auch nicht auszuschließen, daß die Geschichte über das Archiv vonSinicyn speziell erdacht wurde, um die Sympathie von Kollontaj zu wecken und in derenBeziehung zu Zoja Rybkina Mißtrauen zu sähen. Sinicyn arbeitete bis zum 18. September 1944 inder sowjetischen Botschaft in Stockholm, danach wurde er erneut nach Finnland entsandt, wo erbis Ende Mai 1945 die Funktionen des Stellvertretenden politischen Beraters der sowjetischenVertretung bei der Alliierten Kontrollkommission in Helsinki ausübte. Die sowjetische Vertretungbei der AKK in Finnland leitete damals A.A. Ždanov.

[53] Hauge, S. 247.

[54] Wie man in der Sowjetunion in einem Gedicht spottete: "ProÅ¡la zima, nastalo leto, spasibopartii za ?to" [Der Winter ist vorbei, der Sommer ist gekommen, dafür Dank an unsere Partei].

[55] Polina Žem?užina wurde am 30.12.1948 aus der Partei ausgeschlossen und am21.01.1949 verhaftet. (Kostyr?enko, G.: V plenu u krasnogo faraona. Moskva 1994).

[56] Interessante Information, wie Stalin die Prozesse seiner ehemaligen Kampfgenossen u.a.

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Molotov und Mikojan 1948-1953 vorzubereiten versuchte, findet man im Buch von Sudoplatov,Pavel: Specoperacii. Lubjanka i Kreml' 1930-1950 gody. Moskva, Olma-press 1997, S. 477-544.Dabei dürfte "der jüdische Faktor" (die Frauen von Molotov und VoroÅ¡ilov waren Jüdinnen, deralte Kampfgefährte von Stalin, Lazar' Kaganovi?, war selbst jüdischer Abstammung) eine wichtigeRolle gespielt haben.

[57] Berežkov, S. 406.

[58] Z. B.: Ivachnenko, A.G., Jura?kovskij, Ju.P: Modelirovanie složnych sistem poeksperimental'nym dannym. Moskva: Radio i svjaz', 1987.