Essen im Alter - VZBV · PDF fileIn der Geriatrie ist Mangelernährung mit 40 bis 70 Prozent mittlerweile sogar die häu-figste Diagnose

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  • Januar 2004

    Essen im Alter Zu wenig? Zu viel? Das Falsche?

    Dossier zu Seniorenernhrung in Deutschland Herausgeber: Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) Markgrafenstrae 66 10969 Berlin Autor: Michael Engel

  • Inhaltverzeichnis: Zusammenfassung Einfhrung: berernhrung Mangelernhrung 1. Alter und Ernhrung Biologische Besonderheiten Sinkender Kalorienbedarf Der Durst ist weg Weniger Appetit mehr Krankheiten Folgen falscher Ernhrung 2. Ernhrungssituation alter Menschen in Deutschland A. Daheim lebende, rstige Senioren Ernhrungsforschung in Deutschland Studie Ernhrung ab 65 Achterbahn auf der Personenwaage Der Bundes-Gesundheitssurvey Probleme mit Verpackungen Getrnkekonsum von Senioren Nahrungsergnzungsmittel Aktion Fit im Alter B. Daheim lebende, hilfsbedrftige Senioren Essen auf Rdern Slow goes schlechte Selbstversorgung Khlschrank: Indikator fr Krankheit Hochbetagte stark gefhrdet C. Pflegebedrftige Bewohner im Altenheim Ernhrung durch Gemeinschaftskchen Die Chemie muss stimmen Gutes Essen gute Optik Ernhrungssituation in Heimen D. Geriatrische Krankenhuser 3. Kosten der Mangelernhrung 4. Literatur

  • Zusammenfassung Die Bevlkerung ergraut der vielzitierte demografische Wandel ist nicht mehr zu bersehen. Heute leben rund 20 Millionen Menschen in Deutschland, die das 60. Lebensjahr berschritten haben. Das entspricht einem Anteil von rund 25 Prozent. In 30 Jahren wird die Quote auf 35 Prozent gewachsen sein. Jeder Dritte in unserer Gesellschaft zhlt dann zu den Senioren. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung alter Menschen von Jahr zu Jahr. Bis 2030 wird sich die Zahl der ber 80-jhrigen von heute 3,6 Prozent auf 7,4 Prozent mehr als verdoppeln. Sogar eine Vervierfa-chung ist im gleichen Zeitraum mit Blick auf die ber 100-Jhrigen zu erwarten. De-ren Zahl steigt von ca. 10.000 Hochbetagten heute auf 44.000 in 2025, und in 2050 werden sogar mehr als 100.000 Hundertjhrige erwartet. Welche Belastungen die beralterung fr das Sozialversicherungssystem der Bun-desrepublik Deutschland erzeugt, ist in der Vergangenheit immer wieder diskutiert worden. Fakt ist: In einer Gesellschaft, die immer lter wird, wird auch das Thema Ernhrung im Alter immer bedeutender. Eine gesunde Ernhrung ist die Grundvor-aussetzung fr Vitalitt im Alter. Doch wie ist die heutige Ernhrungssituation von Seniorinnen und Senioren in Deutschland - egal ob zu Hause oder im Heim lebend zu bewerten, wo liegen Defizite und Lsungsanstze? Welche Probleme haben sich eigenstndig versorgende Senioren, sowohl beim Kauf als auch bei der Zubereitung? Wie ist die Qualitt der Verpflegung in Heimen oder Krankenhusern, wie bei der ambulanten Versorgung? Realitt ist, dass es in Deutschland - mitten im Schlaraffenland voller Ladentheken - eine groe Zahl von Seniorinnen und Senioren gibt, die untergewichtig und ausge-trocknet sind, weil sie seit Jahren zu wenig essen und zu wenig trinken. Eine der Ur-sachen ist die zunehmende Appetitlosigkeit lterer Menschen. Das hat zunchst einmal biologische Grnde: Das Gehirn kann Hunger und Durst nicht mehr richtig deuten, auerdem funktionieren die Enzyme in Magen und Darm nur noch einge-schrnkt. Hinzu kommen Kau- und Schluckbeschwerden, Prothesen, die nicht richtig sitzen und die betroffene Senioren zu Ttensuppen und Puddingpulver greifen las-sen. Wichtige Nhrstoffe wie Eiwei, Vitamine und Minerale bleiben bei diesen Pud-dingvegetariern auf der Strecke. Multimorbiditt ist ein groes Risiko fr Mangeler-nhrung, sagen die Experten zu diesem Phnomen. Je lter die Menschen werden, desto weiter verbreitet ist die Mangel- bzw. Unterernhrung in der Gruppe der Senio-ren. Doch es sind nicht nur medizinische Grnde, die hier eine negative Rolle spielen, sondern auch soziale und gesellschaftliche Faktoren. Da ist die Einsamkeit der al-ternden Menschen, die den Appetit verdirbt. Da ist die ungewohnte Atmosphre im Speisesaal und das als fremd empfundene Essen der Grokchen und Menbring-dienste. Hinzu kommt die mangelhafte Aufmerksamkeit der rzte, Pflegekrfte und selbst der betreuenden Angehrigen. Immer wieder muss der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen bei seinen Kontrollgngen durch Alten- und Pflegheime feststellen, dass keinerlei Ernhrungs- und Trinkprotokolle gefhrt werden, sogar ei-ne regelmige Gewichtskontrolle der alten Menschen wird hufig auer Acht gelas-sen. Dabei wrde ein kritischer Blick auf die Waage den Mangel sofort vor Augen fhren.

  • Essen im Alter: Zu wenig? Zu viel? Das Falsche? Seniorenernhrung in Deutschland

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    Mangelernhrung ist bei den meisten Senioren erst in spteren Jahren im Alter jen-seits von 70 relevant, denn erst dann kommen die groen gesundheitlichen Beein-trchtigungen und im Gefolge zunehmender Gebrechen die Appetitlosigkeit. Junge Senioren, die ihren Lebensabend in vollen Zgen genieen, haben dagegen ganz andere Sorgen: 20 Prozent der rstigen Rentner kmpfen gegen bergewicht, weil sie in dieser Lebensphase noch zu viele Pfunde auf die Waage bringen. Das Bild, das die Gruppe der Senioren mit Blick auf ihren Ernhrungsstatus abgibt, ist also beraus heterogen: bergewicht und Mangel liegen dicht beieinander. Mehr als zwei Drittel der multimorbiden und deshalb pflegebedrftigen Senioren lebt zu Hause, das heit, Mangelernhrung ist nicht allein ein Problem der Alten- und Pflegeheime. Knapp zehn Prozent der daheim lebenden Seniorinnen und Senioren sind untergewichtig, so das Ergebnis der Paderborner Seniorenstudie aus dem Jahre 2002. In Heimen liegen bisweilen 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrem Krpergewicht unterhalb des Normbereichs. In geriatrischen Einrichtungen, in denen hochbetagte Patienten aufgrund ihrer zahlreichen Erkrankungen behandelt werden, sind sogar 60 Prozent mangelernhrt. Der Preis ist hoch insbesondere fr die Betroffenen, aber auch fr die Solidargemeinschaft. Chronische Mangelernh-rung lst ihrerseits eine Vielzahl von Erkrankungen aus, von Dekubitus bis Demenz, und auch das Risiko, vorzeitig zu sterben, ist deutlich erhht. Verbesserungsvorschlge gibt es viele. Fr Seniorinnen und Senioren, die sich da-heim versorgen, ist es beispielsweise wichtig, dass sie das Essen auch zubereiten knnen. Eine Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) aber ergab, dass alte Menschen immer wieder Probleme beim ffnen von Dosen, Tten und Glaskonserven haben. Andere Senioren knnen das Haltbarkeits-datum nicht lesen, weil die Schrift zu klein oder der entsprechende Aufdruck unauf-findbar ist. An dieser Stelle ist die Nahrungsmittelindustrie dringend gefordert, Abhilfe zu schaffen und die Belange der Senioren mehr zu bercksichtigen. Ein weiterer Punkt betrifft die Zusammensetzung der Speisen. Zwar entwickelte die Deutsche Gesellschaft fr Ernhrung (DGE) Referenzwerte fr die Nhrstoffzusam-mensetzung fr Seniorenspeisen, doch sind diese Empfehlungen fr die Lebensmit-telhersteller und Heimkche keineswegs verbindlich. Jeder darf gewissermaen sein eigenes Sppchen kochen, und vielfach fllt das kulinarische Arrangement vor dem Hintergrund knapper Pflegestze nicht gerade ppig aus. Ein undefinierbarer, farb-loser Einheitsbrei darf nicht lnger die Mahlzeit sein, womit diese Patienten in Institu-tionen tglich versorgt werden, kritisierten Kche auf der ersten deutschen Heim-kochtagung vergangenes Jahr in Aachen. Pflegekrfte, Krankenschwestern und rz-te sollten der Mangelernhrung mehr Aufmerksamkeit schenken, meint der Europarat und mchte EU-weite Regelungen erreichen, damit in der Ausbildung aller medizini-schen Berufsgruppen knftig mehr Ernhrungsaspekte vermittelt werden. Das Risiko von Mangelernhrung hat auch eine soziale Dimension. Wer wenig Euros in der Tasche hat, ist in viel hherem Mae gefhrdet. In der sogenannten Hilfe zum Lebensunterhalt, die je nach Bundesland einen Regelsatz zwischen 282 und 297 Euro im Monat an die Sozialhilfeempfnger auszahlt, sind pauschal 50 Prozent fr die Ernhrung enthalten: im Durchschnitt 4,95 Euro tglich. Doch fr 4,50 bis 7.99 Euro ist gerade einmal eine Portion Essen auf Rdern zu bekommen.

  • Essen im Alter: Zu wenig? Zu viel? Das Falsche? Seniorenernhrung in Deutschland

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    Viele Seniorinnen und Senioren greifen auf Nahrungsergnzungsmittel zurck, in der werblich fehlgeleiteten Annahme, dass der Bedarf an Vitaminen und Kalzium nur mit Hilfe solcher Kapseln gedeckt werden kann. Aus Sicht der Deutschen Gesell-schaft fr Ernhrung sind Nahrungsergnzungsmittel jedoch nur in medizinisch be-grndeten Ausnahmefllen sinnvoll. Da jedoch viele Seniorinnen und Senioren nicht bereit sind, ein ber Jahrzehnte geprgtes falsches Ernhrungsmuster von heute auf morgen durch eine mit viel Obst und Gemse angereicherte gesunde Kost zu erset-zen, wre es sicherlich falsch, von der Einnahme von Ergnzungsprparaten grund-stzlich abzuraten. Wichtig ist aber, dass die Produkte richtig zusammengesetzt und gekennzeichnet sind, d.h. die Seniorinnen und Senioren genau wissen, was sie zu sich nehmen. Insgesamt positiv zu bewerten sind vielfltige Initiativen, die auf eine Verbesserung der Ernhrungssituation lterer Menschen abzielen. Zum Beispiel wurden auf der Ersten Deutschen Heimkochtagung neue und kreative Verpflegungskonzepte wie Fingerfood und Eat by walking vorgestellt mit dem Ziel, die Eigenstndigkeit von Heimbewohnern mglichst lange zu bewahren. Im September 2003 startete das Bundesverbraucherschutzministerium mit Fit im Alter gesund essen, besser leben eine Kampagne zur Seniorenernhrung. Verbraucherzentralen bieten in diesem Zu-sammenhang ein Einkaufstraining fr Senioren an. Diese und andere Aktivitten ge-ben Hoffnung, dass man dem Thema Mangelernhrung, mitten im Schlaraffenland, auch in einer immer lter werdenden Gesellschaft, wirkungsvoll begegnen kann.

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    Einfhrung: berernhr