Wirtschaftspressekonferenz Chemie-Verbände Baden-Württemberg, Donnerstag, 11. April 2013, Stuttgart
Markus Scheib, Vorsitzender des Arbeitgeberverband Chemie Baden-Württemberg e.V.
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Nachwuchssicherung
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Vorsitzender der Chemie-Arbeitgeber im Land berichte
ich Ihnen zu aktuellen bildungs- und tarifpolitischen Themen
unserer Branche.
Vorweg: zu Tarifverhandlungen gibt es nichts Aktuelles zu
berichten. Wir treffen auf Landesebene zu Verhandlungen
mit der Gewerkschaft erst wieder im Dezember dieses
Jahres zusammen. Dann geht es voraussichtlich vor allem
um die Entgelte in der Branche.
Die chemische Industrie ist wie kaum eine andere Branche
auf eine hochqualifizierte Belegschaft angewiesen.
Deshalb stellt uns die nachlassende Zahl an geeigneten
Bewerbern insbesondere im gewerblich-technischen Bereich
vor eine große Herausforderung. Dies liegt zum einen
natürlich an der demografischen Entwicklung und auch an
der Konkurrenz zu anderen Industrie-Zweigen. Aber auch
die mangelhafte fachliche Qualifikation vieler
Schulabgänger, gerade in den MINT (Mathematik,
Informatik, Naturwissenschaften, Technik)-Fächern, bereitet
uns Schwierigkeiten.
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Markus Scheib
Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Chemie Baden-Württemberg e.V.
Sperrfrist: Donnerstag, 11. April 2013, 11:00 Uhr | Es gilt das gesprochene Wort.
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Wir kooperieren deshalb bereits seit vielen Jahren sehr eng
mit den Schulen im Land und sind in vielen Bereichen
Vorreiter. Die Angebote unserer Mitgliedsunternehmen und
der Chemie-Verbände Baden-Württemberg an Seminaren,
Fortbildungen und Praktika sowie Unterrichtsmaterialien
werden Jahr für Jahr ausgebaut und von den Schulen auch
intensiv genutzt.
Wir engagieren uns in den Arbeitskreisen Schule-Wirtschaft
und unterstützen vor Ort Kooperationen und
Bildungspartnerschaften zwischen einzelnen Schulen und
Chemiebetrieben.
Die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Politik und
Wirtschaft liegt in unserem ureigenen Interesse: Wir
unterstützen. Schulen lernen die Wirtschaft kennen. Die
politische Ebene setzt den Rahmen.
Besonders wichtig ist es vor diesem Hintergrund,
vorhandene Gelder sinnvoll und nachhaltig einzusetzen. Wir
fordern deshalb von der Landesregierung:
- Genügend Mittel für die Aus- und Weiterbildung
von Lehrern im naturwissenschaftlichen Bereich
bereit zu stellen. Dies gilt insbesondere für
entsprechende Fortbildungen an den zuständigen
Landesakademien.
- Die Selbstständigkeit von Schulen finanziell
stärker zu fördern. Hierzu gehören auch endlich
Leistungsanreize über das Besoldungssystem.
Damit ließe sich nicht zuletzt ein wichtiger Beitrag
gegen den Lehrermangel in den
naturwissenschaftlichen Fächern leisten.
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- Ein weiterhin drei gegliedertes Schulsystem,
insbesondere der Erhalt des mittleren
Bildungsabschlusses ist eine wichtige Grundlage
für unsere duale Ausbildung. Die
Gemeinschaftsschule lehnen wir ab. Es ist nicht im
Sinne unserer Branche, die Haupt- und
Realschulen aufzugeben. Das derzeitige System
hat sich hervorragend bewährt. Mit den
Gemeinschaftsschulen dürfte außerdem der
Zulauf an die Gymnasien noch weiter verstärkt
werden. Dadurch sehen wir die Gefahr, dass die
Basis gerade für eine gewerbliche duale
Ausbildung immer mehr wegbricht.
Umso wichtiger wäre es deshalb, dass an den neu
installierten Gemeinschaftsschulen zumindest
Berufsorientierung ernst genommen wird. Dabei
müssten die Themen Berufsorientierung und
Berufsvorbereitung nicht nur an den Übergängen,
sondern durchgängig im Bildungsplan der
Gemeinschaftsschulen verankert werden. In den
einzelnen Fächern und Fächerverbünden wäre
über alle Klassenstufen ein Berufsfeldbezug
herzustellen.
Außerdem fordern wir für diese neue Schulart
einen wachsenden Anteil von Absolventen mit
mittlerem Bildungsabschluss und eine höhere
Anzahl an direkten Übergängen in Ausbildung und
Beschäftigung.
Die Arbeitgeberverbände Baden-Württembergs und die von
ihr getragene Landesarbeitsgemeinschaft Schule-Wirtschaft
bieten zur Umsetzung dieser Forderungen ihre
Unterstützung an.
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Ausbildungstarifvertrag Unsere Branche hat bundesweit große Anstrengungen
unternommen, um die bisher vereinbarten Ziele aus dem
Tarifvertrag „Zukunft durch Ausbildung“ zu erreichen.
Insgesamt wurde von 2003 bis 2012 die tarifliche
Zielvereinbarung von 7 Prozent plus in Baden-Württemberg
mit 12,2 Prozent deutlich übertroffen.
2012 ist das Ausbildungsplatzangebot im Vergleich zum
Vorjahr um 3,9 Prozent auf 1.065 gestiegen.
Bezogen auf alle Ausbildungsjahre werden derzeit 2.971
Jugendliche ausgebildet. Dabei bilden sämtliche
Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten aus.
Positiv ist die Entwicklung auch in Bezug auf die
Ausbildungsquote. Diese konnte in Baden-Württemberg von
3,8 Prozent im Jahr 2003 auf inzwischen 4,5 Prozent
gesteigert werden.
Damit ist 2012 das bundesweit stärkste Ausbildungsjahr der
Chemie-Industrie seit dem Start des Tarifvertrages „Zukunft
durch Ausbildung“ im Jahr 2003.
Mit dieser Entwicklung haben die Sozialpartner in der
chemischen Industrie eine Erfolgsgeschichte geschrieben.
Neben dem Unternehmensinteresse an der Ausbildung
eigener Nachwuchskräfte ist dies auch ein klares
Bekenntnis zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung.
Durch dieses Engagement der Mitgliedsunternehmen, das
zum Teil auch eine Ausbildung über eigenen Bedarf hinaus
bedeutet, sind wir allerdings an einer Kapazitätsgrenze
angelangt. Inzwischen erscheint es uns kaum mehr möglich,
das erreichte Niveau weiter auszubauen.
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Außerdem wird es, ich sagte es bereits, aufgrund der
demografischen Entwicklung immer schwieriger, eine
ausreichende Anzahl an qualifizierten Bewerbungen zu
erhalten.
Bildungsfreistellungsgesetz Zum Themenbereich Bildungspolitik gehe ich auf ein
Vorhaben der neuen Landesregierung ein: die alte
gewerkschaftliche Forderung nach einem
Bildungsfreistellungsgesetz.
Die langjährige Erfahrung mit den Bildungsurlaubsgesetzen
anderer Bundesländer zeigt, dass die mit dem Gesetz
verfolgten Ziele zwar mit hohem Aufwand angestrebt, jedoch
im praktischen Ergebnis verfehlt werden. Die politische
Bildung, die allgemeine Weiterbildung und die berufliche
Bildung sind in den Bundesländern mit
Bildungsurlaubsgesetz in keiner Hinsicht besser als
beispielsweise in Baden-Württemberg. Wir weisen auch
darauf hin, dass unsere Mitgliedsunternehmen der
Fortbildung sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, diese
fördern und zum großen Teil selbst umfangreiche Angebote
unterbreiten.
Bei vielen Firmen betrifft dies nicht nur die berufliche
Fortbildung, sondern auch Angebote der allgemeinen
Weiterbildung.
Wir sehen deshalb keine Notwendigkeit für ein
Bildungsurlaubsgesetz in Baden-Württemberg. Wir sind der
Auffassung, dass eine zusätzliche Kostenbelastung der
Betriebe, die zudem in Klein- und Mittelbetrieben auch
betriebsorganisatorische Schwierigkeiten verursachen wird,
vermieden werden sollte.
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Natürlich verschließen wir unsere Augen nicht vor den
politischen Realitäten und Vorhaben in unserem Land.
Deshalb sind wir trotz unserer grundsätzlichen Auffassung
zum Thema „Bildungsurlaubsgesetz“ für praktikable
Erwägungen gesprächsbereit.
Dabei liegt uns ein Gesichtspunkt besonders am Herzen:
Ein Bildungsurlaubgesetz für Baden-Württemberg muss eine
schwerpunktmäßige Fokussierung auf die berufliche
Weiterbildung erhalten. Mit einem solchen Schwerpunkt
würden wir uns nicht nur von den Bildungsurlaubsgesetzen
der anderen Länder unterscheiden. Wir würden so auch die
Akzeptanz gerade bei den mittelständischen Betrieben und
den Mitarbeitern erhöhen.
Mindestlohn Lassen Sie mich noch auf zwei weitere Themen kurz
eingehen: Mindestlohn und Tarifeinheit.
Am 1. März hat der Bundesrat mehrheitlich ein Gesetz zum
bundesweiten Mindestlohn auf den Weg gebracht. Die
Chemie-Arbeitgeber haben bereits vor Jahren, als das
Thema erstmals in der Diskussion war, sich dagegen
ausgesprochen. Aus guten Gründen halten wir an dieser
Ablehnung fest:
Der Mindestlohn schadet mehr, als er hilft. Wir müssen uns
darauf konzentrieren, die Schwächsten im Arbeitsmarkt zu
integrieren. Dazu gehören Langzeitarbeitslose,
Geringqualifizierte, aber auch Berufsanfänger, die auf einen
funktionierenden Arbeitsmarkt für einfache Tätigkeiten
angewiesen sind. Sie würden Einstiegschancen verlieren,
wenn ein Mindestlohn eingeführt wird.
Außerdem gilt immer noch, dass die Aushandlung von
Entgelten den Tarifparteien überlassen bleiben sollte – das
ist ein erfolgreiches Modell.
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Tarifeinheit Zur Tarifeinheit: da warten wir auf eine – zugesagte –
Entscheidung des Gesetzgebers. 2010 hatte das
Bundesarbeitsgericht den über Jahrzehnte bewährten
Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ ohne Not
aufgegeben. Daraufhin hatten Arbeitgeber und
Gewerkschaften einen gemeinsamen Vorschlag erarbeitet,
um die Tarifeinheit zu erhalten und damit einen wichtigen
Standortvorteil Deutschlands zu sichern: Bei
konkurrierenden Tarifverträgen soll nur derjenige
angewendet werden, an den die Mehrzahl der
Gewerkschaftsmitglieder in einem Betrieb gebunden ist.
Solch ein repräsentativer Tarifvertrag würde die allgemeine
Friedenspflicht über die jeweilige Vertragslaufzeit
garantieren.
Egoistische Spartengewerkschaften, die allein die
Interessen von Funktionseliten vertreten, gefährden die
Balance der verantwortlich handelnden Sozialpartner.
Zwar hat Bundeskanzlerin Angela Merkel 2010 und dann
wieder 2012 geäußert, diese Frage angehen zu wollen.
Leider ist nichts passiert. Trotzdem werden wir als Chemie-
Arbeitgeber hartnäckig bleiben.
Wir appellieren an die Politik, zu ihren Worten zu stehen und
sich für dieses bewährte System einzusetzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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