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Dienstag, 26. November 1963 II Taglich drei Ausgaben Der Zürcher Zeitung 184. Jahrgang Preis 25 Rp. Mittagausgabe Nr. 4880 er 3f iltttttt und schweizerisches Handelsblatt !«* . T?*.l « -* 11 r/*\*.\ mXm Redaktion* FalkenstraSe 11, Zürich Telephon (051) 327100 Beisetzung Präsident Kennedys auf dem Arlington-Friedhof in Washington Entzündung einer ewigen Flamme auf dem Grab W. I. Washington, 25. November Unter einem strahlenden Herbsthimmel, auf einer den Potomac überragenden Anhöhe unweit des Hauses Robert E. Lees, wurde am Montagnachmittag John F. Kennedy zu Grabe getragen. Vor zwei Wochen hatte er dort noch, am Waffenstillstandstag, am Grabmal des Unbekannten Soldaten, begleitet von seinem Sohn John, einen Kranz niedergelegt. Heute erwies man ihm selbst die letzten militärischen Ehren. Einundzwanzig Kanonenschüsse donnerten durch den baumbestandenen alten Soldaten- friedhof, di-ci Ehrensalven verhallten in der Luft. Ein Trompeter blies «Taps». Kardinal Gushing sprach die Grabgebete. Feierlich wurde die Flagge gefaltet, die den Sarg be- deckte, und Mrs. Kennedy übergeben; dan n wurde die sterbliche Hülle des Präsidenten ins Grab gesenkt. Mrs. Kennedy entzündete zusammen mit den Brüdern Robert und Edward Kennedy mit einer Fackel ein ewiges Licht, das auf Wunsch der Witwe auf dem Grabe brennen soll. Fünfzig Düsenjäger, ge- folgt vom offiziellen Flugzeug des Präsidenten, jagten in V-Formation über die Szene beim Rückflug ohne das Spitzenflugzeug, zum Zeichen des Todes des Höchstkommandieren- den der amerikanischen Streitkräfte. Stumm standen die vielen Menschen, die sich zur Beisetzung eingefunden hatten, noch lange nachdem die engere Familie, Präsident Johnson und die Kongreßmitglieder und aus- ländischen Gäste in die Stadt zurückgefahren waren, wo nun die Regierungsgeschäfte wie- der in ihre Rechte treten. Die letzte Fahrt Gegen Mittag war der Sarg aus dem Capi- tol, wo die ganze Nacht hindurch Zehntausende von Menschen, die stundenlang in langen Reihen gestanden hatten, schweigend an ihm vorbeidefilierten, ins Weiße Haus zurückge- bracht worden. Mrs. Jacqueline Kennedy, die am späten Sonntagabend in Begleitung ihres Schwagers Robert die Rotunde zum zweiten- mal besucht hatte, fuhr wiederum im Zuge mit unmittelbar hinter dem symbolischen, reitei'losen gesattelten Pferd, in dessen sil- bernen Steigbügeln reversierte Reitstiefel hin- gen. Diesmal marschierten Militärkapellen mit, deren Trauermusik durch die menschen- gesäumten Straßen hallte. Als die Lafette mit dem fahnengeschmückten Sarg die Einfahrt des Weißen Hauses erreichte , sang ein Chor der Flotte die ergreifende Hymne der See- leute, zu denen Kennedy im Krieg gehört«: «Eternal Father, strong to save, whose arm bath bound the restless wave.» Vor dem Eingang des Weißen Hauses hat- ten sich die Trauergäste aus aller Welt in protokollarischer Ordnung aufgestellt in der vordersten Reihe bemerkte man die Präsidenten de Gaulle und Lübke, Königin Friederike von Griechenland, Baudouin, den König der Belgier, und Kaiser Haue Selassie, und hinter ihnen die Außenminister, unter ihnen Bundesrat Wählen und Botschafter Micheli, und die vielen anderen Abgesandten. Flankiert von Justizminister Robert und Senator Edward Kennedy, führte Mrs. Jacque- line Kennedy den Trauerzug hinter der Lafette an, der sich auf ihren Wunsch zu Fuß, zu den Trauerklängen einer Glocke der dem Weißen Haus gegenüberliegenden bischöf- lichen Kirche, nach der St. Matthews-Kathe- drale in Bewegung setzte. Die Kinder Caro- line und John folgten der Mutter im Auto. Detachemente der Armee, der Flotte, der Luftwaffe und der Marinefüsiliere sowie der Militärschulen marschierten in dem Zuge mit, ebenso eine Gruppe der «Irish Guard». Totenmesse in St. Matthews In der Kathedrale zelebrierte der Erz- bischof von Boston, Kardinal Cushing, die Totenmesse. Vor der feierlichen Einsegnung des Sarges sprach der katholische Hilfsbischof von Washington, Philip Nannon, von der Kanzel einige Stellen aus Kennedys Reden, vor allem seine Lieblingszitate aus der Bibel-' und Teile seiner Inauguraladresse. Die Aüa- wähl charakterisierte vorzüglich den hoch- gemuten, in vielen schweren Erfahrungen ge- härteten, unerschrockenen, aber nie zu un- überlegten Handlungen oder Aeußerungen hingerissenen jungen Präsidenten, seinen Edelmut und seine immer eindrückliehe menschliche Haltung. Um dieser Eigenschaf- ten willen vielleicht mehr als um seiner un- vollendeten Vorhaben willen wird man sich seiner hierzulande lange erinnern. Es ist echte Tragik, daß dieser unternehmende Mann, dem vor allem daran lag, seine Auf- gabe, wie er sie sah, zu erfüllen, sie nun un- erfüllt lassen mußte. Amerika hat in diesen schmerzlichen Tagen des Grauens aus der Haltung der Ken- nedys Mut schöpfen können. Die Würde und Fassung Mrs. Jacqueline Kennedys ist vielen ein stärkender Trost. Sie hat dem Lande die Selbstachtung zurückgegeben, die unter dem Eindruck der demütigenden Ereignisse von Dallas ins Wanken geraten war. Sie gab dem Lande das Beispiel, das John Fitzgerald Kennedy ihm als Präsident vorzuleben ver- suchte und von dem man nur hoffen kann, daß es nachwirke. Illustre Trauergäste F. L. Washington, 25. November Kein Ereignis der jüngsten Zeit hat eine so illustre Versammlung von gekrönten Häup- tern, Staatschefs, führenden Politikern und sonstigen Würdenträgern zusammengebracht wie die Beisetzung Präsident Kennedys. Die Vertreter von etwa hundert Staaten sind nach Washington gekommen. In normalen Zeiten wäre jeder Einzelne von ihnen Mittelpunkt protokollarischen Zeremoniells und öffent- lichen Interesses gewesen; ihre Masse ist jetzt, an diesem kummervollen Tage, eine Erschei- nung am Rande des Geschehens. Amerika hat seine Augen zu sehr auf dem einsamen Sarg unter dem Sternenbanner, ist zu sehr vom Mit- gefühl mit der tapferen Frau im Weißen Haus bewegt und von seinem nationalen Unglück betroffen, als daß es seine Aufmerksamkeit den fremden Würdenträgern zuwenden könnte. Das Staatsdepartement hatte anfänglich versucht, den Andrang offizieller Beileids- besuchcr zurückzudrängen. Aber der Wunsch nach persönlicher Anteilnahme war bei den führenden Staatsmännern der Alliierten, Neutralen und selbst der politischen Gegner zu groß; man hat ihn als einen Ausdruck der Verbundenheit der freien Nationen wie der weltpolitischen Führungsrolle des Landes respektiert. Was die protokollarische Be- treuung, die Schaffung einer Präzedenzord- nung, nicht weniger aber die Garantierung der Sicherheit der zum Teil exponierten offi- ziellen Gäste für Probleme und Belastungen mit sich brachte zusätzlich zu dem, was in diesen Tagen ohnehin auf dem amerikani- schen Regierungsapparat lastet , kann man nur ahnen. Sie wurden offensichtlich bewäl- tigt. Man wird nicht so schnell wieder Bilder seilen, wie man sie nach dem Trauergottes- dienst auf der Treppe der St. Matthews- Kathedrale oder bei der Beisetzung auf dem Friedhof von Arlington sehen konnte: dicht gedrängt in der frostigen winterlichen Luft standen da beieinander Prinz Philip, Charles de Gaulle, Königin Friederike, König Bau- douin, Sir Alec Douglas-Home, Harold Wil- son, Paul-Henri Spaak, Prinz Bei*nhard und Kronprinzessin Beatrix, Couve de Murville, Mikojan, Bundespräsident Lübke mit Bun- deskanzler Erhard, Bürgermeister Brandt, Jean Monnet, der Kaiser von Aethiopien Haue Selassie, Außenminister Piccioni, Bun- deskanzler Gorbach und hundert und mehr Regierungschefs, Minister und Botschafter. Auch Bundesrat Wahlen und der General- sekretär des Politischen Departements, Micheli, waren zu sehen. Die Witwe des ermordeten Präsidenten, Mrs. Kennedy, die ihre schwersten Tage und Stunden in einer Haltung getragen hat, die ihr die spontan e Bewunderung und das leb- hafteste Mitgefühl der Nation haben zuteil werden lassen, hat unmittelbar nach der Bei- setzung die offiziellen ausländischen Trauer- gäste zu einem Beileidsbesuch im Weißen Haus empfangen. Später hat Präsident John- De Gaulle bei Präsident Johnson Washington, 26. Nov. (UPI) Der neue amerikanische Präsident Lyndon Johnson und der französische Präsident de Gaulle führten am Montagabend ein fast 25 Minuten dauerndes vertrauliches Gespräch. Präsident de Gaulle war der erste ausländische Staats- mann, mit dem der neue amerikanische Prä- sident zu einem persönlichen Gespräch zusammentraf. Es wird angenommen, daß die beiden Staatsoberhäupter wichtige die beiden Länder betreffende Fragen besprachen. Un- mittelbar nach dem Gespräch begab sich de Gaulle zum Flughafen, um nach Paris zurückzufliegen. Später erklärte Johnson vor einer Gruppe von 30 amerikanischen Staatsgouverneuren, die von ihm im Weißen Haus empfangen wurden, de Gaulle werde anfangs des näch- sten Jahres zu Gesprächen nach Washington zurückkehren. Das Gespräch zwischen den beiden Staats- chefs fand im Arbeitsraum Staatssekretär Rusks statt. Obwohl es fast acht Uhr abends war, als de Gaulle den amerikanichen Präsi- denten verließ, waren in den Korridoren noch zahlreiche Beamte des Staatsdepartements anwesend, die de Gaulle mit Applaus begrüß- ten. De Gaulle blieb mehrfach stehen und drückte mehreren Personen die Hand. Die Sicherheitsmaßnahmen, die für de Gaulle getroffen worden waren, waren strikter als für alle übrigen Würdenträger, ausgenommen den sowjetischen Ersten Stell- vertretenden Ministerpräsidenten Mikojan. Vor und hinter dem Cadillac de Gaulies fuh- ren Wagen mit Secret-Service-Beamten, und neben seinem Auto liefen Sicherheitsbeamte des Staatsdepartements mit. Bei der Abfahrt de Gaulles vom Staatsdepartement standen noch etwa 200 Schaulustige hinter einer von der Polizei gebildeten Sperrkette, die dem französischen Präsidenten eine Ovation dar- brachten. Rückflug nach Paris Washington, 26. Nov. (UPI) Präsident de Gaulle hat am Dienstagmorgen um 2 Uhr 54 (MEZ) Washington auf dem Luftwege mit Richtung Paris verlassen. son sie im Staatsdepartement begrüßt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er mit dem einen und andern Regierungschef ein Gespräch füh- ren wird; besonders de Gaulle, Sir Alec Doug- las-Home und Bundeskanzler Erhard stehen im Vordergrund. Doch gilt dies nicht als der geeignete Moment für politische Verhandlun- gen und Konversationen. Empfang bei Mrs. Kennedy Washington, 26. Nov. ag (AFP) Unmittel- bar nach der Bestattung Präsident Kennedys auf dem Nationalfriedhof von Arlington emp- fing Mrs. Jacqueline Kennedy im Weißen Haus die hohen auswärtigen Gäste, die ihrem Gatten die letzte Ehre erwiesen hatten. Sie unterhielt sich zuerst mit Präsident de Gaulle, Andere Ufer Kindheitserinnerungen von Vladimir Nabokov Copyright by Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg Erstes Kapitel I. Die Wiege steht über einem Abgrund, und der Verstand sagt uns, daß unser Leben nur ein kur- zer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dun- kels ist. Obsclion die beiden identische Zwillinge sind, betrachtet man in der Regel den Abgrund vor der Geburt mit größerer Gelassenheit als jenen anderen, dem man mit etwa viereinhalbtausend Herzschlägen in der Stunde entgegeneilt. Ich weiß jedoch von einem sensiblen jungen Menschen, der so etwas wie Panik empfand, als er zum ersten Mal einige alte Filme sah, die ein paar Wochen vor seiner Geburt aufgenommen worden waren. Er erblickte eine praktisch unveränderte Welt dasselbe Haus, dieselben Leute , und dann wurde ihm klar, daß es ihn dort nicht gab und daß nie- mand sein Fehlen bedauerte. Was ihm besonderen Schrecken einjagte, war der Anblick eines nagel- neuen Kinderwagens, der dort vor der Haustör selbstgefällig und anmaßend stand wie ein Sarg; auch er war leer, als hätte sich im umgekehrten Lauf der Dinge sogar sein Skelett aufgelöst Jungen Menschen sind dergleichen Vorstellun- gen nicht fremd. Oder anders ausgedrückt: die ersten und die letzten Dinge haben oft etwa s Pu- bertäres an sich es sei denn, eine ehrwürdige und strenge Religion ordnete sie. Die Natur er- wartet vom erwachsenen Menschen, daß er die schwarze Leere vor sich und hinter sich genau so ungerührt hinnimmt wie die außerordentlichen Vi- sionen dazwischen. Die Einbildungskraft, die höchste Wonne des Unsterblichen und des Unrei- fen, soll beschränkt sein. Um das Leben zu genie- ßen, dürfen wir es nicht zu sehr genießen. Ich lehne mich auf gegen diesen Zustand. Ich verspüre den Wunsch, meine Auflehnung nach außen zu tragen und der Natur ein Schnippchen zu schlagen. Ein um das andere Mal hat mein Geist enorme Anstrengungen unternommen, um auch nur den allerschwächsten persönlichen Lichtschim- mer in der unpersönlichen Dunkelheit auf beiden Seiten meines Lebens wahrzunehmen. Daß an die- ser Dunkelheit nur die Mauern der Zeit schuld sind, die mich und meine zerschundenen Fäuste von der freien Welt der Zeitlosigkeit trennen, das ist eine Ueberzeugung, die ich freudig mit dem buntestbemalten Wilden teile. Im Geist bin ich in entlegene Gegenden zurückgereist und der Geist ließ mich unterwegs hoffnungslos im Stich , auf der Sache nach irgendeinem geheimen Ausweg, nnr um zu entdecken, daß das Gefängnis der Zeit eine Kugel nnd ohne Ausgang ist. Bis auf Selbstmord habe ich alles versucht Ich habe meine- Identität abgelegt, am für ein gewöhnliches Gespenst zu gelten und mich in Bereiche einzuschleichen, die vor meiner Zeugung existierten. Ich habe geistig die entwürdigende Gesellschaft viktorianischer Ro- manschriftstellerinnen und pensionierter Obristen auf mich genommen, die sich erinnern, in -einem früheren Leben Sklavenboten auf einer Straße Roms oder Weise unter den Weiden Lhasas ge- wesen zu sein. Ich habe meine ältesten Träume nach Aufschlüssen und Fingerzeige n durchwühlt und ich möchte gleich sagen, daß ich die vul- gäre, schäbige, durch und durch mittelalterliche Welt Freuds mit ihrer besessenen Suche nach se- xuellen Symbolen (vergleichbar etwa der Suche nach Baconschen Akrostichen im Werke Shake- speares) und ihren verbitterten kleinen Embryos, die von ihren natürlichen Nestern aus das Liebes- leben ihrer Eltern bespitzeln, ganz und gar ab- lehne. Anfangs merkte ich nicht, daß die Zeit, die auf den ersten Blick so grenzenlos scheint, ein Gefäng- nis ist. Wenn ich meine Kindheit erkunde (was fast so gut ist wie die Erkundung der eigenen Ewigkeit), sehe ich das Erwachen des Bewußtseins als eine Reihe vereinzelter Helligkeiten, deren Ab- stände sich nach und nach verringern, bis lichte Bewußtseinsblöcke entstehen, die dem Gedächtnis schlüpfrigen Halt bieten. Zählen und Sprechen hatte ich mehr oder weniger gleichzeitig gelernt, und die Entdeckung, daß ich ich war nnd meine Eltern meine Eltern , hing unmittelbar damit zu - sammen, daß ich ihr Alter im Verhältnis zu mei- nem begriff. Nach dem hellen Sonnenlicht und den ovalen Sonnenflecken unter den sich überlagernden Mustern grünen Laubes zu urteilen, die mein Ge- dächtnis überfluten, wenn ich an diese Entdek- kung denke, war es am Geburtstag meines Vateis, mitten im Sommer auf dem Land, und ich hatte Fragen gestellt und die Antworten abgewogen. All das ist genau, wie es dem biogenetischen Grund- gesetz zufolge sein soll; der Anfang reflektieren- den Bewußtseins im Gehirn unseres entferntesten ^orfahren ist ganz gewiß mit dem Erwachen des Zcitsinns zusammengefallen. Als die gerade enthüllte, frische und grüne For- mel meines eigenen Alters, drei, den elterlichen Formeln, dreiunddreißig und siebenundzwanzig, entgegengehalten wurde, geschah etwas mit mir. Ich erhielt einen ungeheuer belebenden Schock. Als hätte ich eine zweite Tanfe hinter mir (von göttlicherer Art als die griechisch-orthodoxe Tauoh- übung, die erst neununddreißig Monate zurücklag), fühlte ich mich mit einem Male in ein strahlendes und bewegliches Medium gestürzt, das nichts an- deres war als das reine Element Zeit Man teilte es genau wie erregte Schwimmer das flimmernde Meer mit Wesen, die anders waren als man selbst und einem doch verbunden durch den allen gemeinen Strom der Zeit, eine Umgebung, die grundverschieden war von der des Raumes, welche nicht nur der Mensch, sondern auch Affen nnd Schmetterlinge wahrnehmen können. In diesem Augenblick wurde mir deutlich bewußt, daß das siebenundzwanzigjährige Wesen in weichem Weiß und Rosa, das meine linke Hand hielt, meine Mut- ter war und das dreiunddreißigjährige, das meine Rechte hielt, mein Vater. Zwischen ihnen, die gleichmäßig ausschritten, stolzierte and stolperte und stolzierte ich, in der Mitte eines sonnigen We- ges, den ich heute ohne Schwierigkeit mit einer Allee ornamentaler Eichen im Park unseres Land- sitzes in der ehemaligen Provinz St. Petersburg, Rußland, identifiziere. Ja, heute kommt es mir vor, als hätte ich an jenem einundzwanzigsten Juli 1902 jubelnd die Geburt meines wachen Lebens gefeiert. Wenn die beiden , die mich rechts und links hielten, Neue Zürcher Zeitung vom 26.11.1963

Dienstag, November II Der Zürcher er 3filtttttt

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Dienstag, 26. November 1963 II

Taglich drei Ausgaben

Der Zürcher Zeitung 184. Jahrgang Preis 25 Rp. Mittagausgabe Nr. 4880

er 3filttttttund schweizerisches Handelsblatt !«* . T?*.l « -* 1 1 r/*\*.\ mXmRedaktion* FalkenstraSe 11, Zürich

Telephon (051) 327100

Beisetzung Präsident Kennedys

auf dem Arlington-Friedhof in WashingtonEntzündung einer ewigen Flamme auf dem Grab

W. I. Washington, 25. November

Unter einem strahlenden Herbsthimmel,auf einer den Potomac überragenden Anhöheunweit des Hauses Robert E. Lees, wurde amMontagnachmittag John F. Kennedy zu Grabegetragen. Vor zwei Wochen hatte er dort noch,

am Waffenstillstandstag, am Grabmal desUnbekannten Soldaten, begleitet von seinemSohn John, einen Kranz niedergelegt. Heuteerwies man ihm selbst die letzten militärischenEhren.

Einundzwanzig Kanonenschüsse donnertendurch den baumbestandenen alten Soldaten-friedhof, di-ci Ehrensalven verhallten in derLuft. Ein Trompeter blies «Taps». KardinalGushing sprach die Grabgebete. Feierlichwurde die Flagge gefaltet, die den Sarg be-deckte, und Mrs. Kennedy übergeben; d a nnwurde die sterbliche Hülle des Präsidentenins Grab gesenkt. Mrs. Kennedy entzündetezusammen mit den Brüdern Robert undEdward Kennedy mit einer Fackel ein ewiges

Licht, das auf Wunsch der Witwe auf demGrabe brennen soll. Fünfzig Düsenjäger, ge-folgt vom offiziellen Flugzeug des Präsidenten,jagten in V-Formation über die Szene beimRückflug ohne das Spitzenflugzeug, zumZeichen des Todes des Höchstkommandieren-den der amerikanischen Streitkräfte.

Stumm standen die vielen Menschen, diesich zur Beisetzung eingefunden hatten, nochlange nachdem die engere Familie, PräsidentJohnson und die Kongreßmitglieder und aus-

ländischen Gäste in die Stadt zurückgefahren

waren, wo nun die Regierungsgeschäfte wie-der in ihre Rechte treten.

Die letzte FahrtGegen Mittag war der Sarg aus dem Capi-

tol, wo die ganze Nacht hindurch Zehntausendevon Menschen, die stundenlang in langen

Reihen gestanden hatten, schweigend an ihmvorbeidefilierten, ins Weiße Haus zurückge-

bracht worden. Mrs. Jacqueline Kennedy, dieam späten Sonntagabend in Begleitung ihresSchwagers Robert die Rotunde zum zweiten-mal besucht hatte, fuhr wiederum im Zuge

mit unmittelbar hinter dem symbolischen,

reitei'losen gesattelten Pferd, in dessen sil-bernen Steigbügeln reversierte Reitstiefel hin-gen. Diesmal marschierten Militärkapellenmit, deren Trauermusik durch die menschen-gesäumten Straßen hallte. Als die Lafette mitdem fahnengeschmückten Sarg die Einfahrtdes Weißen Hauses erreichte, sang ein Chorder Flotte die ergreifende Hymne der See-leute, zu denen Kennedy im Krieg gehört«:

«Eternal Father, strong to save, whose armbath bound the restless wave.»

Vor dem Eingang des Weißen Hauses hat-ten sich die Trauergäste aus aller Welt inprotokollarischer Ordnung aufgestellt inder vordersten Reihe bemerkte man diePräsidenten de Gaulle und Lübke, KöniginFriederike von Griechenland, Baudouin, denKönig der Belgier, und Kaiser Haue Selassie,und hinter ihnen die Außenminister, unterihnen Bundesrat Wählen und BotschafterMicheli, und die vielen anderen Abgesandten.

Flankiert von Justizminister Robert undSenator Edward Kennedy, führte Mrs. Jacque-

line Kennedy den Trauerzug hinter derLafette an, der sich auf ihren Wunsch zuFuß, zu den Trauerklängen einer Glocke derdem Weißen Haus gegenüberliegenden bischöf-lichen Kirche, nach der St. Matthews-Kathe-drale in Bewegung setzte. Die Kinder Caro-line und John folgten der Mutter im Auto.Detachemente der Armee, der Flotte, derLuftwaffe und der Marinefüsiliere sowie derMilitärschulen marschierten in dem Zuge mit,ebenso eine Gruppe der «Irish Guard».

Totenmesse in St. Matthews

In der Kathedrale zelebrierte der Erz-bischof von Boston, Kardinal Cushing, dieTotenmesse. Vor der feierlichen Einsegnung

des Sarges sprach der katholische Hilfsbischofvon Washington, Philip Nannon, von derKanzel einige Stellen aus Kennedys Reden,vor allem seine Lieblingszitate aus der Bibel-'und Teile seiner Inauguraladresse. Die Aüa-wähl charakterisierte vorzüglich den hoch-gemuten, in vielen schweren Erfahrungen ge-härteten, unerschrockenen, aber nie zu un-überlegten Handlungen oder Aeußerungenhingerissenen jungen Präsidenten, seinenEdelmut und seine immer eindrückliehemenschliche Haltung. Um dieser Eigenschaf-

ten willen vielleicht mehr als um seiner un-vollendeten Vorhaben willen wird man sichseiner hierzulande lange erinnern. Es istechte Tragik, daß dieser unternehmendeMann, dem vor allem daran lag, seine Auf-gabe, wie er sie sah, zu erfüllen, sie nun un-erfüllt lassen mußte.

Amerika hat in diesen schmerzlichenTagen des Grauens aus der Haltung der Ken-nedys Mut schöpfen können. Die Würde undFassung Mrs. Jacqueline Kennedys ist vielenein stärkender Trost. Sie hat dem Lande dieSelbstachtung zurückgegeben, die unter demEindruck der demütigenden Ereignisse vonDallas ins Wanken geraten war. Sie gab demLande das Beispiel, das John FitzgeraldKennedy ihm als Präsident vorzuleben ver-

suchte und von dem man nur hoffen kann,daß es nachwirke.

Illustre Trauergäste

F. L. Washington, 25. November

Kein Ereignis der jüngsten Zeit hat eineso illustre Versammlung von gekrönten Häup-tern, Staatschefs, führenden Politikern undsonstigen Würdenträgern zusammengebrachtwie die Beisetzung Präsident Kennedys. DieVertreter von etwa hundert Staaten sind nachWashington gekommen. In normalen Zeitenwäre jeder Einzelne von ihnen Mittelpunktprotokollarischen Zeremoniells und öffent-lichen Interesses gewesen; ihre Masse ist jetzt,an diesem kummervollen Tage, eine Erschei-nung am Rande des Geschehens. Amerika hatseine Augen zu sehr auf dem einsamen Sargunter dem Sternenbanner, ist zu sehr vom Mit-gefühl mit der tapferen Frau im Weißen Hausbewegt und von seinem nationalen Unglückbetroffen, als daß es seine Aufmerksamkeit denfremden Würdenträgern zuwenden könnte.

Das Staatsdepartement hatte anfänglichversucht, den Andrang offizieller Beileids-besuchcr zurückzudrängen. Aber der Wunschnach persönlicher Anteilnahme war bei denführenden Staatsmännern der Alliierten,Neutralen und selbst der politischen Gegnerzu groß; man hat ihn als einen Ausdruck derVerbundenheit der freien Nationen wie derweltpolitischen Führungsrolle des Landesrespektiert. Was die protokollarische Be-treuung, die Schaffung einer Präzedenzord-nung, nicht weniger aber die Garantierungder Sicherheit der zum Teil exponierten offi-ziellen Gäste für Probleme und Belastungenmit sich brachte zusätzlich zu dem, was indiesen Tagen ohnehin auf dem amerikani-schen Regierungsapparat lastet , kann mannur ahnen. Sie wurden offensichtlich bewäl-tigt.

Man wird nicht so schnell wieder Bilderseilen, wie man sie nach dem Trauergottes-dienst auf der Treppe der St. Matthews-Kathedrale oder bei der Beisetzung auf demFriedhof von Arlington sehen konnte: dichtgedrängt in der frostigen winterlichen Luftstanden da beieinander Prinz Philip, Charlesde Gaulle, Königin Friederike, König Bau-douin, Sir Alec Douglas-Home, Harold Wil-son, Paul-Henri Spaak, Prinz Bei*nhard undKronprinzessin Beatrix, Couve de Murville,Mikojan, Bundespräsident Lübke mit Bun-deskanzler Erhard, Bürgermeister Brandt,Jean Monnet, der Kaiser von AethiopienHaue Selassie, Außenminister Piccioni, Bun-deskanzler Gorbach und hundert und mehrRegierungschefs, Minister und Botschafter.Auch Bundesrat Wahlen und der General-sekretär des Politischen Departements, Micheli,waren zu sehen.

Die Witwe des ermordeten Präsidenten,Mrs. Kennedy, die ihre schwersten Tage undStunden in einer Haltung getragen hat, dieihr die spontane Bewunderung und das leb-hafteste Mitgefühl der Nation haben zuteilwerden lassen, hat unmittelbar nach der Bei-setzung die offiziellen ausländischen Trauer-gäste zu einem Beileidsbesuch im WeißenHaus empfangen. Später hat Präsident John-

De Gaullebei Präsident Johnson

Washington, 26. Nov. (UPI) Der neueamerikanische Präsident Lyndon Johnsonund der französische Präsident de Gaulleführten am Montagabend ein fast 25 Minutendauerndes vertrauliches Gespräch. Präsidentde Gaulle war der erste ausländische Staats-mann, mit dem der neue amerikanische Prä-sident zu einem persönlichen Gesprächzusammentraf. Es wird angenommen, daß diebeiden Staatsoberhäupter wichtige die beidenLänder betreffende Fragen besprachen. Un-mittelbar nach dem Gespräch begab sichde Gaulle zum Flughafen, um nach Pariszurückzufliegen.

Später erklärte Johnson vor einer Gruppevon 30 amerikanischen Staatsgouverneuren,die von ihm im Weißen Haus empfangenwurden, de Gaulle werde anfangs des näch-sten Jahres zu Gesprächen nach Washingtonzurückkehren.

Das Gespräch zwischen den beiden Staats-chefs fand im Arbeitsraum StaatssekretärRusks statt. Obwohl es fast acht Uhr abendswar, als de Gaulle den amerikanichen Präsi-denten verließ, waren in den Korridoren nochzahlreiche Beamte des Staatsdepartementsanwesend, die de Gaulle mit Applaus begrüß-ten. De Gaulle blieb mehrfach stehen unddrückte mehreren Personen die Hand.

Die Sicherheitsmaßnahmen, die fürde Gaulle getroffen worden waren, warenstrikter als für alle übrigen Würdenträger,ausgenommen den sowjetischen Ersten Stell-vertretenden Ministerpräsidenten Mikojan.Vor und hinter dem Cadillac de Gaulies fuh-ren Wagen mit Secret-Service-Beamten, undneben seinem Auto liefen Sicherheitsbeamtedes Staatsdepartements mit. Bei der Abfahrtde Gaulles vom Staatsdepartement standennoch etwa 200 Schaulustige hinter einer vonder Polizei gebildeten Sperrkette, die demfranzösischen Präsidenten eine Ovation dar-brachten. Rückflug nach Paris

Washington, 26. Nov. (UPI) Präsident deGaulle hat am Dienstagmorgen um 2 Uhr 54(MEZ) Washington auf dem Luftwege mitRichtung Paris verlassen.

son sie im Staatsdepartement begrüßt. Es istnicht ausgeschlossen, daß er mit dem einenund andern Regierungschef ein Gespräch füh-ren wird; besonders de Gaulle, Sir Alec Doug-las-Home und Bundeskanzler Erhard stehenim Vordergrund. Doch gilt dies nicht als dergeeignete Moment für politische Verhandlun-gen und Konversationen.

Empfang bei Mrs. KennedyWashington, 26. Nov. ag (AFP) Unmittel-

bar nach der Bestattung Präsident Kennedys

auf dem Nationalfriedhof von Arlington emp-fing Mrs. Jacqueline Kennedy im WeißenHaus die hohen auswärtigen Gäste, die ihremGatten die letzte Ehre erwiesen hatten. Sieunterhielt sich zuerst mit Präsident de Gaulle,

Andere UferKindheitserinnerungen von Vladimir Nabokov

Copyright by Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Erstes Kapitel

I.Die Wiege steht über einem Abgrund, und der

Verstand sagt uns, daß unser Leben nur ein kur-zer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dun-kels ist. Obsclion die beiden identische Zwillingesind, betrachtet man in der Regel den Abgrundvor der Geburt mit größerer Gelassenheit als jenenanderen, dem man mit etwa viereinhalbtausendHerzschlägen in der Stunde entgegeneilt. Ich weißjedoch von einem sensiblen jungen Menschen, derso etwas wie Panik empfand, als er zum erstenMal einige alte Filme sah, die ein paar Wochenvor seiner Geburt aufgenommen worden waren.Er erblickte eine praktisch unveränderte Weltdasselbe Haus, dieselben Leute , und dann wurdeihm klar, daß es ihn dort nicht gab und daß nie-mand sein Fehlen bedauerte. Was ihm besonderenSchrecken einjagte, war der Anblick eines nagel-

neuen Kinderwagens, der dort vor der Haustörselbstgefällig und anmaßend stand wie ein Sarg;auch er war leer, als hätte sich im umgekehrten

Lauf der Dinge sogar sein Skelett aufgelöstJungen Menschen sind dergleichen Vorstellun-

gen nicht fremd. Oder anders ausgedrückt: die

ersten und die letzten Dinge haben oft e t w as Pu-bertäres an sich es sei denn, eine ehrwürdige

und strenge Religion ordnete sie. Die Natur er-wartet vom erwachsenen Menschen, daß er dieschwarze Leere vor sich und hinter sich genau soungerührt hinnimmt wie die außerordentlichen Vi-sionen dazwischen. Die Einbildungskraft, diehöchste Wonne des Unsterblichen und des Unrei-fen, soll beschränkt sein. Um das Leben zu genie-

ßen, dürfen wir es nicht zu sehr genießen.

Ich lehne mich auf gegen diesen Zustand. Ichverspüre den Wunsch, meine Auflehnung nachaußen zu tragen und der Natur ein Schnippchen

zu schlagen. Ein um das andere Mal hat mein Geistenorme Anstrengungen unternommen, um auchnur den allerschwächsten persönlichen Lichtschim-mer in der unpersönlichen Dunkelheit auf beidenSeiten meines Lebens wahrzunehmen. Daß an die-ser Dunkelheit nur die Mauern der Zeit schuldsind, die mich und meine zerschundenen Fäustevon der freien Welt der Zeitlosigkeit trennen, dasist eine Ueberzeugung, die ich freudig mit dembuntestbemalten Wilden teile. Im Geist bin ich inentlegene Gegenden zurückgereist und der Geistließ mich unterwegs hoffnungslos im Stich , aufder Sache nach irgendeinem geheimen Ausweg, nnrum zu entdecken, daß das Gefängnis der Zeit eineKugel nnd ohne Ausgang ist. Bis auf Selbstmordhabe ich alles versucht Ich habe meine- Identitätabgelegt, am für ein gewöhnliches Gespenst zugelten und mich in Bereiche einzuschleichen, dievor meiner Zeugung existierten. Ich habe geistigdie entwürdigende Gesellschaft viktorianischer Ro-manschriftstellerinnen und pensionierter Obristenauf mich genommen, die sich erinnern, in -einem

früheren Leben Sklavenboten auf einer StraßeRoms oder Weise unter den Weiden Lhasas ge-

wesen zu sein. Ich habe meine ältesten Träumenach Aufschlüssen und Fingerzeigen durchwühlt

und ich möchte gleich sagen, daß ich die vul-gäre, schäbige, durch und durch mittelalterlicheWelt Freuds mit ihrer besessenen Suche nach se-xuellen Symbolen (vergleichbar etwa der Suchenach Baconschen Akrostichen im Werke Shake-speares) und ihren verbitterten kleinen Embryos,

die von ihren natürlichen Nestern aus das Liebes-leben ihrer Eltern bespitzeln, ganz und gar ab-lehne.

Anfangs merkte ich nicht, daß die Zeit, die aufden ersten Blick so grenzenlos scheint, ein Gefäng-

nis ist. Wenn ich meine Kindheit erkunde (was

fast so gut ist wie die Erkundung der eigenenEwigkeit), sehe ich das Erwachen des Bewußtseinsals eine Reihe vereinzelter Helligkeiten, deren Ab-stände sich nach und nach verringern, bis lichteBewußtseinsblöcke entstehen, die dem Gedächtnisschlüpfrigen Halt bieten. Zählen und Sprechen

hatte ich mehr oder weniger gleichzeitig gelernt,

und die Entdeckung, daß ich ich war nnd meineEltern meine Eltern, hing unmittelbar damit z u-sammen, daß ich ihr Alter im Verhältnis zu mei-nem begriff. Nach dem hellen Sonnenlicht und denovalen Sonnenflecken unter den sich überlagernden

Mustern grünen Laubes zu urteilen, die mein Ge-dächtnis überfluten, wenn ich an diese Entdek-kung denke, war es am Geburtstag meines Vateis,mitten im Sommer auf dem Land, und ich hatteFragen gestellt und die Antworten abgewogen. Alldas ist genau, wie es dem biogenetischen Grund-gesetz zufolge sein soll; der Anfang reflektieren-

den Bewußtseins im Gehirn unseres entferntesten

^orfahren ist ganz gewiß mit dem Erwachen desZcitsinns zusammengefallen.

Als die gerade enthüllte, frische und grüne For-mel meines eigenen Alters, drei, den elterlichenFormeln, dreiunddreißig und siebenundzwanzig,entgegengehalten wurde, geschah etwas mit mir.Ich erhielt einen ungeheuer belebenden Schock.Als hätte ich eine zweite Tanfe hinter mir (vongöttlicherer Art als die griechisch-orthodoxe Tauoh-übung, die erst neununddreißig Monate zurücklag),fühlte ich mich mit einem Male in ein strahlendesund bewegliches Medium gestürzt, das nichts an-deres war als das reine Element Zeit Man teiltees genau wie erregte Schwimmer das flimmerndeMeer mit Wesen, die anders waren als manselbst und einem doch verbunden durch den allengemeinen Strom der Zeit, eine Umgebung, diegrundverschieden war von der des Raumes, welchenicht nur der Mensch, sondern auch Affen nndSchmetterlinge wahrnehmen können. In diesemAugenblick wurde mir deutlich bewußt, daß dassiebenundzwanzigjährige Wesen in weichem Weißund Rosa, das meine linke Hand hielt, meine Mut-ter war und das dreiunddreißigjährige, das meineRechte hielt, mein Vater. Zwischen ihnen, diegleichmäßig ausschritten, stolzierte and stolperteund stolzierte ich, in der Mitte eines sonnigen We-ges, den ich heute ohne Schwierigkeit mit einerAllee ornamentaler Eichen im Park unseres Land-sitzes in der ehemaligen Provinz St. Petersburg,Rußland, identifiziere. Ja, heute kommt es mir vor,als hätte ich an jenem einundzwanzigsten Juli 1902jubelnd die Geburt meines wachen Lebens gefeiert.

Wenn die beiden, die mich rechts und links hielten,

Neue Zürcher Zeitung vom 26.11.1963

Kaiser Haile Selassie von Aethiopien und demirischen Präsidenten de Valera. Anschließendbegab sie sich in den Boten Saal des WeißenHauses und widmete jedem der andern Staats-und Regierungschefs sowie den weiteren Per-sönlichkeiten einige Minuten.

Die ausländischen Besucherbei Präsident Johnson

Washington, 26. Nov. ag (AFP; PräsidentLyndon Johnson veranstaltete am Montag-abend im Staatsdepartement einen Empfangfür die ausländischen Persönlichkeiten, diezur Trauerfeier für Präsident Kennedy nachWashington gekommen waren.

Präsident «Tohnson dankte den rund60 Staatsoberhäuptern, Regierungschefs undhohen ausländischen Persönlichkeiten, diePräsident Kennedy die letzten Ehren er-wiesen haben. In seinen Dankesworten ver-sicherte er, die Vereinigten Staaten würdengegenüber den befreundeten Staaten ihre tra-ditionelle Politik fortsetzen.

Audienzen für Sir Alec und Erhardam Dienstag

Washington, 26. Nov. (UPI) Wie in derNacht zum Dienstag bekanntgegeben wurde,wird Präsident Johneon am Dienstag um 10Uhr (Ortszeit) den britischen PremierministerSir Alec Douglas-Home zu einem Gesprächempfangen.

Zuvor war bereits bekanntgeworden, daßDouglas-Home am Dienstag mit Bundeskanz-ler Erhard zusammentreffen werde.

Washington, 25. Nov. (UPI) Bundespräsi-dent Lübke und Bundeskanzler Erhard wer-den am Dienstag mit dem neuen amerika-nischen Präsidenten Lyndon Johnson zu poli-tischen Gesprächen zusammentreffen, wie amMontag aus Kreisen der deutschen Delegationzu den Trauerfeiern für Präsident Kennedyverlautete. Außenminister Schröder soll andem Gespräch mit .Johnson ebenfalls teil-nehmen.

Danktelegramm PräsidentJohnsons an ChruschtschowMoskau, 25. Nov. (UPI) Der n e ue ame-

rikanische Präsident Lyndon Johnson hat sichin einem Telegramm an MinisterpräsidentChruschtsciieiv für dessen Beileidsbotschaftzum Tode John P. Kennedys bedankt. Wie dieMoskauer Agentur «Tass» am Montag meldete,hat das Telegramm Johnsons folgenden Wort-laut:

«Im Namen des amerikanischen Volkes möchteich Ihnen für die Anteilnahme danken, die Sie zumtragischen Tod Präsident Kennedys ausgesprochenhaben. Alle Anstrengungen Präsident .

Kennedysgalten der Sache des Friedens und der friedlichenRegelung internationaler Probleme und der Ver-besserung der Beziehungen zwischen allen Ländern-,einschließlich der Sowjetunion und der VereinigtenStaaten.

Ich beabsichtige, die Bemühungen zur Errei-chung dieser Ziele fortzusetzen.

Lyndon Johnson*

Die Anteilnahmeder Vereinigten Nationen

Tel. unseres Korrespondenten

21. B. New York, 25. November

Zum Zeichen der Trauer für den ermor-deten Präsidenten der Vereinigten Staatenwaren heute alle Sitzungssäle und alle Sekre-tariatsbureaus in den UN geschlossen. General-sekretär U Thant, begleitet vom Präsidentendes Sicherheitsrates, dem Briten Sir PatrickDean, dem Präsidenten der Generalversamm-lung Carlos Sosa Rodriguez (Venezuela) undden sechs amerikanischen Untergeneralsckre-tären, an ihrer Spitze Ralph Bunche, nahmenan den Trauerfeierlichkeiten in Washingtonteil

Die Generalversammlung hält morgen eineeigene Trauerfeier ab, in der der Versamm-

lungspräsident, der Generalsekretär, die drei-zehn Vizepräsidenten der Versammlung, diesieben Kommissionsvorsitzenden und die frü-heren Versammlungspräsidenten, soweit sieder Tagung beiwohnen, das Wort ergreifenwerden. Auch die Sitzung des Sicherheitsrates,auf deren Programm das Apartheidproblemin Südafrika steht, wird mit einer Gedenk-rede des Ratspräsidenten auf John Kennedybeginnen.

Die Leere, die heute in den Gebäuden desSekretariats am East River herrschte, ent-sprach der Stimmung, die über ganz New Yorklag. Der Verkehr war auf ein noch nie erlebtesMindestmaß herabgesunken, und fast die ge-samte Bevölkerung der Metropole blieb zuHause vor den Fernsehschirmen, um denergreifenden Zeremonien in Washington bei-zuwohnen.

Die NATO ehrt KennedyParis, 25. Nov. ag (AFP) Der Ständige

NATO-Rat hielt am Montag im Gedenken anden ermordeten amerikanischen PräsidentenKennedy eine außerordentliche 15minütigeSitzung ab. Der Generalsekretär der NATO,Stikker, erklärte: «Wir alle haben einen Chefvon außergewöhnlichem Wert, von vollkom-mener Aufrichtigkeit und von einer grenzen-losen Hingabe verloren.» Stikker bot hieraufim Namen des Rates dem neuen amerikani-schen Präsidenten Lyndon Johnson die volleUnterstützung der westlichen Verteidigungs-organisation an. Kennedy sei in der Blüte sei-nes Lebens gestorben, ohne seine Aufgabeerfüllt zu haben; dennoch sei ihm sein Platzin der Geschichte gewiß. Sein Name werdeweiterleben als der eines der Größten unsererZeit.

Anschließend sprach der Doyen der Stän-digen Vertreter bei der NATO, der belgischeBotschafter Andre de Staercke, im Namen sei-ner Kollegen. Er führte aus, Kennedy habemit einer Mischung von praktischem undidealistischem Sinn, der eine Gabe der Jugendsei, eine Vision der Zukunft eröffnet. Seineletzte Vision sei eine Vision der Hoffnung ge-wesen, die er der Nachwelt hinterlasse.

Der amerikanische Botschafter ThomasFinletter sprach seinen Dank aus und erin-nerte daran, wie eng Präsident Kennedy mitder NATO verbunden gewesen sei. Das Lebengehe weiter, und die Sache, der sich PräsidentKennedy und viele andere große Männer derVereinigten Staaten verschrieben hätten,müsse mit zunehmender Entschlossenheitweiter verteidigt werden.

Zum Schluß erhoben sich die Mitgliederdes Rates und beobachteten einige Minutendes Schweigens.

Das Verfahren g e g en RubyDallas, 25. Nov. ag (Reuter) Der 52jährige

Nachtklubbesitzer Rnby, der den mutmaßlichenPräsidentenmörder Oswald erschossen hat, be-findet sich in Dallas unter schwerster polizeilicherBewachung. Die Polizei führte Ruby am Montagvom Stadt- ins Bezirkegefängnis über.

Der Stadtpräsident von Dallas, Elgin Crull,veröffentlichte eine Erklärung, in der er darlegte,

wie es Ruby gelungen sei, in den Korridor im Erd-geschoß des Stadtgefängnisses zu gelangen unddort den tödlichen Schuß auf Oswald abzufeuern.Der Stadtpräsident führte in seiner Erklärungaus: «Wir haben Beweise, daß Ruby beim Trans-port der schweren Televisionskameras Hand an-legte und so in das Polizeigebäude hineingelangte.»

Weiter erklärte Crull, Ruby sei der Polizei alszwielichtige« Individuum bekannt.

Dallas, 25. Nov. (UPI) Einer der VerteidigerJack Rttbys, der des Mordes an Lee HarveyOswald angeklagt ist, erklärte am Montag, daßsein Klient geltend mache, er habe den vermut-lichen Mörder des Präsidenten im Zustand tempo-

rärer Unzurechnungsfähigkeit erschossen. TomHoward, einer der vier Verteidiger, teilte mit, erwerde diese Woche beim Verhör vor dem Kriminal-richter die Freilassung des Angeklagten gegen

Kaution zu erlangen suchen.

Schweigemarsch

und Glockengeläute in Zürichup Unter dem Patronat der beiden Hochschulen

veranstaltete die Zürcher Studentenschaft am Mon-tagabend um 20 Uhr 30 einen Schweigemarsch zumGedenken an den verstorbenen amerikanischenPräsidenten John F. Kennedy, an dem rund 1500vorwiegend junge Leute, Studenten und Schüler,teilnahmen. Der Zug, dem eine amerikanische Fahnemit Trauerflor, eine schwarzumflorte Fahne derStudentenschaft sowie sechs Fackeln vorangetragenwurden, bewegte sich bei anhaltendem Regen vomKunstgewerbemusetim über den Hauptbahnhof unddurch die Uraniastraße zum amerikanischen Kon-sulat. Hier überbrachte eine Delegation von Studen-ten ein Kondolenzschreiben, worauf sich um 21 Uhrdie eindrückliche Demonstration wieder auflöste.

Zur gleichen Zeit, als auf dem Arlington-Fricd-hof in Washington der Sarg mit der sterblichenHülle Präsident John F.Kennedys ins Grab ge-

senkt wurde, läuteten die Glocken aller KirchenZürichs zur Ehrung des Toten. Stadtpräsident

Dr. Emil Landolt hatte die evangelisch-reformiertenKirchcnpflegen sowie die Pfarrämter der römisch-katholischen und der christkutliolischen Kirch-gemeinden der Stadt ersucht, in der Zeit von 21 bis21 Uhr 10 mit dem Geläute der größten Glockejeder einzelnen Kirche das Andenken Kennedys

zu ehren. Im weiteren hatte um 20 Uhr in derLiebfrauenkirche in Zürich ein feierliches Requiem

für den verstorbenen Präsidenten stattgefunden,

dem eine große Zahl von Zürcherinnen und Zür-chern beiwohnte.

Gedenkfeiern in der SchweizWie in Zürich, so fanden am Montag auch in

Bern, Basel, Genf und anderen Städten unseresLandes eindrückliche Gedenkfeiern für den ver-storbenen amerikanischen Präsidenten statt, undan vielen Orten läuteten zur Stunde der Beisetzung

die Kirchenglocken.

In Bern hatte das «Forum für Demokratie»die Jugend und die übrige Bevölkentng der Stadtzu einer Gedenkfeierstunde eingeladen, wozu sicheino riesige Menschenmenge auf dem Müasterplatzeingefunden hatte. In seiner Begrüßungsansprache

hob Schuldirektor Paul Dübi die Bedeutung Ken-nedys als Vorbild und Symbol für die Jugend her-vor. Als zweiter Redner ergriff Professor WaltherHofer das Wort, wobei er das politische FormatKennedys würdigte. Schriftsteller Erwin Heimannwandte sich mit seiner Ansprache an die BernerJugend, wobei er Kennedy als einen Begriff fürdie Jugend im Kampf um die Menschenrechte dar-stellte. Nach dem Verlesen der Beileidsbotschaftdurch einen Vertreter der Berner Jugend stimmtedie Menge das Beresinalied an, dem sich eineMinute des Schweigens anschloß. Mit dem Läutender Glocken des Münsters bildete sieh ein unüber-sehbar langer Fackelzug, der durch die Stadt bisvor die amerikanische Botschaft zog, wo die Ueber-gabe eines Kranzes und eines Kondolenzschreibenserfolgte.

' In Basel veranstaltete der «American womensClnb of Baslt» und die «Swiss-americnn Society

for Cultural relations» in der Martinskirche einenstark besuchten Gottesdienst. Ihm wohnten Regie-rungspräsident Dr. O. Miescher, die Regierungs-

rät© Dr. Edmund Wyss und Dr. Peter Zschokke,

die konsularischen Vertreter Deutschland«, Frank-reichs und Großbritanniens sowie der Rektor derUniversität, Prof. Dr. Mnx Imbodcn, und eine De-legation der Korporationen der Basler Studenten-schaft bei. Zwei Professoren des theologischen Se-

minars von San Francisco in San Anselmo, Ben-jamin A. Reist und Martin A. Schmidt, würdigten

das Lebenswerk des Präsidenten.Am frühen Montagabend wurde in der Notre-

Dftme-Basilika von Genf ein Totenamt für Präsi-dent Kennedy zelebriert, an dem zahlreiche Per-sonen teilnahmen. Das Totenamt las DomherrBlanche unter Assistenz. Als die Zeremonie be-

endet war, wandte sich ein amerikanischer Priesterans Genf mit einigen Worten an die Gemeinde.Unter den Personen, d io an dem Gottesdienst teil-nahmen, befanden sicli dio Mitglieder des Staats-rates des Kantons Genf und dos Administrativ-rates der Stadt. Weiter waren die Vertreter dereidgenössischen Kammern und Angehörige diplo-

matischer Kreise und verschiedener internationalerOrganisationen aus Genf anwesend.

Die Aufhebung und Sicherung

der NiveauübergängeBern, 25. Nov. ag In Bern tagte unter dem

Vorsitz von Nationalrat J. Wilhelm (Pruntrut)und im Beisein von Bundesrat H.P.Tschudi so-wie des Direktors des Eidgenössischen Amtes fürStraßen- und Flußbau, Dr. R. Ruckli, und desDirektors des Eidgenössischen Amtes für Verkehr,Dr. A. Martin, die nationalrätliche Kommissionzur Beratung der Botschaft und des Beschlusses-entwurfes über die Aufhebung oder Sicherung vonNiveauüborgängen.

Nach einer Diskussion stimmte die Kommissiondem Antrag des Bundesrates einstimmig zu, wo-nach dio Aufhebung oder Sicherung von Niveau-übergängen durch Beiträge aus don Mitteln desTreibstoffzollertrages gefördert werden soll. DieBeiträge des Bundes betragen in der Regel 30 bis50 Prozent der Kosten, dio der jeweilige Straßen-eigentümer an dio Sanierung zu leisten hat. Damitsollte in den nächsten drei Jahren ein Dringliah-kr.its prorinnmn verwirklicht werden können, dasneben der Aufhebung von rund 60 Niveauüber-gängen auf dem Hauptstraßennetz die Sanierung

von 130 Uebergängen auf dem übrigen Straßen-nets zum Ziele hat. Dieses Dringlichkeitsprogramin

ist Bestandteil eines Gesamtprogrammes, das dieSanierung von rund 800 Nivoauübergängen inzehn Jahren vorsieht.

Voranschlag der BundesbahnenBern, 25. Nov. ag Am Montag tagte in Bern

unter dem Vorsitz von Nationalrat W. Sattser(ev.-dem., Zürich) und in Anwesenheit des Präsi-denten der Generaldirektion der Bundesbahnen,

Dr. H. Gschwind, sowie des Vizcdirektors des Eid-genössischen Amtes für Verkehr, Dr. F. Anlikcr,die Bundesbahnkommission des Nationalstes. Siestimmte den Vorlagen übor den Voranschlag derSchweizerischen Bundesbahnen für das Jnhr 1964einstimmig zu.

Der Eisenbahnerstreikin Frankreich

Auswirkungen auf die SchweizBern, 25. Nov. ag Die französischen Eisen-

bahner hnben für die Zeit von Dienstag, 26. No-vember, 20 Uhr, bis Donnerstag, 28. November,6 Uhr, einen Streik angekündigt. Es ist möglieh,

daß während dieser Zeit trotzdem einige inter-nationale Züge zwischen der Schweiz und Frank-reich verkehren. E in fahrplanmäßiger Lauf kannjedoch nicht zugesichert werden. Reisende, die sichwährend des Streiks nach Frankreich begeben

wollen, werden gebeten, sich vor der Abreise inden Bahnhöfen über die Lage zu erkundigen.

Unglücksfälle und VerbrechenTod unter den Hadern. Ghiasso, 25. Nov. ag

Der 49jährige italienische Arbeiter Egidio Maran-telli arbeitete bei Chiasso an der Autobahn, als erausglitt und unter dio Hinterräder' eines schwerenLastwngennnhängers zu liegen kam. Er wurde aufder Stelle getötet. Mnrantclli stammte aus demGebiet von Como und hinterläßt Frau und Sohn.

Unfall in einer italienischen Werft. Toronto,25. Nov. (UPI) Bei den Uebcrholungsarbeiten ander 451-Tonncn-Fähre «Pola» wurden 15 Personenschwer verletzt, als sich das Schiff plötzlich aufeine Seite neigte. Man nimmt an, daß die Seiten-streben nachgaben. Der Kapitän des Schiffes istspäter im Spital seinen Verletzungen erlegen.

Eisenbahnunglück in der DDR. ag (DPA)Berlin, 25. Nov. Auf dorn Bahnhof Ferstenberg ander Havel ereignete sich ein Eisenbahnunglück.

Wie die Nachrichtenagentur ADN berichtete,stürzten die Lokomotive, der Postwagen und einSchlafwagen eines zwischen dorn Ostseehafen Ssiß-nitz und Ostberlin verkehrenden Schnellzuges um.Dalx>i kamen der Lokomotivführer, sein Heizerund ein Lokfahrmoister ums Leben.

WetterberichtPrognose der MZA

Für die ganze Schweiz: Vorwiegend stark bewölktoder bedeckt, zeitweise Niederschlüge. Temperaturender Niederungen zwischen 4 und 8 Grad. Null Gradin 3200 m ü. M. auf dor Alpennordseite, in 1800 m ü. M.auf der Alpensüdseite. In den Bergen Südwestwind.

auch zuvor in meiner vagen Kinderwelt gegenwär-tig waren, so unter der Maske eines zarten In-kognitos; jetzt aber kam die Kleidung meines Va-ters, die prächtige Garde-Kavallerieuniform mitder glatten goldenen Wölbung ihres Harnischs, derihm auf Brust und Rücken flammte, wie die Sonnezum Vorschein, und auf mehrere Jahre hinausblieb mein Interesse am Alter meiner Eltern le-bendig, hielt ich mich darüber auf dem laufenden

ein nervöser Passagier, der nach der Zeit fragt,weil er seiner neuen Uhr nicht traut.

Mein Vater, das sei hinzugefügt, hatte .seineMilitärzeit lange vor meiner Geburt hinter sichgebracht; ich vermute darum, daß es ein festlicherScherz war, an jenem Tag die Paradeuniformseines alten Regiments anzulegen. Einem Scherzalso verdanke ich den ersten Schimmer völligen

Bewußtseins was wiederum seinen biogene-

tischen Sinn hat, denn die ersten Wesen auf derWelt, die sich der Zeit bewußt werden, warenauch die ersten, die lächelten.

II.Es war die Höhle des Urmenschen (und nicht,

was freudianische Mystiker vermuten könnten),die hinter meinen Spielen lag, als ich drei odervier war. Ein großer, kretonnebezogener Diwanin einem der Salons unseres Landhauses kommtmir in den Sinn, wie irgendein massiges Produkteiner geologischen Umwälzung in vorgeschicht-

lichen Zeiten. Die Geschichte nimmt (mit einerVerheißung des lichten Lands der' Griechen) nichtweit von dem einen Ende des Diwans ihren An'fang, wo eine große Topfpflanze, ein Hortensien-strauch mit hellblauen und einigen grünlichen

Blüten, zur Hälfte den Sockel einer marmornenDianabüste in einer Ecke des Zimmers verdeckt.Ein grauer Stich in einem Ebenholzrahmen be-zeichnet an der Wand, an der der Diwan steht,einen anderen Geschichtsabschnitt es ist einsjener napoleonischen Schlachtenbilder, auf demdas Episodische und das Allegorische dio eigent-

lichen Gegner sind und wo man auf einer Bild-ebene vielerlei zusammengewürfelt findet: einenverwundeten Trommler, ein totes Pford, Tro-phäen, einen Soldaten, der mit seinem Bajonettauf einen anderen einsticht, sowie den unverletz-lichen Kaiser, der mit seinen Generalen inmittendes erstarrten Kampfgewfihls posiert.

Mit Hilfe irgendeines Erwachsenen, der zuerstbeide Hände und dann ein kraftvolles Bein ge-brauchte, konnte der Diwan einige Zentimeter vonder Wand weggerückt werden, so daß ein engerGang entstand, den ich, gleichfalls vermittels frem-der Unterstützung, mit den Diwanpolstern über-dachte und an den Enden mit ein paar Kissenschloß. Dann hatte ich das phantastische Ver-gnügen, durch einen stockdunklen Tunnel zu- kric-chen, kurz zu verweilen, um dem Summen in mei-nen Ohren zu lauschen jenem einsamen Vibrie-ren, das kleinen Jungen in staubigen Versteckenso vertraut ist und schließlich in einem Aus-brach köstlicher Panik auf hastig auftappenden

Händen und Knien das andere Ende des Tunnelszu erreichen, die Kissen zur Seite zu schieben undvon der Sonne auf dem gebohnerten Faßbodenand einer Wolke von Blumen willkommen ge-

heißen za werden. Einen träumerischeren undanspruchsvolleren Genuß verschaffte mir einanderes Höhlenspiel, bei dem ich nach dem Er-

wachen am frühen Morgen aus meinem Bettzeug

ein Zelt baute und meine Phantasie auf tausender-lei unbestimmte Weisen mit den schattigen Schnee-hängen aus Leinen und dem schwachen Lichtspielen ließ, das aus einer ungeheuren Entfernung,

in der ich mir seltsame, blasse, in einer Sec-landschaft heramstreifendo Tiere vorstellte, inmein halbdunkles Schlupfloch zu fallen schien.Dio Erinnerung an mein Kinderbett mit seinenNetzen aus flaumigen Banmwollschnürcn an denSeiten ruft mir auch das Vergnügen zurück, mitdem ich ein gewisses wunderschönes, herrlichfestes, granatdunkles Kristallei anfaßte, das voneinem vergessenen Osterfest übriggeblieben war;,ich pflegte an einem Zipfel dos Bettzeugs so lange

zu kauen, bis er durch und durch naß war, unddann das Ei fest darin einzuwickeln, so daß ichsah, wie der rötliche Glanz des eng umschlossenenGegenstandes mit wunderbar unverminderterLeuchtkraft und Farbe hindurchschimmerte. Niebin ich der Kunst, von der Schönheit zu zehren,nähergekommen.

Vielleicht sind mir meine frühesten Eindrückeungewöhnlich lieb, aber schließlich habe ich Grund,ihnen dankbar zu sein. Sie geleiteten mich in einwahres Paradies der Augen- und Tasteindrücke.Ich erinnere mich, wie ich eines Nachts 1903,glaube ich auf dem Kissen am Fenster einesSchlafwagens kniete (wahrscheinlich im Mittelmeer-expreß, jenem train de luxe, dessen hölzerneWagen unten dunkelbraun und oben weiß ge-

strichen waren) und mit einem unerklärlichenstechenden Bchmerz eine Handvoll entfernterLichter sah, die mir von den Falten eines Hügels

her zuwinkten und dann in einer Tasche von

schwarzem Samt verschwanden. Nichts ist an-genehmer und seltsamer, als über diese erstenSchauer nachzudenken. Sie gehören der harmo-nischen Welt einer unversehrten Kindheit an undleben darum mit einer natürlichen Anschaulichkeitim Gedächtnis, die sich fast mühelos wiedergeben

läßt; erst mit den Erinnerungen an die Jahre desHeranwachsens wird Mnemosyne wählerisch undverworren. Außerdem möchte ich dio Behauptungwagen, daß russische Kinder meiner Generationin der Fähigkeit, Eindrücke in sich aufzunehmenund aufzubewahren, eine geniale Periode durch-machten, so als versuchte ein wohlgesonnenes Schick-sal angesichts des kataklysmischen Umsturzes,

der dio ihnen bekannte Welt vollständig aus-löschen sollte, für sie so viel wie nur möglich zutun und ihnen mehr zu schenken, als ihneneigentlich zustand. Dio genialen Fähigkeitenschwanden, als alles verwahrt war, g e n au wiebei jenen anderen, spezialisierteren Wunder-kindern hübschen, lockenköpfigen Knirpsen,die Taktstöcke schwingen oder gewaltige Klavierezähmen und am Ende zu zweitklassigen Musikernmit traurigen Augen, obskuren Leiden undvage unförmigen eunuchoiden Hinterpartien wer-den. Aber wie dem auch sei, das individuelleGeheimnis bleibt und quält den Memoironschreiber.Weder in meiner Umwelt noch in meinem Erbevermag ich mit Sicherheit das Werkzeug zusehen, das mich formte, jene anonyme Walze,die meinem Leben ein gewisses, kompliziertesWasserzeichen aufdrückte, dessen einzigartigesMustor zum Vorschein kommt, wenn man dieLampe der Kunst durch das Foolscap-Papier desLebens scheinen läßt.

Deutsch von Dieter E. Zimmer

Neue Zürcher Zeitung vom 26.11.1963

Dienstag, 26. November 19Ü3 State <3iW)cr3etom9 Abendausgabe Blatt 3 Nr. 4887

Die Fünftagewochein der Schule

Vor Versuchen im Kanton Zürich?-fii. Die rasche Verbreitung der Fünftagewoche

in Wirtschaft und Verwaltung, besonders seit denfünfziger Jahren, hat unvermeidlich auch derFrage gerufen, ob die Schule dem Trend in derArbeitswelt der Erwachsenen ebenfalls nachgeben

solle und, wenn Ja, wann der richtige Zeitpunkidafür gekommen sei oder sein werde. Die Argu-mentation, so weit sie bisher in die Oeffcntlichkeiidrang, war immer widersprüchlich, und das milguten Gründen; denn es sind ja augenscheinlich

nicht primär pädagogische Erwägungen und s c h ongar nicht Bedürfnisse der Schule als Institution,die ein Eingehen auf die Kurzwoche nahelegen

könnten. Ob allerdings das tiefe Mißtrauen gegen-über der erzieherischen Kraft und dem bildne-rischen Willen in der Familie wirklich gerecht-fertigt sei und ob hinter dem Wunsch, die Arbeits-und die Freizeit der Familienmitglieder gleichsamzu «synchronisieren», fraglos vorherrschend eineseichte Weekendmentalität und nicht ein echtesBedürfnis nach Vertiefung des mitmenschlichenErlebens stehe diese bedrängende Frage kannman heute, im Uebergangsstadium, noch nicht ein-deutig beantworten. Diese Ungewißheit aber läßtes auch als angezeigt erscheinen, keine Eile an denTag zu legen und sich der Fünftagewoche in derSchule mit jener Ruhe und Lässigkeit zu nähern,die vor keineswegs Existenzbedrohendem, ver-mutlich aber Unabwendbarem die rechte Haltungverleiht.

In diesem Sinne läßt sich auch der Erziehungs-rat des Kantons Zürich vernehmen. Dem Berichteiner aus vier Lehrern zusammengesetzten Studien-kommission, der ihm am 11. Juni 1963 nach rundeinjähriger Arbeit vorgelegt wurde, entnimmt er,daß sich unter den gegenwärtigen Verhältnisseneine Einführung der Fünftagewoche nicht auf-drängt. Er hält es auch nicht für nötig, die Fragedirekt weiter zu verfolgen; hingegen hat er dieDrucklegung des Berichts veranlaßt.

In diesem zwölf Textseiten umfassenden Rapportäußert sich die Kömmission i h re personelleZusammensetzung geht leider aus dem Berichtselbst nicht hervor zunächst zur Umschreibungihres Auftrages. Den Anstoß zur Ueberprüfungdes ganzen Fragenkomplexes gab eigentlich derVorstand der Kantonalen Schulsynode, der damitein seit 1959 pendentes Geschäft zu Ende führenwollte. Die Kommission glaubte auf Grund derErgebnisse der bisher geführten Diskussionen aufeine Erweiterung ihres Arbeitskreises verzichtenund die einschlägigen Fragen selber klassifizierenund erörtern zu können, dies um so mehr, als jaauch schon da und dort praktische Versuche imGange waren. Sie gliedert ihren Bericht in einReferat über den Stand der Amtssprache* über dieFünftagewoche in der Schule, dann in ihre eigeneStclhmgmihmc und schließlich in ein Kapitel mitErwägungen und Empfehlungen für eine allfälligepraktische Durchführung der Fünftagewoche.

Aus Vorarbeiten ist vorerst zn erwähnen eineUmfrage der Erziehungsdirektion des KantonsAargatt bei einer Anzahl Kantone (1958) ; inallen Antworten kam eine starke Zurückhaltungzum Ausdruck. 1960 führte die KantonsschuleWinterthur b ei den Eltern ihrer Schüler eine Um-frage durch, 1962 entwarf die Lehrplankommissionder Sekundarlehrerkonferenz einen Vorschlag meinem Versuch in der 3. Klasse der Sekundärschule,und ein vom Schweizerischen Lehrerverein ein-gesetzter Ausschuß erstattete einen Bericht über«Fünftagewoche und Schule», der die Entwicklungbis zum Sommer 1961 mitberücksichtigt. An prak-tischen Versuchen ist der Kommission das Beispielvon St-Imier bekanntgeworden, wo 1962 nacheinem Probejahr im Einverständnis mit der Eltern-schaft die Fünftagewoche in der Primarschuledefinitiv eingeführt wurde.

Bei der Darstellung der Argumentation gehtder Bericht vorerst von der Feststellung aus, dasPostulat werde von außen an die Schule heran-getragen, und zwar handle es sich um ein sozial-politisches Postulat der modernen Industrie-wirtschaft, «herausgewachsen aus den besonderenBedingungen der industriellen Produktion, aus derwachsenden Entfremdung des Menschen von seiner

Arbeit». Da soziale Forderungen im heutigenöffentlichen Leben großes Gewicht besäßen, müsseman «das soziale Bedürfnis nach der Fünftage-woche aufs genaueste abklären und mit aller Ver-antwortung gegen das pädagogische Ziel derSchule . . . abwägen». Die Kommission geht alsodavon ans, daß der Hauptantrieb nicht aus denFamilien kommt, die willens und fähig sind, dieFreizeit zusammen mit ihren Kindern wirklich zngestalten; sie bezeichnet die Frage, wie echt «ncdringend das Bedürfnis nach einer Kongruenz derFreizeit von Eltern und Kindern sei, als die kom-plexeste und am wenigsten abgeklärte. Die Ge-staltung des freien Samstagvormittags aber dürftejedenfalls für jene Kinder, deren sich die Elternnicht oder zu wenig annehmen, zu einem neuen,ebenfalls sozialen Problem werden.

Der Bericht fährt dann fort, aus pädagogischer

wir präzisieren ergänzend: aus schalpädagogi-

scher Sicht sei die Fünftagewoche «nichtwünschenswert». Die Befürworter brächten Reform-postulate vor, die auch unabhängig von der Fünf-tagewoche ihre Berechtigung hätten, ja innerhalbder heute geltenden Unterrichtsordnang sinnvollerverwirklieht werden könnten. Für die höherenSchulen brächte überdies der freie Samstagvormit-tag ausgerechnet die unerwünschte Konzentrationvon Hansaufgaben am Wochenende. Auch könneeine «Verkürzung der Arbeitszeit» beim Schüleranders als durch Streichung des Samstagvormittags,ja sogar besser, erreicht werden. Dem Schüler seiennun einmal andere Arbeitsablänfe gemäß als demErwachsenen, und eine «Arbeit» als schöpferischergeistiger Prozeß gehorche eigenen Rhythmen, diesich nicht nach äußeren Gesichtspunkten rationali-sieren ließen. Diese letztere Feststellung fordertzur Kritik heraus, wird doch gerade heute, in einersich stets mehr verwissenschaftlichenden Arbeits-welt, sehr viel geistige, schöpferische Arbeit ge-leistet in einem wohlgeordneten äußeren Rahmen.Mit angeblich künstlerischer Ungebundenheit wirdman doch wohl das Lernen des Schülers nicht ver-gleichen wollen!

Dem Hinweis auf ausländische Beispiele hältdie Kommission einesteils die Feststellung ent-gegen, daß die Lebensgewohnheiten und das Bü-dungsziel nicht überall die gleichen sind. ImZusammenhang mit deutschen Versuchen müsseaber auch berücksichtigt werden, daß sie alle miteinschneidenden pädagogischen und methodischenReformen verbunden seien.

In ihrer Stellungnahme wiederholt die Kom-mission, daß sich dem noch sehr unausgeformtensozialpolitischen Postulat gegenüber grundsätzlichepädagogische Bedenken aufdrängten. «Die Kom-mission ist deshalb», so wird wörtlich ausgeführt,«einstimmig und in Uebereinstimmung mit demSynodalvorstand der Auffassung, daß eine In-itiative zur Einführung der Fünftagewoche nie-mals von der Schule ausgehen könne. Sie müßtevon außen an die Schule herangetragen werden,und der Entscheid würde auf jeden Fall auf derpolitischen Ebene fallen.» Auf der andern Seiteaber hält die Kommission dafür, auch ein an sichunerwünschter Entscheid müsse auf seine prak-tische Durchführbarkeit hin vorausbedacht werden,damit für den Schüler das Beste vorgekehrt wer-den kann. Die Kommission rechnet jedenfalls da-mit, daß in nächster Zeit in Gemeinden oderQuartieren mit städtisch-industriellem Charakterder Wunsch nach praktischen Versuchen lebendigwerden könnte. Im Hinblick darauf hat sie Er-wägungen und Empfehlungen formuliert.

Bei diesen Erwägungen geht der Bericht vonder Feststellung aus, daß die drei Elemente Kind,Stoff und Zeit in einer festgesetzten Relat ion zu-einander stünden. Freigabe des Unterrichts amSamstagvormittag käme einer Kürzung der Unter-richtszeit um rund drei Wochen im Jahr gleich.Nun kann man diese Zeit entweder kompensierenoder aber man kann den Stoff abbauen oder durchmethodische und pädagogische Reformen ver-suchen, die Aufnahmefähigkeit der Kinder zusteigern. Im einzelnen macht die Kommission diefolgenden Möglichkeiten namhaft.

Man könnte erstens an eine teilweise Fünftage-woche denken. Bereits heute ist ungefähr ein Drit-;el aller Samstage des Jahres schulfrei infolgeSerien, Kapitel, Versammlangen, Konventen,

«Bündelitagen». Man könnte unter Umständen mitder Freigabe aller Samstage vor Ferien, vor der

Die Trauerfeier für Präsident Kennedy in Bern

An der offiziellen Trauerfeier für Präsident Kennedy am Montag in der Dreifaltigkeitsbasilika in Bernnahm auch eine Delegation des Bundesrates teil. Unser B i ld zeigt beim Verlassen des Gotteshausesvon links nach rechts: Bundespräsident W. Spühler, Bundesrat L. von Moos, Vizepräsident des Bundes-rates, Bundesvisekamler F. Weber, Bundesrat P. Ghaudet und alt Bundesrat M. Petitpierre (hinten).

Sportwoche und vor Pfingsten dem Bedürfnis nachder vollen Fünftagewoche weitgehend steuern. Einezweite Gruppe von Möglichkeiten ergäbe sich beider vollen Fünftagewoche mit Kompensation desfreien Samstagvormittags. Eine Belegung des bis-her freien Mittwochnachmittags wird von Lehrern,Schulärzten und der Mehrzahl der Eltern kate-gorisch abgelehnt. Eine Verteilung der Samstag-

stunden auf die andern Wochentage ohne Belegungdes Mittwochnachmittags wäre auf allen Stufender Volksschule und an den unteren Klassen desGymnasiums möglich. Eine Vorverlegung desUnterrichtsbeginns auf 7 Uhr muß abgelehnt wer-den, insbesondere aus medizinischen Gründen.Englische Arbeitszeit komme vorläufig nicht inFrage; die Kommission stellt aber gelegentlichVersuche in städtischen Quartieren in Rechnung.

Eine Verkürzung der Ferien wäre abzulehnen.Zusammenfassend kann man somit sagen, daß alseinzige Form der Kompensation eine Verlegungder ausfallenden Stunden auf andere Wochentage

in Frage käme, unter Freihaltung des Mittwoch-nachmittags.

-Auf das Problem einer Fünftagewoche ohneKompensation wollte die Kommission, auch in An-betracht ihrer Zusammensetzung, nicht näher ein-treten. Eine solche Regelung wäre nicht möglichohne Stoffumbau und methodische Reformen, dievon den Stufenkonferenzen zu bearbeiten wären.Es wären auch Versuche denkbar, aus denen her-aus ein Lehrplan formuliert werden könnte; Ver-srleichsmaterial, auch aus Deutschland, steht zurVerfügung. Es ist aber zu bedenken, daß ein sol-cher Schritt weitere Konsequenzen haben könnte;so müßte wohl das Hortwesen ausgebaut werden.Daß man für die Versamminngen der Schnl-kapitel eine neue Regelung finden müßte, berührtausschließlich die Lehrer.

Die Kommission schließt mit dem Wunsche,daß die Fünftagewoche so lange wie möglich vonder Schule ferngehalten werden könne. Sie möchtejedoch nicht der Stagnation im Erziehungswesen

Vorschab leisten. Die Schule hat sich auseinander-zusetzen mit sich wandelnden Umweltsbedingun-*en, wie sie anderseits immer wieder sorgsam zuprüfen hat, was auch im Wandel der Zeiten derBewahrung wert ist. Die Fünftagewoche könntejedenfalls ein Anstoß dazu werden, die fälligenul zum Teil bereits anlaufende Reform derSchulen noch intensiver, noch mutiger voran-zutreiben. Die Kommission empfiehlt deshalb demErziehungsrat, Wünschen nach gelegentlichen Ver-

suchen mit der Fünftagewoche in der Schule zu

entsprechen. Dabei sollte man sich aber, das hebtdie Kommission besonders hervor, nicht bloß aufdie Befreiung des Samstagvormittags beschränken,sondern die Gelegenheit zu pädagogischem Experi-mentieren auf breitester Grundlage nutzen.

Bestätigung eines Photographier-verbotes im Bundeshaus

Die Präsenz im RatssaalBern, 25. Nov. ag In einer gemeinsamen

Sitzung haben die Bureaus der beiden eidgenössi-schen Kammern in der Angelegenheit des Photo-graphierverbotes auf die Dauer eines Jahres inden Räumen beider Räte das Wiedererwägungs-gesuch der «Keystonc-Press» abgelehnt und dasVerbot bis Ende der Herbstsession 1964 bestätigt.

Am 18. September hatte der Präsident des Na-tionalrates einem Photographen der «Keystone-Press» persönlich die Bewilligung für Aufnahmenim Ratssaal verweigert und ihn auf den folgendenVormittag verwiesen. Unter Mißachtung diesesklaren Verbotes machte der Photograph trotzdemvon einem schlecht besetzten Sektor des SaalesAufnahmen, deren eine durch die Photoagenturden bei ihr abonnierten Zeitungen mit einemKommentar über die «vielen leeren Sessel» zuge-stellt wurde.

Auf Antrag seines Präsidenten beschloß derNationalrat kurz darauf, der Photoagentur für dieDauer eines Jahres keinerlei Bewilligungen zumPhotographieren erteilen zu lassen. Die «Keystone-Press» bezeichnete in einer Erklärung diese Ver-fügung als unberechtigt und unterbreitete demRat das Gesuch, auf den Beschluß zurückzukom-men. Da der Präsident des Ständerates das Verbotauch auf seinen Sitzungssaal und die dazugehöri-gen Räumlichkeiten ausdehnte, befaßten sich beideBureaus am 19. November mit diesem Gesuch. DemLeiter der Photoagentur wurde zuvor Gelegenheitgegeben, sein Gesuch schriftlich noch näher zuerläutern und zn begründen.

Die Bureaus kamen einstimmig zu folgendenFeststellungen und Schlüssen: der Vorfall wird intatbeständlicher Hinsicht von keiner Seite bestrit-ten. Die Geschäftsreglemente des Nationalratesnnd des Ständerates enthalten seit 1946 eine über-einstimmende Vorschrift, die anläßlich der Revi-sion der beiden Geschäftsreglemente im Jahre 1962eingehend auf ihre Berechtigung hin überprüftworden ist. Sowohl die beiden vorberatenden Kom-missionen als auch die Räte selbst haben jedocheine Aenderung der Vorschrift abgelehnt.

Es ist in jedem Parlament eine Selbstverständ-lichkeit, daß der Ratspräsident für einen nnge-

«Des Souris et des Hommes»Die Galas Karsenty im Schauspielhaus Zürich

(25. November)haj. Kurz nach dem Ende des Zweiten Welt-

krieges hinterließ ein Gastspiel der Galas Karsentymit John Steinbecks Drama «Of Mice and Men»(nach seinem gleichnamigen Roman) einen starkenEindruck, nicht zuletzt dank der Idealbesetzungfür die Rolle des Lennie. Außerdem war demStück damals das Lebensgefühl der unmittelbarenNachkriegszeit zugute gekommen. Das wird beieiner Wiederbegegnung mit dem Werk, ebenfallsin der französischen Adaption von Marcel Du-hamel, deutlich. Von der damaligen Bewegung, diedas Stück in uns hinterließ, ist nichts mehr vor-handen. Die Geschichte der Kameradschaft zwi-schen dem gewandten Landarbeiter George unddem Riesen Lennie, der mit seinem Kindergemütand seinen bärenstarken Händen wider Willensowohl Mäuse als auch Menschen, die er liebkosenmöchte, erdrückt, bis George keinen andern Aus-weg mehr sieht, als seinen Freund zu erschießen,um ihn vor der blutigen Rache seiner Verfolger zubewahren diese Geschichte wirkt in keinerWeise tragisch, weil das uns vorgeführte Schick-sal reichlich konstruiert anmutet nnd keinerleiAllgemeingültigkeit beanspruchen darf. Außerdemgleitet das soziale Mitleid, an welches Steinbeckmit der Evokation seiner amerikanischen Ernied-rigten und Beleidigten appelliert, immer wieder inbloße Sentimentalität ab. In der Thematik wirkt

das Stück heute überholt. Das wäre nicht soschlimm, wenn es besser gebaut wäre. Aber immerwieder schimmert die Romanvorlage durch, glaubtman eine Folge von Romandialogen zu hören, andwo die szenische Gestaltungskraft nicht mehrausreicht, läßt der Autor eine Szene auf ihremdramatischen Höhepunkt mit einem Blackout ab-brechen (Schluß des vierten Bildes). Seit der erstenKarsenty-Tournee hat John Steinbeck den Nobel-preis für Literatur erhalten; sein Stück ist davonaber nicht besser geworden.

Wenn die Wiederbegegnung mit diesem Werkdennoch zu einem fesselnden Theaterabend wurde,so war das einzig der vortrefflichen Aufführungzu danken. In den nach Entwürfen von Wakhe-vitch von Laverdet ausgeführten Bühnenbildern,die betont naturalistisch gehalten waren (nur dieLandschaft des ersten und letzten Bildes roch pene-trant nach Leinwand nnd Pappe), richtete derRegisseur Marc Cassot die Inszenierung auf einenkonsequenten Realismus ans, der mit großerNatürlichkeit und Präzision von den Interpretendurchgehalten wurde, die alle scharf profilierteTypen darstellten and damit etwas von den kleinenFreuden nnd großen Nöten der umherwanderndenFarmarbeiter der Vereinigten Staaten spürbarwerden ließen; es waren Jean-Claude Michel, PanlVille, Marc de Georgi, Laden Fregis, ClaudeJoseph nnd Georges Aubert; Dondon Babet gelanges im Gegensatz zn seinem Vorgänger der erstenTournee nicht, die Tragik des ans der Gemein-schaft .ausgeschlossenen Schwarzen zu vergegen-wärtigen. Rosita Fernandez trätunte als anbefrie-

digte Frau des jungen Farmers ihren eigenen

Wunschtranm in dem Stück, dessen Helden vonAnfang bis zum Schluß von ihrem eigenen Heim-wesen zn träumen nicht aufhören. Marc Cassotspielte selber die Figur Georges, den er alswirklichkeitsnahen, aufgeweckten und von einemAnflug leiser Resignation überschatteten Mannzeichnete, der es nicht über sich bringt, den imGeiste armen Freund seinem Schicksal zu überlas-sen. Christian Barbier verkörperte den tierliebendenLennie mit dem schwachen Sinn und den starkenMuskeln in erschreckender Echtheit ; ihm war es zudanken, daß stellenweise eine menschliche Anteil-nahme möglich wurde am Geschick dieses un-geschlachten Menschen, dessen wohlmeinende Ab-sichten sich stets unheilvoll ins Gegenteil ver-kehrten.

Der Abend wurde zu einem Triumph schau-spielerischen Könnens über ein sehr mittelmäßiges

Stück.

«Du»

vr. Zum viertenmal seit 1959 beherrschen ge-staltende Kräfte der jungen Schweizer Generationein ganzes Heft dieser Zeitschrift. Auf dem erstenBlatt werden nahezu dreihundert «schöpferischTätige» verzeichnet, die in dem nun zum Abschlußgelangenden Zyklus vorgestellt wurden. Da leiderjedes enzyklopädische Bemühen recht bald nach-tragsbedürftig wird, erscheinen am Schloß der-Nummer Bildnisphotos und Kurzbiographienvon fünfzehn bisher «Uebcrgangcnen». die sichdem Bewußtsein der Oeffontlichkeit ebenfalls durchihre Leistungen eingeprägt haben. Und das daa-

kenswerte Unternehmen schließt mit dem Be-kenntnis, daß auch in der vorliegenden, mit«Junge Form» überschriebenen Gruppe «auf vieleerwähnenswerte Namen» verzichtet werdenmußte. Architektur, Design, Kunsthandwerk andGraphik werden diesmal in einigen ihrer jüngstenAusprägungen beleuchtet. Willi Rotzler sagt ein-leitend, die Erneuerung und Verjüngung habe sichin den letzten Generationen in der Schweiz eherzu langsam als zu schnell vollzogen; aber es gebein einem erstaunlich großen Maße eine schöpferi-sche junge Schweiz, die etwas zn sagen habe undüber die Möglichkeiten verfüge, es zu sagen.

Silvia Kngler kommentiert die Auswahl derBilder zum Thema «Wie baut die junge Schweiz t».Sie zeigt nicht das Uniforme, Internationale derGroßbauten auf, das quantitativ vorherrscht, son-dern die sechzehn Bildbeispiele sind von einerüberraschenden Diversität der Formensprache undder baukünstlerischen Einfälle. Es wird auch an-gedeutet, daß viele junge Städtebauer nnd Archi-tekten, welche die «beengte Schweiz» verlassenhaben, in fernen Regionen ihre Pläne verwirkli-chen konnten. Das Kapitel «Design» wird durchMüholtypen illustriert, und Willi Rotzler bietetEinblick in die komplexen Aufgaben, die die jun-gen Entwerfer von Serienerzeugnissen zu bewäl-tigen haben. Während hier oft Gemeinsehafts-arbeit geleistet wird, stellt der schöpferischeKunsthandwerker den Typus des Einzelgängersdar. «Er hat es bei. ans nicht leicht»; denn derbesondere Lnxas, sieh mit edlen Einzelstücken zuumgeben, entspreche nicht der wirtschaftlichenBlüte unseres Landes. Es werden Keramikerinnen,Handweberinnen and ein Glasbläser an ihren Ar-beitsstätten gezeigt. Schließlich findet man imAbschnitt über den noch jungen Beruf des Gra-

Neue Zürcher Zeitung vom 26.11.1963