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    Jörgen SchäferDada Köln

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    Jörgen Schäfer

    Dada KölnMax Emst, Hans Arp, Johannes heodorBaargeld und ihre literarischen Zeitschriften

    1[)fl1:\r7DeutscherUniversitätsVerlagGABLER'VIEWEG-WESTDEUTSCHERVERLAG

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    Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme

    Schäfer Jörgen:Dada Köln : Max Ernst, Hans Arp, Johannes Teodor Baargeldund ihre literatischen Zeitschriften / Jörgen Schäfer. -Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl., 1993

    (DUV : literaturwissenschaft)

    Der Deutsche Universitäts-Verlag istein Unternehmen derVerlagsgruppe Bertelsmann International.

    © Deutscher Universitäts-Verlag GmbH, Wiesbaden 1993Softcover reprint01 the hardcover 1st edition 1993

    Das Werk einschließlich aller seiner Teileist urheberrechtlich ge-schützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Ur-heberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässigund strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungenund die Einspeicherung und Ver-arbeitung in elektronischen Systemen.

    Gedruckt auf chlorarm gebleichtemund säurefreiem Papier

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    Inhalt

    Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

    ..Dada war kein RüpelspieI«:Aspekte einer Poetik desDadaismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

    Dada vor Dada:Prä-dadaistische Aktivitätenin Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Vom Ersten Weltkrieg zur Weimarer Republik:Zur politischen Krisenkonstellation 1918-1921. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Der Ventilator (Februar/März 1919). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42Der Ventilator als wichtigste Station der Formierung der Dada-Gruppe... 42Zur Parallelität von künstlerischem und politischem Protest. . . . . . . . . . . . . . . . 48

    Die Begegnung von Max Ernst und Alfred F. Gruenwaldund die Gründung derGesellschaft der Künste(Winter 1918/19). . . . . . . . . . 54Die Störung einer expressionistischenLesung (6. Februar 1919) und der ,.Theaterputsch« (4. März 1919)....... 58

    Der dadaistische Impuls:Die Initiation der Kölner Dada-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Der Aufenthalt von Max Ernstund Alfred F. Gruenwald in München (September 1919). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Die Ausstellung derGruppe D und die Sezessionder Dadaisten von derGesellschaft der Künste(November 1919). . . . . . . . . . 71

    Das Bulletin D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81,.Am Unterleib der Gesellschaft wächst die Kunst«:Dadaistische Polemik gegen tradierte Kunstrichtungen imBulletinD ..... 81Otto Freundlichs radikale Sozialkritikin ,.Die Lach-Rackete«. . . . . . . . . . . . . 103

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    6 Inhalt

    die schammade.................................................................... 113Die Entstehung derschammade (April 1920). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Hans Arps ,.aus dem >cacadousuperieur

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    Einleitung

    Mais qu'cst-cc qu'ils ont donc tous vouloir fairedc Dada un objct dc Musec? Dada etait unebombe, ajoute-t-il. Pcut-on imaginer quelqu'un,pres d'un apres I'explosion d'unebombe, qui s'cmploierait en recueillir les eclats,

    les coller cnsemble et les montrer? [.. ] Quesauront-ill de plus?On va leur montrcr des objets,dCI collagei. Par ccla OOUIexprimions notrc de-goOt,notrc indignation, notrc revolte. Euxn'y ver-ront qu'une phase, une ,.etapc«, commeila discnt,de I',.histoirc dc I'art«; cxactementle contrairc dece que voulait Dada.Et I'on voudrait que j'6crive

    (Tres sec:) Je nc suis pas historienMax Ernst (1958)

    Bislang wird DADA KÖLN - von einigen Ausnahmen abgesehen -im we-sentlichen als frühe Schaffensperiode von Max Ernst thematisiert. Sicher istes zutreffend, daß Max Ernsts Werk, das sichin den Kölner Dada-Jahrenvon 1919 bis 1922 entscheidend entwickelt hat, die bildkünstlerischen Oeu-vres seiner dadaistischen ,.Mitstreiter«in seiner kunsthistorischen Bedeutungübersteigt, doch erscheint diese extreme Prädominanz Ernsts erstim Rück-blick auf dessen Gesamtwerk gerechtfertigt, der die Arbeiten seiner Dada-Phase gleich doppelt unterschätzt. Denn weder erscheint es angebracht,Ernsts Dada-Arbeiten lediglich als Prolog zu seinem surrealistischen Oeuvreanzusehen noch ergibt sich aus der kunsthistorischen Bedeutung von ErnstsGesamtwerk zwangsläufig die Unterordnung der Dada-Arbeiten Hans Arpsoder Johannes Theodor Baargelds.

    Vor allem dann, wenn manDADA KÖLN als Gruppenphlinomen be-trachtet, muß dieses allzu eingeschränkte Urteil revidiert werden.Denn zu-mindest Hans Arp und Johannes Theodor Baargeld sowie mit Einschrän-kungen auch Heinrich und Angelika Hoerle sind in der nicht hierarchisch

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    8 Einleitung

    strukturierten Gruppe als gleichberechtigte Mitglieder anzusehen.1 Die Re-lativierung der Führungsrolle Max Ernsts wirdim folgenden an mehrerenBeispielenzu belegen sein: etwaan der besonderen Rolle Hans Arps, der -nur sporadischin Köln anwesend - von Zürich aus wichtige Impulse zur In-itiation einer Dada-Gruppein Köln gab; an Johannes Theodor Baargeldsparalleler Entwicklung eines eigenständigen literarischen und bildkünstleri-schen Oeuvres sowie dessen Funktion als Finanzier und Organisator vondadaistischen Aktivitäten oderan Heinrich Hoerles Rolle als Verleger derschammade, der wichtigstender Kälner Dada-Zeitschriften.

    Aus dieser Aufwertungvon Arp, Baargeld und den Hoerles ergeben sichweitere Korrekturen der bisherigen Forschung zu DADA KÖLN,das - an-ders als DADA ZÜRICH und DADA PARIS - in erster Linie alsbild-kanstlerisch orientierte Dada-Gruppe gilt. Dies ist grundsätzlich sicherlichrichtig, denn Max Ernst, Angelika und Heinrich Hoerle sowie die zeitweisein engem Kontakt zur Dada-Gruppe stehenden Willy Fick, Otto Freundlich,Anton Räderscheidtund Franz W. Seiwert arbeiteten primär als bildendeKünstler. Hingegen läßt sichin den Oeuvres von Hans Arp und JohannesTheodor Baargeld kein ähnlicher Vorrang der bildkünstlerischen Arbeitenbeobachten.

    Es gilt zu berücksichtigen,daß die Kölner Dadaisten neben den beidenspektakulären Ausstellungenim November 1919 undim April 1920vor al-lem mit den beiden ZeitschriftenBulletin D und die schammade, d.h. mitliterarischen Manifestationen,an die Öffentlichkeit traten.In diesen Publi-kationen entwickelten Johannes Theodor Baargeld, Max Ernst und HeinrichHoerle - angeregt durch Hans Arp, der sich lediglich mit Texten beteiligte,die er bereits zuvorin Zürich geschrieben hatte, sowie die Pariser Dadaistenum Tristan Tzara und Andre Breton - zwar schmale, aber dennoch eigen-ständige literarische Oeuvres.

    Die Untersuchungder literarischen Aspekte, die in den genannten Zeit-

    schriften zu beobachten sind, stellt jedochnur eine Seite der vorliegendenArbeit dar. Die Textanalysen sind ,.eingebettetein eine Rekonstruktion derGeschichte von DADA KÖLN. Max Ernsts Diktum,das dieser Arbeit alsMotto vorangestellt ist, müßte es zwar eigentlich verbieten, sich ausführlichmit Dada als literatur- und kunstwissenschaftlichem Phänomen zu befassen.

    Wenn Angelika Hoerles Rolle auch in der vorliegenden Arbeit nicht hinreichend gewür-digt wird, 80 hängt dies damit zusammen,daß sie - anders als Arp, Baargeld, Ernst undHeinrich Hoerle - keineUU rarischm Arbeiten vorgelegt hat. - Zu Angelika Hoerle vgl.

    Wulf Henogenrath: ,.Angelika Hoerle. Biographie«.In: Dirk Backes (Hrsg.), HeinrichHoerle. Leben und Werk 1895-1936. Köln: Rheinland 1981, S. 298-306.

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    Einleitung 9

    Vor allem der Versuch, in positivistischer Recherche aus zahlreichen De-tails, gleichsam aus den Splittern der dadaistischen ,.Bombe«, dieGeschichte Dadas zu rekonstruieren, d.h. es als eigenständiges historischesPhänomen zu betrachten, hätte sicherlichdas Mißtrauen Ernsts erweckt.Doch findet sich in Ernsts Äußerung, dieer anläßlich der erstenumfassenden Dada-Ausstellung in Deutschland machte, auch eineAnregung, diesen Versuch dennoch zu unternehmen.Er begründet dieInitiation der diversen Dada-Bewegungen mit dem Mißfallen einerGeneration junger Künstler und Autoren (,.notre degout, notre indignation,notre revolte«), die - aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt - gegen dietradierten bürgerlichen Wertvorstellungen und ästhetischen Programmeradikal revoltierten. Damit bestätigt Ernst die herausragende Rolle, dieDada im Kontext der in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhundertsvirulenten Versuche der historischen Avantgardebewegungen, diekunsthistorische Tradition zu konterkarieren, gespielt hat.

    Der übergroße Schatten, den die Sekundärliteratur zu Max Ernst aufdessen Dada-Getährten wirft, hat verhindert,daß DADA KÖLN in ver-gleichbarer Weise wie die Dada-Aktivitäten in Zürich, Berlin oder Paris alsManifestationen einer Gruppe angesehen werden. Dies läßt sich durch einenBlick auf die Forschungsgeschichte erklären. Die wichtigste Quelle aller

    Rekonstruktionsversuche der Kölner Ereignisse sind bis heute Max Ernsts,.Biographische Notizen«, deren Untertitel ,.Wahrheitsgewebe und Lügen-gewebe« jedoch bereits auf ihre eingeschränkte Verläßlichkeit als objektiveQuelle hinweist.2 Ähnliche autobiographische Zeugnisse der anderen Betei-ligten liegen nicht vor. Lediglich den Erinnerungen des anfangs in Kontaktzu den Dadaisten stehenden Franz W. Seiwert lassen sich einige Informa-tionen entnehmen.3

    Erst in den siebziger und achtziger Jahren erschienen einige Arbeiten,die sich auf zahlreiche zuvor unveröffentlichte Archivalien sowie auf zeit-

    2 Max Ernst: ..Biographische Notizen (Wahrheitsgewebe und Lügengewebe}«.In: WernerSpies (Hrsg.), Max Ernst. Retrospektive 1979. München: Prestel 1979, S. 121-202. -Max Ernst hat seine..Biographischen Notizen«, ein Konglomerat aus Erinnerungen, Re-flexionen und Legenden immer wieder überarbeitet. Die erste Fassung wurdeim Katalogzur Max-Ernst-Ausstellungim Wallraf-Richartz-Museum Köln undim Kunsthaus Zürich1962/63 publiziert [Helmut R. Leppien (Bearb.):Max Emst. Köln 1962). Die in der fran-zösischen Ausgabe seiner Schriften vorgelegte Version führt den Bericht bis 1969 fortund ergänzt darüber hinaus die vorhergehenden Passagen (Max Ernst:Ecritures. Paris:Gallimard 1970). In die angegebene Fassung, dieim wesentlichen der französischenfolgt, hat Werner Spies weitere Ergänzungen Max Ernsts eingearbeitet.

    3 Franz W. Seiwert:..hoerle und ich« (1930). In: Uli Bohnen (Hrsg.), Franz W. Seiwert,1894-1933. Leben und Werk. Köln: Kölnischer Kunstverein 1978, S. 229.

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    10 Einleitung

    genössische Pressekritiken stützten. Zuerst sind in diesem ZusammenhangWerner Spies' voluminöse MonographieMax Ernst - Collagen sowie derunter der Leitung von Spies erarbeiteteOeuvre-Katalog zu nennen.4 Mitdiesen Arbeiten gelang es Spies, aus Ernsts Dada-Arbeitendas Verfahrender Collage alsdas begründende Prinzip für dessen Gesamtwerk herauszu-arbeiten und damit die kurze Dada-Phase aufzuwerten. Außerdem veröf-fentlichte Spies im Anhang die Briefe von Max Ernst an Tristan Tzara so-wie eine Sammlung von zeitgenössischen Pressekritikenzu den Aktivitätender Kötner Dadaisten und schuf somit eine entscheidende Materialbasis fürdie Rekonstruktion der dortigen Dada-Ereignisse.

    Freilich erhob Spies' Monographie ebensowenig wie die von JürgenPech in den achtziger Jahren im Max-Ernst-Kabinett der Stadt Brühl her-ausgegebenen KatalogeSden Anspruch, die Fixierung auf Max Ernst zuüberwinden. Dies gelang durch die akribischen Recherchen des Rund-funkjournalisten Walter Vitt zur Person von Alfred F. Gruenwald alias Jo-hannes Theodor Baargeld sowie durch mehrere Ausstellungsprojekte desKölnischen Kunstvereins, welche die lokale Avantgarde der zwanziger Jahrein den Blick nahmen.

    So veranstaltete der Kölnische Kunstverein 1975 die AusstellungVonDadamax zum Grangartei. Köln in den 20er Jahren.6 Der Katalog zur Aus-stellung bot erstmals einen umfassenden Überblick über die wesentlichenAspekte des kulturellen Lebens im Köln der zwanziger Jahre. Im Kapitel,.Dada in Köln« finden sich neben Reprints desBulletin D und desKataloges zur AusstellungDada-Vorfrahling auch zwei Aufsätze zumThema. Während es sich jedoch beim ersten lediglich um den Nachdruckeiniger Passagen aus Werner Spies' Max-Ernst-Monographie handelt,

    4 Werner Spiel:Nm: Ernst - Collagen. Inventar und Widerspruch. Köln: DuMont Schau-berg 1974. - Die beidenenten Binde deI Oeuvre-KaUllogs beinhalten die Dada-Arbeitenvon Max Ernst: WernerSpiel ' Helmut R. Leppien (unter Mitarbeit von Winfried Kon-nertz, Hans Bolliger und Inge Bodeaohn):Nm: Ernst: Oeuvre-KaUllog, Bd. I: Das gra-phische Werk. Houston: Menil Foundation; Köln: DuMont Schauberg 1975.Im folgen-den zit. Spie. , Leppien. - Werner Spiel , Günler Metlcen , Sigrid Metlcen:Nm: Ernst:Oeuvre-KaUIlog, Bd. 11: 1906-1924. Houston: Menil Foundation; Köln: DuMont Schau-berg 1975. Im folgenden zit.Spiel ' Metlcen.

    5 Jürgen Pech (Bearb.):Nm: Ernst vor Nm: Ernst 1891-1914. Brühl: Stadt Brühl 1981. -den.: dodomax 1919-1921. Brühl: Stadt Brühl 1982. -den.: Nm: Ernst - Paul Eluard1921-1924. Brühl: Stadt Brühl 1982. -den.: Nm: Ernst: Au rmde%-vous des amis.Brühl:Stadt Brühl 1983. - den.: Nm: Ernst. Fotografische Porfrllts und Do1aunmte. Brühl:Stadt Brühl 1991.

    6 Wulf Herzogennth , Werner Lippert (Bearb.):Von Dadamm: zum GrüngQnel. Kölninden 20er Jahren. Köln: Kölnischer Kunstverein 1975.

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    Einleitung 11

    enthält der Beitrag von Werner Lippert, dem offensichtlich keine eigenenRecherchen zugrunde liegen, zahlreiche fehlerhafte Angaben.7

    Den entscheidenden Durchbruch brachte die AusstellungMax Ernst inKöln.8 In einer beeindruckenden Materialfülle wurde - ausgehend von MaxErnst - versucht, die Konturen der rheinischen Kunstszene der frühen zwan-ziger Jahre darzustellen. So faßte Walter Vitt in einem Aufsatz die bis datozu DADA KÖLN bekannten Daten und Fakten in einem ersten ereignisge-schichtlichen Überblick zusammen.9 Eine umfassende Chronologie der kul-turellen Ereignisse in Köln zwischen 1910 und 1922 sowie zwei Aufsätzezur Vorgeschichte Dadas ermöglichten die kunsthistorische Beurteilung ineinem umfassenderen Kontext.10

    Auch das literaturwissenschaftliche Interesse an DADA KÖLN wurdedurch den Ausstellungskatalog angeregt. Hans-Jürgen Raap analysierteerstmals die literarischen Arbeiten von Max Ernst, Ursula Dustmann prä-sentierte einen Überblick über die lokalen Zeitschriften und Verlage fürzeitgenössische Kunst und Literatur und schließlich machte der Katalog inReprints die schammade sowie Dada au grand air - Der Siingerkrieg in TI-rol zugänglich.11

    Außerdem wurde das Augenmerk in dieser Ausstellung auchauf die vonder Forschung zuvor vernachlässigten HansAlp und Johannes TheodorBaargeld sowie die ,.Randfiguren« Heinrich Hoerle, Angelika Hoerle, LuiseStraus-ErnstI2, Franz W. Seiwert und Otto Freundlich gerichtet. StefaniePoley stellte die Freundschaft zwischen Max Ernst und Hans Arp dar und

    7 Werner Lippert: ,.Und noch mehr Dada.••W/3 und Stupid«. In: Wulf Herzogenrath /Werner Lippert (Bearb.), Von Dadamax zum GlÜngürtel, a.a.O., S. 34-36.

    8 Wulf Herzogenrath (Hrsg.):Max Ernst in KlJIn. Die meinische Kunstsune bis 1922.Köln: Rheinland 1980.

    9 Walter Vitt: ,.Dada-Köln - Daten und Fakten«.In: Wulf HelZogenrath (Hrsg.), Max Ernst

    in Köln, a.a.O., S. 150-177.10 Elke Ostländer / Dirk Teuber (unter Mitarbeit von Eva Bürgermeister, Elli Dahmen undAndrea. Stürmer): ,.Zur Kultur in Köln 1910-1922. Kunstereignisse und chronologischeDaten zu Max Ernst«.In: WulfHerzogenrath (Hrsg.), Max Ernstin Köln, a.a.O., S. 17-38. - Joachim Heusinger von Waldegg: ,.Max Ernst und die rheinische Kunstszene 1909-1919«. Ebd., S. 89-106. - Uli Bohnen / Dirk Backes (unter Mitarbeit vonA1exandraGross): ,.Max Ernst und die Kölner Szene 1917-1920... Ebd., S. 131-147.

    11 Hans-Jürgen Raap: ,.Sprache und Dichtung bei Max Ernst«. In: Wulf Herzogenrath(Hrsg.), Max Ernst in Köln, a.a.O., S. 78-83. - Ursula Dustmann: ,.Die Kölner Zeit-schriften und Verlage für aktuelle Kunst und Literatur«. Ebd., S. 114-125.

    12 Susannc Liesenfeld: ,.Luise Straus-Ernst - Erste Skizzenzu einer Biographie«. In: WulfHerzogenrath (Hrsg.), Max Ernst in Köln, a.a.O., S. 287-291. - Außerdem wurden ei-

    nige Passagen aus Luise Straus-Emsts unveröffentlichten MemoirenNomadengut abge-druckt.

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    12 Einleitung

    betonte Arps Einfluß auf Ernstl3 , während Walter Vitt weitere Angabenzum Leben von Johannes Theodor Baargeld machte.14

    Damit setzte Vitt seine 1977 begonnenen Forschungen zu Baargeld fort.In seinem BuchAuf der Suche nach der Biographie des Kölner DadaistenJohannes Theodor Baargeld war es ihm gelungen, zahlreiche Details zuBaargelds ,.verschütteter Biographie« (Walter Vitt) zusammenzutragen unddamit einen ,.weißen Fleck« der Kunstgeschichte zu füllen.ls Vitts Recher-chen weckten auchdas kunst- und literaturhistorische Interesse an Baargeld.Beschränkte sich Vitts erstes Baargeld-Buch noch weitgehend auf die Re-konstruktion von Baargelds Biographie und der politischen Aktivitäten inder USPD, so rückten im SammelbandBagage de Baargeld die Analyseseines Werkes und seiner nach-dadaistischen Aktivitäten ins Blickfeld.16 Sobefaßte sich Astrit Schmidt-Burkhardt mit Baargelds Photomontage,.Typische Vertikalklitterung als Darstellung des Dada Baargeld«, und KarlRiha unterzog in einem kurzen Aufsatz erstmals Baargelds dadaistische Ge-dichte einer literaturwissenschaftlichen Analyse.17

    Walter Vitt ist es darüber hinauszu verdanken, daß die kunsthistorischeForschung zu Heinrich Hoerle und FranzW. Seiwert angeregt wurde.Schon 1975 legteer seine BroschüreHeinrich Hoerle und Franz WilhelmSeiwert vor, der einige Jahre später zwei umfassende Retrospektiven mitmaterialreichen Katalogen zu beiden Künstlern folgten.18

    13 Stefanie Poley: ,.Max Ernst und HansArp 1914-1921•. In: Wulf Herzogenrath (Hrsg.),Max Ernst in Köln, a.a.O., S. 179-196.

    14 Walter Vitt: ,.Als Baargeld sich Jesaias nsnnte•. In: Wulf Herzogenrath (Hrsg.) , MaxErnst in Köln, a.a.O., S. 278-286.

    15 Walter Vitt: Aufder Suche nach der Biographie des Kölner Dadaisten Johannes Theador1laargeld. Starnberg: Keller 1977.

    16 Walter Vitt (Hrsg.): Bagage de Baargeld. Neues aber den Zentrodada aus Köln. Stsrn-berg: Keller 1985.

    17 ,.Typische Vertikallditterung als Darstellung des Dada Baargeld«, Collage aus Photogra-

    phie und Druckelementen auf Papier, 1920, 37,1 x31 cm. - Astrit Schmidt-Burkhardt:,.Variatio delcctat. Über Metamorphosendarstellungen beim dadaistischen Portrait".In:Walter Vitt (Hrsg.), Bagage de Baargeld, a.a.O., S. 94-106. - Schmidt-Burkhardt hat sichseitdem wiederholt mit Baargelds Oeuvre auseinsndergesetzt:A. E. F. Gruenwald alias»Dada-Baargeld«, 2 Bde. Magisterarbeit, Berlin 1985. - ,.Baargeld illustriertApollinsire«. In: Kritische Berichte15 (1987), H. 3-4, S. 62-65. -KarlRiha: ,.,Ich habekein Kiasen für meine UrneLegen Sie Ihr Geld in dadaan < oder: Wie geht man mit Baargeldum?. Vortrag,gehaltenauf dem SymposionDADAK6LN in Siegen, 12.12.1992.

    18 Walter Vitt: Heinrich Hoerle und Franz Wilhelm Seiwen. Die Progressiven.Köln: Nach-richtensmt der Stadt Köln 1975. - Uli Bohnen (Mrsg.):Franz W. Seiwen. 1894-1933. Le-

    ben und Werk. Köln: Kölnischer Kunstverein 1978. - Dirk Backes (Mrsg.):Heinrich Ho-erle. Leben und Werk1895-1936,a.a.O.

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    Einleitung 13

    Bereits 1978 war anläßlich der Londoner AusstellungDada and Sur-realism Reviewedein von Dawn Ades bearbeiteter Katalog publiziert wor-den, der sämtliche Dada-Zentren im Spiegel ihrer Zeitschriften betrachtethatte. Dabei war auch demVentilator, dem Bulletin D und derschammadeein Kapitel gewidmet worden.19

    Weitere Informationen zur Geschichte DADA KÖLNs förderten dieForschungen von Dirk Teuber und Angelika Littlefieldzu Willy Fick, demBruder Angelika Hoerles, zutage.Auf Materialien der Fick-Eggert-Collec-tion im kanadischen Whitby sowie persönlichen Erinnerungen Ficks beru-hend, konnten vor allem einige zuvor unbekannte Details zur AusstellungDada-Voifriihling ergänzt werden.20

    Das Ende von DADA KÖLN war lange besonders unscharf geblieben.Dies änderte sich mit der Publikation von Raoul SchrottsDada 21/22. Mu-sikalische Fischsuppe mit Reiseeindracken,einer exzellenten Dokumenta-tion der Dada-Treffenim tirolischen Tarrenz, die nicht nur das Ende vonDADA KÖLN, sondern vielmehr das Ende Dadas schlechthin einläuteten.Mit Schrotts materialreichem Buch wurde die Leerstelle geschlossen, dieder Übergang von Dada zum Surrealismus in der Forschung zuvor darge-stellt hatte.21

    Im Rahmen seiner Untersuchung zur Rolle der bildenden Kunstim Sur-

    realismus hat Andreas Vowinckel die Vorläuferfunktion der Kölner Dada-isten - allen voran Max Ernst - betont und der DarstellungDADA KÖLNsdaher vergleichsweise breiten Raum eingeräumt. Zwar hat Vowinckel keinenennenswerten neuen Dokumente vorgelegt, doch hater in wichtigenTeilfragen - etwa der Bedeutung von Johannes Theodor Baargeld - auf-schlußreiche Neubewertungen vorgenommen.22

    Eine weitere wichtige Ausstellung zu unserem Thema fand 1991imKölner Museum Ludwig unter dem TitelMax Ernst. Das Rendezvous der

    19 Dawn Ades: Dada and Surrealism Reviewed. 1.ondon: Arts Councilof Great Britain1978.

    20 Dirk Teuber: ,.Willy Fick und seine Freunde - Ein Beitrag zur Kölner Kunstgeschichteder zwanziger Jahre«.In: Wulf HerzogenrathI Dirk Teuber (unter Mitarbeit von Ange-lika Littlefield), Willy Fick - ein Kölner Maler der zwanziger Jahre wiederentdeckt. Köln:Wienand 1986, S. 15-93. - Angelika Linlefield (Hrsg.):1he Dada Period in Cologne.SelectionsJrom the Fick-Eggert-Collection. Toronto: Art Gallery ofOntario 1988.

    21 Raoul Schrott: Dada 21/22. Musikalische Fischsuppe mit Reiseeindrilcken. Eine Doku-mentation aber die beiden Dadajahre in 7irol. Innsbruck: Haymon 1988.

    22 Andres. Vowinckel: Surrealismus und Kunst. Studien zu 1deengeschichteund Bedeu-tungswandel des Surrealismus vor Grilndung der surrealistischen Bewegung und zu Be-griff. Methode und Ikonogrophie des Surrealismus in der Kunst 1919 bis 1925. Hildes-heim, Zürich,NewYork: Olms 1989. (.Studien zur Kunstgeschichte., Bd. 44).

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    Freunde statt.23 Ausgehend von Max Ernsts Gemälde ,.Au rendez-vous desamis«24,wurde hier der Versuch unternommen, den Übergang von Dadazum Surrealismus als ,.Monographie eines einzelnen Bildes« (Evelyn Weiss)zu beschreiben. Von den Katalogbeiträgen hat vor allem Ludger DerenthalsAufsatz zur ersten Max-Ernst-Ausstellung in Paris 1921 wichtige Ergän-zungen zum Forschungsstand beisteuern können.25

    Nach dem Abschluß der Arbeit an diesem Buch sind zwei weitere ex-zellente Monographien zu Max Ernst erschienen: Ludger Derenthai undJürgen Pech bieten einen umfassenden Überblick über Ernsts Gesamtwerk,während sich William A. Camfield in der zur AusstellungMax Ernst. Dadaand the Dawn 0/ Surrealism erschienenen Monographie detailliert mit demFrühwerk befaßt.26

    Auch die von Raoul Schrott eingeleiteten Recherchen zu den Dada-Tref-fen in Tirol sindin einem Sammelband fortgesetzt worden.27

    Wie eingangs erwähnt, wird im folgenden zweierlei versucht: Zumeinen soll die Geschichte von DADA KÖLN alsGruppenphänomen rekon-struiert werden, zum anderen werden die literarischen Arbeiten von HansArp, Johannes Theodor Baargeld, Max Ernst,OUoFreundlich und HeinrichHoerle untersucht.

    Unser kurzer Forschungsbericht hat gezeigt,daß bislang mit den Arbei-ten von Raap und Riha nur zwei Aufsätze vorliegen, die sich mit den litera-rischen Aspekten DADA KÖLNs befassen. Eine Einschränkung bleibtje-

    23 Ludger Derenthai Alfred M.Fischer Gerhard Kolberg Evelyn Weiss (Hrsg.):MaxEmst. Das Rendezvousder Freunde. Köln: Museum Ludwig 1991.

    24 ,.Au rendez-vous des amis« (Spies MelkenSOS),Öl auf Leinwand, 1922, 130 x 195 cm.- Vgl. dazu auch Gerd Bauer: ,.Max Ernsts Gemälde>Au Rendez-vous des Amis

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    Einleitung 15

    doch ZU ergänzen: Das literarische Werk von HansArp ist vergleichsweisegut erforscht. Neben zahlreichen Aufsätzen liegen zwei umfangreiche Ar-beiten vor. Reinhard Döhl hat bereits 1967 eine erste monographische Ar-beit vorgelegt, und HarriettAnnWatts hat Arp ins Zentrum ihrer Studie zurBedeutung des Zufalls in dadaistischen Texten gestellt.28 Allerdings gehenbeide Autoren nichtauf die Texte ein, dieArp zur schammade beigesteuerthat.

    In unseren Analysen werden wir uns nicht mit sämtlichen bekanntenDichtungen der Kölner Dadaisten befassen, sondern lediglich mit jenen, diein den Kölner Dada-Zeitschriften publiziert worden sind. Damit bleibenweitere Texte Baargelds - wie z.B. die Beiträge zu Tristan Tzaras geplan-tem Dadaglobe -, die Veröffentlichungen von Max Ernst in diversen Zeit-schriften der Pariser Dadaisten oder die zahlreichen verstreuten Publikatio-nen von Hans Arp unberücksichtigt. Auch die »Gastbeiträge« von LouisAragon, Andre Breton, Paul Eluard, Richard Huelsenbeck, Francis Picabia,Georges Ribemont-Dessaignes, Walter Serner, Philippe Soupault und Tri-stan Tzara werden nicht untersucht. Freilich sollen die zahlreichen Interde-pendenzen zwischen den diversen Dada-Zentren dadurch nicht ausgeblendetwerden, doch geht es uns in den Textanalysen darum, die vernachlässigteliterarische Seite DADAK(JLNszu profilieren.

    Während die Untersuchung der Beiträge zumBulletin D primär denAspekt der dadaistischen Kritik an Expressionismus und Kubismus, die inihnen zum Ausdruck kommt, nachzeichnet sowie sich mit Otto Freundlichsstärker sozialpolitisch engagiertem Beitrag befaßt, rücken in der Analyseder schammade, die im Zentrum des literaturwissenschaftlichen Teils derArbeit steht, die ästhetischen und poetologischen Implikationen in den Mit-telpunkt.

    Diese literaturwissenschaftlichen Passagen sind in die Darstellung vonDADA KÖLN als historischem Phänomen integriert. Dabei werden wir

    zunächst in der Vorgeschichte die politischen, besonders die lokalen Bedin-gungen für die Dada-Initiation in Köln zu beschreiben versuchen. Nach ei-ner einführenden Skizze zur politischen Krisenkonstellation der Nach-kriegsphase wird die politisch-satirische ZeitschriftDer Ventilator zu unter-suchen sein, in deren Redaktion AlfredF. Gruenwald, Max Ernst, OttoFreundlich, Heinrich Hoerle und Franz W. Seiwert erstmals zusammenar-beiteten. Es überrascht, daß sich die Kölner Dadaisten, deren Dada-Aktio-

    28 Reinhard Döhl: Das literarische Werk Hans Arps 1903-1930. Zur poetischen Vorstel-lungsweIl des Dadaismus. Stungart: Metzler 1967. -Hamen Ann WaUS: CHANCE. APerspective on Dada. Ann Arbor: UMI Research Press 1980.

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    16 Einleitung

    nen weitgehend unpolitisch blieben, in der Redaktion einerpolitischen Zeit-schrift zusammenfanden. In einem Exkurs zur Parallelität von künstleri-schem und politischem Protest wird daher eine Verknüpfung desVentilatormit den späteren dadaistischen Manifestationen versucht.

    Anschließend werden die entscheidenden Stationen der Dada-Initiationnachgezeichnet. Während eines Aufenthaltes in München erhielten AlfredF. Gruenwald und Max Ernst erste Informationen über die Zürcher Dada-Aktivitäten. Daraufhin nutzten sie die Herbstausstellung im KölnischenKunstverein zur Sezession von derGesellschaft der KUnsteund der Etablie-rung der KölnerDada-Zentrale W/5.29 Zur Ausstellung erschiendas bereitserwähnte Bulletin D, die erste Zeitschrift DADA KÖLNs. Die beiden.Höhepunkte« der Kölner Dada-Geschichte bedeuteten die Publikation derschammadesowie die AusstellungDada-VoifrUhling im Brauhaus Winter.

    Mit dieser Ausstellung endete die Geschichte von DADA KÖLN als öf-fentlich wahrnehmbarem Gruppenphänomen. Gleichwohl setzten MaxErnst, Hans Arp und Johannes Theodor Baargeld ihre Dada-Produktionfort. Hingegen schlossen sich Angelika und Heinrich Hoerle endgültig derGruppestupid an, die sich inzwischen um Franz W. Seiwert und Anton Rä-derscheidt formiert hatte. Max Ernst bemühte sich fortan, seine Kontakte zuden Pariser Dadaisten zu intensivieren. Infolgedessen kam es im Mai 1921zu seiner ersten Einzelausstellung in Paris und schließlich - nach der per-sönlichen Begegnung mit Tzara, Breton und vor allem mit Paul und GalaEluard in Tirol - zur endgültigen Übersiedlung Ernsts in die französischeMetropoleim Juli 1922.

    *Dieses Buch wäre ohne die Hilfe und Anregungen von Prof. Dr. Karl Riha(Siegen) und Prof.Dr. Peter Gendolla (Siegen/Bochum) nicht möglich ge-wesen - ihnen gilt mein Dank. Außerdem danke ich Herrn Dr. Joel vomMinisterium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-West-

    falen für die Förderung des ForschungsprojektsKölner Dadaismus, in des-sen Rahmen dieses Buch geschrieben wurde.

    29 Zentrale W/5 ist die interne Bezeichnung für die dsdsistische Gruppe. Dabei steht das.W . für .Westatupidien«, die.5 . für die fünf Mitglieder der Gruppe: Hans Arp, JohannesTheodor Baargeld, Max Ernst, Angelika Hoerle und Heinrich Hoerle. Nach der Tren-

    nung der Hoerles von den Dadsisten und ihrem Anschluß an die Gruppestupid wurde dieBezeichnungZentrale W/3verwendet.

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    »Dada war kein RüpelspieI«:

    Aspekte einer Poetik des Dadaismus

    Wie soU man eine Bewegung definieren odergareingrenzen, die sich mit keiner bestimmten Per-sönlichkeit und keinem bestimmten Ort, Stand-punkt oder Thema identifIZieren läßt, dieaUeKün-ste beeinflußt, deren Schwerpunkt sich ständigverlagert und die noch dazu ganz bewußt negativ,kurzlebig, unlogisch und unüberzeugend ist?

    lohn Richardson

    Dada gilt neben dem italienischen Futurismus und dem frühen Surrealismus

    als wichtigste jener Kunstrichtungen, die im ersten Viertel des 20. Jahrhun-derts den Status der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft radikal proble-matisierten. Heute werden diese Bewegungen in der Regel dem Begriff derAvantgarde subsumiert. Bevor dieser Begriff allerdings - erstmals vonGuillaume Apollinaire - zur Abgrenzung innovativer Kunstformen verwen-det wurde, hatteer in seinem ursprünglich militärischen Kontext diejenigenTruppenteile bezeichnet, die - nicht nur in einem räumlichen, sondern vorallem auch in einemzeitlichen Sinne - vor dem Gros des eigenen Heeresoperierten, um dessen Vormarsch vorzubereiten.· Die militärische Avant-garde erschloß ungesichertes Terrain, mit dem Ziel, dem Gros dasNachrücken zu ermöglichen. Folglich bleibt sie - nach militärstrategischerDefinition - nur solange Avantgarde, bis sie wieder eingeholt ist und in derGesamtheit der Truppeauf- bzw. untergeht.2 Damit ist auch die spezifischePosition der Avantgarde in einem künstlerischen Kontext markiert, wo sie

    Vgl. dazu Hannes Böhringer: »Avantgarde - Geschichten einer Metapher«.In: Archiv rurBegriffsgeschichte 22 (1978), S. 90-114.

    2 Vgl. Winfried Wehle: »Avantgarde: ein historisch-systematisches Paradigma >moderner<Literatur und Kunst«.In: Rainer Warning I Winfried Wehle (Hrsg.), Lyrik und Malereider Avantgarde. München: Fink 1982, S. 9f.

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    ihre Aufgabe in derDestruktion des den ,.Vormarsch« Behindernden, d.h. inder Negation der kulturellen Tradition findet:

    In den Fällen, wo gegenläufige Tendenzen um ihre Geltungs-ansprüche streiten, gibt es[das avantgardistische Interpretati-onsschema - J. S.] dem recht, der eine Gleichzeitigkeit desUngleichwertigen aggressiv beseitigt. Insofern sind Avantgar-den intolerant, sie lassen keine Position neben der eigenengelten.3

    Um Avantgarde zu bleiben und somitdas Untergehen im nachrückendenGros zu verhindern, muß sie ihren Negationsimpetus perpetuieren. Diefortlaufende Innovationkann sie nur gewährleisten, sofern sie ständig ihreeigenen Positionen revidiert.Auf die damit einhergehende Beschleunigungdes Wandels hatte bereits Filippo Tommaso Marinetti imFuturistischenManifest (1909) mit der Forderung reagiert, die jeweils jüngeren Künstlersollten ihre Aufgabe in der radikalen Überwindung auch der jüngstenkünstlerischen Manifestationen sehen.4 Die avantgardistische Antitraditio-nalität führt somit zu einer radikalen Zerstörung der Dauerhaftigkeit desKunstwerkes.

    An diesem Punkt gerät die Avantgarde freilich in ein Dilemma. Dennzum einen bildet sie die historischeVorhut, deren innovatorische Impulsenur dann von Erfolg gekrönt sein können, wenn es ihr gelingt, ihre Errun-genschaften als generellen Standard zu etablieren. Mit der Generalisierungihrer Positionen wird die Avantgarde indes wieder in die Tradition einge-bunden und büßt somit ihren spezifischen Status ein. Indem sie sichauf dieparadoxe Doppelbewegung einläßt, die darin besteht,daß sie sich zwar andie Spitze der historischen Entwicklung stellt,zugleich aber deren Traditio-nen kappt, drohtihr Impetus leerzulaufen,ihrProgramm zu scheitern.

    Gleichwohl haben die historischen Avantgardebewegungen diese Gefahrin erstaunlichem Maße bannen können. Das Beispiel DADA KÖLNs wirdzeigen, daß die Avantgarde - trotz der relativen Kurzlebigkeit ihrer Ausprä-gungen - ein breites Spektrum von auch heute noch virulenten Manifestati-onsformenund Kompositionstechniken in Kunst und Literatur hat etablieren

    3 Ebd., S. 10.4 Wörtlich heißt es imFuturistischen Manifest: ,.Die Ältesten von uns sind jetzt dreißig

    Jahre alt: es bleibt uns also mindestens ein Jahrzehnt, um unser Werk zu vollbringen.Wenn wir vierzig sind, mögen andere, jüngere und tüchtigere Männer uns ruhig wie

    nutzlose Manuskripte in den Papierkorb werfen. Wir wünschen esso «- Zit. nach ChristaBaurngarth:Geschichte des Futurismus.Reinbek: Rowohlt 1966, S. 28.

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    können. Denn gerade Dada bezeugt einen radikalen Wandel im Verhältnisvon Kunst und Wirklichkeit, der der Avantgarde eine Perspektive zurÜberwindung dieses Dilemmas wies.5

    Den entscheidenden Einschnitt in dieser Hinsicht markiert der ErsteWeltkrieg, der die noch für den Futurismus verbindliche wissenschaftlich-technische Fortschrittseuphorie desavouierte. Mit der qualitativ neuen Ver-nichtungswirkung der im Ersten Weltkrieg eingesetzten Waffensysteme warauch die Vision einerim Zuge des technischen Fortschritts pazifizierten Ge-sellschaft verloren gegangen. Statt dessen verursachtedas Bewußtsein einerexistentiellen Gefährdung der Menschheit eine weitverbreitete Skepsis ge-genüber der Zukunft. Diese Skepsis bedingte jedoch zugleich eine bis datounbekannte Freiheit in der Auseinandersetzung mit den Traditionen derbürgerlichen Gesellschaft und erleichterte somit die Emanzipation von derenkulturellen Paradigmen. Hugo Ball, die zentrale Figur der Dada-Frühphaseim Zürcher Cabaret Voltaire, hat diese Erfahrung am8. April 1916 in sei-nem TagebuchDie Flucht aus der Zeit festgehalten:

    Die vollendete Skepsis ermöglicht auch die vollendete Frei-heit. Wenn über den inneren Umriß eines Gegenstandes nichtsBestimmtes mehr geglaubt werden kann, muß oder darf, -

    dann ist er seinem Gegenüber ausgeliefert und es kommt nurdarauf an, ob die Neuordnung der Elemente, die der Künstler,der Gelehrte oder Theologe damit vornimmt, sich die Aner-kennung zu erringen vermag. Diese Anerkennung ist gleich-bedeutend mit der Tatsache, daß es dem Interpreten gelungenist, die Welt um ein neues Phänomen zu bereichern. Mankann fast sagen, daß, wenn der Glaube an ein Ding oder aneine Sache fällt, dieses Ding und diese Sache ins Chaos zu-rückkehren, Freigut werden. Vielleicht aber istdas resolut

    und mit allen Kräften erwirkte Chaos und also die vollendeteEntziehung des Glaubens notwendig, ehe ein gründlicher

    5 Umberto Eco hat dies treffend beschrieben:,.In diesem Sinne tut der Künstler, der sichgegen die Formen auflehnt ein Zweifaches:er lehnt ein System von Formen ab, daserindes bei dieser Ablehnung nicht annulliert, sondern von innen her weiterentwickelt (erfolgt nur bestimmten Auflösungstendenzen, die sich schon als zwingend herausprofilier-ten), und daser darum, um sich ihm zu entziehen und es zu verändern, sich in es hineinentfremdend, teilweise akzeptiert, seinen inneren Tendenzen nach anerkennt; andrerseitsakzeptiert er durch die Verwendung einer neuen Grammatik, die weniger aus Ordnungs-modelIen als aus einem permanenten Programm der Unordnung besteht, die Welt, in derer lebt, unter dem Gesichtspunkt der Krise, in der sie sich befindet.. - Umberto Eco:Dasoffene Kunstwerk.FrankfurtlM.: Suhrkamp 1973, S. 265.

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    Neuaufbau auf veränderter Glaubensbasis erfolgen kann. DasElementare, Dämonische springt dann zunächst hervor; diealten Namen und Worte fallen.6

    Nach den vorangegangenen Bemerkungen zur Entwicklung der historischenAvantgardebewegungen lassen sich einige Klischees über Dada revidieren:etwa die Behauptung, Dada seinur eine kuriose Randerscheinung derKunstszene während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gewesen;oder die oft angeführte, angesichts der Heterogenität der Dada-Varianten zukurz greifende These, Dada habe sich in ikonoklastischenAnti-Kunst-Ak-tionen erschöpft. Es gilt folglich, den Stellenwert der destruktivenund derkonstruktiven Elemente Dadas zu präzisieren.

    Dem Klischee von Dada als reiner Anti-Kunst-Bewegung hat RichardHuelsenbeck energisch widersprochen:

    Es kann hier nur immer wieder betont werden,daß der Dada-ismus niemals Antikunst predigte, zumal man nicht weiß, wasdas ist und wie man eine derartige Bemühung formulierensoll. [ .. ] Antikunst läßt sich weder bildlich noch in der Lite-ratur wirklich verständlich machen, da die Kunst, die man zurHerstellung der Antikunst braucht, vielleicht größer ist als dieFähigkeit zur »normalen« künstlerischen Tätigkeit.7

    Gleichwohl sind die destruktiven Momente im dadaistischen Programm vonzentraler Bedeutung. Die dadaistische Negation richtete sich jedoch nichtetwa pauschal gegen die Kunstan sich, sondern vielmehr gegen die»Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« (Reinhart Koselleck), d.h. gegenKontinuitäten, die sich trotz der verheerenden Erfahrung des Ersten Welt-krieges in sämtlichen gesellschaftlichen Teilbereichen - also auch in Kunst

    und Literatur - rasch offenbarten. Tristan Tzara hat dies rückblickend be-stätigt:

    L'attitude de Dada envers I'art et la litterature est empreintede cet esprit equivoquequ'il cultivait plus ou moins intentio-nellement et si le ton irrefutable, imperatif, qu'il employaitpour imposer son doute prouve avant tout son dynamisme,

    6 Bugo Ball:Die Flucht aus der Zeit. Luzem: Stocker 1946, S. 83.

    7 Richard Buelsenbeck:.Dada oder der Sinn imChaoll«(1964). In: ders. (Hrsg.), Dada.Eine literarischc Dokumentation. Rcinbck: Rowohltl984, S.17 f.

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    c'est dans cette contradiction qu'il faut rechercher la ri-chesse de son caractere propre.Dada a essaye non pas autant de detruire I'art et La littera-ture, que l'idee qu'on s'en etait faite. [ .. ] L'art, avec un Amajuscule, n'incIinait-il pasaprendre sur I'echelle des valeursune position priviligi6e ou tyrannique qui I' amenaita rompretous les liens avec les contingences humaines?C' est en celaque Dada se proclamait anti-artistique, anti-litteraire et anti-poetique. Sa volonte de destruction etait bien plus une aspira-tion vers la purete et la sincerite que la tendance vers unesorte d' inanite sonore ou plastique se contenant deI' immobilite et de I' absence.8

    21

    Die Negation tradierter Kunstvorstellungen ist daher nur eine Seite des da-daistischen Programms, denn zugleich betrieben die Dadaisten eine radikaleEntfesselung der künstlerischen Möglichkeiten.Wir müssen Dada folglichals ein ambivalentes Phänomen betrachten, als eine Bewegung, die einer-seits eine fundamentale Kritik an den herkömmlichen Kunstformen und de-ren gesellschaftlichen Grundlagen formulierte, andererseits aber als Konse-quenz ihres Befundes auch diverse Ansätze zur Überwindung dieser Krise

    entwickelte und erprobte. Hugo Ball hat die Konturen dieses Konzepts ineiner für das Verständnis von Dada zentralen Tagebuchnotiz vom 12. Juni1916 umrissen:

    Was wir Dada nennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, indas alle höheren Fragen verwickelt sind; eine Gladiatorenge-ste; ein Spiel mit den schäbigen Überbleibseln; eine Hinrich-tung der posierten Moralität und Fülle.9

    Nehmen wir dieses kurze Zitat zum Ausgangspunkt für einen Versuch, ei-nige zentrale Kategorien Dadas zu entwickeln. Unsere Untersuchung hatdabei in Zürich anzusetzen. Dort hatte der aus Deutschland in die Schweizemigrierte Hugo Ball dasCabaret Voltaire ins Leben gerufen und durcheine Pressenotizam 2. Februar 1916 an die jungen Künstler der Stadt die

    8 Tristan Tzara: ,.Dada contre I·art« (1957).In: ders., Oeuvres completes, Bd. V. Hrsg.von Henri Behar. Paris: Flammarion 1982, S. 353. - Die erste Hervorhebung stammtvom Verfasser, die zweite enstpricht dem Originaltext.

    9 Hugo Ball:Die Flucht aus der Zeit, a.a.O., S. 91.

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    Einladung gerichtet, ,.sich ohne Rücksicht auf eine besondere Richtung mitVorschlägen und Beiträgen einzufinden«.10

    Es ist bezeichnend,daß der Impuls für Dada vom Cabaret ausging, ei-nem Medium, das schon um die Iahrhundertwende zum Ausgangspunkt fürwirkungsmächtige Innovationsbestrebungen im Bereich der Literatur ge-worden war.11 Um 1915/16 erlebte die Zürcher Cabaretszene ihre erste,.Blütezeit«. Den mittellosen Emigranten Hugo Ball und Emmy Hennings,die im Mai 1915 nach Zürich gekommen waren, boten die Cabarets dieMöglichkeit, sich einen bescheidenen Lebensunterhalt zu sichern. Im En-semble des Maxim fanden sowohl der erfahrene Theaterschriftsteller undPianist Ball als auch dessen Lebensgefährtin Emmy Hennings, die als Di-seuse auf Engagements in München und Berlin verweisen konnte, eineAn-stellung.12 Doch die Arbeit imMaxim entsprach nicht Balls Konzeption ei-nes literarischen Kabaretts, dessen Grundrisse er schon im März 1914 skiz-ziert hatte.13 Nach der Gründung desCabaret Voltaire formierte sich raschein Kreis junger Künstler, der zur ,.Keimzelle« von Dada werden sollte.Schon in Balls Bericht über den ersten Veranstaltungsabend vom 5. Februar1916 stoßen wir - von Richard Huelsenbeck, der wenig später nach Zürichkam und wahrscheinlich am 26. Februar 1916 erstmals imCabaret Voltaireauftrat, einmal abgesehen -auf fast sämtliche spätere Protagonisten vonDADA ZÜRICH:

    Das Lokal war überfüllt; viele konnten keinen Platz mehr fin-den. Gegen sechs Uhr abends, alsmannoch fleißig hämmerte

    10 Ebd., S. 71.11 So hatte etwa Otto Julius Bierbaum seine Forderung nach einem literarischen Variete in

    seinem 1897 erschienenen RomanSlilpe. Ein Roman ausder Froschperspelaive wie folgtformuliert: .Wir werden ins Leben wirken wie die Troubadours Wir werden eine neueKultur herbeitanzen Wir werden den Übermenschenauf dem Brettl gebären Wir werdendiese alberne Welt umschmeißen Das Unanständige werden wir zum einzig Anständigenkrönen Das Nackte werden wir in seiner ganzen Schönheit neu aufrichten vor allemVolke Lustig und lü.tig werden wir diese infame, moralklapprige Welt wieder machen,lustig und himmlisch frech.« - Otto Julius Bierbaum:Stilpe (1897). In: ders., GesammelteWerke, Bd. 2. Hrag. von Michael Georg Conrad und Hans Brandenburg. München: Ge-org Müller 1921, S. 448.

    12 Vgl. dazu Raimund Meyer: ,.,Dada ist gross Dada ist schönDadaZürich

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    und futuristische Plakate anbrachte, erschien eine orientalischaussehende Deputation von vier Männlein, Mappenund Bil-der unterm Arm; vielmals diskret sich verbeugend.Es stelltensich vor: Marcel ]anco der Maler, Tristan Tzara, Georges]anco und ein vierter Herr, dessen Name mir entging.Arpwar zufällig auch da und man verständigte sich ohne vieleWorte. Bald hingen ]ancos generöse ,.Erzengel« bei den übri-gen schönen Sachen, und Tzara las nocham sei ben AbendVerse älteren Stiles, die er in einer nicht unsympathischenWeise aus den Rocktaschen zusammensuchte.14

    23

    Balls Eintragung zeigt, daß die Veranstaltungen zunächst keinen program-matischen Beschränkungen unterlagen; vielmehrwar dieses Präludium zuDADA ZÜRICH - im Sinne von Balls Pressenotiz - von einer synkretisti-schen Vielfalt ästhetischer Positionen geprägt.Die ,.offene Form« des Caba-rets erlaubte die Integration von expressionistischenund futuristischen Ar-beiten wie von vergleichsweise traditionellen,jedoch durch einen gewissenExotismus ausgezeichneten Auftrittsformenwie dem Konzert eines russi-schen Balalaika-Orchesters. Dieser Synkretismusder Kunstrichtungen solltenach Balls Vorstellungen den Bodentur die ,.Renaissance aller Künsteund

    des ganzen Lebensvom

    Tingeltangel her« (Otto]ulius

    Bierbaum) bereiten.Wenn Ball also von Dada als einem ,.Narrenspiel aus dem Nichts«spricht, so beschreibter damit einen tur die Dada-Initiation zentralen Ein-fluß durch die in der bürgerlichen Gesellschaft häufig als ,.niedere Kunst«diffamiertenFormen der populären Volkskunst. Mit dem Rekurs auf dieseKunstformen bezogen die Dadaisten eine konträre Position zurin Akade-mien, Bibliotheken, Museen und Theatern zelebrierten ,.Offizialkunst«.Inder ,.permanenten Unterwegsgestalt« (Hanne Bergius) des spätmittelalterli-chen Narren fandendie dadaistischen Emigranten sowohl eine Metaphertur

    ihre eigene Bindungslosigkeit als auch eine positive Bezugsfigurtur dasVerhalten eines Künstlersin einer Situation des kulturellen Vakuums,in dersie sich im Zürich der Weltkriegsjahre wiederfanden:

    Da der Bankrott der Ideen das Menschenbild bis in die inner-sten Schichten zerblättert hat, treten in pathologischer Weisedie Triebe und Hintergründe hervor.Da keinerlei Kunst, Po-

    14 Ebd., S. 71.

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    litik oder Bekenntnis diesem Dammbruch gewachsen schei-nen, bleibtnur die Blague und die blutige Pose.[...]Der Dadaist kämpft gegen die Agonie und den Todestaumelder Zeit. Abgeneigtjeder klugen Zurückhaltung, pflegter dieNeugier dessen, der eine belustigende Freude noch an derfraglichsten Form der Fronde empfindet. Er weiß, daß dieWelt der Systeme in Trümmer ging, und daß dieauf Barzah-lung drängende Zeit einen Ramschausverkauf der entgöttertenPhilosophien eröffnet hat. Wo für die Budenbesitzer derSchreck und das schlechte Gewissen beginnt, da beginnt fürden Dadaisten ein helles Gelächter und eine milde Begüti-gung.lS

    Hanne Bergius hat - unter Berufungauf Michel Foucaults Bestimmung derFunktionen des spätmittelalterlichen Narrenspiels - darauf hingewiesen, daßdas dadaistische »Narrenspiele als Reaktionauf die Allgegenwart des Todes,als exzentrische Abwehr der während des Ersten Weltkrieges omnipräsentenTodesangst zu bewerten sei:

    Man entwaffnet die Angstim voraus, macht sie zum Objektdes Gespötts, indem man sie injedem Augenblick [... ] wäh-rend des Schauspiels des Lebens erneuert, indem man sie inden Lastern, den Verschrobenheiten und Schrullen eines jedenzerstreut. Die Zerstörung durch den Tod bedeutet nichtsmehr, weil sie bereits alles bedeutet, denn das Leben selbstbesteht nur aus Abgedroschenheiten, hohlen Worten, leeremGeklingel und Narrenschellen.16

    Der dadaistische Rekursauf das Narrenspiel erschöpfte sich freilich nichtim Affront gegen die bürgerliche Moral und der närrischen Abwehr der To-desangst, sondern verhalf den Dadaisten zur produktiven Wendung einertiefen Resignation, ließ sie denKampf gegen den »Todestaumel der Zeite(Hugo Ball) aufnehmen:

    IS Ebd., S. 92.16 Michel Foucault:Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der

    Vernunft. FrankfurtlM.: Suhrkamp 1969, S. 34. - Vgl.dazu Hanne Bergius: ,.Dada als

    >Bllffonade und Totenmessezugleich

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    Dada wollte die Menschen aus ihrer jämmerlichen Ohnmachtaufschrecken. Dada verabscheute die Resignation.Wer vonDada nur seine possenhafte Phantastik beschreibt und nicht insein Wesen, nicht in seine überzeitliche Realität eindringt,wird von Dada ein wertloses Bruchstück geben. Dada warkein Rüpelspiel.17

    25

    In einer bewußten Reprimitivierung entdeckten die Dadaisten eine Strategie,sich von der Entwicklung von Kunst und Literatur in der bürgerlichen Ge-sellschaft abzukoppeln. Sie instrumentalisierten einen ,.simulierten Dilettan-tismus« (Werner Spies) für ihre Opposition gegen eine akademische Kunst,deren Ideal inder erlernbaren Rekapitulation traditioneller Sehgewohnhei-ten bestand. Besonders für die Kölner Dadaisten markierte der Rekursaufden Dilettantismus einen entscheidenden Schritt zur künstlerischen Selbst-findung bzw. Selbstbefreiung, die sich programmatischim Untertitel ihrerZeitschrift die schammade manifestierte: ,.dilettanten erhebt euch«.DemAutodidakten Johannes Theodor Baargeld eröffnete dieser Aspekt der dada-istischen Kunstrevolte überhaupt erst die Möglichkeit, in Opposition zumoffiziellen Kunstbetrieb künstlerisch in Erscheinung zu treten, währendHeinrich Hoerle undvor allem Max Ernst sichdank dieses Impulses von ih-

    ren bisherigen expressionistischen Arbeitstechniken lösten und neue Verfah-ren für ihre Arbeit nutzbar machten.Wir können daher zunächst festhalten, daß der dadaistische Rückgriff

    auf das Narrenspiel eine doppelte Wirkung entfaltete: Zum einen traten dieDadaisten im Zuge einer intendierten Reprimitivierung in eine provokanteOpposition zum traditionellen Kunstverständnis, zum anderen verhalf ihnendie Entdeckung des Dilettantischen zu einer bis dato beispiellosen Befreiungkreativer Energien.

    Kehren wir zurück zu dem Ball-Zitat, von dem wir bei unserer Erörte-

    rung der zentralen Kategorien Dadas ausgegangen waren. Ball fundiertdasdadaistische Narrenspiel im ,.Nichts«. Allerdings meinter damit keinen -wie Robert Goldwater es formuliert hat - ,.fundamentalen« Nihilismus, dersich gegen die Kunst an sich richtet, sondern vielmehr einen,.instrumentalen« Nihilismus, der die bereits umrissene Stoß richtung gegentradierte Kunstformen begründet.18 Die ironische, im Kunstwerk erfolgende

    17 Hans Arp: Unsem tllglichen Traum... Erinnerongen und Dichtungen aus den Jahren1914-1954. Zürich: Arche 1955, S. 20.

    18 Robert Goldwater: ,.Dada Painters and Poets« (Rez.).In: Art Bulletin34 (1952), H. 3, S.250. - Zit. nachWemer Spies: Max Ernst - Collagen, a.a.O., S. 39.

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    Eingriff des Menschen, der unangefochten im Zentrum eines solchen Welt-bildes steht, ausgesetzt. Einem solchen Wirklichkeitsbegriff entsprechenaufKonsistenzbildung abzielende Literatur- bzw. Kunstformen, die sich die,.künstlerische Erschaffungweltebenbartiger Werke..24 vornehmen, wie bei-spielsweise der Roman oderdas zentralperspektivisch gestaltete Tafelbild.

    Diese anthropomorphe Realitätsauffassung stießauf den Widerspruchder Dadaisten, denen - wie Richard W. Sheppard es formuliert hat - Realitätals ,.an alien flux, working under its own momentum in ways which are ei-ther completely chaoticor which do not correspond to human notions to or-der«2Serschien.

    Vor diesem Hintergrund läßt sich Arps Formulierung vom ,.Ohne-Sinn«Dadas an Blumenbergs letzten Wirklichkeitsbegriff anschließen, der sich ander Erfahrung vonWiderstand orientiert. Wirklichkeit wird hier als,.dasdem Subjekt nichtGejagige«UJ, als Unverfügbares vorgestellt, dessen Inkon-sistenz nur nochin einer Negation der tradierten Kunstauffassungen darzu-stellen ist. Hier liegt für Blumenberg der Ansatzpunkt für eine ,.ästhetischeVorstellung, die das von allen Wirklichkeitsbegriffen her als unwirklich zuQualifizierende nun alsdas >Eigentliche< ausgeben kann«.27 Dazu rechneter etwa das Paradoxon, die Inkonsistenz von Träumen, ostentative Sinnwid-rigkeiten, Text-Bild-Kombinationen, Collagen etc., womiter - ohne explizitvon Dada zu sprechen - weitgehenddas Spektrum der dadaistischen Manife-stationsformen umrissen und zugleich verdeutlicht hat, daß aus der dadaisti-schen Antitraditionalität heraus neue Formen von Literatur und Kunst ent-wickelt werden konnten.

    Dies vollzog sich alsdas von Ball beschriebene ,.Spiel mit den schäbigenÜberbleibseln«, denn mit der Suspendierung der anthropomorphen Reali-tätsauffassung setzte Dada die durch strikte Stilprinzipien kanonisiertenVerfahrensweisen in Kunst und Literatur frei. Dazu bedurfte es allerdingseiner notwendigen kunst- und literaturhistorischen Voraussetzung: der

    schon in der Kunst und Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zubeobachtenden ,.Prädominanz der Form« (Peter Bürger). Einen ersten Hö-hepunkt hatte diese Entwicklung in der Idee einer Literatur der reinenFormerreicht, wie sie bereits Gustave Flaubert projektiert hatte.28 Dessen Pro-

    24 Ebd., S. 18.2S Richard W. Sheppard: ,.Whatis Dada?«. In: Orbis Litterarum 34 (1979), S. 178.26 Hans Blumenberg: ,.Wirklichkeitabegriffund Möglichkeit des RomanS«, a.a.O., S. 13.27 Ebd., S. 26.28 Gustave F1aubert schrieb am 16. Januar 1852 in einem Brief an Louise Colet: ,.Ce quime

    semble beau, ce queje voudrais faire,c' est un livre sur rien, un livre sans attache exte-rieure, qui se tiendrait de lui-meme par la force interne deIOnstyle, commela terre sans

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    gramm einer in hohem Maße selbstreferentiellen Literatur hatte - obwohlFlaubert einen derartigen Roman nie geschrieben hat - bereits die Krisen-haftigkeit angedeutet, in die der Wirklichkeitsbegriff des Kontextes im 19.Jahrhundert geraten war.Der rasche Verschleiß literarischer Modelle ange-sichts einer dynamisierten Wirklichkeitfiihrte in den Avantgardebewegun-gen - erstmals im italienischen Futurismus, anschließend in Dada undimSurrealismus - zu einer Radikalisierung der Auseinandersetzung mit demFormproblem, die eine solche Vielzahl von neuen künstlerischen Manife-stationsformen hervortrieb, daß sich diese nicht mehr zu einem epochalenStil systematisieren ließen. Die Dominanz der formalen Seite des Kunst-werks führte zu gravierenden Konsequenzen, weil der Künstler fortan überdie Gesamtheit der künstlerischen Ausdrucksmittel verfügte.29 Das Bewußt-sein einer solchen nahezu uneingeschränkten Verfiigbarkeit über formaleMittel eröffnete ihm eminente Freiheitsräume, dieer zur Etablierung von,.offenen Kunstwerken« nutzte.30 Umberto Eco hat die Aufgabe der avant-gardistischen Kunst als Hervorbringung von komplementären und autono-men Formen beschrieben, diedas Inventar der natürlichen Formen ergän-zen, d.h. etwas in der Erfahrungswirklichkeit Inexistentes realisieren. Da-mit kommt es zu einer Verschärfung der Tendenz zurEntsemantisierungvon Kunstwerken. Die bildende Kunst der Avantgardebewegungen löst sich

    von der ikonischen Legitimation des Kunstwerkes; die Literatur forciert dieSelbstthematisierung des Sprachlichen. Eine der radikalsten Varianten einersolchen autoreflexiven Literatur hat Hugo Ball mit seinen Lautgedichtenentworfen:

    Ich habe eine neue Gattung von Versen erfunden, ,.Verse ohneWorte« oder Lautgedichte, in denendas Balancement der Vo-kale nur nach dem Werte der Ansatzreihe erwogen und aus-geteilt wird. [ .. ] Vor den Versen hatte ich einige program-

    matische Worte verlesen. Man verzichte mit dieser ArtKlanggedichte in Bausch und Bogenauf die durch den Jour-

    ßtre soutenue se tient en I'air,un livre qui n'aurait presque pas de sujet, ou du moinsOllle sujet serait presque invisible, si cela se peut. Les oeuvres les plus beiles sont cellesOllil Y a le moins de matiere; plus I' expression se rapproche de la pensee, plus le mot colledesaul et disparait, plusc'est beau.« - Oustave Flaubert:Correspondance, Bd. ß. Hrsg.von Jean Bruneau. Paris: Oallimard 1980, S. 31.

    29 Vgl. dazu Peter Bürger:Theorie der Avantgarde. FrankfurtlM.: Suhrkamp 1974, S. 23.30 Der Begriff des lOOffenenKunstwerk&«wird hier im Sinne Umberto Ecos verwendet, der

    el als eine ,.grundsätzlich mehrdeutige Botschaft, als Mehrheit von Signifikaten(Bedeutungen), die in einem einzigen Signifikanten (Bedeutungsträger) enthalten sind« de-finiert. - Umberto Eco:Das offeM Kunstwerk,a.a.O., S. 8.

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    ,.Dada war kein Riipelspiel«

    nalismus verdorbene und unmöglich gewordene Sprache. Manziehe sich in die innerste Alchimie des Wortes zurück, mangebe auchdas Wort noch preis, und bewahre so der Dichtungihren letzten heiligsten Bezirk.31

    29

    Wir haben es mit dem Lautgedicht mit einer der wichtigsten jener Formenzu tun, die sich aus dem oben skizzierten dadaistischen ,.Narrenspiel« ent-wickelt haben. Dennoch ist in den dadaistischen Texten die Entsemantisie-rung der Literatur nicht durchgängig so weit getrieben,daß sie prinzipiellnicht mehr interpretierbar sind. Vielmehr hat Dada ein nuancenreichesSpektrum an Textarten erarbeitet, dessen einen Pol die erwähnte Selbstthe-matisierung des Sprachlichen markiert,das aber zugleich auch für solcheTexte offen ist, die sichauf einen textextemen Hintergrund projizieren las-sen. Gerade in den Texten Max Ernsts - etwa in ,.Worringer, profetor Da-Daistikus« - wird zu beobachten sein,daß das zunächst assoziativ und ono-matopoetisch organisierte Sprachmaterial in einem zweiten Schritt zahlrei-che semantische Implikationen preisgibt.

    Gleichwohl weist der Künstler mit der Setzung derartiger Kunstformendem Rezipienten eine veränderte Rolle zu. Ein dadaistisches Kunstwerkbietet dem Rezipienten nach Eco die Möglichkeit zu vielfältigen Eingriffen,durch die er erst je originelle Perspektiven des Werkes realisiert. Dadurchwerden avantgardistische Kunstwerke zuepistemologischen Metaphern32 fürdie spezifische Erfahrung der Wirklichkeit als,.das dem Subjekt nicht Gefü-gige« (Hans Blumenberg), in dessen Möglichkeitsfeld nurje individuelleIntegrationen möglich sind. Bezogen auf die Literatur kann der Rezipienteinem solchen Text, dessen Mitteilungsfunktion häufig hinter die Sprach-bewegung zurücktritt, freilich nur mit einer veränderten Lektüre begegnen,einer akribischen Lektare (Roland Barthes) , die sich nicht an der

    31 Hugo Ball:Die Flucht aus der Zeit, a.a.O., S. 98 ff. - Freilich hat Hugo Ball das Lautge-dicht nichtex nih/lo eingeführt. ZuvorhaUenbereits F. T. Marinetti sein Programm derparole in Ubena sowie die russischen Autoren Welemir Chlebnikow,Diazd und AlexejKrutschonych ihre ersten Zaoum-Dichtungen veröffentlicht, und auch in der deutschenLiteratur finden sich mit Christian Morgenstern, Paul Scheerbart und Wassily Kandinksywichtige Vorläufer. Von den Dadaisten haben besondersboul Hausmann und KurtSchwiUers Balls Impuls aufgenommen. - Vgl.dazu Karl Riha: ,.Übers Lautgedicht«.In:ders., Tatii Dada. Dada und nochmals Dada bis heute. Aufsätze und Dokumente. Hof-heimffs .: Wolke 1987, S. 175-2\0. - Christian Schotz:Untersuchung zur Geschichte undTypologieder LaUlpoesie, 3 Bde. Obermichelbach: Gertrud Scholz Verlag 1989.32 Vgl. dazu Umberto Eco:Das offene Kunstwerk,a.a.O., S. 46.

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    ,.Entblättenmg der Wahrheiten«, sondern am ,.Blattwerk der Signifikanz«orientiert.33

    Einem solchen Verhältnis zum Kunstrezipienten korrespondiertauf sei-ten der Kunstproduktion der Bedeutungsverlust des Geniebegriffs, der inseiner extremstenForm in der radikalen Negation der individuellen Autor-schaft gipfelt. Die verschiedenen Collageformen von Kurt Schwitters überMax Ernst bisJohn Heartfield, die Bedeutung des Zufallsim Werk HansArps oder das Ready-made Marcel Duchamps weisenauf die Bedeutungvon vorproduzierten Materialien für die dadaistischen Manifestationen hin,und in den diversen Gemeinschaftsarbeiten - wie beispielsweise in denZürcher poemes simultans von Richard Huelsenbeck, Marcel Janco undTristan Tzara oder Max Ernsts und Hans Arps KölnerFatagaga-Arbeiten -wird die Möglichkeit kollektiver Kunstproduktion deutlich.

    Dies bedeutetjedoch nicht, daß Dada den Begriff des Kunstwerkes undden Gedanken von dessen Kohärenz aufgegeben hätte. Vielmehr hat Dadadie Möglichkeit einer sinnhaften Literarisierung bzw. Abbildung der äuße-ren Realität aufgegeben und somit den für das organisch-geschlosseneKunstwerk charakteristischen dialektischen Bezug zwischen seinen Detailsund dem Werkganzen negiert. Hans-Burkhard Schlichting hat am Beispielvon Kurt Schwitters gezeigt, daß es den Dadaisten gelungen ist, eine neuar-tige Werkkohärenz zu entwerfen, indem sie in den Materialien ihrer Colla-gen die veränderte Struktur der Außenwelt realisiert haben. Denn mit derTechnik des Zitats in der Collage oder der Thematisierung der materialenQualitäten der Sprache parodierten die Dadaisten nicht nur die literarischeTradition, sondern reflektierten auch spezifische Veränderungen der sinnli-chen Wahrnehmung und deren sprachlicher Vermittlung. Indem sie derenDiskontinuitätund Simultaneität in der Kombination heterogener Realitäts-fragmente einfingen, vermochten sie eine dem ,.offenen Kunstwerk« ad-äquate Kohärenz zu stiften.34 Dabei geht die Collage vomobjet trouve aus,

    vom bildlichen bzw. sprachlichen RealmateriaI. Diese Materialien werden

    33 Roland Barthes:Die Lust am Tat. FrankfurtlM.: Suhrkamp 1986, S. 19.34 V,I. Hallll-Burkhard Schlichtina: ,.Historische Avant,arde und Gegenwartsliteratur. Zu

    Peter Bürgera Theorie der nachavantgardiatischen Modeme«.In: W. Martin Lüdke(Rrs,.), ,.Theorie der Avant,arde«. Antworten auf Peter Bürgers Bestimmung von Kunstund bürgerlicher Gesel1achaft. FrankfurtlM.: Suhrkamp 1976, S. 209-251. - Auf eineähnliche Analyse der veränderten Wahmehmun,sweisenin der urbanen Zivilisation hat-ten bereita die frühen Expreuionisten, etwa Jakob van Hoddis undA1fredLichtenstein,mit ihrem charakteristischen ,.Reihungsatil« reagiert. - Vgl. dazu Silvio Vietta:»Gr08stadtwahmehmung und ihre literarische Darstellung. Expressionistischer Reihungs-stil und Colla,e«.In: Deutache Vierteljahresschrifttur Literaturwissenschaftund Geistes-geschichte 48 (1974), S. 354-373.

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    ihrem externen Kontext entrissen und ,.im Kunstwerk so miteinander kom-biniert, daß zwar jedes Teil seine Realität beansprucht, zugleich aber in derZusammenstellung einen formalen Werterfüllte.3.SWir werden besonders inder Analyse des Oeuvres von Max Ernst konkretisierend auf die hier nurvage umrissene Bedeutung desPrinzips Collage für die bildkünstlerischenund literarischen Arbeiten Dadas zurückkommen.

    Der Traditionsbruch, den Dadaim Kunst- und Literatursystem vollzogund der sich beispielsweise in der Kompositionstechnik der Collage manife-stierte, ist - im Sinne von Hugo Balls Formulierung - als,.Gladiatorengeste«zu verstehen. Im Tagebucheintrag vom 16. April 1916 konkretisiert er dies:

    Unser Kabarett ist eine Geste. Jedes Wort,das hier gespro-chen und gesungen wird, besagt wenigstensdas eine, daß esdieser erniedrigenden Zeit nicht gelungen ist, uns Respekt ab-zunötigen. Was wäre auch respektabel und imponierend anihr? Ihre Kanonen? Unsere große Trommel übertönt sie. IhrIdealismus? Er ist längst zum Gelächter geworden, in seinerpopulären und seiner akademischen Ausgabe. Die grandiosenSchlachtfeste und kannibalischen Heldentaten? Unsere frei-willige Torheit, unsere Begeisterung für die Illusion wird siezuschanden machen.36

    In Köln gewann die dadaistische Geste gegen die tradierte Kunst eine spezi-fische Brisanz, indem die dortigen Dadaisten für ihre Manifestationen be-wußt das organisatorische Modell des bürgerlichen Kunstbetriebs übernah-men und es ironisch unterliefen. Denn während etwa DADA ZÜRICH seinZentrum zunächst im Cabaret Voltaire und anschließend in der eigenenGalerie Dada hatte und damit in einem marginalen Bereich des Kunstbe-triebs verharrte, versuchten die Kölner Dadaisten ihre Ausstellungen im

    musealen Rahmen zu veranstalten. Dies gelang im November 1919 mit derAusstellung derGruppe D, die als separate Präsentation neben der Herbst-ausstellung der Gesellschaft der Kanste in den Räumen des KölnischenKunstvereins stattfand. Außerdem beabsichtigten die Kölner Dadaisten ur-sprünglich, auch jene Arbeiten, diedann in der AusstellungDada-Voifrah-

    35 Jürgen Willmann: ,.Collagenod_erdie von Realitätim Kunstwerk«. In: Wolf-gang Iser (Hrsg.), Immanente Asthetik - Asthetische Reflexion. Lyrik als Paradigma derModeme. München: Fink 1966, S. 343.

    36 Hugo Ball:Die Fluchl aus der Zeit, a.a.O., S. 85.

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    ling gezeigt wurden, im Rahmen der juryfreien Frühjahrsausstellung derArbeitsgemeinschaft bildender KUnstlerim Lichthof des Kölner Kunstge-werbemuseums zu präsentieren. Erst als dies am Widerstand des Direktorsdes Wallraf-Richartz-Museums scheiterte, mieteten Max Ernst und JohannesTheodor Baargeld den Lichthof des Brauhauses Winter, wo die Ausstellungim April 1920 zum Höhepunkt von DADA KÖLN avancierte. DurchdasVerharren im musealen Rahmen gewannen die Provokationen der KölnerDadaisten wie etwa die Präsentation der von Marcel Duchamp angeregtenReady-mades in der Gruppe D-Ausstellung ihre Schärfe, denn gerade imbürgerlichen Präsentationsrahmen entfalteten die dadaistischen Provokatio-nen ihre ganze Sprengkraft gegenüber den Konventionen der Kunstrezep-tion.

    Bevor wir uns jedoch diesenIlsthetischen Dimensionen der Dada-Re-volte zuwenden, gilt es im folgenden Kapitel die Vorgeschichte und dieFormierungsphase von DADA KÖLN zu skizzieren.

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    Dada vor Dada:

    Prä dadaistische Aktivitäten in Köln

    Vom Ersten Weltkrieg zur Weimarer Republik: Zur politischenKrisenkonstellation 1918-1921

    Gleich nach Waffenstillstand aus dem Heer entlassen. Bleibtin Köln. Das Dadahaus wird aufgetan.I

    So beschreibt Max Ernst seine Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg und sei-nen künstlerischen Neuanfang in Köln in seinen 1962 verfaßten Erinnerun-gen. Dabei rückt er jedoch zwei Ereignisse zusammen, die realiter ein gan-zes Jahr auseinanderIagen. Von dadaistischen Aktivitäten in Köln kann un-mittelbar nach Kriegsende noch nicht gesprochen werden. Erst im Laufe desJahres 1919 begann die Gruppe der späteren Dadaisten bzw. der Künstler,die zeitweise in engem Kontakt zur Kölner Dada-Gruppe standen, ihreprll-dadaistischen Aktivitäten. Dazu sind etwa die Störung einer expressionisti-schen Lesung im Hotel Disch vom 6. Februar 1919, der sogenannte,.Theaterputschc - die Störung einer Aufführung des SchauspielsDer jungeKiJnig des Kölner Dramatikers Raoul Konen vom 4. März 1919 - und diePublikation von fünf Heften der WochenschriftDer Ventilator im Februarund März 1919 zu rechnen.

    Im folgenden sollen diese wichtigen Stationen der Vorgeschichte vonDADA KÖLN untersucht werden. Dabei stehen zwei Perspektiven im Zen-trum unseres Interesses. Zum einen werden wir versuchen, die personelleKonstellation dieser Formierungsphase zu rekonstruieren, zum anderen sol-len in den prä-dadaistischen Aktionen und Publikationen Anschlußpotentialefür die im engeren Sinne dadaistischen Manifestationen aufgespürt werden.

    Walter Vitt hat auf zwei Aspekte hingewiesen, die eine frühe Etablie-rung von Dada in Köln behinderten.2 Die Künstler, die wenig später der

    Max Ernst: ,.Biographische Notizen (Wahrheitsgewebe und Lügengewebe)«,a.a.O., S.133.2 Walter Vitt: ,.Dada-Köln - Daten und Fakten«, a.a .O. , S. 150.

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    Kölner Dada-Gruppe angehörten, waren bei ihrer Rückkehr aus dem Kriegentweder - wie etwaMo. Ernst oder Heinrich Hoerle - noch ihren Werk-phasen aus der Vorkriegszeit verhaftet, oder sie mußten - wie beispielsweiseAlfred F. Gruenwald3, der zuvor erst einige expressionistische Gedichte inFranz Pfemferts Berliner ZeitschriftDie Aktionpubliziert hatte, und Ange-lika Hoerle4 - erst eigenständige künstlerische Positionen entwickeln. Au-ßerdem versuchten die jungen Künstler in der politisch bewegten Phase der,.Novemberrevolution« und der sich anschließenden Auseinandersetzungenum den zukünftigen politischen Kurs des nach-monarchistischen Deutsch-lands durch die Bildung von Gemeinschaften - im weitesten Sinne -,.Gleichgesinnter«, die individuelle Orientierungslosigkeit aufzufangen.Sogehörte etwa Franz Wilbelm Seiwert einem noch wenig homogenen Zirkelan, den die Mitarbeit an derAktionverband und der versuchte, die im Kölnder Kriegszeit weitgehend von den aktuellen Kunstströmungen isoliertenKünstler wieder an die nationale und internationale Kunstszene heranzufüh-ren.

    Hierin klingt bereits die zentrale Bedeutung der Erfahrung des ErstenWeltkrieges als initiales Moment Dadas an. Der Versuch, Dada als Reflexauf diese Erfahrung zu interpretieren, gehört zwar inzwischen zu den ste-reotypen Elementen der Sekundärliteratur, doch hat die Dada-Forschungbislang nur selten versucht, die Reaktionen der Dadaisten in Beziehung zuden historischen - besonders den lokalen - Ereignissen der Kriegs- und un-mittelbaren Nachkriegszeit zu setzen und daraus die Konturen Dadas zuentwickeln. Gerade für DADA KÖLN, das als eine der späten Dada-Grün-dungen ein Phänomen derNachkriegszeit, der ,.Umbruchpbase« zwischenKaiserreich und Weimarer Republik war, scheint dies notwendig zu sein.Zwar war die Kölner Dada-Gruppe keine direkt politisch agierende undagitierende Formation, doch werden wir in unserer Analyse der prä-dada-istischen Aktivitäten des Jahres 1919 noch feststellen,daß die Formierung

    der Gruppe im Mitarbeiterkreis der ZeitschriftDer Ventilator sowie dieEntwicklung vonauf Dada vorausweisenden Aktionsformen in einem vor-rangigpolitischen Kontext anzusiedeln sind. Ähnlich wie DADA BERLIN,

    3 Das Pseudonym lohannea Theodor Baargeld legte sich Gruenwald erst mit Beginn derdadailltischen Aktionen, Au8lltellungen und Publikationenzu. Wir werden deshalb in derpri-dadailltischen Phase seinen bürgerlichen Namen verwenden.

    4 Zu diesem Zeitpunkt tiihrte sie noch ihren Mädchennamen Fick. Angelika Fick heirateteHeinrich Hoerle wahrscheinlich am25. luni 1919. Auf dieses Datum weist das Wid-mungsgedicht ,.Gemeinschaft. von Käthe latho hin, das im Nachlaß von Angelika Hoerle

    aufgefunden wurde. - Vgi. dazu Wulf Herrogenrath: "Angelika Hoerle. Biographie«,a.a.O., S. 291.

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    Vom Eratcn Weltkrieg zur Weimarer Republik 35

    dessen erste Impulse sich aus der Publikation der ZeitschriftNeue Jugendentwickelten5, entwuchs DADA KÖLN einem um die politisch-satirischeZeitschriftDer Ventilator gruppierten Kreis von jungen Künstlern und derUnabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) naheste-henden Politikern.

    Um zu eruieren, wie sich aus den unterschiedlichen Reaktionen der Köl-ner Dada-Protagonisten auf den Krieg und die folgende Krise der Impuls füreine derart spezifische Protestkultur wie Dada hat entwickeln können, ge-nügt es daher nicht, lediglich dieästhetischen Einflüsse aufzuschlüsseln.Vielmehr ist es zunächst vonnöten, in groben Zügen die historische Krisen-konstellation der Jahre 1918 bis 1921 zu skizzieren. Dabei soll zum einenversucht werden, die politischen und sozioökonomischen Entwicklungenimnachrevolutionären Deutschland darzustellen, zum anderen aber auch, denBlick auf die lokale Situation in Köln zu richten. Erst auf dieser histori-schen Grundlagekann das politische Engagement derVentilator-Redaktionsowie jener Einzelpersonen eingeordnet werden, die entweder - wie AlfredF. Gruenwald - zu den Protagonisten von DADA KÖLNzu rechnen sindoder - wie Franz W. Seiwert - zumindest zeitweilig in engem Kontakt zuder Gruppe standen.

    In Deutschland war nach der Reichsgründung von1871 die notwendigeSynchronisierung der politischen und der sozioökonomischen Entwicklungunterlassen worden. Zwar hatten die agrarisch-konservativen Eliten desKaiserreichs die ökonomische Modernisierung durchdas bürgerliche Unter-nehmertum geduldet,ja sogar vorangetrieben, eine fundamentale Demokra-tisierung jedoch mit repressiven Maßnahmen verhindert. Dabei zeigten sichdie Führungsschichten des wilhelminischen Reiches unfähig, die aus derfehlenden Synchronisierung resultierenden mentalen Unsicherheiten in der

    5 Franz Jung hat darauf hingewiesen,daß die Berliner Dada-Aktivitätennicht auf das Zür-cher Vorbild zurückzuführen sind: "Was sich jetzt in Berlin als eine Bewegung herauszu-bilden schien, hatte mit der Bewegung >Dada

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    sich forciert segmentierenden Gesellschaft aufzufangen. Die inneren Wider-sprüche dieses labilen Systems führten schließlich gemeinsam mit außenpo-litischen Konflikten - wie etwa der deutsch-britischen Flottenrivalität - zumeinen zu einer regelrechten Bedrohungshysterie in weiten Kreisen der deut-schen Bevölkerung, zum anderen zu einer internationalen Blockade desDeutschen Reiches.

    Das Kaiserreich, das die umfassende Modernisierung der deutschen Ge-sellschaft nicht hatte leisten können, flüchtete sich schließlich im August1914 an der Seite Österreich-Ungarns in den Krieg - einen Krieg, in denMillionen deutscher Soldaten mit Begeisterung zogen. Es zeigte sich,daßdas spezifische wilhelminische Lebensgefühl - eine brisante Mischung ausder Erfahrung massiver sozialer Aufstiegsmöglichkeiten, Obrigkeitsstaat-lichkeit und nationalistischem Überlegenheitsgefühl - hinreichte,um derpolitischen und militärischen Führung die massenhafte Loyalität der deut-schen Bevölkerung zu sichern. Die Euphorie fürdie» Ideen des August« er-faßte in besonderem Maße das Bürgertum, und auch viele Intellektuelle ent-zogen sich nicht den Hoffnungenauf eine soziale Erneuerung, die durch dievon Kaiser Wilhelm 11. propagierte Formel des innenpolitischen»Burgfriedens« genährt wurden. So formulierte etwa Thomas Mann dieStimmung der überwältigenden Mehrheit der deutschen Künstler und Wis-senschaftler, wenner im Herbst 1914 schrieb:

    Krieg Es war Reinigung, Befreiung, waswir empfanden, undeine ungeheure Hoffnung. [.. ] Was die Dichter begeisterte,war der Krieg an sich selbst, als Heimsuchung, als sittlicheNot. Es war der nie erhörte, der gewaltige und schwärmeri-sche Zusammenschlußder Nation in der Bereitschaft zu tief-ster Prüfung - einer Bereitschaft, einem Radikalismus der Ent-schlossenheit, wie die Geschichte der Völker sie vielleicht

    bisher nicht kannte. Aller innere Haß, den der Komfort desFriedens hatte giftig werden lassen -wo war er nun?6

    Auch der großbürgerlichem Milieu entstammende AlfredF. Gruenwaldmeldete sich am 2. August 1914 freiwillig an die Front.7 Max Ernst hat

    6 Thomas Mann: ,.Qedanken im Kriege« (1914).In: den., Gesammelte Werke in dreizehnBänden, Bd.xm: Nachträge. FrankfurtlM.: Fischer 1974, S. 527.

    7 Vgl. zu Gruenwald-Baargeldl Reaktion Walter Vin:Auf der SUCM nach der Biographiedes KIJlner Dadoisren Johannes 7heodor Baargeld, a.a.O., S. 22.

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    seine Haltung zum Krieg in seinen..Biographischen Notizen« folgenderma-ßen beschrieben:

    Und dann die große Schweinerei. Niemand aus dem Freun-deskreishat's eilig sein Lebenzu opfern, für Gott, König undVaterland. [ .. ] Max muß ins Heer. Feldartillerie. Vier Mo-nate Kaserne in Köln-Niehl,dann hinaus in die Scheiße. VierJahre . . Siegreich wolln wir Frankreich schlagen, sterben alsein tapfrer Heheheheld... «Was kann er tun gegen Stumpfsinn, Militärleben, Ekel undGreuel? Heulen, fluchen, kotzen hilft nichts. Ein Versuchsich im Kontemplativen zu verkapseln hat wenig Erfolg. Einpaar Aquarelle kommen dabei heraus. . . Talfahrt der Tiere amAbend«, ..Von der Liebe in den Dingen«,..Sieg der Spindel«.Genügt nicht. Also nur abwarten (.durchhalten«) 8

    Konfrontiert man diese..Erinnerung« mit den Aufzeichnungen, die MaxErnsts Vater Philipp Ernst in seinFamilienbuch eingetragen hat, relativiertsich die ..Kriegsgegnerschaft« Max Ernsts:

    Noch vor Abschluß seines [Max Ernsts - J. S.] wissenschaftli-chen Studiums brach am1. August 1914 der Weltkrieg aus.Schon bald, am 24. August, traten Max und sein Bruder Karl,der im 1. Semester in Bonn Medizin studierte, als Kriegsfrei-willige beim Rhein.-Feldartillerie-Regt. Nr.23 in Köln ein.Nach kurzer Ausbildung kam Max im Januar15 zur West-front, wo er in den vier Kriegsjahren an vielen schwerenKämpfen teilnahm und mit dem E.K.11. u. I. ausgezeichnetund zum Leutnant d. Res. befördert wurde. Abgesehen von

    einigen kleinen Unfällen ist Max, Gott Dank, vor Verwun-dungen bewahrt geblieben, sodaßer im Nov. 1918 heil undgesund in die Heimat zurückkehren konnte.9

    8 Max Ernst: ,.Biographische Notizen (Wahrheitsgewebe und Lügengewebe)«, a.a.O., S.132.

    9 Philipp Ernst: Mit Gon Familienbuch des Philipp Joseph Ernst und seiner Frau Luisa,geb. Kopp. Unveröff. Ms. 1937-1941. - Zit. nach Wulf Herzogenrath Max Ernstin KlJln, a.a.O., S. 53. - Jürgen Pech (Bonn) wirdim Siegener DADA KOLN-Symposi-onsband bislang unbekannte Feldpostbriefe und -postkarten von Max Ernst aus dem Er-sten Weltkrieg vorlegen, die einen Einblickin Ernsts Kriegserlebnisse geben.

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    Wir können somit festhalten, daß von einer prinzipiellen Gegnerschaftsowohl im Falle Alfred F. Gruenwalds als auch bei Max Ernst zunächstkeine Rede sein kann. Vielmehr sind beidefreiwillig in den Krieg gezogen;beide scheinen also von der Kriegseuphorie angesteckt worden zu sein.Doch der blutige Stellungskrieg mit dem Einsatz modernster Kriegstechnikenttäuschte die Hoffnungenauf eine kathartische Wirkung des Kriegserleb-nisses schon bald, ja er intensivierte sogar die sozialen Konflikte in derdeutschen Gesellschaft, dieer zunächst im Gemeinschaftserlebnis aufzuhe-ben versprochen hatte. Dies führte auch bei den demokratischen politischenKräften, die im August 1914 die Kriegspolitik unterstützt hatten, zu tief-greifenden Desillusionierungen und ermöglichte die Abkoppelung vom He-gemonialanspruch der konservativen Führung, deren Autorität spätestensseit 1917 rapide verfiel.

    Die Sozialdemokratie hatte sich jedoch unterdessen gespalten. Am 7./8.April 1917 war in Gotha die USPD von jenen Sozialdemokraten gegründetworden, die ihre Zustimmung zu weiteren Kriegskrediten verweigert hatten.Auch in Köln hatte sich am 17. Mai 1917 eine etwa 25 Mitglieder umfas-sende Ortsgruppe der USPD konstituiert, deren gesamter Vorstand jedocham 16. Dezember 1917 während einer Mitgliederversammlung verhaftetwurde. Bis zum November 1918 wurde die Kölner USPD durch repressivepolizeiliche Maßnahmen an jeglicher öffentlichen Agitation gehindert. Auchihre Mitgliederzahl wuchs nur langsam; im November 1918 gehörten derKölner USPD lediglich rund 250 Mitglieder an. Mit der Spaltung der SPDbrach der Konflikt zwischen dem revolutionären und dem reformorientier-ten Flügel, der die Strategiedebattender Sozialdemokratie seit den TagenLassalles undMarx' geprägt hatte, unwiderruflich auf. Folglich trat die so-zialistische Linke mit dem ,.Geburtsfehler der strukturellen Heterogenität«(DetlevJ. K. Peukert)in die Revolution des November 1918 ein.

    Diese Ausgangssituation müssenwir berücksichtigen, wennwir uns den

    Ereignissen des November 1918 zuwenden. Nachdem die Agonie des Kai-serreichs nach dem Zusammenbruch der Westfront nicht mehr aufzuhaltenwar, brach am 3. und 4. November der Kieler Matrosenaufstand los. DieMatrosen hatten sich geweigert, zu einem aussichtslosen Angriff gegenGroßbritannien auszulaufen. Die Rebellion griff innerhalb weniger Tageaufdas gesamte Reichsgebiet über. Bereits am 7. November traf eine Delega-tion der Kieler Matrosen in Köln ein, das damals eine Großstadt mit im-merhin 630.000 Einwohnern und eine der wichtigsten Zentralen für dieVersorgung der Westfront war.

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    Obwohl keine der beiden sozialdemokratischen Parteien in Köln die Re-volution aktiv vorantrieb, war es schließlich die Kölner SPD, welche dieEreignisse nach ihren Vorstellungen gestaltete und schnell wieder in ruhi-gere Bahnen lenkte.Am 8. November kamen die örtlichen Vorstände vonSPD und USPD zu einer Konferenz zusammen. Die SPD-Vertreter lehntenden Antrag der USPD, eine sozialistische Republik auszurufen, entschiedenab. Statt dessen drängten sie die machtlosen USPD-Vertreter, sich an derGründung eines paritätisch besetzten Arbeiterrates zu beteiligen und bautenihre dominante Stellung in diesem Rat immer mehr aus. Damit entsprachdie Kölner Konstellation im wesentlichen der Situation in den meisten deut-schen Großstädten, in denen die Räte anstandslos die Führungsrolle derbeiden Arbeiterparteien, besonders der SPD, akzeptierten und festigten.Wie in Berlin, wo die Übergabe der Regierungsverantwortung fürdas ge-samte Reich von dem ,.Übergangskanzler« Prinz Max von Baden an den pa-ritätisch von SPD und USPD besetzten Rat der Volksbeauftragten durcheinen Basiskompromiß zwischen den republikanischen Volksbeauftragtenund der militärischen Führung um General Groener abgefedert wurde, soverständigte sich auch der Kölner Arbeiter- und Soldatenrat rasch mit demOberbürgermeister Konrad Adenauer (Zentrum) über eine Kooperation. DieSPD unter der Führung von Wilhelm Sollmann übernahm binnen weniger

    Tage resolut die Federführung; ihr oberstes Ziel war die,.Wiederherstellungund Aufrechterhaltung der Ordnung«.lo Obwohl die öffentliche Gewalt inKöln beim Arbeiter- und Soldatenrat verbleiben sollte, wurden alle wesent-lichen Befugnisse dem am 10. November gegründeten Wohlfahrtsausschuß,einem Gremium, in dem neben sieben Sozialdemokraten auch die Vorsit-zenden der beiden bürgerlichen Parteien, ein christlicher Gewerkschaftsse-kretär ein Arbeitgebervertreter ein Vertreter des Gouvernements und derRegierungspräsident saßen. Der Kölner Arbeiter- und Soldatenrat wurdesomit bereits zwei Tage nach seiner Etablierung wieder entmachtet. Die Re-

    volution war in Köln spätestens Mitte November 1918 durch einen Kom-promiß zwischen den Sozialdemokraten und den demokratischen bürgerli-chen Parteien beendet worden.Am 6. Dezember 1918 rückten gemäß denBestimmungen des Versailler Vertrages die britischen Besatzungstruppen inKöln ein und erklärten sich lediglich zur Zusammenarbeit mit den ,.legalen«Behörden bereit. Daraufhin wurden die Räte endgültig aufgelöst.

    Auch auf der Reichsebene beharrte die sozialdemokratische Führung aufdem Erhalt der Verwaltungskontinuität. Diese Strategie verhalf ihr zu er-

    10 Wilhelm Sollmann:Die Revolutionin KiJln. Ein Bericht über Tatsachen. Köln: Verlag der,.Rheinischen Zeitung« 1918, S. 11.

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    staunlichen Erfolgen bei der ,.inneren Liquidierung« des Krieges: der De-mobilmachung, der Umstellung von der Kriegs-auf die Friedenswirtschaftund der Verhinderung von gewalttätigen Konfrontationen größeren Ausmas-ses. l I Allerdings wurde dadurch versäumt, die Demokratisierung der Ver-waltung und des Militärs einzuleiten.Auf nahezu allen gesellschaftlichenBereichen -auf Politik, Militär, Verwaltung und auchauf den Künsten - la-stete daher das ideologische ,.Erbe« des Kaiserreichs, dessen Modemitäts-feindlichkeit sich von Beginn an aus antidemokratischen Ressentimentsnährte.

    Bei den Wahlen zur Nationalversammlungam 19. Januar 1919 erreichtedie SPD 37,9 % der Wählerstimmen, die USPD brachte es hingegen ledig-lich auf 7,6 %. Während die SPD mit dem katholischen Zentrum und derlinksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) dieWeimarer Ko-alition einging und bis zum August 1919 die Weimarer Reichsverfassungdurchsetzte, wurde die USPDin eine marginale Position abgedrängt. Nochkrasser war der Unterschied zwischen den Stimmenpotentialen der beidensozialdemokratischen Parteien in Köln:Hier kam die SPD im Januar 1919auf 38,6 %, für die USPD hingegen votierten nur 1,4%. Von dieser,.Schlappe« konnte sich die USPD nicht wieder erholen. Zwar wuchs ihrStimmenanteil zwischenzeitlich sowohlauf der Reichsebene als auch inKöln, wo sie bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlungvom 5.Oktober 1919auf 6,7 % und bei den ersten Reichstagswahlenam 6. Juni1920 sogar auf 11,8 % kam. Doch die begründete Hoffnung der USPD,nach dem gescheiterten rechtsradikalen ,.Kapp-Putsch« vomMärz 1920 unddem beachtlichen Ergebnis der Reichstagswahlen zur stärksten Arbeiterpar-tei zu werden, wurdeim Herbst 1920 durch die innerparteiliche Debatteumden Anschluß an dievon den russischen Bolschewiki initiierte III. Kommu-nistische Internationale zerstört. Diese Diskussionführte zur Spaltung derPartei: Während die Mehrzahl der Funktionäre und etwa die Hälfte der

    Mitglieder für den Anschluß stimmten und sichim Dezember 1920 mit derKommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zur Vereinigten Kommunisti-schen Partei Deutschlands (VKPD) zusammenschlossen, kehrten die ande-ren Mitglieder entwederzur SPD zurück oder zogen sich ausder Politik zu-rück. Auch in Köln vollzog sichim Herbst 1920 diese Spaltung:Die demlinken Parteiflügel zuzuordnende Kölner Ortsgruppe der Partei stimmte mitüberwältigender Mehrheit für die Fusion mitder KPD.

    11 Vgl. dazu Detlev J. K. Peukert:Die Wei1/lQrer Republik. Krisenjahre der KlassischenModeme. FrankfurtlM.: Suhrkamp 1987, S. 57ff.

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    Vom Ersten Weltkrieg zur Weimarer Republik 41

    Wodurch rechtfertigt sich dieser relativ ausführliche historische Exkursinbezug auf unser Thema? Zum einen haben wir das politische und sozialeUmfeld abgesteckt,in dem sich die (prä-)dadaistischen Aktivitäten entfalte-ten. Zum anderen könnenwir - besonders bei der Analyse der ZeitschriftDer Ventilator - auf die hier gelegten Grundlagen zurückgreifen. Denn dererste Impuls für die prä-dadaistischen Aktivitätenin der Formierungsphaseder Gruppe ging keineswegs von einem direkten Einfluß durchDADA ZÜ-RICH aus. Die Zürcher Aktivitäten wurden in Köln erst nach demMün-chen-Aufenthalt Max Ernsts und AlfredF. Gruenwalds im September 1919bekannt. Zwar dürften der Kölner Gruppe in dieser Phase die AktionenderBerliner Dadaisten bekannt gewesen sein, denn Max Ernst und Luise Strausunterhielten freundschaftliche Beziehungen zu Mitgliedern der BerlinerGruppe - besonders zu Wieland Herzfe