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Pioniere der modernen Kunst ISSN 1975-0617 KOREANISCHE KULTUR UND KUNST JAHRGANG 10, NR.1 FRÜHJAHR 2015 SPEZIAL MODERNE KUNST

Koreana Spring 2015 (German)

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Koreana Spring 2015 (German)

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Page 1: Koreana Spring 2015 (German)

Pioniere der modernen Kunst

ISSN 1975-0617

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST

JAHRGANG 10, N

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 1

Auf der koreanischen Halbinsel kündigt

sich der Frühling zuallererst auf den

im Südmeer verstreuten Inseln an.

Ende Februar brechen vor dem Hinter-

grund des blauen Meers die karmesinroten

Kamelienblüten mit ihren gelben Stempeln

zwischen dunkelgrün glänzenden Blättern

auf. Das den ganzen Winter über verschlos-

sen gewesene Herz fängt wieder zu pochen

an. Danach beginnen die von den Seonbi-

Gelehrten dieses Landes so sehr gelieb-

ten Pflaumenblüten an Jahrhunderte alten

Bäumen ihre Blätter zu entfalten.

Ende März bis Anfang April folgen die gel-

ben Forsythien, die Freunde der Kinder

und des einfachen Volkes, die Asiatischen

Kornelkirschen und rosaroten Azaleen.

Aber anders als vom ungestümen Herzen

erhofft, gibt es noch viele kühle Tage. Der

Frühling beginnt erst richtig, wenn an allen

Ästen der Kirschbäume, die die Straßen

säumen, die Blüten wie Feuerwerke des

Lichts explodieren.

Höhepunkt des Lenz ist jedoch die Yeon-

deung-Lotuslaternen-Parade an Buddhas

Geburtstag Anfang Mai, wenn die Rhodo-

dendrenblüte einsetzt. In der Parade scheint

der Wille des Menschen, die Schönheit aller

von der Natur sorgfältig gepflegten Früh-

lingsblumen ans Licht zu bringen, Vollen-

dung zu finden. Die Yeondeung, die Papier-

laterne in Lotusform, wird in der Hoffnung

gefertigt und aufgehängt, dass das von

Düsternis und Leid erfüllte Herz wieder mit

der Weisheit Buddhas erstrahlen und dass

warmherzige Liebe sich wie Licht verbreiten

möge, sodass sich die ganze Welt mit der

Barmherzigkeit und Weisheit Buddhas füllt.

Als ich noch klein war, wurde meine Groß-

mutter mit dem Nahen von Buddhas

Geburtstag auf einmal Buddhistin. Wir

bastelten die Laternen, indem wir das in

Form geschnittene gelb, grün und rosa-

rot gefärbte Maulbeerbaumpapier auf das

Bambusrippenskelett klebten und an den

Enden lotusblütengleich nach innen bogen.

Die Laterne in den Händen, legten wir den

langen, 20 Meilen weiten Weg zum Großen

Tempel tief in den Bergen zurück. Danach

wurde dieser weite, mit Blüten erfüllte Weg,

den ich meiner Großmutter folgend lief, für

mich ein Weg des Festes und der prächtigs-

te aller Frühlingswege. Denn ich weiß, dass

Segen und Liebe, enthalten in dieser von

meiner Großmutter als Opfer dargebrach-

ten Lotuslaterne, mein Herz immer wieder

hoch in den blauen Himmel erheben.

Verlöscht das Licht und wird die zu einer

Handvoll Asche gewordene Laterne davon-

geweht, so steht der Sommer vor der Tür

und der Frühling gleicht einem Traum im

kurzen Mittagsschlaf, aus dem man unver-

sehens erwacht.

IMPRESSIONEN

Blumen des Herzens schwingen himmelwärts Kim Hwa-young

Literaturkritiker, Mitglied der National Academy of Arts

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4836

SPEZIAL

Pioniere der modernen Kunst

SPEZIAL 1

04 Künstlerischer Geist aufgeblüht in Zeiten des Umbruchs Kim Young-na

SPEZIAL 2

08 Kim Whanki: Landschaft der Transzendenz

und Ästhetik des Erhabenen Park Mee-jung

SPEZIAL 3

12 Schriftzeichen, Zeichen, Mensch

Lee Ungno: Darstellung des Wesenhaften mit Tusche und

Reflexion über die Geschichte Mok Soo-hyun

SPEZIAL 4

18 Park Saeng-kwang: Stern der koreanischen Farbmalerei Park Young-taek

SPEZIAL 5

22 Park Soo-keun: Der „nationale Maler“,

der die Schwermut der Zeit ins Lyrische transzendierte Choi Youl

FOKUS

26 Sprunghafte Zunahme der

Zahl chinesischer Touristen:

Vorteile und Herausforderungen Kim Bo-ram

INTERVIEW

30 Lee Ja-ram: Jungstar des

Pansori Kim Soo-hyun

HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES

36 Chyung Mi-sook: Die Traditionelle

Lebenskultur bewahren Chung Jae-suk

VERLIEBT IN KOREA

42 Wie Sie an Ihren Kimchi kommen

und ihn genießen Ben Jackson

UNTERWEGS

48 Geomun-do: Wo das wahre Lied vom

Leben erklingt Gwak Jae-gu

NEUERSCHEINUNG

54 Pathways to Korean Culture: Paintings of the Joseon Dynasty, 1392-1910

Wertrolle Fallstudien: Bilder aus der

Joseon-Zeit

Die Bibliothek des LTI Korea Online-Archiv der Übersetzungen der

koreanischen Literatur

Charles La Shure

ENTERTAINMENT

56 Hidden Singer

Stimmimitatoren und ihre Passion

- Songs in neuem Gewand Wee Geun-woo

GOURMETFREUDEN

58 Gimbap: Beliebt und besonders

zugleich Park Chan-il

REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR

62 Largo: Der Weg von der

Dunkelheit zum Licht Chang Du-yeong

Geleitschutz des

Lichts Cho Hae-jin

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4 KOREANA Frühjahr 2015

SPEZIAL 1Pioniere der modernen Kunst

Künstlerischer Geistaufgeblüht in Zeiten des UmbruchsKorea kam Ende des 19., Anfang des 20. Jhs erstmals ernsthafter mit der westlichen Malerei in Berührung. Dies geschah zwar während der japanischen Kolonialzeit (1910-1945) lediglich als Bestandteil der Verbreitung der neuen Kultur über die Besatzer, aber von dem raschen Wandel durch verschiedene Strömungen und Ausdrucks-methoden in der Weltmalerei blieb auch Korea nicht unberührt. Die Bemühungen der koreanischen Meister-maler, inmitten der diversen Richtungen an der Mündung zur Moderne zusammen mit der Modernität auch die koreanische Gefühlswelt auf eine eigene Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, waren die Antriebskräfte der koreanischen Malerei von heute.

1916 brachte die Korea Daily News groß aufgemacht

die Schlagzeile, dass das Gemälde Abenddämme-

rung (Sunset) des koreanischen Malers Kim Kwan-

ho (1890-1959) auf dem vom japanischen Ministerium für

Bildung, Wissenschaft und Kultur gesponserten staat-

lichen Kunstwettbewerb ausgezeichnet wurde. Auf ein

Foto des Werks hatte man jedoch verzichtet, da die bei-

den Frauen auf dem Bild unbekleidet waren. In der ost-

asiatischen Malerei, deren Schwerpunkt traditionell auf

mit Tusche und Pinsel gemalten Landschaften und Por-

träts lag, war der weibliche Akt ein bislang völlig unbe-

kanntes Genre. Selbst gewöhnliche Porträts und Dar-

stellungen von Alltagsszenen von Individuen aus dem

einfachen Bürgertum kamen in Korea erst im späten 19.

bis frühen 20. Jh auf, als die westliche Malerei im Zuge

des Zustroms der neuen Kultur verstärkt Einzug in Ost-

asien hielt. Daher versetzte ein weiblicher Akt der konfu-

zianischen koreanischen Gesellschaft einen besonders

großen Schock. Auch Aktdarstellungen, die 1921 auf der

ersten, im Rahmen der Kulturpolitik des japanischen

Generalgouverneuramts als Wettbewerb auf den Weg

gebrachten Koreanische Kunstausstellung gezeigt wur-

den, durften in den relevanten Zeitungsberichterstattun-

gen mit dem Argument „der Gefahr, bei gewöhnlichen,

kunstunkundigen Menschen unsittliche Erregung aus-

zulösen“ nicht veröffentlicht werden. Unter Künstlern,

die sich auf westliche Malerei oder Bildhauererei spezia-

lisiert hatten, galten Aktdarstellungen jedoch als grund-

legender Bestandteil ihrer Ausbildung zum Künstler. In

Kim Young-naDirektorin, National Museum of Korea

Abenddämmerung (1916) von Kim Gwan-ho, 127,5 x 127,5 cm, Öl auf Leinwand, Tokyo School of Fine Arts. Als Kim Gwan-hos (1890–?) Werk auf der von der Regierung gesponserten Kunstausstellung Bunten gezeigt wurde, berichtete die koreanische Presse in großen Schlagzeilen darüber, brachte allerdings kein Foto, da ein weiblicher Akt gegen die konfuzianischen Moralvorstellungen der Zeit verstieß.

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 5

demie und die Kunstschule Bunka Gakuin hinzu. Auch

schlossen sich einige Studenten Künstlergruppen an

und nahmen an Ausstellungen teil. Nach ihrer Rückkehr

bemühten sie sich um die Heranziehung des Nachwuch-

ses, indem sie selbst unterrichteten oder Ausstellungen

abhielten. Diejenigen, die zu der Zeit zum Studieren nach

Tokio gehen konnten, stammten meist aus entsprechend

wohlhabenden Familien, sodass viele es sich leisten

konnten, alleine vom Unterrichten zu leben, ohne sich

um den Verkauf ihrer Werke kümmern zu müssen. Sie

empfanden einen gewissen Stolz darauf, Vertreter der

neuen Kunst zu sein. In der Vergangenheit war in Korea

der gesellschaftliche Status von Berufsmalern niedrig.

Das begann sich jedoch zu ändern, als Künstler, die im

Ausland eine formelle westliche Kunstausbildung erfah-

ren hatten, auf die Bühne traten. Für sie war ein Künst-

ler jemand mit besonderem Talent, eine Art „einsames

Genie“. Das dürfte dem Einfluss des westlichen Elita-

rismus seit der Zeit der Romantik zu schulden sein. Die

koreanische Kunst der Frühmoderne wurde also größ-

tenteils von den Künstlern, die in Japan studiert hatten,

auf den Weg gebracht.

Zeit der Seelenqualen und ExperimenteAuf die Befreiung von der japanischen Kolonialherr-

schaft 1945 folgte der Konflikt zwischen Rechten und

Linken und angesichts der Wirren von Koreakrieg (1950-

1953) und Landesteilung sahen sich die koreanischen

Maler fast außerstande, zu arbeiten. Erst um 1955

begannen sie allmählich, sich vom Schock des Krie-

ges zu erholen. Die koreanischen Kunstkreise richteten

ihren Blick jetzt voller Interesse über Japan hinaus auf

die Trends in der internationalen Kunstszene. Künstler

wie Park Soo-keun (1914-1965), der seit der japanischen

Kolonialzeit aktiv war, malten in der schweren Nach-

kriegszeit auf der US-Militärbasis Porträts und verdien-

ten später ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihrer

Werke an amerikanische Soldaten. Einige Künstler aus

wohlhabenderen Verhältnissen gingen zum Studium

nach Frankreich, dem Mekka der Kunst. Dazu gehörten

führende Maler wie Lee Ungno (1904-1989), Kim Whan-

ki (1913-1974), Kim Heung-su (1919-2014) und Kwon Ok-

youn (1923-2011), die seit der Kolonialzeit aktiv waren.

Damals war es noch etwas so Großartiges, zum Kunst-

studium ins Ausland zu gehen, dass selbst die Zeitungen

darüber berichteten.

Die Maler, die nach Frankreich zogen und dort vieles

sahen und lernten, zerbrachen sich den Kopf darüber,

den 1930er Jahren hatte sich schließlich der Horizont in

der modernen koreanischen Kunst so stark erweitert,

dass auch mit abstrakten Darstellungen experimentiert

wurde.

Frühe moderne Malerei, angeführt von in Japan ausgebildeten Künstlern Da Korea von 1910 bis 1945 unter japanischer Kolonial-

herrschaft stand, war die Einrichtung einer offiziellen

modernen Kunsthochschule unmöglich, sodass die

meisten, die westliche Malerei studieren wollten, nolens

volens nach Japan gingen. Einige wenige Künstler wie

Pai Un-soung (Bae Un-seong,1900-1978), Lee Chong-woo

(I Jong-u,1899-1981) und Chang Bal (Jang Bal,1901-2001)

zog es zwar nach Europa oder in die USA, doch die Mehr-

zahl entschied sich für Japan, da man für die Ausreise

sowieso zunächst einen japanischen Pass brauchte.

Anfangs fiel die Wahl der meisten Kunststudenten auf

die Kunstakademie Tokio, eine staatliche Einrichtung.

Ab den 1930ern kamen dann private Bildungsinstitutio-

nen wie die Nihon University, die Kaiserliche Kunstaka-

1. Porträt von Pater Kim Dae-geon (1920) von Jang Bal, 60,5 x 50 cm, Öl auf Leinwand, Lithurgisches Museum der Katholischen Universität Koreas. Jang Bal (1901–2001) war ein gläubiger Katholik, der viele religiöse Gemälde schuf und nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft einen großen Beitrag zu Kirchenbau und Kunsterziehung leistete. Andreas Kim Dae-geon war Koreas erster römisch-katholischer Priester. Er fand 1846 den Märtyrertod.

2. Porträt eines Freundes von Gu Bon-ung, 62 x 50 cm, Öl auf Leinwand, Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst. Gu Bon-ung (1906–1953) war ein stark von den Fauves beeinflusster Maler und auch als Bildhauer und Kunstkritiker aktiv. Das Porträt zeigt Gus besten Freund, den jung verstorbenen Dichter Yi Sang. Yis Witwe Kim Hyang-an heiratete später den Maler Kim Whanki, einen der Pioniere der abstrakten Kunst in Korea. In der koreanischen Kunstgeschichte gilt Kim Hyang-an als Lebensgefährtin von zwei bedeutenden Größen der modernen koreanischen Kunst.

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1. Lee Ungno hielt seine erste Soloausstellung 1962 in der Galerie Paul Facchetti in Paris ab. Der Künstler und seine Frau Park In-kyung (in Hanbok-Tracht), Mitte, mit Gästen auf der Vernissage.

2. 1959 brachte die westdeutsche Tageszeitung Neue Presse eine höchst positive Kritik über Lee Ungnos Ausstellung von Tuschebildern in Frankfurt. Lees Porträt wurde von dem Journalisten gezeichnet.

3. Kim Whanki mit seiner Frau Kim Hyang-an beim Spaziergang in Paris. In Paris wurde sich Kim der geistigen Wurzeln seiner Kunst bewusst und erkundete Wege des Ausdrucks dafür.

4. Nach dem Koreakrieg verdiente sich Park Soo-keun den Lebensunterhalt mit Malen und Verkauf von Soldaten-Porträts auf der US-Militärbasis.

In der Vergangenheit war in Korea der gesellschaftliche Status von Berufsmalern niedrig. Das begann sich jedoch zu ändern, als Künstler, die im Ausland eine formelle westliche Kunstausbildung erfahren hatten, auf die Bühne traten. Für sie war ein Künstler jemand mit besonderem Talent, eine Art „einsames Genie“. Das dürfte dem Einfluss des westlichen Elitarismus seit der Zeit der Romantik zu schulden sein. Die koreanische Kunst der Frühmoderne wurde also größtenteils von den Künstlern, die in Japan studiert hatten, auf den Weg gebracht.

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 7

wie sie im westlichen Stil, aber distinktiv anders als die

westlichen Künstler malen sollten. Lee Ungnos Begeg-

nung mit der Informellen Kunst inspirierte ihn dazu, die

Leinwand mit dem traditionellen koreanischen Hanji-

Maulbeerbaumpapier zu bekleben, während Kim Whan-

ki sich mit der Darstellung koreatypischer Themen und

Gefühlswelten befasste.

Von ihnen unterschied sich wiederum die Generation

der jungen Kunststudenten der 1950er Jahre. Die meis-

ten von ihnen hatten Kunst an der nach der Befreiung

gegründeten Seoul National University und der Hongik

University studiert und begnügten sich nun nicht mehr

damit, mit akademischen Porträts und Landschafts-

malereien Auszeichnungen bei staatlich unterstützten

Kunstausstellungen einzuheimsen. Diese Generation,

die die Grausamkeit des Kriegs erlebt hatte, strebte jetzt

nach einer Ausdrucksfreiheit jenseits aller Formalität.

Sie begeisterte sich für die damals in Korea bekannt wer-

denden Kunstrichtungen des Abstrakten Expressionis-

mus aus den USA und der Informellen Kunst aus Europa,

die mit der leidenschaftlichen Intenstität der Pinselfüh-

rung alle bis dahin geltenden Regeln zu brechen schie-

nen. Auch koreanische Maler, die im traditionellem Stil

mit Pinsel und Tusche arbeiteten, gerieten unter den

Einfluss des Abstrakten Expressionismus und setzten

den Pinsel für Experimente im abstrakten Stil ein. Auch

die Bildhauer lösten sich von realistischen Werken aus

Bronze und Holz und versuchten sich unter Einsatz neuer

Schweißmethoden an expressionistischen Eisen- und

Stahlskulpturen, was zum Teil auch mit dem reichlichen

Materialangebot in der Nachkriegszeit zu tun hatte.

Künstlerisches Schaffen und Austausch im globalen ZeitalterAb den 1960er Jahren wandten die koreanischen Künst-

ler ihren Blick von Europa auf die USA, wo sich neue

künstlerische Aktivitäten entfalteten. Die USA hatten

Südkorea im Krieg unterstützt und halfen in verschie-

denen Bereichen beim Wiederaufbau. Im Vergleich zu

Landwirtschaft, Medizin und Bildung fiel die Unter-

stützung im Kunstbereich verständlicherweise gering

aus, doch Ausstellungen wie die Wanderausstellung

des Seattle Art Museum Acht amerikanische Künstler:

Malerei und Plastik, die 1957 im Nationalmuseum inner-

halb des Palasts Deoksu-gung ausgetragen wurde und

Werke von Künstlern aus dem Norden und Westen der

USA wie Mark Tobey (1890-1976), Morris Graves (1910-

2001) und David Hare (1917-1992) präsentierte, erregten

in Korea neues Interesse an der amerikanischen Kunst-

szene. Der Aufstieg der amerikanischen Kunstwelt zum

neuen Mekka der zeitgenössischen koreanischen Kunst

dürfte auch Kim Whanki, der während der japanischen

Kolonialzeit in Japan studiert hatte und nach seinem

dreijährigen Frankreich-Aufenthalt (1956-1959) als Pro-

fessor an der Hongik University tätig war, zum Aufbruch

in die USA bewogen haben.

Auch danach dienten die USA als Zentrum der zeitgenös-

sischen Kunst noch eine ganze Weile für viele koreani-

sche Kunststudenten als Ausbildungsstätte. In amerika-

nischen Kunsthochschulen wie dem Pratt Institute und

der Designschule Parsons studieren auch heutzutage

noch viele Koreaner. Ab den 1980er Jahren machte sich

aber wieder eine Diversifizierung der Studienzielländer

bemerkbar und Länder wie Deutschland, Großbritanni-

en usw. gewannen an Beliebtheit. Auch änderte sich die

Einstellung der koreanischen Kunststudenten zur west-

lichen Malerei von einfacher Rezeption zum gegensei-

tigen Austausch. Die USA und Europa sind heute weni-

ger Orte, wo man Neues lernen kann, sondern vielmehr

Orte, die man im Zeitalter der Globalisierung erlebt

haben sollte. Seit den 1990er Jahren werden nämlich

auch in Korea viele internationale Ausstellungen wie

die Gwangju Biennale veranstaltet, sodass die Kunst

aus anderen Ländern nicht länger ein Objekt der vagen

Neugier oder Sehnsucht ist. Das Auslandsstudium wird

heute eher als ein Mittel zur Erweiterung der eigenen

künstlerischen Aktivitäten betrachtet.

Träume (1960) von Kwon Ok-yeon, Öl auf Leinwand, 73 x 100 cm, Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst. Kwon Ok-yeon (1923–2011) war ein prominenter Künstler, der in Frankreich und Japan studiert hatte. Seine Werke bringen östliche Rätselhaftigkeit und Fantasien mit westlichem Empfinden und Techniken zum Ausdruck.

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8 KOREANA Frühjahr 2015

SPEZIAL 2Pioniere der modernen Kunst

Als seine Mutter mit ihm schwanger wurde, träumte sie

davon, dass in allen Farbtönen leuchtende Fahnen am Him-

mel flatterten. Als wollte er dieses Omen wahr werden las-

sen, wurde Kim Whanki (1913-1974; Beiname: Suhwa) Maler, wid-

mete sich bereits in seinen Zwanzigern der abstrakten Kunst und

führte später die Moderne in Korea an. Sein Interesse umfasste

neben Bildender Kunst auch Literatur und Kim unterhielt einen

regen Austausch mit den verschiedensten Kunst- und Kultur-

schaffenden. Das bereicherte sein Leben als Künstler und ließ ihn

auch die Bekanntschaft von Kim Hyang-an (1916-2004) machen,

die ihm Weggefährtin in Kunst und Leben wurde und seine künst-

lerische Laufbahn entscheidend beeinflusste. Sie stellte sein Werk

auf der Weltbühne vor, indem sie seine Kunstwelt erforschte, ord-

nete und in Form von Ausstellungen und Büchern präsentierte.

Nach seinem Tod rief sie die Whanki Foundation ins Leben und

bemühte sich darum, seine Werke als Kulturerbe des Volkes zu

bewahren. Sie gründete das Whanki Museum, wodurch sie einen

Beitrag zur Förderung von Künstlern und zur Schaffung eines kul-

turellen und künstlerischen Umfeldes in Korea leistete.

Das Wesen der Kunst und die Herausforderung des KünstlersWenn es um die Kunst ging, kannte Kim Whanki keine Kompromis-

se. Er war von einem solch unbeugsamen Herausforderungsgeist

beseelt, dass er sogar ohne Bedauern seine gesicherte Position und

das Ansehen, das er in Korea genoss, aufgab, und fest zu einem Neu-

anfang entschlossen nach Paris und New York, den Hochburgen der

internationalen Kunst, aufbrach. In dem Glauben, dass Dekonstruk-

tion der natürlichen Objekte eine „neue Realität, die die Wirklichkeit

und die Illusion überschreitet“ enthülle, gründete er Ende der 1940er

Jahre zusammen mit Kollegen die sog. Sinsasil-Gruppe, d.i. die

Gruppe des Neuen Realismus. Aus seiner Sicht sollte der Künstler

danach streben, durch das freie künstlerische Schaffen sein wahres

Ich zu entdecken und es zum Ausdruck zu bringen, was für Kim auch

der Weg zur Sicherung seines eigenen Platzes auf der Weltbühne der

Kunst und zur Koexistenz mit den anderen darstellte.

Kim Whanki, der mit seiner subtilen, verfeinerten Sprache der Gestaltung eine gefühlvolle Kunstwelt schuf, war ein Vorreiter der modernen abstrakten Kunst in Korea. Seine Werke, hervorgegangen aus ver-schiedenerlei gestalterischen Experimenten, sind als Ausdruck seines von Seele und Ewigkeit singenden po-etischen Geistes gleichsam eine Reflexion des Lichtes von Sonne und Mond, ein Echo seiner Sehnsucht nach einer unbekannten Welt.

Landschaft der Transzendenz und Ästhetik des ErhabenenPark Mee-jung Direktorin, Whanki Museum

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 9

Mond, Pflaumenblüten und Dal-Hangari als Hauptmotive die Natur

besingend, brachte er die asiatische, nach Einklang mit der Natur

strebende Mentalität und eine von tiefer Lyrizität durchdrungene

gestalterische Ästhetik zum Ausdruck. Kim erkannte bereits früh

die Schönheit der traditionellen Kultur und alten Kunst Koreas und

sammelte Antiquitäten, Malereien und Kalligraphien. Seine beson-

dere Liebe galt dem Dal-Hangari, der reinweißen, vollmondähnli-

chen Baekja-Keramik, die mehr als ein reines Steckenpferd war und

seine Kunstwelt erheblich beeinflusste. Bevor sich Kim ganz der

abstrakten Kunst verschrieb, erschienen in seinen Werken häufig

Natur und traditionelle Objekte Koreas als gestalterische Elemen-

te, die seine Identität und seinen poetischen Geist repräsentierten.

Auch nach seiner vollständigen Hinwendung zum Abstraktivismus

erinnern die einfachen, klaren Linien und die schlichten, zarten Far-

ben an die anmutigen und zurückhaltenden Linien und den dezenten,

reinen Farbton der weißen Baekja-Keramik. Auf der Leinwand, auf

der sich elegante Linien und schlichte Farbfelder überschneiden und

wiederholen, koexistieren auf natürliche Weise die figurative Dar-

stellung mit ihren Motiven von Werden und Vergehen aller Natur-

objekte und die Abstraktion. Die facettenreichen Blautöne, die Kim

gerne gebrauchte, verleihen seinen Bildern etwas Poetisches und

Traumhaftes und sind gleichzeitig symbolischer Ausdruck für die

Natur Koreas. Außerdem streicht das Blau, Spur der aller Schöpfung

zugrunde liegenden Affirmation und Yang-Energie und damit Symbol

des Lebens, die Themen von Kims Werken heraus.

Kim Whankis naturalistisch geprägtes Streben nach Form diente

auch während seiner Pariser Jahre der Bestimmung seiner geisti-

gen und künstlerischen Identität und seiner Suche nach dem Wesen

der Kunst. In Paris konnte er die Gemälde der großen zeitgenössi-

schen Meister selbst in Augenschein nehmen und ihre starke Aura

der poetischen Botschaften spüren, was ihn zu der quälenden Frage

brachte, was denn nun seine lyrische Botschaft sei. Ein Brief an

einen Bekannten von 1957 gibt Aufschluss über seinen Gedanken-

gang: „Meine Kunst hat sich überhaupt nicht verändert. Was ich hier

gefühlt habe, ist der poetische Geist. Ich glaube, die Kunst muss von

etwas singen. Jedes Werk eines Meisters singt kraftvoll von etwas.

In Paris ist mir klar geworden, welche Art von Gesang ich bislang

gesungen habe. Mir scheint, dass ich erst hier erfahren habe, wie

hell die Sonne ist.“

In Paris wurde Kim Whanki sich der Wurzeln seines künstlerischen

Geistes bewusst und lernte, sie zum Ausdruck zu bringen. Dort

erkannte er, dass die Kraft zum Überleben nicht im äußeren Schein,

sondern im inneren Wesen der Werke liegt und dass er daher die

Authentizität des koreatypischen poetischen Geistes bewahren soll-

te. Seine Meisterwerke, die in dem nur ihm eigenen Blau seine neue

Interpretation von Motiven wie Berge, Mond, Vögel, Dal-Hangari und

1. 10-X-73 #322 Air and Sound Ⅱ (1973), 264 x 208 cm, Öl auf Baumwolle2. Unsterbliche Wesen (1956-1957), 128 x 104 cm, Öl auf Baumwolle

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Die Werke von Kim WhanKi, der auch als „gestaltender Poet, der

die Natur besang“ und als „Barde, der die Ewigkeit pries“ beschrie-

ben wird, können grob in die Periode vor und nach 1963 eingeordnet

werden. Die erste Periode umfasst seine Jugendjahre, als er nach

den Wurzeln seines kreativen Schaffens suchte und sich Fragen

der Darstellungsmethode widmete, die Zeit der Sinsasil-Aktivitä-

ten, als er sich treu an seine Darstellungsideale hielt, die Pariser

Jahre (1956-1959), als er seine Identität als Künstler und das Wesen

der Kunst erforschte, und schließlich die Zeit der Teilnahme an der

Biennale von São Paulo 1963. Damals interpretierte er die Welt aus

der Sicht der Natur und versuchte eins mit ihr zu werden. Danach

zog er nach New York, um - wieder zurück am Ausgangspunkt - das

ultimative Ziel, das ein Künstler verfolgen sollte, zu erkunden und

die Ästhetik des Erhabenen und der Transzendenz zu erreichen.

Diese sog. New Yorker Phase (1963-1974) entspricht der zweiten

Schaffensperiode. Während dieser Zeit internalisierte Kim Whan-

ki durch verschiedene Formexperimente eine kontemplative und

objektive Naturwahrnehmung und -erforschung, die sein Schaffen

prägte .

Die Natur besingenTendierten Kims Werke in seiner frühen Schaffensperiode noch

hin zu Avantgarde und abstrakter Kunst, veränderte sich sein Stil

in der Folgezeit zu einem gegenstandsbezogenen Abstraktivismus,

mit dem er auf einzigartige Weise die Leinwand füllte. Mit Berg und

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10 KOREANA Frühjahr 2015

Pflaumenblüten widergeben, entstanden in dieser Zeit. Es sind Moti-

ve, die für die Natur und Identität Koreas stehen. Die Pariser Jahre

waren letztendlich eine Phase des kreativen Schaffens, geprägt von

einer Leidenschaft und Intensität, die durch die Energie des Wage-

muts beflügelt wurde.

Von der Ewigkeit singenKim Whanki nahm 1963 als Repräsentant Koreas an der Bienna-

le von São Paulo teil und wurde mit einem Ehrenpreis ausgezeich-

net. Nachdem er in Brasilien Künstler und Werke aus der ganzen

Welt kennen gelernt hatte, entschied er sich, noch einmal ganz von

vorn anzufangen und in New York, dem Hotspot der internationalen

Kunstszene, seine Kunst auf den Prüfstand zu stellen. Damals war

er 50 Jahre alt. In New York, einer Stadt voller Freiheiten und krea-

tiver Energie, machte sich Kim erneut Gedanken über den weiteren

Weg seiner Kunst. Sich dem neuen Umfeld und dessen Gegebenhei-

ten stellend, forderte er sich wieder einmal selbst heraus. In New

York hatten sich nach zwei Weltkriegen Menschen der verschiedens-

ten Ethnien und Kulturen angesammelt und ein komplexes soziales

Umfeld geschaffen, in dem eine für jeden akzeptierbare objektive

Sichtweise und Offenheit herrschten. Die Stadt tolerierte vielfältige

künstlerische Trends, die — wie die Künstler des abstrakten Expres-

sionismus der Künstlergruppe New York School demonstriert hatten

— mit einem gemeinsamen Ziel jeweils auf originäre Weise umge-

setzt wurden.

Für Kim Wahn-ki war New York keine beängstigende Arena, in der er

sich im Kampf ums künstlerische Überleben erfolgreich zu bewei-

sen hatte, sondern ein Raum der Neuheiten, der seine Neugier und

Sehnsucht inspirierte und seinen Willen, sich erneut auf eine künst-

lerische Gralssuche zu begeben, anstachelte. Auch war es ein Raum

der Freiheit und Kreativität, wo er sich vollständig seiner Arbeit wid-

men konnte, ohne wie in Korea ständig dem Druck gesellschaftlicher

Verpflichtungen ausgesetzt zu sein. Als Mekka der internationalen

Kunst eröffnete ihm New York neue Horizonte, die es ihm ermöglich-

ten, über seine tieflyrische, auf seiner besonderen Naturergriffenheit

beruhenden Darstellungsweise hinaus nach einem Malstil von uni-

versellerem Anklang zu suchen. Seine Kunst strebte entschlossen

und unablässig nach Wandel in Inhalt und Stil. Nach Experimenten

mit verschiedenen Materialien und unzähligen Arten der Bildkom-

position verschwand die konkrete Darstellung von Natur-Objekten

aus seinen Werken und wich einer abstrakten Darstellung aus reinen

komprimierten Punkten, Linien und Flächen.

Die gestalterischen Experimente mit Punkten und Linien, die bereits

in seinen Zeichnungen aus den 1950er Jahren in ihren Anfängen zu

finden sind, setzten sich in Form von verschiedenen Flächenkompo-

sitionen fort, bis sie sich schließlich in den späten 1960er Jahren als

sog. Punktmalerei manifestierten. Kims Werke, die hauptsächlich

Jeder einzelne der Punkte, die sich im Blickfeld wie lebende Zellen vermehren, sind von Kim Whanki ausgeschüttete Teilchen der Meditation. Sie sind Ströme intensiver Sonnenenergie, rhythmisch flimmernder Tanz leuchtender Sternkonstellationen, Landschaft einer Metropole bei Nacht, Berge und Flüsse der vermissten Heimat und Gesichter geliebter Menschen. Auch sind sie Abbilder von Tiefsee und Kosmos, deren Unendlichkeit in alle Ewigkeit nicht zu erahnen ist.

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 11

aus implizierenden Kompositionen und Blautönen bestanden hat-

ten, vertieften sich durch die reinen, formativen Grundelemente wie

Punkte, Linien und Flächen zu einer Welt der universaleren, mehr

nach innen gerichteten poetischen Stimmung. Seine Experimente

mit Darstellungsformen — darunter die abstrakte Darstellung von

Bergen und Mond, die Kreuzstruktur, die abstrakte Farbfeldmalerei

und die sog. Punktbilder — sowie die Versuche mit verschiedenen

Materialien wie Pappmaché, Objekten und Collagen oder Öl auf Zei-

tungspapier sind beredte Zeugnisse für die facetteneiche Entfaltung

von Kims kreativem Schaffen. Mit Beginn der 1970er Jahre befasste

er sich ernsthaft mit Kompositionen aus Punkten, Linien und Flä-

chen, was schließlich in der sog. „All-over-Punktmalerei“ (vollstän-

dige Bedeckung der Leinwand mit Punkten) mündete und ergreifen-

de Werke voller Tiefe und Feinheit hervorbrachte. Jeder einzelne der

Punkte, die sich im Blickfeld wie lebende Zellen vermehren, sind von

Kim Whanki ausgeschüttete Teilchen der Meditation. Sie sind Strö-

me intensiver Sonnenenergie, rhythmisch flimmernder Tanz leuch-

tender Sternkonstellationen, Landschaft einer Metropole bei Nacht,

Berge und Flüsse der vermissten Heimat und Gesichter geliebter

Menschen. Auch sind sie Abbilder von Tiefsee und Kosmos, deren

Unendlichkeit in alle Ewigkeit nicht zu erahnen ist.

Durch die Kunst, mit der KunstKim Whankis Gemälde Wo und als was werden wir uns wohl wie-

der treffen (1970), das erste einer Serie, und Universum (1971) gelten

als Höhepunkte seiner All-over-Punktmalerei und sind gleichzeitig

repräsentative Meisterwerke der zeitgenössischen koreanischen

Kunst. Die meditative Fläche, die in tiefen, mysteriösen Blautönen

wie Coelinblau, Ultramarinblau und Berliner Blau gehalten ist, und

die Nuancen der subtilen Farbpunkte, die Freude, Wut, Trauer und

Glück von Kims Leben in der Fremde zum Ausdruck bringen, erstre-

cken sich über Zeit und Raum hinaus in die Ewigkeit. Die Punkte wur-

den also nicht einfach in mechanischer Wiederholung hingetupft,

sondern sind jeder einzelne Bild gewordenes Resultat der Kontem-

plation und transzendentalen Meditation des Künstlers über sein

Leben in Relation zu Natur, menschlichen Beziehungen und Kunst.

Kim Whankis Punkt-Werke sind Ergebnis der Sublimation des von

ihm angestrebten poetischen Geistes über die Realität hinaus ins

Reich der Fantasie. Auch wenn er dabei im westlichen Stil Ölfarbe auf

Leinwand brachte, erzielte er durch die Regulierung der Farbkonsis-

tenz Effekte wie bei der östlichen Tuschemalerei. Die feinflüssigen

transparenten Ölfarben wurden vom traditionellen Hanji-Maulbeer-

baumpapier oder Stoff wie Tusche aufgesaugt und verbreitet. Durch

asiatische Spiritualität wollte er die Materialiät überwinden und sich

von der physischen zur spirituellen, von der materiellen zur geisti-

gen Welt bewegen und damit über die Realität hinaus zur Raum und

Zeit überschreitenden Ewigkeit oder Raumlosigkeit gelangen. Was er

durch die Kunst zu verstehen versuchte, war wohl die Bestimmung

von Natur, Mensch und Universum.

Sein kreatives Schaffen ließ Kim den vollkommensten Weg für den

Künstler erkennen: „in der Kunst, durch die Kunst, mit der Kunst“. Die

kreative Welt, die ein Künstler in Begleitung und in Auseinandersetzung

mit der Kunst in der Realität zu schaffen gedenkt, ist ein transzenden-

tales Reich, das nicht ohne Geburtsschmerzen zu erreichen ist; eine

sublime Welt, in die der Künstler nur dadurch gelangen kann, dass er

zur Entfachung seiner schöpferischen Leidenschaft seine Seele ver-

brennt und mit seiner Ästhetik der Transzendenz die Herzen bewegt.

Während Kim Whanki in seinen Pariser Jahren die Natur mit kon-

templativen, aus seinem poetischen Geist fließenden Pinselstri-

chen besang, offenbarte er in seiner New Yorker Phase Lyrismus

pur, indem er seine innere Welt für die neue Form der Natur und des

metaphysischen Raums, die er in der kalten Stadtzivilisation ent-

deckte, öffnete. Seine auf diese Weise geborenen Werke ergreifen

uns bis heute durch ihren emotionalen Gehalt.

1. Kim Whanki bei der Arbeit. Der Künstler, der sich für traditionelle Kultur und antike Kunst Koreas interessierte, sammelte Antiquitäten, alte Gemälde und Kalligraphien. Seine Liebe zu den weißen Mondtöpfen, die er sammelte, ging über ein reines Steckenpferd hinaus und hatte deutlichen Einfluss auf sein Werk.

2. Kim Whankis New-Yorker-Phase begann 1963. In dieser Zeit entwickelte er seinen charakteristischen pointilistischen Stil.

3. 16-Ⅶ-68 #28 (1968), 177 x 128cm, Öl auf Leinwand.

3

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12 KOREANA Frühjahr 2015

1958 gab Lee Ungno im Alter von damals 54 Jahren seine etablier-

te Position und Karriere, die er sich als Professor und Künstler in

der Welt der koreanischen Malerei aufgebaut hatte, auf und zog

nach Paris. Abgesehen von den rund drei Jahren in koreanischen

Gefängnissen (1967-1969), in die ihn die sog. „Ostberliner Spionage-

Affäre“, ein auf Koreas Teilung zurückzuführender politischer Skan-

dal, gebracht hatte, war er bis zu seinem Tod im Jahr 1989 von Paris

aus international aktiv. Im Spannungsfeld von Vergangenheit und

Gegenwart sowie von Orient und Okzident gestaltete er dort seine

eigene, einzigartige Kunstwelt.

Experimente ohne EndeAls Lee in Paris ankam, stand die Kunstwelt voll im Zeichen der Art

Informel, der Bewegung der Informellen Kunst. Mithilfe des renom-

mierten Kunstkritikers Jacques Lassaigne (1911-1983) gab Lee

1962 mit der Ausstellung Ung-No-Lee Collages in der Galerie Paul

Facchetti sein erfolgreiches Debüt. Bei Künstlern wie Hans Har-

tung (1904-1989), Pierre Soulages (geb. 1919) und Zao Wou-ki (1920-

2013), die aus allen Ecken und Enden der Welt nach Paris gekommen

waren, hatte er eine neue Tür zur Darstellung der Welt entdeckt.

Lee lernte bei Kim Gyu-jin (1868-1933; Beiname: Haegang), einem

namhaften Kalligraphen und Tuschemaler der Zeit, die traditionel-

le Bambusmalerei, bevor er für zehn Jahre (1935-1945) zum Studi-

um nach Japan ging. Dort besuchte er die Kawabata Malschule und

das Hongo Institut für Malerei. Seine Lehrzeit unter Matsubayashi

Keigetsu (1876-1963) öffnete ihm die Augen für die Realistik. In den

späten 1940er und frühen 1950er Jahren beschäftigte er sich mit der

Abstraktion der Tuschemalerei, bevor er schließlich in Paris auf die

Art Informel stieß. Er unterschied sich zwar in Bezug auf die Motive

nicht von anderen Tuschemalern, versuchte jedoch gleichzeitig, die

Tuschemalerei-Tradition mit der zeitgenössischen Kunst zu verbin-

den. Doch legte er dabei sein altes Künstler-Ich nicht ab, sondern

nahm vielmehr seine künstlerischen Wurzeln als feste Basis, auf

der er sich die Informelle Kunst zu eigen machte. Auf der Grundlage

des Geistes der chinesischen Kalligraphie, deren Zeichen sich aus

der Form realer Objekte ableiten, und der Tuschemalerei, die allein

mittels Stangentusche und Papier die Prinzipien aller Dinge zu ent-

decken versucht, begann er die geistige Welt der Künstler der Zeit zu

erforschen, die bestrebt waren, ins Innere ihres im Elend des Kriegs

erfahrenen Schreckens und Schmerzes vorzudringen und ihm Aus-

druck zu verleihen.

Lee verharrte jedoch nicht in der Informellen Kunst. Die Dekons-

truktion der von ihm seit Kindesbeinen an erlernten Kalligraphie-

Zeichen entspricht zwar in puncto Formlosigkeit den Prinzipien der

SPEZIAL 3Pioniere der modernen Kunst

Von den Tagen seiner ersten Bambus-Tuschebilder bis hin zu seiner späteren Menschen-Werkreihe legte Lee Ungno (1904-1989) Papier und Tusche ein Leben lang nicht aus der Hand. Als einer der Pioniere dieser Malerei war er in der Nachkriegszeit auf der ganzen Weltbühne mit Schwerpunkt auf Europa aktiv. Für seine Werke ver-wendete er nicht nur Papier und Tusche, sondern auch verschiedene andere Materialien und Techniken wie Öl auf Leinwand und Papier collé, und befasste sich darüber hinaus mit Druckgrafik, Bildhauerei und Keramikma-lerei. Als Ergebnis seines umfangreichen Schaffens hinterließ er eine monumentale Sammlung von über 10.000 Werken, mit der er ein neues Kapitel in der abstrakten Kunst aufschlug.

Schrif zeichen, Zeichen, Mensch

Lee UngnoDarstellung des Wesenhaften mit Tusche und Reflexion über die Geschichte

Mok Soo-hyunForschungsprofessorin, Seoul National University, Kyujanggak Institute for Korean Studies

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 13

Su (Langlebigkeit, 1972), 274 x 132 cm, Tusche auf Hanji-Maulbeerbaumpapier, Collage. In den 1970er Jahren legte Lee in seinen abstrakten, ideographischen Arbeiten aus klar umrissenen Zeichen eine starke Anlehnung an den Konstruktivismus an den Tag.

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5

Informellen Kunst, doch Lees Arbeiten heben

sich dadurch ab, dass er auf Grundlage der für

ihn typischen Materialien Papier und chinesische

Schriftzeichen seine Stil- und Formexperimen-

te fortsetzte. In den 1960er Jahren beschäftig-

te er sich mit Papier collés und Collagen, wobei

er Papier mit der Hand in Stücke riss und durch

Zusammenkleben Form schuf, sowie der Dekon-

struktion von Form in abstrakten Tuschearbei-

ten. Die bei den Collagen zusammengekleb-

ten Papierschnipsel können zwar als formlos

betrachtet werden, doch setzen sie sich oft durch

Striche oder andere Elemente der zerlegten

Schriftzeichen wieder zu einem Bild zusammen.

Durch Hinzufügen von Watte gewinnt das Werk

an Dreidimensionalität, wobei die Kombinati-

on von Papier und Watte eine Textur ganz eige-

ner Art ergibt. In Lees abstrakter Tuschema-

lerei erscheinen die Formelemente manchmal

als Zeichen, manchmal als Bäume oder Berge,

oder auch als Tiere und Menschengestalten. Lee

selbst bezeichnete den Stil dieser Periode als

„abstrakte Darstellung des Wesenhaften“.

In Paris vollbrachte Lee noch eine weitere

Leistung: Im November 1964 gründete er die

Pariser Akademie der Orientalischen Malerei

(Académie de peinture orientale de Paris) im

Musée Cernuschi, einem Museum für östliche

Kunst. Zu dieser Zeit begann man sich in Euro-

pa stark für östliche Spiritualität zu interessie-

ren und viele wollten durch die Werke von Lee

Ungno, des koreanischen Künstlers, der westli-

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14 KOREANA Frühjahr 2015

che Moderne in seine Werke hatte einfließen lassen, mehr darüber

lernen. Bis in die letzten Jahre seines Lebens brachte Lee an der

Akademie seinen Studenten den Umgang mit Pinsel und Tusche bei

und lehrte sie die Techniken der Tuschemalerei und die Anwendung

des Leere-Konzeptes. Durch seine rund 3.000 Schüler verbreitete

sich die östliche Gedankenwelt und Gestaltungssprache in Europa.

Düsteres Selbstporträt im Zusammenhang mit der koreanischen ZeitgeschichteDas schmerzhafteste Kapitel in Lee Ungnos Leben waren wahr-

scheinlich die Jahre von 1967 bis 1969, die er im Gefängnis verbrach-

te, nachdem er wegen des Verdachts, in eine vom Koreanischen

Informationsdienst manipulierten Spionage-Affäre in Ostberlin ver-

wickelt zu sein, nach Korea zurückbeordert worden war. Auslöser

dieser „Ostberliner Spionage-Affäre“ war, dass in Europa lebende

südkoreanische Studenten und Künstler mit nordkoreanischen Per-

sönlichkeiten Kontakt aufgenommen hatten. Lee wurde der Kolla-

boration mit Nordkorea beschuldigt, weil er nach Ostberlin gereist

war, wo er Näheres über seinen Sohn, der während des Koreakriegs

in den Norden verschleppt worden und nach Kriegsende verschol-

len war, in Erfahrung bringen wollte. Im Gefängnis, wo man ihm die

Benutzung des Pinsels erlaubt hatte, schuf Lee etwa 300 Werke

mit der Sojasoße, Sojabohnenpaste und den klebrigen Reiskörnern

seiner Mahlzeiten sowie dem Holz der Essensbehälter. Die Serie

Selbstporträt, die einen tief zusammengekauerten Körper darstellt,

stammt aus dieser Zeit. Von all seinen Werken bringen wahrschein-

lich diese Bilder mit ihren an Rußklumpen erinnernden Flecken

geronnener schwarzer Tusche Lees innere Welt im Stil der Art Infor-

mel am besten zum Ausdruck. In seinen späteren Jahren verarbeite-

te er die Erlebnisse dieser Zeit in seiner Kunst durch tiefere Reflexio-

nen über Mensch und Geschichte.

Abstraktionen von Schriftzeichen und Menschen Lees Werke aus den 1970er Jahren werden als „kalligraphische Abs-

traktion“ beschrieben. Er setzte die zerlegten Schriftzeichen zusam-

men, sodass sie erneut ihre ursprüngliche Bedeutung verkörperten,

und belebte dadurch den Geist der östlichen Malerei wieder. Im Ver-

gleich zu den Bildern aus den 1960er Jahren zeigen die abstrakten

Werke aus dieser Zeit Kompositionen aus Zeichen mit klaren Kontu-

ren und damit konstruktivistische Tendenzen. Andererseits präsen-

tierte Lee eine neue Art von Kalligraphie, bei der er die herkömmli-

chen Prinzipien der Kalligraphie auf moderne Art zerlegte und ver-

änderte. Ein Beispiel dafür ist seine Serie Juyeok, bei der er die 64

Strich-Hexagramme des chinesischen Klassikers IGing (Buch der

Wandlungen) in die Form chinesischer Schriftzeichen überführte.

Lees Werkreihe Menschen bzw. Menschenmasse ist repräsentativ

für sein Schaffen in den 1980er Jahren. Schon seit den 1960ern hatte

er sich mit der Darstellung der Gestalt des Menschen beschäftigt,

doch Lees Tusche-Werke aus dieser Phase zeigen auf monumen-

talen Leinwänden Hunderte, ja Tausende von Menschen, die sich in

Gruppen marschierend und manchmal auch tanzend fortbewegen.

Lees Menschen-Serie der 1980er stellt die Demokratisierungsbewe-

gung in Korea in Form von Menschenmassen dar, darunter auch den

Gwangju-Aufstand vom 18. Mai 1980. Diese Werke zeugen von Lees

tiefen Reflexionen, die er in seinen späteren Jahren über den Men-

schen anstellte, und von seiner innigen Liebe für Korea und seiner

schmerzlichen Sehnsucht nach der Heimat, der er aus politischen

Gründen fernbleiben musste.

1977 wurde Lees Frau mit Nordkoreas versuchter Entführung des

Pianisten Paik Kun-woo (geb. 1946), der damals in Frankreich aktiv

war, und dessen Frau, dem Filmstar Yun Jung-hee (geb. 1944), in

Verbindung gebracht, sodass Lee Ungno in koreanischen Kunst-

kreisen erneut gemieden wurde. Sein lang ersehnter Wunsch, in

die Heimat zurückzukehren und dort seinen Lebensabend in Ruhe

malend zu verbringen, wurde damit zunichte. Dass er in Korea nicht

weit bekannt wurde, obwohl er bis 1958 über 30 Jahre in der kore-

anischen Kunstszene aktiv gewesen war und danach in Europa als

Maler große Anerkennung gefunden hatte, ist auf die Umstände der

Zeit nach der Teilung des Landes zurückzuführen.

Auch während der Zeit, in der seine Werke von abstrakten Zeichen zu

Menschen, vom Totem zur kalligraphischen Abstraktion übergingen,

hörte er nicht mit den Bambus-Bildern auf. Die Menschengestalten,

das Hauptmotiv seiner Werke aus den 1980er Jahren, sind also in

Wirklichkeit diese Bambusblätter, die er sein Leben lang malte, sie

sind Natur, Menschen und Geschichte. In der Serie Menschen bewe-

gen sich die menschlichen Gestalten in einem bestimmten Rhyth-

mus. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass sich jede

einzelne anders bewegt. Und trotzdem gehen sie zusammen in eine

bestimmte Richtung. Unter diesen zahlreichen Menschen findet sich

letztendlich das Wir, das Ich.

Im Zuge der Demokratisierung wurde 1988 das Verbot von Werken

von Künstlern, die nach Nordkorea gegangen waren, aufgehoben

und auch Lee wurde gesellschaftlich rehabilitiert. 1989 konnte end-

lich eine Retrospektive seines Werks eröffnet werden und Lee Ungno

wurde von der koreanischen Kunstwelt neu entdeckt. Lee hatte für

die Dauer der Ausstellung nach Korea kommen wollen, verstarb

aber am 10. Januar 1989, dem Tag der geplanten Vernissage in Seoul,

in einem Pariser Krankenhaus an einem Herzinfarkt. Danach fanden

eine Reihe von Retrospektiven und Gedenkausstellungen statt, die

von der großen Zuneigung und Bewunderung für ihn und sein Werk

zeugten. Zum Andenken an sein Leben und Werk wurde in Daejeon,

Provinz Chungcheongnam-do, das Lee Ungno Museum gegründet

und in seiner Heimatstadt Hongseong auf dem Platz seines Geburts-

hauses das Lee Ungno Haus, eine Gedenkstätte mit Ausstellungsflä-

che, eingerichtet.

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 15

Die Menschengestalten, das Hauptmotiv seiner Werke aus den 1980er Jahren, sind also in Wirklichkeit diese Bambusblätter, die er sein Leben lang malte, sie sind Natur, Mitmenschen und Geschichte. In der Serie Menschen bewegen sich die menschlichen Gestalten in einem bestimmten Rhythmus. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass sich jede ein-zelne anders bewegt. Und trotzdem gehen sie zusammen in eine bestimmte Richtung. Unter diesen zahlreichen Menschen findet sich letztendlich das Wir, das Ich.

1. Menschen (1986), 167 x 266 cm, Tusche auf Hanji-Maulbeer-baumpapier

2. 1964 gründete Lee Ungno die Académie de peinture orien-tale de Paris (Akademie der Orientalischen Malerei) im Musée Cernuschi, wo er den Studenten den Umgang mit Pinsel und Tusche beibrachte und sie die Tuschemalerei-Techniken sowie die Anwen-dung des Leere-Konzeptes lehrte. Er unterrichtete an die 3.000 Studenten.

3. Das Lee Ungno Museum im Zentrum von Daejeon wurde 2007 mit dem Ziel eröffnet, Lees Werke in der Welt be-kannt zu machen. Das Muse-um richtet Ausstellungen aus und unternimmt verschiedene Forschungsaktivitäten.

1

2 3

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16 KOREANA Frühjahr 2015

Park Re-hyun (1920-1976) und Chun Kyung-ja (geb. 1924) sind zwei Künstlerinnen, deren Leben, geträumte Welt und Gestaltungssprache un-terschiedlicher nicht hätten sein können, und doch gingen beide als faszi-nierende Seelen in die koreanische feministische Kunstgeschichte des 20. Jhs ein. Sie wirkten innovativ in der traditionellen farbigen Tuschemalerei Chaesaekhwa und brachten die geheimnisvolle Gefühlswelt der Frau in traumhaften Farben frei zum Ausdruck. Damit hinterließen sie tiefe Spu-ren in der koreanischen Malerei des 20. Jhs.

Park Re-hyun wurde in Jinnampo, Provinz

Pyeongannam-do (heute Nordkorea) gebo-

ren, wuchs aber im südkoreanischen Gun-

san, Provinz Jeollabuk-do, auf. Erst in ihren

20ern ging sie auf die Frauenakademie für

Kunst in Japan, um ihren Traum, Malerin zu

werden, zu verwirklichen. Noch während

des Studiums gewann sie den Großen Preis

der Koreanische Kunstausstellung, was

eine glänzende Zukunft versprach. Parks

künstlerisches Werk kann grob in drei Typen

eingeteilt werden: erstens, Gemälde mit

geometrischen Kompositionen, bei denen

die Bildfläche mittels Techniken des westli-

chen Kubismus aufgeteilt wurde, um tradi-

tionelle koreanische Szenen und Gebräuche

darzustellen. Zweitens, Gemälde mit abs-

trahierten Darstellungen von Volksmotiven

wie Bündel aufgefädelter antiker Münzen

oder runden Strohsitzkissen. Drittens, eine

Objektkunst-Werkreihe mit Webtextil-Relie-

fen auf Leinwand.

Parks thematischer Ansatz ist nicht ein-

fach. Rein motivmäßig gesehen war sie

eine Künstlerin, die v.a. Frauen und Sze-

nen aus dem Korea der vormodernen Zeit

malte, doch eigentlich war sie eine experi-

mentierfreudige Malerin, die auf Grundla-

ge des westlichen Modernismus innovativ

mit Linien, Feldern und Farben arbeite-

te und sich für Form an sich interessierte.

Park war also eine Künstlerin, die sich um

eine harmonische Vereinigung von Ost und

Matriarchinnen der modernen Malerei Choi Youl Kunstkritiker

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Page 17: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 17

West bemühte. Ihre Textil-Reliefarbeiten,

mit denen sie erst in ihren 50ern begann,

sind Resultat ihrer Bestrebungen, das

Feminine im Alltag in die Kunst zu überfüh-

ren. Mit dem Anhängen von alten Joseon-

Münzen auf Textil-Reliefe versuchte sie,

Tradition und Moderne, Frauenalltag und

-arbeit sowie die Atmosphäre der Märkte

zu mischen. Durch unaufdringliche Farben,

delikate Texturen sowie imposante und den-

noch gezügelte Kompositionen verwandel-

te sich ihre Leinwand in einen mysteriösen

Raum von anmutiger Feinheit.

Chun Kyung-ja 1924 auf der Halbinsel

Goheung, Provinz Jeollanam-do, gebo-

ren, ging mit 16 auf die Frauenakademie für

Kunst in Japan. Während ihres Studiums

wurde ihr Werk für die Koreanische Kunst-

ausstellung angenommen. Nach der Befrei-

ung von der japanischen Kolonialherrschaft

arbeitete sie als Kunstlehrerin und begann

ihre Karriere als Malerin. Anfänglich kon-

zentrierte sich Chun auf die wirklichkeits-

getreue Abbildung von Objekten, aber der

Koreakrieg (1950-1953) brachte große Ver-

änderungen in ihrem Schaffen. Der Krieg

erschütterte die Grundfesten der Kunstwelt

der Malerin, die damals in ihren 30ern war.

Nun ließ sie die Motive und Farben, die sie in

ihrer Realität und ihren Träumen entdeckte,

mutig und frei auf die Leinwand fließen. Mit

Arbeiten von prächtiger Dekorativität und

mutiger, mysteriöser Vorstellungskraft begann Chuns Phase

des Fantastisch-Visonären. Unter dem Thema der „sinnlichen

Weiblichkeit“ schuf sie durch die Fusion von Natur und Mensch

ein „Utopia der Frauen“, zu dem nur Frauen Einlass fanden. Mit

den Regeln der Perspektive brechend, verwendete sie in ihren

Kompositionen die mehrperspektivische Darstellung der tra-

ditionellen Malerei der Joseon-Zeit und füllte die Bildfläche mit

überall verstreuten Objekten, was den mysteriösen Gehalt ver-

stärkte. Mit geschickter Hand verwendete sie prächtige Far-

ben, die ihren Bildern nicht nur Sinnlichkeit vermittelten, son-

dern auch anmutige Vornehmheit.

Obwohl Park und Chun jeweils andere Themen und Ausdrucks-

formen erkundeten, ähnelten sie sich darin, dass sie Menschen

und Objekte ihrer eigenen Logik, Sensitivität und Fantasie ent-

sprechend transformierten. Park schuf ihren originären Stil,

indem sie zwar der in der Nachkriegszeit herrschenden Logik

der Kunstwelt treu folgte, aber gleichzeitig durch eine spezi-

fisch weibliche Sensitivität und Rekonstruktion von Objekten

ihre eigene, ganz individuelle Ausdruckssprache kreierte. Chun

lehnte die Logik der damaligen Kunstwelt zwar ab, doch fand

auch sie ihren individuellen Stil, indem sie weibliche, instinktive

Sensitivität und traumhaften Fantasien in voller Pracht explosi-

onsartig auf die Leinwand brachte. In dieser Hinsicht können die

beiden Malerinnen als Weggefährtinnen gelten.

4

3

1.

TheOriginB

(1972)vonParkRe-hyun,50,5x37cm,Radierung,Schabblatt,NationalmuseumfürModerneundZeitgenössischeKunst.ParkwandtedieGestaltungsformendeswestlichenModernismusanundschuftiefgründige,innovativeArbeitenausLinien,FlächenundFarben.

2.

ParkRe-hyunundihrMann,derMalerKimKi-chang,inihremStudiozuHause

3.

ChunKyung-jaerklärtihrWerkSchöneFrau(1977).4.

“Page22inMySorrowfulLegend”(1977),FarbeaufPapier,43.5×36cm,MitderihreigenenweiblichenSensitivitätschufChuneinUtopiaderFantasie,indemsieNaturundMenschverschmolz.

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18 KOREANA Frühjahr 2015

SPEZIAL 4Pioniere der modernen Kunst

Stern der koreanischen FarbmalereiPark Young-taekProfessor an der Kyonggi University, Kunstkritiker

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 19

Park Saeng-kwang (1904-1985) schlug in einem Zeitalter, in dem das Land unter Schmerz und Chaos der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) litt und neuartige westliche Malstile aufkamen, als Maler einen außergewöhnlichen Weg ein, der seinesgleichen sucht. Park, der in seinen Werken die koreatypische Originalität und Spiritualität traditi-oneller Bildmotive zum Ausdruck brachte, gilt als einer der repräsentativsten koreani-schen Maler des 20. Jhs.

Kurz nachdem die westliche Kunst Anfang des 20. Jhs in Korea

Einzug gehalten hatte, geriet Korea unter japanische Kolo-

nialherrschaft. Im Zuge der aufoktroyierten Modernisierung

mussten die koreanischen Maler ihre eigene Geschichte der Kunst

schreiben, die nicht in der Weiterführung der Tradition bestand,

und erkundeten im Spannungsfeld von traditionellem und westli-

chem Stil die „nationale Kunst“. Andererseits gab es auch das Phä-

nomen der blinden Verehrung und Akzeptanz der westlichen Male-

rei, bedingt durch Ignoranz und Geringschätzung der traditionellen

Malerei. In dem Bestreben, die westliche Kunst nachzuahmen, ver-

lor die Kraft der mythischen Spiritualität und religiösen Magie, die

der traditionellen koreanischen Kunst mit ihrer Jahrtausende alten

Geschichte innewohnte, immer mehr an Boden. Während das unbe-

strittenermaßen die vorherrschende Haltung war, gab es aber auch

Maler, die sich im Mahlstrom des Chaos ihren eigenen Weg bahnten.

Park Saeng-kwang ist wohl das herausragendste Beispiel dafür.

Studium in JapanAls Sohn einer der Mittelschicht angehörenden Bauernfamilie in

Jinju, Provinz Gyeongsangnam-do, geboren, lernte Park Saeng-

kwang bis in die frühen Teenagerjahre in der konfuzianischen Dorf-

schule die chinesischen Klassiker. Danach erhielt er an der Jinju

Jeil Volksschule und der Jinju Landwirtschaftsschule eine moder-

ne Ausbildung, bevor er 1920 zum Kunststudium nach Japan ging.

1923 wurde er in die Städtische Malereifachschule Kyoto aufgenom-

men, wo er zwei Jahre unter renommierten Malern lernte, darunter

Takeuchi Seiho (1864-1942), Meistermaler des Kyoto-Kunstkreises

der Nihonga (Malerei japanischen Stils), Murakami Kagaku (1888-

1939) und Tsuchida Bakusen (1887-1936). Vermutlich war Park

jedoch kein ordentlicher Student, sondern eine Art Praktikant.

In den 1910er und 1920er Jahren blühte in Japan die sog. Taisho-

Demokratie, unter der die westliche Kultur in vollen Zügen aufge-

nommen wurde und der ganze Kulturbereich sich frei entfaltete. Im

Kunstkreis von Kyoto experimentierte man mit neuen Nihonga-Sti-

len, sodass diese Zeit in der Geschichte der modernen japanischen

Malerei auch als „Zeit des schöpferischen Brodelns” beschrieben

wird, in der vieles zur Blüte gebracht wurde. Stark beeinflusst von

der Stimmung der Zeit entwickelte Park Saeng-kwang seinen eige-

Kaiserin Myeongseong (1984), 330 x 200 cm, Farbe auf Papier. In den 1980er Jahren begann Park Saeng-kwang auf Basis der Erkundung von Buddhismus, Schamanismus und Porträts historischer Persönlichkeiten seinen eigenen, individuellen Stil zu entwickeln.

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20 KOREANA Frühjahr 2015

nen Stil der Farbmalerei auf Basis des in der Schule Gelernten: An

der realitätsgetreuen Skizzierung festhaltend, verfeinerte er seine

Technik zur genauen Abbildung von Formen und Strukturen und

übte sich streng in der Linienführung. In der Kolorierung übernahm

er den intensiven und kraftvollen Stil der Landschaftsmalerei der

chinesischen Nord-Schule.

Nach Abschluss des Kurses an der Fachschule zog er 1926 nach Tokio,

wo er mit 22 Jahren bei Ochiai Rofu (1896-1937) in die Lehre ging. Ochi-

ai war eine der führenden Figuren der neuen hyperrealistischen Schu-

le des Neo-Nihonga und bekannt für die betont flache Gestaltung sei-

ner Malereien, die aber gleichzeitig mittels leuchtender, klarer Farben

einen räumlichen Eindruck vermittelten. Als Angehöriger des Meirou

Kunstinstituts von Ochiai nahm Park an verschiedenen Ausstellun-

gen wie der Meirou Kunstausstellung teil und baute seine Karriere als

Maler auf. 1930 wurde er bei der 9. Koreanischen Kunstausstellung,

einem in Seoul veranstalteten Kunstwettbewerb unter Federführung

des japanischen Generalgouverneuramts, in der Kategorie „Westliche

Malerei“ für sein Werk Zeichnung Nr. 2 ausgezeichnet. 1931 wurde im

selben Wettbewerb sein Werk Gemüsebeet in der Kategorie „Östliche

Malerei“ angenommen. Er wechselte also frei zwischen östlicher und

westlicher Malerei und eine Abgrenzung von Genres war für ihn ohne

großen Belang. Zu dieser Zeit malte er meistens realistische, dekora-

tive Bilder in zarten Farben.

Ausdruck des „Asiatischen“Nach 25 Jahren in Japan kehrte er im Januar 1945 als Mann im

mittleren Alter und Vater von zwei Söhnen nach Korea zurück.

Doch das Leben in der Heimat war arm und hart. 1974 zog er nach

Tokio zurück, um „sich selbst auf die Probe zu stellen“, so seine

Begründung. „Mit meinem ganzen Körper möchte ich eher das

Asiatische als das Japanische zum Ausdruck bringen. In diesem

Bestreben male ich. Als Teil von Asien möchte ich östliche Malerei

mit östlichem Geistesgehalt schaffen, ohne Einschränkung auf ein

bestimmtes Land, sei es Korea oder Japan. Die Ausdrucksweise ist

dabei einfach nur in der japanischen Malerei angesiedelt.“

1975 stellte er drei Mal in Tokio aus und jeweils einmal in Osaka und

Nagoya. Mit diesen Soloausstellungen wollte er sich die finanziel-

le Grundlage für einen Langzeitaufenthalt in Japan schaffen, doch

seine Gemälde scheinen sich nicht gut verkauft zu haben. Schließ-

lich brach er 1977 seine Zelte in Tokio ab und kehrte endgültig

nach Korea zurück. Da er jedoch den größten Teil seines Lebens in

Japan verbracht hatte, blieb er ein Außenseiter in der koreanischen

Kunstszene. Dort versuchte man nach der Befreiung 1945 beflis-

sentlich alle Spuren der japanischen Malerei zu beseitigen, wandte

sich entsprechend von der Farbmalerei ab und setzte sie herab. Die

Farbmalerei japanischen Stils hatte sich während der Kolonialzeit

in Korea weit verbreitet und die meisten Künstler hatten sich ihrem

Einfluss nicht entziehen können. Als Gegenreaktion wurde jetzt die

traditionelle Tuschemalerei der Literati als einzige Alternative zur

Farbmalerei betrachtet, auch wenn das völlig absurd war. Park,

dessen Farbmalerei stark vom japanischen Nihonga beeinflusst

war und der in Korea kaum bekannt war, sah sich in der koreani-

Park fing die typischen Merkmale der traditionellen koreanischen Kunst ein - i.e. die kraftvollen Farben und Motive, die feine Harmonie zwischen Botschaft und Bildkomposition sowie die enormen Maße - und schuf Bilder von einer Art, wie sie bis dahin noch nie gemalt worden waren. Inspiriert von schamanistischen und buddhistischen Malereien verwendete er kraftvolle Primärfarben und eine primitivistische Linienführung mit dicken Umrissen, wodurch er seinen Bildern eine magische Kraft einhauchte, und verband Komponenten von Schamanismus, Buddhismus und Volksglauben zu einheitlichen Bildkompositionen.

1

Page 21: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 21

schen Kunstwelt so gut wie ausgeschlos-

sen. Ironischerweise war es gerade das

Gefühl der Entfremdung und Einsamkeit,

das Park dazu antrieb, seinen unverwech-

selbaren Stil zu kreieren.

Linien und Farben: Wiederbelebung der Kraft der traditionellen koreanischen Malerei Ab den 1980er Jahren entwickelte Park Saeng-kwang auf Basis

seines Interesses an Buddhismus, Schamanismus sowie Porträts

von historisch bedeutenden Persönlichkeiten und seiner diesbe-

züglichen Forschungen seinen eigenen, originären Stil. Dass er für

sein Ziel, eine „zeitgenössische Variation des koreanischen Sinns

für Ästhetik“ zu schaffen, Motivanlehnungen bei Volksmalerei,

buddhistischen Wandgemälden und antiken Kunstgegenständen

machte, scheint in gewisser Hinsicht mit dem Klima in der damali-

gen Kunstwelt zusammenzuhängen. Ab den späten 1970er Jahren

thematisierte man die Wahrung der Tradition, wodurch Volksmale-

rei, Bildnisse schamanistischer Gottheiten und buddhistische Male-

rei in den Fokus des Interesses rückten. Dieser Trend beeinflusste

auch Park, dessen nach realistischer Farbdarstellung strebende

Stil ihm den Zugang zu dieser Art von Malerei erleichterte. Er fing

die typischen Merkmale der traditionellen koreanischen Kunst ein

- i.e. die kraftvollen Farben und Motive, die feine Harmonie zwi-

schen Botschaft und Bildkomposition sowie die enormen Maße -

und schuf Bilder von einer Art, wie sie bis dahin noch nie gemalt

worden waren. Inspiriert von schamanistischen und buddhistischen

Malereien verwendete er kraftvolle Primärfarben und eine primi-

tivistische Linienführung mit dicken Umrissen, wodurch er seinen

Bildern eine magische Kraft einhauchte, und verband Komponen-

ten von Schamanismus, Buddhismus und Volksglauben zu einheit-

lichen Bildkompositionen. Besonders der Schamanismus, den Park

mit besonderem Interesse erkundete, ist eng verbunden mit den

Lebensschichten, die dicht mit dem Unterbewusstsein des Volkes

verflochten sind.

Parks Werke bestehen aus beliebig aneinander gereihten Bildfrag-

menten oder komprimierten, deformierten Bildern. Er wandte in

seinen Bildern, die sich durch ihren hochdekorativen Charakter von

den Prinzipien der Perspektive befreit zu haben scheinen, eine fla-

che Darstellungsweise und die Nebeneinanderstellung von Bildob-

jekten an. Die perspektivische Darstellung der westlichen Kunst ist

ein Mittel zur illusionistischen Überwindung der Zweidimensionalität

und spiegelt als solche seine menschenzentrierte Sichtweise wider.

Im Gegensatz dazu wird in der östlichen Malerei die Zweidimensio-

nalität als prinzipielle Voraussetzung eines Bildes respektiert und es

für wichtig gehalten, darin die geistige Energie des Menschen stimu-

lierende Motive darzustellen. Park arrangierte Zeit und Raum tran-

szendierende Objekte frei auf stark dekorativen, flachen Bildflächen.

Auf den ersten Blick wirken seine Bilder primitiv, doch sie bauen eine

einzigartige und tiefgründige Welt auf. Vor allem die orangefarbenen

Linien, die die heterogenen Bildelemente integrieren und einen dyna-

mischen Raum schaffen, sind originäre Bestandteile seines Stils.

Für Park war die Tradition mehr als reine Motivquelle für seine

Malerei. Er versuchte beim Malen vielmehr ihre wahre Bedeutung

und ihren Geist sowie die Magie der Motive wiederzubeleben. Dank

ihm wurden die koreanische Volksmalerei sowie die schamanisti-

sche und buddhistische Malerei neu aufgewertet und verstanden.

Durch seine Bilder fand die in Vergessenheit geratene traditionel-

le koreanische Malerei ihre ursprüngliche Kraft, ihren Inhalt und

ihren Gebrauch wieder.

Inmitten von Armut und Einsamkeit entfaltete Park beständig seine

eigene Kunstwelt. Seine Werke von kunsthistorischer Bedeutung

entstanden allesamt in den 1980er Jahren. Seine Farbmalerei-

en mit tanzenden, intensiven Farben, in denen aus buddhistischen

Gemälden, aus Volksmalereien und Darstellungen schamanisti-

scher Gottheiten frei aufgegriffene Motive und Muster verschmol-

zen sind, kamen als Segen und suchen ihresgleichen. Sie versetz-

ten den damaligen Malern, für die Farbmalerei nur in der mecha-

nischen Wiederholung von Porträts schöner Frauen und Blumen-

bildern bestand, einen großen Schock. Danach lehnten sich viele

Maler an Parks Werke an und als Resultat konnten die Kunstkreise

der traditionellen östlichen Malerei Mitte der 1980er Jahre einen

Schritt nach vorne machen und sich von der Tuschemalerei mit

ihren überkommenen Motiven ein Stück lösen.

Viele waren erstaunt über die enorme Menge an Meisterwerken,

die Park vor seinem 80. Geburtstag hervorbrachte. Er starb mit

81 Jahren an Kehlkopfkrebs. Sein Tod kam plötzlich, sodass er die

Früchte seiner Mühen nicht mehren und genießen konnte. Doch

die hinterlassenen Werke, die er in der kurzen Zeit vor seinem Tod

schuf, reichten aus, um Park Saeng-kwang als neuen Stern am

Himmel der Farbmalerei aufgehen zu lassen.

1.

Schamanin

(1981),136x136cm,FarbeaufPapier.InspiriertvonschamanistischenundbuddhistischenMalereienließParkprimitiveTechnikenwieleuchtendeFarbenunddickeUmrisseinseineArbeiteneinfließen,diedadurchanmagisch-spirituellerKraftgewannen.

2.

ParkSaeng-kwang,dessenArbeitenstarkvonmodernerjapanischerMalereibeeinflusstwaren,kehrteinseinenspäterenJahrennachKoreazurück,woersichinderEinsamkeitseinerletztenTageganzseinerKunstverschrieb.

2

Page 22: Koreana Spring 2015 (German)

22 KOREANA Frühjahr 2015

A ls Park Soo-keun (geb. 1914) 1965 verstarb, war er nur 51,

also im besten Alter für einen Maler. 1957, acht Jahre davor,

hatte er einen Wettbewerbsbeitrag bei der staatlich organi-

sierten Nationalen Kunstausstellung zur Förderung der Kunst ein-

gereicht, um nur die bittere Pille des Scheiterns zu schlucken. Zu

der Zeit hatte er in der koreanischen Kunstszene bereits Anerken-

nung gefunden, seine Werke waren schon mehrfach zu Ausstellun-

gen des Koreanischen Kunstverbandes zugelassen worden und auf

der Ausstellung von 1955 wurde er sogar mit dem Preis des Vorsit-

zenden des parlamentarischen Ausschusses für Kultur und Bildung

ausgezeichnet. Und dann sollte er auf einmal durchgefallen sein!?

Es heißt, Park brach in Tränen aus. Noch weniger war zu verstehen,

dass er nur zwei Jahre später, 1959, auf eben dieser Ausstellung zum

Empfohlenen Maler bestimmt und 1962 zum Juroren ernannt wurde.

Selbstverständlich nahm er diese Ehrungen an.

Dass Park, ein autodidaktischer Maler mit Grundschulabschluss,

zum Empfohlenen Maler und Preisrichter einer staatlichen Kunst-

ausstellung ernannt wurde, bewies schon, dass er rein positionsmä-

ßig gesehen hohes Ansehen in der damaligen koreanischen Kunst-

welt genoss. In Wirklichkeit kamen solche Schachzüge der tonan-

gebenden Kräfte in der Kunstszene eher einem Akt der Verhöhnung

gleich. Die Tränen des nicht mehr jungen Malers waren Ausdruck

der inneren Resistenz, die sein sanftmütiges Herz entwickelt hatte.

Diese Resistenz führte schließlich zu Leberzirrhose, Grauem Star,

Nierenentzündung und Hepatitis. Die Armut, der er sein ganzes

Leben lang nicht entkommen konnte, und die mächtigen Cliquen der

koreanischen Kunstkreise bereiteten Park, der weder über Alumni-

Netzwerke noch sonstige Beziehungsnetzwerke als Rückhalt ver-

fügte, endlose Qual, so dass er schließlich in noch viel zu jungen Jah-

ren die Welt verlassen musste.

Traum vom Einfangen des AlltagsAls Grundschüler wanderte Park Soo-keun durch Berge und Felder

und zeichnete mit einiger Geschicktheit alltägliche Dorfszenen wie

auf dem Hof arbeitende Frauen oder Dorfbewohner beim Sammeln

von Wildgemüse. Nachdem er eine Kopie von Jean-François Millets

Das Angelusgebet (1857-59) gesehen hatte, keimte in ihm der vage

Wunsch, ein so großer Maler wie der französische Künstler zu wer-

den. Millets Streben, das, was er sah, möglichst getreu darzustellen

und so gut wie möglich zum Ausdruck zu bringen, wurde auch Parks

Traum. Millets Kunstwelt zog ihn völlig in ihren Bann und Park mühte

sich, seinem Vorbild entsprechend die natürliche Landschaft seines

Heimatortes und den Alltag der darin lebenden einfachen Menschen

wirklichkeitsgetreu abzubilden.

Ungeachtet dieser reinen, heißen Leidenschaft erlaubten die Fami-

lienverhältnisse es nicht, Park eine ordentliche künstlerische Aus-

blidung zukommen zu lassen. Also setzte er seine Malübungen

alleine fort und als er 18 war, wurde eins seiner Werke für die Kore-

anische Kunstausstellung, die damals das einzige Sprungbrett für

eine Künstlerkarriere war, ausgewählt. Danach arbeitete er zwar als

professioneller Maler, doch da er ständig mit der Armut zu kämp-

fen hatte, begann er 1953 schließlich, für die amerikanische Militär-

strafverfolgungsbehörde (Criminal Investigation Command) Bilder

zu malen und arbeitete danach auch als Porträtmaler im PX-Laden

auf der US-Militärbasis in Seoul. Er wurde daher zwar als „Plakat-

maler“ abgestempelt, aber mit dem so verdienten Geld konnte er

sich wenigstens eine Bleibe im Hüttenviertel Changsin-dong am

damaligen Stadtrand von Seoul leisten. In dieser Zeit machte er die

Bekanntschaft von Maria Henderson, Gemahlin eines Attachés der

amerikanischen Botschaft, Margaret Miller, einer Kunstliebhabe-

rin aus Kalifornien, sowie der Kunsthändlerin und -sammlerin Celia

Zimmerman, die zu Parks größten Mäzeninnen in seinen letzten Jah-

ren werden sollten.

Es waren denn auch keine koreanischen, sondern solch amerikani-

sche Förderer, die Parks Werke aufrichtig lobten, seine Arbeit unter-

stützten und schließlich für den mittlerweile 48-jährigen Maler, der

Choi Youl Kunstkritiker

Der „nationale Maler“, der die Schwermut der Zeit ins Lyrische transzendiertePark Soo-keun ist ein autodidaktischer Maler, der durch endloses Üben eine ungekünstelte Ästhetik der Schlichtheit und eine Ästhetik des Archaisch-Rauen erreichte. Sein unverwechselbar originärer Stil, der sich den unergründli-chen Geheimnissen des Universums nähert, ist in seiner Art unnachahmlich. Er repräsentiert die obersten gestalte-rischen Höhen, die die koreanische Kunst der Zeit erreichen konnte, und setzte Maßstäbe für das Zeitalter.

SPEZIAL 5Pioniere der modernen Kunst

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 23

Er hatte weder Lehrer noch Tradition zu folgen. Er war so frei, dass er sich seinen eigenen Weg suchen konnte. Ohne renommierte Kunstschule im Rücken konnte er sich nicht an der Politik der Kunstwelt beteiligen und hatte auch keinerlei Interesse daran. Während er zwischen Gangwon-do, Seoul und Pjöngjang wandernd mehr schlecht als recht lebte, schaffte er es allein und durch schiere Hartnäckigkeit als Maler voranzukommen. Er brachte nur das auf die Leinwand, was er wirklich darauf bringen wollte, und hielt ungeschminkt das harte, aber schöne Leben der Menschen um ihn herum fest.

1. MädchenbeimMurmelspiel(1960s),22x30cm,ÖlaufHolzfaserplatte

2. ParkSoo-keunzuHausemitseinenGemälden,seinerFrauKimBok-sunundderzweitältestenTochterIn-ae(1959)

1

2

© G

alle

ry H

yund

ai

noch nie eine Solo-Ausstellung gehabt hatte, 1962 die erste Sonder-

ausstellung auf dem Stützpunkt der US-amerikanischen Luftstreit-

kräfte in Pyeongtaek auf den Weg brachten. Auch wenn die Ausstel-

lung nur in der Bibliothek der Militärbasis stattfand, so war sie für

Park Soo-keun doch die erste, aber gleichzeitig auch die letzte Ein-

zelausstellung.

Auf dem Weg zum Maler, hartnäckig und allein 1958, ein Jahr nach dem Debakel bei der Nationalen Kunstausstel-

lung, wurde bekannt, dass Parks Werke auf der East and West Exhi-

bition in San Francisco, einer von der amerikanischen UNESCO-

Kommission geförderten Kunstausstellung, und auf der Ausstellung

der Zeitgenössischen Koreanischen Malerei der World House Gal-

leries in New York ausgestellt wurden. Ein Jahr später wurde er auf

der Nationalen Kunstausstellung in Seoul zum Empfohlenen Maler

gekürt und erhielt eine Einladung zur dritten Ausstellung Zeitgenös-

sischer Künstler, die von der Tageszeitung The Chosun Ilbo organi-

siert wurde. Dank seines Erfolgs in Übersee konnte Park also die

Hürden der koreanischen Kunstwelt überwinden – ein zugestande-

nermaßen trauriges Selbstbildnis der koreanischen Gesellschaft des

20. Jhs, die dem Westen blindlings folgte.

Dass Park abseits der Strömungen der damaligen koreanischen

Kunstwelt stand, hatte aber auch positive Aspekte: Er hatte weder

Lehrer noch Tradition zu folgen. Er war so frei, dass er sich sei-

nen eigenen Weg suchen konnte. Ohne renommierte Kunstschule

im Rücken konnte er sich nicht an der Politik der Kunstwelt beteili-

gen und hatte auch keinerlei Interesse daran. Während er zwischen

Gangwon-do, Seoul und Pjöngjang wandernd mehr schlecht als

recht lebte, schaffte er es allein und durch schiere Hartnäckigkeit als

Maler voranzukommen. Er brachte nur das auf die Leinwand, was

Page 24: Koreana Spring 2015 (German)

24 KOREANA Frühjahr 2015

er wirklich darauf bringen wollte, und hielt ungeschminkt das harte,

aber schöne Leben der Menschen um ihn herum fest.

Die meisten jungen Künstler, die unter der japanischen Kolonial-

herrschaft in den 1930er Jahren aktiv waren, malten mit Blick auf

den Durchbruch bei einem der verschiedenen Kunstwettbewer-

be und befassten sich daher mit dem „für Joseon typischen Lokal-

kolorit“, der als Bewertungsrichtlinie galt. Zu dieser Zeit war auch

Park ein aufstrebender Maler Anfang 20, der unter den Härten des

Lebens litt. Er träumte nicht einmal vom Großen Preis, sondern hoff-

te nur darauf, dass seine Arbeiten überhaupt für die Ausstellungen

angenommen wurden. Stets ein Einzelgänger in der koreanischen

Kunstszene, hatte er niemanden, mit dem er seine Einsamkeit tei-

len konnte. Erst in den 1940er Jahren knüpfte er Beziehungen zu

„richtigen“ Malern an: Er verkehrte mit Choi Young-lim (1916-1985),

Chang Lee-suok (geb. 1916) und Hwang Yu-yop (1916-2010), als er

in der Abteilung Soziales der Provinzregierung Pyeongannam-do

(heute Nordkorea) einen Bürojob fand. Im gleichen Jahr heiratete

er sogar, wurde schließlich Vater eines Sohnes und konnte trotz des

kümmerlichen Gehalts ein einigermaßen gesichertes Leben führen.

Wahrscheinlich war die Zeit bis zum Jahr 1944 die glücklichste Phase

in seinem Leben. Zusammen mit seiner Frau Kim Bok-soon (1922-

1979), die seine treue Lebensgefährtin und gleichzeitig sein einziges

Modell war, kämpfte er sich durch alle Schwierigkeiten.

Moderner Sinn für UrbanitätPark war ein Künstler, der sich die Tradition mit einem modernen

Sinn für Urbanität vollständig zu eigen machte. Er selbst hatte seine

Lebensgrundlage vom Land in die Stadt verlegt, wo er schließlich

nach einiger Zeit des Herumdriftens am Stadtrand unter großen

Schwierigkeiten Fuß fasste. Dementsprechend verlagerten sich die

Motive seiner Werke von Gestern auf Heute, vom Klassischen auf die

Moderne. Der Kunstkritiker Lee Kyung-sung (1919-2009) schrieb ein-

mal: „Dass Park ländliche Motive, die leicht monoton und klischee-

haft wirken können, als Sujet nahm und sie nicht in minderwertige

Landschafts-Hobbymalerei herabgleiten ließ, sondern sie zu einer

reinen, hohen Lyrik der Nation sublimierte, ist Beweis für sein Talent.

Vielleicht ist dies auch eher Manifestation seines ungekünstelten

Charakters als seines Talents. Die Schlichtheit seiner Werke rührt

außerdem von daher, dass er dem Wesen nach — so lange er auch

malen mag — für immer bis zum gewissen Grad ein Amateurmaler

ist und bleiben wird. Seine Werke sind von einer primitiven Gesund-

heit, die weder durch technische Geschicktheit noch durch künstleri-

sche Finesse befleckt ist. Ein Maler dieser Art wird nicht einfach und

allein aus der Kraft seiner eigenen Anstrengungen geboren, sondern

ist ein natürliches Produkt seiner Zeit und seines Umfelds.“

Park Soo-keun begann als Amateur, der keine Ahnung von akade-

mischen Theorien oder Techniken hatte, und konnte nicht anders,

wenn auch nicht bewusst, als das Lokaltypische des kolonialisier-

1.

MädchenmitBabyaufdemRücken

(1953),28x13cm,ÖlaufLeinwand

2.

DerWegnachHause

(1965),20,5x36,5cm,ÖlaufHolzfaserplatte

1

Page 25: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 25

ten Landes zum Thema seines künstlerischen Schaffens zu machen.

Von seinen Erstlingswerken aus den 1930er und 1940er Jahren ist

heute so gut wie keins mehr erhalten. Seine Werke aus dieser Zeit,

die heute nur noch als Fotografien existieren, bestehen meistens

aus kurvigen Linien und weisen Sorgfalt und Grobheit zugleich auf.

Ab den 1940er Jahren begann er, mit dicken Farbschichten und brei-

ten Umrissen zu malen, wobei seine Bemühungen, das Objekt durch

Schattierung und Komposition abzubilden, stärker hervortraten.

Parks Ölmalerei Frauen beim Ausgraben von Wildgemüse – Früh-

ling aus den 1940er Jahren, die die Komposition seines Aquarells

Frühling aus dem Jahr 1937 getreu kopiert, und das Gemälde Frau

am Mühlstein, das vermutlich aus den späten 1940er Jahren stammt,

sind entsprechende Beispiele dafür.

Mitte der 1950er Jahre zeigen Parks Werke eine deutliche Tendenz

zur Stilisierung: Die Objekte wurden verflacht dargestellt, die Lini-

en einfacher und gerader. Gute Beispiele dafür sind Frau am Mör-

ser und Waschplatz (beide 1954) oder Baum und zwei Frauen (1962).

Park trug mehrere Farbschichten auf und schuf so eine unebe-

ne Oberflächentextur ähnlich den verwebten Fäden eines Stoffes.

Dadurch gelang es ihm, die Oberflächenbeschaffenheit traditioneller

Granitskulpturen zu imitieren. Damals erwähnte er, dass er bei tra-

ditionellen koreanischen Steinpagoden und steinernen Buddhafigu-

ren die Quelle einer unbeschreiblichen Schönheit entdeckt habe, die

er in seine bildnerische Gestaltungssprache aufzunehmen bemüht

sei. 1962 beschrieb er seine Werke und seinen Malstil wie folgt: „Der-

zeit verfolge ich einen symbolistischen und impressionistischen Mal-

stil und bemühe mich, schöne Bilder zu schaffen.“ Das, was er zu

symbolisieren suchte, war wohl das „Leben des Zeitalters“. Für Park,

der die Stadt und den Krieg erlebt hatte, wurden Rustikalität und

Schlichtheit zu symbolischen Motiven. Auch das Leben der einfachen

Bürger am Rande der Stadt, das er erneut als Sujet aufgriff, erhielt

allmählich die Form eines symbolischen Motivs wie Mythen und

Legenden, die in die Steinbuddhas eingegangen waren. Sein Interes-

se hatte sich unversehens auf „Bilder, die die Quelle der Schönheit

spüren lassen“, verlagert bzw. auf „schöne Bilder“.

Park Soo-keun nahm die Stimmung der kapitalisierten Stadt in seine

Bilder auf, wobei er beständig nach Stilisierung strebte. In der Nach-

kriegszeit verkörperten seine Werke die Avantgarde schlechthin auf

eine Weise, die kein anderer nachzuahmen vermochte. Nur durch

Heiterkeit und Ernsthaftigkeit erreichte Park über seine unvergleich-

liche Originalität hinaus mühelos den modernsten Stil seiner Zeit.

Der Kunstkritiker Lee Kyung-sung erklärte: „Mit Grau als Hauptton

leuchten Weiß, Schwarz und die gelegentlichen Tupfer Blaugrün wie

Sterne auf seinen Melancholie-durchtränkten Leinwänden. [...] Auf

diesen soliden Strukturen trug er Schicht für Schicht die für ihn typi-

schen Farben auf, monoton, doch subtil und zart.“

Park Soo-keun, der während der japanischen Kolonialherrschaft und

anschließend im Krieg und modernen Kapitalismus ein hartes Leben

geführt hatte, fand nach seinem Tod höchste Anerkennung und

wurde zu einem der von den Koreanern besonders geliebten „nati-

onalen Maler“. An der Grenze zwischen Primitiven und Zivilisier-

tem, Land und Stadt, Realismus und Abstraktion sowie Tradition und

Modernität schuf er Lyrizität in reinster Form und erreichte schließ-

lich die ferne Welt des Nirwana.

2

Page 26: Koreana Spring 2015 (German)

26 KOREANA Frühjahr 2015

2014 waren ca. 100 Mio. chinesische Touristen auf der ganzen Welt unterwegs. Mit über 6 Mio. Besuchern stand Korea unter den Reisezielländern an erster Stelle. In Seoul war an allen Touristenattraktionen wie z.B. im Innenstadtviertel Myeong-dong, auf dem Namdaemun-Markt oder an den Straßen und Spazierwegen entlang des Flusses Cheonggye-cheon überall Chinesisch zu hören und Laden- oder Informationsschilder mit chinesischen Schriftzeichen sind in der Hauptstadt bereits ein alltäglicher Anblick.

L aut der Nationalen Tourismusorganisation der Volksrepublik

China waren im letzten Jahr die beliebtesten Reiseziele der

Chinesen Hongkong, Macau und Korea. Da Macau und Hong-

kong chinesische Sonderverwaltungszonen sind, kann man sagen,

dass Korea das beliebteste Auslandsreiseziel für die Chinesen war.

Dass die Zahl der chinesischen Touristen so drastisch gestiegen ist,

ist v.a. dem Zusammenspiel verschiedener begünstigender Faktoren

wie der Korea-Welle in China, der geographischen Nähe, Hongkongs

Beschränkung der Besucherzahlen aus Festland-China und dem

Konflikt zwischen Peking und Tokio zu verdanken.

Chinesische Touristen: neue Antriebskraft für koreanische TourismusbrancheDer rasante Anstieg der Zahl chinesischer Touristen revitalisiert

die koreanische Tourismusbranche und den Binnenmarkt. Ange-

sichts der zunehmenden Bedeutung für die koreanische Wirtschaft

ist für die Besucher aus China sogar der respektvolle Neologismus

„Youke“ (遊客, wörtlich „der reisende Gast“) aufgekommen. Laut

der Koreanischen Tourismusorganisation KTO geben die Youke

während ihres Koreabesuches sagenhafte 82,8% ihres Reisebud-

gets für Shopping aus. Das heißt, die absolute Mehrheit der chi-

FOKUS

Vorteile und Herausforderungen

Kim Bo-ramJournalistin, Hankyung Magazin

Sprunghafte Zunahme der Zahl chinesischer Touristen

Page 27: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 27

Bis vor kurzem sind die meisten chinesischen Touristen hauptsächlich zum Shoppen nach Korea gekommen. Sie kaufen Markenartikel in den Duty-Free-Läden am Flughafen, in der Innenstadt oder im Kaufhaus, aber auch massenweise Niedrigpreis-Produkte auf den traditionellen Märkten wie dem Dongdaemun-Markt.

nesischen Touristen kommt hauptsächlich zum Einkaufen nach

Korea. Sie erwerben nicht nur hochwertige Markenwaren in den

Duty-Free-Shops in Flughäfen oder Nobelkaufhäusern, sondern

auch massenweise Niedrigpreis-Produkte in den Einkaufsstraßen

von Myeong-dong oder auf dem Dongdaemun-Markt. Laut Statis-

tik stehen Kosmetika, Kleiderwaren, Lebensmittel und kräuter-

medizinische Zutaten ganz oben auf der Einkaufsliste. Dank der

Kaufkraft der chinesischen Touristen stieg neben dem Umsatz

der koreanischen Markenwarenhersteller auch der der Händler

auf dem Dongdaemun-Markt. Die koreanische Tourismusbilanz

schaffte es so nach zwei Jahren wieder in den Bereich der schwar-

zen Zahlen. Die Youke haben sich also quasi unversehens über

Touristen hinaus zu einer wichtigen Stütze für den gesamten Dis-

tributionsbereich und den Tourismus Koreas entwickelt.

Neben solch erfreulichen Nachrichten, die der Anstieg der chine-

sischen Touristen mit sich bringt, ist aber auch von bedauerlichen

Begleiterscheinungen zu hören. Manche Reiseagenturen, die bil-

lige Pauschalreisen anbieten, planen ihre Touren gezielt mit Blick

aufs Shopping und versuchen, die Touristen zum Kauf zu animieren,

d.h. sie sehen die „reisenden Gäste“ aus China nur als „kaufkräfti-

ge Gäste“. Statt Touren, die den chinesischen Besuchern authenti-

sche Erlebnisse der koreanischen Kultur ermöglichen, bieten solch

umsatzorientierte Agenturen nur Nullachtfünfzehn-Paketreisen

unter dem voreingenommenen Pauschalurteil „Youke = Shoppen“ an,

so die Kritik.

Auf der Suche nach Reiseerlebnissen anderer ArtAngesichts dieser Sachlage macht sich in letzter Zeit eine gewis-

se Veränderung in den Reisevorlieben der Touristen aus China

bemerkbar: Sie möchten zunehmend Land und Leute auf vielfäl-

tigere und besondere Weise erleben. Eins der deutlichsten Phä-

nomene in dieser Hinsicht ist, dass immer mehr Youke die korea-

nische Kultur durch Theater- und Musical-Aufführungen erleben

möchten. Vor allem die sog. nonverbalen Aufführungen, die ohne

Dialoge nur aus Tanz und Körpergestik bestehen, erfreuen sich

zunehmend Popularität. Dadurch, dass die Stärke im nonverba-

Sprunghafte Zunahme der Zahl chinesischer Touristen

Page 28: Koreana Spring 2015 (German)

28 KOREANA Frühjahr 2015

len Theater darin liegt, dass es anders als K-Pop oder TV-Serien

nicht auf die Stars angewiesen ist, wird ein neues Korea-Welle-

Genre erschlossen. Mund-zu-Mund-Propaganda hat bewirkt, dass

nonverbale Aufführungen inzwischen auch bei Pauschalreisen ein

Muss geworden sind.

Laut PMC Production, der Produktionsfirma der nonverbalen Per-

formance Nanta, einer unterhaltsamen Comedy rund ums Thema

Kochen, waren während der chinesischen Nationalfeiertage letz-

tes Jahr über 80% aller Besucher des Nanta-Theaters in Myeong-

dong chinesische Touristen. Der Gewinner des Events anlässlich der

Erreichung der 10-Millionen-Besuchermarke der Nanta-Aufführung

war ebenfalls ein Chinese, der sich die Performance am 29. Dezem-

ber 2014 ansah. Noch bis vor ein, zwei Jahren war die Halle gefüllt

mit Gruppenreisenden, aber heutzutage kommen immer mehr Indi-

vidualtouristen ins Theater. Es ist nicht mehr so selten, dass sich auf

eigene Faust reisende Touristen vor ihrem Koreabesuch Tickets für

bestimmte Vorstellungen über die chinesische Webseite Hanyou-

wang (www.hanyouwang.com) buchen, über die die meisten chinesi-

schen Touristen Informationen über Korea erhalten sollen.

Auffällig ist auch, dass sich die Youke nicht länger auf Seoul als Rei-

seziel beschränken, sondern allmählich auch andere Regionen

Koreas erkunden, ein Wandel, der von jüngeren Touristen auf der

Suche nach Reisen mit individuellerer Note ausgelöst wurde. Zu den

neuen Hotspots zählen unter anderem die Insel Jeju-do, der Strand

Haeun-dae in Busan und die Provinz Gangwon-do. Besonders Jeju-

do und Gangwon-do konnten ihre Positionen als All-in-one-Urlaubs-

ziele stärken, da sie neben der reizvollen Natur und Landschaft auch

mit neuen Resortanlagen, Themenmuseen, Unterhaltungseinrich-

tungen und Shoppingzentren werben können.

Korea richtig erlebenAuch das Reiseverhalten erfährt einen Wandel. Während chine-

sische Pauschalreisende bisher in sog. „Fahnentruppen“ einem

Fähnlein-schwingenden Reiseführer hinterherzogen und sich nur

die touristischen Hauptattraktionen in Seoul ansahen, reisen mitt-

lerweile immer mehr Chinesen individuell oder in kleineren Grup-

pen. Nicht nur die Zahl der Individualreisenden steigt, auch die

Qualität des Reisens erhöht sich. Denn da die Zahl der Chinesen,

die zwei, drei Mal nach Korea kommen, nach und nach zunimmt,

ist es entsprechend schwer, die Touristen zufrieden zu stellen, die

über Nullachtfünfzehn-Standardtouren mit Shopping in Myeong-

dong und Duty Free Läden hinaus etwas Neues sehen möchten.

1. Bei den „Youke“ (遊客, chin. Bez. für „Tourist“), die einst als „Fahnentruppen“ einem Reiseführer hinterher eilend von einer Sehenswürdigkeit in Seoul zur nächsten zogen, macht sich ein Wandel im Reiseverhalten bemerkbar.

2. Nonverbale Performances auf Basis von Körpergestik und Tanz gehören zu den neuen Tourismusangeboten für diejenigen Youke, die Korea auf vielfältigere Weise erleben möchten. Hier eine Straßenvorführung der nonverbalen Show Jump.

Die individuell reisenden Touristen aus China zieht es überall hin, wo sie den koreanischen Lifestyle genießen können. Der Trendwandel zu mehr Individualismus führt sie jetzt nicht mehr nur zu den herkömmlichen Touristenattraktionen und in die Shoppingzentren, sondern auch zu den von den jungen Koreanern frequentierten Hotspots wie Itaewon, dem von Bäumen gesäumten neuen Trend-Mekka Garosu-gil im Seouler Südviertel Sinsa-dong, oder lokalen Restaurants, die bislang eher ein Geheimtipp unter Koreanern waren.

1

Page 29: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 29

Die individuell reisenden Touristen aus China zieht es überall hin,

wo sie den koreanischen Lifestyle genießen können. Der Trendwan-

del zu mehr Individualismus führt sie jetzt nicht mehr nur zu den

herkömmlichen Touristenattraktionen und in die Shoppingzentren,

sondern auch zu den von den jungen Koreanern frequentierten Hot-

spots wie Itaewon, dem von Bäumen gesäumten neuen Trend-Mekka

Garosu-gil im Seouler Südviertel Sinsa-dong oder lokalen Restau-

rants, die bislang eher ein Geheimtipp unter Koreanern waren. Die-

ser Wandel steht genau genommen im Einklang mit dem weltweiten

Trend in der Tourismusbranche: Über die einfache Besichtigung der

Touristenattraktionen hinaus wollen sich die Touristen heutzutage

mehr unter die Einheimischen mischen, was sich letztendlich auch

auf das Reiseverhalten der Chinesen auswirkt.

Touristen aus China sind zwar mittlerweile in allen Ecken und Enden

Koreas angekommen, doch touristische Infrastruktur und Dienst-

leistungen lassen noch zu wünschen übrig. Individualreisende, die

von Unterkunft über Fortbewegung im Land und Wahl der Reisezie-

le bis hin zur Verpflegung alles selbst arrangieren müssen, haben

dementsprechend größere Unbequemlichkeiten als Pauschalreisen-

de. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass das öffentliche Ver-

kehrssystem und die Straßenausschilderung in den Regionen ver-

bessert und Kommunikationsinstrumente wie Smartphone-Apps mit

touristischen Informationen, die auch des Koreanischen unkundige

Touristen anwenden können, entwickelt werden.

Nicht wenige Reiseagenturen haben bereits verschiedene substan-

zielle Anstrengungen zur Anlockung weiterer chinesischer Touris-

ten auf den Weg gebracht. Für Individualreisende haben sie z.B. sog.

„Airtel(Flug plus Hotel)-Produkte“ entwickelt und bieten Themen-

orientierte Reiseprogramme wie Medizin-Touren, Touren rund um

die Hochzeit, Touren mit Besuch der traditionellen Märkte usw. an.

Am wichtigsten ist jedoch, sein Augenmerk auf die verschiedenen

Präferenzen der Individualreisenden und den Wandel in den Rei-

sevorlieben zu richten. Es müssen dringend gehaltvolle Reisepro-

dukte mit Inhalten entwickelt werden, die in der jeweiligen Art nur

Korea bieten kann und die einen entsprechend nachhaltigen Ein-

druck hinterlassen, d.h. die chinesischen Besucher sollten wirk-

lich als wertvolle reisende Gäste betrachtet werden und nicht mit

Fokus auf ihre Kaufkraft und den kurzfristigen Gewinn. Es ist an

der Zeit, sich Gedanken über konkrete Maßnahmen, mit denen der

Zustrom chinesischer Touristen weiterhin sichergestellt werden

kann, zu machen, unablässig ein Augenmerk darauf zu haben und

konsequent diesbezügliche Investitionen zu tätigen.

2

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30 KOREANA Frühjahr 2015

Mutter Courage bricht über dem Leichnam ihrer

Tochter in herzzerreißendes Schluchzen aus. Das

Publikum im voll besetzten Drama Theatre des

Opernhauses von Sydney überschüttet die Pansori-Sänge-

rin Lee Ja-ram mit Applaus für ihren von Han, dem typisch

koreanischen Gefühl des inneren Grolls, erfüllten Klage-

gesang. Während der zweieinhalb Stunden, in denen Lee

Ja-ram alle 15 Rollen von Ukchuk-ga, darunter auch die der

Protagonistin Mutter Courage, solo darbot, waren immer

wieder begeisterte Beifallsbezeugungen zu hören. Fiona

Winning, die Programmdirektorin des Sydney Festivals,

sagte: „Da auf dem australischen Theatermarkt Panso-

ri überhaupt nicht bekannt ist, war es eine gewagte Ent-

scheidung, dieses Stück auf die Bühne zu bringen. Umso

mehr freuen mich die große Begeisterung des Publikums

und die unerwartet vielen lobenden Kritiken“. Lee Ja-ram

selbst hatte während der Vorführung das Gefühl, dass

„Hitze aus dem Zuschauerraum emporwallt“.

Ukchuk-ga, bei dem Lee in einer Person für Text, Kompo-

sition der narrativen Gesangsstücke, künstlerische Lei-

tung und Performance zuständig war, ist ein sog. „kre-

atives Pansori-Stück“, angesiedelt an der Schnittstelle

von traditionellem Pansori und westlichem Theater. Es

bewahrt die distinktiven Merkmale des traditionellen

Pansori, einer erzählenden „Ein-Mann-Oper“, in der ein

Solosänger Gesang und schauspielerische Darstellung,

Rezitation und Narration übernimmt, während gleichzei-

tig der dramatische Effekt maximiert wird, indem neben

traditionellen koreanischen Instrumenten andere Ins-

trumente wie afrikanische Schlaginstrumente, Gitar-

re und Bassgitarre eingesetzt werden. Hinzu kommt,

dass Ukchuk-ga zwar auf Brechts Drama basiert, die

Geschichte der starken Frau, die im Krieg ums Überleben

kämpft, jedoch vor der Kulisse des Jeokbyeok-ga spielt,

eine der fünf heute noch erhaltenen traditionellen Panso-

ri-Aufführungen, die die historische chinesische Legende

von der Schlacht am Roten Felsen (208) zur Zeit der Drei

Reiche (ca. 184–280) thematisiert.

Sacheon-ga, ein weiteres kreatives Pansori-Stück von

Lee Ja-ram, das bereits 2008, also noch vor Ukchuk-

ga (2011), präsentiert wurde, beschreibt auf Vorlage von

Brechts Der gute Mensch von Sezuan die Gesellschaft der

Zeit. Im Korea des 21. Jhs versucht die Protagonistin Sun-

deok, „wie ein guter Mensch“ zu leben, hat dabei aber mit

den Widersprüchen des Lebens zu kämpfen. Begleitet von

lebendig leichter Pansori-Musik werden die lächerlichen

und törichten Züge der modernen koreanischen Gesell-

schaft wie Schönheits- und Bildungswahn und grenzen-

lose Konkurrenz aufs Korn genommen. Für diese Vorfüh-

rung wurde Lee 2010 auf dem International Theatre Festi-

val KONTAKT in Polen mit dem Preis „Beste Schauspiele-

rin“ geehrt.

INTERVIEW

LEE JA-RAM

Jungstar des PansoriDie Sängerin Lee Ja-ram (36) ist der neue Star des traditionellen epischen Sologesangs Pansori. Sie ist diejenige, die in der Welt der traditionellen Musik Gugak die Publikumsbasis des Pansori, die sich lange Zeit nur auf bestimmte Altersgruppen beschränkt hatte, ausweitete und Jung und Alt, Männer und Frauen zu Pansori-Aufführungen lockte. Bisher waren alle ihre Vorstellungen ausverkauft, was bei diesem Genre eher selten vorkommt. Sie ist nicht nur in Korea gefragt, sondern auch auf ausländischen Festivals. Ich traf Lee im Januar nach ihrer Rückkehr vom Sydney Festival 2015, wo sie erfolgreich Ukchuk-ga: Pansori Mother Courage aufgeführt hatte, die Pansori-Version von Bertolt Brechts Drama Mutter Courage und ihre Kinder.

Kim Soo-hyun Kolumnistin für Darstellende KunstFotos Cho Ji-young

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Die junge Pansori-Diva Lee Ja-ram schlägt das mit dem epischen Sologesang Pansori nicht vertraute Publikum mit ihrer zarten Stimme und ihrem unaffektierten Auftreten in den Bann.

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32 KOREANA Frühjahr 2015

Lee Ja-ram reflektiert das gegenwärtige Zeitalter im

Spiegel von klassischen Werken und löst universale Sor-

gen und Nöte durch Pansori wie Sachun-ga und Ukchuk-

ga, Stücke, die nicht nur in Korea, sondern auch in ande-

ren Ländern wie z.B. Frankreich, Polen, Rumänien, Bra-

silien und Uruguay erfolgreich aufgeführt wurden. Seit

2011 wird sie jedes Jahr vom Théâtre National Populaire

in Lyon eingeladen.

„Das wahre Ich ist das international ansprechendste Ich“

Kim Soo-hyun Das Drama Theatre des Opernhauses von

Sydney ist berühmt dafür, dass es nur Werke von originärem

künstlerischen Gehalt auf die Bühne bringt. Dass gerade dort

koreanisches Pansori aufgeführt wurde, sorgte wohl deshalb

als spezieller Fall im In- und Ausland für Furore. The Sydney

Morning Herald schrieb, dass die Aufführung „devastating

(umwerfend)“ gewesen sei, und dass selbst Bertolt Brecht

damit zufrieden gewesen wäre. Wie waren die tatsächlichen

Reaktionen vor Ort, wie empfanden Sie sie?

Lee Ja-ram Mir kam es so vor, als ob ich dem Publikum

in einem Land, in dem Pansori ein völlig unbekanntes Genre

ist, erzählt hätte: „DAS ist Pansori, DAS ist Korea!“ In Euro-

pa und Lateinamerika war ich schon öfter, aber da es mein

erster Auftritt im englischsprachigen Raum war, war ich sehr

aufgeregt, ja geradezu ängstlich. Doch dann brach ab Mitte

der Vorführung ein solcher Applaus los, dass ich schon mal

kurz in meiner Darbietung stoppen musste. Es war, wie man

heute sagt, „der Knaller“ und ich spielte in bester Stimmung.

Der Bühnendirektor meinte, dass er in seinen 26 Jahren

am Theater nur selten so viele stehende Ovationen während

einer einzigen Aufführung erlebt hätte.

Kim Was an Ukchuk-ga war so besonders für das Pub-

likum?

Lee Es gibt mehrere Besonderheiten, die das heimi-

sche und ausländische Publikum gleichermaßen begeis-

tern, wie z.B., dass beim Pansori der Solosänger sämtliche

Rollen spielt und voller Konzentration über lange Zeit die

Entwicklung des dramatischen Geschehens voranbringt;

oder dass nicht einfach Töne erzeugt, sondern verschiede-

ne, reiche Stimmtexturen kombiniert und entfaltet werden.

Am meisten hat man jedoch darüber gestaunt, dass

es gelungen ist, eine altehrwürdige Tradition in neuem

Gewand attraktiv zu machen. In den Rezensionen zu mei-

ner Vorführung wurde sogar erwähnt, dass man sich

Überlegungen über die künftige Richtung der westlichen

Oper, dem eigenen traditionellen Genre, machen sollte.

Kim Seit langem sieht sich die koreanische Kunstwelt

vor die Aufgabe gestellt, den Bekanntheitsgrad der korea-

nischen traditionellen Kunst in der Welt zu erhöhen. Dies-

bezüglich sagt man, dass „das typisch Koreanischste das

Internationalste“ sei. Was denken Sie darüber?

Lee Ich würde sagen, dass „das, was meinem Ich am

meisten entspricht, auch das ist, was am internationals-

ten anspricht“. Wenn man auf der Straße die Passan-

ten danach fragen würde, was für sie wohl das Korea-

nischste ist, würde jeder eine andere Antwort geben. Ich

denke, dass das wahre Ich am zeitgenössischsten ist und

das Zeitgenössischste das wahre Ich ist, das die gegen-

wärtige Gesellschaft widerspiegelt. Manche sagen, dass

ich ein repräsentatives Beispiel für die ‚Popularisierung

und Globalisierung der koreanischen traditionellen Kul-

tur‘ sei, aber ich selbst arbeite überhaupt nicht in diesem

Bewusstsein. Ich habe mir einfach Fragen gestellt, auf die

ich Antworten zu finden versucht habe, und dabei konnte

ich Anhaltspunkte zur Kommunikation mit einem breiteren

Publikum finden.

Kim Während einer Pansori-Aufführung kommuniziert

das Publikum aktiv mit dem Pansori-Sänger, indem es

Chuimsae, zustimmende und anfeuernde Zwischenrufe

wie „Eolssu!“, „Eolssigu!“, „Jota! (Prima!)“ oder „Jal handa!

(Macht es gut!)“ von sich gibt. Wie ist es bei den Aufführun-

gen im Ausland?

Lee Ich erkläre den Zuschauern, wie die Anfeuerungs-

rufe in die Vorführung eingestreut werden, folgenderma-

ßen: „Beim Pansori gibt es die sog. Chuimsae-Zwischen-

rufe. Wenn das Publikum Chuimsae zwischenruft, gibt

das dem Pansori-Sänger neue Kraft und Begeisterung.

Ich mache es Ihnen einfach mal vor und dann probieren

wir es zusammen“. Und weil die Zuschauer mich dann

auch irgendwie unterstützen und ermuntern wollen, klat-

schen sie zwischendurch zumindest enthusiastisch, wenn

es schon verbal nicht so richtig klappt. Einmal sagte ich

am Ende der Aufführung zum Publikum: „Ich fühle mich

so, als ob ich jetzt Ihr Freund geworden bin. Genau das

bewirkt Pansori. Ob Sie vorher schon etwas von Pansori

wussten oder nicht: Jetzt haben Sie es erlebt“.

„Die Tradition aufrechtzuerhalten ist meine Berufung“Letztes Jahr hat Lee Ja-ram An Ugly Person/Murder der

Öffentlichkeit vorgestellt, eine Pansori-Reihe, die auf zwei

Erzählungen von Joo Yo-seop (1902-1972) basiert. An Ugly

Person handelt von einer hässlichen Frau, die seit ihrer

Geburt als Monster behandelt wird, und Murder von einer

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 33

Lee Ja-ram bei ihrer zweieinhalbstündigen Solovorführung von Ukchuk-ga: Mutter Courage und ihre Kinder, in der sie 15 verschiedene Rollen spielt.

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Lee Ja-rams liebliches Lächeln und ungeschminktes Gesicht lassen kaum Assoziationen zu ihrer charismatischen, das Publikum überwältigenden Präsenz auf der Bühne aufkommen.

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 35

Prostituierten, die sich zufällig verliebt und auf ihr Leben

zurückblickt. Darüber hinaus hat Lee Gute Reise, Herr Prä-

sident von Gabriel García Márquez als Pansori adaptiert

und in der Konzerthalle der Tongyeong International Music

Foundation aufgeführt. Lee Ja-ram, die auf diese Weise

unermüdlich etwas Neues ausprobiert, sieht in der Auf-

rechterhaltung des traditionellen Pansori ihre Berufung.

Ihr Pansori-Debüt erfolgte, als sie zehn Jahre alt war.

Nach ihrem Auftritt in einem Kinderprogramm über die

traditionelle Musik Gukak wurde sie die erste Schülerin

der Pansori-Diva Eun Hee-jin (1947-2000), von der sie die

Grundtechniken des Gukak lernte. Danach besuchte sie

die Nationale Gukak Mittel- und Oberschule und erwarb

anschließend in der Abteilung für Koreanische Musik

an der Seoul National University ihren B.A.- und M.A.-

Abschluss, d.h. ihr Werdegang entspricht der „orthodo-

xen“ Laufbahn eines Pansori-Sängers. 1999, als sie zwan-

zig war, wurde sie als jüngster Pansori-Interpret, der das

über acht Stunden dauernde Pansori-Stück Chunhyang-ga

durchsang, ins Guiness-Buch der Rekorde aufgenommen.

Sie veröffentliche auch diverse Alben, darunter Sugung-ga,

Jeokbyeok-ga und Simcheong-ga.

Kim Bei den Werken, die nach Sacheon-ga und Ukchuk-

ga auf die Bühne kamen, lassen sich Veränderungen aus-

machen.

Lee Um ehrlich zu sein, gab es Zeiten, in denen mir der

Erfolg von Ukchuk-ga zu viel wurde. Die Belastung, allei-

ne Großbühnen wie das LG Arts Center füllen zu müssen,

wurde mir zu viel. Deshalb habe ich eine Zeit lang solch

große Bühnen gemieden. Die Vortrefflichkeit des Pan-

sori, das ich mag, liegt im Kleinen, Schlichten: einfach in

Baumwollrock und T-Shirt mit einem Fächer in der Hand

auf einer leeren Bühne zu stehen und trotzdem diesen

bewegenden Moment des vollen Erfülltseins zu erreichen.

Das ist mir erst spät klar geworden. Durch Stücke wie An

Ugly Person/Murder oder Gute Reise, Herr Präsident, die

auf kleinen Bühnen aufgeführt wurden, habe ich versucht,

dem ursprünglichen Aufführungsstil des Pansori wie-

der näher zu kommen. Natürlich bin ich in einem Alter, in

dem man noch keine Unterschiede zwischen großen oder

kleinen Bühnen machen sollte. Deshalb bin ich auch ganz

froh darüber, dass mein nächstes Stück, Our Town (Unse-

re kleine Stadt) von dem amerikanischen Schriftsteller

Thornton Wilder), in etwas größerem Rahmen präsentiert

wird. Mir sind einfach nur große Bilder eingefallen, die in

einem kleinen Theater kaum zu verwirklichen sind.

Kim An Ugly Person/Murder wurde mit drei Preisen

ausgezeichnet, darunter auch mit dem „New Concept

Theatre Price“ auf dem Dong-A Theatre Award 2014. Wie

finden Sie die Bezeichnung „Theater Neuen Konzepts“?

Lee Das ist eine Bezeichnung, für die ich dankbar bin.

Sieht man daran doch, dass die koreanische Theaterwelt

Pansori als zu ihrem Genre gehörig akzeptiert hat. Ehrlich

gesagt hatte ich bisher das Gefühl, weder richtig zur Welt

der traditionellen Musik zu gehören, noch zur Theaterwelt.

Der Preis zeigt, dass dem nicht so ist, und kommt als Ermu-

tigung und offizielle Anerkennung. Auch hoffe ich, dass es

ein Anstoß dazu ist, dass der Pansori-Nachwuchs in Zukunft

auch in der größeren Arena namens Theater aktiv sein kann.

Kim Manche meinen, dass das traditionelle Pansori

immer mehr an Boden verliert, während sich der Bereich

des kreativen Pansori immer mehr ausweitet.

Lee Ich denke, dass es wichtig ist, ein Gleichgewicht

zwischen beiden Pansori-Arten zu schaffen. Berichtet wird

zwar hauptsächlich über meine kreativen Pansori-Auf-

führungen, doch habe ich gleichzeitig immer auch traditio-

nelle Pansori-Stücke aufgeführt, was weniger bekannt ist.

So gebe ich z.B. jeden Herbst im Yri Café neben der Hon-

gik University Aufführungen traditioneller Pansori-Stücke,

und das vor vollen Sitzreihen mit jungem Publikum. Ich

denke, das ist Grund zur Hoffnung. Auch wenn es viel Kraft

und Mühe kostet, kann man durch unermüdlichen Einsatz

hier Veränderungen anstoßen.

Kim Welche Pläne stehen nun an?

Lee Zuerst werde ich Gute Reise, Herr Präsident, das in

Tongyeong zum ersten Mal aufgeführt wurde, in Seoul auf

die Bühne bringen. Für den Sommer sind Vorstellungen in

Okinawa geplant und im nächsten Jahr dann in Frankreich,

in Lyon. Ich hoffe, dass ich den Text für Our Town bis Ende

dieses Jahres ausarbeiten kann.

„Ich denke, dass das wahre Ich am zeitgenössischsten ist und das Zeitgenössischste das wahre Ich ist, das die gegenwärtige Gesellschaft widerspiegelt. Manche sagen, dass ich ein repräsentatives Beispiel für die ‚Popularisierung und Globalisierung der koreanischen traditionellen Kultur‘ sei, aber ich selbst arbeite überhaupt nicht in diesem Bewusstsein. Ich habe mir einfach Fragen gestellt, auf die ich Antworten zu finden versucht habe, und dabei konnte ich Anhaltspunkte zur Kommunikation mit einem breiteren Publikum finden.“

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36 KOREANA Frühjahr 2015

HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES

Chyung Mi-sook

Die traditionelle Lebenskultur bewahrenChyung Mi-sook, Direktorin des Korea Furniture Museum (KOFUM), widmet ihr Leben dem Ziel, die über Jahrhunderte weitergegebenen Traditionen der koreanischen Ess-, Kleidungs- und Wohnkultur in authentischer Form zu bewahren und zu präsentieren. Was sie damit zu bewahren sucht, ist die koreanische Seele.

KOFUM-Direktorin Chyung Mi-sook trägt immer

einen Hut. Oft sieht man sie auch mit Arbeits-

handschuhen, Beweis dafür, dass sie hart

arbeitet, und zwar unter der Sonne. Jede Ecke der

über 8.000m2 großen Museumsanlage in dem alten,

noblen Wohnviertel Seongbuk-dong (330-557, Seong-

buk-dong, Seongbuk-gu, Seoul) pflegt sie mit größter

Sorgfalt. Kein Grashalm und kein Zierstein im Gar-

ten, der einfach so irgendwo wüchse oder läge, jedes

Detail zeugt von Chyung Mi-sooks aufmerksamem

und ästhetisch geschultem Blick, der dem Betrachter

direkt scheue Ehrfurcht einzuflößen vermag. Zwanzig

Jahre sind vergangen, seit sie 1995 den Grundstein für

das Korea Furniture Museum legte. Diese Schatzkam-

mer des Erbes der koreanischen Ess-, Kleidungs- und

Wohnkultur war lange Zeit nur für einen exklusiven

Kreis zugänglich. Doch jetzt öffnet das Museum seine

Pforten, um ein größeres Publikum anzusprechen.

Hauptbesucher: Mitglieder des diplomatischen Korps Zurzeit findet das Korea Furniture Museum oft Erwäh-

nung in den Medien. Insbesondere der Besuch von

Präsidentin Park Geun-hye, die hier im Juli 2014

Chung Jae-suk Kulturredakteurin, Tageszeitung JoongAng IlboFotos Hwang Gyu-beck, Cho Ji-young

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 37

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38 KOREANA Frühjahr 2015

Töchter immer wieder folgende drei Dinge ein: „Wenn du

Geld hast, dann reise viel; wenn du die Möglichkeit hast,

dann tue etwas für dein Vaterland und deine Landsleu-

te, vor allem das, was andere übersehen oder vernach-

lässigt haben. Und lese viel“. Chyung erweiterte Wissen

über und Einsicht in die Welt durch Lesen und Reisen

und machte sich dann an die dritte Aufgabe, die quasi

zum Testament ihrer Mutter wurde.

Weitere Unterstützung für ihr Möbelmuseum erfuhr sie

von ihren Schwiegervater, der das Projekt materiell auf

die Beine stellen half. Als sie ihm davon berichtete, dass

es ihre Kräfte übersteige, die seit ihrer Studienzeit in

den 1960er Jahren aufgebaute Sammlung antiker Möbel

angemessen zu pflegen und zu bewahren und sie des-

halb überlege, sie der Stadt Seoul zu vermachen, riet er

ihr, selbst ein Museum zu errichten und vermachte ihr zu

diesem Zweck ein wertvolles Stück Land in Seongbuk-

dong. Ihrer Schwiegerfamilie gehörte das Seongnak-

won, eine der wenigen noch erhaltenen Residenzen mit

Garten, in der die Oberschicht der Joseon-Zeit die heißen

Sommermonate verbracht hatte. In diesem Sinne ist das

Korea Furniture Museum das gemeinsame Werk zweier

durch Heirat verbundener Familien.

Hartnäckige Direktorin mit Vorliebe für ReistruhenChyungs Lieblingsmöbelstück ist die Reistruhe Dwiju,

der über die Jahrzehnte hinweg die Spuren unzähliger

Frauenhände eine unverwechselbare Patina verlie-

hen haben. Dwiju ist ein Küchenmöbel, in dem Getrei-

de wie Reis oder andere Nahrungsmittel aufbewahrt

werden. Warum ausgerechnet die Reistruhe Dwiju,

wo es doch viele andere elegante Holzmöbel gibt, wie

beispielsweise das nach allen vier Seiten offene Regal

Sabangtakja, die Büchertruhe Chaekgwe, das trans-

1.

DirektorinChyungMi-sookhatdasKoreanFurnitureMuseum20JahrelangemithingebungsvollerSorgfaltgeführt,umdasErbederkoreanischenEss-,Kleidungs-undWohnkulkturzubewahren.

2.

DatraditionellekoreanischeMöbelnormalerweiseeherkleinundeinfachsind,beanspruchensienichtübermäßigvielnutzbarenWohnraumundwirkennichterdrückend.OballeinevoreinerleerenWandoderimArrangementmitanderenHaushaltsgegenständenschaffensieeinenatürlicheRaumharmonie.

1

den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping und dessen Gattin zu einem

offiziellen Mittagessen empfing, trug zur steigenden Bekanntheit bei. In den

letzten Jahren wurde das Museum zu einer Attraktion, die hochrangige Gäste

aus dem Ausland bei ihrem Seoul-Besuch als erste sehen möchten. Außer-

dem soll es ein Muss für die Gattinnen ausländischer Diplomaten sein, die

mehr über die koreanische Kultur erfahren möchten. Auch internationale

Stars nehmen sich trotz ihres meist mörderischen Terminplans die Zeit für

einen Besuch. Der Schauspieler Brad Pitt soll 2013 seinen Eindruck in dem

Ausruf „Amazing!“ zusammengefasst haben. Die Empfehlung, das Museum

unbedingt zu besuchen, soll er von der amerikanischen TV-Moderatorin und

Star-Köchin Martha Stewart erhalten haben. Stewart, bekannt als „Königin

der Star Hauswirtschaft“, sei vollkommen hingerissen von koreanischen tra-

ditionellen Holzmöbeln, insbesondere vom Soban, einem tragbaren Esstisch-

chen mit der Funktion eines Tabletts. Sie hatte bemerkt: „Die Koreaner schei-

nen die Natur in ihren Möbeln eingefangen zu haben und es zu genießen, sie

auf diese Weise in ihrer Nähe zu haben.“

Das Museumsgelände beherbergt zehn traditionelle, vom Abriss bedroht gewe-

sene koreanische Hanok-Häuser, die aus verschiedenen Landesteilen hierher

verlegt und stilgetreu saniert wurden. Die Sammlung umfasst rund 2.500 seltene

Holzmöbelstücke aus der Joseon-Zeit (1392-1910). Die wertvollen antiken Möbel

sind bescheiden, aber nicht unansehnlich, stilvoll, aber nicht pompös. Der ameri-

kanische Fernsehsender CNN stellte das Museum 2011 als „das schönste Muse-

um in Seoul“ vor. Doch was brachte Direktorin Chyung dazu, ein Projekt dieser

Größenordnung anzugehen?

Sie erklärt: „Meine Eltern haben mich dazu erzogen, stolz auf meine koreanische

Herkunft zu sein. Bei uns zu Hause gab es schon seit jeher viele antike Möbel,

was mir früh die Augen für den traditionellen koreanischen Ästhektiksinn öffne-

te. Außerdem wollte ich meiner Mutter nacheifern, die ohne Rast und Ruh hart

arbeitete.“

Chyung Mi-sooks Mutter war Dr. Lee Tai-young (1914 -1998), die erste Rechts-

anwältin und Menschenrechtsaktivistin in Korea, Chyungs Vater Dr. Chyung

Yil-hyung (1904- 1982), der als Außenminister diente, acht Mal ins Parlament

gewählt wurde und während der Militärdiktatur zu den Führern der Oppositions-

partei gehörte. Zu ihren Lebzeiten prägte Lee Tai-young der jüngsten ihrer drei

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 39

portable Lesetischchen Seoan, oder das niedrige

Dokumentenschränkchen Mungap?

„Mein größter Stolz ist die Reistruhe. Zwar stand sie

meist versteckt in einer Ecke des Hauses und war

eher unscheinbar, aber tatsächlich war sie Herzstück

des Hausrats, da sie zur Aufbewahrung von Getrei-

de und anderen Nahrungsmitteln diente und somit

Leben und Gesundheit der ganzen Familie schützte.

Auch verschiedene Redensarten beziehen sich auf

Dwiju wie z.B. ‚Großzügigkeit kommt aus einer vol-

len Reistruhe.‘ oder ‚Erst wenn man an den Boden

der Reistruhe kratzt, weiß man den Wert des Reises

zu schätzen.‘ Die Reistruhe ist also für das arbeiten-

de Volk ein zuverlässiger Freund. Daher haben wir die

Reistruhe als Museumslogo genommen.“

Chyungs „Reistruhen-Theorie“ steht für ihre Lebens-

philosophie. Die Prinzipien, nach denen sie das Museum

betreibt - keine Regierungsunterstützung annehmen,

strenge Beschränkung der Öffnungszeiten auf fünf Tage

pro Woche und Einlass von Gruppen von maximal zehn

Teilnehmern nur nach vorheriger Online-Reservierung - , stehen in Einklang mit

der Reistruhe als Symbol für etwas, das standfest seine Bestimmung erfüllt.

Der Vorwurf, dass es sich um ein „hochgestochenes Museum“ handele, scheint

in diesen strikten Regulierungen zu wurzeln. In großen Gruppen ist es jedoch

unmöglich, die würdevolle Eleganz der Hanok-Häuser und das Stilvolle der Möbel

wirklich zu erfassen. Dafür bedarf es fachkundiger Führung und kleiner Grup-

pen.

Wer einmal einen geführten Rundgang gemacht hat, dürfte Chyungs Beharr-

lichkeit sofort verstehen, da sich ihm so komplett neue, bis dahin verschlos-

sen gebliebene Seiten der Hanok-Häuser eröffnen. Der Besucher entdeckt

die Qualität der Hanok neu, die als Wohnhäuser in ihrer Konstruktion den

Menschen in Einklang mit der Natur in den Mittelpunkt stellen. Laut Chyung

brachte ihr Auslandsaufenthalt zu Ende ihrer Teenager-Zeit sie dazu, den

wahren Wert der Hanok-Häuser zu entdecken. „Während meiner Oberschul-

zeit erhielt ich ein Stipendium und konnte als Austauschschülerin nach Nash-

ville im US-Bundesstaat Tennessee gehen. Die Kinder dort wollten wissen:

Was esst ihr Koreaner? Was zieht ihr an? Wo wohnt ihr? Zu dieser Zeit lebten

nur sehr wenige Asiaten in den USA. Was die Amerikaner am meisten inte-

ressierte, war die koreanische Lebensart. Als ich dann zurückblickte, fiel

mir auf, dass ich selbst wenig über das Leben meiner Vorfahren wusste. So

„Während meiner Oberschulzeit erhielt ich ein Stipendium und konnte als Austauschschülerin nach Nashville im US-Bundesstaat Tennessee gehen. Die Kinder dort wollten wissen: Was esst ihr Koreaner? Was zieht ihr an? Wo wohnt ihr? Zu dieser Zeit lebten nur sehr wenige Asiaten in den USA. Was die Amerikaner am meisten interessierte, war die koreanische Lebensart. Als ich dann zurückblickte, fiel mir auf, dass ich selbst wenig über das Leben meiner Vorfahren wusste. So begann ich gleich nach meiner Rückkehr nach Korea damit, Möbelstücke zu sammeln.“

2

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40 KOREANA Frühjahr 2015

1

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 41

begann ich gleich nach meiner Rückkehr nach Korea

damit, Möbelstücke zu sammeln. Mein Stolz auf alles

Koreanische wuchs. Unsere alten Häuser, unsere tra-

ditionellen Möbel und Kleidungsstücke flossen über

von einem Maß an künstlerischem Geist und ästhe-

tischem Empfinden, das die moderne Kunst nicht zu

erreichen vermag. Der Gedanke, dass all dies bald

verschwunden sein könnte, setzte mich unter Druck,

etwas dagegen zu tun.“

Für eine „Dritte Renaissance“Zurzeit beschäftigt sich Chyung mit den Seowon, den

traditionellen konfuzianischen Akademien aus der

Joseon-Zeit. Sie sucht diese Akademien auf und trifft

sich auch mit denjenigen, die sich für ihren Erhalt ein-

setzen. Im Oksan Seowon hat sie Schritt für Schritt die

Sammlungen studiert und für die Wiedereröffnung die-

ses Seowon im April schon eine Großreinigungsakti-

on geplant. Chyung ist äußerst besorgt über das kore-

anische Bildungssystem, dass ihrer Meinung nach in

einer Krise steckt und im Falle eines Zusammenbruchs

die Grundfesten des Landes erschüttern könnte. Eine

Lösung des Problems sieht sie in der Wiederbelebung

der Seowon.

„In den letzten hundert Jahren haben wir zu sehr nach

den Modellen des westlichen Auslands gestrebt. Kann

unser Land überhaupt eine Zukunft haben, wenn alle

intelligenten Jugendlichen nur noch in einem der Groß-

konzerne unterkommen wollen? Welche Chancen kann

es mit einer solchen geistigen Einstellung überhaupt

noch für Korea geben? Wenn wir unsere diesbezüglichen

Wertvorstellungen nicht ändern, werden wir in der Ent-

wicklung wieder zurückfallen. Es gibt landesweit ca. 670

Seowon und ca. 230 Hyanggyo (lokale, einem konfuzianischen Schrein angeglie-

derte Bildungseinrichtungen). Die Seowon waren in ihrer Blütezeit Wiegen der

wissenschaftlichen Gelehrsamkeit, vergleichbar mit den prestigereichen europä-

ischen Universitäten der Zeit. Aber wir haben sie so schnell vergessen und aufge-

geben. Wenn wir eine Verbindung zwischen einem Seowon und jeweils einer Mit-

tel- bzw. Oberschule herstellen könnten, wäre es möglich, den Kindern in jungen

Jahren den Geist der Tradition einzuflößen. Zu diesem Zweck könnte man mit ein-

fachen Dingen wie einer grundlegenden Reinigung der Seowon beginnen. Auch

könnten die Seowon nach entsprechender Herrichtung in Kultur- und Tourismus-

programme aufgenommen werden.“

Ein weiteres Projekt, für das sich Direktorin Chyung mit Leib und Seele einsetzt,

ist das Seongbukdong-Projekt. Auf Initiative und leidenschaftlichen Einsatz von

Chyung brachten die Stadt Seoul und die Bezirksverwaltung von Seongbuk-gu

gemeinsam den Plan auf den Weg, das Viertel Seongbuk-dong zu einem „Cluster

der traditionellen Lebenskultur“ zu entwickeln. Seongbuk-dong ist ein geschichts-

trächtiges Viertel, wo sich der Altar Seonjamdanji (Altar für die Göttin der Seiden-

würmer) aus der Joseon-Zeit befindet. Hier sollen die Königinnen seit der Zeit von

König Sejong dem Großen im 15. Jh Maulbeerbaumblätter gepflückt und Stoffe

gewebt haben. Außerdem ist der Ort reich an touristischen Ressourcen wie bud-

dhistischen Tempeln und Restaurants mit traditioneller koreanischer Küche und

weist eine hohe Konzentration von Hanok-Häusern auf. Auch gibt es mehrere

Museen in der Umgebung, wie zum Beispiel das Gansong Art Museum, weitere

Kunstmuseen sind bereits in Planung. Chyung träumt heute davon, auch Museen

für Seide, Messingwaren, Tonwaren, traditionelle Volksmalerei, regionale Küchen

usw. nach Seongbuk-dong zu locken und so ein Museumsdorf aufzubauen.

Chyung kommentiert: „Während der Joseon-Zeit kam es im Abstand von 300

Jahren zu zwei kulturellen Blüten: zunächst im 15. Jh unter König Sejong dem

Großen (reg.1418-1450) und dann im 18. Jh unter König Yeongjo (reg.1724-1776)

und König Jeongjo (reg.1776-1800). Nun sind wieder 300 Jahre vergangen und

alle Anzeichen deuten auf eine dritte Renaissance im heutigen 21. Jh hin. Das

Korea Furniture Museum ist zwar nur eine kleine Einrichtung, aber ich glaube,

dass es dazu beiträgt, einen Kanal für einen größeren kulturellen Aufschwung

zu schaffen.“

1. Das Korean Furniture Museum beschränkt den Einlass streng auf geführte Gruppen von max. 10 Personen. Ziel ist, den Besuchern ein Umfeld zu bieten, das es erlaubt, die anmutige Schönheit der traditionellen Gebäude und Möbelstücke voll zu würdigen.

2. In dem aus zehn Gebäuden im traditionellen Hanok-Stil bestehenden Museum sind 2.500 Holzmöbelstücke aus der Joseon-Zeit zu sehen.

3. Die niedrige Mauer auf einer Seite des Gartens ist mit den anmutigen Motiven von Schildkröte und den Vier Edlen Pflanzen (Pflaumenblüte, Orchidee, Chrysantheme und Bambus) geschmückt.

3

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42 KOREANA Frühjahr 2015

VERLIEBT IN KOREA

Wie Sie an Ihren Kimchi kommen und ihn genießen

Der Blog Eat-Your-Kimchi ist in den letzten vier Jahren zu einem großen Reich expandiert. Die Suche nach dem Studio im Seouler Stadtviertel Hongdae-ap endete vor einem riesigen, eindeutigen EYK-Logo an der Seite eines Gebäudes. Auf dem Parkplatz dahinter steht ein kleiner Heckklappen-Kia mit Eat-Your-Kimchi-Werbung, die schon aus dem All sichtbar sein dürfte. Irgendwo daneben ist das im August 2014 von EYK eröffnete You Are Here Café, kombiniert mit der Sprachlern-Webseite Talk to Me in Korean. Was ist passiert?

Ben Jackson Freiberuflicher Autor Fotos Cho Ji-young

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 43

Ende 2010 posierten die EYK-Schöpfer Simon und

Martina Stawski für das Titelblatt eines in Seoul

herausgegebenen englischsprachigen Magazins.

3D-Brillen auf der Nase, saßen sie bei Sonnenunter-

gang Popcorn essend auf einer Bank in einem Schilf-

grasfeld im Seouler Noeul Park. Damals arbeitete das

vor Optimismus sprühende Paar aus Kanada mit Spud-

gy, ihrem „bunten Hund“, gerade ernsthaft an einem

Video-Blog der etwas anderen Art. Ihr unverwech-

selbarer Stil, mit dem sie neue Aspekte der koreani-

schen Kultur schräg-komisch verpackt präsentierten,

und ohne jede Scheu — die Chemie stimmte einfach

— auf dem Bildschirm agierten, begann Zuschauer in

aller Welt zu berauschen. Simon hatte wagemutig sei-

nen Job als Englischlehrer an den Nagel gehängt, um

die Webeseite Eat Your Kimchi und den gemeinsamen

YouTube Kanal zu entwickeln. Martina verdiente als

„Sugar Mama“ weiterhin die Brötchen.

Hinein ins FlammenmeerEs begann 2008, als die Stawskis auf dem Internationa-

len Flughafen Incheon landeten. Vor ihnen lagen neue

Jobs als Englischlehrer. Hinter ihnen lagen andere

Karrieren als Lehrer und verängstigte Eltern in Kana-

da, die Nordkoreas jüngste Drohungen, den Süden in

ein Flammenmeer zu verwandeln, in Angst versetzten.

„Später wurde uns klar, das Nordkorea Metaphern wie

Meere und Feuer einfach mag“, sagt Martina.

„Flüssige Zerstörung“, fügt Simon hinzu.

Um ihre Familien zu beruhigen, filmten sie sich beim

Essen von Sundubu-jjigae, einem beliebten Gericht mit

weichem Tofu. So startete eine ganze Serie von heute an

die 2.000 Videos, die alles – vom Essen bis hin zu K-Pop

– thematisieren und Fragen der Fans beantworten. Das

Zielpublikum, das zunächst nur aus Familienmitgliedern

bestand, umfasste bald auch Englischlehrer-Kollegen

(sie merkten, dass nirgendwo Videos über praktische

Dinge wie den Gebrauch einer koreanischen Waschma-

schine oder das ordnungsgemäße Entsorgen von Müll

zu finden waren), Korea-Interessierte und Leute, die sich

einloggten, um einfach Simon und Martina zu sehen.

„Ich erinnere mich noch an unseren allerersten

Zuschauer, einen gewissen Steve aus England“, sagt

Simon. „Er schickte uns folgende Mail: ‚Hey, ich komme

nach Bucheon und hätte gern einige Infos hierüber und

darüber.‘ Erinnern Sie sich noch an Anti-English Spec-

trum [eine koreanische Gruppe, die zu der Zeit für die

Belästigung muttersprachiger Englischlehrer bekannt

war]? Wir dachten, es sei einer von denen, getarnt als

Ausländer. Warum sollte jemand überhaupt was auf

unsere Videos geben und dann noch so nett auftreten?

Wir glaubten, sie wollten uns irgendwohin locken, um

uns um die Ecke zu bringen. Gott sei Dank war es dann

aber nur ein cooler Typ aus England.“

Die Zuschauerzahlen kletterten unaufhaltsam und

nahmen historische Marken. Im EYK-Studio findet sich

ein offizieller YouTube-Preis für das Überschreiten der

100.000-Zuschauer-Marke. Zum Zeitpunkt des Ver-

fassens dieses Artikels waren die drei YouTube Kanäle

der Stawskis insgesamt 241.033.279 Mal angeschaut

worden, ein Erfolg, der auch dem Ehepaar Stawski die

Sprache verschlägt.

„Warum das überhaupt jemanden interessiert, ist mir

schleierhaft“, meint Simon. „Das werden wir wohl nie

herauskriegen. Wir genießen das einfach so lange es

geht.“ – kommentiert Martina.

Die beiden agieren auch beim Interview als ein unge-

wöhnlich gut abgestimmtes Team: witzig und enthu-

siastisch, aber ohne den anderen zu dominieren. Wie

Ping-Pong-Bälle springen ihre Späße hin und her,

und sie scheinen ihre Freude daran zu haben. Dieses

harmonische Miteinander dürfte Teil ihres Erfolgsge-

heimnisses sein: Einige Fans, die in einem schwierigen

Familienumfeld aufgewachsen sind oder sich in einer

wackligen Partnerschaft befinden, kommentieren,

dass das bloße Zuschauen dieses glücklichen Paares

ihnen Trost spendet.

Alles unter Kontrolle Ruhm, insbesondere in der Online-Welt, kann unbe-

ständig und kurzlebig sein. Während andere vielleicht

längst auf Grund gelaufen wären, reiten die Stawskis

geschickt auf den Wellen ihrer Popularität, die bereits

epische Ausmaße erreicht hat. Ihr unbeschwertes Bild-

schirm-Geplänkel ruht auf dem soliden Fundament

knallharter Zahlenanalysen. Simon, der sich selbst

als Technik-Freak beschreibt, monitort und analy-

siert beständig die Zuschauerzahlen, um herauszufin-

den, welche Inhalte die Leute mögen und wie lange sie

zuschauen, bevor sie gelangweilt weiterklicken. EYK

passt seine Beiträge entsprechend an.

Derzeit werden die Videos in sechs die Woche über

angebotenen Kategorien präsentiert: von K Crunch

Indie Segment am Sonntag, in dem koreanische Indie-

Musik vorgestellt wird, bis Wonderful Treasure Find

(WTF) Korea am Samstag, in dem das Paar seinen gut

Simon und Martina Stawski eroberten mit ihren YouTube-Videos, in denen sie mit viel Humor und auf ihre ganz spezielle Weise Lifestyle und Popkultur Koreas vorstellen, die Herzen von Zuschauern im In- und Ausland.

Page 44: Koreana Spring 2015 (German)

entwickelten Sinn für das Absurde auf verschiedene

ungewöhnliche Produkte und Objekte anwendet. Dazu

gehören z.B. Hello Kitty Fußwärmer oder Soju-Gläser

mit Markierungen für die optimale Menge So-ju (Reis-

schnaps) und Bier, Maek-ju, die es braucht, um ein

perfektes Glas So-maek zu kreieren. Die Videos auf

YouTube sind kurz und schlagkräftig, während die Web-

seiten-Einträge mehr Tiefgang bieten.

Internationale Fangemeinde Nach sieben Jahren ist die Fangemeinde riesig gewor-

den. Sie haben bereits einige internationale Touren hin-

ter sich: zweimal Europa, Australien, Singapur usw.

Eine USA-Tour ist in Vorbereitung.

„Es ist rührend und vewirrend zugleich“, sagt Simon.

„Einige Leute stehen für unsere Events stundenlang

Schlange. Im letzten Jahr, als wir vor Eröffnung unse-

res Cafés einen Tag des offenen Studios hatten, ist ein

Australier extra dafür angereist. Er hatte uns bei unse-

rem Melbourne-Besuch verpasst und wollte uns dies-

mal unbedingt sehen.“

Tatsächlich verblüfft es einen, aber die Touren des Paa-

res geben auch Aufschluss über die Begeisterung ihrer

Fans. „Wir hatten vergessen, dass wir schon so sieben

Jahre Videos in Korea gemacht haben“, sagt Martina.

„Die Leute sind damit aufgewachsen. Sie haben unse-

re Videos in ihrer Oberschulzeit und danach in der Uni

verfolgt, d.h. sie haben erlebt, wie wir genau so wie sie

gewachsen sind. In diesem Sinne ist es fast wie Reality

TV. Sie haben uns zugeschaut, wie wir uns durch unser

sprachliches Unvermögen im Koreanischen gekämpft

haben, wie wir Sachen besprochen haben, die wir eigent-

lich gar nicht mochten. Ich hatte Bananen-Milch oder

Soseji [industriell gehärtete Käse-Fleisch-Masse, einge-

packt in Plastikfolie und als Würstchen vermarktet] oder

Odeng [Kamaboko-Fischkäse-Gericht], das an Tteokbok-

ki-Reiswurst-Straßenständen verkauft wird, gehasst.

Fünf Jahre später haben wir aber beteuert: ‚Das ist die

tollste Sache überhaupt!’ Sie haben miterlebt, wie wir

uns verändert haben und gewachsen sind. In Bezug auf

unsere Haare, unser Gewicht, unseren Stil, alles.“

Simon fügt hinzu, dass Online-Medien eine besonders

enge Bindung zum Zuschauer schaffen: „Die Kame-

ra ist genau vor dem Gesicht, wir schauen in die Linse,

wir sprechen zu den Leuten, in vielen Videos sprechen

wir sie mit Namen an. Wir machen Live-Chats, d.h. es

gibt ein Gefühl der Gemeinschaft, das den traditionellen

Medien abgeht.“

1. Simon und Martina vergnügen sich in einem Wasserpark auf einer Wasserrutsche und erklären, wie man selbst in der Stadt in diesen bei den Koreanern beliebten „Hitze-Fluchtburgen“ der Sommerschwüle entgehen kann.

2. Simon und Martina erklären Zutaten und Geschmack des kalten Nudelgerichts Naengmyeon, einer koreanischen Sommerspezialität.

Page 45: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 45

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Page 46: Koreana Spring 2015 (German)

46 KOREANA Frühjahr 2015

„Am eigenartigsten war für uns wohl der Auftritt in

unserer Heimatstadt, weil das Event gerade an unse-

rer Alma Mater, der Universität von Toronto, stattfand“,

erinnert sich Martina. „Leute als Zuschauer in dem

Raum zu sehen, in dem man einst im Seminar saß, und

dann selbst auf dem Podium zu stehen, ist schon ver-

wirrend. Unsere Eltern waren da, Simons Eltern saßen

in der ersten Reihe und weinten sich die Augen aus.“

Wer isst EYKs Kimchi? Ausländer erscheinen oft in den koreanischen Medi-

en einfach deshalb, weil sie Ausländer sind. Wenn

sie dann noch Koreanisch sprechen, erhöht sich

der „Wunderaffen-Effekt“ um ein Vielfaches und sie

erfreuen sich Starruhm, bis sie dann ein Skandal vom

Podest fegt, eine außereheliche Affäre oder der Faux-

pas, das Ostmeer als „Japanisches Meer“ zu bezeich-

nen. Ein Blick auf die Zuschauerzahlen von Simon und

Martina zeigt, dass sie nicht in diese stereotype Kate-

gorie gehören. „98% unser Zuschauer leben nicht in

Korea“, sagt Simon. „75% sind weiblich. Den höchsten

Prozentsatz macht die Altersgruppe von 20 bis 29 aus,

gefolgt von der von 13 bis 18. 35% sind aus den USA,

10% aus Kanada, 9% aus UK und viele aus Südost-

asien.“ Viele Fans haben sich als ethnische Koreaner

erwiesen, die in amerikanischen Kleinstädten leben

und sich isoliert von der Kultur ihrer Ahnen fühlten. Sie

finden es faszinierend, dass ein kanadisches Paar ganz

ohne Scheu seine Bemühungen filmt, mit Land und

Leuten zurechtzukommen.

Während die Welt voller Möchtegern-Stars ist, die

die glatten Marmormauern des Ruhms emporzu-

klettern versuchen, erlangten Martina und Simon

ganz unverhofft dank einer großen und treuen Fan-

gemeinde Berühmtheit. Als sie 2012 auf der Websei-

te Indiegogo einen Crowdfunding-Aufruf starteten,

um 40.000 $ für die Eröffnung eines Studios zu sam-

meln, kam die Summe innerhalb von knapp sieben

Stunden zusammen. „Wir hatten den Aufruf abends

vor dem Schlafengehen hochgeladen und am nächs-

ten Morgen stellten wir fest, dass unser Ziel erreicht

war“, erzählt Martina. Das in Primärfarben gehalte-

ne Studio, wo sie auf gigantischen Sitzsäcken darüber

berichten, gleicht einer Feststoff-Verkörperung von

EYKs Online-Inhalten: Es erweckt den Eindruck der

Künstlichkeit als trüge es einen falschen Schnurrbart,

verfügt aber auch über aufmerksame Komponenten

wie einen Schlafraum (komplett mit einem Leucht-

stern-Himmel), einen Stehtisch („Dauernd zu sitzen,

soll so ungesund wie Rauchen sein.“– Martina), und

eine Wand mit allen Namen von EYKs Indiegogo-Spen-

dern. Ein anderer Raum ist voller Waren, die über den

Online-Store verkauft werden, während einige Wände

mit Geschenken, Briefen und Zeichnungen begeister-

ter Fans zugepflastert sind.

SponsorshipDas Eat Your Kimchi-Mobil auf dem Parkplatz war ein

weiterer Meilenstein in der Entwicklung von EYK. Der

Wagen, der seit Mai 2014 auf Koreas Straßen rollt, ist

das Ergebnis von über einem Jahr Anstrengungen,

Kia Motors als Sponsor zu gewinnen. „Von einer Firma

Anerkennung zu finden, war schon ein tolles Gefühl“,

meint Martina. „Blogger und YouTuber erfahren im

Gegensatz zu anderen Ländern hier in Korea noch

nicht so viel Anerkennung. Man betrachtet sie nicht als

echte Unternehmer und deshalb haben sie es schwer,

Sponsoren zu finden.“ Der Wagen erscheint oft in den

EYK-Videos und erleichtert das Reisen kreuz und quer

durchs Land. „Wir schicken Kia alle Aufnahmen mit

dem Wagen und Kia gefällt, wie wir ihn einsetzen“,

erklärt Martina. „Wir beschränken uns nämlich nicht

auf Werbestereotypen wie Hinweise auf all die tollen

Eigenschaften des Autos.“

Weitere Meilensteine in der EYK-Geschichte sind die

Weltreisen und die Eröffnung des You Are Here Café,

das nur einen Steinwurf vom Studio entfernt ist, im

letzten August. Auf der Karte finden sich einige der

Eigenkreationen von Simon und Martina, u.a. Milk-

shakes, Zucchini-Brownies und gesunde „Powerballs“.

Interessanterweise gibt es auch eine anonyme Video-

Aufnahmekabine, wo Gäste sich frei von der Leber über

kontroverse Themen äußern können, wahlweise in

Koreanisch oder Englisch (EYK hat ein Heer von freiwil-

ligen Untertitlern).

Zukunftspläne Vor vier Jahren hatten Simon und Martina mit Japan als

neuem Abenteuerspielplatz geliebläugelt. Ihr schnel-

ler Aufstieg in Korea ließ sie jedoch diesen Plan erst

mal auf Eis legen, aber kurz nach dem Interview mit

Koreana machten sie sich nach Japan auf. Die Beliebt-

heit ihrer Europa-Videos hatte bewiesen, dass es vielen

Fans um Inhalte mit den beiden ging und nicht unbe-

dingt um Korea-Bezogenes. „Ich lasse mich gerne

überraschen“, meint Martina.

Martina hilft beim Einlegen des Kimchi-Wintervorrates in einer koreanischen Familie und demonstriert die Zubereitung.

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 47

„In diesem Sinne ist es fast wie Reality TV. Sie haben uns zugeschaut, wie wir uns durch unser sprachliches Unver-mögen im Koreanischen gekämpft haben, wie wir Sachen besprochen haben, die wir eigentlich gar nicht mochten. Ich habe Bananen-Milch oder Soseji [industriell gehärtete Käse-Fleisch-Masse, eingepackt in Plastikfolie und als Würstchen vermarktet] oder Odeng [Kamaboko-Fischkäse-Gericht], das an Tteokbokki-Reiswurst-Straßenständen verkauft wird, gehasst. Fünf Jahre später haben wir aber beteuert: ‚Das ist die tollste Sache überhaupt!’ Sie haben miterlebt, wie wir uns verändert haben und gewachsen sind.“

Wie haben die letzten Jahre die beiden verändert?

„Ich vermisse die alte Naivität und Spontaneität“, sagt

Simon. „Heute müssen wir uns viel mehr Gedanken um

die Inhalte, die wir hochladen, machen, und darüber,

wie sie bei all den vielen Zuschauern ankommen. Die

Dinge scheinen nicht mehr so neu und frisch“.

Das heißt nicht, dass ihnen die Ideen ausgehen. „Wir

haben zwei Video-Editoren, brauchen aber mehr“, sagt

Simon. „Wir haben noch so viel vor. Ich wünschte nur,

wir hätten mehr Zeit.“ Angesichts des unerbittlichen

wöchentlichen Terminplans, dem großen Ideen-Vorrat

und der kontinuierlichen Suche nach Neuheiten dürfte

Eat Your Kimchi noch eine ganze Weile auf Erfolgskurs

bleiben.

Page 48: Koreana Spring 2015 (German)

48 KOREANA Frühjahr 2015

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 49

Alle Anlegestellen befinden sich am äußeren Ende der Insel. Am Ha-fen angekommen, ist der Reisende am Ende seines Weges angelangt. Aber für die Fischerboote ist der Hafen erst der Ausgangspunkt ihrer Reise. Ist das nicht geheimnisvoll? Wo der Weg für die Schritte des Menschen endet, beginnt die Reise wieder.

Gwak Jae-gu DichterFotos Lee Han-koo

UNTERWEGS

Vor so zehn Jahren, als ich kurz vor den 50ern

stand, zog ich einmal von Ort zu Ort das Meer

entlang. Gab es keine Pension, schaute ich im

Gemeindehaus vorbei und fragte die alten Dorfbewoh-

ner, ob ich dort eine Nacht verbringen könnte. Bereitwil-

lig erlaubten sie es mir mit einem „Natürlich, nur zu!”.

Sie lächelten strahlend und streckten mir die Hände

entgegen. Ich weiß noch, wie sich diese Hände anfühl-

ten: Es konnten die Hände von jemandem sein, der sein

Leben lang in fernen Städten herumgewandert war,

mal in Fabriken, mal auf den Märkten arbeitend, um am

Ende wieder in sein Heimatdorf zurückzukehren. Oder

die Hände von jemandem, für den sein Dorf das Zentrum

des Universums darstellte, Hände, die durch jahrzehn-

telanges Fischen und Ernten von Seetang alt und faltig

geworden waren. Es waren raue, aber warme Hände,

gleichsam Sinnbilder für all die Trauer und Sehnsüchte,

für all die Träume und Verzweiflung, die ein Mensch im

Laufe seines Lebens erfährt.

Damals, als ich von Dorf zu Dorf wanderte, trugen mich

meine Füße am Ende immer zu den Anlegestellen.

Jedes Mal, wenn ich dort den Fischerbooten zusah, die

mit tuckerndem Motor das Wasser aufwühlend irgend-

wohin fuhren, spürte ich plötzlich eine Art Stechen im

Herzen. Dann aber, wenn ich, in irgendeiner Ecke der

Anlegestelle hockend, bis zum Sonnenuntergang beob-

achtete, wie die Boote ausliefen und wieder zurückka-

men, wurde mir wieder ganz warm ums Herz.

wo das wahre Lied vom Leben erklingt

Page 50: Koreana Spring 2015 (German)

50 KOREANA Frühjahr 2015

Drei Inseln, die das Meer umschließenAuf dem Schiff, das mich von Yeosu zur Insel Geomun-do brach-

te, begann mein Herz schneller zu schlagen. Yeosu ist eine Hafen-

stadt mit ca. 300.000 Einwohnern. 2012 fand hier die Welt-Meeres-

Expo statt, was schon für Reiz und intrinsische Schönheit von Hafen

und Stadt spricht. Im Expo-Jahr reiste ich mit Freunden aus Euro-

pa durch einige der Küstendörfer in der Nähe von Yeosu. Einer der

Freunde hieß Eric und kam aus Nizza in Frankreich. Er war Leicht-

flugzeugpilot. Er wurde Pilot, weil er die Küste seiner Heimatstadt

so sehr liebte, dass er sein Leben lang in ihrer Nähe verbringen

wollte. Als wir am Dorf Gajeong-ri vorbeiliefen, meinte Eric: „Das

Meer hier erinnert mich an das Meer vor Nizza. Ich meine, wie es

war, bevor Nizza durch die Zivilisation angeschmutzt wurde.“

Die Insel Geomun-do gehört zum Meeresnationalpark Dadohae-

haesang und liegt 114,7km vom Hafen Yeosu entfernt. Eigentlich

ist es eine Inselgruppe, bestehend aus den kleinen Inseln Dong-

do, Seo-do und Go-do, die zusammen einen Kreis bilden, sodass

Geomun-do auf den ersten Blick wie ein Ei aussieht. Die Gewäs-

ser zwischen den Inseln werden Donaehae genannt. Die Inseln

selbst sind gesprenkelt mit Dörfern, die alle eine lange Geschich-

te haben. Die Außenklippen der Inseln blockieren als Schutzwall

raue Wellen, weshalb die Gewässer auf der inneren Seite so ruhig

sind, dass man sie früher „Samho“ nannte, was wohl „See, gebildet

aus drei Inseln” bedeutet. Es heißt, dass die Insel Geomun-do 1845

zum ersten Mal durch einen Schiffslogbuch-Eintrag des britischen

Kriegsschiffes Samarang in der Welt bekannt wurde. Die reich von

der Natur beschenkte Insel eignete sich bestens als Schutzhafen

und wurde von den Briten nach dem damaligen Sekretär der Admi-

ralität Captain W. A. B. Hamilton „Port Hamilton” getauft.

Zu der Zeit interessierte sich auch das chinesische Qing-Reich für

die Insel und es heißt, dass Kriegsschiffe unter dem Kommando

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3

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In einem Küstendorf möchte ich unbedingt in einem Haus mit Fenster zum Meer übernachten, denn ich möchte das Brausen der Wellen hören. Egal, ob Tag oder Nacht, ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, selbst bei klirrender Kälte lasse ich das Fenster offen und lausche beim Einschlafen dem Klang der Wellen. Zum Glück sind alle koreanischen Unterkünfte mit Ondol-Fußbodenheizung ausgestattet, sodass das recht problemlos geht.

von Admiral Ding Ruchang in die Gewässer von Geomun-do ein-

drangen. Die Chinesen wollten schriftlich mit den Inselbewoh-

nern kommunzieren und notierten die Zeichen „菊花發“ (Chrysan-

themen in voller Blüte), aber niemand von den Dörflern konnte sie

entziffern. Sie eilten zu einem ehrwürdigen Gelehrten der Insel,

der die Botschaft entschlüsselte und die Dörfler beauftragte, den

Chinesen eine Kiste getrocknete Persimonen zu überreichen.

Die Chinesen landeten im Herbst auf Geomun-do, als überall die

Chrysanthemen blühten. Sie wollten zum Ausdruck bringen, dass

„überall auf der Insel die Chrysanthemen so schön blühen“, was

den Gelehrten, den tieferen Sinn wohl verstehend, zu dem Persi-

monen-Geschenk veranlasste. Der Gelehrte und die Männer des

Admirals verständigten sich schriftlich, wobei die Chinesen der-

maßen von der Weisheit des Gelehrten beeindruckt waren, dass

sie begannen, die Insel „Geomun-do“ zu nennen: „Insel des gro-

Page 51: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 51

1. Geomun-do gehört zu einem Meeresnationalpark, der sich 114,7km südlich des Hafens von Yeosu in der Provinz Jeollanam-do befindet. Die Fähre, die zwischen den Fischerdörfern auf der Ostinsel Dong-do und der Westinsel Seo-do verkehrt, ist für die Inselbewohner ein wichtiges Transportmittel.

2. Der Makrelenfischfang ist die Hauptbeschäftigung der Fischer von Geomun-do. Die Touristen können die frisch gefangenen Makrelen roh genießen oder aber in würziger Soße geschmort.

3. Das Geomun-do Schiffslied, Wichtiges Immaterielles Kulturgut der Provinz Jeollanam-do Nr. 1, ist ein Arbeitslied der Fischer, das von ihrem harten Leben, ihren Freuden und Sorgen erzählt.

4. Der 1km lange Wanderweg, der zum Leuchtturm Noksan Deungdae am nördlichen Ende der Westinsel Seo-do führt, ist ein gut gepflegter Trail über weite Ebenen. Er zählt zu den Highlights einer Wanderung über die Insel.

5. Im Februar, wenn die Kamelien in voller Blüte stehen, sind die Wanderwege über den Berg Suwol-san auf Seo-do von heruntergefallenen Kamelienblüten bedeckt.

ßen Gelehrten”. Zuvor war die Insel in Qing-China als „Geoma-do”

bekannt, als „Insel, die von Riesenfelsen umgeben ist”. Der Name

des Gelehrten war Kim Yu.

Am 15. April 1885 besetzten drei Schiffe der britischen Ostasien-

flotte die Insel und hissten den Union Jack. Die Soldaten errichte-

ten Geschützgestelle und Bollwerke und legten Stromleitungen.

Dadurch sahen die Bewohner der Insel als erste Bürger außer-

halb des Hauptstadt-Königspalastes Gyeongbok-gung elektrisches

Licht und erlebten mit eigenen Augen die künftige Modernisierung.

Großbritannien rechtfertigte die Besetzung der Insel zwar als Prä-

ventivmaßnahme gegen das Vorrücken der russischen Kriegsflot-

te nach Süden, aber es handelte sich dabei um einen klaren Ver-

stoß gegen das Völkerrecht. Geomun-do sah sich im Zentrum des

Machtkampfs, den sich die Großmächte Ende des 19. Jhs lieferten,

aber obwohl sich der Joseon-Hof der Faktenlage wohl bewusst

war, war er zu schwach, um sich gegen die illegale Okkupation sei-

nes Territoriums wehren zu können. Im Februar 1887 zogen die

Briten zwar von Geomun-do ab, jedoch nur unter der Bedingung,

dass sich die russische Kriegsmarine von der Insel fernhielt. Auf

Geomun-do sind heute noch die Grabstätten von drei britischen

Marinesoldaten zu sehen, die auf der Insel starben.

Die Meerjungfrau Shinjikki: Beschützerin der Fischer Nachdem ich mein Gepäck in der Unterkunft im Küstendorf Geo-

mun-ri ausgepackt hatte, brach ich sofort zum Trekking auf Seo-

do auf. Auf Seo-do, der größten der drei Inseln, steht am nördlichen

Ende der Leuchtturm Noksan–Deungdae und am südlichen Ende

der Leuchtturm Geomundo–Deungdae. Auf dieser quasi „Leucht-

turm-Trekkingroute“ liegen die Dörfer Seodo-ri, Byeonchon-ri

und Deokchon-ri. Beim Wandern durch diese von Menschenleben

erfüllten Dörfer sowie entlang der Wege am Meer und durch die

4

Berge geraten alle Kümmernisse des Lebens von alleine in Verges-

senheit.

Auf dem Weg zum Leuchtturm Noksan Deungdae waren hier und

da Felder zu sehen, die mit einer Art von grünen Netzen bedeckt

waren. Ich fragte eine der im Feld arbeitenden Frauen und sie

erklärte, hier würde Haepung-ssuk angebaut, eine Beifußart, die

im Seewind wächst. Diese regionale Beifuß-Spezialität hat dank

des frischen Seewinds einen klaren und intensiven Duft. Der Bei-

fuß wird von den Inselbewohnern als Suppenzutat verwendet oder

getrocknet als Tee aufgebrüht.

Kurz bevor ich auf den Leuchtturm kletterte, sah ich im Meeres-

park die Statue einer Meerjungfrau. Die „Shinjikki“ oder auch.

„Shinjikke“ genannte Meerjungfrau von Geomun-do hat der Legen-

de nach helle Haut und lange, glatte schwarze Haare. Sie taucht in

mondhellen Nächten oder bei Tagesanbruch auf, wirft Steine auf

die Klippen oder macht Geräusche, um die Fischer vor Felsenriffen

zu warnen oder vor Taifunen zu bewahren. Es scheint nur selbst-

verständlich, dass es auf einer so weit vom Festland entfernten

Insel eine Legende mit einer schönen Meerjungfrau gibt.

Der koreanische Schriftsteller Han Chang-hoon, der auf Geonmun-

do geboren ist und seine Kindheit dort verbrachte, beschreibt in

seinem Buch Auch das Meer schaut manchmal in den Schatten

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Page 52: Koreana Spring 2015 (German)

52 KOREANA Frühjahr 2015

der Inseln hinein in warmen Tönen Szenen aus längst vergange-

nen Tagen und begeistert den Leser mit der Gespenstergeschich-

te eines Freundes: In einer pechschwarzen Nacht ging besagter

Freund zum Angeln am steinigen Hang der Bucht in der Mitte der

Insel. Beim Angeln zog plötzlich etwas stark an der Schnur. Als er

die Schnur hochrollte, um zu sehen, was angebissen hatte, fand er

eine Frau vor sich am Angelhaken hängen, die ihn anstarrte. Die

Frau kam näher und stürzte sich auf ihn. Er kämpfte auf Leben und

Tod mit diesem Wassergeist, der unglaubliche Kraft besaß. Han

schreibt in seinem Buch, dass er die Geschichte voll und ganz glau-

be, sein Freund sei ein einfacher Mensch ohne große Schulbildung,

der in seinem Leben nie eine Lüge über die Lippen gebracht habe.

Wenn die Legende von der Meerjungfrau Shinjikki eine Geschichte

voll lieblich-reizender Lebensträume ist, so ist die Geschichte von

dem Wassergeist in weißer Trauerkleidung, der am Angelhaken

aus dem Wasser hochgezogen wird, eine Geschichte, die vom Leid

im realen Leben erzählt.

Der Weg, der an der „Klippe mit dem Drachenmuster” und dem

„Felsen der Unsterblichen” vorbei zum Leuchtturm Geomundo-

Deungdae führt, ist wohl der Höhepunkt meiner Trekkingroute. Am

Ende dieses Weges, der mit Blick aufs Meer die Klippen entlang

verläuft, schließt sich der Weg durch den Kamelienbaum-Wald an.

Dieser Waldweg gleicht einer Höhle oder aber auch einem Tunnel.

Einige bezeichnen ihn auch als „Weg der Liebenden”. Allein schon

die Vorstellung, dass zwei Verliebte Händchen haltend zwischen

den Kamelien spazieren, erfüllt mich mit Freude. Der Pfad erstrahlt

im rötlichen Glanz gefallener Kamelienblüten und im Zwitschern

der durch den Wald fliegenden Vögel. Der Leuchtturm am Ende

des Weges ist doch ein direkt bezauberndes Symbol! Er erhellt

das dunkle Nachtmeer. Und die Schiffe, die vom Kurs abgekom-

men sind, korrigieren ihren Kurs danach. Der 1905 fertig gestellte

Leuchtturm Geomundo–Deungdae ist mittlerweile im Ruhestand

und steht nur noch friedlich da. Er wurde abgelöst von dem neuen,

33m hohen Leuchtturm direkt daneben, der 2006 gebaut wurde.

Alle 15 Sekunden blitzt das Leuchtfeuer auf und die Signale sollen

noch in 42km Entfernung auf dem Meer zu sehen sein.

Brausen der Wellen wie Wiegenlieder der Mutter Als die Sonne unterging, suchte ich mir für eine Nacht eine Unter-

kunft in einer kleinen Pension am Kai. Wenn es um die Wahl der

Unterkunft geht, gibt es für mich ein einziges absolutes Muss: ein

Fenster zum Meer. Es ist egal, ob es groß oder klein oder wie klar

die Sicht nach draußen ist. Es reicht völlig, wenn es ein aufs Meer

hinaus gehendes Fenster in der Wand gibt. In einem Küstendorf

möchte ich unbedingt in einem solchen Haus übernachten, denn ich

möchte das Brausen der Wellen hören. Egal, ob Tag oder Nacht, ob

Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, selbst bei klirrender Kälte

lasse ich das Fenster offen und lausche beim Einschlafen dem

Klang der Wellen. Zum Glück sind alle koreanischen Unterkünfte

mit Ondol-Fußbodenheizung ausgestattet, sodass das recht prob-

lemlos geht. Für mich klingt das Geräusch der Wellen bei Nacht wie

das Wiegenlied meiner Mutter. Der Wellengesang bringt mir dieses

Wiegenlied, das wie die DNA in meinem Körper nistet, wieder ins

Gedächtnis und weckt schöne Erinnerungen daran, wie meine Mut-

ter mich in ihrem Schoß wiegte und dabei mit sanfter Stimme sang.

Das wird wohl allen so gehen. Menschen, die sich an Wiegenlieder

erinnern, sind Menschen, die ihre Träume lange zu lieben wissen.

Und Geomun-do, eine Welt, in der solche Menschen versammelt

sind, wird noch lange, lange Zeit ein warmes und friedliches Fleck-

chen Erde bleiben.

1. Die inneren Gewässer von Geomun-do werden von den drei umgebenden Inseln vor Wind und hohem Wellengang geschützt, weshalb das Wasser friedlich und ruhig ist.

2 . Geomun-do ist eine kleine Insel mit rund 1.400 Einwohnern (590 Haushalte). Es ist herzerwärmend zu sehen, wie die Dorfleute fremde Besucher mit freundlichem Lächeln begrüßen.1

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 53

SeoulYongsan Station

KimpoInternational

Airport SeoulYongsan Station

KimpoInternational

Airport

Yeosu PassengerTerminal

Yeosu

Geomundo

Jejudo

SeoulYongsan Station

GimpoInternational

Airport

Yeosu Airport Yeosu EXPO StationYeosu

Geomundo

Jejudo

Yeosu Costal Ferry Terminal > Geomun-doVom Yeosu Passagierfähren-Terminal legen 2 Mal am Tag Fähren nach Geomun-do ab: 7:40 Uhr und 13:10 Uhr. Rückfahrten nach Yeosu sind um 10:30 Uhr und 15:50 Uhr mög-lich. Die Fahrtzeit beträgt jeweils 1 Std. 26 Min. Ein Hin- und Rückfahrtticket kostet 72.200 KRW. Je nach Wetterlage kann die Abfahrtszeit variieren. Daher sollte man sich rechtzeitig beim Yeosu Costal Ferry Terminal (Tel. 1666-0920) erkundigen. Die Homepage der Stadt Yeosu (ystour.kr) bietet allgemeine Informationen in Englisch, Chinesisch, Japa-nisch und Französisch.

Seoul > YeosuAuto/Bus Die Fahrtzeit von Seoul nach Yeosu mit dem Auto beträgt ca. 4 Stunden. Mit dem Expressbus vom Central City Termi-nal in Banpo-dong dauert es ca. 4 Std. 15 Min. Ab 5:30 Uhr fahren alle 30 Minuten Busse (hticket.co.kr). Preise: Regulärer Bus 20.700 KRW, Premiumbus 30.800 KRW.KTX Der KTX-Hochgeschwindigkeitszug verkehrt etwa im Zweistundentakt 9 Mal pro Tag zwischen dem Bahnhof Yongsan und der Station Yeosu Expo. Die Fahrtdauer beträgt ca. 3 Std. 40 Min. Weitere Details finden Sie auf der Webseite der Korea Railroad Corporation (korail.com).Flug Korean Air (koreanair.com) und Asi-ana Airlines (flyasiana.com) bieten jeweils 3 bis 4 Flüge pro Tag von Gimpo nach Yeosu an. Die Preise variieren je nach Wochentag. Rechtzeitige Reservierung wird empfohlen.

Es war eine Fügung des Glücks, dass ich im Gemeindehaus von Geonmun-ri auf die Dorfband traf. Die 2014 von den Dorfbewohnern gegründete Band heißt „Deungdae (Leuchtturm)“. Sie hatte zwar noch keinen offiziellen Auftritt, aber die Leidenschaft, mit der die Band probt, kann sich mit der etablierter Bands messen. Das Schöne an dieser Band ist, dass alle 13 Mitglieder Dorfbewohner sind, die tagsüber ihren jeweiligen Berufen nachgehen, um sich dann abends zum Proben zu versammeln.K ist der Bandleader und spielt Schlagzeug. Als Architekt und Designer baut er Gebäude auf Geomun-do und kümmert sich um die Innenausstattung. Schon als Mittelschüler wollte er Schlagzeug spielen und jetzt hat er endlich seinen Traum erfüllt. P ist der Leadsänger und mit 41 der Benjamin der Band. Tagsüber fährt er eins der beiden Insel-Taxis. Er schmetterte Lieder wie Let’s Go On a Trip von Cho Yong-pil oder Ra-gu-yo von Kang San-ae. Y betreibt eine Pension und spielt Bassgitarre. Nach mehreren Geschäftspleiten auf dem Festland litt er unter schweren Depressionen, aber nach drei Jahren auf Geomun-do fühlt er sich wieder gesund. Dass er das Leben wieder als lebenswert empfinden kann, ist vielleicht ein Geschenk von Wind, Sonne und Wellengesang. Js Saxophonspiel war fantastisch. Hier fließen die Erfahrungen von 32 Jahren Berufssoldaten-Dasein ein.Meine Plauderei mit dem Gitarristen T war herzerwärmend. Er arbeitet eigentlich bei einer Firma in Yeosu und war nur auf einem Kurzbesuch in seinem Heimatdorf. Ich schreibe hier nieder, was er mir erzählte: Vor 26 Jahren, als er seinen Militärdienst leistete, schickte seine Mutter ihm einen Brief mit einem Gedicht. Dieses Gedicht stammte von mir. Er rückversicherte sich mehrmals meines Namens und dann reichten wir einander von den jeweils entgegengesetzten Enden der Erinnerung die Hände. In ihrer Schulzeit war seine Mutter an Literatur interessiert gewesen. Oft las sie die ganze Nacht

hindurch Gedichte und eins davon schickte sie an ihren Sohn. Er erzählte, dass seine Mutter, als sie ihm diesen Brief schrieb, ein Jahr jünger als er selbst jetzt war, gewesen sei. An dem Abend öffnete ich das Fenster in meiner Pension sperrangelweit und legte mich hin. Das Rauschen der Wellen drang leise wie das Wiegenlied meiner Mutter ans Ohr. Der Gedanke an das Treffen mit Ts Mutter am nächsten Tag hielt mich wach. Über vierzig Jahre lang hatte ich Gedichte geschrieben. Der Wunsch, dass meine Gedichte für den Leser ein Löffel Nahrung für die Seele sein möge, war immer noch da, aber auf die Frage, welches meiner Gedichte für mich diese Qualität hätte, müsste ich eine Antwort schuldig bleiben. Morgen würde ich sie fragen, welches Gedicht sie an ihren Sohn geschickt hatte. Der Gedanke, dass vielleicht eins meiner Gedichte einem Menschen in Herzensnot geholfen haben könnte, ließen die letzten vierzig Jahre nicht als eitel vergeudete Zeit erscheinen. Ich fuhr mit dem Schiff nach Seo-do und rief Ts Mutter an. „Ich bin Gwak Jae-gu, der Gedichte schreibt. Ich möchte Sie sehen.“ Ich legte mein ganzes Herz in meine Worte. Dann hörte ich ihre Stimme: „Ich bin jetzt eine alte Großmutter. Als ich jung war, mochte ich Gedichte. Jetzt verbringe ich meine Zeit damit, Beifuß auf den Feldern und Seetang im Meer zu ernten. Ich bin zu alt und schäme mich zu sehr, um Sie zu treffen.“ Ich konnte Ts Mutter an dem Tag nicht treffen. Es schien mir besser, mich ihren Worten zu beugen. Verweht war zwar der Traum, ein Gedicht zu erhalten, das Balsam für die Seele eines anderen gewesen war, aber mir wurde doch ganz warm ums Herz bei dem Gedanken an das Leben einer Frau, die in jungen Jahren Gedichte las und in hohem Alter Beifuß pflückt. Auf dem Weg zurück nach Yeosu stand ich am Bug und schaute mit winkender Hand in Richtung Seo-do. In zehn Jahren werde ich in ihrem Alter sein. Dann möchte ich noch einmal nach Geomun-do kommen und ihre Hände in den meinen halten.

Die Amateurband Deungdae und eine Mutter, die Gedichte liebt

Wie man auf die schöne Insel Geomun-do kommt

Flugzeug KTX Auto/Bus

Fährverbindung

Page 54: Koreana Spring 2015 (German)

54 KOREANA Frühjahr 2015

NEU

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Während in Korea die Erforschung

der Malerei der Joseon-Zeit (1392-

1910) für die kunsthistorische For-

schung als solche als fruchtbares Terrain

gedient hat, wurde sie im Westen weitgehend

vernachlässigt. Die Kluft zwischen koreani-

scher Forschung und westlichem Kenntnis-

stand versucht Pathways to Korean Culture

zu überbrücken. 500 Jahre abzudecken ist

selbst in einem fast 400 Seiten starken Werk

nicht einfach. Daher gibt die Autorin keinen

umfassenden Überblick über die gesamte

Joseon-Zeit, sondern präsentiert Pfade im

Sinne von Fallbeispielen, die als Ausgangs-

punkte für weitere Forschungen dienen kön-

nen. Entsprechend kann einigen Bereichen

nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit

gewidmet werden, die jeweils behandelten

Themen werden vielmehr in ihren jeweiligen

soziokulturellen Kontext eingebettet erörtert

und nicht als unabhängige Erscheinungen.

Das ist zwar eine Kompromisslösung, aber

eine gelungene.

Die Autorin räumt die Herausforderungen

ein: Verlust vieler Joseon-Malereien aus

der Zeit vor dem 17. Jh, Mangel an Debatten

über die erhaltenen Werke, unterschiedliche Romanisierungssyste-

me usw. Jungmann hat sich bemüht, diese Schwierigkeiten zu über-

winden bzw. in problematischen Fällen die damit verbundenen Impli-

kationen nicht aus den Augen zu verlieren.

Methodisch behandelt Pathways die Thematik unter zwei Prinzipien:

Es stellt das Konzept „Einfluss“ in Frage und bietet als Alternative

das von Stuart Hall eingeführte Konzept „kulturelle Übersetzung“.

Während bisher viele davon ausgegangen sind, dass die chinesische

Kunst die koreanische ihre ganze Geschichte hindurch beeinflusste,

ist diese Sicht für Jungmann nicht haltbar: Sie spricht von Inspiration

und Interpretation und fokussiert auf die Adapationsweise einzelner

Elemente. Hauptunterschied ist, dass das „Einfluss-Konzept“ Kunst-

geschichte eine hierarchisierende Betrachtung überstülpt, die beim

Konzept der„kulturellen Übersetzung“ fehlt.

Pathways gliedert sich in drei Teile. Der erste umfasst die frühe

Joseon-Zeit vom 15. bis späten 17. Jh. Hier geht es um chinesische

Traditionen und ihre Interpretation durch Künstler der frühen Jo-

seon-Zeit, die Ästhetik der Literati im 15. Jh und die Rolle von Frauen

als Produzentinnen und Konsumentinnen/Mäzeninnen von Kunst.

Teil 2 und 3 widmen sich dem 18. und 19. Jh und thematisieren Fra-

gen wie Wandel im Landschaftsgemäldestil, Erkundung neuer

Trends, Arbeiten von Profimalern außerhalb der Literati-Kreise

sowie Beziehung zwischen hof- und Volksmalerei.

Gedruckt auf schweres, glänzendes Papier und illustriert mit über

hundert großformatigen Farbreproduktionen ist Pathways zudem in

Bezug auf Material und Optik ein Schmaus.

Pathways to Korean Culture: Paintings of the Joseon Dynasty, 1392-1910Burglind Jungmann, London: Reaktion Books. 392 Seiten. £40.00

Wertrolle Fallstudien: Bilder aus der Joseon-Zeit

Page 55: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 55

Das Literature Translation Institute of

Korea, kurz LTI Korea, hat sich in den

letzten zwanzig Jahren für die welt-

weite Bekanntmachung der koreanischen

Literatur eingesetzt. Die Bibliothek des Ins-

tituts, deren Geschichte 2001 als Institutsar-

chiv begann, wurde 2007 offiziell eingerich-

tet und fungiert seitdem als wertvolle Infor-

mationsquelle für alle an der Übersetzung

koreanischer Literatur Interessierten.

Seit 2009 besteht eine Online-Präsenz der

Bibliothek und am 15. Januar 2015 wurde

schließlich die offizielle Webseite eröffnet,

womit ein unschätzbarer Fundus an Infor-

mationen über Übersetzungen koreani-

scher Literatur der Öffentlichkeit zugäng-

lich gemacht wurde. In der Bibliographie

sind über 4000, in 37 Sprachen übersetzte

Buchtitel gelistet. Hinzu kommen Links zu

DVDs, E-Büchern, Videos und Webseiten

sowie Informationen über Events, Presse-

meldungen und Zeitschriftenartikel. Eine

Liste von Autoren, Übersetzern und Verla-

gen gibt Aufschluss über das Who’s Who

in der Welt der Übersetzung koreanischer

Literatur.

Der größte Pluspunkt der Webseite liegt darin, eine Unzahl von

Einzelinformationen zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus

noch die Verbindungen zwischen diesen Informationen aufzuzei-

gen. Sucht man z.B. in der Autorenliste einen bestimmten Autor,

erhält man nicht nur biographische Informationen zur Person,

sondern auch Links zu Übersetzungen seiner Werke, diesbezügli-

che Events, Berichte über sein Werk oder andere relevante Infor-

mationen.

Die Datenbasis der romanisierten Namen, die die unterschiedli-

chen Transkriptionen der Autorennamen und Vorschläge für eine

Standardisierung enthält, erscheint angesichts des Mangels an

Einheitlichkeit in der Romanisierung von Autorennamen beson-

ders nützlich. Obwohl laut Webseite die Datenbank im Dezember

2014 hochgeladen wurde, scheint sie noch nicht direkt zugänglich

zu sein, weshalb die Suche in der Autorenliste eine exakte Ent-

sprechung zur bevorzugten oder empfohlenen Romanisierung

verlangt.

Abgesehen von diesem kleinen Mangel, um dessen Abhilfe man

sich hoffentlich bald bemühen wird, dürfte die Webseite der LTI-

Bibliothek ein nützliches Instrument für jeden sein, der sich mit

dem wachsenden Pool von Informationen über übersetzte korea-

nische Literatur beschäftigen möchte.

Online-Archiv der Übersetzungen der koreanischen LiteraturDie Bibliothek des LTI Koreahttp://library.klti.or.kr

Page 56: Koreana Spring 2015 (German)

56 KOREANA Frühjahr 2015

Es ist weit bekannt, dass der weltberühmte britische Schauspie-

ler und Filmregisseur Charlie Chaplin es beim Charlie Chaplin

Look-Alike Contest nur auf Platz 3 schaffte. Aber es ist schwer,

Aufzeichnungen über den Erst- und den Zweitplatzierten zu finden,

vielleicht, weil die Imitation nur als ein Schatten des Originals ange-

sehen wurde. Hidden Singer, ein Kabel-Fernsehprogramm, das sich

mit einer beispiellosen Einschaltquote von 4 bis 5% hoher Beliebtheit

erfreut, räumt mit solchen Vorurteilen auf.

Wettbewerb zwischen Original-Interpret und Imitator Die Regeln sind simpel: Ein berühmter Sänger und einige hervorran-

gende Imitatoren singen, hinter einem Vorhang versteckt, abwech-

selnd einige Verse eines ausgewählten Liedes des Stars. Nach der

Gesangsdarbietung drückt eine Jury von einhundert Personen jeweils

die Nummer des Teilnehmers, der dem Original-Interpreten am

wenigsten nahe kommt. Nach der Bewertung hebt sich der Vorhang

und es wird festgestellt, wer mit wie vielen Stimmen durchgefallen ist.

Auf diese Weise scheidet in jeder Runde ein Kandidat aus und der Sie-

ger der Endrunde, in der die letzten zwei Sänger gegeneinander antre-

ten, erhält ein Preisgeld von umgerechnet rund 8.000 Euro. Bis hierhin

scheint es sich um einen normalen Imitations-Gesangcontest im Sur-

vival-Format zu handeln. Aber der kreative springende Punkt bei Hid-

den Singer ist, dass sich auch der Sänger dem Wettbewerb stellt. D.h.

bei diesem Contest-System kann der ursprüngliche Interpret durch-

fallen, wenn er auf einen Imitator trifft, der besser als er ist.

Dieses neue Umkehr-Konzept sorgte für enthusiastische Reaktio-

nen. Als 2012 Jahresend-Pilotprogramme mit der berühmten korea-

nischen Sängerin Lena Park und danach mit dem Rockmusiker Kim

Kyung-ho ausgestrahlt wurden, folgte eine prompte Zuschauerre-

aktion. Und als dann drei Monate später Hidden Singer als reguläres

Programm mit dem koreanischen Balladensänger Sung Si-kyung

übertragen wurde, kletterte die Einschaltquote auf 2%, was damals

für einen Kabelsender mit Genre-übergreifenden Programminhal-

ten wie Serien, Allgemeinbildung, Unterhaltung und Sport, der nor-

malerweise nicht über die 1%-Quote hinauskommt, ein bemerkens-

werter Erfolg war.

Imitator gewinnt gegen Original-InterpretBei Programmstart war der unterhaltsame Faktor relativ eindeutig:

Nirgendwo sonst konnte man miterleben, dass ein Sänger, der sich

selbstverständlich für spitze hält, wegen der Imitationskunst eines

Herausforderers, der „echter als das Original“ klingt, ins Schwitzen

gerät. Insbesondere in der Folge mit dem Rockmusiker Kim Kyung-

ho beeindruckte der Kandidat Won Kill mit einer so perfekten hohen

Tonlage, dass selbst der Profi Kim perplex war. Zudem versetzte

bei der Folge mit dem Sänger Lee Moon-sae ein Imitator die Jury in

Erstaunen, da nicht nur seine Gesangsimitation, sondern auch seine

Sprechstimme kaum von der des echten Interpreten zu unterschei-

den war. Die Möglichkeit, dass im Wettbewerb mit den Imitatoren

auch der Star durchfallen könnte, machte nicht nur die Sänger ner-

ENTERTAINMENT

Im November 2014 sorgte der Survival-Gesangscontest Hidden Singer des koreanischen Kabelsenders JTBC durch den Verkauf der Programmformat-Publikationsrechte an das US-Medienunternehmen NBC Universal für einige Furore. Davor hatte bereits der koreanische öffentlich-rechtliche Sender MBC die Format-Rechte seines TV-Programms Dad, Where are We Going? an China verkauft, wo es unter dem Titel „爸爸去哪儿 (Where are We Going, Dad!)“ ausgestrahlt wurde. Des Weiteren wurde das Sendeformat von Better Late than Never von tvN als erstes koreanisches Unterhaltungsprogramm an das amerikanische Hörfunk- und Fernseh-Network NBC verkauft. Aber wie im Fall von Superstar K von Mnet, das viele Elemente des FOX-Programms American Idol übernommen hat, und The Voice of Korea, dessen Format ursprünglich auf den niederländischen englischsprachigen Gesangswettbewerb The Voice of Holland zurückgeht, war die vorrherrschende Meinung, dass das Survival-Gesangscontest-Konzept ursprünglich aus dem im weiteren Sinne englischsprachigen Raum stammt. Aus diesem Grund kann der Export von Hidden Singer in die USA als bahnbrechend für Korea betrachtet werden.

Hidden Singer Stimmimitatoren und ihre Passion - Songs in neuem Gewand Wee Geun-woo

Journalist, Webmagazin IZE

Page 57: Koreana Spring 2015 (German)

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 57

vös, sondern auch die Zuschauer. In den meisten Fällen schafften es

die Profis trotz der kritischen Momente, in denen der Ausgang auf

der Kippe stand, dann doch noch mit knapper Not ins Finale und die

Zuschauer verfolgten Woche für Woche gebannt die Endrunde.

Was die im September 2013 gestartete zweite Staffel dann beson-

ders beeindruckend machte, war, dass das bis dahin normale Mus-

ter, nach dem der Star letztendlich dann doch gewann, durchbrochen

wurde. Genau das passierte in der Folge mit dem Sänger Shin Seung-

hun, der unter den bis dahin aufgetretenen Stars in puncto Bekannt-

heitsgrad, Alben-Verkaufszahlen usw. zu den Besten gehörte. Der

Wettkampf fokussierte hauptsächlich auf Shins Hits aus seiner Blü-

tezeit in den 1990ern, was für die Imitatoren Wettbewerbsvorteile mit

sich brachte, da sich Shins Stimme im Laufe der Zeit verändert hatte.

Dennoch kam das Ergebnis als Schock. Und noch bevor sich dieser

Schock gelegt hatte, erlitt der Balladensänger Jo Sung-mo gleich in

der nächsten Folge eine Niederlage, und zwar nicht einmal im Finale,

sondern bereits in der zweiten von insgesamt vier Runden.

Songs erwecken Erinnerungen und EmotionenDer Grund dafür, dass Hidden Singer über Generationen hinweg bis

Staffel 3 an Popularität und Zustimmung gewinnen konnte, liegt letz-

ten Endes darin, dass es über den reinen Kampf um Platzierungen

hinaus gelang, durch die Songs an sich eine emotionale Bindung zwi-

schen Sängern, Imitatoren, Jury und Zuschauern herzustellen. Die

meisten der Stimmenimitatoren waren Fans, die den jeweiligen Inter-

preten bewunderten, seine Songs liebten und sich deswegen im Nach-

singen übten. Die Teilnehmer der ersten Folge der zweiten Staffel mit

dem Sänger Lim Chang-jung waren gar den Tränen nah, als sie sich

gemeinsam an die Zeit seines Rücktritts als Sänger erinnerten. Auch

diejenigen, die mit seinen Hits aufgewachsen waren, konnten, ein-

getaucht in die Stimmung einer Zeitreise in die Vergangenheit, sich

bestens unterhaltend mitsingen, als Lim gemeinsam mit den Imita-

toren sang. Der leitende Produzent, Regisseur Jo Seung-uk, erklärt

ebenfalls, dass die emotionale Bindung, die unabhängig vom Ergebnis

zwischen Sängern und Teilnehmern entsteht, das eigentliche Thema

dieses Programms sei: „Eigentlich dachte ich am Anfang, dass es ein

unterhaltsames und interessantes Spiel sein wird, wenn der echte

Sänger und die Stimmimitatoren mit verdeckten Gesichtern singen.

Aber während der Vorrunden und der Aufnahmen wurde mir klar, dass

die Teilnehmer nicht nur gesangstechnische Imitationstalente waren,

sondern dass sie sich auch viel Mühe gaben, um einen bestimmten

Sänger und dessen Lieder möglichst haargenau nachzuahmen, weil sie

ihn und seine Songs so sehr mochten. Ich habe bei ihnen eine Fan-Lie-

be entdeckt, die über das normale Maß hinausging.“

Genau deshalb könnte Hidden Singer aber auch an Grenzen stoßen:

Es gibt zwar unzählig viele Sänger, aber nur wenige, deren Popula-

rität eine Generationskluft von zehn Jahren überdauert hat und die

viele Hits landen konnten. Die Sänger von solch legendärem Niveau

sind größtenteils bereits in der Sendung aufgetreten, so dass nur

noch wenige übrig bleiben, und auch das Casting ist nicht einfach.

Wird Hidden Singer diese grundlegenden Beschränkungen überwin-

den und noch einmal eine erfolgreiche Staffel präsentieren können?

Die Antwort darauf gibt wohl folgende Erklärung von Regisseur Jo

Seung-uk: „In unserem Programm gibt es neben Sänger und Imita-

toren einen weiteren ‚Hauptdarsteller‘: den Song. Wird ein Song zum

ersten Mal präsentiert, gehört er ausschließlich dem Interpreten,

aber mit der Zeit bekommt er eine neue Bedeutung und verändert

sich wie ein lebendiges Wesen. Er wird erneut aufgenommen oder

von neuen Zuschauern neu interpretiert. Deswegen freue ich mich

sehr, wenn ich höre, dass die Zuschauer nach unserer Sendung zu

Hause die alten CDs wieder herauskramen und sich anhören.“

Der Grund dafür, dass Hidden Singer über Generationen hinweg an Popularität und Zustimmung gewinnen konnte, liegt letzten Endes darin, dass es über den reinen Kampf um Platzierungen hinaus gelang, durch die Songs an sich eine emotionale Bindung zwischen Sängern, Imitatoren, Jury und Zuschauern herzustellen.

Der Wettstreit zwischen dem Star und den Imitatoren in Hidden Singer sorgt für Festival-Stimmung, egal, wer gewinnt oder verliert.

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58 KOREANA Frühjahr 2015

GOURMETFREUDEN

Gimbap Park Chan-il Koch, Kolumnist

Fotos Lim Hark-hyoun

A ls ich klein war, ließ meine Mutter mich oft

Besorgungen machen. Vielleicht bin ich

ja deshalb Koch geworden, weil ich als

Kind öfters Lebensmittel für sie einkaufen muss-

te: Das Kochen beginnt mit Überlegungen, wel-

che Zutaten man braucht, was gute Zutaten kenn-

zeichnet, ob der Preis stimmt usw. Meine Boten-

gänge waren gute Übungen dafür. Wenn ich Gim holen

sollte, war ich in Hochstimmung. In der Vorfreude, am nächsten

Tag Gimbap essen zu können, besorgte ich Spinat, Karotten, Dan-

muji (eingelegter Rettich), Eomuk (eine Art Fischkäse, jap. Kama-

boko) Würstchen und zwei Cheop (Packung mit 10 Gim-Blättern)

Gim. Auf dem Nachhauseweg riss ich manchmal von den Ecken

der Gim-Blätter Stückchen ab und aß sie genussvoll. Damals,

als getrocknete Seetangblätter noch wertvoll und teuer waren,

schmeckte Gim mir auch pur nur zu gut. Sobald die Seetang-

Stückchen in meinen verschwitzten Fingern in Mundnähe kamen,

konnte ich den intensiven Meeresgeruch riechen.

Das beste Lunchbox-Essen für SchulausflügeAn Schulausflugtagen begann Mutter frühmorgens mit der Gim-

bap-Zubereitung, indem sie Reis aufsetzte. Dabei gab sie sich

besondere Mühe: Sind die Körner zu weich, verliert die Gimbap-

Rolle ihre Form, sind sie zu hart, kleben sie nicht ordentlich anei-

nander. Abgeschmeckt mit Salz und mit etwas Essig vor dem

Schlechtwerden im Laufe des Ausflugstages bewahrt, konnte es

danach an die Füllung gehen. Mutter war dann schon seit vier oder

fünf Uhr früh auf den Beinen. Wenn der aromatische Duft der zu

dünnen Pfannkuchen verarbeiteten geschlagenen Eier, die in der

Pfanne brutzelten, und von Spinat und Karrottenstreifen, die kurz

in der Pfanne gerührt wurden, uns Kinder weckte, standen wir auf,

um Mutter beim Gimbap-Machen zuzuschauen.

Der Höhepunkt war das Rollen: Auf eine speziel-

le Bambusmatte wird ein Blatt Gim gelegt, auf

dem dann der gewürzte Reis gleichmäßig verteilt

wird. Darauf kommen in die Mitte die Füllzutaten.

Anschließend wird das Ganze eingerollt, wobei eine

gleichmäßige und angemessene Druckstärke - nicht

zu stark und nicht zu schwach - entscheidend ist. Auch

das Schneiden ist nicht so einfach. Ist man nicht vorsichtig genug,

kann das Gim-Blatt reißen und dazu führen, dass „die Gimbap-

Rolle an der Seite platzt“. Diese Wendung benutzen die Koreaner

auch scherzhaft, um auszudrücken, dass unerwartet geschehene

Dinge sie völlig von den Socken hauen, d.h. das Platzen der Rolle

war eine entsprechend ernst zu nehmende Angelegenheit. Damit

das nicht passiert, ist auch beim Schneiden Vorsicht angesagt. Man

schneidet die Rolle mit einem Küchenmesser mit gut geschärfter

Stahlschneide, die zwischendurch mit Wasser befeuchtet wird, in

kleine Stücke. Meine Mutter, eine freigebige Natur, schnitt die Rolle

immer in so großzügige Stücke, das keins auf einen Happs in den

Mund passen wollte.

Am wenigsten mundete Gimbap, wenn der Ausflug wegen Regen

ins Wasser fiel und wir die Röllchen in der Aula oder dem Klassen-

zimmer essen mussten. Da fehlten einfach der Duft des Grases

und die warme Maisonne.

Gimbap in allen Geschmacksrichtungen und FormenLaut Wörterbuch ist Gimbap „ein Gericht, bei dem Zutaten wie

Reis und Gemüse in ein Seetangblatt eingerollt werden“. Je nach

Füllzutaten wie z.B. Kimchi, Thunfisch, Käse, Anchovis, Jangajji

(in Soße oder Paste eingelegte Gemüse) usw. ergeben sich unter-

schiedliche Geschmacksnoten. Heutzutage kommt Gimbap auch

Von Gimbap („gim“: Seetang, „bap“: Reis) à la Mama aus den Kindheitserinnerungen, den man für Schulausflüge einpackte, über den Ein-Euro-Gimbap, der für viele mit schmaler Haushaltskasse als Mahlzeit dient, bis hin zum Luxus-Gimbap, der im Zuge des Wellness-Hypes teuer verkauft wird: Erfahren Sie mehr über diesen koreanischen Lieblingsimbiss und seine Geschichte.

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 59

Gimbap ist ein Gericht, für das Reis, Gemüse usw. in ein Blatt getrockneten Purpurtang (Gim) gerollt werden. Je nach Füllung wie Kimchi, Dosenthunfisch, Käse, Anschovis, eingelegtem Gemüse usw. schmeckt Gimbap anders.

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60 KOREANA Frühjahr 2015

1. Es macht Spaß, bei der Gimbap-Zubereitung zuzuschauen. Besonders interessant und nicht zuletzt Appetit anregend ist zu sehen, wie der Gimbap mit der Bambusmatte gerollt wird, nachdem Reis und verschiedenfarbige Füllungen auf dem Gim-Blatt arrangiert wurden.

2. Der neue Luxus-Gimbap, der mit dem Stereotyp „Gimbap=Armeleutegericht“ aufräumt, und in verschiedenen Geschmacksvarianten in ansprechendem Ambiente serviert wird, gewinnt unter den jungen Leuten immer mehr an Beliebtheit.

in unterschiedlichen Formen und Größen daher: als Samgak-Gim-

bap (Dreieck-Gimbap), Mini-Gimbap für Kleinkinder-Münder oder

„nacktes“ Gimbap, bei dem die Füllung mit Gim umwickelt und

die Reishülle darauf gepappt wird. Dazu gibt es noch landesweit

beliebte regionale Gimbap-Spezialitäten: Repräsentativstes Bei-

spiel ist Chungmu-Gimbap, eine Spezialität aus Chumgmu (heute:

Tongyeong), Provinz Gyeongsangnam-do, bei dem der ungewürz-

te Reis in Gim gewickelt wird und mit scharfen Beilagen wie z.B.

Ggakdugi (würfelförmiger Rettich-Gimchi) oder gewürztem Tin-

tenfisch serviert wird. Es heißt, dass diese Variante für Seeleute

erfunden wurde, denen es an Zeit und haltbaren Zutaten für auf-

wändigere Gerichte und Mahlzeiten fehlte.

Seit wann essen die Koreaner Gimbap? Ob Gimbap aus Japan nach

Korea kam oder es eine ursprünglich koreanische Spezialität aus

alter Zeit ist — darüber wird immer noch heiß diskutiert. Man-

che behaupten, dass das japanische Maki-Sushi oder Futomaki-

Suhi während der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) oder

schon mit der Öffnung der Häfen Ende des 19. Jhs nach Korea

kam, andere kontern, es sei doch nur natürlich, dass die Koreaner,

die schon seit jeher Gim gegessen haben, Reis in getrocknete See-

tangblätter eingewickelt verzehren.

Dr. Jeong Mun-gi, der als erster in Korea in Fischereiwissenschaft

promovierte, schrieb in Fischereierzeugnisse der Joseon-Zeit,

dass die Geschichte des Gim in Korea 200 Jahre zurückreicht, als

man an den Bangnyeom (reusenartige Fischfang-Vorrichtungen)

im Meer vor der Insel Wan-do, Provinz Jeollanam-do, Seetang

fand, der dann zum Verzehr in Meeresfarmen angebaut wurde.

Hiermit wird betont, dass unabhängig von der Frage, welches

Land nun Urheimat des Gimbap sein mag, die Gim-Zucht eigen-

ständig in Korea entwickelt wurde. Gim findet aber noch früher

Erwähnung: In einem Gedenk-Monument aus den 1640er Jahren,

das für den Seonbi-Gelehrten Kim Yeo-ik in Gwangyang, Provinz

Jeollanam-do, errichtet wurde, ist zu lesen, dass Kim „während

der Zweiten Mandschu-Invasion 1636 als Milizsoldat diente und zur

Zeit von König Injo (reg. 1623-1649) Gim züchtete und so zum Wohl-

ergehen des Dorfes beitrug“. Auch in Der Geographie der Provinz

Gyeongsang-do aus der Zeit von König Sejong (reg. 1418-1450)

und im Dongguk yeoji seungnam (Geographischer Überblick über

Korea) aus der Zeit von König Seongjong (reg. 1469-1494), wird Gim

erwähnt. Beide Belege weisen darauf hin, dass Gim bereits lange

bevor er gezüchtet wurde, bei den Koreanern ein beliebtes, aus

dem Meer gewonnenes Nahrungsmittel war.

Ob Gimbap aus Japan nach Korea kam oder es eine ursprünglich koreanische Spezialität aus alter Zeit ist – darüber wird immer noch heiß diskutiert. Manche behaupten, dass das japanische Maki-Sushi oder Futomaki-Suhi während der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) oder schon mit der Öffnung der Häfen Ende des 19. Jhs nach Korea kam, andere kontern, es sei doch nur natürlich, dass die Koreaner, die schon seit jeher Gim gegessen haben, Reis in getrocknete Seetangblätter eingewickelt verzehren.

1

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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 61

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Im Kreis Hadong-gun, Provinz Gyeongsangnam-do, wird folgende

berühmte, seit alter Zeit tradierte Geschichte über die Gim-Züch-

tung erzählt: Vor ca. 300 Jahren fand eine alte Muschelsammle-

rin an der Stelle, wo der Fluss Seomjin-gang ins Südmeer fließt,

ein von Seetang bedecktes Stück Holz. Inspiriert davon befestigte

sie Gim an Bambusstangen, die sie dann ins Meer steckte. Diese

als Stützstangen-Methode bezeichnete Zuchtmethode ist eine der

ältesten ihrer Art.

Billig-Gimbap vs. Luxus-GimbapGimbap, einst ein seltener und geschätzter Imbiss, den es nur zu

besonderen Anlässen wie Schul- oder Familienausflügen gab, ist

heute einer der billigsten und beliebtesten Essen für jedermann

und jeden Tag. Die günstigste Rolle Gimbap ist schon für 1.000

Won, also nicht mal einen Euro, zu haben und kostet damit deutlich

weniger als eine durchschnittliche Mahlzeit. Als Koch beschäfti-

ge ich mich stets mit Zutaten und Preisen, und ich frage mich, wie

bei diesem Preis noch Gewinn zu machen ist. Denn eine Schale

Reis kostet in einem durchschnittlichen Restaurant normalerwei-

se 1.000 Won. Für denselben Preis erhält man in manchen Gim-

bap-Läden aber nicht nur eine gewürzte und gefüllte Gimbap-Rol-

le, sondern auch noch Suppe und Kimchi dazu. Wie auch immer,

fest steht, dass Gimbap für alle, um die es wirtschaftlich schlecht

bestellt ist, ein willkommenes und geschätztes Gericht darstellt.

Im Gegensatz dazu gibt es auch „Luxus-Gimbap“, propagiert als

„Wellness-Essen“ für Gesundheitsbewusste, dessen hoher Preis

mit den gesunden Zutaten gerechtfertigt wird. Manche kritisie-

ren ihn als „Kaiser-Gimbap“ und monieren, dass es sich lediglich

um einen billigen Verkaufstrick handelt, während wieder ande-

re meinen, dass Gimbap nicht unbedingt in der niedrigen Preis-

klasse bleiben müsse. Die Idee, Gimbap vom Image des Kleine-

Leute-Essens zu befreien und in Restaurants mit einem gewissen

Ambiente zu genießen, ist erfrischend. Stellt sich die Frage, wie

viele Menschen wohl bereit sind, 5.000-6.000 Won für eine Rolle

Gimbap auszugeben bzw. sich dies überhaupt leisten können. Es

bleibt abzuwarten, ob dieser Luxus-Gimbap-Trend, geboren aus

dem Misstrauen gegenüber der Qualität des Billig-Gimbaps einer-

seits und dem Verlangen nach einer neuen Art des kulinarischen

Genusses andererseits, sich als kurzlebig erweisen wird, oder

aber in nachhaltiger Erinnerung bleiben wird als ein aufschluss-

reicher Versuch, der die Wertschätzung von Gimbap als einst

nahrhaftes und gesundes Essen erneut bestätigt.

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62 KOREANA Frühjahr 2015

REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR

Auch die Erzählung Geleitschutz des Lichts ist voll von Ele-

menten der „Langsamheit”, was bereits von Anfang an

deutlich zu erkennen ist. Sie beginnt damit, dass „ICH“ bei

seiner Ankunft auf dem New Yorker Flughafen auf dem Weg zur

Einreisekontrolle kurz stehen bleibt. Der Flughafen voller Men-

schen, von denen jeder in Richtung seines jeweiligen Ziels has-

tet, ist ein symbolträchtiger Raum, der den Alltag des modernen

Städters in konzentrierter Form widerspiegelt. Inmitten all die-

ser „Schnellheit“ hält der Protagonist plötzlich inne und wendet

sich der „Langsamheit“ zu. Auslöser ist der fallende Schnee jen-

seits der Fenster. Der leise vom Himmel rieselnde Schnee, der die

Rollbahnen bedeckt, verkörpert die Langsamheit. ICH bleibt, sich

ans „Largo“ des fallenden Schnees anpassend, kurz stehen, löst

sich in diesem Moment der Langsamheit von der Alltagsgeschäf-

tigkeit und wird mit einer schemenhaften Szene aus Erinnerun-

gen an eine ferne Vergangenheit konfrontiert. Ab hier beginnt die

Erzählung mit dem Prozess, langsam, aber mit unnachgiebiger

Stetigkeit zu den Geheimnissen der Vergangenheit vorzudringen.

Die dem Erzähler in diesem Moment im Ohr erklingende Melodie

aus der Vergangenheit ist ebenfalls von endloser Langsamheit.

Es ist eins dieser Lieder, die man den ganzen Tag einfach so vor

sich hin summt, ohne Titel oder Interpret zu kennen, und das nie-

mand außer einem selbst wahrzunehmen vermag. So ergeht es

auch dem Protagonisten. Die vage Melodie führt ihn „durch lange

Zeiträume hindurch“ in eine weit zurückliegenden Vergangenheit:

zu einem „kleinen, dunklen Zimmer“, einem „schneebedeckten

Schulhof am Sonntag“ oder in ein „von dichtem Medikamenten-

geruch durchdrungenes Krankenzimmer“, und die Schritte, die

der „breiten, langsamen und äußerst gedehnten“ Melodie folgen,

bestimmen den epischen Rhythmus der Erzählung.

Der in „Largo“ begonnene narrative Verlauf zeitigt mittels wohl

durchdachter Andeutungen, geschickter Tempo-Kontrolle der

Auf die Erzählungen von Jo Hae-jin passt das Wort „largo“ sehr gut: „breit und langsam, äußerst gedehnt“. In treffenden Ausdrücken und schlichten Sätzen bar jeder Überflüssigkeiten erzählt die Autorin langsam, aber ohne Stockungen. Sie gehört nicht zu den Schriftstellern, die zu sehr auf neue Stoffe oder Ideen angewiesen sind oder sich gern Humor, Geistreichtum oder Zynismus bedienen. Exakt berechnete „Langsamkeiten“ werden aufgehäuft, um am Ende der Erzählung erfolgreich einen gewichtigen Nachklang der Gefühle zu hinterlassen. In diesem Sinne kann man sagen, dass Jos Erzählungen sich treu an die charakteristische Ästhetik der kurzen Erzählung halten, bei der es Ausschnitte des menschlichen Lebens mit feinem, scharfem Blick zu erfassen gilt.

Der Weg von der Dunkelheit zum Licht Chang Du-yeong Literaturkritiker

REZENSION

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epischen Entwicklung und gut gestrickten Plots ein komplexes

Bedeutungsgeflecht. Der langsame und ruhige, manchmal sogar

Andächtigkeit hervorrufende originäre Grundton der Erzählung

erinnert an eine von Meisterhand Stich für Stich gefertigte Sti-

ckerei. Er verwebt die verschiedenen Einzelprozesse gekonnt zu

einem Ganzen, bei dem die Akkumulation kleiner Einzelhinwei-

se Erstaunen auslöst und die Akkumulation dieser Momente des

Erstaunens wiederum Ansätze zu Einsichten in das Wesen des

Menschen und der menschlichen Zivilisation gebiert.

Erstens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess des Rät-

sellösens. Der Leser beteilligt sich bereitwillig an den Bemühun-

gen des Protagonisten, die Schluchten der Vergessenheit über-

springen zu wollen und sich der Wahrheit der Vergangenheit zu

stellen. Die Hinweise werden einer nach dem anderem angeboten

und ICH betrachtet sie still und lange. „Erst nachdem noch etwas

mehr Zeit verflossen war, kamen diese Hinweise langsam und

Schritt für Schritt zu mir, gleichsam wie Fußspuren, die in gewis-

sen Abständen in den Schnee auf dem Schulhof hineingedrückt

waren.“ Die Melodie jenseits des Gedächtnisses lässt sich nicht

durch einen Willensakt zum Erklingen bringen, sie nähert sich

einem vielmehr von alleine, Stück für Stück und langsam. Des-

halb sagt ICH: „Erst da wurde mir langsam bewusst, dass die-

ses Bild von ihr, das ich an dem Tag auf der Straße gesehen hatte,

schon lange einen Teil meines Inneren besetzt gehalten hatte.“

Zweitens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess, den

Anderen wahrhaftig zu verstehen. Sie zeigt, wie man entfremde-

te und verlassene Mitmenschen ansprechen kann, und die Lich-

terpracht, die sich in diesem Moment entfaltet. Dabei macht der

Gefühlsaustausch zwischen dem ICH und dem Anderen einen

mühsamen und schwerfälligen Prozess des Zögerns durch. Der

Protagonist überlegt sich kurz, auf den anderen zuzugehen und

mit ihm seinen Regenschirm zu teilen, lässt es dann aber, weil er

das wahrscheinlich entstehende Schweigen unter dem Regen-

schirm fürchtet. ICH hält Anteilnahme oder Kommunizieren für

Einmischung und gesteht daher: „Ich wollte nicht unbesonnen am

inneren Drama eines anderen teilhaben“. Dass dieser Prozess

so mühevoll und schleppend ist, zeigt uns, welch tiefe und uner-

schütterliche Aufrichtigkeit eine wahre Kommunikation mit dem

Anderen erfordert.

Drittens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess, aufzu-

zeigen, wie die Größe beschaffen ist, die vom Menschen verlangt

wird. Folgt man der sich mittels feiner Metaphern entwickelnden

Geschichte, stößt man auf die Gestalt des Anderen, der durch unser

Desinteresse von der Welt entfremdet in einem kleinen, dunklen

Zimmer eingesperrt ist. Manchmal geschieht das auf der Ebene

des Individuums, manchmal auf der der Geschichte. Wie dem auch

sein mag, wichtig ist: dem Anderen einen Lichtstrahl zu reichen,

damit er aus dem dunklen, kleinen Zimmer entkommen kann. Men-

schen retten, d.h. einen „Geleitschutz des Lichts“ anzubieten, ist

zwar „das Größte, etwas, das auch nicht jeder kann“, gleichzeitig

aber auch eine menschliche Pflicht, die jeder unternehmen kann

und auch muss – so das leise Plädoyer der Erzählung.

Eine der Hauptfiguren in der Erzählung sagt: „Der Fußabdruck

trägt Licht in sich. Sieht er nicht aus wie ein voll mit Licht belade-

nes Bötchen?“ Tatsächlich gibt es immer und überall Licht in unse-

rer Umgebung. Nur: um dieses Licht zu entdecken, muss man

die Wahrheit wiederherstellen und dem Anderen die Hand rei-

chen. Mut ist gefragt, um das Zögern zu überwinden. Durch solche

Anstrengungen kann ein „kleines Licht“ zu einem „großen Licht“

werden, das den einsamen und entfremdeten Menschen in unse-

rer Umgebung Geleitschutz bietet. Die bedächtige und volle Stim-

me der Autorin konzentriert sich am Ende auf die Möglichkeit der

wahren Kommunikation mit dem Anderen. Das ist das menschliche

Ethos, das diese Erzählung zum Ausdruck bringen möchte.

Der Weg von der Dunkelheit zum Licht