FoucaultDiskurs

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    Michel FoucaultDie OrdnungdesfDis!

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    In der Antrittsvorlesung, die Michel Foucault anllich seiner Beru-fung an das College de France am 2. Dezember 1970 gehalten hat, ist'das geschichtsphilosophische Programm, aus dem sich seine spte-ren groen Werke speisen sollten, in den Grundzgen bereits ent-worfen. Sie ist ein Schlsseltext der modernen Ideengeschichte. Ineiner subtilen Analyse der literarischen und wissenschaftlichen In-stitutionen und Mechanismen, die das Geschriebene und Gespro-chene einschrnken, kontrollieren und determinieren, e'ntwickeltFoucault hier den theoretischen Diskurs, der ihn nachmals be-rhmt gemacht und mit dem er die Grenz en zwischen Historiogra-phie, Literaturwissenschaft, Philosophie und Rhetorik berschrit-ten hat.Ralf Konersmann zeichnet in einem ebenso scharfsichtigen wiekenntnisreichen Essay die Fahndungsmethoden des FoucaultschenDenkens und die Grnde fr dessen andauernde fcherbergrei-fende Wirkung nach.Michel Foucault, geboren 1926, lehrte von 1970 bis zu seinem Tode1984 Geschichte der Denksysteme am College de France. SeineArbeiten zur Geschichte des Gefngnisses, der Psychiatrie undschlielich der Sexualitt begrndeten seinen interna tionalen Ruhm.Im Fischer Taschenbuch Verlag ist ebenfalls lieferbar: Die Geburtder Klinik (Bd. 7400).Unsere Adresse im Internet: www.fischerverlage.de

    MICHEL FOUCAUL T

    Die Ordnung des DiskursesAus dem.Franzsischenvon Walter Seitter

    Mit einem Essay vonRalf Konersmann

    FISCHER TASCHENBUCH VERLAG

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    FISCHER WISSENSCHAFT

    II . Auflage: M rz 2010Erweiterte AusgabeVerffendicht im Fischer Taschenbuch Verlag,einem Unternehmen der S. Fischer Verlag GmbH,Frankfurt am Main, Mrz 1991

    Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung desCarl Han ser Verlags, Mnc henTitel der Originalausgabe: L'ordre du discours;erschienen bei Gallimard, Paris 1972 der Originalausgabe by Michel Foucault

    Fr die deutsche Ausgabe: Carl H anser Verlag; Mnchen 1974Fr Ralf Konersmann, Der Philosoph mit der Maske:

    Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main 199Alle Rechte vorbehaltenGesamtherstellung: CPI - Clausen & Bosse, LeckPrinted in GermanyISBN 978-3-596-10083-5

    Inhalt

    MICHEL FOUCAULTDie Ordnung des Diskurses 7RALF KONERSMANNDer Philosoph mit der MaskeMichel Foucaults L'ordre du discours

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    MICHEL FUCAULTDie Ordnung des Diskurses

    Inauguralvorlesungam College de France,

    2. Dezember 1970

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    In den Diskurs, den ich heute zu halten habe, und in die Diskurse, die ich vielleicht durch Jahre hindurch hier werde halten mssen, htte ich mich gern verstohlen eingeschlichen.Anstatt das Wort zu ergreifen, wre ich von ihm lieber umgarnt worden, um jedes Anfangens enthoben zu sein. Ichhtte gewnscht, whrend meines Sprechens eine Stimmeohne Namen zu v e r n e h m e ~ , die mir immer schon vorauswar: ich wre es dann zufrieden gewesen, an ihre Worte anzuschlieen, sie (ortzusetzen, mich in ihren Fugen unbemerkteinzunisten, gleichsam, als htte sie mir ein Zeichen gegeben,indem sie fr einen Augenblick aussetzte. Dann gbe es keinAnfangen. Anstatt der Urheber des Diskurses zu sein, wreich im Zufall seines Ablaufs nur eine winzige Lcke und vielleicht sein Ende.Ich htte gewnscht, da es hinter mir eine Stimme gbe, dieschon seit langem das Wort ergriffen htte und im vorhineinalles, was ich sage, verdoppelte und da diese Stimme so sprche: Man mu weiterreden, ich kann nicht weitermachen,man mu weiterreden, man mu Wrter sagen, solange eswelche gibt; man mu sie sagen, bis sie mich finden, bis siemich sagen - befremdende Mhe, befremdendes Versagen;man mu weiterreden; vielleicht ist es schon getan, vielleichthaben sie mich schon gesagt, vielleicht haben sie mich schonan die Schwelle meiner Geschichte getragen, an das Tor, welches sich schon auf meine Geschichte ffnet (seine ffnungwrde mich erstaunen).Ich glaube, es gibt bei vielen ein hnliches Verlangen, nichtanfangen zu mssen; ein hnliches Begehren, sich von vornherein auf der anderen Seite des Diskurses zu befinden undnicht von auen ansehen zu mssen, was er Einzigartiges,Bedrohliches, ja vielleicht Verderbliches an sich hat. Auf diesen so verbreiteten Wunsch gibt die Institut ion eine ironischeAntwort, indem sie die Anfnge feierlich gestaltet, indem sie

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    sie mit ehrfrchtigem Schweigen umgibt und zu weithinsichtbaren Zeichen ritualisiert.Das Begehren sagt: Ich selbst mchte nicht in jene gefhrliche Ordnung des Diskurses eintreten mssen; ich mchtenichts zu tun. haben mit dem, was es Einschneidendes undEntscheidendes in ihm gibt; ich mchte, da er um mich herum eine ruhige, tiefe und unendlich offene Transparenz bilde,in der die anderen meinem Erwarten antworten und aus derdie Wahrheiten eine nach der anderen hervorgehen; ichmchte nur in ihm und von ihm wie ein glckliches Findelkind getragen werden. Un d die Institution antwortet: Dubrauchst vor dem Anfangen keine Angst zu haben; wir allesind da, um dir zu zeigen, da der Diskurs in der Ordnungder Gesetze steht; da man seit jeher ber seinem Auftretenwacht; da ihm ein Platz bereitet ist, der ihn ehrt, aber entwaffnet; und da seine Macht, falls er welche hat, von unsund nur von uns stammt.Aber vielleicht sind diese Ins titut ion und dieses Begehren nurzwei entgegengesetzte Antworten ~ u f ein und dieselbe Un-ruhe: Unruhe angesichts dessen, was der Diskurs in seinermateriellen Wirklichkeit als gesprochenes oder geschriebenesDing ist; Unruhe angesichts jener vergnglichen Existenz, diezweifellos dem Verschwinden geweiht ist, aber nach einerZeitlichkeit, die nicht die unsere ist; Unruhe, die unter jeneralltglichen und unscheinbaren Ttigkeit nicht genau vorstellbarer Mchte und Gefahren zu verspren ist; verdchtigeUnruhe von Kmpfen, Siegen, Verletzungen, berwltigungen und Knechtschaften in so vielen Wrtern, deren Rauheiten sich seit langem abgeschliffen haben.Aber was ist denn so gefhrlich an der Tatsache, da die Leutesprechen und da ihre Diskurse endlos weiterwuchern ? Woliegt die Gefahr?Die Hypothese, die ich heute abend entwickeln mchte, umden Or t - oder vielleicht das sehr provisorische Theater -meiner Arbeit zu fixieren: Ich setze voraus, da in jeder Ge-10

    sellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert,selektiert, organisiert und kanalisiert wird - und zwar durchgewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Krfte und dieGefahren des Diskurses zu bndigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialitt zu umgehen.In einer Gesellschaft wie der unseren kennt man sehr wohlProzeduren der Ausschlieung. Die sichtbarste und vertrauteste ist das Verbot. Man wei, da man nicht das Recht hat,alles sagen, da man nicht bei jeder Gelegenheit von allemsprechen kann, da schlielich nichtjeder beliebige ber allesbeliebige reden kann. Tabu des Gegenstandes, Ritual der Um-stnde, bevorzugtes oder ausschlieliches Recht des sprechen-. den Subjekts - dies sind die drei Typen von Verboten, die sichberschneiden, verstrken oder ausgleichen. und so einenkomplexen Raster bilden, der sich stndig ndert. Ich mchtenur anmerken, da .es heute zwei Bereiche gibt, in denen derRaster besonders eng ist und die Verbote immer zahlreicherwerden: dieBereichederSexualittundder Politik. Offensichtlich ist der Diskurs keineswegs jenes transparente und neutraleElement, in dem die Sexualitt sich entwaffnet und die Politiksich befriedet, vielmehr ist er ein bevorzugter Ort, einige ihre rbedrohlichsten Krfte zu entfalten. Der Diskurs mag dem Anschein nach fast ein Nichts sein - die Verbote, die ihn treffen,offenbaren nur allzubald seine Verbindung mit dem Begehrenund der Macht. Und das ist nicht erstaunlich. Denn der Diskurs - die Psychoanalyse hat es uns gezeigt - ist nicht einfachdas, was das Begehren offenbart (oder verbirgt): er ist auchGegenstand des Begehrens; und der Diskurs - dies lehrt unsimmer wieder die Geschichte - ist auch nicht blo das, was dieKmpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache ber- .setzt: er ist dasjenige, worum und womit man kmpft; eristdi eMacht, deren man sich zu bemchtigen sucht.Es gibt in unserer Gesellschaft noch ein anderes Prinzip derAusschlieung: kein Verbot, sondern eine Grenzziehungund eine Verwerfung. Ich denke an die Entgegensetzung von

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    Vernunft und Wahnsinn. Seit dem Mittelalter ist der Wahnsinnige derjenige, dessen Diskurs nicht ebenso zirkulierenkann wie der der andern: sein Wort gilt fr null und nichtig,es hat weder Wahrheit noch Bedeutung, kann vor Gerichtnichts bezeugen, kein Rechtsgeschft und keinen Vertrag beglaubigen, kann nicht einmal im Meopfer die Transsubstantiation sich vollziehen hissen und aus dem Brot einen Leibmachen; andererseits kann es aber auch geschehen, da mandem Wort des Wahnsinnigen im Gegensatz zu jedem anderneigenartige Krfte zutraut: die Macht, eine verborgene Wahrheit zu sagen oder die Zukunft vorauszuknden oder in allerNaivitt das zu sehen; was die Weisheit der andern nichtwahrzunehmen vermag. Seltsamerweise wurde in Europajahrhundertelang das Wort des Wahnsinnigen entweder nichtvernommen oder, wenn es vernommen wurde, als Wahrspruch gehrt. Entweder fiel es ins Nichts, indem es mit seinem Auftauchen sofort verworfen wurde; oder man entzifferte darin eine naive oder listige Vernunft, eine vernnftigereVernunft als die der vernnftigen Leute. Ob es nun ausgesperrt wurde oder insgeheim die Weihen der Vernunft erhielt- es existierte nicht. Zwar hat man an seinen Worten denWahnsinnigen erkannt; seine Worte zogen die Grenze, aberniemals wurden sie gesammelt, niemals hrte man wirklichauf sie. Vor dem Ende des 18. Jahrhunderts ist kein Arzt aufdie Idee gekommen, sich zu f r ~ g e n , was denn in diesem Wortgesagt wird (und wie und warum es gesagt wird) - in demWort, das doch den Unterschied setzte. Der ganze unermeliche Diskurs des Wahnsinnigen wurde wieder z u sinnlosemGerusch. Nur symbolisch erteilte man ihm das Wort: aufdem Theater, wo er entwaffnet und vershnt auftrat, weil erdie Rolle der maskierten Wahrheit spielte.Man wird mir sagen, da all das heute zu Ende ist oder zuEnde geht; da das Wort des Wahnsinnigen nicht mehr aufder anderen Seite steht; da es nicht mehr null und nichtig ist;da es uns vielmehr auflauert; da wir in ihm einen Sinn suchen oder die Ruinen eines Werks; und da wir es bereits in12

    Idem berraschen, was wir selbst artikulieren: in dem winzigen Ri, in dem uns entgeht, was wir sagen. Aber noch sovielAufmerksamkeit beweist nicht, da die alte Grenze nichtmehr besteht. Man denke nur an den ganzen Wissensapparat,mit dem wir jenes Wort entziffern; man denke n ~ r an dasganzeNetz von Institutionen, das einem - Arzt oder Psychoanalytiker - erlaubt, jenes Wort zu hren, und das gleichzeitig dem Patienten erlaubt, seine armseligen Wrter hervorzuholen oder verzweifelt zurckzuhalten. Man braucht nur anall das zu denken, um den Verdacht zu erwecken, da dieGrenze keineswegs beseitigt ist, da sie nur anders gezogenist: nach anderen Linien, durch neue Institutionen und mitWirkungen, die nicht dieselben sind. Und selbst wenn dieRolle des Arztes nur die wre, das Ohr einem endlich freienWort zu leihen - das Horchen lt die Zsur immer bestehen.Es wird einem Diskurs gelauscht, der vom Begehren durchdrungen ist und sich - in seinem uersten Hochgefhl oderin seiner uersten Angst - mit schrecklichen Mchten begabtglaubt. Wenn es des Schweigens der Vernunft bedarf, um dieUngeheuer zu heilen, so mu. das Schweigen doch auf derHut sein: also bleibt die Grenzziehung.Vielleicht ist es gewagt, den Gegensatz zwischen dem Wahrenund dem Falschen als ein drittes Ausschlieungssystem zubetrachten - neben den beiden, von denen ich eben sprach.Wie sollte man vernnftigerweise den Zwang der Wahrheitmit solchen Grenzziehungen vergleichen knnen, die vonvornherein willkrlich sind oder sich zumindest um geschichtliche Zuflligkeiten herum organisieren, mit Grenzziehungen, die nicht nur verndert werden knnen, sondernsich tatschlich stndig verschieben, die von einem ganzenNetz von Institut ionen getragen sind, welche sie aufzwingenund absichern, und die sich zwangsweise, ja zum Teil gewalt-sam durchsetzen? .Gewi, auf der Ebene eines Urteils innerhalb eines Diskursesist die Grenzziehung zwischen dem Wahren und dem Falschen weder willkrklich noch vernderbar, weder institutio-

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    nell noch gewaltsam. Begibt man sich aber auf eine andereEbene, stellt man die Frage nach jenem Willen zur Wahrheit,der seit Jahrhunderten unsere Diskurse durchdringt, oderfragt man allgemeiner, welche Grenzziehung unseren Willenzum Wissen bestimmt, so wird man vielleicht ein Ausschlieungssystem (ein historisches, vernderbares, institutionellzwingendes System) sich abzeichnen sehen.Zweifellos hat sich diese Grenzziehung geschichtlich konstituiert. Denn noch bei den griechischen Dichtern des 6. Jahrhunderts war der wahre Diskurs - im starken und wertbetonten Sinn des Wortes: der wahre Diskurs, vor dem manAchtung und Ehrfurcht hatte und dem man sich unterwerfenmute, weil er der herrschende war - eben der Diskurs, dervon den hierzu Befugten nach dem erforderlichen Ritual verlautbart worden ist; es war der Diskurs, der Recht sprach undjedem sein Teil zuwies; es war der Diskurs, der die Zukunftprophezeiend nicht nur ankndigte, was geschehen wrde,sondern auch zu seiner Verwirklichung beitrug, der die Zustimmung der Menschen herbeifhrte und sich so mit demGeschick verflocht. Aber schon ein Jahrhundert spter lag diehchste Wahrheit nicht mehr in dem, was der Diskurs war,oder in dem, was er tat, sie lag in dem, was er sagte: einesTages hatte sich dieWahrheit vom ritualisierten, wirksamenund gerechten Akt der Aussage weg und zur Aussage selbsthin verschoben: zu ihrem Sinn, ihrer Form, ihrem Gegenstand, ihrem referentiellen Bezug. Zwischen Hesiod und Platon hat sich eine Teilung durchgesetzt, welche den wahrenDiskurs und den falschen Diskurs trennte; diese Teilung war'neu, .denn nunmehr war der wahre Diskurs nicht mehr derkostbare und begehrenswerte Diskurs, der an die Ausbungvon Macht gebunden ist. Der Sophist ist vertrieben.Diese historische Grenzziehung hat unserem Willen zumWissen zweifellos seine allgemeine Form gegeben. Aber siehat sich auch immer wieder verschoben: die groen wissenschaftlichen Mutationen knnen vielleicht manchmal als dieFolgen einer Entdeckung verstanden werden, sie knnen aber

    auch als das Erscheinen neuer Formen des Willens zur Wahrheit gesehen werden. Es gibt ohne Zweifel im 19.Jahrhunderteinen Willen z ur Wahrheit, der weder in seinen Formen nochin seinen Gegenstandsbereichen, noch in den von ihm ver-. wendeten Techniken, mit dem Willen zum Wissen bereinstimmt, welcher die Kultur der Klassik charakterisiert. Gehen wir noch weiter zurck: an der Wende vom 16. zumq.Jahrhundert ist (vor allem in England) ein Wille zum Wissen aufgetreten, der im Vorgriff auf seine wirklichen InhalteEbenen von mglichen beobachtbaren, mebaren, klassifizierbaren Gegenstnden entwarf; ein Wille zum Wissen, der .dem erkennenden Subjekt (gewissermaen vor aller Erfahrung) eine bestimmte Position, einen bestimmten Blick undeine bestimmte Funktion (zu sehen anstatt zu lesen, zu verifizieren anstatt zu kommentieren) zuwies; ein Wille zum Wissen, der (in einem allgemeineren Sinn als irgendein technisches Instrument) das technische Niveau vorschrieb, auf demallein die Erkenntnisse verifizierbar und ntzlich sein konnten. Es sieht so aus, als htte seit der groen PlatonischenGrenzziehung der Wille zur Wahrheit seine eigene Geschichte, welche nicht die der zwingenden Wahrheiten ist:eine Geschichte der Ebenen der Erkenntnisgegenstnde, eineGeschichte der Funktionen und Positionen des erkennendenSubjekts, eine Geschichte der materiellen, technischen, instruinentellen Investitionen der Erkenntnis.Dieser Wille zur Wahrheit sttzt sich, ebenso wie die brigenAusschlieungssysteme, auf eine institutionelle Basis: erwird zugleich verstrkt und stndig erneuert von einem ganzen Geflecht von Praktiken wie vor allem natrlich der Pdagogik, dem System der Bcher, der Verlage und der Bibliotheken, den gelehrten Gesellschaften einstmals und den Laboratorien heute. Grndlicher noch abgesichert wird erzweifellos durch die Art und Weise, in der das Wissen in einerGesellschaft eingesetzt wird, in der es, gewertet und sortiert,verteilt und zugewiesen wird. Es sei hier nur symbolisch andas alte griechische Prinzip erinnert: da die Arithmetik in

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    den demokratischen Stdten betrieben werden kann, da in ihrGleichheitsbeziehungen gelehrt werden; da aber die Geometrie nur in den Oligarchien unterrichtet werden darf, da siedie Proportionen in.der Ungleichheit aufzeigt.Schlielich glaube ich, da dieser auf einer institutionellenBasis und Verteilung beruhende Wille zur Wahrheit in unserer Gesellschaft dazu tendiert, auf die anderen DiskurseDruck und Zwang auszuben. Ich denke daran, wie sich dieabendlndische Literatur seit Jahrhunderten ans Natrlicheund Wahrscheinliche, an die Wahrhaftigkeit und sogar an dieWissenschaft - also an den wahren Diskurs - anlehnen mu.Ich denke gleichfallsdaran, wie die konomischen Praktiken,die als Vorschriften oder Rezepte oder auch als Moral kodifiziert sind, sich seit dem 16.Jahrhundert zu rationalisierenund zu rechtfertigen suchen, indem sie sich auf eine Theorieder Reichtmer und der Produktion sttzen. Ich denke auchdaran, wie das so gebieterische System der Straf ustiz seineGrundlage oder seine Rechtfertigung zunchst in einer Theorie des Rechts und seit dem 19. Jahrhundert in einem soziologischen, psychologischen, medizinischen, psychiatrischenWissen sucht: als ob selbst das Wort des Gesetzes in unsererGesellschaft nur noch durch einen Diskurs der Wahrheit autorisiert werden knnte.Drei groe Ausschlieungssysteme treffen den Diskurs: dasverbotene Wort; die Ausgrenzung des Wahnsinns; der Willezur Wahrheit. Vom letzten habe ich am meisten gesprochen .Denn auf dieses bewegen sich die beiden anderen seit Jahrhunderten zu; immer mehr versuchtes, sie sich unterzuordnen, um sie gleichzeitig zu modifizieren und zu begrnden.Whrend die beiden ersten immer schwcher werden, undungewisser, sofern sie vom Willen zur Wahrheit durchkreuztwerden, wird dieser immer strker, immer tiefer und unausweichlicher.Und doch spricht man von ihm am wenigsten. Es ist,als wrden der Wille zur Wahrheit und seine Wendungen fr unsgerade von der Wahrheit und ihrem notwendigen Ablauf ver-16

    deckt. Der Grund dafr ist vielleicht dieser: Wenn der wahreDiskurs seit den Griechen nicht mehr derjenige ist, der demBegehren antwortet oder der die Macht ausbt, was ist dannim Willen zur Wahrheit, im Willen, den wahren Diskurs zusagen, am Werk - wenn nicht das Begehren und die Macht?Der wahre Diskurs, den die Notwendigkeit seiner Form vomBegehren ablst und von der Macht befreit, kann den Willenzur Wahrheit; der ihn durchdringt, nicht anerkennen; undder Wille zur Wahrheit, der sich uns seit langem aufzwingt,ist so beschaffen, da die Wahrheit, die er will, gar nicht anders kann, als ihn zu verschleiern.So bietet sich unseren Augen eine Wahrheit dar, welcheReichtum und Fruchtbarkeit ist, sanfte und listig universelleKraft. Und wir bersehen dabei den Willen zur Wahrheit -jene gewaltige Ausschlieungsmaschinerie. Alle jene, die inunserer Geschichte immer wieder versucht haben, diesenWillen zur Wahrheit umzubiegen und ihn gegen die Wahrheitzu wenden, gerade dort, wo die Wahrheit es unternimmt, dasVerbot zu rechtfertigen und den Wahnsinn zu definieren, allejene - von Nietzsehe zu Artaud und Bataille - mssen unsnun als - freilich erhabene - Orientierungszeichen unsereralltglichen Arbei t dienen.

    Es gibt offensichtlich viele andere Prozeduren der Kontrolleund Einschrnkung des Diskurses. Diejenigen, von denen ichbis jetzt gesprochen habe, wirken gewissermaen von auen;sie funktionieren als Ausschlieungssysteme; sie betreffenden Diskurs in seinem Zusammenspiel mit der Macht unddem Begehren.Ich glaube, man kann noch eine andere Gruppe ausmachen.Interne Prozeduren, mit denen die Diskurse ihre eigene Kontrolle selbst ausben; Prozeduren, die als Klassifikations-,Anordnungs- , Verteilungsprinzipien wirken. Diesmal geht esdarum, eine andere Dimension des Diskurses zu bndigen:die des Ereignisses und des Zufalls.

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    Hier ist in erster Linie der Kommentar zu nennen. Ich nehmean, bin aber nicht ganz sicher, da es kaum eine Gesellschaftgibt, in der nicht groe Erzhlungen existieren, die man erzhlt, wiederholt, abwandelt; Formeln, Texte, ritualisierteDiskurssammlungen, die man bei bestimmten Gelegenheitenvortrgt; ein.mal gesagte Dinge, die man aufbewahrt, weilman in ihnen ein Geheimnis oder einen Reichtum vermutet.In allen Gesellschaften lt sich eineArtGeflle zwischen denDiskursen vermuten: zwischen den Diskursen, die im Aufund Ab des Alltags geuert werden und mit dem Akt ihresAusgesprochenwerdens vergehen, und den Diskursen, dieam Ursprung anderer Sprechakte stehen, die sie wieder aufnehmen, transformieren oder besprechen - also jenen Diskursen, die ber ihr Ausgesprochenwerden hinaus gesagtsind, gesagt bleiben, und noch zu sagen sind. Wir kennen siein unserem Kultursystem: es sind die religisen und die juristischen Texte, auch die literarischen Texte mit ihrem somerkwrdigen Status, bis zu einem gewissen Grade die wissenschaftlichen Texte.. Gewi ist diese Abstufung weder stabil noch konstant oderabsolut. Es gibt nicht auf der einen Seite die ein fr allemalgegebene Kategorie der grundlegenden oder schpferischenDiskurse und auf der anderen Seite die Masse der wiederholenden, glossierenden und kommentierenden. Viele Primrtexte verdunkeln sich und verschwinden und manchmal bernehmen Kommentare den ersten Platz. Aber wenn sich auchdie Ansatzpurikte ndern, so bleibt doch die Funktion; dasPrinzip der Abstufung tr itt immer wieder in Kraft. Die radikale Aufhebung dieser Abstufung kann niemals etwas anderes sein als Spiel, Utopie oder Angst. Spiel in der Art vonBorges als Kommentar, der nur w r t l ~ c h e (aber feierliche underwartete) Wiederholung dessen ist, was er kommentiert;oder Spiel einer Kritik, die endlos von einem Werk spricht,das gar nicht existiert. Lyrischer Traum eines Diskurses, derin jedem seiner Punkte absolut neu und unschuldig wiedergeboren wird und der ohne Unterla in aller Frische aus Din-

    gen, Gefhlen oder Gedanken wiederersteht. Angst jenesKranken von Janet, fr den jede geringste Aussage gleichsamein Wort des Evangeliums war, unerschpfliche Sinnschtzebarg und endlos erneuert, wiederholt und kommentiert zuwerden verdiente: Wenn ich nur daran denke, sagte er, sobald er etwas las oder hrte, wenn ich nur darandenke, dadieser Satz in die Ewigkeit eingeht und da ich ihn vielleichtnoch nicht ganz verstanden habe.Aber auch hier geht es immer nur darum, eines der ,Gliederder Relation zu beseitigen, nicht die Beziehung selbst. DieseBeziehung ndert sich stndig in der Zeit und nimmt auch. innerhalb einer Epoche vielfltige und auseinanderstrebende .Formen an. Die juristische Exegese ist (schon seit langem)vom religisen Kommentar sehr verschieden. Ein einziges literarisches Werk kann gleichzeitig zu recht unterschiedlichenDiskurstypen Anla geben: die Odyssee als Primrtext wirdgleichzeitig in der bersetzung von Berard, in unzhligenTexterklrungen und im Ulysses von Joyce wiederholt.Fr den Augenblick mchte ich nur darauf hinweisen, da imKommentar die Abstufung von Primrtext und Sekundrtextzwei einander ergnzende Rollen spielt. Einerseits ermg. icht es (und zwar endlos), neue Diskurse zu konstruieren:der berhang des Primi-textes, seine Fortdauer, sein Statusals immer wieder aktualisierbarer Diskurs, der vielfltigeoder verborgene Sinn, als dessen Inhaber er gilt, die Verschwiegenheit und der Reichtum, die man ihm wesenhaftzuspricht - all das begrndet eine offene Mglichkeit zu sprechen. Aber andererseits hat der Kommentar, welche Methoden er auch anwenden mag, nur die Aufgabe, das schlielich. zu sagen, was dort schon verschwiegen artikuliert war. Ermu (einem Paradox gehorchend, das er immer verschiebt,aber dem er niemals entrinnt) ZUJIl ersten Mal das sagen, wasdoch schon gesagt worden ist, und mu unablssig das wiederholen, was eigentlich niemals gesagt worden ist. Dasunendliche Gewimmel der Kommentare ist vom Traum einermaskierten Wiederholung durchdrungen: an seinem Hori-

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    zont steht vielleicht nur das, was an seinem Ausgangspunktstand - das bloe Rezitieren. Der Kommentar bannt den Zufall des Diskurses, indem er ihm gewisse Zugestndnissemacht: er erlaubt zwar, etwas anderes als den Text selbst zusagen, aber unter der Voraussetzung, da der Text selbst gesagt und in gewisser Weise vollendet werde. Die offene Vielfalt und das Wagnis des Zufalls werden durch das Prinzip desKommentars von dem, was gesagt zu werden droht, auf dieZahl, die Form, die Maske, die Umstnde der Wiederholungbertragen. Das Neue ist nicht in dem, was gesagt wird, sondern im Ereignis seiner Wiederkehr.Ich glaube, es gibt noch ein anderes Prinzip der Verknappungdes Diskurses, welches das erste bis zu einem gewissen Gradeergnzt. Es handelt sich um den Autor. Un d zwar nicht umden Autor als sprechendes Individuum, .das einen Text gesprochen oder geschrieben hat, sondern um den Autor alsPrinzip der Gruppierung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihre r Bedeutungen, als. Mittelpunkt ihres Zusammenhalts. Dieses Prinzip wirkt nicht berall in der gleichenWeise; vielmehr gibt es um uns herum viele Diskurse, die imUmlauf sind, ohne ihren Sinn oder ihre Wirksamkeit einemAutor zu verdanken: banale Aussagen, die alsbald ver-.. schwinden; .Beschlsse oder Vertrge, die Unterzeichnerbrauchen, aber keinen Autor; technische Anweisungen, dieanonym weitergegeben werden. In den Bereichen, in denendie Zuschreibung an einen Autor die Regel ist - Literatur,Philosophie, Wissenschaft - , kann man sehen, da sie nichtimmer dieselbe Rolle spielt. Im Mittelalter war die Zuschreibung an einen Autor im Bereich des wissenschaftlichen Diskurses unerllich, denn sie war ein Index der Wahrheit. Manwar sogar der Auffassung, da ein Satz seinen wissenschaftlichen Wert von seinem Autor beziehe. Seit dem 17.J hrhundert hat sich diese Funktion im wissenschaftlichen Diskursimmer mehr abgeschwcht: die Rolle des Autors besteht nurmehr darin, einem Lehrsatz, einem Effekt, einem Beispiel,einem Syndrom den Namen zu geben. Hingegen hat sich ini20

    Bereich des literarischen Diskurses seit eben jener Zeit dieFunktion des Autors verstrkt: all die Erzhlungen, Gedichte, Dramen oder Komdien, die man im Mittelalter mehroder weniger anonym zirkulieren lie, werden nun danachbefragt (und sie mssen es sagen), woher sie kommen, wer siegeschrieben hat. Man verlangt, da der Autor von der Einheitder Texte, die man unter seinen Namen stellt;Rechenschaftablegt; man verlangt von ihm, den verborgenen Sinn, der siedurchkreuzt, zu offenbaren oder zumindest in sich zu tragen;man verlangt von ihm, sie in sein persnliches Leben, in seinegelebten Edahrungen, in ihre wirkliche Geschichte einzufgen. Der Autor ist dasjenige, was der beunruhigenden Sprache der Fiktion ihre Einheiten, ihren Zusammenhang, ihreEinfgung in das Wirkliche gibt.Nun wird man mir sagen: Aber Sie sprechen da vom Autor,wie ihn die Kritik nachtrglich edindet, wenn der Tod eingetreten ist und nur mehr eine verWorrene Masse von unverstndlichen Texten brig ist; selbstverstndlich m mandann ein bichen Ordnung in all das bringen; man mu sicheinen Entwud, einen Zusammenhang, eine Thematik ausdenken, die man dem Bewutsein oder dem Leben des vielleicht tatschlich etwas fiktiven Autors zuschreibt. Aber dasndert doch nichts daran, da er existiert hat, dieser wirklicheAutor, dieser Mensch, der in all die abgenutzten Wrter eingebrochen ist, und sein Genie oder seine Unordnung in siehineingetragen hat. .Es wre sicherlich absurd, die Existenz des schreibenden und .erfindenden Individuums zu leugnen. Aber ich denke, da -zumindest seit einer bestimmten Epoche - das Individuum,das sich daranmacht, einen Text zu schreiben, aus dem vielleicht ein Werk wird, die Funktion des Autors in Anspruchnimmt. Was es schreibt und was es nicht schreibt, was es entwidt, und sei es nur eine flchtige Skizze, was es an banalenuerungen fallen lt - dieses ganze differenzierte Spiel istvon der Autor-Funktion vorgeschrieben, die es von seinerEpoche bernimmt oder die es seinerseits modifiziert. Und

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    wenn es das traditionelle Bild, das man sich vom Autormacht, umstt, so schafft es eine neue Autor-Position, vonder aus es in allem, was es je sagt, seinem Werk ein lieues,noch verschwommenes Profil verleiht.Um den Zufall des Diskurses in Grenzen zu halten, setzt derKommentar das Spiel der Identitt in der Form der Wieder-holung und des Selben ein. Das Spiel der Identitt, mit demdas Prinzip des Autors denselben Zufall einschrnkt, hat dieForm der Individualitt und des Ich.Auch in dem, was man die Disziplinen nennt (nicht dieWissenschaften), wre ein Prinzip der Einschrnkung zu erkennen. Auch dieses Pr inzip ist relativ und beweglich. Auches erlaubt zu konstruieren, aber nach ganz bestimmten Spielregeln.Die Organisation der Disziplinen unterscheidet sich sowohlvom Prinzip des Kommentars wie von dem des Autors. VomPrinzip des Autors hebt sich eine Disziplin ab, denn sie definiert sich durch einen Bereich von Gegenstnden, ein Bndelvon Methoden, ein Korpus von als wahr angesehenen Stzen,ein Spiel von Regeln und Definitionen, von Techniken undInstrumenten: das alles konstituiert ein anonymes System,das jedem zur Verfgung steht, der sich seiner bedienen willoder kann, ohne da sein Sinn oder sein Wert von seinemErfinder abhngen. Das Prinzip der Disziplin hebt sich aberauch von dem des Kommentars ab: im Unterschied zu diesemwird in der Disziplin nicht ein Sinn vorausgesetzt, der wiederentdeckt werden mu, und auch keine Identitt, die zuwiederholen ist; sondern das, was fr die Konstruktion neuerAussagen erforderlich ist. Zur Disziplin gehrt die Mglichkeit, endlos neue Stze zu formulieren.Aber es ist noch mehr notwendig - damit weniger mglichist: eine Disziplin ist nicht die Summe dessen, was bezglicheiner bestimmten Sache Wahres gesagt werden kann; sie istauch nicht die Gesamtheit dessen, was ber eine bestimmteGegebenheit aufgrund eines Prinzips der Kohrel}z oder derSystematizitt angenommen werden kann. Die Medizin be-22

    steht nicht aus der Gesamtheit dessen, was man bezglich derKrankheit Wahres sagen kann; die Botanik kann nicht als dieSumme aller Wahrheiten, welche die Pflanzen betreffen, definiert werden. Es gibt dafr zwei Grnde: einmal bestehen dieBotanik oder die Medizin, ebenso wie jede andere Disziplin,nicht nur aus Wahrheiten, sondern auch aus Irrtmern, dienicht Residuen oder Fremdkrper sind, sondern positiveFunktionen haben, historisch wirksam sind und eine Rollespielen, die von der der Wahrheit oft nicht zu trennen ist.Aber auerdem mu ein Satz, damit er zur Botanik oder zurMedizin gehre, Bedingl,1ngen entsprechen, die in gewisserWeise strenger und komplexer sind, als es die reine und einfache Wahrheit ist: jedenfalls Bedingungen anderer Art. Ermu sich auf eine bestimmte Gegenstandsebene beziehen:vom Ende des I7.Jahrhunder ts an mu z. B. ein Satz, um einbotanischer Satz zu sein, die sichtbare Struktur derPflanze, das System ihrer nahen und fernen hnlichkeitenoder die Mechanik ihrer Flssigkeiten betreffen (und erdurfte nicht, wie noch im 16.Jahrhundert, ihre symbolischenBedeutungen einbeziehen oder gar die Gesamtheit der Krfteund Eigenschaften, die man ihr in der Antike zusprach). EinSatz mu aber auch begriffliche oder technische Instrumenteverwenden, die einem genau definierten Typ angehren: vom19.Jahrhundert an war ein Satz nicht mehr medizinisch, fieler aus der Medizin heraus und galt als individuelle Einbildung oder volkstmlicher Aberglaube, wenn er zugleich metaphorische, qualitative und substantielle Begriffe enthielt(z. B. die Begriffe der Verstopfung, der erhitzten Flssigkeiten oder der ausgetrockneten Festkrper); er konnte aber, jaer mute Begriffe verwenden,. die ebenso metaphorisch sind,aber auf einem anderen Modell aufbauen, einem funktionellen und physiologischen Modell (so die Begriffe der Reizung,der Entzndung oder der Degenerierung der Gewebe). Darber hinaus mu ein Satz, um einer Disziplin anzugehren,sich einem bestimmten theoretischen Horizont einfgen: essei nur daran erinnert, da die Suche nach der ursprnglichen

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    Sprache, die bis ins 18. Jahrhunder t hinein ein durchaus anerkanntes Thema war, in der zweiten Hlfte des 19.Jahrhunderts jeden Diskurs nicht blo zum Irrtum, sondern zu einemHirngespinst, zu einer Trumerei, zu einer sprachwissenschaftlichen Monstro,sitt werden lie.Innerhalb ihrer Grenzen kennt jede Disziplin wahre und falsche Stze, aber jenseits ihrer Grenzen lt sie eine ganze Teratologie des Wissens wuchern. Das uere einer Wissenschaft ist sowohl mehr bevlkert als auch weniger bevlkert,als man glaubt: es gibt dort die unmittelbare Edahrung,dieimaginren Themen der Einbildungskraft, die unvordenkliche berzeugungen tragen und immer wieder erneuern;aber vielleicht gibt es keine Irrtmer im strengen Sinn, dennder Irrtum kann nur innerhalb einer definierten Praxis auftauchen und entschieden werden; hingegen schleichen Monstrenherum, deren Form mit der Geschichte des Wissens wechselt.Ein Satz mu also komplexen und schwierigen Edordernissen entsprechen, um der Gesamtheit einer Disziplin angehren zu knnen. Bevor er als wahr oder falsch bezeichnet werden ~ a n n , mu er, wie Georges Canguilhem sagen wUrde,im Wahren sein.Man hat sich oft gefragt, wie die Botaniker oder die Biologendes 19.Jahrhunderts es fertiggebracht haben, nicht zu sehen,da das, was Mendel sagte, wahr ist. Das liegt daran, daMendel von Gegenstnden sprach, da er Methoden verwendete und sich in einen theoretischen Horizont stellte, welcheder Biologie seiner Epoche fremd waren. Zweifellos hatteN audin vor ihm die These aufgestellt, da die Erbmerkmalediskret sind; aber wie neu und befremdend dieses Prinzipauch war, es konnte - zumindest als Rtsel- dem biologischen Diskurs angehren. Mendel ist es, der das Erbmerkmalals absolut neuen biologischen Gegenstand konstituiert, indem er eine bis dahin unbekannte Fil terung vornimmt: er lstdas Erbmerkmal von derArt ab, er lst es vom Geschlecht ab,das es weitergibt; und der Bereich, in dem er es beobachtet,ist die unendlich offene Serie der Generationen, in der es nach

    statistischen Regelhaftigkeiten auftaucht und verschwindet.Dieser neue Gegenstand edordert neue begriffliche Instrumente und neue theoretische Begrndungen. Mendel sagtedie Wahrheit, aber erwar nicht im Wahren des biologischenDiskurses seiner Epoche: biologische Gegenstnde und Be-. griffe wurden nach ganz anderen Regeln gebildet. Es mute,der Mastab gewechselt werden, es mute eine ganz neue Gegenstandsebene in der Biologie entfaltet werden, damit Mendel in das Wahre eintreten und seine Stze (zu einem groenTeil) sich besttigen konnten. Mendel war ein wahres Monstrum, weshalb die Wissenschaft von ihm nicht sprechenkonnte. Hingegen hatte Schleiden, 10 Jahre frher, indem er,mitten im 19.Jahrhunder t, aber gem den Regc;!ln des biologischen Diskurses, die pflanzliche Sexualitt leugnete, ledig-lich einen disziplinierten Irr tum formuliert.Es ist immer mglich, da man im Raum eines wilden Auendie Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man denRegeln einer diskursiven Polizei gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren mu'.Die Disziplin ist ein Kontrollprinzip der Produktion des Diskurses. Sie setzt ihr Grenzen durch das Spiel einer Identitt,welche die Form einer permanenten Reaktualisierung derRegeln hat.Gewhnlich sieht man in der Fruchtbarkeit eines Autors, inder Vielfltigkeit der Kommentare, in der Entwicklung einerDisziplin unbegrenzte Quellen fr die Schpfung von Diskursen. Vielleicht. Doch ebenso handelt es sich um Prinzi-.pien der Einschrnkung, und wahrscheinlich kann man sie inihrer positiven und fruchtbaren Rolle' nur verstehen, wennman ihre restriktive und zwingende Funktion betrachtet.Es gibt, glaube ich, eine dritte Gruppe von Prozeduren, w e l ~ che die Kontrolle der Diskurse ermglichen. Diesmal handeltes sich nicht darum, ihre Krfte zu bndigen und die Zuflleihres Auftauchens zu beherrschen. Es geht darum, die Bedin-

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    gungen ihres Einsatzes zu bestimmen, den sprechenden Individuen gewisse Regeln aufzuerlegen und so zu verhindern,da jedermann Zugang zu den Diskursen hat: Verknappungdiesmal der sprechenden Subjekte. Niemand kann in dieOrdnung des Diskurses eintreten, wenn er nicht gewissen Er':'fordernissen gengt, wenn er nicht von vornherein dazu qua-,lifiziert ist. Genauer gesagt: nicht alle Regionen des Diskurses sind in gleicher Weise offen und zugnglich; einige sindstark abgeschirmt (und 'abschirmend), whrend andere fastallen Winden offenstehen und ohne Einschrnkung jedemsprechenden Subjekt verfgbar erscheinen.Ich mchte zu diesem Thema eine Anekdote erwhnen, die soschn ist, da man um ihre Wahrheit zittern mu. Sie fat alleEinschrnkungen des Diskurses zusammen: die Begrenzungen seiner Macht, die Bndigungen seines zuflligen Auftretens und die Selektionen unter den sprechenden Subjekten.Zu Beginn des q.Jahrhunder ts hatte der Shogun davon gehrt, da die berlegenheit der Europer - auf den Gebietender Schiffahrt, des Handels, der Politik, der Kriegskunst - inihrer Kenntnis der Mathematik begrndet sei. Erwnschte,sich eines s'o kostbaren Wissens zu bemchtigen. Als man ihmvon einem englischen Seemann erzhlt hatte, der das Geheimnis dieser wunderbaren Diskurse kannte, lie er ihn in seinenPalast kommen und hielt ihn dort fest. Ganz allein nahm erbei ihm Unterrichtsstunden. Er lernte Mathematik. Er behielt tatschlich die Macht und wurde sehr alt. Erst imI9.Jahrhundert gab es dann japanische Mathematiker. Aberdie Anekdote ist damit nicht zu Ende: sie hat ihre europischeKehrseite. Dieser englische Seemann, Will Adams, soll nmlich ein Autodidakt gewesen sein: ein Zimmermann, der beiseiner Arbeit auf einer Werft die Geometrie gelernt hatte.Drckt sich nicht in dieser Erzhlung einer der groen Mythen der europischen Kultur aus? Dem monopolisierten undgeheimen Wissen der orientalischen Tyrannei setzt Europadie univJersale Kommunikation der Erkenntnis, den unbegrenzten und freien Austausch der Diskurse entgegen.

    Doch hlt 'dieser Gedanke einer Prfung nicht stand. DerAustausch und die Kommunikation sind positive Figureninnerhalb komplexer 'systeme der Einschrnkung; und sieknnen nicht unabhngig von diesen funktionieren. Dieoberflchlichste und sichtbarste Form dieser Einschrnkungssysteme besteht in dem, was man unter dem Namen desRituals zusammenfassen kann. Das Ritual definiert dieQualifikation, welche die sprechenden Individuen besitzenmssen (wobei diese Individuen im Dialog, in der Frage, imVortrag bestimmte Positionen einnehmen und bestimmteAussagen formulieren mssen); es definiert die Gesten, dieVerhaltensweisen, die Umstnde und alle Zeichen, welcheden D i s k u r ~ begleiten mssen; es fixiert schlielich die vorausgesetzte oder erzwungene Wirksamkeit der Worte, ihreWirkutlg auf ihre Adressaten und die Grenzen ihrer zwingenden Krfte. Die religisen, gerichdichen, therapeutischenDiskurse, und zum Teil auch die politischen, sind Non demEinsatz eines Rituals kaum zu trennen, welches fr die sprechenden Subjekte sowohl die besonderen Eigenschaften wie.die allgemein anerkannten Rollen bestimmt.Ein teilweise abweichendes Funktionieren zeigen die Diskursgesellschaften, welche die Aufgabe haben, Diskurseaufzubewahren oder zu produzieren, um sie in einem geschlossenen Raum zirkulieren zu lassen und sie nur nach be-, stimmten Regeln zu verteilen, so da die Inhaber bei dieserVerteilung nicht enteignet werden. Ein archaisches Modellbilden jene Gruppen von Rhapsoden, welche die Kenntnisder Dichtungen besaen, die vorzutragen oder auch zu verndern waren. Diese Kenntnis, die einem rituellen Vortragdiente, wurde in einer bestimmten Gruppe aufgrund auerordendicher Gedchtnisleistungen geschtzt, verteidigt, bewahrt. Wer sich diese Kenntnis aneignete, trat damit sowohlin eine Gruppe wie in ein Geheimnis' ein, das durch den Vortrag zwar offenbart, aber nicht entweiht wurde. Zwischendem Sprechen und dem Hren waren die Rollen nicht austauschbar.

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    Gewi ist von derartigen Diskurs gesellschaften mit ihremzweideutigen Spiel von Geheimhaltung und Verbreitungkaum etwas geblieben. Aber man tusche sich nicht. Selbst imBereich des wahren Diskurses, selbst im Bereich des verffentlich'ten und von allem Ritual freien Diskurses, gibt esnoch Aneignung von Geheimnis und Nicht-Austauschbarkeit. Der Akt des Schreibens, wie er heute im Buch, im Ver'-lagswesen und in der Persnlichkeit des Schriftstellers institutionalisiert ist, findet in einer Diskursgesellschaft statt, dievielleicht diffus, gewi jedoch zwingend und einschrnkendist. Die Besonderheit des Schriftstellers, die von ihm selbergegenber der Ttigkeit jedes anderen sprechenden oderschreibenden Subjekts hervorgehoben wird, der intransitiveCharakter, den er seinem Diskurs verleiht, die fundamentaleEinzigartigkeit, die er seit langem dem Schreiben zuspricht, die behauptete Asymmetrie zwischen dem Schaffen und irgendeinem anderen Einsatz des sprachlichen Systems - all dies verweist in der Formulierung (und wohl auchin der Praxis) auf die Existenz einer gewissen Diskursgesellschaft. Aber es gibt noch viele andere, die in ganz andererWeise, nach ganz anderen Spielregeln von Ausschlieung undVerbreitung funktionieren: man denke an das technische oderwissenschaftliche Geheimnis; man denke daran, wie der medizinische Diskurs verbreitet wird und zirkuliert, man denkean jene, die sich den konomischen oder politischen Diskursangeeignet haben.Auf den ersten Blick bilden die (religisen, politischen, philosophischen) Doktrinen das Gegenteil von Diskursgesellschaften: bei diesen tendiert die Zahl der sprechenden Individuen' auch wenn sie nicht fixiert ist, dazu, begrenzt zu sein,und nur unter diesen Individuen kann der Diskurs zirkulierenund weitergegeben werden. Hingegen tendiert die Doktrindazu, sich auszubreiten. Durch die gemeinsame Verbindlichkeit eines einzigen Diskursensembles definieren Individuen,wie zahlreich man sie sich auch vorstellen mag, ihre Zusammengehrigkeit. Anscheinend ist die einzige erforderliche28

    Bedingung die Anerkennung derselben Wahrheiten und dieAkzeptierung einer - mehr oder weniger strengen - Regel derbereinstimmung mit den fr gltig erklrten Diskursen.Wren sie nur das, so wren die Doktrinen von den wissenschaftlichen Disziplinen nicht so sehr verschieden, und diediskursive Kontrolle betrfe nur die Form und den Inhalt derAussage, nicht auch das sprechende Subjekt. Aber die Zugehrigkeit zu einer Doktr in geht sowohl die Aussage wie dassprechende Subjekt an - und zwar beide in Wechselwirkung.Durch die Aussage und von der Aussage her stellt sie das sprechende Subjekt in Frage, wie die Ausschlieungsprozedurenund die Verwerfungsmechanismen beweisen:, die einsetzen,wenn ein sprechendes Subjekt eine oder mehrere unzulssigeAussagen gemacht hat; Hresie und Orthodoxie sind nichtfanatische bertreibungen der Doktrinmechanismen: sie gehren wesenhaft zu ihnen. Aber umgekehrt stellt die Doktrindie Aussagen von den sprechenden Subjekten aus in Frage,sofern die Doktrin immer als Zeichen, Manifestation und Instrument einer vorgngigen Zugehrigkeit gilt - einer Klassenzugehrigkeit, eines gesellschaftlichen oder rassischenStatus, einer Nationalitt oder einer Interessengemeinschaft,einer Zusammengehrigkeit in Kampf, Aufstand, Widerstand oder Beifall. Die Doktr in bindet die Individuen an bestimmte Aussagetypen und verbietet ihnen folglich alle anderen; aber siehedient sich auch gewisser Aussagetypen, um dieIndividuen miteinander zu verbinden und sie dadurch vonallen anderen abzugrenzen. Die Doktr in fhrt eine zweifacheUnterwerfung herbei: die Unterwerfung der sprechendenSubjekte unte r die Diskurse und die Unterwerfung der Diskurse unter die Gruppe der sprechenden Individuen.In einem viel greren Mastab mu man schlielich tiefeSpaltungen in der gesellschaftlichen Aneignung der Diskursefeststellen. Die Erziehung mag de jure ein Instrument sein,das in einer Gesellschaft wie der unsrigen jedem Individuumden Zugang zu jeder Art von Diskurs ermglicht - man weijedoch, da sie in ihrer Verteilung, in dem, was sie erlaubt,

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    und in dem, was sie verhindert, den Linien folgt, die von dengesellschaftlichen Unterschieden, Gegenstzen und Kmpfengezogen sind. Jedes Erziehungssystem ist eine politische Methode, die Aneignung der Diskurse mitsamt ihrem Wissenund ihrer Macht aufrechtzuerhalten oder zu verndern.Ich bin mir darber im klaren, da es sehr abstrakt ist, wie iches eben getan habe, die Rituale des Sprechens, die Diskursgesellschaften, die Doktringruppen und die gesellschaftlichenAneignungen zu trennen. Zumeist verbinden sie sich miteinander und bilden groe Gebude, welche die Verteilung dersprechenden Subjekte auf die verschiedenen Diskurstypenund die Aneignung der Diskurse durch bestimmte Kategorien von Subjekten sicherstellen. Es handelt sich hier, miteinem Wort, um die groen Prozeduren der Unterwerfungdes Diskurses. Was ist denn eigentlich ein Unterrichts system- wenn nicht eine Ritualisierung des Wortes, eine Qualifizierung und Fixierung der Rollen fr die sprechenden Subjekte,die Bildung einer zumindest diffusen doktrinren Gruppe,eine Verteilung und Aneignung des Diskurses mit seinerMacht und seinem Wissen?Was ist denn das Schreiben (dasSchreiben der Schriftsteller) anderes als ein hnliches Un-terwerfungssystem, das vielleicht etwas andere Formen annimmt, dessen groe Skandierungen aber analog verlaufen?Sind nicht auch das Gerichtssystem und das institutionelleSystem der Medizin, zumindest unter gewissen Aspekten,hnliche Systeme zur Unterwerfung des Diskurses?

    Ich frage mich, ob sich nicht gewisse Themen der Philosophieals Antworten auf diese Einschrnkungs- und Ausschlieungsspiele gebildet haben und sie vielleicht auch verstrken.Sie antworten ihnen, indem sie eine ideale Wahrheit als Gesetz der Diskurse und eine immanente Rationalitt als Prinzipihrer Abfolge vorschlagen und indem sie eine Ethik der Erkenntnis begrnden, welche die Wahrheit nur dem Begehren3

    nach der Wahrheit selbst und allein der Fhigkeit, sie zu denken, verspricht.Aber sie verstrken sie dann auch, indem sie die spezifischeRealitt des Diskurses berhaupt leugnen.Seitdem die Spiele und die Geschfte der Sophisten verbanntworden sind, seitdem man ihren Paradoxen mit mehr oderweniger Gewiheit einen Maulkorb angelegt hat, scheint dasabendlndische Denken darber zu wachen, da der Diskursso wenig Raum wie nur mglich zwischen dem Denken undder Sprache einnehme; es scheint darber zu wachen, da derDiskurs lediglich als Kontaktglied zwischen dem Denkenund dem Sprechen erscheine; da er nichts .:tnderes sei als einDenken, das mit seinen Zeichen bekleidet und von den Wrtern sichtbar gemacht wird, oder als die Strukturen der Sprache, die einen Sinneffekt herbeifhren knnen.Diese sehr alte Eliminierung der Realitt des Diskurses imphilosophischen Denken hat im Laufe der Geschichte vieleFormen angenommen. Noch in jngster Zeit findet man sie-verborgen unter einigen wohlbekannten Gedanken.Es knnte sein, da der Gedanke des begrndenden Subjektses erlaubt, die Realitt des Diskurses zu bergehen. Das begrndende Subjekt hat ja die Aufgabe, die leeren Formen derSprache mit seinen Absichten unmittelbar zu beleben; indemes die trge Masse der leeren Dinge durchdringt, ergreift es inder Anschauung den Sinn, der darin verwahrt ist; es begrndet auch ber die Zeit hinweg Bedeutungshorizonte, welchedie Geschichte dann nur mehr entfalten mu und in denen dieStze, die Wissenschaften, die Deduktionen ihr Fundamentfinden. In seinem Bezug zum Sinn verfgt das begrndendeSubjekt ber Zeichen, Male, Spuren, Buchstaben. Aber esmu zu seiner Offenbarung nicht den Weg ber die besondere Instanz des Diskurses nehmen.Diesem Thema steht der Gedanke der ursprnglichen Erfahrung gegenber, der eine analoge Rolle spielt. Er setzt voraus,da in der rohen Erfahrung, noch vor ihrer Fassung in einemcogito, vorgngige, gewissermaen schon gesagte Bedeutun-

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    gen die Welt durchdrungen haben, sie um uns herum angeordnet und von vornherein einem ursprnglichen Wiedererkennen geffnet haben. Eine erste Komplizenschaft mit derWelt begrndet uns so die Mglichkeit, von ihr und in ihr zusprechen, sie zu bezeichnen und zu benennen, sie zu beurteilen und schlielich in der Form der Wahrheit zu erkennen.Was kann der Diskurs dann legitimerweise anderes sein als einbehutsames Lesen? Die Dinge murmeln bereits einen Sinn,den unsere Sprache nur noch zu heben braucht; und dieseSprache sprach uns ja immer schon von einem Sein, dessenGerst sie gleichsam ist.Das Thema der universellen Vermittlung ist, so glaube ich,eine weitere Methode, die Realitt des Diskurses zu eliminieren. Dies widerspricht dem Anschein. Denn auf den erstenBlick knnte man meinen, da man, wenn man berall dieBewegung eines Logos wiederfindet, der die Einzelheitenzum Begriff erhebt und dem unmittelbaren Bewutsein erlaubt, schlielich die gesamte Realitt der Welt zu entfalten,da man dann eigentlich den Diskurs selbst ins Zentrum derSpekulation stellt. Aber dieser Logos ist genau besehen bloein bereits gehaltener Diskurs, oder vielmehr, es sind dieDinge selbst und die Ereignisse, die sich unmerklich zu Diskursen machen, indem sie das Geheimnis ihres eigenenWesens entfalten. Der Diskurs ist kaum mehr als die Spiegelungeiner Wahrheit, die vor ihren eigenen Augen entsteht. Alles, kann schlielich die Form des Diskurses annehmen; es ltsich alles sagen und der Diskurs lt sich zu allem sagen, weilalle Dinge ihren Sinn manifestiert und ausgetauscht habenund wieder in die stille Innerlichkeit des Selbstbewutseinszurckkehren knnen.Ob es sich nun um eine Philosophie des begrndenden Subjekts handelt oder um eine Philosophie der ursprnglichenErfahrung oder um eine Philosophie der universellen Vermittlung - der Diskurs ist immer nur ein Spiel: ein Spiel desSchreibens im ersten Fall, des Lesens im zweiten' oder desTauschs im dritten. Un d dieses Tauschen, dieses Lesen, dieses32

    Schreiben spielen immer nur mit den Zeichen. Der Diskursverliert so 'seine Realitt, indem er sich der Ordnung des Signifikanten unterwirf t.Welche Zivilisation hat denn, allem Anschein nach, mehr alsdie unsrige Respekt vor dem Diskurs gehabt? Wo hat man ihnbesser geehrt und hochgehalten ? Wo hat man ihn denn radikaler von seinen Einschrnkungen befreit und ihn verallgemeinert? Nun, mir scheint, da sich unter dieser offensichtlichen Verehrung des Diskurses, unter dieser offenkundigenLogophilie, eine Angst verbirgt. Es hat den Anschein, da dieVerbote, Schranken, Schwellen und Grenzen die Aufgabe haben, das groe Wuchern des Diskurses zumindest teilweisezu bndigen, seinen Reichtum seiner grten Gefahren zuentkleiden und seine Unordnung so zu organisieren, da dasUnkontrollierbarste vermieden wird ; es sieht so aus, als htteman auch noch die Spuren seines Einbruchs in das Denkenund in die Sprache verwischen wollen. Es herrscht zweifellosin unserer Gesellschaft - und wahrscheinlich auch in allen anderen, wenn auch dort anders profiliert und skandiert - einetiefe Logophobie, eine stUmme Angst vor jenen Ereignissen,vor jener Masse von gesagten Dingen, vor dem Auftauchen alljener Aussagen, vor allem, was es da Gewaltttiges, Pltzliches, Kmpferisches, Ordnungsloses und Gefhrliches gibt,vor jenem groen unaufhrlichen und ordnungslosen Raus ~ h e n des Diskurses.Will man diese Angst in ihren Bedingungen, in ihren Spielregeln und ihren Wirkungen analysieren (ich spreche nichtdavon, diese Angst zu beseitigen), so mu man sich, glaube ich,zu drei Entscheidungen durchringen, denen unser Denken, heute noch einigen Widerstand entgegensetzt und die dendrei angedeuteten Gruppen von Funktionen entsprechen:man mu unseren Willen zur Wahrheit in Frage stellen; manmu dem Diskurs seinen E r e i g n i s c h ~ r a k t e r zurckgeben;endlich mu man die Souvernitt des Signifikanten aufheben.

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    Dies' sind die Aufgaben oder vielmehr einige der Themen,welche meine Arbeit in den kommenden Jahren bestimmensollen. Es lassen sich gleich einige von diesen Themen erforderte methodische Grundstze nennen.Zunchst ein prinzip der Umkehrung. Wo uns die Traditiondie Quelle der Diskurse, das Prinzip ihres berflusses undihrer Kontinuitt sehen lt, nmlich in den anscheinend sopositiven Figuren des Autors, der Disziplin, des Willens zurWahrheit, mu man eher das negative Spiel einer Beschneidung und Verknappung des Diskurses sehen.Sind diese Verknappungsprinzipien einmal ausfindig gemacht, und betrachtet man sie nicht mehr als begrndendeund schpferische Instanz - was entdeckt man unter ihnen?Findet man die Flle einer Welt von ununterbrochenen Diskursen? Hier mssen andere methodische Prinzipien zurGeltung kommen. .Ein Prinzip der Diskontinuitt. Da es Verknappungssysteme gibt, bedeutet nicht, da unterhalb oder jenseits ihrerein groer, unbegrenzter, kontinuierlicher und schweigsamerDiskurs herrscht, der vQn diesen Ve.rknappungssystemen unterdrckt oder verdrngt wird und den wir wieder emporheben mssen, indem wir ihm endlich das Wort erteilen. Es gehtnicht darum, ein Nicht-Gesagtes oder ein Nicht-Gedachtesendlich zu artikulieren oder zu denken, indem man die Welt. durchluft und an alle ihre Formen und alle ihre Ereignisseanknpft. Die Diskurse mssen als diskontinuierliche Praktiken behandelt: werden, die sich berschneiden und manchmal berhren, die einander aber auch ignorieren oder ausschlieen.Ein Prinzip der Spezifizitt. Der Disklfrs ist nicht in ein Spielvon vorgngigen Bedeutungen aufzulsen. Wir mssen unsnicht einbilden, da uns die Welt ein lesbares Gesicht zuwendet, welches wir nur zu entziffern haben. Die Welt ist ~ e i n Komplize unserer Erkenntnis. Es gibt keine prdiskursiveVorsehung, welche uns die'Welt geneigt macht. Man mu denDiskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun;34

    jedenfalls als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen. In dieserPraXis finden die Ereignisse des Diskurses das Prinzip ihrerRegelhaftigkeit.Die vierte Regel ist die der Auerlichkeit. Man mu nichtvom Diskurs in seinen inneren und verborgenen Kern eindringen, in die Mitte eines Denkens oder einer Bedeutung,die sich in ihm manifestieren. Sondern vom Diskurs aus, vonseiner Erscheinung und seiner Regelhaftigkeit aus, mu manauf seine ueren Mglichkeitsbedingungen zugehen; aufdas, was der Zufallsreihe dieser Ereignisse Raum gibt und ihreGrenzen fixiert. .Vier Begriffe mssen demnach der Analyse als regulativePrinzipien dienen: die Begriffe des Ereignisses, der Serie, derRegelhaftigkeit, der Mglichkeitsbedingung. Jeder dieser Begriffe setzt sich jeweils einem anderen genau entgegen: dasEreignis der Schpfung, die Serie der Einheit, die Regelhaftigkeit der Ursprnglichkeit, die Mglichkeitsbedingung derBedeutung. Diese vier anderen Begriffe (Bedeutung, Ur-sprnglichkeit, Einheit, Schpfung) haben die traditionelleGeschichte der Ideen weitgehend beherrscht, in der manbereinstimmend den Augenblick der Schpfung, die Einheiteines Werks, einer Epoche oder eines Gedankens, das Siegeleiner individuellen Originalitt und den unendlichen Schatzverborgener Bedeutungen suchteIch mchte nur noch zwei Bemerkungen anfgen. Die einebetrifft die Geschichtsschreibung. Man behauptet hufig vonder heutigen Historie, da sie die einstigen Privilegien deseinzelnen Ereignisses aufgehoben und die Strukturen der langen Dauer zur Erscheinung gebracht habe. Gewi. Doch binich nicht sicher, da die Arbeit der Historiker genau in dieseRichtung geht. Oder vielmehr, ich glaube nicht, da zwischen dem Ausfindigmachen des Ereignisses und der Analyseder langen Dauer ein Gegensatz besteht. Gerade indem mansich auch den geringsten Ereignissen zugewendet hat, indemman die Erhellungskraft der historischen Analyse bis in dieMarktberichte hinein, in die notariellen Urkunden, in die

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    Pfarregister, in die Hafenarchive vorangetrieben hat, die Jahrfr Jahr, Woche fr Woche verfolgt werden, hat man jenseitsder Schlachten, der Dekrete, der Dynastien oder der Versammlungen massive Phnomene von jahrhundertelangerTragweite in den Blick bekommen. Die Historie, wie sieheute betrieben wird, kehrt sich nicht von den Ereignissenab; sie erweitert vielmehr stndig deren Feld; sie deckt immerzu neue Schichten auf, oberflchlichere und tiefere; siebildet stndig neue Gruppierungen,. in denen sie manchmalzahlreich, dicht und austauschbar, manchmal knapp und entscheidend sind: von den fast tglichen Preisschwankungenbis zu den epochalen Inflationen. Das Wichtige aber ist, dadie Geschichtsschreibung kein Ereignis betrachtet, ohne dieSerie zu definieren, der es angehrt, ohne die Analyse zu spezifizieren, durch welche die Serie konstituiert ist,' ohne dieRegelhaftigkeit der Phnomene und die Wahrscheinlichkeitswerte ihres Auftretens zu erkennen zu suchen, ohne sich berdie Variationen, die Wendungen und den Verlauf der Kurvezu fragen, ohne die Bedingungen bestimmen zu wollen, vondenen sie abhngen. Gewi sucht die Historie seit langemnicht mehr, die Ereignisse in der formlosen Einheit eines groen - einigermaen homogenen und starr hierarchisierten -Werdens, in der Relation von Ursache und Wirkung, zu verstehen; aber es geht auch nicht darum, Strukturen zu finden,die dem Ereignis vorausliegen, ihm fremd und feindlich sind.Es gilt, die verschiedenen, verschrnkten, oft divergierenden,abernicht autonomen Serien zu erstellen, die den Ort desEreignisses, den Spielraum seiner Zuflligkeit, die Bedingungen seines Auftretens umschreiben lassen.Die grundlegenden Begriffe, die sich jetzt aufdrngen, sindnicht mehr diejenigen des Bewutseins und der Kontinuitt(mit den dazugehrigen Problemen der Freiheit und der Kausalitt), es sind auch mcht die des Zeichens und der Struktur.Es sind die Begriffe des Ereignisses und der Serie, mitsamtdem Netz der daran anknpfenden Begriffe: Regelhaftigkeit,Zufall, Diskontinuitt, Abhngigkeit, Transformation. Un -

    ter solchen Umstnden schliet sich die Analyse des Diskurses, an die ich denke, nicht an die traditionelle Thematik an,die gestrige Philosophen noch immer fr lebendige Historie halten, sondern an die wirkliche Arbeit der Historiker.Gerade deswegen wirft diese Analyse aber auch philosophische oder theoretische Probleme auf, die wahrscheinlich sehr schwierig sind. Wenn die Diskurse zunchst alsEnsembles diskursiver Ereignisse behandelt werden mssenwelcher Status ist dem Begriff des Ereignisses zuzusprechen,der vor den Philosophen so selten in Betracht gezogen worden ist? Gewi ist das Ereignis weder Substanz noch Akzidens, weder Qualitt noch Proze; das Ereignis gehrt nichtzur Ordnungder Krper. Und dennoch ist es keineswegs immateriell, da es immer auf der Ebene der Materialitt wirksamist, Effekt ist; es hat seinen Or t und besteht in der Beziehung,der Koexistenz, der Streuung, der berschneidung, der An- ,hufung, der Selektion materieller Elemente; es ist weder derAktnoch die Eigenschaft eines Krpers; es produziert sich alsEffekt einer materiellen Streuung und in ihr. Sagen wir, dasich die Philosophie des Ereignisses inder auf den ersten Blickparadoxen Richtung eines Materialismus des Unkrper lichenbewegen mte.Wenn die diskursiven Ereignisse in homogenen, aber zueinander diskontinuierlichen Serien behandelt werden ms-,sen - welcher Status ist dann diesem Diskontinuierlichenzuzusprechen? Es handelt sich dabei ja nicht um die Aufeinanderfolge der Augenblicke der Zeit und nicht um die Vielzahlder verschiedenen denkenden Subjekte. Es handelt sichum dieZsuren, die den Augenblick zersplittern und das Subjekt ineine Vielzahl mglicher Posi tionen und Funktionen zerrei.,en. Eine solche Diskontinui tt trifft und zersetzt auch nochdie kleinsten Einheiten, die immer anerkannt worden sindund nur schwer zu bestreiten sind: den Augenblick und dasSubjekt. Unter ihnen, unabhngig von ihnen, sind zwischenjenen diskontinuierlichen Serien Beziehungen zu erfassen,die nicht Abfolge (oder Gleichzeitigkeit) in einem (oder in

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    mehreren) Bewutsein meinen; auerhalb der Philosophiendes Subjekts und der Zeit ist eine Theorie der diskontinuierlichen Systematizitten auszuarbeiten. Und wenn d i ~ ~ e a i s -kursiven und diskontinuierlichen Serien innerhalb gewisserGrenzen jeweils ihre eigene Regelhaftigkeit haben, so lassensich zwischen ihren Elementen zweifellos keine Beziehungene i ~ e r mechanischen Kausalitt oder einer idealen NotwendigkeIt herstellen. Der Zufall mu als Kategorie in die Produktion des Ereignisses eingehen. Auch hier wird deutlich, da eskeine Theorie gibt, welche die Beziehungen zwischen demZufall und dem Denken zu denken ermglicht.Die geringfgige Verschiebung, die hier fr die Geschichteder Ideen vorgeschlagen wird und die darin besteht, da mannicht Vorstellungen hinter den Diskursen behandelt, sondernDiskurse als geregelte und diskrete Serien von E r e i g n i s s e ~ _diese w i n ~ i g e Verschiebung ist vielleicht so etwas wie einekleine (und widerwrtige) Maschinerie, welche es erlaubt,den Zufall, das Diskontinuierlicheund die Materialitt in dieWurzel des Denkens einzulassen. Drei Gefahren, die eine bestimmte Form der Historie zu bannen versucht, indem sie daskontinuierliche Ablaufen einer idealen Notwendigkeit erzhlt. Drei Begriffe, mit denen sich an die Praxis der Historiker eine Geschichte der Denksysteme anknpfen l ~ s s e n mte. Drei Richtungen; denen die theoretische Ausarbeitung wird folgen mssen.

    Entsprechend diesen Prinzipien und innerhalb dieses Hori-zonts werden sich meine Analysen in zwei Richtungen bewegen. Einerseits die Kritik, welche das Prinzip der Umkehrung zur Geltung bringt: es soll versucht werden, die Formender Ausschlieung, der Einschrnkung, der Aneignung, vondenen ich eben gesprochen habe, zu erfassen; es soll gezeigtwerden, wie sie sich gebildet haben, um bestimmten Bedrfnissen zu entsprechen, wie sie sich verndert und verschobenhaben, welchen Zwang sie tatschlich ausgebt haben, inwie-

    weit sie a b g e ~ e n d e t worden sind. Auf der anderen Seite dieGenealogie, in der die drei anderen Prinzipien zur Geltungkommen: es soll untersucht werden, wie sich durch dieseZwangssysteme hindurch (gegen sie oder mit ihrer U ntersttzung) Diskursserien gebildet haben; welche spezifischenNormen urid welche Erscheinungs-, Wachstums- und Vernderungsbedingungen eine Rolle gespielt haben.Zunchst zur kritischen Richtung. Eine erste Gruppe vonAnalysen knnte sich mit dem befassen, was Ich die Ausschlieungsfunktionen genannt habe. Eine davon habe ich freinen bestimmten Zeitraum bereits untersucht: es handeltesich um die Grenzziehung zwischen Wahnsinn und Vernunftin der Epoche der Klassik. Dann knnte man das Systemeines Sprechverbots zu analysieren versuchen: das Sprechverbot, welches vom 16. bis zum I9.Jahrhundert die Sexualittbetraf; dabei glte es nicht zu sehen, wie es sich glcklicher. weise fortschreitend verflchtigt hat, sondern wie es sich verschoben und neugegliedert hat - von einer Beichtpraxis, inder die verbotenen Verhaltensweisen ausdrcklich benannt;klassifiziert und hierarchisiert wurden, bis zum zunchstngstlichen und zgernden Ein tritt der sexuellen Thematik indie Medizin und in die Psychiatrie des 19.Jahrhunderts; essind das nur mehr oder weniger symbolische Anhaltspunkte,aber es lt sich schon vermuten, da die Skandierungen nichtso verlaufen, wie man glaubt, und da die Verbte nicht immer dort stattgefunden haben, wo man es sich vorstellt.In der nchsten Zeit mchte ich mich dem dritten Ausschlieungssystem widmen. Und zwar mchte ich es unter zweiBlickwinkeln anvisieren. Einesteils werde ich analysieren,wie jene Entscheidung zur Wahrheit, in der wi r gefangen sindund die wir stndig erneuern, zustande gekommen ist, wie siewiederholt, erneuert und verschoben worden ist. Zunchstwerde ich auf die Epoche der Sophistik und ihrer Debatte mitSokrates beziehungsweise mit der Platonischen Philosophie. eingehen, um zu sehen, wie sich der wirksame Diskurs, derrituelle Diskurs, der mit Mchten und Gefahren ausgestattete

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    Diskurs, allmhlich der Grenzziehung zwischen wahrem undfalschem Diskurs untergeordnet hat. Ich werde mich danndem bergang vom 16. zum q.Jahrhundert zuwenden, jener Epoche, in der, vor allem in England, eine Wissenschaftdes Blicks, der Beobachtung, der Feststellung entsteht, einebestimmte Naturphilosophie, die von neuen politischenStrukturen ebensowenig zu t rennen ist wie von der religisenIdeologie: eine neue Form des Willens zum Wissen. Derdritte Markierungspunkt wird schlielich der Anfang des19.Jahrhunderts sein, mit den groen Grndungsakten dermodernen Wissenschaft, der Entstehung einer Industriegesellschaft und der sie begleitenden positivistischen Ideologie.Drei Einschnitte in der Morphologie unseres Willens zumWissen - drei Etappen unseres Philisterturns. .Ich mchte dieselbe Frage auch unter einem anderen Blickwinkel aufwerfen und die Wirkung eines Diskurses mit wissenschaftlichem Anspruch - des medizinischen, psychiatrischen, auch des soziologischen Diskurses - auf jene Gruppevon gebieterischen Praktiken und Diskursen untersuchen,die das System der Straf ustiz ausmachen. Die Analyse derpsychiatrischen Gutachten und ihrer Rolle im Strafsystemwird den Ausgangspunkt und das Material dieser Untersuchung bilden.Ebenfalls in dieser kritischen Perspektive, aber auf einer anderen Ebene, wren die Prozeduren zur Einschrnkung derDiskurse zu analysieren, von denen ich gerade das Prinzip desAutors, das des Kommentars und das der wissenschaftlichenDisziplin genannt habe. In dieser Perspektive lassen sicheinige Untersuchungen anvisieren. Ich denke beispielsweisean eine Analyse zur Geschichte der Medizin vom 16. bis zum19. Jahrhundert; dabei ginge es weniger um die Erfassung dergeleisteten Entdeckungen oder der verwendeten Begriffe;vielmehr sollte begriffen werden, welche Rolle in der Konstrukt ion des medizinischen Diskurses, aber auch in der gesamten ihn tragenden, weitergebenden und verstrkenden Institution, die Prinzipien des Autors, des Kommentars und

    der Disziplin gespielt haben; das Prinzip des groen Autors:nicht nur Hippokrates und Galen, sondern auch Paracelsus,Sydenham und Boerhaave; die Praxis des Aphorismus unddes Kommentars, die bis ins 19.Jahrhundert hineinreicht,aber allmhlich durch die Praxis des Falles, der Fallsammlung, der klinischen Unterweisung am konkreten Fall verdrngt worden ist; die Art und Weise, in der sich die Medizinals Disziplin zu konstituieren gesucht hat, indem sie sich zuerst aufsModell der Naturgeschichte gesttzt hat, und dannauf das der Anatomie und der Biologie.Man knnte auch untersuchen, wie die Literaturkritik unddie Literaturgeschichte im 18. und 19.Jahrhundert die Persnlichkeit des Autors und die Gestalt des Werks konsti tuierthaben, indem sie die Verfahren der religisen Exegese, derBibelkritik, der Hagiographie, der historischen oder legendren Lebensbeschreibungen, der Autobiographien und derNachrufe verndert und verschoben haben. Eines Tages wirdman ~ u c h die Rolle untersuchen mssen, die Freud .impsychoanalytischen Wissen spielt und die sicherlich von derNewtons in der Physik (und berhaupt von der Rolle derGrnder wissenschaftlicher Disziplinen) sehr verschieden ist,aber auch von der Rolle, die ein Autor im Bereich des philosophischen Diskurses spielt, indem er etwa wie Kant am Ur-sprung einer neuen Art und Weise des Philosophierenssteht.Das sind also einige Projekte fr den kritischen Aspekt derAufgabe, fr die Analyse der Instanzen der diskursiven Kontrolle. Der genealogische Aspekt betrifft die tatschliche Entstehung der Diskurse: innerhalb oder auerhalb der Kontrollgrenzen, zumeist auf beiden Seiten der Schranken. DieKritik analysiert die Prozesse der Verknappung, aber auchder Umgruppierung und Vereinheitlichung der Diskurse; dieGenealogie untersucht ihre Entstehung, die zugleich zerstreut, diskontinuierlich und geregelt ist. Diese beiden Aufgaben sind nie ganz zu trennen; es gibt nicht auf der einenSeite die Verwerfung, die Ausschlieung, die Umgruppie-

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    sche Teil der Analyse zielt hingegen auf die Serien der tatschlichen Formierung des Diskurses; er versucht, ihn in seinerAffirmationskraft zu erfassen, worun ter ich nicht die Kraftverstehe, die sich der Verneinung entgegensetzt, sondern dieKraft, Gegenstandsbereiche zu konstituieren, hinsichtlichderen wahre oder falsche Stze behauptet oder verneint werden knnen. Wenn wir diese Gegenstandsbereiche als Positivitten bezeichnen, knnen wir sagen: ist der Stil der Kritikdie gelehrte Ungeniertheit, so ist das Temperament der Genealogie ein glcklicher Positivismus.Eines mu auf jeden Fall unterstrichen werden: die Analysedes so verstandenen Diskurses enthllt nicht die Universalitteines Sinnes, sondern sie bringt das Spiel der - mit der fundamentalen Kraft der Affirmation - aufgezwungenen Knappheit an den Tag. Knappheit und Affirmation, Knappheit derAffirmation - und nicht kontinuierliche Grozgigkeit desSinns, nicht Monarchie des Signifikanten.Und nun mgen jene, deren Sprache arm ist und die sich andem Klang von Wrtern berauschen, sagen, da das Strukturalismus ist.

    An die Untersuchungen, deren Umrisse ich Ihnen vortragenwollte, htte ich mich gewi nicht herangewagt, wenn ichnicht Untersttzungen und Beispiele gehabt htte. Ichglaube, da ich Georges Dumezil viel verdanke, da er michzur Arbeit angeregt hat, als ich noch so jung war, zu glauben,da Schreiben ein Vergngen ist. Aber auch seinem Werk verdanke ich viel; er mge mir verzeihen, wenn ich die Texte, diedie seinen sind und die uns heute beherrschen, von ihrem Sinnentfernt u n ~ ihrer Strenge beraubt habe; er hat mich gelehrt,die innere Okonomie eines Diskurses ganz anders zu analysieren als mit den Methoden der traditionellen Exegese oderdes linguistischen Formalismus; er hat mich gelehrt, durchVergleiche das System der funktionellen Korrelationen zwischen Diskursen zu etablieren; er hat mich gelehrt, die Trans-44

    formationen eines Diskurses und die Beziehungen zur Institution zu beschreiben. Wenn ich versucht habe, diese Methode auf andere Diskurse als auf Legenden oder Mythen anzuwenden, so fand ich die Anregung dazu zweifellos in denArbeiten der Wissenschaftshistoriker, vor allem bei GeorgesCanguilhem. Ihm verdanke ich es, da ich verstanden habe,da die Wissenschaftsgeschichie nicht unbedingt vor der Alternative steht: entweder die Chronik der Entdeckungen zusein oder die Beschreibung der Ideen und Meinungen auerhalb der Wissenschaft - in ihrer unbestimmten Genese oder inihren uerlich bedingten Rckfllen; sondern da man dieGeschichte der Wissenschaft als die Geschichte eines zugleichkohrenten und transformierbaren Ganzen aus theoretischenModellen und begrifflichen Instrumenten schreiben kannund mu.Besonders viel aber, glaube ich, verdanke ich Jean Hippolyte.Ich wei wohl, da sein Werk fr viele im Zeichen Hegelssteht, und da unsere gesamte Epoche, sei es in der Logikoder in der Epistemologie, sei es mit Marx oder mit Nietzsehe, Hegel zu entkommen trachtet. Und was ich eben berden Diskurs zu sagen versuchte, ist dem hegelianischen Logos sicherlich untreu.Aber um Hegel wirklich zu entrinnen, mu man ermessen,was es kostet, sich von ihm loszusagen; mu man wissen, wieweit uns Hegel insgeheim vielleicht nachgeschlichen ist; undwas in unserem Denken gegen Hegel vielleicht noch von He-gel stammt; man mu ermessen, inwieweit auch noch unserAnrennen gegen ihn seine List ist, hinter der er uns auflauert:unbeweglich und anderswo.Nicht nur ich schulde Jean Hippolyte Dank: denn er hat fruns und vor uns den Weg durchlaufen, auf dem man sich vonHegel entfernt una Distanz nimmt, auf dem man aber auchwieder zu ihm zurckgefhrt wird, allerdings anders und so,da man ihn von neuem verlassen mu.Zunchst hatte sich Jean Hippolyte bemht, dem groen undetwas gespenstischen Schatten Hegels, der seit dem I9.Jahr-

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    hundert herumgeisterte und mit dem man sich im Dunkelnherumschlug, eine Gegenwart zu geben. Er tat dies durcheine bersetzung der Phnomenologie des Geistes. Da Hegel in diesem franzsischen Text gegenwrtig ist, beweisenjene Deutschen, die ihn gelegentlich konsultiert haben, umseine deutsche Version besser zu verstehen.Jean Hippolyte hat alle Wege und Auswege dieses Textes gesucht und durchlaufen, als wre seine unruhige Frage gewesen: Kann man noch philosophieren, wo Hegel nicht mehrmglich ist? Kann es noch eine Philosophie geben, die nichtmehr hegelianisch ist? Ist das, was in unserem Denken nichthegelianisch ist, notwendigerweise auch nicht philosophisch?Und ist das, was antiphilosophisch ist, unbedingt nicht-hegelianisch? Aus der Gegenwart Hegels, die er uns geschenkthatte, wollte er nicht nur eine sorgfltige historische Beschreibung machen, sondern ein Erfahrungsschema der Modernitt (lassen sich die Wissenschaften, die Geschichte, diePolitik und das Leid des Alltags hegelianisch denken?) undumgekehrt wollte er aus unserer Modernitt den Prfstein desHegelianismus und damit der Philosophie machen. Fr ihnwar das Verhltnis zu Hegel der Or t einer Erfahrung, einerKonfrontation, in der niemals feststand, da die Philosophiesiegreich hervorgehen wrde. Er bediente sich des Hegelschen Systems nicht als eines beruhigenden Universums; ersah in ihm das uerste Wagnis der Philosophie.Daher die Verschiebungen, die er nicht innerhalb der Philosophie Hegels, sondern an ihr und an der Philosophie, wieHegel sie verstand, vornahm; daher auch die Umkehrung vonGedanken. Jean Hippolyte begriff die Philosophie nicht alsdie Totalitt, die sich endlich in der Bewegung des Begriffs zudenken und zu verfassen vermag, sondern er machte aus ihrinnerhalb eines unbegrenzten Horizonts eine Aufgabe ohneEnde: immer wach, war seine Philosophie nicht bereit, sichjemals zu vollenden. Aufgabe ohne Ende, also immer wiederbegonnene Aufgabe, der Form und dem Paradox der Wiederholung geweiht: die Philosophie als unerreichbares Denken

    der Totalitt war fr Jean Hippolyte das, was es in der uersten Regellosigkeit der Erfahrung Wiederholbares gab; das,was sich im Leben, im Sterben, im Gedchtnis immer wiederals Frage stellt und entzieht; so transformierte er den Hegelschen Gedanken von der Vollendung des Selbstbewutseinsin den Gedanken der wiederholt-wiederholenden Frage.Aber da sie fr ihn Wiederholung war, verzichtete die Philosophie nicht auf den Begriff; sie hatte kein abstraktes Gebude zu errichten, sie hielt sich zurck und brach mit denberlieferten Allgemeinheiten und begab sich in Kontakt mitder Nicht-Philosophie; sie wandte sich nicht ihrer Vollendung zu, sondern dem, was ihr vorausging und was nochnicht zu ihrer Unruhe erwacht war; um sie zu denken, nichtum sie zu reduzieren, hat sie die Besonderheit der Geschichte, die regionalen Rationalitten der Wissenschaft, dieTiefe des Gedchtnisses im Bewutsein angefat; so erscheintder Gedanke einer gegenwrtigen, unruhigen Philosophie,die auf der ganzen Linie ihrer Berhrung mit der Nicht-Philosophie beweglich ist, nur dank dieser existiert und uns denSinn dieser Nicht-Philosophie enthllt. Wenn die Philosophiein diesem wiederholten Kontakt mit der Nicht-Philosophiesteht - was ist dann der Anfang der Philosophie? Ist sie immerschon da, heimlich gegenwrtig in dem, was sie nicht ist, mithalblauter Stimme im Gemurmel der Dinge das Wort ergreifend? Aber vielleicht hat der philosophische Diskurs keineDaseinsberechtigung mehr, oder mu er mit einer zugleichabsoluten und willkrlichen Begrndung anheben? So wirdder Hegeische Gedanke von der dem Unmittelbaren eigenenBewegung vom Thema der Begrndung des philosophischenDiskurses und seiner formellen Struktur verdrngt.Schlielich die letzte Verschiebung, die Jean Hippolyte an derHegelschen Philosophie vorgenom:men hat: wenn die Philosophie als absoluter Diskurs beginnen mu - was ist dann mitder Geschichte uqd,was ist dann jener Anfang, der mit einemeinzelnen Individuum, in einer Gesellschaft, in einer gesellschaftlichen Klasse, inmitten von Kmpfen anfngt?

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    Diese fnf Verschiebungen, welche an den uersten Randder Hegelschen Philosophie fhren, sie ber ihre Grenzenhinaustreiben, beschwren die Hauptgestalten der modernenPhilosophie, welche Jean Hippolyte stndig mit Hegel konfrontiert hat: Marx mit den Fragen der Geschichte, Fichte mitdem Problem des absoluten Anfangs der Philosophie, Kierkegaard mit dem Problem der Wiederholung und der Wahr-. heit, Husserl mit dem Thema der Philosophie als unendlicherAufgabe, die an die Geschichte unserer Rationalitt gebunden ist. Und ber diese philosophischen Gestalten hinaus hatJean Hippolyte viele Wissensbereiche von seinen eigenenFragen aus angesprochen: die Psychoanalyse mit der fremdenLogik des Begehrens, die. Mathematik und die Formalisierung des Diskurses, die Informationstheorie und ihre Anwendung in der Analyse des Lebenden - also alle Bereiche,von denen aus man die Frage nach einer Logik und einer Existenz stellen kann, welche ihre Verbindungen stndig knpfen und wieder auflsen;Ich denke, da dieses Werk, das sich in einigen groen Bc h e ~ n niedergeschlagen hat, aber noch mehr in Forschungen,in einer Lehrttigkeit, in einer dauernden Achtsamkeit, ineiner Wachheit und Grozgigkeit des Alltags, in einer administrativen und pdagogischen (d. h. in Wirklichkeit zweifachpolitischen) Verantwortlichkeit -, ich d e ~ k e , da dieses Werkdie fundamentalsten Probleme unserer Zeit getroffen undformuliert hat. Ich gehre zu den vielen, die ihm unendlichenDank schulden.Ihm verdanke ich zweifellos den Sinn und die Mglichkeitdessen, was ich tue. Er hat mir oft den Weg gewiesen, wennich bei meinen Versuchen im dunkeln tappte. Darum wollteich meine Arbeit unter sein Zeichen stellen und darum wollteich die Vorstellung meiner Projekte mit seiner Erwhnungbeenden. Auf ihn hin, auf dieses Fehlen - wo ich zugleichseine Abwesenheit und meine Schwche spre - zielen dieFragen, die ich mir nun stelle.Da ich ihm soviel verdanke, verstehe ich wohl, da die Wahl,

    die Sie getroffen haben, indem Sie mich eingeladen haben,hier zu lehren, zu einem Gutteil auch eine Ehrung fr ihn ist.Ich danke Ihnen zutiefst fr die Ehre, die Sie mir erwiesenhaben, aber ich danke Ihnen nicht weniger fr das, was indieser Wahl ihm gehrt. Wenn ich mich der Aufgabe, ihmnachzufolgen, nicht gewachsen fhle, so wei ich doch, daich an diesem Abend, wre uns dieses Glck vergnnt, vonseiner Nachsicht ermutigt worden wreUnd nun verstehe ich besser, warum ich eben soviel Schwierigkeit hatte, sogleich anzufangen. Ich wei auch, welcheStimme es war, von der ich gewnscht htte, da sie mir vorangeht, da sie mich trgt, da sie mich zum Sprechen einldtund sich in meinen eigenen Diskurs einfgt. Ich wei, warumich solche Angst hatte, das Wort zu ergreifen: ich habe dasWort an dem Or t ergriffen, wo ich ihn gehrt habe, und wo ernicht mehr ist, um mich zu hren.