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REZENSION Z Außen Sicherheitspolit (2014) 7:111–113 DOI 10.1007/s12399-013-0381-9 Online publiziert: 28.11.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Dr. B. Hechelhammer () Forschungs- und Arbeitsgruppe „Geschichte des BND“, Bundesnachrichtendienst, Gardeschützenweg 71–101, 12203 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] Beebe, S., & Kaldor, S. (2012). Unsere beste Waffe ist keine Waffe. Konfliktlösungen für das 21. Jahrhundert. Berlin: Suhrkamp, 251 S., ISBN: 978-3518423363, € 24,95. Bodo Hechelhammer In der vorliegenden Publikation sprechen sich die zwei AutorInnen für einen grundle- genden Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik aus. Sie fordern ein strategisches Umdenken, eine Abkehr von den bisherigen, international dominierenden Sicherheits- strategien, deren alleiniger Fokus auf hochgerüsteten, ultimativen Waffensystemen liegt. Alternativ sollte ein neues, umfassenderes Sicherheitskonzept etabliert werden. Bezo- gen auf die Konflikte und Kriege im 21. Jahrhundert lautet ihre These: Waffen können die heutigen Konflikte nicht lösen, da die konventionellen Arten der Kriegsführung und Lösungskonzepte in allen heutigen Krisengebieten scheitern. Sie versagen, so die Autor Innen, angesichts der aktuellen Herausforderungen im Kampf gegen kriminelle und ter- roristische Organisationen, Warlords oder Überreste staatlicher Sicherheitsstrukturen. Exemplarisch für die Folgen einer falschen Sicherheitsstrategie verweisen sie auf den Kampf gegen al-Qaida. Provokant verkürzt und apodiktisch schlussfolgern sie, dass der Einsatz entsprechender hochmoderner Waffensysteme bei der Jagd nach TerroristenInnen unter Inkaufnahme von Kollateralschäden in der Bevölkerung nur zu einem Ergebnis führt: Wir schaffen mehr TerroristInnen, als wir töten. Die britische Politologin und Friedensforscherin Mary Kaldor ist eine der AutorInnen. Sie, geboren 1946, lehrt als Professorin für global governance an der Londoner School of Economics und ist Direktorin des dort angesiedelten Centre for the Study of Global Governance. Bereits vor 14 Jahren unterschied Kaldor terminologisch zwischen alten und neuen Kriegen und postulierte das Ende konventioneller kriegerischer Auseinander- setzungen, abgelöst durch die Herausforderung zeitgenössischer asymmetrischer Kriegs- führung. Die vorliegende Publikation hat sie gemeinsam mit Shannon D. Beebe, Jahrgang 1968, verfasst, einem ehemaligen Oberstleutnant der US-Army und Militärberater, der 2011 verstarb.

Beebe, S., & Kaldor, S. (2012). Unsere beste Waffe ist keine Waffe. Konfliktlösungen für das 21. Jahrhundert. Berlin: Suhrkamp, 251 S., ISBN: 978-3518423363, € 24,95

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Rezension

z Außen sicherheitspolit (2014) 7:111–113Doi 10.1007/s12399-013-0381-9

Online publiziert: 28.11.2013© springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Dr. B. Hechelhammer ()Forschungs- und Arbeitsgruppe „Geschichte des BnD“, Bundesnachrichtendienst, Gardeschützenweg 71–101, 12203 Berlin, Deutschlande-Mail: [email protected]

Beebe, S., & Kaldor, S. (2012). Unsere beste Waffe ist keine Waffe. Konfliktlösungen für das 21. Jahrhundert. Berlin: Suhrkamp, 251 S., ISBN: 978-3518423363, € 24,95.

Bodo Hechelhammer

in der vorliegenden Publikation sprechen sich die zwei Autorinnen für einen grundle-genden Paradigmenwechsel in der sicherheitspolitik aus. sie fordern ein strategisches Umdenken, eine Abkehr von den bisherigen, international dominierenden sicherheits-strategien, deren alleiniger Fokus auf hochgerüsteten, ultimativen Waffensystemen liegt. Alternativ sollte ein neues, umfassenderes sicherheitskonzept etabliert werden. Bezo-gen auf die Konflikte und Kriege im 21. Jahrhundert lautet ihre These: Waffen können die heutigen Konflikte nicht lösen, da die konventionellen Arten der Kriegsführung und Lösungskonzepte in allen heutigen Krisengebieten scheitern. Sie versagen, so die Autor­innen, angesichts der aktuellen Herausforderungen im Kampf gegen kriminelle und ter-roristische organisationen, Warlords oder Überreste staatlicher sicherheitsstrukturen. exemplarisch für die Folgen einer falschen sicherheitsstrategie verweisen sie auf den Kampf gegen al-Qaida. Provokant verkürzt und apodiktisch schlussfolgern sie, dass der Einsatz entsprechender hochmoderner Waffensysteme bei der Jagd nach TerroristenInnen unter Inkaufnahme von Kollateralschäden in der Bevölkerung nur zu einem Ergebnis führt: Wir schaffen mehr TerroristInnen, als wir töten.

Die britische Politologin und Friedensforscherin Mary Kaldor ist eine der Autorinnen. sie, geboren 1946, lehrt als Professorin für global governance an der Londoner school of economics und ist Direktorin des dort angesiedelten Centre for the study of Global Governance. Bereits vor 14 Jahren unterschied Kaldor terminologisch zwischen alten und neuen Kriegen und postulierte das ende konventioneller kriegerischer Auseinander-setzungen, abgelöst durch die Herausforderung zeitgenössischer asymmetrischer Kriegs-führung. Die vorliegende Publikation hat sie gemeinsam mit Shannon D. Beebe, Jahrgang 1968, verfasst, einem ehemaligen oberstleutnant der Us-Army und Militärberater, der 2011 verstarb.

112 B. Hechelhammer

In ihrer Einleitung erläutern die AutorInnen zunächst definitorisch ihren Gegenent-wurf zu den konventionellen sicherheitsstrategien und führen in ihr Konzept der Mensch-lichen sicherheit ein. Demzufolge ist die alltägliche sicherheit sowohl des individuums als auch der sozialen Gemeinschaft vor ort vorrangig, dagegen die des staates und deren Bedrohungsszenarien bzw. geopolitische Belange nachrangig zu betrachten. ihr Primat zielt auf den schutz des individuums in gewaltsamen Auseinandersetzungen ab und ist primär darauf ausgerichtet, Gewalt durch Maßnahmen gegen ihre Ursachen zu unter-binden: Maßnahmen gegen Armut, Hunger und Krankheit, gegen die Bedrohung durch politische und soziale isolation und Ausgrenzung sowie durch Umweltkatastrophen und physische Gewalt. zur Realisierung ihres strategiekonzeptes negieren die Autorinnen keineswegs die notwendigkeit der militärischen Komponente. Diese sollte ihren Beitrag allerdings nicht in Form eines herkömmlichen Kampfeinsatzes leisten, sondern vor allem als Unterstützung im zivilbereich.

Das zentrum des Konzeptes der Menschlichen sicherheit bilden sechs Prinzipien (s. 21–22), die Kaldor und Beebe in ihrem Buch neben der einleitung in acht weiteren Kapiteln, die jeweils zwischen 10 und 35 seiten umfassen, mit verschiedenen Beispielen ausführlich erläutern. es handelt sich dabei um folgende Richtlinien: 1) Bei dem Primat der Menschenrechte soll künftig nicht der militärische sieg über den Gegner, sondern der Schutz der Zivilbevölkerung oberstes Ziel sein. 2) Es muss ein politischer Raum geschaffen und ein Prozess eingeleitet werden, um eine legitime politische Autorität zu etablieren. 3) Bei dem Bottom-Up-Ansatz fordern die Autorinnen dass die betroffenen Menschen in den Krisengebieten bei den Lösungsstrategien vor Ort verstärkt einbezo-gen werden und die einsatzkräfte sich nicht in geschützte sicherheitsenklaven zurück-ziehen sollen. 4) Um eine entsprechende breite Akzeptanz innerhalb der einheimischen Bevölkerung zu erreichen, bedarf es eines effektiven Multilateralismus, gestützt auf einen legitimen, im einklang mit internationalem Recht stehenden Auftrag. 5) Da Krisen meist transnational und unabhängig von Grenzen verlaufen, müssen Lösungsansätze ebenso verlaufen. 6) Kaldor und Beebe sprechen abschließend dem Militär den Führungsan-spruch bei Humansicherheitsoperationen ab, welche zudem weniger als Kampfeinsatz und vielmehr als Polizeiarbeit definiert werden sollen. Eine zivile Entscheidungsebene, eingebunden in lokalen Begebenheiten, wäre besser geeignet, da das entsandte Militär meist nationalen interessen folgen würde.

in ihrer Analyse beschreiben Beebe und Kaldor zwar richtig einzelne taktische Fehler, etwa wenn westliche staaten allein in die entwicklung von hochmodernen Waffensys-temen investieren, die dann für die heutigen Krisenregionen ungeeignet sind. Das Kon-zept der Menschlichen sicherheit überzeugt jedoch vom Grundsatz her nicht. Andere sichtweisen und Debatten werden nicht konsequent diskutiert. zu stark wird die norma-tive Kraft des Faktischen weggeblendet, zu unausgewogen letztendlich alleine auf die Prämisse fokussiert, dass staaten federführend weiterhin Kriege politisch instrumenta-lisieren, ungeachtet der voranschreitenden Entstaatlichung von Konflikten. Doch wenn Staaten zunehmend ihre dominante Rolle in Konflikten verlieren, wer soll dann auf über­ geordnete humanistische Prinzipien verpflichtet werden? Denn leider treten in den Kri-senregionen meist vielfältige Akteure, ethnische, religiöse, politische oder kriminelle Gruppen und Gruppierungen mit entgegengesetzten interessenslagen auf vielschichtigen Politikebenen auf, die kaum auf einen gemeinsamen Nenner langfristig verpflichtet wer-

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den können. Auch scheint langfristig betrachtet die alleinige Ausrichtung auf die asym-metrische Kriegsführung als einziges strukturelles Konfliktelement und die Ausblendung konventioneller Kriegsführung zu kurz gedacht. insgesamt ist die vorliegende studie für den interessierten Laien lesenswert und regt durchaus zum kritischen nachdenken, wenn auch nicht zum Umdenken an. eine Umsetzung des vorgestellten sicherheitskonzeptes als ernstzunehmende Alternative erscheint nicht realistisch. Vielmehr sollte der Ansatz der Autorinnen als utopisch-positivistischer Apell verstanden werden.