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Wie viele Arten von Lebewesen esauf der Erde gibt, wissen wir nicht.Fest steht aber, dass der Menschviele davon bedroht – weil er sieentweder direkt tötet oder weil erihre Lebensgrundlage zerstört.Erst fünfmal in der Erdgeschichtegingen so schnell so viele Artenverloren wie heute. Wissen-schaftler gehen daher davon aus,dass wir auf das nächste großeMassenaussterben zusteuern.Gründe, warum wir dem entge-genwirken sollten, gibt es viele:Wir profitieren ständig von denDienstleistungen, die Ökosys-teme erbringen. So spielen Wild-bienen, von denen viele Artenbedroht sind, etwa eine wichtigeRolle bei der Bestäubung vonAckerfrüchten. Wälder reinigendie Luft und das Wasser. Ökosys-teme produzieren Rohstoffe, diewir als Nahrung oder Baustoffenutzen. Sie speichern Kohlendi-oxid und Methan und beugen sodem Klimawandel vor. Mit denArten erhalten wir außerdem ihreGene, die zum Beispiel als Vorbildfür Medikamente oder Materialdienen können. So geht der Wirk-stoff in Aspirin beispielsweise aufeine Substanz in Weidenblätternzurück. Je diverser ein Ökosys-tem aufgestellt ist, desto stabilerist es zudem. Selbst, wenn wirArten nicht um ihretwillen schüt-zen, sollten wir es daher schonaus Eigeninteresse tun.

i ARTEN UND IHR SCHUTZ

Blühende Bergstraße im Wandel der ZeitDie Anfänge der Blühenden Bergstraße reichen vermutlich bis zu den Römern zurück, die die Hänge des Oden-walds für Wein- und Obstbau nutzten. Seither hat sich das Gesicht der Hügel immer wieder verändert. Frühergehörte zu den Häusern in den Ortschaften meist ein Grundstück am Hang, auf dem die Besitzer Obst, Weinund Gemüse anbauten, Ziegen grasen ließen oder Heu machten. Die Obsternte vermarkteten sie gemeinsamüber eine Genossenschaft. Im Mittelalter dürften große Teile der Hänge bewirtschaftet gewesen sein, weil vieleauf den Zuverdienst angewiesen waren. Während der Pest schrumpfte der Obstbestand dagegen vermutlichzusammen, denn die Bevölkerungszahl ging stark zurück. Der Stich von Matthäus Merian, der Weinheim imJahr 1645 zeigt, zeugt wiederum von einer Zeit, als nur die Kuppen der Hügel bewaldet waren und die Hängegrößtenteils landwirtschaftlich genutzt wurden. Der Erwerbsobstbau entwickelte sich erst in der zweiten Hälftedes 19. Jahrhunderts. Das Maximum ihrer Ausdehnung erreichten die Obstwiesen wohl um 1910, als die Eisen-bahn neue Absatzwege brachte. In den 1960er-Jahren war die Obstbaumdichte an der Bergstraße noch eine derhöchsten in Deutschland. Doch bereits damals ging es bergab: Früchte aus anderen Ländern verdrängten dasheimische Obst zunehmend. Viele unrentable Grundstücke wurden aufgegeben, verbuschten oder wurdenwieder zu Wald. Die Generation der Selbstversorger schied altershalber zunehmend aus, die Jüngeren führtendie Bewirtschaftung oft nicht fort – ein Trend, der immer noch anhält. 2010 schlossen sich die Städte und Ge-meinden zwischen Dossenheim und Laudenbach zusammen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. EineMaßnahme des Projektes war die Verlegung des Blütenwegs aus den Ortschaften in die Landschaft. 2016 wurdedie neue Wegführung mit dem ersten Blütenwegfest eröffnet. Das fünfte hätte am vergangenen Sonntag statt-finden sollen, musste wegen der Corona-Pandemie jedoch ausfallen. Insgesamt führt der Blütenweg auf einerLänge von knapp 100 Kilometern von Darmstadt bis nach Wiesloch.

ten werden aufgegeben, weil ihreBesitzer keine Zeit mehr haben oderdie Flächen schlecht erreichbarsind. Holen Wald und Büsche sichdie Grundstücke zurück, verschwin-den auch viele Arten. Denn diekleinteiligen Strukturen, die Gene-rationen von Menschen hier überJahrhunderte geschaffen haben, sei-en wahre „Hotspots der Artenviel-falt“, versichert Robra. Wildbienennisten in den Lössböschungen,Schlingnattern bewohnen die Tro-ckenmauern, die die Weinberge undGärten terrassieren. Seltene Pflan-zen, wie etwa einige Sommerwurz-Arten, fühlen sich auf den Magerra-sen wohl.

Der Wald kehrt zurück„Diese Arten zu schützen, ist unserePflicht“, findet Ullrich, auch wenn erweiß, dass die Initiative der „Blü-henden Bergstraße“ für mancheFlächen und auch manche Arten,die es einst an der Bergstraße gab, zuspät kommt. Auf dem Rückweg vonLützelsachsen passieren wir einGrundstück, das sich auf den erstenBlick nicht großartig vom Wald un-terscheidet, der es umschließt. Aufden zweiten Blick erkennt man aneinigen Stämmen deutlich die wuls-tigen Veredelungsstellen: Es sindalte Obstwiesen, die sich der Waldzurückgeholt hat. Damit diesesSchicksal möglichst wenige Grund-stücke zwischen Laudenbach undDossenheim ereilt, werden Robraund Ullrich auch weiterhin vermit-teln: Wer diese Landschaft schützt,schützt auch die Natur.

die Fläche nämlich groß genug sein.1658 Hektar umfasst das Projektge-biet insgesamt. Die meisten Grund-stücke gehören Privatpersonen. Solleine Maßnahme umgesetzt werden,versuchen die Verantwortlichen,von den Besitzern eine Zustim-mungserklärung zu bekommen, diees ihnen erlaubt, die Pflege der Flä-che zunächst für zehn Jahre zuübernehmen. Das kann manchmalan scheinbar banalen Gründenscheitern, wie sich zeigt, als wir denLützelsachsener Häuselberg errei-

chen. Eigentlichwürde das Pro-jekt hier gerneZiegen als „mo-derne Land-schaftspfleger“einsetzen. Eini-ge Grundstückekonnte es be-reits überneh-men. Ausge-

rechnet der Eigentümer einer Flä-che in der Mitte ist unter der ange-gebenen Adresse aber nicht zu errei-chen und auch sonst nicht ausfindigzu machen. „Man braucht einenlangen Atem“, sagt Robra.

„Hotspots der Artenvielfalt“Dass Grundstückbesitzer kein Inte-resse mehr an ihren Flächen haben,ist eine der größten Bedrohungenfür die Kulturlandschaft an derBergstraße. Auch wenn die Land-schaft an den westlichen Hängendes Odenwalds sich schon immergewandelt hat, schwindet sie seitden 1960er-Jahren zusehends. Gär-

Das Projekt brachte daher die Zie-gen zurück. „Sie knabbern die Blät-ter und Triebe ab“, erklärt er. „Pas-siert das über Jahre, sterben dieBrombeeren ab.“ Der Magerrasenerhält so eine Chance, sich auf demsonnigen Hang wieder zu etablierenund kann das Blühangebot derObstwiesen ergänzen.

Die Obstblüte reicht nichtAuch wenn viele mit der BlühendenBergstraße vor allem ein weißes Blü-tenmeer im Frühjahr verbinden –für eine arten-reiche Kultur-landschaftreicht das nichtaus. „Bienenund andere In-sekten brau-chen auch nachder geballtenObstblüte Nah-rung“, erklärtUllrich, während wir uns auf denWeg Richtung Lützelsachsen ma-chen. Magerrasen oder blütenrei-che Wiesen und Säume, die zwarnicht so fulminant wie die Obstbäu-me, dafür aber umso vielfältiger undüber einen längeren Zeitraum blü-hen, können das bieten.

Verein und Projekt „BlühendeBergstraße“ wollen daher nicht nurObstwiesen, Weinberge und Gar-tengrundstücke erhalten. Sie wollenauch Magerrasen und Wiesen zumDurchbruch verhelfen. Nicht immersind ihre Bemühungen jedoch vonErfolg gekrönt. Damit eine Bewei-dung mit Ziegen möglich ist, muss

Bernhard Ullrich. Beide haben sichdem Schutz der charakteristischenKulturlandschaft aus Obstbäumen,Weinbergen, Magerwiesen und Gär-ten an der Bergstraße verschrieben.Robra als Geschäftsführer des Pro-jekts „Blühende Bergstraße“, das dieGemeinden zwischen Laudenbachund Dossenheim zum Schutz derLandschaft 2010 ins Leben riefen.Ullrich als Projektmanager und Ge-schäftsführer des gleichnamigenVereins, der sich 2018 gründete unddie Trägerschaft des Projekts inne-hat. Auf dem Blütenweg zwischendem Judenbuckel in Weinheim unddem Häuselberg in Lützelsachsenwollen sie mir zeigen, was die Land-schaft an der Bergstraße so beson-ders macht – und wie sie erhaltenwerden kann.

Ziegen als LandschaftspflegerNach einem kurzen Aufstieg errei-chen wir die ehemalige Bürgerweideam Judenbuckel. Früher weidetenhier die Ziegen der Weinheimer,hielten das Gras kurz und Wald undBüsche fern. An dem trocken-war-men Standort konnte sich so Mager-rasen entwickeln – ein nährstoffar-mer Lebensraum, der selten gewor-den ist. Denn wie auch auf dieserBürgerweide, wurde die Beweidungmit Ziegen vielerorts vor etlichenJahren eingestellt. Die Grundstückeverbuschten, Brombeeren breitetensich aus – ein Schicksal, das auchviele ehemalige Obstgärten traf. „Alswir vor drei Jahren die Pflege wiederaufnahmen, war die Fläche völligzugewuchert“, erinnert sich Robra.

Weil das fünfteBlütenwegfestaufgrund der Corona-Pandemie ausfallenmusste, haben wirauf eigene Faustdie Wanderschuhegeschnürt – und eineLandschaft entdeckt,die nicht nur zur Zeitder Obstblüte einenBesuch lohnt.

Von Theresa Horbach

Wenn Roland Robravom Blütenweg aus indie Ebene blickt, dannfragt er sich manch-

mal, wie es wohl vor 100 Jahren dortausgesehen hat. Heute schaut manauf ausgedehnte Siedlungen undgroßflächige Gewerbegebiete. „Aufalten Luftbildern sieht man, dass dieObstwiesen sich früher wie Gürtelum die Orte an der Bergstraße ge-schmiegt haben“, erzählt er. Die be-rühmte Blühende Bergstraße – spä-testens seit den 1960er-Jahren ist siebedroht.

An einem sonnigen Morgen,noch vor den Beschränkungendurch das Kontaktverbot, warte icham Fuß des Wüstenbergwegs inWeinheim auf Roland Robra und

„Bienen und andereInsekten brauchen auch

nach der geballtenObstblüte Nahrung.“

BERNHARD ULLRICH, GESCHÄFTSFÜHRER DESVEREINS „BLÜHENDE BERGSTRASSE“

Nicht immer geht es an der Blühenden Bergstraße um die Blüten. Alswertvoller Lebensraum darf auch Totholz stehen bleiben.

Auf einer Länge von 35 Kilometern führt der Blütenweg zwischenDossenheim und Laudenbach durch eine einzigartige Landschaft.

Trockenmauern bieten sowohl dem Mauerpfeffer als auch Schling-nattern und Eidechsen einen Lebensraum. BILDER: FRITZ KOPETZKY

Honig- und Wildbienen finden an der Berg-straße auch nach der Obstblüte Nahrung.

Oregano, auch Dost genannt, wächst gernean sonnigen Hängen.

Fallen Flächen brach, haben Brombeerran-ken sie schnell im Griff.

Bedrohte Blütenpracht

DAS THEMA 17Samstag11. APRIL 2020

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