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Fokus Menschenrechte Nr. 20 / August 2015 Viele seltenste von seltenen Fällen Jurist will Indiens Judikative von der Abschaffung der Todesstrafe überzeugen Interview mit Dr. Anup Surendranath Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit | Fokus Menschenrechte Dr. Anup Surendranath ist Verfassungsrechtsexperte an der Juristischen Universität Neu Delhi. Er forscht über die Todesstrafe in Indien. Hierfür haben er und sein Team Daten zu allen 385 derzeit in Indien zum Tode Verurteilten gesammelt und viele von ihnen, ihre Familien und Strafverteidiger interviewt. Im Rah- men eines durch die EU geförderten Projektes zu Polizeireformen in Südasien finanziert die Friedrich-Nau- mann-Stiftung für die Freiheit einen Teil des Forschungsprojektes. Herr Dr. Surendranath, Sie sind Professor an der Juristischen Universität in Delhi und widmen sich seit vielen Jahren juristischen Belangenen von Ver- urteilten. Was hat Sie dazu inspiriert über das The- ma Todesstrafe zu forschen? Mein Interesse an der Todesstrafe wurde bereits wäh- rend meines Jurastudiums an der Universität Oxford geweckt. Mir fiel auf, dass etliche Themen die wir im Zusammenhang mit der Todesstrafe besprachen, nicht in der indischen Rechtsprechung berücksichtigt wer- den. Der direkte Auslöser für diese Forschungsarbeit war jedoch die heimliche Hinrichtung von Afzal Guru im Februar 2013 in Indien. Ich kam zu der Überzeu- gung, dass ich das Verfahren, wie die Todesstrafe in Indien verhängt und vollstreckt wird, genau kennen müsste, um meiner Stimme gegen die Todesstrafe bes- ser Gehör zu verschaffen. Zusammenfassung Seit britischer Kolonialzeit sehen die Gesetze die Todesstrafe vor. Inzwischen können 61 Vergehen mit dem Tod durch Strang geahndet werden. Zwar ist die Zahl der tatsächlich Hingerichteten verhält- nismäßig gering; doch sitzen 385 Menschen in Todeszellen. Sie warten Jahre auf eine endgültige Entscheidung, was eine Form von psychischer Folter und eine enorme Belastung für die Angehörigen ist. Das Oberste Gericht bestätigt in der Regel nur fünf Prozent der Todesurteile. Um die indische Judikative von der Abschaffung zu überzeugen, will Dr. Anup Surendranath mit harten Fakten aufzeigen, wie sehr sie sich in ihrem System selbst widerspricht. Der Grundsatz, die Todesstrafe in „seltensten von seltenen Fällen“ zu verhängen, ist beispielsweise nicht definiert und wird demzufolge falsch verstan- den und angewandt.

FMR 20 - Todesstrafe in Indien

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Dr. Anup Surendranath ist Verfassungsrechtsexperte an der Juristischen Universität Neu Delhi. Er forscht über die Todesstrafe in Indien. Hierfür haben er und sein Team Daten zu allen 385 derzeit in Indien zumTode Verurteilten gesammelt und viele von ihnen, ihre Familien und Strafverteidiger interviewt. Im Rahmeneines durch die EU geförderten Projektes zu Polizeireformen in Südasien finanziert die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit einen Teil des Forschungsprojektes.

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  • Fokus Menschenrechte

    Nr. 20 / August 2015

    Viele seltenste von seltenen FllenJurist will Indiens Judikative von der Abschaffung der Todesstrafe berzeugen

    Interview mit Dr. Anup Surendranath

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit | Fokus Menschenrechte

    Dr. Anup Surendranath ist Verfassungsrechtsexperte an der Juristischen Universitt Neu Delhi. Er forscht ber die Todesstrafe in Indien. Hierfr haben er und sein Team Daten zu allen 385 derzeit in Indien zum Tode Verurteilten gesammelt und viele von ihnen, ihre Familien und Strafverteidiger interviewt. Im Rah-men eines durch die EU gefrderten Projektes zu Polizeireformen in Sdasien finanziert die Friedrich-Nau-mann-Stiftung fr die Freiheit einen Teil des Forschungsprojektes.

    Herr Dr. Surendranath, Sie sind Professor an der Juristischen Universitt in Delhi und widmen sich seit vielen Jahren juristischen Belangenen von Ver-urteilten. Was hat Sie dazu inspiriert ber das The-ma Todesstrafe zu forschen?Mein Interesse an der Todesstrafe wurde bereits wh-rend meines Jurastudiums an der Universitt Oxford geweckt. Mir fiel auf, dass etliche Themen die wir im Zusammenhang mit der Todesstrafe besprachen, nicht in der indischen Rechtsprechung bercksichtigt wer-den. Der direkte Auslser fr diese Forschungsarbeit war jedoch die heimliche Hinrichtung von Afzal Guru im Februar 2013 in Indien. Ich kam zu der berzeu-gung, dass ich das Verfahren, wie die Todesstrafe in Indien verhngt und vollstreckt wird, genau kennen msste, um meiner Stimme gegen die Todesstrafe bes-ser Gehr zu verschaffen.

    ZusammenfassungSeit britischer Kolonialzeit sehen die Gesetze die Todesstrafe vor. Inzwischen knnen 61 Vergehen mit dem Tod durch Strang geahndet werden. Zwar ist die Zahl der tatschlich Hingerichteten verhlt-nismig gering; doch sitzen 385 Menschen in Todeszellen. Sie warten Jahre auf eine endgltige Entscheidung, was eine Form von psychischer Folter und eine enorme Belastung fr die Angehrigen ist. Das Oberste Gericht besttigt in der Regel nur fnf Prozent der Todesurteile. Um die indische Judikative von der Abschaffung zu berzeugen, will Dr. Anup Surendranath mit harten Fakten aufzeigen, wie sehr sie sich in ihrem System selbst widerspricht. Der Grundsatz, die Todesstrafe in seltensten von seltenen Fllen zu verhngen, ist beispielsweise nicht definiert und wird demzufolge falsch verstan-den und angewandt.

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    Todesstrafe in Indien | Nr. 20 - August 2015 | 2

    In Indien und weltweit wird meist mit moralischen und ethischen Argumenten gegen die Todesstrafe argumentiert. Das mchten Sie ndern. Warum?Die moralischen und ethischen Argumente gegen die Todesstrafe sind selbstverstndlich sehr stark und ich stimme den meisten dieser Argumente auch zu. Aber ich bin der Meinung, dass wir im indischen juristischen Kontext die Debatte gegen die Todesstrafe nicht mit moralischen und ethischen Argumenten gewinnen knnen. Um die Judikative von der Abschaffung der Todesstrafe zu berzeugen, muss einerseits aufgezeigt werden, dass die Todesstrafe diskriminiert und ande-rerseits, dass sich die Strafjustiz in Indien in einer Krise befindet. Dem Obersten Gerichtshof und seinen Rich-tern muss anhand von belegbaren Daten vor Augen ge-fhrt werden, dass ein marodes Justizsystem arme und marginalisierte Menschen benachteiligt, insbesondere wenn es um die Todesstrafe geht.

    Wie intensiv waren Ihre Feldforschungen?Sehr intensiv, wir haben umfassende Daten zu allen 385 derzeit in Indien zum Tode Verurteilten gesam-melt. Selbst die simple Information wie viele Gefngni-sinsassen derzeit zum Tode verurteilt sind, konnten wir nicht zentral erhalten, sondern mussten jedes Gefng-nis einzeln anfragen. Wir haben zudem die zugehrigen Familien und Strafverteidiger aufgesprt und befragt. Besonders die Befragung der Familien, die ber ganz

    Indien verstreut leben, wre ohne einhundert Studen-ten, die als Freiwillige an dem Projekt mitwirken, nicht mglich gewesen.

    Das indische Strafgesetzbuch von 1860, das noch aus Kolonialzeiten stammt, sieht die Todesstrafe vor. Zu-dem hat Indien seitdem weitere Gesetzgebungen er-lassen, welche die Todesstrafe beinhalten. Wofr kann man in Indien alles mit dem Tode bestraft werden?Laut unserer Nachforschungen gibt es 61 Vergehen, die mit dem Tode bestraft werden knnen. Nur 16 davon haben mit Mord, Todschlag oder fahrlssiger Ttung zu tun. Bei allen anderen Vergehen ist zuvor nicht zwangslufig ein Mensch ums Leben gekommen. Andere Taten, die mit der Hchststrafe belegt werden knnen, sind beispielsweise Kriegsfhrung gegen In-dien, Meuterei, Entfhrung mit Lsegelderpressung, Terroranschlge, Raubberflle durch Banden und die organisierte Kriminalitt. Die meisten der in Indien zum Tode Verurteilten wurden dennoch wegen Mordes angeklagt, viele im Zusammenhang mit Sexualverbre-chen. Eigentlich darf eine Vergewaltigung ohne Todes-folge nicht mit dem Tod bestraft werden. Aber nach der brutalen Massenvergewaltigung mit Todesfolge einer jungen Studentin in Delhi im Dezember 2012 wurde das Strafgesetz so gendert, dass Wiederholungstter von Vergewaltigungen ohne Todesfolge zum Tode ver-urteilt werden drfen.

    Gibt es Unterschiede zwischen den indischen Bun-desstaaten im Verhngen der Todesstrafe?Wir haben versucht eine Liste aller seit 2000 in Indi-en verhngten Todesurteile zu erstellen. Schnell stellte sich heraus, dass die Angaben der Gerichte, wieviele To-desurteile sie in den letzten 15 Jahren ausgesprochen haben, ungenau und unvollstndig waren. Letztendlich haben wir Gefngnis nach Gefngnis abgeklappert um herauszufinden, wo alles Menschen in Todeszellen sa-en oder sitzen. Die genauen Daten werden mit dem Bericht des Death Penalty ReseaRch PRojects verffent-licht werden. Aber es zeichnet sich bereits ab, dass die nordstlichen Staaten Indiens sehr selten die Todes-strafe aussprechen whrend Uttar Pradesh die hchste Rate hierfr hat, dicht gefolgt von Maharashtra und Karnataka.

    Interessanterweise werden nur 5% aller Todesurteile vom Obersten Gericht am Ende besttigt. Die groe Mehrheit der zum Tode Verurteilten sitzt deshalb nicht

    Dr. Anup Surendranath mit seiner Interviewerin, der FNF-Programmkoordinatorin Dona John, im Regionalbro Delhi.

    Foto: FNF Sdasien

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    Todesstrafe in Indien | Nr. 20 - August 2015 | 3

    unschuldig im Gefngnis, aber unntigerweise in To-deszellen. Wenn man bedenkt welche psychische Qua-len Todesangst fr einen Menschen bedeuten und wie lange sie wegen des unfassbar langsamen juristischen Systems Indiens diesen ngsten ausgeliefert sind, ist dieser Zustand untragbar.

    In den zehn Jahren von 2004 bis 2014 hat Indien drei Menschen hingerichtet. Zwei von ihnen, Ajmal Amir Kasab und Afzal Guru, denen Kriegsfhrung gegen Indien und Terrorismus vorgeworfen wur-de, wurden unter groer Geheimhaltung zum Tode verurteilt und erhngt. Steigt die Anzahl an Men-schen, die wegen Terrorismus zum Tode verurteilt werden?Interessanterweise ist die Zahl der wegen Terrorismus zum Tode Verurteilten in den indischen Gefngnissen eher gering. Die Bundesstaaten, die als besonders An-fllig fr separatistische und terroristische Strmun-gen gelten, der Nordwesten Indiens, Kaschmir und Gebiete mit maoistischen Milizen, haben gar keine Ge-fngnisinsassen, die wegen Terrorismus zum Tode ver-urteilt sind. Dies liegt wohl auch an der schon oft von Menschenrechtsorganisationen kritisierten brutalen Vorgehensweise gegen diese Gruppen, so dass es oft zu Todesfllen anstelle von Verhaftungen kommt.

    Haben Sie als Mitarbeiter einer staatlichen Univer-sitt besseren Zugang zu Informationen und Perso-nen gehabt als es eine Nichtregierungsorganisati-on htte? Wie sah die Kooperation mit staatlichen Stellen whrend ihrer Recherchen aus?Eine derartige Interaktion mit zum Tode Verurteilten, wie wir sie hatten, hat es in Indien bislang noch nicht gegeben. Dies liegt auch an der guten Zusammenarbeit und Untersttzung die wir vom National Legal Services Authority (NALSA), die armen Menschen juristischen Beistand ermglicht, erhalten haben. Die NALSA war besonders hilfreich im Beschaffen von Informationen und Knpfen von Kontakten zu Verurteilten, Pflichtver-teidigern und Gefngnispersonal. Die Kooperationsbe-reitschaft von Regierungsbeamten, Verwaltungsan-gestellten und Gefngnispersonal war sehr gemischt. Manche haben hohe Verwaltungshrden aufgebaut. Da wir von einer staatlichen Universitt kommen, wur-den unsere Forschungsarbeiten von anderen aber als quasi staatlich legitimiert angesehen. Das hat etliche Beamte, Anwlte, und Gefngnispersonal beruhigt und offener werden lassen. Besonders beim Gefngnisper-sonal haben wir viele angetroffen, die eine sehr hu-mane Einstellung gegenber den Gefangenen haben. Trotz Widrigkeiten wie maroden Gebuden, mangeln-der Ausstattung und staatlichem Desinteresse machen sie einen tollen Job.

    Er mag alleine seine - doch ist er nicht ohne seine Rechte. Foto: FNF Sdasien.

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    Todesstrafe in Indien | Nr. 20 - August 2015 | 4

    Das Mistrauen gegenber nichtstaatlichen Organisa-tionen in Indien wchst, ihr Zugang zu Informationen und Personen wird dadurch kleiner. Umso wichtiger ist es, dass die Universitten kritische Forschungen, Nach-fragen und Verffentlichungen betreiben.

    Der Oberste Gerichtshof hat klargestellt, dass dem Recht auf Leben hchste Prioritt zukommt und deshalb die Todesstrafe nur in den seltensten von seltenen Fllen verhngt werden darf. Den-noch werden immer fter Todesurteile gefllt. Wie kommt es dazu?Die Todesstrafe darf nur in den seltensten von seltenen Fllen ausgesprochen werden. Wenn man sich nun die Todesurteile des obersten Gerichtshofs der letzten Jahre anschaut, wird deutlich, dass es keine klare De-finition gibt, wann ein Fall als seltenster von seltenen Fllen gilt. Dies ist ein groes Problem, denn bei einer derart irreversiblen Strafe sollte genau festgelegt sein, wann sie verhngt werden darf. Das Prinzip der sel-tensten von seltenen Fllen ist in den letzten Jahren somit nicht immer korrekt angewendet worden. Der Oberste Gerichtshof selbst hat eingerumt, dass dem Prinzip nicht immer Folge geleistet wurde und er selbst in manchen Fllen in der Vergangenheit das Prinzip flschlicher Weise zur Aufrechterhaltung von Todes-urteilen herangezogen hat. Dennoch hat der Oberste Gerichtshof im Jahr 2015 bereits acht Todesurteile bekrftigt, mehr als in irgendeinem der vergangenen sieben Jahre. Es ist schwer zu sagen warum der OG so entscheidet. Die Proteste wegen der tdlichen Massen-vergewaltigung in Delhi 2012 haben definitiv gezeigt,

    dass die Brger unter gewissen Umstnden offen fr die Todesstrafe sind.

    Welche Rechte hat ein Mensch, der zum Tode ver-urteilt wurde? Was sind seine Einspruchsmglich-

    keiten? Muss der Staat ihm einen Anwalt stellen?Der Oberste Gerichtshof betont immer wieder, dass den Verurteilten bis ganz zum Schluss, also bis zur Hinrichtung, smtliche in der Verfassung garantier-ten Rechte und Schutzmanahmen zustehen mssen. Die Angeklagten werden zunchst von einem lokalen Gericht verurteilt. Bei der Todesstrafe muss dieses Urteil von einem hheren Gericht berprft werden. Bleibt es bei der Hchststrafe, so kann vor dem Obersten Gericht Berufung eingelegt werden. Das Oberste Gericht kann die Berufung sofort ablehnen ohne eine weitere Anhrung. Dies ist eine frag-wrdige und viel kritisierte Praxis. Bei Todesurteilen ist eine solche Ableh-

    nung sehr selten, ist aber schon vorgekommen, zuletzt im Januar 2015. Alle Angeklagten haben ein Anrecht auf juristischen Beistand durch alle Instanzen, eben-so fr das Schreiben des Gnadengesuchs. Der Oberste Gerichtshof urteilte zudem im Januar 2014 recht fort-schrittlich, dass eine unntige Verzgerung in der Be-arbeitung von Gnadengesuchen psychische Folter fr die Verurteilten sei. Kommt es zu einer solchen Verz-gerung haben die Verurteilten ein Anrecht darauf, dass ihre Strafe von Todesurteil in lebenslange Haft umge-wandelt wird. Auch hat der oberste Gerichtshof festge-legt, dass ein Hftling vor seiner Hinrichtung das Recht auf einen letzten Besuch seiner Familie hat.

    Wie wirkt sich die Qualitt der Anwlte auf die Urteilssprche aus?Unsere Forschungen haben ergeben, dass fr die ers-ten Verhandlungen vor den niedrigeren Gerichten, die meisten Angeklagten private Anwlte anheuern, mit der Zeit durch die Instanzen jedoch immer mehr auf Pflichtverteidiger zurckgreifen. Meiner Meinung nach macht es keinen Unterschied ob private oder Pflicht-verteidiger einen Fall bernehmen, denn die anwalt-lichen Fhigkeiten im Verhandeln von Todesurteilen lassen in Indien generell zu wnschen brig.

    Idealbild der Polizei in Indien: die ffentliche Sicherheit gewhrleisten, wie auch die Rechte von Inhaftierten wahren.

    Foto: FNF Sdasien.

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    Todesstrafe in Indien | Nr. 20 - August 2015 | 5

    Ob die Todesstrafe verhngt wird, hngt mageb-lich von den Beweismitteln und der Strafverfolgung ab. Knnen Sie aufgrund ihrer Forschung Beispiele nennen, wie eine mangelhafte Beweismittelsiche-rung und schlechte Strafverfolgung Unschuldige hinter Gitter bringen kann.Der Fall von Sonu Sadar ist so ein Beispiel. 2012 hat der Oberste Gerichtshof seine Verurteilung zum Tode besttigt und der indische Prsident hat 2014 sein Gnadengesuch abgelehnt. Sonu Sadar wurde wegen Mordes verurteilt. Den Polizei- und Gerichtsunterlagen zufolge war er zur Tatzeit 23 Jahre alt. Das Alter ist in solchen Verfahren besonders wichtig. Je jnger ein An-geklagter ist, desto seltener wird er zum Tode verurteilt.

    Minderjhrige gelten als Kinder und drfen gar nicht die Todesstrafe bekommen. Als unsere Feldforscher Sonu befragten, kann heraus, dass er zur Tatzeit nur 18 Jahre und zwei Monate alt gewesen war, keine 23 Jah-re. Ein Besuch bei der Dorfschule, in die Sonu gegangen war, frderte Dokumente zu Tage, die sein jngeres Al-ter belegen. Niemand hatte whrend der Gerichtsver-handlungen die Altersangabe der Polizei angezweifelt oder gar berprft. Der Fall wurde daraufhin neu ver-handelt, der Oberste Gerichtshof wollte jedoch nicht seinem eigenen frheren Urteil widersprechen, somit bleibt es fr Sonu bei der Todesstrafe.

    Manche Juristen sagen, dass ein paar der Hinrich-tungen fehlerhaft waren. Was war passiert?Der oberste Gerichtshof selbst hat festgestellt, dass in der Vergangenheit die Klausel seltenster von seltenen Fllen falsch verstanden und angewandt wurde. Lei-der besteht dieses Problem weiter, da es nach wie vor keine genaue Definition gibt. Der oberste Gerichtshof hat festgelegt, dass ein Hftling vor seiner Hinrich-tung das Recht auf einen letzten Besuch seiner Fami-lie hat. Afzal Guru, der an dem Bombenanschlag auf das Indische Parlament im Jahr 2001 beteiligt war und 2013 hingerichtet wurde, wurde heimlich gehngt ohne, dass seine Familie darber informiert wurde, ge-schweige denn ein letzten Treffen stattgefunden htte.

    Der indische Prsident kann Gnadengesuchen von zum Tode Verurteilten zustimmen. Wird diese Macht als politisches Instrument genutzt?Sicher sind ein paar der Todesurteile, die zu Gnadenge-suchen beim Prsidenten fhren politisch heikel. Aber das scheint ein kleiner Prozentsatz zu sein. Der derzei-tige Prsident hat bereits eine Reihe von Gnadengesu-chen abgelehnt. Die politische Motivation der Regie-rung ist, dass sie als hart gegen Kriminalitt vorgehend angesehen werden will.

    Obschon der Anzahl der Hinrichtungen kontinuierlich abnimmt, bleiben auch die wenigen in ihrer Urteilsfindung fraglich. Quelle: http://www.deathpenaltyindia.com/wp-content/uploads/2014/12/PrisonersExecutedinIndiasince-1947.pdf

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    Jhrliche Anzahl der Hinrichtungen seit der Unabhngigkeit

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    Todesstrafe in Indien | Nr. 20 - August 2015 | 6

    Das Interview fhrten FNF-Programmkoordinatorin Dona John und FNF-Projektassistentin Maria Schnei-der.

    bersetzung: Maria Schneider, Projektassistentin Sd-asien der Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit.

    ImpressumFriedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit Bereich Internationale Politik - Referat Asien und Menschenrechte - Karl-Marx-Str. 2

    14482 Potsdam

    [email protected] www.freiheit.org

    Die Todesstrafe betrifft auch die Familien der Ver-urteilten. Was knnen Sie hierzu sagen?Die Todesstrafe wird meist in Fllen verhngt, die lo-kal fr Aufsehen gesorgt haben. Die Familien der Tter sind somit bereits stigmatisiert. Das Urteil Todesstrafe verschlimmert diese Stigmatisierung zustzlich. Oft werden die Familien boykottiert oder aus der Dorfge-meinschaft ausgestoen und gezwungen ihr zuhause zu verlassen. Manche Familien brechen aus Scham jeg-lichen Kontakt zum Verurteilten ab. Andere Familien, geben ihre gesamten Ersparnisse fr Anwaltskosten aus, wenn abzusehen ist, dass die Todesstrafe verhngt werden knnte. Sie glauben, dass private Anwlte ge-nerell besser sind als ein Pflichtverteidiger. Viele kn-nen sich jedoch nur schlechte private Anwlte leisten. Dann wird ihr Verwandter zum Tode verurteilt und die Familie ist verarmt bzw. ist noch rmer als zuvor, weil sie sich die Anwaltskosten eigentlich gar nicht leisten konnte.

    Wie ist der derzeitige Stand des Forschungspro-jekts? Bekommt es Aufmerksamkeit von den Me-dien?Der Forschungsbericht bekommt gerade noch den letz-ten Schliff. Wir hoffen natrlich, dass unser Bericht die Diskussionen um die Todesstrafe in Indien beeinflus-sen wird. Das Interesse an unserem Bericht ist definitiv gro in professionellen Kreisen. Diese Studie ist jedoch erst der Anfang, es gibt ber die Todesstrafe in Indien noch viel herauszufinden. Ich hoffe also, dass ich in Zu-kunft auf dieser Studie aufbauen kann.

    Ist die Internetseite www.deathpenaltyindia.com die erste dieser Art in Indien?Die Internetseite ist der erste Schritt, um eine umfas-sende Materialsammlung zur Todesstrafe in Indien zusammenzustellen. Es ist sehr wichtig, dass das The-ma Todesstrafe in Indien ernsthaft diskutiert wird. Wir wollen auf der Internetseite alle ntigen Informatio-nen bereitstellen, so dass eine faktenbasierte Debatte mglich ist.

    Dieses Interview wird in Deutschland verffentlicht werden. Haben Sie eine besondere Botschaft fr unsere deutschen Leser?Indien hat in den letzten 20 Jahren sehr wenige Men-schen hingerichtet. Das bedeutet aber nicht, dass nicht

    wesentlich mehr Menschen Jahre und Jahrzehnte in Indiens Todeszellen sitzen. Nicht nur der Akt des Hin-richtens ist grausam und unmenschlich, sondern auch das stndige Warten auf den Tod sowie die Lebensbe-dingungen in indischen Gefngnis.

    http://www.deathpenaltyindia.com