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52. Jahrgang • Dezember 2001 • ISSN 0032-3462 POLITISCHE STUDIEN Zweimonatszeitschrift für Politik und Zeitgeschehen Atwerb-Verlag KG Das Prinzip Nachhaltigkeit Zukunftsorientiertes Denken und Handeln in ausgewählten Lebensbereichen Mit Beiträgen von Uwe Brandl Alois Glück Claus Hipp Hans Hollenstein Martin Lendi Holger Magel Matthias Reichenbach-Klinke Markus Vogt Hanns Seidel Stiftung eV Sonderheft 1 / 2001

Politische Studien Sonderheft 1 2001: Das Prinzip ... · 52. Jahrgang • Dezember 2001 • ISSN 0032-3462 POLITISCHE STUDIEN Zweimonatszeitschrift für Politik und Zeitgeschehen

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52. Jahrgang • Dezember 2001 • ISSN 0032-3462

POLITISCHES T U D I E NZ w e i m o n a t s z e i t s c h r i f t f ü r P o l i t i k u n d Z e i t g e s c h e h e n

Atwerb-Verlag KG

Das PrinzipNachhaltigkeit ZukunftsorientiertesDenken und Handeln in ausgewählten Lebensbereichen

Mit Beiträgen von

Uwe BrandlAlois GlückClaus HippHans HollensteinMartin LendiHolger MagelMatthias Reichenbach-KlinkeMarkus Vogt

HannsSeidelStiftung eV

S o n d e r h e f t 1 / 2 0 0 1

Herausgeber:Hanns-Seidel-Stiftung e.V.Vorsitzender: Alfred Bayer, Staatssekretär a.D.Hauptgeschäftsführer: Manfred BaumgärtelReferat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit /Publikationen: Hubertus Klingsbögl

Redaktion:Dr. Reinhard C. Meier-Walser (Chefredakteur, v. i.S.d.P.)Wolfgang Eltrich M.A. (Redaktionsleiter)Barbara Fürbeth M.A. (stellv. Redaktionsleiterin)Paula Bodensteiner (Redakteurin)Verena Hausner (Redakteurin)Irene Krampfl (Redaktionsassistentin)

Anschrift:Redaktion Politische StudienHanns-Seidel-Stiftung e.V.Lazarettstraße 3380636 MünchenTelefon 089/1258-260Telefax 089/1258-469Internet: www.hss.dee-mail: [email protected]

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Verviel-fältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung,vorbehalten.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes

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Die Beiträge in diesem Heft geben nicht unbe-dingt die Meinung der Redaktion wieder; die Autoren tragen für ihre Texte die volle Verant-wortung. Unverlangt eingesandte Manuskriptewerden nur zurückgesandt, wenn ihnen einRückporto beiliegt.

Bezugspreis: Einzelhefte 2 4,50 (DM 8,80).Jahresabonnement 2 27,00 (DM 53,40).Schüler/Studenten-Jahresabonnement bei Vorlageeiner gültigen Bescheinigung 2 13,50 (DM 26,70).Die Zeitschrift Politische Studien erscheint als Periodikum, Sonderheft und Sonderdruck. Darüber hinaus erscheinende Sonderausgabensind im Abonnement nicht enthalten.Abobestellungen und Einzelheftbestellungen über die Redaktion und den Buchhandel.

Kündigungen müssen der Redaktion schriftlichmindestens 8 Wochen vor Ablauf des Abonne-ments vorliegen, ansonsten verlängert sich derBezug um weitere 12 Monate.

ATWERB-VERLAG KG Publikation ©

HannsSeidelStiftung eV

Susanne Luther Einführung ......................................... 5

Alois Glück Das Prinzip Nachhaltigkeit – Zukunftsorientiertes Denken und Handeln in ausgewählten Lebens-bereichen ........................................... 8

Claus Hipp Nachhaltigkeit in der Bürgergesell-schaft aus der Sicht der Wirtschaft . 17

Markus Vogt Nachhaltigkeit – Ein neues Sozial-prinzip christlicher Ethik .................. 24

Martin Lendi Nachhaltigkeit in der Bürgergesell-schaft: Verantwortungsvolles Planen,Entscheiden und Handeln ................ 33

Hans Hollenstein Winterthur: Zum Beispiel „Nachhaltige Kommunalpolitik“ ....... 55

Uwe Brandl Nachhaltigkeit in der Kommunal-politik – Ein Prinzip in der Praxis ..... 64

Matthias Vier Thesen zur verantwortungs-Reichenbach-Klinke vollen Planung und Entwicklung ..... 69

Holger Magel Nachhaltigkeit ist zuallererst eineethische Frage .................................. 74

Autorenverzeichnis .......................................................... 77

Inhalt

Wenn wir so leben und wirtschaf-ten, dass wir unsere Lebensgrundlagenund die unserer Nachkommen nichtgefährden, handeln wir im Sinne ei-ner nachhaltigen Entwicklung. Dieses„Prinzip Nachhaltigkeit“ hat in aktuel-len Diskussionen über die Zukunft un-serer Gesellschaft einen derart hohenStellenwert erreicht, dass wir gerne ge-neigt sind, an eine hochmoderneNeuerung zu glauben. Doch handelt essich hier keineswegs um eine Inno-vation, sondern um ein althergebrach-tes und bewährtes Prinzip aus der

Land- und Forstwirtschaft. Von Ge-neration zu Generation wurde die kon-krete Lebenserfahrung weitergegeben:„Wer leichtfertig von der Substanzlebt, der zerstört die Lebensgrundlagender nächsten oder übernächsten Ge-neration.“

Auch wenn wir den Schlagworten„nachhaltige Entwicklung“ oder „nach-haltiges Denken“ am häufigsten inumweltpolitischen Debatten begeg-nen, wäre es falsch, diesen Lebens-grundsatz ausschließlich auf den

Einführung

Susanne Luther

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

Über Chancen und Grenzen einer nachhaltigen Kommunalpolitik diskutieren: Univ.-Prof. Dr. jur.Martin Lendi, Univ.-Prof. Dr. Ing. Holger Magel, Dr. Uwe Brandl, Dr. Susanne Luther und Univ.-Prof. Matthias Reichenbach-Klinke (von links nach rechts).

Susanne Luther6

Umweltschutz zu beschränken. Das„Prinzip Nachhaltigkeit“ hat heute na-hezu allumfassende Gültigkeit. Überalldort, wo Menschen gefordert sind,gemeinsam an der Zukunftsfähigkeitund Menschlichkeit unserer Gesell-schaft zu arbeiten, begegnen wir die-sem Konzept: in unserer Wirtschafts-und Arbeitswelt ebenso wie bei der Planung und Entwicklung unserer Lebensräume, in den Städten und denDörfern, in der Landes- und Bundes-,vor allem aber in der Kommunalpo-litik, wo sich die Ergebnisse und Aus-wirkungen politischer Initiativen undBeschlüsse unmittelbar nachvollziehenlassen.

In aktuellen gesellschaftspolitischenKonzepten zur Überwindung von Ego-ismus und eines ausschließlich an Prag-matismus orientierten menschlichenStrebens wie dem der „Aktiven Bür-gergesellschaft“, aber wie auch in derDorferneuerung oder in den Agenda21-Prozessen spielt Nachhaltigkeit be-reits jetzt eine zentrale Rolle. So ist das„Prinzip Nachhaltigkeit“ eine der tra-genden Säulen in der gesellschaftspo-litischen Vision einer „Aktiven Bür-gergesellschaft“, wie sie aktuell von der CSU-Grundsatzkommission unterFederführung des CSU-Fraktionsvor-sitzenden im Bayerischen Landtag,Alois Glück, entwickelt wurde.1 Nebenanderen wichtigen Säulen, auf denendieses Konzept ruht – den Prinzipiender Eigenverantwortlichkeit, des Hel-fens, der Gegenseitigkeit und der Ak-tiven Teilhabe –, nimmt das PrinzipNachhaltigkeit einen wichtigen Rangein.

Zu ergründen, welche Rolle zukunfts-orientiertes Denken und Handeln inunserem täglichen Leben spielen,

stand im Mittelpunkt einer Experten-tagung, die die Akademie für Politikund Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung im Juli 2001 gemeinsam mitder Bayerischen Akademie LändlicherRaum e.V. organisiert hat. Dabei in-teressierten die theoretischen Hinter-gründe dieses gesellschaftspolitischenKonzepts, in erster Linie aber die Mög-lichkeiten einer konkreten Umsetzungin verschiedenen Teilbereichen unserestäglichen Lebens. Mit dieser Tagung,die Experten aus Politik, Wissenschaft,Wirtschaft, Behörden und Vereinen im Konferenzzentrum der Hanns-Sei-del-Stiftung in München zusammen-führte, sind wir dem Ziel, die Debatteüber Zukunftsthemen nicht alleine inexklusiven akademischen Zirkeln zuführen, einen großen Schritt nähergekommen. GesellschaftstheoretischeBeiträge auf hohem wissenschaftli-chem Niveau und praxisnahe, realitäts-bezogene Referate und Diskussions-beiträge ergänzten und bereichertensich gegenseitig. Im Interesse einerkontinuierlicheren inhaltlichen Ab-stimmung wurde die Reihenfolge derBeiträge gegenüber der Tagungsabfolgeein wenig verändert.

Die beiden grundsätzlichen Beiträge,die in die Thematik und Problematikeinstimmen sollen, stehen am Beginndieses Sonderhefts. Alois Glück erläu-tert die Wurzeln des Prinzips Nachhal-tigkeit, seine Bedeutung für einzelneLebensbereiche sowie die Hemmnisse,denen man bei der Umsetzung vonNachhaltigkeit im täglichen Leben be-gegnet. Der Präsident der Industrie-und Handelskammer für Münchenund Oberbayern, Dr. Claus Hipp, stelltden Zusammenhang zwischen demKonzept der Nachhaltigkeit und derBürgergesellschaft aus dem speziellen

Einführung 7

Blickwinkel der Wirtschaft her. Prof.Dr. Markus Vogts grundlegender Bei-trag über Nachhaltigkeit als ein „neuesSozialprinzip christlicher Ethik“ gehtauf einen engagierten Diskussionsbei-trag während der Tagung zurück. DerAufsatz des Leiters der Clearingstelle„Kirche und Umwelt“ Benediktbeuernwurde zusätzlich in diese Publikationaufgenommen.

Der Aufsatz des Schweizer Juristen,Univ.-Prof. Dr. Martin Lendi, leitettheoretisch fundiert, aber dennoch mitanregendem Praxisbezug in den Teilder Thematik über, über den währendder Tagung am lebhaftesten diskutiertwurde: den Bereich des verantwor-tungsvollen Planens, Entscheidens undHandelns in der Kommunalpolitik.Lendis Credo: „Nachhaltigkeit ist keinRezept. Sie ist mehr. Sie ist ethischeHerausforderung für jeden von uns

und durch uns für die Gemeinschaft!“wurde als eine der Haupterkenntnissedieser Tagung zu Protokoll genommen.Nachdem Lendi in seinem Beitrag dieStadt Winterthur als besonders gelun-genes Beispiel nachhaltiger Kommu-nalpolitik hervorgehoben hat, habenwir uns entschlossen, dieser SchweizerStadt besondere Aufmerksamkeit zuwidmen, und den zuständigen Dépar-tements-Vorsteher für Sicherheit undUmwelt der Stadt Winterthur, Dr. HansHollenstein, um einen Beitrag gebeten.Die Reihe der konkreten kommunal-politischen Praxisbeispiele wird er-gänzt vom zweiten Vizepräsidentendes Bayerischen Gemeindetags, demBürgermeister der Stadt Abensberg, Dr.Uwe Brandl. Und auch Univ.-Prof.Matthias Reichenbach-Klinke von derTechnischen Universität Münchenstellt in vier Thesen beispielhafte nach-haltige Entwicklungen vor.

Anmerkung1 CSU-Positionspapier „Aktive Bürgergesellschaft – Damit wird Deutschland menschlicher

und leistungsfähiger“ (Parteitagsbeschluss, 12./13.10.2001).

1. Der Begriff „Nachhaltigkeit“

Durch die Verwendung des BegriffesNachhaltigkeit auch in der Politik be-steht mittlerweile die Gefahr, dass essich hierbei um einen Modebegriffhandelt, den man gebraucht, ohnesich immer über jede damit verbunde-ne Konsequenz im Klaren zu sein.Trotzdem liegt in dieser häufigen Ver-wendung auch eine große Chance:Dies gilt vor allem angesichts der wer-tepluralen Situation in unserem Land,in der es zunehmend schwerer fällt, ge-meinsame Maßstäbe zu finden. Erstrecht gilt es europa- oder weltweit ge-sehen, wenn man auf die jeweils un-terschiedlichen kulturellen Prägungenblickt. Mit einem Begriff wie dem derNachhaltigkeit besteht vielleicht dieChance, eine gemeinsame Plattform zufinden.

Dessen ungeachtet muss man sich mitdem Hintergrund dieses Begriffes undden Voraussetzungen für eine Umset-zung des Gebotes der Nachhaltigkeitgründlich auseinander setzen. Mit demEuropäischen Naturschutzjahr 1970hat der Umweltgedanke in Deutsch-

land einen ersten größeren Durch-bruch erzielt. Die Umweltdiskussionwar damals aber primär vom Schutz-gedanken geprägt, in einer Art Wei-terführung des Denkmalschutzgedan-kens. Eine weitere Entwicklungslinierührte von der so genannten Park-Be-wegung her. In der Süddeutschen Zei-tung wurde damals formuliert: „Diemoderne Zivilisation hat nur eine Zu-kunft, wenn es gelingt, dass sich alleMenschen mit dem alten bäuerlichenDenken vertraut machen, nicht vonder Substanz zu leben.“ Damit war einDenken gemeint, ein Lebensprinzip,den eigenen Hof zumindest so intaktweiter zu geben, wie man ihn über-nommen hat. Der so umschriebeneGedanke der Nachhaltigkeit tauchteaber in den folgenden Jahren in derUmweltdiskussion nicht an vordersterStelle auf.

Grundsätzlich gesehen, hat das Prin-zip Nachhaltigkeit seine Wurzeln inden Bereichen der Forst- und der Land-wirtschaft. Denn Existenzsicherungwar früher nur über nachhaltiges Wirt-schaften möglich. Dies war ein Grund,warum in der bäuerlichen Welt der

Das Prinzip Nachhaltigkeit –Zukunftsorientiertes

Denken und Handeln in ausgewählten Lebensbereichen

Alois Glück

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

Das Prinzip Nachhaltigkeit – Zukunftsorientiertes Denken und Handeln 9

Betrieb im Zweifelsfall wichtiger warals der Mensch. Denn die nachfolgen-de Generation hatte nur dann eineZukunftschance, wenn es gelang, denBetrieb zu erhalten. So gesehen führ-ten Entwicklungen der Moderne auchim Bereich der Landwirtschaft zugroßen humanen Fortschritten. Auchin der bäuerlichen Welt verändertesich die Werteskala. In dem Augen-blick, in dem die Zukunftschancen derFamilie nicht mehr ausschließlich vonder Weiterexistenz des Betriebes ab-hingen, weil es auch andere beruflicheAlternativen gab, bestanden neue Frei-räume. Andererseits führte dies dazu,dass die Perspektive der Nachhaltigkeitauch im Bereich der Landwirtschaftmehr und mehr in den Hintergrundtrat. Diese Entwicklung wurde auchdurch den technisch-wissenschaftli-chen Fortschritt verstärkt. ModerneDüngemittel, moderne Maschinen,mit denen man beispielsweise bei allenWetterbedingungen pflügen konnte,machten ein Einfühlen in die Natur,

ein Mitleben mit der Natur nicht mehrso notwendig wie in früheren Zeiten.Nachhaltiges Denken ist erst in denletzten Jahren und allmählich wiederin die Landwirtschaft zurückgekehrt.Ausgangspunkt war hier sicher u.a. dieBewegung des ökologischen Landbaus.

Nicht nur in der Landwirtschaft, son-dern allgemein in unserer Gesellschafthatten wir während der Phase derHerrschaft des Machbarkeitsglaubensdas Gefühl dafür verloren, dass wir,dass unsere Nachkommen oder dieMenschheit allgemein nur eine Zu-kunft haben können, wenn Denken inden Kategorien der Nachhaltigkeit wie-der zum allgemeinen Denken wird.

Längerfristiges Denken ist so gese-hen eigentlich nicht mehr – oder kei-nesfalls nur – Bestandteil konserva-tiven Denkens, wenngleich der kon-servative Denkansatz eine wichtigeQuelle für die Entwicklung des Gedan-kens der Nachhaltigkeit war. Länger-

Das Prinzip Nachhaltigkeit stand im Mittelpunkt des Referats von Alois Glück, MdL; Univ.-Prof.Dr.-Ing. Holger Magel moderierte die Diskussion (links).

Alois Glück10

fristiges Denken war aber bereits auchfrüher in der bäuerlichen Welt auf Zu-kunft hin gerichtet. Es ging um Zu-kunftssicherung durch eine bestimmteArt des Wirtschaftens.

Konservatives Denken hingegen war(zumindest lange Zeit) im Besonderengeprägt durch einen Bezug auf die Ver-gangenheit. Es ging und geht dabei um die Frage der Prägung, die Frage,wo wir herkommen, um die eige-ne kulturelle Identität. All dies sindFragen, die gerade in der modernenGesellschaft von besonderer Bedeu-tung sind. Aber gerade in der moder-nen Zeit, in der derart viele Möglich-keiten einer Veränderung bestehenund deshalb auch neue Gefährdungenproduziert werden können, ist es fürKonservative geboten, auch längerfris-tig in die Zukunft hinein zu denken,Nachhaltigkeit auch als Anforderungfür die Zukunft zu sehen. Konservativemüssen Zukunftsverantwortung nochbewusster zum Teil ihres gesellschaft-lichen und politischen Denkens ma-chen. Dies heißt letzten Endes, dasswir nicht von der Substanz und aufKosten der Nachkommen ein beque-mes Leben führen dürfen. Darin, die-sen Gedanken über unterschiedlichsteideologische, politische oder sonstigeGrenzen hinweg zu einem gemeinsa-men Nenner zu machen, liegt eine dergroßen Herausforderungen der moder-nen Gesellschaft.

Eine große politische Bedeutung hatdas Prinzip der Nachhaltigkeit durchdie UN-Konferenz von Rio de Janeirobekommen. Nachhaltigkeit ist zumin-dest seither auch international einzentrales Thema geworden. Es hat spä-testens ab diesem Zeitpunkt auchsubstanzielle Bedeutung für verant-

wortungsbewusste Politik über die Um-weltfrage hinaus. Allerdings ist es beiweitem noch nicht allen bewusst, dasses sich hierbei keinesfalls ausschließ-lich um Fragen der Ökologie oder derZukunft von Natur und Schöpfunghandelt. Es geht auch darum, das Prin-zip Nachhaltigkeit in allen Lebens-und Politikbereichen zu verwirklichen.Ein solch längerfristiges Denken, dieWahrnehmung einer darauf gerichte-ten Zukunftsverantwortung, muss inallen Bereichen gelten. Der Generatio-nenvertrag in der Alterssicherung isthierfür ein Beispiel aus der Sozialpo-litik. Auch Familienpolitik ist geradeunter diesem Blickwinkel von großerBedeutung.

Ludwig Börne hat einmal formuliert:„Die Lebenskraft eines Zeitalters liegtnicht in seiner Ernte, sondern in seinerAussaat.“ Dieser Satz bringt das Prinzipder Nachhaltigkeit mit einem sehr ein-dringlichen Bild zum Ausdruck. Damitist aber nicht unsere gegenwärtige Be-wusstseinslage gekennzeichnet. AuchPolitik kann hiermit häufig nicht wirk-sam operieren. Natürlich sollte verant-wortungsbewusste Politik solches Den-ken integrieren. Unter wahlpolitischenAspekten, wenn es um Erfolg inner-halb eines absehbaren Zeithorizontsgeht, sind solche Ansätze leider nichtimmer sehr Erfolg versprechend. Diesändert aber nichts daran, dass Nach-haltigkeit ein ethisches Prinzip ist, oh-ne das es keine gute Zukunft gibt, dassPolitik immer wieder auch für eine Ak-zeptanz des Nachhaltigkeitsgedankenswerben muss.

Wie die Diskussionen im Bereich derkatholischen Soziallehre zeigen, hatsich der Gedanke der Nachhaltigkeitauch zu einem weiteren wichtigen

Das Prinzip Nachhaltigkeit – Zukunftsorientiertes Denken und Handeln 11

Prinzip katholischer Soziallehre ent-wickelt.

2. Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Prinzips„Nachhaltigkeit“

Wo liegen die Hemmnisse bei der Um-setzung des Prinzips der Nachhal-tigkeit? Solche finden wir zunächsteinmal in der menschlichen Natur.Verhaltensforscher sagen uns, dass län-gerfristiges Denken an sich der Naturdes Menschen widerspricht, wie siesich von seiner Entwicklungsgeschich-te her darstellt. Über Jahrtausende hin-weg war für die Menschen der täglicheÜberlebenskampf bestimmend. Überalldort, wo es um tägliches Überlebengeht, hat nachhaltiges Denken aberkaum Bedeutung. Der Zeithorizont istdurch das Morgen – und allenfallsÜbermorgen – bestimmt.

Erst unter den Bedingungen der mo-dernen Zivilisation, die in vielfäl-tiger Hinsicht ein gesichertes Leben er-laubt, eröffnet sich uns die Möglich-keit einer grundlegenden Auseinan-dersetzung mit der Dimension derNachhaltigkeit.

Insoweit prägend war für mich dieLektüre eines französischen Buches mit dem Titel „Die 40.000 Stunden“,das etwa um das Jahr 1965 herum er-schienen ist. Der Autor schrieb damals:„Wir müssen doch bedenken, wir sinddie erste Generation in der Mensch-heitsgeschichte, in der der Normalbür-ger in der Situation ist, in der frühernur wenige Privilegierte waren, dassnämlich nicht die ganze Lebenskraftdarauf verwendet werden muss, zuüberleben.“ Erst auf dieser Grundlage

haben wir als Normalbürger heute dieMöglichkeiten, die Kraft und Zeit, umDingen und Fragen nachzugehen, dienicht unmittelbar mit Existenzkampfzu tun haben. Die große Frage aller-dings ist, ob wir es schaffen, mit dieserneuen Freiheit umzugehen, ob wir dieKraft zu einem selbstbestimmten Le-ben vor dem Hintergrund dieser neuenMöglichkeiten haben.

Dies galt aber in den 60er-Jahren undgilt auch heute überwiegend nur fürdie Länder und Nationen mit ei-ner entwickelten Volkswirtschaft. Dieüberwältigende Mehrheit der Welt-bevölkerung ist nach wie vor in einerSituation des täglichen Kampfes umsÜberleben. Unter diesen Bedingungenhat man für die Dimensionen, über dieman jetzt diskutiert, kaum den Kopffrei. Dies gilt auch vor dem Hinter-grund, dass Raubbau an der Natur, einfehlender Blick für die Zukunft letzt-lich auch selbstzerstörerisch sind.

Darin, dass wir Menschen aber grund-sätzlich die Fähigkeit entwickeln kön-nen, uns auch mit diesen Zukunfts-dimensionen auseinander zu setzen,liegt ein weiterer großer Fortschritt dermodernen Zivilisation. Denn diese Fä-higkeiten entwickelten wir trotz derstammesgeschichtlichen Prägung aufkurzfristiges Denken. Diese Prägungenallerdings zu überwinden, das erforderttägliche Anstrengung. Nur dann kannes gelingen, längerfristige Entwicklun-gen in den Blick zu bekommen unddaraus resultierende Anforderungen inunser Handeln zu integrieren. Dies istumso schwieriger, je weniger deutlichnegative Folgen für die nächsten Ge-nerationen bereits in der Gegenwartspürbar sind. Hinzu tritt nicht seltendas Problem einer egozentrischen Hal-

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tung nach dem Motto „Nach uns dieSintflut“.

Allerdings ist es im Konkreten häufignicht leicht, längerfristige Perspektivenin den Blick zu bekommen. Dies zeigtbeispielsweise die Auseinandersetzungmit dem Hochwasserproblem. Immerdann, wenn wir es mit einem sog.Jahrhunderthochwasser zu tun haben,also einem Hochwasser von außerge-wöhnlichem Umfang, stehen zahlrei-che Forderungen nach Konsequenzenverschiedenster Art im Raum. Es be-steht dann auch weitgehend eine Be-reitschaft in der Bevölkerung, an derUmsetzung von notwendigen Maß-nahmen mitzuwirken. Wenn abereinige Jahre folgen, in denen Hoch-wasser kein Problem darstellt, werdenBemühungen um die Umsetzung not-wendiger Maßnahmen sehr schnelläußerst mühsam. Es ist den Menschendann häufig bereits wieder aus demGedächtnis entschwunden, dass auchumfangreichere Vorbeugemaßnahmennotwendig sind, weil der Maßstab, andem solche ausgerichtet sind, eben dereines „Jahrhunderthochwassers“ seinmuss.

Hier zeigen sich immer wieder stetsaufs Neue die Konflikte zwischen kurz-fristigem und längerfristigem Denken.Wenn man eine reale Bedrohung nichtmehr richtig fühlt, will man sich mitdarauf ausgerichteten Beschränkungeneben auch nicht mehr so ohne weite-res abfinden.

Allein dieses Beispiel zeigt, mit wel-chen Schwierigkeiten man rechnenmuss, wenn man die Anforderungendes Prinzips der Nachhaltigkeit konse-quent umsetzen will. Es ist aber auchwichtig, zu betonen, dass es hierbei

nicht nur um Beschränkungen geht.Das Prinzip der Nachhaltigkeit fordertbeispielsweiseauchausreichende Inves-titionen in Forschung und Entwick-lung. Diese Dimension von Zukunfts-verantwortung wird allerdings nichthinreichend gesehen. Auch hier stehtdie Politik nicht selten vor Problemen.Denn den meisten Menschen leuchtetes eher ein, Geld für gegenwärtige Er-fordernisse auszugeben als für posi-tive Folgen, die sich vielleicht erst in20 oder mehr Jahren zeigen werden.Gleichwohl sind solche Investitionengerade auch vor dem Hintergrund derVerantwortung gegenüber den nach-kommenden Generationen gefordert.

Je stärker das allgemeine Lebensgefühlauf eine sog. Spaßgesellschaft hin aus-gerichtet ist, je mehr das persönlicheWohlergehen zum Hauptmaßstab wirdfür das, was wir akzeptieren oder nichtakzeptieren, umso weniger sind wir inder Lage, den Anforderungen des Prin-zips Nachhaltigkeit gerecht zu werden.Ulrich Beck hat einmal formuliert:„Selbstbegrenzung ist keine Negativ-,keine Rest-, keine Kleinutopie, sondernein historisch beispielloses Unter-nehmen, das in das Ungedachte ein-dringt.“ Es gehe letztlich um „Begren-zung durch eine Ethik der Selbstver-antwortlichkeit und der Selbstorga-nisation.“

Damit spricht Beck einen wichtigenPunkt an. Ohne notwendige Wertori-entierung, ohne ethische Fundierunggibt es streng genommen keine Chan-ce, die Anforderungen der Nachhal-tigkeit tatsächlich in entsprechendesHandeln umzusetzen. Denn was sollden Menschen die Kraft geben, sichnötigenfalls auch einzuschränken, umder Verantwortung gegenüber nachfol-

Das Prinzip Nachhaltigkeit – Zukunftsorientiertes Denken und Handeln 13

genden Generationen gerecht zu wer-den?

Auch wenn es begrüßenswert ist, in ei-nem Teil der Erde zu leben, in demman nicht mehr täglich um ein Über-leben kämpfen muss und man Zeithat, auch Dinge zu tun, die einfach„Spaß machen“, ist es doch anderer-seits schon bemerkenswert, wennHorst W. Opaschowski auf der Grund-lage einer aktuellen Untersuchungsagt: „Je mehr die Spaßgesellschaft dasDenken prägt, umso mehr haben wirsoziale Kälte.“ Denn Spaßgesellschaftbeinhaltet immer auch eine sehr egois-tische Ausrichtung. Dies gilt für denMitmenschen im hier und heute. Diesgilt umso mehr, was die Mitmenschender nächsten Generationen anbelangt.

Wie schwer nachhaltiges Handeln inder aktuellen Umsetzung ist, zeigt einweiteres Beispiel, nämlich der gerechteAusgleich der Generationen in der Al-terssicherung. Hierbei haben wir esaber nicht nur mit dem Problem vonEgoismen zu tun. Hinzu kommt einewohl Jahrtausende alte Erfahrung derMenschen, wonach Altern mit neuenAbhängigkeiten verbunden ist. Ge-meint ist vor allem eine Abhängigkeitvon dem Wohlwollen der Jungen. Wirfürchten die latente Gefahr von Ar-mut. Eine solche entspricht heute zwarnicht mehr der Lebenswirklichkeit,weil der Wechsel vom Erwerbsleben inden Ruhestand nicht mehr zwingendmit einem Einbruch im Lebensstan-dard verbunden ist. Den größten Ein-bruch im Lebensstandard haben näm-lich heute junge Familien zu verkraf-ten, wenn Kinder kommen. Dennochist es unglaublich schwierig, der älte-ren Generation, jetzigen oder künf-tigen Leistungsempfängern, im Sinne

einer Generationensolidarität Opferoder Begrenzung abzuverlangen. Eskommen sofort bekannte „Totschlag-parolen“. Es sei inhuman, älterenMenschen, die ein Leben lang gear-beitet hätten, nun nicht diese oder je-ne Weiterentwicklung der Rente zu-zugestehen.

Aber auch hier gilt wieder: Die Kennt-nis von Sachzusammenhängen reichtnicht aus für die Umsetzung des Prin-zips Nachhaltigkeit. Denn eine Kennt-nis von Sachzusammenhängen be-wirkt noch keine Verhaltensänderungbeim Einzelnen und in einer Gesell-schaft. Diese vollzieht sich nicht ohneethisches Fundament. Man denke hier-bei vor allem an christliche Werte, dieeine Verantwortung für die Schöpfungformulieren, wonach es gefordert ist,sich nicht nur auf das Hier und Heutezu konzentrieren. Verantwortung fürdie Schöpfung sollte aber keinesfallsnur auf den Schutzcharakter begrenztwerden. Die Diskussionen in kirchli-chen bzw. christlichen Gemeinschaf-ten betonen zu stark den Schutzaspekt.Verantwortung ist auch im Licht derDynamik der Schöpfung, des Mitwir-kens von uns Menschen im weiterenProzess der Schöpfung zu sehen.

3. Maßstäbe nachhaltigenHandelns

Entscheidend ist, dass wir hinreichen-de Maßstäbe für unser Handeln gewin-nen. Je größer unsere Möglichkeitenwerden, umso schwieriger wird dies.Auf geradezu existenzielle Weise sindwir mit diesen Problemen vor demHintergrund der Entwicklungen in derGentechnik und der Biotechnologiekonfrontiert.

Alois Glück14

Christlich gesprochen, brauchen wir soetwas wie eine moderne Askese. Damitist nicht eine Askese der Selbstgeiße-lung gemeint. Eine wesentliche Ausfor-mung christlicher Askese kann heutedas Prinzip Nachhaltigkeit sein. Hierbeigeht es um Verantwortung und Wert-orientierung. Es geht nicht nur um dieVerpflichtung gegenüber dem Erbe derVorfahren – das ist die eher konserva-tive Wurzel nachhaltigen Denkens –,sondern auch um die Verantwortungfür die Nachkommen. Das PrinzipNachhaltigkeit richtet sich auch gegeneine rein materielle, nützlichkeitsorien-tierte Lebenshaltung, gegen Selbstver-wirklichung auf Kosten anderer.

Der Gedanke der Nachhaltigkeit stehtauch in einem Zusammenhang mitdem Konzept einer Aktiven Bürger-gesellschaft, wie es in der Grundsatz-kommission der CSU erarbeitet wurde.Diese Konzeption wurzelt im christ-lichen Menschenbild. Die Frage nacheinem Menschenbild wird in der Politik immer bedeutsamer. Denn oh-ne einen solchen Maßstab eines Men-schenbildes ist es letztlich nicht mög-lich, Fragen, wie sie sich beispielsweiseauf Grund der Entwicklungen in derBio- und Gentechnologie, aber auchim Bildungswesen und im Sozialbe-reich stellen, zu beantworten, um nureinige Beispiele zu nennen.

Auf dieses Fundament der Wertorien-tierung am christlichen Menschenbildstellt das Konzept einer Aktiven Bür-gergesellschaft vier Säulen einer Kulturder Verantwortung:

● Verantwortung übernehmen fürsich selbst,

● Verantwortung übernehmen für dieMitmenschen,

● Verantwortung übernehmen für dasGemeinwesen,

● Verantwortung übernehmen für dieZukunft im Sinne des PrinzipsNachhaltigkeit.

Wir brauchen einen generationen-übergreifenden Gesellschaftsvertrag.Darin liegt eine der großen Heraus-forderungen unserer Zeit. Die großeBrisanz dieses Themas zeigt sich bei-spielsweise, wenn man sich mit denUmständen und Konsequenzen der de-mografischen Entwicklung in Deutsch-land befasst, wie es die CSU-Landtags-fraktion bereits seit einiger Zeit tut. Esist atemberaubend und teilweise auchbedrückend zu sehen, wie sich unserLand höchstwahrscheinlich verändernwird. Derzeit sind beispielsweise et-wa 27% der Menschen im Alter über 65 Jahre. Im Jahr 2040 werden diesweit über 50% der Gesamtbevölkerungsein.

Was bedeutet dies für einen neuen Ge-nerationenvertrag? Wird die Solida-rität der Generationen auch in Zu-kunft tragen? Dies gilt nicht nur fürdie Rentenversicherung und das Ge-sundheitswesen. Wir haben es miteiner in jedem Fall gigantischen Her-ausforderung für das innere Gefügeunseres Landes zu tun. Umso dringen-der brauchen wir einen generatio-nenübergreifenden Gesellschaftsver-trag. Das ist ein integrativer Bestandteileiner Aktiven Bürgergesellschaft. Be-standteil dieses Vertrages müssen dieErrungenschaften der Vorfahren alswertvolles Erbe und die Interessen derheutigen und der nachfolgenden Ge-nerationen sein.

Vor diesem Hintergrund ergibt sichauch die besondere Bedeutung der

Das Prinzip Nachhaltigkeit – Zukunftsorientiertes Denken und Handeln 15

Familienpolitik. Natürlich werden wirmit einer grundsätzlichen Diskussionüber die demografische Entwicklung in Deutschland und sich daraus erge-bende Konsequenzen kein „Ja“ oderein „Nein“ zum Kind beeinflussen. Eswird niemand sich für Kinder ent-scheiden, weil Nachwuchs für die Ren-tenversicherung benötigt wird. Dabeihandelt es sich immer um individuel-le Entscheidungen aus ganz anderenGründen. Die Politik ist aber gefordert,bessere Rahmenbedingungen für in-dividuelle Entscheidungen für Kinder zu schaffen. Die Politik muss die Be-deutung solcher Rahmenbedingungenim Blick haben. Die Politik muss bei-spielsweise Antworten darauf geben,warum wir hinsichtlich der Geburten-rate mit die letzte Stelle in Europa ein-nehmen.

Familienpolitik ist deshalb ein zentra-ler Bestandteil einer Umsetzung desPrinzips der Nachhaltigkeit. Familien-politik ist deshalb auch zentraler Be-standteil der Konzeption der AktivenBürgergesellschaft. Diese Konzeptionweicht von der üblichen Vorstellungeiner Bürgergesellschaft ab, die sichprimär konzentriert auf Fragen desbürgerschaftlichen Engagements inVereinen oder Gemeinschaften. Einsolches Engagement ist ein wesent-licher Teilbereich des Konzepts der Ak-tiven Bürgergesellschaft, wie wir es ver-stehen. Dieses geht jedoch darüberdeutlich hinaus und umfasst alle Le-bensbereiche. Familien als kleinen Ein-heiten kommt hier auch auf derGrundlage des Subsidiaritätsprinzipseine ganz zentrale Rolle zu. Familienhaben darüber hinaus eine zentrale Be-deutung für die Erziehung und Prä-gung junger Menschen. Es stellen sichinsoweit aber auch Anforderungen an

das Bildungswesen. Die jungen Men-schen müssen mehr und mehr lernen,in längerfristigen Kategorien zu den-ken. Das ist schwer. Denn es bedeutetein Lernen gegen den Zeitgeist.

Die Verwirklichung des Prinzips Nach-haltigkeit betrifft auch den Bereichvon Forschungs- und Zukunftsinves-titionen. Dazu gehört aber auch diewachsame Begleitung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts. Dabeigeht es aber nicht nur um die Frageneiner Nutzung von vorhandenen Mög-lichkeiten oder ausreichenden Inves-titionen. Mehr und mehr wird uns dieFrage nach den Maßstäben herausfor-dern, nach denen wir die uns gegebe-nen Möglichkeiten nutzen.

Ein zentraler Bestandteil nachhaltigerPolitik ist der Umgang mit öffentli-chen Finanzen. Wieviel Verschuldungnehmen wir in Kauf, und wofür gebenwir Geld aus? Wie selbstverständlichhaben wir uns in den vergangenenJahrzehnten angewöhnt, ständig mehrGeld auszugeben als einzunehmen.Dieses Verhalten scheint in den letztenJahrzehnten beinahe zu einer Art Ge-schäftsgrundlage geworden zu sein. Eswiderspricht allerdings vollkommendem Prinzip der Nachhaltigkeit.

Wir erleben aber gegenwärtig auch,wie schwer es ist, die staatlichen Haus-halte auf ein Niveau zurückzuführen,das auf eine Neuverschuldung verzich-tet. Damit sind nicht Sondersituatio-nen wie die deutsche Einheit oder die Notwendigkeit, auf massive Konjunk-tureinbrüche zu reagieren, angespro-chen.

Vielmehr ist die Schwierigkeit gemeint,unter normalen Umständen Akzeptanz

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für eine solide Haushaltspolitik zu er-halten. Die Politik in Bayern hat sichmittlerweile in der Haushaltsordnungdes Freistaats darauf festgelegt, ab demJahr 2006 keine Neuverschuldungmehr haben zu wollen. Aber auch die-se Entscheidung verstand sich keines-falls von selbst. Damit hat Bayern eineeindeutige Vorreiterrolle in Deutsch-land übernommen.

Dies ist zugleich ein Beispiel für einevorbildhafte Umsetzung des PrinzipsNachhaltigkeit in der Politik. Wir ha-ben aber noch etliche Felder mehr, aufdenen wir nach wie vor über unsereVerhältnisse leben. Das Prinzip Nach-haltigkeit bestimmt noch keineswegsin dem notwendigen Ausmaß unsereLebenswirklichkeit. Hier sind wir nachwie vor alle gefordert.

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

1. Einleitung

Das Schwierige an dieser Thematiksind nicht die Inhalte und die Beispie-le, die Gefahr liegt eher darin, dassman aneinander vorbeireden könnte.Das Thema mutet sehr einfach an. Eskommt ganz ohne Anglizismen undwissenschaftlichen Spezialwortschatzaus. Trotzdem lauert das Missverständ-nis überall, weil die Begriffe so weitund unbestimmt sind. Eine voran-gestellte Erläuterung zu den zentralenBegriffen Nachhaltigkeit und Bürger-gesellschaft erscheint daher nicht nurhilfreich, sondern ist wahrscheinlichsogar zwingend.

Das Wort Nachhaltigkeit hat in denletzten zehn Jahren eine Karriere oh-negleichen gemacht. Vor der Kon-ferenz von Rio 1992 stand es im Lexi-kon nur unter der Rubrik „Forstwirt-schaft“: Es darf nicht mehr Holz ge-schlagen werden, als jemals nach-wachsen kann. Heute ist es zum Zau-berwort für Umweltschützer, Planer,Entwickler und für Politiker auf al-len Ebenen geworden. Von Kritikern wird es trotzdem oder vielleicht so-gar deswegen als „intellektuelle Kopf-geburt“ bezeichnet, weil es sich nicht

von selbst erklärt und nur einen ver-schwindend kleinen Teil der Bevöl-kerung erreicht. Gemeinsam mit Be-griffen wie „Agenda 21“, „Faktor 4“und „Ökoeffizienz“ sind sie für denNormalbürger kaum verständlich. Esmuss also darum gehen, das Wort„vom Kopf auf die Füße zu stellen“und damit allgemein verständlich zu machen. Das ist auch mein Haupt-anliegen bei der Mitwirkung im Nachhaltigkeitsrat der Bundesregie-rung. Hier müssen statt endloser Theo-riediskussionen klare Schwerpunktegesetzt und konkrete Vorschläge ge-macht werden. Drei Themen erschei-nen besonders wichtig:

● der Klimaschutz mit der Frage nachder richtigen Strategie in der Ener-gieversorgung,

● umweltschonende Erfüllung deswachsenden Mobilitätsbedürfnissesder Menschen und

● der Bereich Gesundheit und Land-wirtschaft.

Allgemein gesprochen sollte man esbei der Nachhaltigkeitsdefinition be-lassen, wie sie spätestens seit Rio welt-weit akzeptiert wird: die Befriedigungder Bedürfnisse der Gegenwart, ohne

Nachhaltigkeit in derBürgergesellschaft aus der Sicht

der Wirtschaft

Claus Hipp

Claus Hipp18

die Möglichkeiten nachfolgender Ge-nerationen einzuschränken, ihrerseitsihre Bedürfnisse zu befriedigen. DieÖkologie, die Ökonomie und das So-ziale sind dabei grundsätzlich gleich-berechtigt.

Etwas leichter erscheint es mit der„Bürgergesellschaft“. Vom Mittelalterbis heute steht die Bezeichnung „Bür-ger“, um einen bestimmten Status in-nerhalb der Gesellschaft zu beschrei-ben. Allerdings hat der „Spießbürger“ –im wörtlichen und im übertragenenSinn – nichts mit den Menschen zutun, die etwa in der Bürgerrechtsbewe-gung in den früheren kommunisti-schen Staaten Europas für ihre bürger-lichen Rechte gekämpft haben. Wennman heute von Bürgergesellschaftspricht, verbindet man damit eineganz eigene Vorstellung. Ministerprä-sident Stoiber hat diese Vorstellung indem Vorwort zu dem Buch von AloisGlück „Verantwortung übernehmen“so umrissen: Bürger – das meint denMenschen als eigenverantwortlichePersönlichkeit, in seinen Beziehungenund Bindungen zu anderen, zum so-zialen Umfeld, zum Gemeinwesen.Bürger – das ist der Gegensatz zum ich-bezogenen Rückzug in isolierte Privatheit einerseits und zur kollek-tiv betreuten Entmündigung anderer-seits.

Eine Gesellschaft, die von dem so ver-standenen Bürger geprägt wird, sollauch die Grundlage für die folgendenÜberlegungen sein. Wie ist Nachhal-tigkeit in dieser Bürgergesellschaft zuerreichen? Wie sind die Aufgaben ver-teilt? Wer muss welche Verantwortungübernehmen, um noch einmal denTitel des Buches von Alois Glück auf-zugreifen? Dabei sollen drei unter-

schiedliche Akteure unter die Lupe ge-nommen werden:

● der Staat, ● die Wirtschaft und ● die Bürger.

2. Verantwortung der Wirtschaft

Weil man zuerst vor seiner eigenenHaustür kehren soll, möchte ich aufdie Verantwortung der Wirtschaft ei-nen Schwerpunkt setzen.

Im Unternehmen HIPP setzt man sichbereits seit rund 40 Jahren mit demUmweltgedanken auseinander. Es wardas erste der Branche, das begann, fürseine Produkte ökologisch erzeugteRohstoffe zu verarbeiten. In Zeiten derEuphorie für die intensive Landwirt-schaft war HIPP mit seinem Engage-ment für den ökologischen Landbaunoch Außenseiter. Seitdem hat sichviel verändert. Der Ökologiegedankeist heute allgemein anerkannt und invielen Unternehmen durch ein Um-weltmanagementsystem fest verankert.Unter dem Gesichtspunkt der Nach-haltigkeit nimmt dabei das vor achtJahren eingeführte „Öko-Audit“ derEuropäischen Union eine herausragen-de Rolle ein. Seit April 2001 ist es inmodernisierter Form und unter demNamen EMAS (Eco-Management andAudit Scheme) in Kraft getreten. DieEU hat mit diesem System Maßstäbefür betriebliches Umweltmanagementgeschaffen, die bis heute unübertroffensind. EMAS bietet eine zuverlässigeund objektive Bewertung der Umwelt-auswirkungen eines Betriebes und gibtHilfe zur kontinuierlichen Verbesse-rung des Umweltschutzes. Wer an die-

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft aus der Sicht der Wirtschaft 19

sem Gemeinschaftssystem teilnimmt,erweist nicht nur der Umwelt einengroßen Dienst, sondern auch dem eigenen Unternehmen. Er entdeckt dieökologischen Schwachstellen, stößtauf Kosteneinsparungspotenziale undverbessert den Dialog mit der Öffent-lichkeit. Alles das sind Schritte, um dieErfolgsaussichten im globalen Wett-bewerb zu steigern und damit auchArbeitsplätze zu sichern und zu ver-mehren.

Gerade in Bayern ist EMAS ein Erfolgs-modell geworden. Rund 2.600 regi-strierte Standorte gibt es derzeit inDeutschland. 600 davon liegen in Bay-ern. Zwei Drittel dieser bayerischen Be-triebe haben eine Beschäftigtenzahlvon unter 250 Mitarbeitern; 40% derbeteiligten Unternehmen sogar unter50 Mitarbeitern. Nur wenn man weiß,mit wie viel Zeit und Aufwand die Teil-nahme letztlich doch verbunden ist,kann man diese Zahlen richtig wür-digen.

Auch beim Umweltpakt Bayern gebenkleine und mittlere Unternehmen zah-lenmäßig den Ton an. Unternehmenaus allen Branchen, aus allen Größen-klassen und aus allen Regionen Bay-erns haben sich im Umweltpakt ver-pflichtet, freiwillige Leistungen imUmweltschutz zu erbringen, die weitüber die gesetzlichen Standards hin-ausgehen. Sie zeigen damit, wie man mit Fantasie, Engagement undÜberzeugung wichtige Beiträge füreine nachhaltige Entwicklung leistenkann.

Von den 62 Gründungsmitgliedern im Jahr 1995 ist die Teilnehmerzahl bis zum Startschuss für den Umwelt-pakt II im Oktober 2000 auf mehr als das Zwanzigfache gestiegen. Wenndiese Zuwachsrate in den nächs-ten fünf Jahren auch nur annäherndwieder gelingt, dann wäre der Umweltpakt Bayern sicher die welt-größte Umweltbewegung der Wirt-schaft.

Über Nachhaltigkeit aus der Sicht der Wirtschaft referierte Dr. Claus Hipp (links); neben ihm Univ.-Prof. Dr.-Ing. Holger Magel.

Claus Hipp20

Für die Unternehmen, denen ein zer-tifiziertes Umweltmanagementsystemnoch eine Nummer zu groß ist, bietenimmer mehr Kommunen zusammenmit den IHKs das Projekt „Ökoprofit“an. Bei Ökoprofit finden sich Unter-nehmen unterschiedlicher Branchenin einer Gruppe zusammen. In einerReihe von Workshops, die von profes-sionellen Beratern moderiert werden,werden sie mit einzelnen Bausteineneines systematischen Umweltmanage-ments vertraut gemacht. Umweltma-nagementsysteme und andere Instru-mente leisten wertvolle Hilfe bei derSuche nach dem unter Nachhaltig-keitsgesichtspunkten richtigen Weg.Die persönliche Verantwortung derGeschäftsführung können sie abernicht ersetzen. Den richtigen Weg imEinzelfall zu finden, ist eine ständigeHerausforderung.

Selbstverständlich gibt es auch Ziel-konflikte. Im betrieblichen Alltag sindsie keine Ausnahme, sondern auf derTagesordnung, so auch im Unter-nehmen HIPP. Das Reinigen von Ge-müse erzeugt Schmutzwasser. Die Ver-packung von Babynahrung muss vieleAnforderungen erfüllen. In ökologi-scher Hinsicht werden Mehrwegver-packungen der Einwegalternative häu-fig überlegen sein. Für besondere Pro-duktgruppen kommen sie aus Sicher-heits-, Hygiene- oder sonstigen Grün-den trotzdem nicht in Frage. Ähnlichist die Sachlage, wenn es um die Her-stellung von Waren aus recyceltemMaterial oder aus neuen Rohstoffengeht.

Wie soll sich ein verantwortungsvollerUnternehmer in solchen Konfliktlagenverhalten? Welche Ansätze bieten eineLösung? Eine Allzweckmusterlösung

existiert leider nicht. Dafür sind dieaufgezeigten Interessen und Konfliktezu vielschichtig. Eine unternehmeri-sche Entscheidung ist das Ergebniseiner vielseitigen Bewertung und Ab-wägung der unterschiedlichsten Ent-scheidungsgrundlagen. Immer ist da-mit auch das Risiko verbunden, dasssich die Entscheidung letztlich alsfalsch erweist. Die Letztentscheidungund damit auch die Letztverantwor-tung kann dem Unternehmer nie-mand abnehmen, weder Greenpeacenoch der Wettbewerber, kein Betriebs-rat und kein Politiker. Sie wird durchdas persönliche Gewissen gefällt, dasgeprägt ist durch Erziehung, Religionund Weltanschauung.

Nachhaltigkeit ist mehr als Umwelt-schutz. Fragen der Ethik gehören ganzsicher dazu. Als Präsident der IHK für München und Oberbayern fühleich mich dabei besonders angespro-chen. Für Wirtschaftsprozesse nachethischen Maßstäben einzutreten,gehört nämlich – das wissen viele viel-leicht nicht – zu den zeitlosen Pflicht-aufgaben der IHK.

Auch im Hause HIPP ist das ein zen-trales Anliegen. 1999 wurde ein ei-genes Ethik-Management-System ein-geführt. Es soll der Unternehmens-leitung und allen Mitarbeitern, Kun-den und Lieferanten helfen, das ge-meinsame Handeln unter moralischenGesichtspunkten zu reflektieren undschließlich auch bejahen zu können.Die besondere Verantwortung des Un-ternehmers ergibt sich daraus, dass im-mer dann, wenn Unternehmen insSpiel kommen, fast automatisch eineVielzahl von Menschen betroffen ist:Eine falsche Entscheidung im Wettbe-werb kann ein ganzes Unternehmen in

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft aus der Sicht der Wirtschaft 21

den Ruin reißen, mitsamt seinenMitarbeitern und Familien. UnzähligeMenschen arbeiten weltweit unter Be-dingungen, die nach hiesigen Maßstä-ben jeder Beschreibung spotten. DieGüter, die sie produzieren, kommenauch bei uns auf den Ladentisch. Zwei-felhafte Produkte kommen mit Tau-senden, wenn nicht mit MillionenNutzern in Berührung. Je weiter dieviel zitierte Globalisierung fortschrei-tet, desto größer wird die Verantwor-tung der Unternehmen im Zusam-menhang mit ethischen Fragen. DieWirtschaft muss deshalb Selbststeue-rungsfunktionen entwickeln, die sieverantwortungsvoll ausfüllt. Sie solltedies nicht zuletzt auch im eigenen In-teresse tun, da es keinem Unterneh-men auf Dauer gut bekommen wird,wenn es das Image „Unternehmen oh-ne Moral“ vor sich herträgt. Ein be-kanntes Beispiel für ein Ethik-Manage-ment-System in der Wirtschaft ist dasder Bayerischen Bauindustrie. Deräußere Anlass für die Einführung wardie Problematik von Bestechungsfällenbei der Vergabe von öffentlichen Auf-trägen. Mit der Einführung sollte ge-setzlichen Eingriffen in die Autonomieder Bauwirtschaft durch branchenwei-te Selbstbindung an bestimmte Verhal-tensregeln zuvorgekommen werden.Das System ist ähnlich wie das weithinbekannte Qualitätsmanagementsystemnach ISO 9000 ff. ausgelegt.

Noch eine Bemerkung zu einer Aus-prägung unternehmerischer Verant-wortung, die nach landläufiger Mei-nung eher bei der Führung vonSportvereinen oder dem Bereich derWohlfahrtspflege anzutreffen ist: demEhrenamt. Das große Ausmaß und der Wert ehrenamtlichen Engagementsvieler Unternehmer ist in Politik und

Öffentlichkeit nicht hinreichend be-kannt. Dabei haben zahlreiche Unter-nehmen längst jenseits ihrer wirt-schaftlichen Aufgaben als „corporatecitizenship“ Verantwortung für das Gemeinwesen übernommen. Als Kam-merorganisation lebt auch die IHKvom ehrenamtlichen Engagement derMitgliedsunternehmen. Sie lebt davonin der Arbeit in den Ausschüssen undin der Vollversammlung. Sie lebt da-von in der Aus- und Weiterbildung, wosich allein bei der IHK München 7.300ehrenamtlich Tätige engagieren. Dasist sehr positiv, denn unternehmeri-sche Freiheit ist ohne soziale Verant-wortung nicht möglich.

3. Verantwortung des Bürgers

Neben der Verantwortung der Wirt-schaft steht die Verantwortung desKonsumenten, das heißt die des Bür-gers. Mit seiner Kaufentscheidung, mitseinem Verhalten bei der Nutzung dergekauften Ware übt er maßgeblichenEinfluss aus. Seine Verantwortung istkeinesfalls geringer einzuschätzen alsdie der Unternehmen. Es gibt Produk-te, bei denen die Umweltauswirkungenentscheidend vom Umgang mit demProdukt abhängen. Ein jedermann ein-leuchtendes Beispiel ist das Automobil.Zwar sind mit der Herstellung und der Entsorgung von Autos erheblicheUmweltauswirkungen verbunden. DerRessourcenbedarf, oft auch als „ökolo-gischer Rucksack“ bezeichnet, ist ge-waltig. Verglichen mit den Auswir-kungen während der Nutzungsphaseschlagen Herstellung und Entsorgungaber allenfalls mit 20% der Gesamt-belastung zu Buche. Der Fuß des Bür-gers auf dem Gaspedal hat letztlichden entscheidenden Einfluss. Aller-

Claus Hipp22

dings ist die Sachlage nicht immer soeinfach wie im gerade genannten Bei-spiel. Der Autofahrer, der 30.000 kmim Jahr fährt, weiß, dass er drei Mal soviel Umweltauswirkungen verursachtwie der Nachbar mit 10.000 km. Häu-fig ist der Konsument aber überfordert.Er trägt zwar Verantwortung für seineKaufentscheidung, kennt aber die öko-logisch oder sozial relevanten Ent-scheidungsgrundlagen nicht oder nurungenügend.

Welchen Ausweg gibt es aus dieserSituation? Ein Vorschlag, der in diesemZusammenhang häufig gemacht wird,heißt „Labelling“. Durch Labels, dasheißt Zertifikate, die auf dem Produktoder der Verpackung aufgebracht sind,soll der Verbraucher in die Lage versetztwerden, eine umweltgerechte oder einesozial verantwortbare Kaufentschei-dung zu treffen. Beispiele hierfür sindder „Blaue Engel“ für Produkte, die um-weltschonender als andere sind oderdas TransFair-Siegel, z.B. bei Kaffee, alsGarantie für „fairen Handel“, bei demdie Erzeuger mehr als die üblichenWeltmarktpreise erhalten.

Die Europäische Kommission verfolgtin dem im Februar 2001 vorgelegtenGrünbuch zur „Integrierten Produkt-politik“ die Strategie, eine derartigeKennzeichnung auf so viele Produktewie möglich auszudehnen. Man könn-te den Eindruck gewinnen, Labels sei-en die elegante Musterlösung als Ant-wort auf die Überforderung des Ver-brauchers. Diese Euphorie wird aufSeiten der Wirtschaft nicht überall ge-teilt. Mit Umwelt- oder Sozialkenn-zeichen kann regelmäßig nur ein be-stimmter Aspekt eines Produktes be-wertet werden (z.B. der Energiebedarfoder die Lärmemissionen). Diese ein-

dimensionale Kennzeichnung kannhilfreich sein, wenn sich die relevan-ten Umweltauswirkungen im Wesent-lichen auf diesen einen Aspekt be-schränken. Je komplexer allerdings dieAuswirkungen eines Produktes sind,desto geringer wird die Aussagekraftnach den Maßstäben einer ganzheit-lichen, integrierten Betrachtungswei-se. An die Stelle objektiver Aussagentreten dann angreifbare Abwägungs-ergebnisse. Einer ganzheitlichen Be-trachtungsweise werden am ehestenLabels gerecht, die glaubwürdige Hin-weise auf ein bestimmtes Verhalten ge-ben und nicht auf isolierte Produkt-eigenschaften abstellen. Ein positivesBeispiel ist das EMAS-Zeichen, das Teil-nehmer am Öko-Audit/EMAS verwen-den können.

Leider lässt die Teilnahmebereitschaftan EMAS in den letzten Monaten ein-deutig nach. Ein Hauptgrund dafür istin der Wirtschaft unbestritten: Die Bür-ger zeigen kein Interesse an den vonden Unternehmen mit viel Aufwandbereit gestellten und von unabhängi-gen Gutachtern überprüften Informa-tionen.

4. Rolle des Staates

Natürlich hat auch der Staat eigeneVerantwortung. Er ist zu einem gutenTeil für den Rahmen zuständig, in-nerhalb dessen Wirtschaft und Bür-ger handeln. Nur wenn der Rahmenstimmt, kann auch das andere stim-men. Fünf Bedingungen erscheinendabei unerlässlich: Politik, die Nach-haltigkeit ermöglichen soll, muss

● das Prinzip der Freiwilligkeit undEigenverantwortung stärken,

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft aus der Sicht der Wirtschaft 23

● Flexibilität und Spielraum belassen,● selbst die Prinzipien der Nachhal-

tigkeit berücksichtigen,● effizient und● praxistauglich sein.

Das Prinzip der Freiwilligkeit steht be-wusst an erster Stelle. Wer etwas freiwil-lig und mit Freude macht, entwickeltdabei stets mehr Ehrgeiz, als wenn er ge-gen seine Überzeugung zu etwas ge-zwungen wird. Der natürliche Wettbe-werb setzt viel mehr Fantasie frei als einundifferenzierter Gesetzesbefehl – Fan-tasie, die auf positive Verwirklichung ei-nes Ziels und nicht auf Umgehung undVermeidung gerichtet ist. Fast zwangs-läufig folgt daraus die Forderung nachFlexibilität und Spielraum. Verantwor-tung übernehmen heißt auch, dass man die Möglichkeit haben muss, un-ter mehreren Alternativen zu wäh-len.

Bei den Prinzipien der Nachhaltigkeitgeht es ganz wesentlich darum, da-rauf zu achten, dass alle Maßnahmenökologisch, ökonomisch und sozialgleichermaßen tragfähig sind. In derPraxis heißt das: Wir brauchen einesaubere Luft, eine gesunde Wirtschaft

und ausreichend Arbeitsplätze. EinePolitik, die versuchen würde, den ei-nen Aspekt gegen den anderen auszu-spielen, würde der nachhaltigen Ent-wicklung insgesamt schaden.

Die Forderung nach Effizienz hat mitder Nachhaltigkeit gemeinsam, dassauch insoweit Ökonomie und Ökolo-gie unteilbar sind. Politik muss sicher-stellen, dass in beiderlei Hinsicht einausgewogenes Verhältnis von Aufwandund Erfolg herrscht.

Besonders schwierig zu überwinden istschließlich der Prüfstein der Praxis-tauglichkeit. Manche Instrumente, diesich auf dem Reißbrett als Königs-weg empfehlen wie z.B. die Ökosteuer,scheitern an der Wirklichkeit.

Die nachhaltige Entwicklung ist einegeteilte Verantwortung, in der jeder,Staat, Wirtschaft und Bürger, seinenbesonderen Teil gewissenhaft erfüllenmuss.

Es ist aber auch eine gemeinsame Ver-antwortung, die nur zum Ziel führt,wenn alle zusammenwirken. Gemein-sam kann man es schaffen.

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

1. Sozialprinzipien als Bau-gesetzlichkeiten einer modernen Gesellschaft

Der Begriff „Prinzip“ hat keinen gutenKlang. Er wird mit „verstaubt“ und„starr“ assoziiert. Eine Prinzipienmoralgilt als blind für die Besonderheitendes Einzelfalls. Von ihrer Entstehungs-geschichte her haben die Sozialprin-zipien der christlichen Ethik jedochgerade die umgekehrte Stoßrichtung:Sie sind entstanden als Reaktion aufdie Erfahrungen des Wandels der neu-zeitlichen Gesellschaft, der wesentlichdurch die Emanzipation des Subjektsin der Aufklärung ausgelöst wurde.1

Der Begriff „Prinzip“ meint etwas Er-stes, Ursprüngliches und Unteilbares,aus dem eine Sache entweder bestehtoder entsteht oder erkannt wird.2 Prin-zipien sind einheitsstiftende Grund-sätze und Regeln3, die der Begründung,Rechtfertigung und Kritik untergeord-neter Normen dienen4 und auf Grundihres allgemeinen Charakters der kon-kretisierenden Interpretation bedürfen,um normativ relevant zu werden.

Die Frage nach Grundsätzen wird be-sonders „in Umbruchzeiten virulent,

die dadurch gekennzeichnet sind, dassDeutungs- und Orientierungsmusterihre Plausibilität verlieren und Gesell-schaften sich herausgefordert sehen,sich neu der Grundlage ihres Selbst-verständnisses und damit ihrer Zu-kunftsfähigkeit zu vergewissern. Dabeikann es durchaus auch zur Ausprägungneuer Prinzipien kommen, mit denendem Gang der geschichtlichen Ent-wicklung Rechnung getragen wird.(...).“5 Es geht darum, die normati-ven Leitlinien für die Regelung dersozialen Konflikte sowie die Gestal-tung der gesellschaftlichen Struktu-ren nach allgemeinen Gesichtspunk-ten transparent zu machen, zu er-klären, zu ordnen und zu gestal-ten. Prinzipien haben dabei nicht denCharakter von unmittelbar zu exe-kutierenden Verordnungen, sondernden von verfahrensrelevanten Grund-sätzen.

Sozialprinzipien sind die ethischeGrammatik für den Strukturaufbau derGesellschaftsordnung. Auf dieser grund-sätzlichen Ebene der Übersetzung bib-lischer Imperative in ordnungsethischeKategorien, die der offenen Dynamikeiner modernen Gesellschaft und Wirt-schaft Rechnung tragen, haben die

Nachhaltigkeit – Ein neues Sozialprinzip

christlicher Ethik

Markus Vogt

Nachhaltigkeit – Ein neues Sozialprinzip christlicher Ethik 25

christlichen Sozialprinzipien ihren sys-tematischen Ort.

Wenn man auf dieser prinzipiellenEbene fragt, sieht die Bilanz der Ant-worten christlicher Sozialethik auf die Umweltproblematik recht schwachaus: Es fehlt weitgehend an wirklichsystematischen Antworten. Auf derEbene der traditionellen Prinzipienkatholischer Soziallehre kommt dieUmweltfrage nicht vor. Sie ist dortkaum als ein epochales Problem er-fasst. Versuche einer systematischenAntwort auf die Umweltproblematikgibt es eher im Rahmen der Indivi-dualethik (z.B. auf der Grundlage desPrinzips „Ehrfurcht vor dem Leben“);aber diesen Ansätzen fehlt weitgehenddie gesellschaftstheoretische Basis.

Neue Orientierung kann hier das seitder UN-Konferenz von Rio de Janeiro(1992) weltweit anerkannte, aber nichtselten zur unverbindlichen Leerformelfür politische Sonntagsreden verflach-te Leitbild der nachhaltigen Entwick-lung bieten. Es gilt, das Prinzipielle die-ses Ansatzes ethisch zu präzisieren unddabei den Stellenwert sowie die Adres-saten ökologischer Imperative ange-sichts des Pluralismus und der offenenDynamik einer modernen Gesellschaftund Wirtschaft zu klären.

Die Beteiligung an der interdiszipli-nären und gesellschaftlichen Suchenach Antworten auf die ökologischeHerausforderung ist auch für die christ-liche Ethik selbst ein Lernprozess. Derbiblische Schöpfungsglaube braucht ei-ne differenzierte Interpretation auf derEbene der Prinzipien, um für einenAusgleich zwischen Ökologie undÖkonomie fruchtbar zu sein. Dabeikann er mit dem Gedanken der Nach-

haltigkeit verbunden werden und sichin vertiefter ethischer Begründung zueinem neuen Sozialprinzip verdichten.

2. Nachhaltige Entwicklung in christlicher Schöpfungs-verantwortung

Wir leben auf Kosten der Zukunft:Rohstoffe, die sich in Jahrmillionenherausgebildet haben, werden in ra-sant kurzer Zeit verbraucht. Es wirdgeschätzt, dass binnen zwei Jahr-zehnten mehr als eine Million Artenaussterben.6 die Verschmutzung derMeere, die Versiegelung der Land-schaften, die Ausbreitung von Wüsten,die großräumige Schädigung der Vege-tationsdecke und der Ozonabbau inder Stratosphäre schreiten scheinbarunaufhaltsam voran. Insbesondere dieklimatischen Umweltveränderungenführen zu tief greifenden Veränderun-gen der Lebensbedingungen auf derErde.7

Aktuell werden die Fakten in dem UN-Bericht „GEO 2000“ zusammengetra-gen: Zwei Drittel der Menschen wer-den – so die UNEP – 2025 unter un-zureichender Trinkwasserversorgungleiden. In den letzten 50 Jahren gingweltweit mehr als ein Viertel desfruchtbaren Bodens unwiederbring-lich verloren, mehr als ein Drittel dertropischen Regenwälder ist bereits vernichtet, 80% der Wälder, , die ur-sprünglich die Erde bedeckten, sind abgeholzt oder schwer geschädigt. Dieanthropogenen Klimaveränderungenführen bereits heute zum teilweisenAbschmelzen der Gletscher und Pol-kappen, zur Zunahme extremer Dür-ren und Stürme (z.B. Hurrican Mitch)sowie – etwa in Afrika – zu einem Vor-

Markus Vogt26

dringen der Wüsten bis zu 100 km.8

Dies sind keine reparaturfähigen „Be-triebsunfälle“ unserer Wirtschafts- undLebensweise, sondern Strukturproble-me unseres Wohlstandsmodells.

Angesichts der Globalisierung der Um-weltproblematik hat sich die inter-nationale Völkergemeinschaft bei derUN-Konferenz von 1992 in Rio de Ja-neiro auf das Leitbild der nachhalti-gen Entwicklung (sustainable develop-ment) verpflichtet und dies in demumfangreichen „Handlungsprogrammfür das 21. Jahrhundert“, der Agenda21 konkretisiert.9 Dessen Einlösungsteht aber noch weitgehend aus.

Das Leitbild der Nachhaltigkeit hat ei-nen ethischen Ausgangspunkt, näm-lich die Verantwortung für künftigeGenerationen und damit das Postulatintergenerationeller Gerechtigkeit. Esversteht Umweltschutz als verpflich-tenden Bestandteil einer verantwort-lichen Generationenvorsorge, als eineder wichtigsten Sozialleistungen fürdie Zukunft und zugleich als eine un-abdingbare Bedingung für jede lang-fristig tragfähige Ökonomie. Die sys-tematische Akzentuierung dieser viel-schichtigen Zusammenhänge von öko-logischen, sozialen und ökonomischenFaktoren ist der Kern des Konzepts dernachhaltigen Entwicklung.10

Es versteht wirtschaftlichen Wohl-stand, soziale Sicherheit und Stabili-sierung der ökologischen Systeme alsje eigenständige, nicht voneinanderableitbare und in einem engen Zu-sammenhang wechselseitiger Abhän-gigkeiten stehende Zielgrößen gesell-schaftlicher Entwicklung. Nachhaltig-keit ist also kein rein ökologischesKonzept. Durch seinen integrativen

Ansatz überwindet es vielmehr die Iso-lierung von Umweltthemen und wan-delt den nachsorgend auf die Repa-ratur der Schäden gerichteten Ansatzin eine auf die Ziele und Wege derZukunft gerichtete Programmatik.11

Entsprechend der drei Grunddimen-sionen gesellschaftlicher Zukunfts-fähigkeit ist der notwendige und adä-quate Ausdruck des Leitbilds der nach-haltigen Entwicklung eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft, die den Marktals effektivstes Mittel zur Schaffungvon Wohlstand nutzt, die sich demZiel der sozialen Gerechtigkeit durchentsprechende Ausgleichsmaßnahmenverpflichtet und die alle wirtschaft-lichen Prozesse von Anfang an so ge-staltet, dass die natürlichen Exis-tenzgrundlagen geschont werden. Eskommt darauf an, den Umwelt- undNaturschutz nicht nur mit Hilfe defen-siv-nachsorgender Maßnahmen als Be-grenzungsfaktor der gesellschaftlichenEntwicklung zu berücksichtigen, son-dern ihn zum Zielfaktor einer Zu-kunftsgestaltung zu machen, die dieNatur in ihrem Eigenwert und in ihrenvielfältigen Dimensionen anerkenntund schützt.

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ kommtaus der Forstwirtschaft, wo er be-reits vor 200 Jahren eine Bewirtschaf-tungsform bezeichnete, bei der nicht mehr Holz geschlagen wird als nach-wächst.12 Ausgeweitet und angewen-det auf die heutige Situation fordert dasKonzept eine „zirkuläre Ökonomie“, dieden Ressourcenverbrauch und Schad-stoffausstoß den Kapazitäten der öko-logischen Systeme anpasst.13

Nachhaltigkeit meint: so mit lebendenSystemen umgehen, dass sie sich aus

Nachhaltigkeit – Ein neues Sozialprinzip christlicher Ethik 27

sich selbst heraus regenerieren kön-nen, dass sie ihre Lebenskraft behalten.Diesen Grundsatz kann man auch aufsoziale Systeme anwenden. Es ist einallgemeines Lebensprinzip. Es hat mitden Möglichkeiten und Grenzen derSteuerung komplexer Systeme zur dy-namischen Stabilisierung der komple-xen Mensch-Umwelt-Zusammenhängezu tun.14 Es geht um einen Paradig-menwechsel, der sowohl die Natur- alsauch die Sozialwissenschaften umfasstund der für die Sozialethik von hoherRelevanz ist.15

Das Leitbild der Nachhaltigkeit stehtnicht nur für ein sozioökonomischesProgramm, sondern darüber hinausauch für die Suche nach der Wieder-gewinnung neuer, langfristiger Zu-kunftsperspektiven, die für viele Bürgerdurch die ökologischen Bedrohungenund schleichenden Zerstörungen inFrage gestellt werden. Es verweist aufdie Vision einer globalen Solidari-tät, eines zukunftsfähigen und damitsinnerfüllten Lebens, einer neuenSozialkultur gesellschaftlicher Eigen-initiativen sowie einer Wirtschafts-und Lebensform, deren Leitwert nichtmaximaler Konsum ist, sondern einsozial und ökologisch verantworteterWohlstand.

Christliche Dimensionen der Nachhaltigkeit

Zentraler Ausgangspunkt des christli-chen Beitrags für eine nachhaltige Ent-wicklung ist der Schöpfungsglaube:„Schöpfung“ meint nicht nur einenAkt am Anfang der Welt, sondern zu-gleich die ständige Gegenwart Gottesin seinen Geschöpfen. Wer bewusstvon Schöpfung spricht, erkennt die

Erde als Raum des geschenkten Lebensan, den die Menschen in Ehrfurchtund Verantwortung bebauen und be-wahren16, also gestalten und schützensollen.17

Als Geschöpf steht der Mensch in einerumfassenden Schicksalsgemeinschaftmit allen Lebewesen. Alle sind Mit-geschöpfe des Menschen, denen ihr jeeigener Ort im großen „Lebenshaus“der Schöpfung zugewiesen ist. Die An-erkennung des je eigenen, weit überihren unmittelbaren Nutzen hinaus-gehenden Wertes der Mitgeschöpfe ist eine notwendige Konsequenz deschristlichen Schöpfungsglaubens.

Christliche Schöpfungsverantwortunghat jedoch nie die Natur für sich allei-ne, sondern stets die Geschichte desMenschen in und mit ihr im Blick. Fürdie Wahrnehmung ökologischer Anlie-gen bedeutet dies, dass sie von vorn-herein in einem soziokulturellen Zu-sammenhang gesehen werden. Diesentspricht dem ethischen Ansatz derRio-Deklaration und der Agenda 21,die Menschenschutz und Naturschutz,Armutsbekämpfung und Umweltvor-sorge als Einheit verstehen.18

Die integrale Sichtweise der Umwelt-fragen, die sich mit dem Nachhaltig-keitskonzept durchzusetzen beginnt,entspricht zutiefst dem Ansatz christ-licher Schöpfungsverantwortung. Sogibt es vielfältige Zusammenhängezwischen der Trias des konziliaren Pro-zesses für Frieden, Gerechtigkeit undBewahrung der Schöpfung19 und derTrias von Ökologie, Ökonomie und So-zialem, die die Botschaft von Rio ist.Bereits 1974 hat der Ökumenische Ratder Kirchen Reformen für eine „sus-tainable society“ (nachhaltige Gesell-

Markus Vogt28

schaft) verabschiedet. Viele Texte derVersammlungen des konziliaren Pro-zesses von Stuttgart und von Dresdenhaben Formulierungen der Texte vonRio geprägt. Persönlichkeiten wie derheutige UNEP-Direktor Klaus Töpferoder Lukas Vischer vom World Coun-cil of Churches in Genf stehen für die Verbindung beider Prozesse. Der Entwicklungsbegriff aus der Enzyklika„Populorum Progressio“ von 1967 hatdie frühen Konzeptionen der UNO zurVerbindung von Umwelt- und Ent-wicklungsprogrammen stark beein-flusst. Bisher fehlt eine systematischewissenschaftliche Untersuchung dieserZusammenhänge.

Das Leitbild der nachhaltigen Ent-wicklung ist bereits in wichtigen kirch-lichen Dokumenten als Bestandteil derchristlichen Soziallehre akzeptiert.20

Insbesondere in der Schrift „Handelnfür die Zukunft der Schöpfung“ wirddas Leitbild der Nachhaltigkeit durcheine Verknüpfung mit christlicherSchöpfungstheologie, Ethik, Pastoral,Bildung, Politik und Infrastruktur kon-kretisiert.21 Die theologisch-ethischeReflexion des Leitbilds der Nachhaltig-keit ist teilweise mit intensiver Kritikmancher Verwendungen in Politik undWirtschaft verbunden.22

Die wichtigsten Argumentationsschrit-te dieser schöpfungstheologischen undökologischen Erweiterung christlicherSozialethik sind:

● Der umfassende und integrative An-satz des Nachhaltigkeitskonzeptesentspricht in wesentlichen Punktendem christlichen Schöpfungsglauben.

● Angesichts der komplexen Proble-me der heutigen Welt bedarf derSchöpfungsglaube der Verknüpfung

mit einem solchen Rahmenkon-zept, um unter den Bedingungenund Entscheidungsproblemen ei-ner modernen Gesellschaft ethischeund politische Gestaltungskraft zugewinnen.

● Die christlichen Kirchen könnenaus ihrer Tradition heraus einen we-sentlichen Beitrag zur ethischen,theologischen und praktischen Ver-tiefung des Leitbildes leisten.

3. Das Verhältnis der Nach-haltigkeit zu den klassischen Sozialprinzipien

Nachhaltigkeit ist mit dem Ansatz deschristlichen Schöpfungsglaubens kom-patibel und lässt sich ohne logischeWidersprüche mit dem Ansatz derchristlichen Sozialprinzipien der Per-sonalität, Solidarität und Subsidiaritätverbinden:23

● Kennzeichnend für das Nachhaltig-keitsprinzip ist zunächst, dass es einNaturnutzungskonzept ist und da-mit auch in seiner ethischen Be-gründung den Bezug zum Men-schen nicht aufgibt. Es begründetden Umweltschutz aus der Verant-wortung für künftige Generationenund aus der globalen Solidarität derMenschen.24 Umweltschutz wird alsVoraussetzung und Bestandteil desSchutzes der unbedingten, persona-len Würde des Menschen verstan-den. Damit ist das Prinzip der Nach-haltigkeit einer ökologisch aufge-klärten Anthropozentrik, die prin-zipiell an dem transzendentalphilo-sophischen Ansatz der Kant'schenEthik festhält und mit dem christ-lichen Schöpfungsauftrag vereinbarist, zuzuordnen.25

Nachhaltigkeit – Ein neues Sozialprinzip christlicher Ethik 29

● In der Mitte des Nachhaltigkeits-prinzips steht die Forderung nacheiner weltweiten und generatio-nenumspannenden Solidarität, de-ren Bewährungsprobe heute ganzwesentlich der Einsatz für eine glo-bale Entwicklungs- und Umwelt-politik ist. Angesichts der Globa-lisierung der Märkte ist die Glo-balisierung der Solidarität der ein-zige Weg zur Erschließung einerlebenswerten Zukunft für alle Men-schen.26 Auf Grund der engen Zu-sammenhänge zwischen Armut undUmweltzerstörung gewinnt das So-lidaritätsprinzip in ökologischenZusammenhängen eine vorrangigeBedeutung. Dies kommt nicht zu-letzt in der Agenda 21 zum Aus-druck, da sie in ihren ersten Kapi-teln den Akzent auf Armutsbe-kämpfung setzt.

● Wegweisendes Organisationsprinzipnachhaltiger Entwicklung ist dieSubsidiarität, die hier vor allem des-halb eine tragende Bedeutung ge-winnt, weil nachhaltige Entwick-lung ein offener Suchprozess ist, derkaum von oben verordnet und inallen Einzelheiten vorausgeplantwerden kann, sondern nur durchdas selbstständige Engagement vie-ler gesellschaftlicher Gruppen undInstitutionen zu erreichen ist. Woimmer die Möglichkeit für indi-viduelle und eigenverantwortlicheProblemlösungen besteht, ist die-sen der Vorrang einzuräumen. Einewichtige Realisierungsform der Sub-sidiarität im Rahmen nachhaltigerEntwicklung ist Regionalisierung,also die Abgrenzung und Unter-stützung relativ selbstständiger so-zialer Einheiten, die eng mit ihrerkonkreten natürlichen und sozia-

len Umwelt verbunden sind und soein besonderes Interesse an derenSchutz haben. Subsidiarität im Sin-ne der Förderung regionaler Eigen-ständigkeiten hat eine Schlüssel-bedeutung für die Förderung mit-telständischer Unternehmen undihrer ökologisch vorteilhaften Po-tenziale. Zugleich fördert Regiona-lisierung die Chancen zivilgesell-schaftlicher Mitgestaltung des eige-nen Lebensraumes.27 Dies ist einedemokratische Leitidee nachhaltigerEntwicklung. Daher ist eine „teilha-bende Demokratie“28 nicht nur Mit-tel, sondern zugleich fundamentalerInhalt des Konzepts nachhaltigerEntwicklung.

Auf diese hier nur kurz skizzierte Wei-se verknüpft und aktualisiert Nach-haltigkeit die traditionellen Prinzipiender Sozialethik im Problemhorizontder ökologischen Frage. So gewinnt dasNachhaltigkeitsprinzip wichtige Inhal-te seiner Begründung, seiner ethischenMotivationskraft und seiner organi-satorischen Gestalt aus dem engen Ver-weisungszusammenhang zu den be-kannten Prinzipien.

Die Eigenständigkeit des Nachhaltigkeitsprinzips

In all diesen Überlegungen zur ökolo-gischen Dimension der traditionellenSozialprinzipien kommt die nicht-menschliche Natur nur vermittelt überandere Inhalte zur Sprache. Das Nach-haltigkeitsprinzip fordert jedoch dar-über hinaus, die ökologische Dimen-sion als eine eigenständige Zielgrößegesellschaftlicher Entwicklung auchum ihrer selbst willen ernst zu neh-men.29

Markus Vogt30

Ökologische Ethik auf der Grund-lage des Nachhaltigkeitsprinzips führtjedoch nicht aus der Gesellschafts-theorie und der Sozialethik heraus,sondern vielmehr tiefer in sie hinein.Es geht darum, soziale Verhältnisseund Überlebensfragen aus der Dyna-mik des menschlichen Natur-Gesell-schafts-Verhältnisses heraus zu be-greifen.30 Das ergibt sich schon daraus,dass sich ökologische Gefahren in derModerne nicht mehr primär auf dieunbeherrschte Natur zurückführenlassen, sondern als nichtintendierteNebenfolgen der Naturbeherrschungverstanden werden müssen. Sozialeund ökologische Folgen dürfen alsonicht isoliert neben- und nachein-ander betrachtet werden, sondern in-einander und interdisziplinär ver-netzt.31

Deshalb kann und muss Nachhaltig-keit als Sozial-Prinzip bezeichnet wer-den. Es geht um eine „ökologische So-zialethik“32. Wenn man ökologischeEthik dagegen in der Begründung undAusrichtung als Sonderethik konzi-piert, gerät sie gesellschaftlich undethisch ins Abseits. Das Nachhaltig-keitsprinzip gewinnt seine Eigenstän-

digkeit also gerade nicht aus der Isolie-rung gegenüber den anderen Prin-zipien, sondern vielmehr daraus, dassdie Beziehung des Menschen zur Naturals ein Problemfeld verstanden wird,das die drei traditionellen Prinzipien inneuer Weise aktualisiert, vertieft undumfasst.

Es gilt, die zweiwertige Logik „Natur –Gesellschaft“, „Ökologie – Ökonomie“etc. zu relativieren und neu zu ler-nen, dass personale Freiheit sowie ge-sellschaftlicher Fortschritt nicht pri-mär als Emanzipation von den natur-wüchsigen Fesseln zu verstehen sind,sondern als Entfaltung der schöpfe-rischen Natur.

Die Erfahrung der Grenzen der Naturkann für den Menschen auch eineChance sein, seine eigenen Grenzenals Geschöpf, das das Leben nicht aussich selbst hat, neu zu erkennen. Nurwenn er sich in ein ihn tragendes undumfassendes Ganzes einfügt, ist sinn-erfülltes Leben möglich. Auch wirt-schaftlicher Erfolg ist auf Dauer nurdann lebensdienlich, wenn er sich indie Gesamtökonomie der Schöpfungeinfügt.

Anmerkungen1 Anzenbacher, A.: Christliche Sozialethik.

Einführung und Prinzipien, Paderborn1997, S.178–224; Korff, W./Baumgartner,A.: Sozialprinzipien als ethische Bauge-setzlichkeiten moderner Gesellschaft –Personalität, Solidarität, Subsidiarität, in:W. Korff u.a. (Hrsg.), Handbuch der Wirt-schaftsethik, Gütersloh 1999, Bd.I, S.225–237.

2 Aristoteles, Metaphysik 1013a.3 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 355ff.4 Höffe, O.: Moral als Preis der Moderne.

Ein Versuch über Wissenschaft, Technikund Umwelt, Frankfurt 1993, S.191f.

5 Korff, W./Baumgartner, A.: Sozialprinzi-

pien als ethische Baugesetzlichkeiten,S.225.

6 WBGU (Wissenschaftlicher Beirat derBundesregierung Globale Umweltverän-derungen): Welt im Wandel: Grund-struktur globaler Mensch-Umwelt-Bezie-hungen. Jahresgutachten 1993, Berlin1993, S.102–113.

7 Zwischenstaatliche Verständigungsgrup-pe über Klimaveränderungen (IPCC): In-tergovernmental Panel on Climate Chan-ge, Climate Change 2001 (Summary forPolicymakers aus dem Internet); Hauch-ler, I./Messner, D./Nuscheler, F. (Hrsg.):Globale Trends. Fakten – Analysen – Pro-

Nachhaltigkeit – Ein neues Sozialprinzip christlicher Ethik 31

gnosen (Bericht der Stiftung Entwicklungund Frieden), Frankfurt a.M. 1997.

8 United Nations Environment Programme(UNEP): Global Environment Outlook2000, Nairobi 1999, bes. S.24–51.

9 Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit (BMU)(Hrsg.): Konferenz der Vereinten Na-tionen für Umwelt und Entwicklung imJuni 1992 in Rio de Janeiro – Dokumen-te, Bonn 1992.

10 SRU (Der Rat von Sachverständigen fürUmweltfragen): Umweltgutachten 1994.Für eine dauerhaft-umweltgerechte Ent-wicklung, Stuttgart 1994, bes. Nr.1–15;Vogt, M.: Das neue Sozialprinzip „Nach-haltigkeit“ als Antwort auf die ökologi-sche Herausforderung, in: W. Korff u.a.(Hrsg.), Handbuch der Wirtschaftsethik,Gütersloh 1999, Bd.I, S.237–257; Altner,G./Michelsen, M. (Hrsg.): Ethik der Nach-haltigkeit, Frankfurt 2001.

11 BUND/Misereor (Hrsg.): ZukunftsfähigesDeutschland. Ein Beitrag zu einer globalnachhaltigen Entwicklung. Studie desWuppertal Instituts für Klima, Umwelt,Energie, Basel 1996, bes. S.149–285.

12 Schanz, H.: Forstliche Nachhaltigkeit. So-zialwissenschaftliche Analyse der Begriffs-inhalte und -funktionen, Freiburg 1996.

13 BUND/Misereor (Hrsg.): Zukunftsfähi-ges Deutschland, S.23–88; Lochbühler,W.: Christliche Umweltethik. Schöp-fungstheologische Grundlagen – Philo-sophisch-ethische Ansätze – ÖkologischeMarktwirtschaft, Frankfurt a.M. 1996;Detzer, K./Dietzfelbinger, D. u.a.: Nach-haltig Wirtschaften. Expertenwissen fürumweltbewusste Führungskräfte in Wirt-schaft und Politik, Augsburg 1999.

14 Vogt, M.: Retinität, Vernetzung als ethi-sches Leitprinzip für das Handeln in kom-plexen Systemzusammenhängen, in: S. Bornholdt/P. Feindt (Hrsg.), Komplexeadaptive Systeme, Dettelbach 1996, S.159–197.

15 Jonas, H.: Das Prinzip Verantwortung.Versuch einer Ethik für die technologi-sche Zivilisation, Frankfurt 1979; Vogt,M.: Naturverständnis und ChristlicheEthik, in: Bayerische Akademie für Na-turschutz und Landschaftspflege (Hrsg.),Zum Naturverständnis der Gegenwart,Laufen 2001 (im Druck).

16 Genesis 2,15.17 Link, Ch.: Schöpfung, Gütersloh 1991;

Halter,H./Lochbühler, W.: ÖkologischeTheologie und Ethik, 2 Bde., Graz 1999;Diefenbacher, H./Döring, H.-J./Vogt, M.(Hrsg.): Nachhaltigkeit als ethische Her-ausforderung. Eine ökumenische Lese-

mappe, Benediktbeuern 2001, S.29–95;Rosenberger, M.: Was dem Leben dient.Schöpfungsethische Weichenstellungenim konziliaren Prozess der Jahre 1987-89,Stuttgart 2001, S.131–180.

18 Vgl. bes. Rio-Deklaration, Nr.1; Agenda21, Nr.3.

19 Rat der europäischen Bischofskonferen-zen (CCEE): Frieden in Gerechtigkeit[Konziliarer Prozess Gerechtigkeit, Frie-den und Bewahrung der Schöpfung], Basel 1989; Ernst, W. (Hrsg.): Gerechtig-keit, Frieden und Bewahrung der Schöp-fung, Leipzig 1990; Rosenberger, M.: Wasdem Leben dient.

20 Evangelische Kirche in Deutschland/Deutsche Bischofskonferenz (EKD/DBK):Für eine Zukunft in Solidarität und Ge-rechtigkeit, Hannover/Bonn 1997, Nr.122–125, 224–232; Kommission VI für ge-sellschaftliche und soziale Fragen derdeutschen Bischofskonferenz: Handelnfür die Zukunft der Schöpfung, Bonn1998; Lochbühler, W.: Verlautbarungendes katholischen Lehramtes zur Um-weltpolitik, in: ThG 40 (1/97), S.37–53;Münk, H.: Nachhaltige Entwicklung undSoziallehre, in: Stimmen der Zeit 216(4/98), S.231–245; Zentralkomitee derDeutschen Katholiken: Berichte und Dokumente 109 (Dokumentation derVollversammlung 1998 zum Thema„Nachhaltigkeit“), Bonn 1998; Diefenba-cher. H./Döring, H.-J./Vogt, M. (Hrsg.):Nachhaltigkeit als ethische Herausfor-derung.

21 Kommission VI für gesellschaftliche undsoziale Fragen der deutschen Bischofs-konferenz: Handeln für die Zukunft derSchöpfung.

22 Europäische Ökumenische Konferenz fürKirche und Gesellschaft (EECCS) Arbeits-gruppe „Ökonomie – Ökologie“: Ist dasherrschende Wirtschaftsmodell mit nach-haltiger Entwicklung vereinbar? (epd18/96), Frankfurt a.M. 1996; Schramm,M.: Der Geldwert der Schöpfung. Ökolo-gie – Theologie – Ökonomie, Paderborn1994.

23 Münk, H.: Nachhaltige Entwicklung undSoziallehre; Lochbühler, W.: „Nachhalti-ge Entwicklung“: Eine Herausforderungfür die christliche Sozialethik, in: ThG 41(1998), S.138 –149.

24 Vgl. Riodeklaration, bes. Grundsätze1–6.25 Vgl. Vogt, M.: Das neue Sozialprinzip

„Nachhaltigkeit“, S.243–252.26 Vogt, M.: Globale Nachbarschaft. Christ-

liche Sozialethik vor neuen Herausforde-rungen, München 2000.

27 Glück, A./Magel, H. (Hrsg.): Neue Wege

Markus Vogt32

in der Kommunalpolitik. Durch eineneue Bürger- und Sozialkultur zur AktivenBürgergesellschaft, München 2000.

28 Agenda 21, Kapitel 27.29 Münk, H.: Nachhaltige Entwicklung und

Soziallehre.30 Beck, U.: Die Risikogesellschaft. Auf dem

Weg in eine andere Moderne, Frankfurt1986, S.107f.

31 Vogt, M.: Naturverständnis und Christ-liche Ethik.

32 Höhn, H.-J.: Technik und Natur, in: ders.,Christliche Sozialethik interdisziplinär,Paderborn 1997, S.266.

Weitere LiteraturIrrgang, B.: Christliche Umweltethik. EineEinführung, München 1992.Korff, W.: Mensch und Natur. Defizite einerUmweltethik, in: R. Göhner (Hrsg.), Die Gesellschaft für morgen, München 1993,S.66–87.

Vogt, M.: Handeln für die Zukunft derSchöpfung, in: H.-J. Jaschke, Christen vorder Zukunft. Unsere Verantwortung für dieGesellschaft (Schriften der Deutschen Bi-schofskonferenz auf dem Weg zum HeiligenJahr 2000, Nr.7), Köln 1998, S.64–85.

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

1. Einleitung

„Was die Zukunft bringt, wissen wirnicht, dass wir aber handeln müssen,das wissen wir.“ Dieser Kernsatz vonFriedrich Dürrenmatt sagt mehr aus alsdie wenigen Worte vermuten lassen.1

Er bringt einmal die Verlegenheit ge-genüber dem Ungewissen der Zukunftzum Ausdruck, zum andern das „Han-deln-Müssen“, ohne genau zu wissen,was wir zu tun haben, sodann dieSpannweite zwischen dem mora-lischen Müssen und der völligen Of-fenheit der Normenwelt und letztlichdie Zukunftsverantwortung als solche,die vom gegenwärtigen Handeln undScheitern abhebt, aber just nicht da-von dispensiert, wenn auch unter demVorzeichen der Zukunftsorientierung.Auf einen kurzen Nenner gebrachtgeht es um das aktuelle, zukunftsge-richtete „Handeln-Müssen“ bei „Nicht-Wissen“. Wir gehen nicht fehl, wennwir dahinter die Grundsatzproblemeder philosophischen Ethik wittern undwenn wir uns selbst anklagend Re-chenschaft geben, uns mitten in exis-tenzielle Probleme der heutigen Welthineingeworfen zu sehen, vor allem

was den heutigen Umgang mit dermorgigen Zukunft angeht. Die Unge-wissheiten belasten: „Nichts Wahresläßt sich von der Zukunft wissen.“2

2. Dimensionen der Nachhaltigkeit

Das Stichwort der Nachhaltigkeit,schnellfüßig über die Welt verbrei-tet und zum Allerweltsthema für For-schung und Politik emporstilisiert(oder degradiert?), bietet sich als denk-bare Hilfe an.3 Was es besagt, dies kann nicht formelähnlich nieder-geschrieben werden. Es lässt aber et-was von dem erahnen, was uns zumMaßstab des „Handeln-Müssens“ mit-ten im „Nicht-Wissen“ werden könnteoder gar müsste. Ob es dabei um dasMaßnehmen an der Nachwuchsfähig-keit resp. an der Verfügbarkeit erneuer-barer Ressourcen geht oder ob gar dieZurückhaltung resp. der Verzicht aufden Verbrauch nicht erneuerbarer inFrage steht, dies mag man diskutieren;auch die Vernetzung von ernsthafterPolitik, leistungsfähiger Wirtschaft, so-lidarischer Gesellschaft und ökologi-

Nachhaltigkeit in derBürgergesellschaft:

Verantwortungsvolles Planen,Entscheiden und Handeln*

Martin Lendi

Martin Lendi34

schem Gleichgewicht will bedachtsein. Ein Faktum sticht hervor: Durchund durch ethisch ist auf alle Fälle dieDimension der Ausrichtung auf dieLebensmöglichkeiten und Lebensent-faltungschancen der kommenden Ge-nerationen, für welche niemand an-ders als die Lebenden Verantwortungzu tragen haben. Sie müssen Maß neh-men und Verantwortung zeigen, un-geachtet der Ungewissheiten.

So kräftig die Politik von der Nach-haltigkeit behaupten mag, sie sei derSchlüssel zum Umgang mit der Zu-kunft, so wenig ist sie allerdings in der Lage, Nachhaltigkeit unmittelbarhandlungsorientiert werden zu lassen.Das Prinzip vermittelt keine Rezepte.Dies mag als Nachteil gewertet werden,dies mag sogar Anlass sein, an derNachhaltigkeit zu zweifeln, zu ver-zweifeln, oder aus lebenslanger Erfah-rung heraus zu behaupten, was Nach-haltigkeit sei, werde unklarer, je längerman sich damit befasse. Daran ist eini-ges richtig. Der Weisheit letzter Schlussist dies aber nicht. Spannend, ja sogaraufregend an der Nachhaltigkeit alsOrientierungshilfe auf dem Weg des„Handeln-Müssens“ bei „Nicht-Wis-sen“ ist die Herausforderung, die ausihr spricht, in allen Lebensbereichendes politischen, wirtschaftlichen, so-zialen, ökologischen Lebens – und inderen Vernetzungen – Umsicht waltenzu lassen und dies nicht aus einem ein-maligen Entrüstungssturm heraus oderunter einem aktuellen Leidensdruck,sondern anhaltend, wiederkehrend,aus tieferer Einsicht. Nachhaltigkeit istals Prozess des Bemühens um Verant-wortungswahrnehmung unter sichlaufend ändernden Bedingungen zuverstehen. Das Ungewisse der Zukunftbleibt, das Nicht-Wissen begleitet das

konzeptionelle Entwerfen und daskonkrete Handeln. Die langfristig an-gelegte Nachhaltigkeitsdebatte mussalso lernen, mit Problemveränderun-gen, Zielvariationen, ja sogar mit Ein-stellungsveränderungen zu Werten zuleben – und dennoch an der Nach-haltigkeit festzuhalten, über die Zeitenhinweg, im Hinblick auf ein lebens-wertes Leben der kommenden Gene-rationen.

Die Nachhaltigkeit wird durch sach-liche Mehrdimensionalität geprägt.Dies kommt in der neuen Bundes-verfassung der Schweizerischen Eid-genossenschaft vom 18. April 1999sehr schön zum Ausdruck. Gleich anmehreren Orten spricht sie vom Prin-zip der Nachhaltigkeit resp. von Nach-haltigkeitsaspekten und signalisiert da-bei, wie fragwürdig eine abschließendeLegaldefinition wäre und wie wichtiges ist, dass Nachhaltigkeit, wenn sietatbeweisfähig werden soll, in allen Le-bensbereichen und in allen Politik-feldern zur Geltung kommt.4 Bemer-kenswert ist auf alle Fälle: Von ihr istin der feierlichen Präambel, in derZweckbestimmung, im Abschnitt über„Umwelt und Raumplanung“ undauch in jenem über die „AuswärtigenAngelegenheiten“ die Rede, manchmalsogar – versteckt oder offen – in Aus-sagen zu Sachaufgaben, wenn sie bei-spielsweise von der haushälterischenNutzung des Bodens wie auch desWassers und der Erhaltung des Waldeshandelt und von der Landwirtschafteine nachhaltige Produktion verlangt,überdies den Umgang mit der Energiein die Pflicht nimmt, indem sie derNutzung einheimischer und erneuer-barer Energien, dann auch dem spar-samen und dem rationellen Energie-verbrauch das Wort redet. Mal geht es

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft 35

um den Umgang mit erneuerungsfä-higen Ressourcen, mal stehen nichterneuerungsfähige in Frage. Alles inallem soll, wenn wir die Summe derAussagen der Verfassung bilden, denaktuellen und kommenden Generatio-nen ein Leben in Freiheit unter denBedingungen und Vorgaben einer leis-tungsfähigen Wirtschaft, der sozia-len Solidarität und des ökologischenGleichgewichts ermöglicht werden.Was die Verfassungspraxis, was derGesetzgeber und was die Verwaltungund die Rechtsprechung dereinst ausdem Prinzip Nachhaltigkeit in seinerMehrdimensionalität schöpfen wer-den, das ist offen. Anregend ist esallemal. Das Grundgesetz der Bundes-republik Deutschland erwähnt dieNachhaltigkeit nicht in der gleichenVielfalt, nimmt jedoch auf den Um-weltschutz als Staatsziel Bezug undfügt dort die intergenerationelle Ver-antwortung ein.5 Die Kerngedankender Nachhaltigkeit sind jedenfallsnicht nur politisch proklamiert, son-dern verfassungsrechtlich präsent.

3. Innehalten, Besinnen

Die mehrfache Durchdringung öffent-licher Aufgaben – nach schweizeri-schem Recht und indirekt auch nachdeutschem Recht – mit dem Aufruf,nicht blindlings, eigennützig und ausschließlich gegenwartsbezogen zuhandeln, mahnt, hier wie dort, letzt-lich überall und zu jeder Zeit zuüberlegen, was getan werden muss. Sobesehen ist das Stichwort der Nach-haltigkeit, ob rechtlich verankert odernicht, ob stricti iuris definiert odernicht, eine Hilfe des für Staat, Wirt-schaft und Gesellschaft angezeigtenReflektierens über das „Handeln-Müs-

sen“ bei nicht „Nicht-Wissen“ resp. beinicht hinreichendem Wissen. Sicher-lich, der vielschichtige Begriff derNachhaltigkeit mag sogar zum Ausrufverleiten, Nachhaltigkeit sei ein un-brauchbares Kriterium, oder wenigerapodiktisch und letztlich doch nichtsehr inhaltsreich, Nachhaltigkeit seiein zwar vages, aber immerhin einLeitbild, von dem man leider nicht sogenau wisse, was es gebiete. Dem istaber nicht so. Im Kern der Nachhaltig-keit steht der Hinweis auf das „Han-deln-Müssen“ auch bei „Nicht-Wissen“und zwar über das, was die Zukunft inVerantwortung für morgen erfordert,eine immense Herausforderung, dienicht anders zu meistern ist als durchInnehalten, Besinnen.

Damit hat es aber noch nicht sein Be-wenden. Hinter der ethischen Dimen-sion der Nachhaltigkeit mit ihremPostulat der intergenerationellen Ver-antwortung steht ein dreifacher Hin-weis, nämlich auf das Leben, das Le-ben der kommenden Generationenund der Verantwortung für das Lebenin die Zukunft hinein. Dieser ist nichtnebensächlich. Er erhebt vorweg undvor allem das natürliche und das sichentfaltende persönliche, wirtschaft-liche und gesellschaftliche Leben überdie Zeiten hinweg zu einem substan-ziellen, bleibenden Auftrag, dem Lebenin seiner Vielfalt, wann, wo und unterwelchen Umständen auch immer, Ehr-furcht entgegenzubringen, ihm, alsodem Leben in all seinen Ausformun-gen, Respekt zu zollen und dies überdie Zeiten hinweg. Nachhaltigkeit ori-entiert sich am Leben. Das Innehalten,das Besinnen, sie schaffen Gelegenheitfür das Bedenken des künftigen Lebensder kommenden Generationen, nichtum es zu determinieren, sondern um

Martin Lendi36

Raum zu schaffen, es in Freiheit lebenzu können, allerdings stets unter dem Vorbehalt entsprechender Chan-cen der nachfolgenden Generationen. Damit bleiben als Kernaussagen für das „Handeln-Müssen“ bei „Nicht-Wis-sen“: Innehalten, Besinnen, Respektvor dem natürlichen und dem sichentfaltenden individuellen und gesell-schaftlichen Leben der Menschen.Nachhaltigkeit führt nicht zu einer ra-tionalen, natürlichen oder gar natu-ralistischen Ethik des Lebens, sondernzu einer Ethik des Innehaltens, der Be-sinnung und des Respekts vor dem Le-ben, gegenwärtig wie auch morgen.6

Diese Hinweise auf Innehalten, Besin-nen, verbunden mit Respekt vor demLeben sind – in dieser Art angespro-chen – ein Novum für die Politik, sei esfür die Politik der strategischen Stufe,sei es für die Politik des Implementie-rens auf lokaler Ebene. Innehalten, Be-sinnung und Respekt sind der Politikzwar nicht fremd, aber nicht ihre Ele-mente, und wenn schon, dann aus-schließlich bezogen auf das Glück unddie Zustimmungsbereitschaft der Wäh-lerinnen und Wähler. Die kommendenGenerationen sind also nicht erstesund innerstes Anliegen der Politik. Sieneigt eben – auf allen Ebenen undallenthalben – dazu, das tägliche Ge-schehen und den aktuell greifbarenRespons mit Anerkennungen durchdie Öffentlichkeit und die Medien zuüberschätzen. Die kommenden Gene-rationen demgegenüber werden lau-fend übergangen; denn sie meldensich bekanntlich nicht zum Wort; siespenden keinen Beifall, sie bringen kei-ne Stimmen. Ohne aktuellen politi-schen Widerstand oder gar förmlichenEinspruch lassen sie sich übersehen.Aber genau sie hätten – wie wir dies für

uns reklamieren – einen Anspruch aufein lebenswertes Leben der Dimensio-nen der vita contemplativa et activa.Wir wissen darum, ohne dass dieseEinsicht wiederholt werden müsste:Das künftige Leben gilt es genau so zurespektieren wie die Befindlichkeit deraktuellen Wähler und Wählerinnen.Vor allem aber müssen sich die Ver-antwortlichen Rechenschaft geben,dass die Anliegen der künftigen Gene-rationen nur dann ins Bewußtsein derÖffentlichkeit und der institutionali-sierten Politik eintreten, wenn sie sichselbst die Zeit nehmen, innezuhalten,sich zu besinnen.

Verantwortungsvolles Planen und Ent-wickeln auf allen Staatsebenen, auchder kommunalen, untersteht aus derNachhaltigkeit heraus einer Besin-nungs- und Begründungspflicht. Poli-tische Planung, Legiferieren, aktivesRegierungshandeln konzeptionellerund programmatischer Art wie auchexekutives Tun werden gleichsam exconstitutione, ex lege oder gar ex mo-ribus angewiesen, sich darüber auszu-weisen, ob sie sich auf die kommendenGenerationen und deren Leben – inFreiheit! – besonnen und ob sie demkünftigen Leben in seiner Vielfalt Re-spekt erwiesen haben. Das „ceterumcenseo“ der Politik gilt eben nichtmehr der Vernichtung des Feindes, derZerstörung einer feindlichen Stadt, wiedies im alten Rom der Fall war, son-dern der Lebenserhaltung und Lebens-entfaltung. Jeder Politiker müsste amSchluss eines Votums deklamieren:„Ceterum censeo vitam esse conser-vandam“, mitten in der Gesetzgebung,mitten im Regieren, mitten im Ver-walten, mitten sogar in der streitigenRechtsanwendung durch die Justiz,stets als Innehalten, als Respekterwei-

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft 37

sung gegenüber dem Leben. Nachhal-tigkeit erhält Raum und wächst durchInnehalten und Besinnen.7

4. Politischer Wille

Damit es zum Innehalten, Besinnenund Lebensrespekt kommt, verlangtder öffentliche Bereich nach einemhinreichend gefestigten und ausdau-ernden politischen Willen: Es bedarfdes politischen Willens zur Nach-haltigkeit. Weder auf der hohen Stufeinternationalen Geschehens noch aufder so realitätsnahen der Gemeindenist ohne ihn auszukommen. Das ver-steht sich für Politikkenner von selbst,doch bleibt – der Geist ist willig, dasFleisch aber ist schwach – die Schwä-che des Haschens nach der Gunst dergreifbaren Stimmung, was sich belegenlässt. Nur so nebenbei, und doch nichtnebenbei, der Schweizerische Bundes-rat (Regierung) hatte vor rund drei

Jahren einen Rat für nachhaltige Ent-wicklung eingesetzt,8 wie dies in jüng-ster Zeit die deutsche Bundesregierungeinem internationalen Aufruf folgendgewagt hat, doch löste er ihn im Nach-gang zu einigen sachlichen und per-sonellen Problemen bereits nach zwei Jahren gleich wieder auf.9 Derschweizerischen Regierung fehlte esam unabdingbaren, zeitlich ausholen-den Willen zur Nachhaltigkeit. Gewiss,nützliche Antworten auf dringlicheund drängende Fragen waren aus derSache heraus ohnehin kurzfristig nichtzu erwarten. Der Rat hatte vom inhalt-lichen Anliegen her andere zeitlicheAbsteckungen zu bedenken als eineungeduldige Regierung. Die Inkom-patibilitäten der zeitlichen Horizon-te waren offenkundig. Zuversichtlichstimmt einzig, dass auch ohne diesenRat in Zukunft Strategien formuliertwerden; sie werden so oder so für diePolitik ein Thema bleiben.10 Der Ver-fassungsgesetzgeber hat dafür gesorgt.

Verantwortungsvolles Planen, Entscheiden und Handeln forderte Univ.-Prof. Dr. jur. Martin Lendi von nachhaltig denkenden Kommunalpolitikern.

Martin Lendi38

Das intervenierende Anmahnen undder politische Stellenwert der Nach-haltigkeit aber haben durch das ab-rupte Ausscheren der Regierung aufJahre hinaus Schaden erlitten, wennsie nicht sogar in Teilen eingebrochensind. Auf alle Fälle hat die Debatte der Nachhaltigkeitsdimensionen an„Nachhaltigkeit“ eingebüßt. Über ei-nen langen Atem zu verfügen, den esnun einmal braucht, wenn die Fragenach dem „Handeln-Müssen“ bei„Nicht-Wissen“ resp. nicht hinreichen-dem Wissen ansteht, ist und bleibt für die Politik beschwerlich. Darummuss der politische Wille zur Nachhal-tigkeit als Primärvoraussetzung so ein-drücklich reklamiert werden.

In Frage steht also das Gewinnen undAufrechterhalten des politischen Wil-lens, innezuhalten, sich zu besinnenund das Leben der kommenden Gene-rationen zu respektieren. Heikel sindgleich vier Aspekte, nämlich

● die Frage nach den Absteckungender Politik, auf die sich der politi-sche Wille zu beziehen hat,

● jene nach dem Zeithorizont, ● jene nach der Staatsebene der opti-

malen Willensfähigkeit und -wirk-samkeit und

● nach den Wegen der Willensbil-dung und -stärkung, immer letztlichbezogen auf das Vermögen des In-nehaltens und des Besinnens.

Absteckungen der Politik

Sich in Beantwortung der Frage nachdem relevanten Gegenstand beim Poli-tikbegriff aufzuhalten, ist nicht nötig,mag doch der vierfache Hinweis aufdie Politik als Schaffung von Problem-

bewusstsein, als Programmgestaltung,als Leitungs- und Lenkungsfunktionsowie als (demokratische) gemeinsameBewältigung gemeinsamer Probleme inUmrissen andeuten, wie breit gefächertPolitik ist. Der politische Wille zumInnehalten, zum Besinnen und zumRespekt vor dem Leben muss auf alleFälle das Problembewusstsein genau soerreichen wie das szenarische Entwer-fen und das Festlegen von Program-men, das Leiten und Lenken und dassich in und mit der Öffentlichkeit ab-spielende Gemeinsame des Problem-lösens, anders formuliert, der politi-sche Wille hat die Politik als solcheeinzubeziehen, in ihrer Gesamtheit derfassettenreichen Vielgestaltigkeit. Sieschließt dabei das Verhältnis zur Wirt-schaft, zur Gesellschaft und zum Le-bensraum gleich ein.

Zeithorizont

Dass sich die politische Willensbil-dung und Entscheidungsfindung anden Zeiträumen der Wahlperioden ori-entiert, ist eine Tatsache, auch wenndie Feststellung banal sein mag. Mitder Nachhaltigkeit und ihrer einge-schlossenen Aufforderung, innezuhal-ten, sich zu besinnen und den Respektvor dem Leben wiederkehrend zu er-neuern, öffnen sich neue Zeitfenster.Es wächst für die Politik ein Zeithori-zont heran, der weit über die Wahlpe-rioden hinaus weist und bis zu denkünftigen Generationen reicht. Derpolitische Wille hat sich darauf auszu-richten. Es braucht den Willen zurLangfristigkeit. Übrigens, so fremd istdies der Politik auch wieder nicht. Bautsie Straßen, organisiert sie die Wasser-versorgung, errichtet sie Universitäten,dann setzt sie auf Wirkungen, die auf

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft 39

Jahrzehnte, ja auf Jahrhunderte ange-legt sind. Sie vergisst aber zu oft, sichRechenschaft über die zeitlichen Di-mensionen und die damit verbunde-nen sachlichen Auswirkungen zu ge-ben. Sie müssen neu in das politischeGewissen eindringen.

Staatsebene

Die optimale Staatsebene der Fähigkeitzur nachhaltigen Willensbildung zuermitteln, ist relativ einfach, da jeneEbene in die Augen sticht, auf welcherder politische Wille sowohl die Pla-nung als auch das Entscheiden undUmsetzen operativ erreicht. Wohl trifftdies in der einen oder anderen Formgleich auf mehrere Staatsebenen zu,doch auf keine andere so ausgeprägtwie auf die kommunale, allenfalls die regionale. Es sind die Gemeinden desländlichen und des urbanen Raumes,die den Maßstab 1:1 zu bewältigen ha-ben. Hier wirken sich die Politik-ansprüche an die Menschen, an dieBürger und Bürgerinnen, an die Wirt-schaft, an den Raum und an die Um-welt aus, hier schlagen sich die Wün-sche und die Bedürfnisse der leistungs-und gewinnhungrigen Wirtschaft nie-der, hier meldet sich das gesellschaft-liche Miteinander zu Wort und hierwerden Verletzungen des ökologischenGleichgewichts menschennah spürbar.Dies heißt nicht, auf anderen Ebenenseien solche Aspekte nicht virulent,doch wäre es kurzsichtig, die heraus-ragende Bedeutung der Kommunen zu verkennen. Die geläufige Formel„Global denken, lokal handeln“ drücktetwas von dem aus, was gemeint ist, allerdings vorweg die eine Seite,wonach lokal selbst dann zu handelnsei, wenn das Fass vor Ort noch nicht

überläuft, Gesamtzusammenhängeaber ein örtliches Agieren gebieten; die andere ist wohl darin zu ersehen,dass auf allen Ebenen politischer Willezur Nachhaltigkeit unabdingbar istund dass dieser auf jener der Gemein-den auf die Substanz im Schnittfeldvon Planen und Umsetzen trifft.11

Wege der Willensbildung und -stärkung

Und so stoßen wir zur Frage nach denWegen der Willensbildung und -stär-kung vor. Dazu haben wir an sich eineklare Vorstellung, aber erfahrungs-gemäß vor allem dann, wenn es umkonkrete Projekte geht. Gegenüber U-Bahnen, Einkaufszentren, Wohn-quartieren, Flächennutzungsplänenwissen wir die Pfade zu beschreiten.Wie aber ist politischer Wille zu for-mieren, wenn das „Handeln-Müssen“bei „Nicht-Wissen“ resp. nicht hin-reichendem Wissen ansteht? Wie kannder Wille zum Innehalten, zum Be-sinnen, zum „ceterum censeo“ wach-sen und über Jahrzehnte hinweg ge-deihen? Die Antwort liegt nicht auf der Hand. Auf Grund demokratischerErfahrungen und Gepflogenheiten12

wissen wir glücklicherweise, dass dasDebattieren, der geordnete Diskurs, dasargumentative, faire Gespräch unter den Bedingungen des Hörens undGehörtwerdens – all dies fern des Bes-serwissens, fern des pädagogischen Zei-gefingers – potenziell und oft realiterein Klima zu verschaffen vermögen, indem erste und letzte Fragen bespro-chen werden können und in derenUmfeld es möglich sein müsste, inne-zuhalten, sich zu besinnen, dem künf-tigen Leben Respekt entgegenzubrin-gen.13 Dass dahinter eine hohe, reife

Martin Lendi40

Politikkultur steht oder stehen müsste,das versteht sich, aber nicht eine be-liebige, sondern jene des gemeinsamenInnehaltens, des Besinnens und desRespekts vor dem tätigen menschli-chen wie auch dem natürlichen Lebenschlechthin – über die Zeiten hinweg.Politischer Wille je zur Nachhaltigkeit,Politikkultur und Demokratie begeg-nen sich.14 Zwischen ihnen besteht einzwingender Zusammenhang für dieNachhaltigkeit.

5. Politikkultur

Etwas von diesem politischen Willenzur Nachhaltigkeit schlägt sich in den zahllosen Gesetzen, Leitbildern,Plänen, Konzepten und Programmen nieder, dann auch in Umweltver-träglichkeitsprüfungen strategischerund objektbezogener Art, in finan-ziellen Anreizen, Verboten und Ge-boten; sie bleiben aber dem Politi-schen der Meisterung aktueller Pro-bleme unter relativ kurzfristigen Ge-sichtspunkten verhaftet, wenn sienicht bewusst und dem politischenWillen zur Nachhaltigkeit, also derPolitikkultur des Innehaltens, des Be-sinnens und des Respekts vor demLeben unterworfen werden. Die Poli-tik des anhaltenden Willens zur The-matisierung der Nachhaltigkeit zähltalso – letztlich – mehr als diejeni-ge spezifischer Instrumente wie derRaum- und Umweltverträglichkeits-,allenfalls auch der Sozial- und Wirt-schaftsverträglichkeitsprüfung, insbe-sondere auch der strategischen Um-weltverträglichkeitsprüfung von Plä-nen und Programmen; denn ohne po-litischen Willen taugen diese nicht.Dennoch muss die Suche nach Ge-fäßen für die Nachhaltigkeit nicht

übertrieben werden. Sachbezogen bie-ten sich einige an.

Vorweg kann und muss der Raum-planung15, insbesondere auch der ört-lichen räumlichen Planung, attestiertwerden, dass sie in besonderem Maßebefähigt ist, Dimensionen der Nach-haltigkeit zu integrieren. Ihre Bedeu-tung ist leider aktuell verkannt. IhrePotenziale müssten neu entdeckt wer-den. Sie befasst sich ihrer angestamm-ten Funktion nach mit Leben im Raumund nimmt als Planung die Zukunfthinein. Sie ist gewohnt, in den Kate-gorien der Abstimmung von Interessender Öffentlichkeit, der Wirtschaft undder Gesellschaft zu denken und diesvor dem Hintergrund des Lebensrau-mes und unter Berücksichtigung desFaktors Zeit. Sie ist geübt, zwischen Of-fenheit und Festlegung zu stehen,zwischen den Notwendigkeiten dyna-mischer Prozesse hier und der Rechts-sicherheit dort zu agieren. Zudem sindihr das Aufeinanderprallen von wirt-schaftlichen Absichten, gesellschaftli-chen Ansprüchen und ökologischenGrenzen nicht fremd. Derart ist sie ge-radezu prädestiniert, der Nachhaltig-keit Konturen zu schenken, ja nochmehr, ihr das Gefäß der optimalen Be-gegnung von wirtschaftlicher Leis-tungsfähigkeit, gesellschaftlicher Soli-darität und ökologischem Gleichge-wicht anzubieten, nämlich den be-dachten und strukturierten Raum, indem sich das Leben über die Zeitenhinweg abspielt.16 Innerhalb der klas-sisch gewordenen Planungsarten fin-den sich sodann einige methodischeHilfen, die das Innehalten und Besin-nen sowie das Bedenken des Respektsvor dem Leben erleichtern. Die Szena-rio-Technik, das Planen unter den Vor-aussetzungen von Leitbildern (Mehr-

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft 41

zahl) und nicht auf Grund eines ein-zigen, dominanten Leitbildes, das Ent-werfen von wettbewerblich erarbei-teten Gestaltungsvarianten – sie alleeröffnen Gesprächsmöglichkeiten, ho-len Argumente herein und lassen aus-holende Fragen, wie solche nach demRespekt vor dem Leben und den Le-bensmöglichkeiten des künftigen Le-bens, zu. Umgekehrt garantieren sienicht aus sich heraus den Erfolg des so nötigen Diskurses, aber ohne dieChance dazu kommt er nicht auf. Alsomuss auf kommunaler Ebene, wie aufden anderen Ebenen der Region, desLandes, des Staates und Europas vielwider die hoheitliche Verplanung, ver-standen als das Verdrängen oder garAbwürgen des Gesprächs, noch vielmehr aber positiv für das Innehaltenund das Besinnen und von dort her fürden Respekt vor dem Leben getan wer-den.17 Dass die Raumplanung nicht al-le Fassetten der Nachhaltigkeit undschon gar nicht alle Dimensionen imsozialen und wirtschaftlichen Bereichansprechen kann und darf, das ver-steht sich, doch wäre es ein Elemen-tarfehler, die skizzierten besonderenFähigkeiten der Raumplanung, die ge-rade für die örtliche Ebene so beispiel-haft sind, nicht zu nutzen.

6. Ethisches Reflektieren

Mit den Hinweisen auf den Zusam-menhang von Nachhaltigkeit und„Handeln-Müssen“ liegt ein Versuchvor, in das Planen, Entscheiden undEntwickeln ethisches Reflektieren mitder Dimension des Respekts vor demLeben einfließen zu lassen.18 Es gehtdabei um alle Stufen des Staates. InRichtung der ethischen Anreicherungwird – so hinsichtlich der Grundlagen

– bereits sehr viel getan. Die Umwelt-ethik – beispielsweise – ist fester Teilder modernen Lehren der Indivi-dual- und Sozialethik.19 Der Raumpla-nung anhaftende Defizite zu beheben,bemüht sich die deutsche Akademiefür Raumforschung und Landespla-nung. Sie befasst sich im Rahmen einesArbeitskreises mit Fragen der Ethik inder Raumplanung.20 Das rein zweck-rationale Handeln, wie es die Raum-ordnung, die Landesplanung sowie dieStadtplanung dominiert hat oder hat-te, bedarf mindestens der ergänzendenBasis des in sich kritischen Reflektie-rens. Wenn sich ein Nachhaltigkeits-ergebnis vorweg abzeichnet, dann istes der Hinweis, das Prinzip Nachhal-tigkeit sei nicht identisch mit dem Pro-blemfächer, der unter dem Titel derEthik in der Raumplanung angespro-chen werden müsse, doch sei es eineethische Aussage von hoher Relevanzfür die Raumplanung, nämlich jeneder intergenerationellen Verantwor-tung und des Respekts vor dem natür-lichen und gesellschaftlichen Leben.Und just diese Dimension bilde dasverbindende Band zwischen Umwelt-schutz, Raumplanung, politischer Pla-nung und eben auch dem da und dorteingeforderten Nachhaltigkeitsmana-gement. Dieser gemeinsame Nenner ist der Erwähnung wert. Er ist alleinschon in dieser Art beachtenswert.21

Die implizierte Ethik schafft nichtsachliche Probleme und zeitlicheDringlichkeiten weg. Sie macht sogarauf neue aufmerksam. Für die Stadt-planung und für die Stadtgestaltungzum Beispiel verweist sie – um nur einen einzigen Aspekt herauszugreifen– auf die Begegnung von Ethik undÄsthetik, setzt Fragezeichen hierzu unddies zu einer Zeit, in der über das Stadt-

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bild – ich denke an Frankfurt und mu-tatis mutandis an Berlin – bewusst einBild vom Geschehen in der Stadt nichtgespiegelt, sondern vorgespielt werdenmöchte. Ungeachtet des formalenReduktionismus verbreitet sich ins-zenierende Architektur, sei es in Regie-rungs-, sei es in Bankenvierteln. Darfdie Wirtschaft durch die ArchitekturMacht ausstrahlen und also beanspru-chen? Darf die Politik ein politischesoder kommunikationstechnisches Ent-scheidungszentrum baulich-gewich-tig zum Manifest und also zur Bot-schaft werden lassen? Die räumlicheEntwicklungsplanung (auch Raumord-nungspolitik genannt), verstanden alsPolitik der ökonomischen Anreize fürregional differenziertes wirtschaftlichesWachstum, des Abbaus von räumlich-wirtschaftlichen Disparitäten und derEffizienz sowie Effektivität des Verwal-tungsgeschehens gegenüber Agglome-rationen, Randgebieten usw. bedarf ih-rerseits einer kritischen Korrektur inRichtung auf die Konfrontation mitder ethisch gedeuteten Nachhaltigkeit,damit von ihr gesagt werden könnte,sie trage zum Wohlergehen, zur Kohä-sion und zur landesweiten wie auchregionalen Identität sowie zur allge-meinen Wohlfahrt bei. Die eher ge-samtpolitikbezogen operierenden Ent-wicklungsplanungen der Kommunenund Regionen sind auf alle Fälle –ethisch gewichtet – endgültig aus denAltlasten des Machbarkeitsdenkenshinaus zu führen und dabei auf das In-tergenerationelle und den Respekt vordem Leben auszurichten. Das vielgepriesene Wundermittel „Marketing“allein genügt jedenfalls nicht.

Selbstredend reicht es nicht hin, Ethik-kommissionen oder Räte für nach-haltige Entwicklung einzusetzen. Poli-

tikberatung ist ohnehin in eine Fallegeraten. Alibi- und Vorwandaspekte so-wie Aktivitätsvortäuschungen domi-nieren und sollen exkulpieren. Das wases der Substanz nach braucht, sind ver-fahrensmäßige, institutionelle Vorkeh-rungen, die wiederkehrendes Inne-halten und Besinnen während längererZeit ermöglichen.22 Das „gourvernerc'est prévoir“ ist gleichsam zu ersetzendurch: Regieren ist die Kunst des Be-sinnens und des Handelns in der Frei-heit der Verantwortung für die kom-menden Generationen. Damit sindallerdings noch keine konkreten Pro-bleme aufgedeckt und konkrete Auf-gaben gemeistert. Sie sollen angegan-gen werden. Die Politik muss dafürgerade stehen: Sachentscheidungenmüssen nicht nur sach- und wirkungs-orientiert, sondern auch zeitgerecht ge-troffen werden, stets aber im Bewusst-sein, dass sich während des Prozessesdes Ringens um Nachhaltigkeit inWirtschaft, Gesellschaft und ÖkologieProblemlagen, Aufgabenfelder undauch Ziele verändern können. Spann-weiten zwischen dem, was nach be-stem Wissen und Gewissen getan wer-den muss, und dem, was sich morgenals beschränkende oder beflügelndeAuflagen herausstellen oder erweisenkönnte, bleiben. Davon entlastet dieEthik nicht, sie hilft auch nicht da-rüber hinweg. Sie weiss aber um dieseAbsteckungen und drängt uns das Rin-gen um die bestmögliche Annäherunghin zur Nachhaltigkeit auf.

7. Ein konkretes Beispiel

Weit vorangekommen ist in derSchweiz die Stadt Winterthur.23 Siebemüht sich, die Nachhaltigkeit zueinem zentralen Thema ihrer Politik zu

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machen. Im Hintergrund nachhaltigerPolitik lauert angesichts verwandterProblemnähe von Raumplanung undUmweltschutz die Gefahr, unter die-sem Titel letztlich nichts anderes zumachen als das, was vernünftige, bes-ser formuliert, ethisch und ökologischrückbezogene Raumplanung ohnehinangeht, doch wird am Beispiel derStadt Winterthur erkennbar, was Re-flexion über die langfristige Dimensionder Lebenswertigkeit für kommendeGenerationen – zusätzlich – vermag.24

Im Vordergrund stehen neue Ansätzein der Verkehrspolitik, zum haushäl-terischen Umgang mit dem Boden, zur rationellen Nutzung der Ener-gie, der konsequenten Anwendung derGrundsätze nachhaltigen Bauens aufNeu- und Altbauten, aber auch The-men wie Integration von Minderhei-ten, der Ausbau der Infrastruktur fürberufstätige Frauen usw. Dazu kom-men Vergleichsstudien im Sinne einesBenchmarking mit anderen Städtenauf der Basis von Nachhaltigkeitsin-dikatoren.25 Das Indikatorensystemvom Ist-Anzeiger über Veränderungs-ursachen- und Veränderungsgeschwin-digkeits- bis zum Erfolgsanzeiger – dieSoll- und Wirkungsanzeiger seien nichtvergessen – überzeugt, wobei nebenobjektiven sogar subjektive Indikato-ren Platz finden. Die Kernindikato-ren werden gegliedert nach Umwelt,Wirtschaft und Gesellschaft. Beein-druckend ist die Realitätsnähe durchein Nachhaltigkeitsbarometer, dasnachvollziehbar den Stand auf demlangen Weg signalisiert, abrufbereit im Internet.26 Mit den Aussagen derIndikatoren hat sich die Stadt laufendauseinander zu setzen, wobei es gilt,die Probleme zu verstehen und Ent-scheidungen zu treffen, verbunden mitKonfliktlösungen, dann aber auch

durch Auslösen von neuen Moti-vationsschüben und weiterem Con-trolling.27 Vor diesem Hintergrund ent-steht in toto für Winterthur das Bildeiner Gemeinde, die das Besinnlichedes Kulturellen als ethische Schulungdes längeren Atems in der bedachtenPolitik der Stadtentwicklung zugun-sten der Menschen, die morgen in ihrleben, zu pflegen versteht – ein mög-licher Weg einer Stadt, die um ihrekulturellen Potenzen und ihre indus-trielle Geschichte weiss, sicherlich einsehr spezifischer Ansatz, aber ein sehrnachhaltiger, ein durch und durchethischer. Die Grundformel Winter-thurs lautet: „Winterthur ist dannnachhaltig, wenn die Menschen auchin Zukunft, z.B. im Jahre 2050, immernoch gerne in Winterthur leben, woh-nen und arbeiten, und das mit einemguten Gewissen.“28 Der Akzent liegtauf dem Gewissen, auf dem guten Ge-wissen.

8. Handeln auf kommunaler Ebene

Das, was hier für eine schweizerischeStadt aufgezeigt wurde, das könnteund kann auf jede andere Gemeindeübertragen werden, selbstredend unterAusrichtung auf die lokalen, also dieörtlichen identitätsstiftenden Merk-male, wie sie nun einmal jedem Ge-meinwesen eigen sind und eigen seinsollen. In jedem Fall geht es darum, die Gemeinde in ihren Eigenheiten zu verstehen, soziale, wirtschaftlicheund ökologische Indikatoren zu ent-wickeln29, das Indikatorensystem aufdie strategischen, konzeptionellen/programmatischen und projektorien-tierten Möglichkeiten auszurichten,wobei es gelingen muss, im konzep-

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tionellen/programmatischen BereichOptionen zu entwickeln, die nachihren Nachhaltigkeitspotenzialen zugewichten sind. Für kleinere Gemein-den, vorweg des ländlichen Raumes,weniger ausgeprägt für Gemeinden in Agglomerationsbereichen, kann esgenügen, die herkömmliche räumlichePlanung zu ergänzen, insbesonderedurch wirtschaftliche, soziale und vorallem ökologische Problemfelder unddabei der Dimension der Langfristig-keit erhöhte Bedeutung beizumessen.Es genügt dabei nicht, die Raumpläne(Bebauungs-, Flächenwidmungs-, Lan-desentwicklungs-, Regional-, Richt-,Masterpläne usw.) einer strategischenUmweltverträglichkeitsprüfung odergar einer neu erfundenen Nachhaltig-keitsprüfung zu unterziehen. Vielmehrgeht es um das Einbeziehen dessen,was wirtschaftliche, gesellschaftlicheund ökologische Stimmigkeiten – jefür sich, aber auch unter sich, und diesbewusst angelegt auf einen zeitlichausholenden Prozess – genannt wer-den könnte, kurzum um das, was überund durch die Umwelt-, Wirtschafts-und Gesellschaftsindikatoren als Pro-blemfelder erscheint.

Wem dies für die kommunale Politikzu abstrakt scheint, der halte sich andie zentrale Vorgabe, den Energiever-brauch bei Bauten und Anlagen (resp.bei deren Nutzung) wie auch im Ver-kehr kritisch, sehr kritisch unter dieLupe zu nehmen. Das Freizeitverhaltenund die Freizeiteinrichtungen erhei-schen besondere Aufmerksamkeit. Sieprägen unsere Gesellschaft mehr alswir uns einzugestehen bereit sind. Werin diesem Punkt sorgfältig ist, wirktnachhaltig. Auch muss, wo dies nichtbereits geschehen ist, die statischeDimension der gesetzlichen Planung,

die sich zu einseitig der Rechtssicher-heit verschrieben hat, durch den küh-nen Willen zur Zukunft und den Re-spekt vor dem natürlichen und ge-sellschaftlichen Leben ergänzt werden.Sich vom Gegenwärtigen gefangennehmen zu lassen, genügt keinesfalls.Nicht zu vergessen: Die Demokrati-sierung der örtlichen Planung bildetden Eckstein, wenn nicht gar das Fun-dament, allerdings nur dann, wenn da-mit ein langfristig angelegter Lernpro-zess verbunden wird. Wer diese dreiAspekte der Energiereduktion, des Wil-lens zur Zukunft und zur Demokratiebeachtet, bewirkt Entscheidendes imHinblick auf eine nachhaltige Ent-wicklung. Darüber darf er allerdingsdie räumliche Planung nicht vernach-lässigen.

Selbstredend kann mehr getan werden.Als konkrete Punkte können erwähntwerden:

● restriktive Flächennutzungspla-nung,

● abgestimmte, sorgfältig dimensio-nierte Infrastrukturplanung,

● Pflege der offenen Landschaft unterAbwehr überdimensionierter Frei-zeiteinrichtungen und -belastun-gen,

● sorgfältiger Umgang mit den Böden, ● reduzierter Energieverbrauch, ● Einbinden in das System des öffent-

lichen Verkehrs,● Zurücknehmen von Lärmexpositio-

nen, ● Bekämpfen von Emissionen und ● vor allem das demokratische Lernen

im Umgang mit dem Langfristigen.

Solche Konkretisierungen zeigen einengangbaren Weg nachhaltiger Gemein-depolitik, vor allem dann, wenn

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gleichzeitig mit Behutsamkeit demwirtschaftlichen (Weiterbildung, Ar-beitsplätze, Wirtschaftsförderung, Nah-versorgung usw.) und dem sozia-len Wohlergehen (Bildung, kulturelleIdentität, Freizeit, soziale Netzwerke,usw.) Aufmerksamkeit erwiesen wird.30

Die Merkmale einer nachhaltigenKommunalpolitik – auch jene einer Re-gion, eines Staates – können syste-matisiert werden. Dabei werden Er-kenntnisse anfallen über die Hand-lungsfelder im Bereich der Umwelt, derWirtschaft und der Gesellschaft, vor al-lem aber wird sichtbar werden, wie be-deutungsvoll der lokal gelebte Konsensüber die Grundwerte, die gesunden Le-bensbedingungen und die Verteilge-rechtigkeit zwischen den Generatio-nen ist, wobei aber eben dieserKonsens nicht überstrapaziert werdendarf, geht es doch in der Demokratiesowohl um die Fähigkeit zum Konsenswie auch um jene der Fähigkeit zumDissens. Nützlich könnte es sein, zwi-schen einem Grundkonsens und denzu findenden Konsensstrategien inEinzelfragen zu unterscheiden, wobeider Grundkonsens wiederkehrend zuerneuern ist. Auch er setzt Innehaltenund Besinnen voraus, auch er ist einebleibende Herausforderung.

Auf den Ebenen oberhalb der Gemein-den, also auf Landes-(Kantons-)undStaatsebene, aber auch auf der supra-nationalen Ebene mögen nicht diepraktischen Fragen dominieren, wie sieauf der kommunalen vordringlichsind. Es geht dort in erster Linie umStrategien31 und davon abgeleitet umKonzepte sowie Programme der Nach-haltigkeit, die allerdings auf die Im-plementations- und Umsetzungsas-pekte, wie sie insbesondere auf Län-

der- resp. Kantonsebene sowie auf Ge-meindestufe, anfallen, Rücksicht zunehmen haben. Die Tauglichkeit vonübergeordneten Strategien, Konzeptenund Programmen steht und fällt mitder Fähigkeit zur Operationalisierungauf den unteren Ebenen. Diese gleich-sam nach dem Gegenstrom- und nachdem Abstimmungsprinzip zu ent-wickelnden Zusammenhänge sind –auch daran darf erinnert werden – inder Lehre zur Raumplanung hinläng-lich durchdacht worden. Es könntesich lohnen, das Wissen und Könnendazu für die Nachhaltigkeit zu frukti-fizieren.32 Das Auslegen von Regie-rungsprogrammen zur Nachhaltigkeitund die damit verbundenen Interak-tionen mit dem Parlament folgen weit-gehend den Kenntnissen aus dem Um-gang mit der politischen Planung.33

Diese bildet die Brücke zwischen denauf sachlicher Grundlage ermitteltenStrategien und der Gesetzgebung, derFinanzplanung und den Informations-strängen zur Hervorhebung der für diekoordinierte Verwaltung notwendigenKenntnisse über Querschnittsbezüge.Der heikelste Punkt betrifft die Gesetz-gebung. Wie (Legaldefinition oderdurch offene Normen), auf welcherRechtsstufe (Verfassung, Gesetz oderVerordnung) und in welchen Sach-zusammenhängen (Raumplanung,Verkehr, Forstwesen, Wasser, Energie usw.) soll die Nachhaltigkeit fest-geschrieben werden? Nach den hierentwickelten Gedankengängen geht es um zwei Schwerpunkte, nämlich einerseits um das Einbringen derNachhaltigkeitsdimensionen in dierelevanten Gesetzgebungswerke nachden spezifischen Gesichtspunkten34

und andererseits um die Nähe derNachhaltigkeitsbesinnung zu denRechtsetzungsprozessen, zu den Ver-

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waltungstätigkeiten und zur Rechts-durchsetzung.35

9. Erkenntnisse

Vier elementare Gedanken dürfen amSchluss nicht fehlen:

● Dem „Handeln-Müssen“ bei „Nicht-Wissen“ resp. nicht hinreichendemWissen kann nicht entronnen wer-den, es sei denn, man nehme dieZukunft nicht ernst. Der Weg dahinist mit Ungewissheit und mit Nicht-Wissen gepflastert.36 Dabei mussunter Umständen überliefertes kau-sales Denken touchiert, unbedach-tes Fortschreiben in die Zukunfthinein sogar – mindestens teilweise?– übersprungen werden, sicherlichauf Zeit, bis zum Nachweis von Kau-salitäten. Dieses Denken und Han-deln außerhalb und jenseits des Be-wiesenen wird – aus Gründen derVorsorge und der Vorsicht – inGrenzfragen nötig werden. Denkbarsind Risiken, die man nicht ein-gehen darf.37 Sie stufen- und sach-gerecht zu beurteilen, ist eine derKernaufgaben. Eine Gefahr drohtdabei: Außerhalb kausaler Sach- undDenk-Zwänge könnten Vorsicht-und Verzichtanweisungen der Will-kür verfallen, es sei denn, sie wer-den ethisch in die Pflicht genom-men. Also muss das moderne Pla-nen und Entwickeln auf allenEbenen – global und kommunal –immer ethisch bedacht sein: In-nehalten, Besinnen, Respekt vordem natürlichen sowie dem in-dividuellen und gemeinschaftli-chen Leben in politischer, wirt-schaftlicher und sozialer Entfal-tung.

● Nachhaltigkeit als im Kern ethi-sches Prinzip der intergeneratio-nellen Verantwortung beschlägt so-wohl die individuelle Seite als auchdie gemeinschaftliche. Sie verfügtdeshalb sowohl über eine indivi-dual- als auch eine sozialethischeKomponente. Die letztere wird un-ter anderem in der Gesetzgebungmanifest. Wohl wendet sich dasRecht nur an das äußere und nichtan das innerlich begründete, tu-gendhafte Verhalten, doch überträgtsich das Gedankengut aus der inne-ren Verpflichtung auf das Materielledes rechtlich Gefassten und vondort her auf das ethisch vorbe-dachte äußere Verhalten. Inso-fern ist die Bürgerschaft nicht nurüber die Einzelnen für das Denkenund Handeln in zukunftsorientier-ten Absteckungen verantwortlich,sondern auch als Gemeinschaft derRechtsbegründer und Rechtsadres-saten.38

● Die Demokratie in ihrer Relationzur Nachhaltigkeit nimmt die De-mokratie selbst in die Pflicht. Durchdie „ethische Anforderung Nach-haltigkeit“ wird akzentuiert deut-lich, was es heisst, über langeZeiträume hin mit der Öffentlich-keit über Probleme und Dimensio-nen der Nachhaltigkeit zu handeln.Dies ist weder durch akuten Lei-densdruck noch durch Schockthera-pie zu schaffen. Nötig ist ein an-haltender Lernprozess. Demokratieheisst an sich schon Lernen. Nach-haltigkeit will erst recht als perma-nente Auseinandersetzung mit derZukunft, getragen von der Verant-wortung für die kommenden Gene-rationen, als bleibender Lernprozessim Verbund von Behörden und Bür-

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gerschaft verstanden sein. Dieser isteine Dauerschuld der Behörden indem Sinne, dass sie es sind, welchewiederkehrend Impulse zu setzenund insistierend auf der Verantwor-tung für das Morgen zu bestehenhaben. Sie dürfen in Nachhaltig-keitsbelangen nicht erlahmen, wiedies auch die Bürgerschaft nichtdarf. Höhepunkte werden sichtbar,wenn aus der Bürgerschaft öffentli-che Verantwortung gleichsam inMilizpotenz sichtbar wird.

● Die Bürgerschaft kann nicht ernstgenug genommen werden. Eine Ge-sellschaft, die den Bürgerinnen undBürgern in der sogenannten Zivil-gesellschaft39 nicht Mündigkeit zu-spricht, verkennt, dass weder Po-litik, eine leistungsfähigere Wirt-schaft, noch eine solidarische Ge-sellschaft und auch nicht das öko-logische Gleichgewicht Selbstzwecksind. Sie haben einen Adressaten,der gleichzeitig ihr Auftraggeber, ihrVerantwortlicher ist: der Mensch.Bürgergesellschaft meint Menschen-gesellschaft. Die Demokratie alsStaatsform der Mensch-Bürgerge-sellschaft gering zu achten, ist des-halb verwerflich. Sie darf nicht –unterschwellige Tendenzen nachMaßstäben der Effektivität und derEffizienz sind auszumachen40 –durch staatliche, kommissarischeManager abgelöst oder auch nurverfremdet werden. Gefordert ist allerdings die konsequente Stär-kung der Bildung, die letztlich eineBildung zur Menschlichkeit seinmuss.41 Der Zusammenhang vonDemokratie und Bildung rückt fürdie Bürgergesellschaft erneut in denVordergrund. Diese beiden lassensich von der tiefen Einsicht beglei-

ten, dass es die Menschen selbstsind, welche für sich und die Ge-sellschaft handeln müssen, sicher-lich dort, wo der Staat an seineGrenzen stößt.42 Wer die Grenzendes Staates nicht kennt, verlässt sichin allen Dingen auf den Staat. Die-ser aber läuft als hoheitlich agieren-der und aus Steuermitteln lebenderStaat bald einmal aus dem Ruder.Auch mangelt es ihm an Sensibi-lität: Der Staat hat kein Herz.43 DieGrenzen seiner Wirksamkeit sinddennoch gesetzt.44 Sie liegen letzt-lich in der Aufgeklärtheit der Bür-gerschaft, in der verfassten, leben-digen Demokratie, die sich zumWort meldet und den Staat vorÜbertreibungen warnt. Die Gesell-schaft bedarf deshalb neben demEngagement seiner staatlichen Or-gane desjenigen der Öffentlichkeit,also einer Gemeinschaft, bestehendaus gebildeten, moralisch gefestig-ten, mündigen Bürgerinnen undBürgern. Nur vor diesem Hinter-grund gedeiht (letztlich) Nachhal-tigkeit, denn sie hängt von mensch-lichen Fähigkeiten und bildungs-mäßigen Qualitäten ab: Innehaltenund Besinnen.

10. Nachhaltigkeit und Bürgergesellschaft

Nachhaltigkeit ist kein Rezept. Sie istmehr.45 Sie ist ethische Herausforde-rung für jeden von uns und durch unsfür die Gemeinschaft. Darüber mussmit der Bürgerschaft, vorweg in denGemeinden, gesprochen werden, wie-derkehrend, wie umgekehrt die Behör-den sich von den Bürgerinnen undBürgern auf die Nachhaltigkeit an-sprechen lassen müssen, in einem an-

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haltenden Prozess. Die Nachhaltigkeitlebt von der Bürgergesellschaft, die

Bürgergesellschaft lebt von der Nach-haltigkeit.

Anmerkungen* Dieser Text zu einem weitschichtigen

Thema will und kann nicht die Sum-me der anstehenden offenen Fragendurchleuchten und antwortend klären.Es geht lediglich um einige intellektuelleAnregungen grundsätzlicher Art, die letzt-lich sehr praktisch gedacht sind. Dem-entsprechend wird darauf verzichtet, dieverfügbare Literatur wissenschaftlich zuerfassen und auszuloten. Die hier fest-gehaltenen Überlegungen wurden ur-sprünglich als Vortrag bei der Hanns Sei-del-Stiftung in München (6.7.2001) ein-gebracht. In der Zwischenzeit wurden sieleicht erweitert und vertieft.

1 Ich muss eingestehen, dass ich die Fund-stelle im reichen Werk von Friedrich Dür-renmatt, nachdem ich mir den Satz vorJahren notiert hatte, nicht mehr aus-machen konnte. Er steht aber für dasdialektische Denken Friedrich Dürren-matts: Wissen und Nicht-Wissen, unterRückbezug auf das Gewissen, ohne diesesanzusprechen, weil es nicht fassbar ist,aber vorausgesetzt werden muss, auchwenn es nicht vorausgesetzt wird. DaDürrenmatt seine Werke oft umgeschrie-ben hat, ist auch denkbar, dass ich denSatz in einer der älteren Fassungen einesseiner Werke vorgefunden habe, die inden Gesammelten Werken von 1988nicht mehr greifbar sind.

2 So Friedrich Schiller in der „Braut vonMessina“.

3 Zur Nachhaltigkeitsdebatte, zu der eineüberreiche Literatur verfügbar ist, vgl.neuerdings Bückmann, Walter/Rogall,Holger: Nachhaltigkeit – rechtliche undwirtschaftliche Aspekte, UPR 4/2001,S.121ff. und die dort zit. Literatur. So-dann: Akademie für Raumforschung undLandesplanung, Nachhaltigkeitsprinzipin der Regionalplanung: Handreichungzur Operationalisierung, Hannover 2000;Umweltbundesamt (Hrsg.): Weiterent-wicklung und Präzisierung des Leitbildesder nachhaltigen Entwicklung in der Re-gionalplanung und regionalen Entwick-lungskonzepten, Berlin 2000; DeutscherBundestag, Abschlussbericht der Enque-te-Kommission „Schutz des Menschenund der Umwelt – Ziele und Rahmenbe-dingungen einer nachhaltig zukunftsver-träglichen Entwicklung“: Konzept Nach-

haltigkeit, Vom Leitbild zur Umsetzung,26.6.1998, Bonn; Schweizerischer Bun-desrat, Strategie „Nachhaltige Entwick-lung“ in der Schweiz, Bern 1997, BBl1997 III 1045. Siehe sodann Lendi, Mar-tin: Rechtliche Möglichkeiten und Gren-zen der Umsetzung des Nachhaltig-keitsprinzips, in: ders., Subtilitäten desRechts, Zürich 1996, S.73ff.

4 Bundesverfassung der SchweizerischenEidgenossenschaft vom 18.4.1999, inKraft seit 1.1.2000, Präambel, Art.2(Zweck), Art.54 (Auswärtige Angelegen-heiten), Art.73 (Nachhaltigkeit), Art.75(Raumplanung), Art.76 (Wasser), Art.77(Wald), Art.89 (Energiepolitik), Art.104(Landwirtschaft) Art.126 (Finanzordnung)usw. Die Präambel handelt von der Ver-antwortung gegenüber den künftigenGenerationen, die Zweckbestimmungspricht von der nachhaltigen Entwick-lung und von der dauerhaften Erhaltungder natürlichen Lebensgrundlagen; imRahmen der Ziele des Auswärtigen Amteswird von der Erhaltung der natürlichenLebensgrundlagen gehandelt und im Ab-schnitt über „Umwelt und Raumpla-nung“ geht es um die Nachhaltigkeit imSinne des Zieles eines auf Dauer ausge-wogenen Verhältnisses zwischen der Na-tur und ihrer Erneuerungsfähigkeit ei-nerseits und ihrer Beanspruchung durchden Menschen anderseits. Auf Gesetzes-stufe ist das Nachhaltigkeitsprinzip eben-falls, wenn auch eher indirekt, vertreten,aber nicht in einem besonderen Gesetzangesprochen. So alt das Prinzip ist, soneu ist dessen ausdrückliche Erwähnung.Zur neuen Bundesverfassung der Schwei-zerischen Eidgenossenschaft siehe – nebstvielen Autoren – Rhinow, René: Die Bun-desverfassung 2000, eine Einführung,Basel 2000; sodann Lendi, Martin: Ver-fassungswirklichkeit – Die neue Bundes-verfassung der Schweizerischen Eidge-nossenschaft, Zürich 2001 (vervielfältigt);ferner Thürer/Aubert/Müller (Hrsg.): Ver-fassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001.

5 Das Grundgesetz für die BundesrepublikDeutschland begnügt sich mit dem Hin-weis auf die Verantwortung für die kom-menden Generationen (Art.20a GG) imZusammenhang mit dem Schutz dernatürlichen Lebensgrundlagen. Dem Prin-

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zip kommt ein hoher Stellenwert zu. Esreicht deshalb über den direkten Bezugzum Umweltschutz hinaus, auch wennes in diesem Zusammenhang geregelt ist.Auf der andern Seite ist das Prinzip derNachhaltigkeit auf der Gesetzesstufe viel-fach expressis verbis auszumachen, so imBundesbaugesetz in §1 Abs.5 BauGB, wodie städtebauliche Entwicklung als nach-haltig charakterisiert hervorgehoben wird.Im Raumordnungsgesetz (ROG) wird in§1 Abs.2 sogar unterstrichen, dass dieLeitvorstellung der Raumordnung einenachhaltige Raumentwicklung sei. Eskann nicht Gegenstand dieser Abhand-lung sein, die Frage nach der Nachhal-tigkeit auf Verfassungsebene gemäß GGin all ihren Facetten zu bestimmen. Nach-haltigkeit ist jedenfalls nicht allein überdie Realisierung des Umweltschutzes zuerreichen. Sie muss die Wirtschaft genauso erfassen wie die Gesellschaft, wasnichts anderes heisst, als dass die Wirt-schaft, die Gesellschaft und die Ökologieje in sich und in toto vernetzt nachhal-tig werden müssen, und dies vor demRaum, in dem wir leben, und über dieZeiten hinweg.

6 Man könnte auch von einer Ethik derEhrfurcht vor dem Leben sprechen, wiedies Albert Schweitzer so eindrück-lich getan hat (XXI Kapitel seines BuchesKultur und Ethik, in: Albert Schweitzer,Gesammelte Werke, 5 Bde. Zürich (o.J.).Siehe auch die Sonderdrucke in der Beck'schen Reihe (München) zu AlbertSchweitzer. Mit dem Rückbezug auf dasLeben wird der sich öffnenden Prozesso-rientierung der Nachhaltigkeit, die durchdas Besinnen und Innehalten wieder-kehrend unterbrochen wird, um zu hin-terfragen, um nach Varianten zu fragenusw., eine Orientierung vermittelt, gleich-sam ein Kompass, nämlich hin auf denRespekt vor dem Leben. Dies ist nichtunwichtig. Eine Ethik, die gerade nichtRezepte anbietet, bedarf der inneren Verbindlichkeit. Sie wird im Zusammen-hang mit der Nachhaltigkeit in der Ehr-furcht vor dem Leben gesehen.

7 Seneca weist unter anderem darauf hin,wie mit diesen Elementen Zeitgewinnverbunden ist: Seneca, L. Anneus: De bre-vitate vitae (Von der Kürze des Lebens)(ca. 62 n.Chr.), Stuttgart 1977. Hier findet sich das Postulat: „Recipe te adhaec tranquilliora, tutiora, maiora!“ (Zie-he dich auf das zurück, was ruhiger,sicherer und wichtiger ist!), S.59.

8 Siehe dazu Lendi, Martin: Der Rat fürnachhaltige Entwicklung, GAIA 4/99,

S.288ff. und die dort zit. Literatur. 9 Die Gründe der Aufhebung des Rates für

nachhaltige Entwicklung verharren letzt-lich im Dunkeln. Äußerlich blieb dieFunktion anerkannt, wurde doch die Auf-gabe der Pflege der Nachhaltigkeit mit derAbsetzung dem bis anhin ordentlichfunktionierenden Rat für Raumordnungübertragen, nachdem das Bundesamt fürräumliche Entwicklung seinerseits mitdieser Aufgabe betraut worden war. Al-lerdings behandelt der Rat für Raumord-nung primär solche der Raumordnungund der Raumordnungspolitik und hiervorweg nationale Absteckungen, wennauch im internationalen Umfeld. Die per-sonellen Probleme und die sachlichenDefizite der zweijährigen Aktivitäten desRates für nachhaltige Entwicklung hättensich bei gutem Willen und kritisch-stüt-zender Führung durch die Regierungüberwinden lassen. Es muss deshalb derSchluss gezogen werden, dass es ihr letzt-lich an Durchhaltewillen in Fragen derNachhaltigkeit mangelte. Außerdem istin der Zwischenzeit ganz allgemein diePolitikberatung durch beratende Kom-missionen in Frage gestellt, was allerdingsnicht nur das Streichen des Rates fürnachhaltige Entwicklung zu erklärenmag, sondern auch befürchten lässt, dassfrüher oder später der Rat für Raumord-nung gestrichen werden könnte. In derRegel verhält es sich so: Regierung undVerwaltung rufen bei Anfall neuer kom-plexer Aufgaben nach Politikberatung –unter anderem durch Räte –, um ihr ent-schiedenes Handeln mitten in Phasenüberzahlreicher offener Fragen unter-streichen zu können; bald einmal aberspüren sie, dass sich solche Räte der Ein-flussnahme durch Regierung und Ver-waltung entziehen könnten. Sie werdenalsdann fallen gelassen.

10 Präambel, Art.2, Art.73 BV und weiteremehr.

11 Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: HandbuchLokale Agenda 21, Berlin 2000.

12 Nur am Rande sei, ohne nähere, ins De-tail führende Begründung festgehalten:Der Umweltschutz hatte bekanntlich inden Staaten kommunistischer Prägungkaum eine Chance. Die Demokratien, de-nen Langsamkeit unterstellt wird, schei-nen entschlossener zu agieren, vor allemweil sie durch die lebhafter sich bemerk-bar machende öffentliche Meinung dieBehörden herausfordern und in der di-rekten resp. halb-direkten Demokratie inden Formen von Initiativen und Refe-

Martin Lendi50

renden sogar zum Handeln zwingen kön-nen. In der Schweiz wurde die Raumpla-nung im Jahre 1969 zum Gegenstand derVerfassung, der Umweltschutz folgte be-reits 1971. Der Gewässerschutz reichtnoch weiter zurück – der erste Verfas-sungsartikel datiert von 1953 –, die Forst-polizeigesetzgebung mit der Walderhal-tung nach Lage und Fläche sowie mit dernachhaltigen Nutzung gar bis zur Wende19./20. Jahrhundert. Die neue Bundes-verfassung der Schweizerischen Eidge-nossenschaft vom 18.4.1999 regelt dieNachhaltigkeit vielseitig und umsichtig.Parlament und Öffentlichkeit haben diesals politische Prämisse vorausgesetzt, üb-rigens eine der gewichtigen materiellenÄnderungen im Rahmen einer als for-melle Novellierung angekündigten Total-revision.

13 Zwei wichtige Abhandlungen unter un-zählig vielen vertiefen solche Gedanken:Müller, Jörg Paul: Der politische Mensch,Menschliche Politik, Basel 1999; ders.: Demokratische Gerechtigkeit, München1993. Beachte auch die dort zit. Literatur.Allerdings ist das Besinnen und das In-nehalten nicht Gegenstand dieser Ab-handlungen, wohl aber öffnen sie denRaum für das Menschliche und das De-mokratische. Diese sind sich nicht fern.

14 Hier müsste ein ausführlicher Exkurs überdas besondere Verhältnis von Demokra-tie und Nachhaltigkeit (also nicht nurzum Umweltschutz) folgen, nicht in derFußnote, sondern im Text selbst, dochmüssen wir uns hier im Rahmen einesknappen Textes mit Hinweisen begnügen.Politikkultur und ausreichender politi-scher Wille zur Nachhaltigkeit stehen je-denfalls in einem elementaren Zusam-menhang. Den Brennpunkt bildet dieDemokratie. Sie ist allerdings durch dasTagesgeschehen und einzelne konkreteAufgaben permanent in Anspruch ge-nommen. Demgegenüber verweist dieNachhaltigkeit auf das zeitlich Aus-holende und dies gleichzeitig für das wirt-schaftliche Gedeihen, die soziale Solida-rität und das ökologische Gleichgewicht.Auch wenn der erste Gedanke zur Wirk-samkeit der Nachhaltigkeit an das ho-heitliche, imperative Verfügen und an dasunablässige Durchsetzen durch die Ver-waltung mahnt, so muss nach dem be-reits Gesagten gleich beigefügt werden,darin fehle das so elementar wichtigeGespräch, vor allem die unverzichtbarePhase des Innehaltens. Im hoheitlichenBereich exekutiven Verwaltungsgesche-hens vermag deshalb kein ethisches

Erwägen aufzuleben, wie es für die Nach-haltigkeit, wesentlich, sogar konstitutivist. Substitutionsformen der Kooperationund der Mediation, welche hoheitlichesHandeln mildern, können nicht darüberhinwegtäuschen, dass das Aushandelnund Schlichten keinen Ersatz für einenförmlichen und gleichzeitig überpartei-lichen Diskurs bilden. Dieses findet sichin der Demokratie. So erweist sich: DieStaatsform der Demokratie mit ihren in-stitutionalisierten Mitwirkungsrechtenund den Begleitformen der öffentlichenDebatte über mehrere Phasen politischerWillensbildung und Entscheidungsfin-dung stellt eine Annäherung an den ge-ordneten politischen Diskurs dar, selbstwenn am Schluss anordnend und durch-setzend verfügt werden muss. Gegenüberden Formen der Partizipation herwärtsder verfassten Demokratie liegt der Vor-teil der förmlichen Demokratie in der Ver-bindlichkeit, welche über das gesetzlichgeordnete Verfahren anvisiert wird, wasErnsthaftigkeit mit sich bringt. Sie ist dieSchwelle zum Gelingen. So bleibt es wohldabei, dass die Demokratie – ungeachtetihrer Neigung zum Aktuellen – jeneStaatsform ist, welche der Nachhaltigkeitdie annäherungsweise bestmöglichenChancen vermittelt, übrigens ein Resul-tat, das auch als empirischer Befund min-destens für den unzulänglichen Umgangder nicht-demokratischen Staaten mitdem Umweltschutz erhärtet werdenkönnte. Der Hinweis auf die schweizeri-sche Bundesverfassung vom 18.4.1999mit ihren zahlreichen Formulierungen inRichtung auf die Nachhaltigkeit darfgleich zweifach unterstrichen sein.

15 Raumplanung verstanden als Oberbegrifffür die räumliche Planung, sei es auf ört-licher, sei es auf regionaler, sei es auf staat-licher oder gar überstaatlicher Ebene.

16 Zum Wesen und zur Funktion der Raum-planung siehe Akademie für Raumfor-schung und Landesplanung: Grundrissder Regional- und Landesplanung, Han-nover 1999; ders.: Methoden und Ins-trumente räumlicher Planung, Hanno-ver 1998; ders.: Handwörterbuch derRaumordnung, Hannover 1995. Daselbstfindet sich auch ein Beitrag unter demStichwort „Ethik“. Siehe auch Lendi, Mar-tin/Elsasser, Hans: Raumplanung in derSchweiz, Zürich 19913; ders.: Grundrisseiner Theorie der Raumplanung, Zürich19963. Örtliche Raumplanung muss sichmit örtlich und überörtlich sich auswir-kenden raumrelevanten und raumwirk-samen, dann aber auch ökologisch be-

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft 51

deutsamen, immer konkret zu sehendenPhänomenen befassen, so zum Beispielmit dem Wohnflächenbedarf, mit demFreizeitverhalten samt entsprechendenEinrichtungen, mit der Mobilität unddem daraus folgenden Verkehrsaufkom-men, dann aber auch mit den Fragen derMigration und der Demografie, demStand der Infrastruktureinrichtungen, derLandwirtschaftspolitik usw. – immer be-zogen auf einzelne Vorhaben, immer aberrückgekoppelt an konzeptionelle Grund-überlegungen, stets vor dem Hintergrundder örtlichen Potenziale und Grenzen,dann aber auch im Hinblick auf die Zeit-achse mit Optionen zu Gunsten der kom-menden Generationen und bewusst kon-frontiert mit der Frage, ob aktuell Verzichtangezeigt sein könnte, um nicht die vor-handenen Ressourcen zu vertun. Wie diesgetan werden muss, dies ist eine metho-dische Frage, wichtig ist aber, dass zwi-schen den Methoden und den konkretenHerausforderungen kein Graben aufge-schüttet wird, d.h. es muss auf jedes dienachhaltige Entwicklung präjudizieren-de Vorhaben reagiert werden, nicht imallgemeinen, sondern stets konkret. ZumVerhältnis zwischen dem Leitbild dernachhaltigen Entwicklung und den re-gionalen Planungen siehe Hübler, Karl-Hermann und weitere Autoren, Weiter-entwicklung und Präzisierung des Leit-bildes der nachhaltigen Entwicklung inder Regionalplanung und regionalen Ent-wicklungskonzepten, Berlin 1999 (Um-weltbundesamt Berlin als Herausgeber),sodann Hübler, Karl Hermann/Kaether,Johann (Hrsg.): Nachhaltige Raum- undRegionalentwicklung – wo bleibt sie?, Ber-lin 1999; daselbst vor allem der Aufsatzvon Weber, Gerlind: Anmerkungen zurBeziehung Raumplanung und Nachhal-tigkeit aus österreichischer Sicht, S.18ff.Das Verhältnis von nachhaltiger Raum-entwicklung nach dem dt. Raumord-nungsgesetz von 1998 behandelt Frenz,Walter: Nachhaltige Raumentwicklungnach dem Raumordnungsgesetz von1998, in: Akademie für Raumforschungund Landesplanung (Hrsg.), Raumord-nungspläne unter neuen Anforderungenvon Umweltschutz und Eigentumsgaran-tie, Hannover 2001, S.1ff.

17 Unüberseh- und unüberhörbar: Der poli-tische Stellenwert der Raumplanung imSinne der Raumordnung, der Landespla-nung wie auch der kommunalen Planungist aktuell nicht sehr hoch. Die Raum-planung wurde in den 80er-Jahren vomUmweltschutz gleichsam an den Rand ge-

drängt – schon rein sprachlich, ist dochdas Wort „Umweltschutz“ ansprechenderals „Raumplanung“ – doch verlor auchdieser an politischer Glaubwürdigkeit,wenn auch nicht an sachlicher Relevanz.Achtet man auf die Substanz, dann wer-den zwei Dimensionen der Raumplanungunüberbietbar, nämlich ihre Fähigkeit desabstimmenden Koordinierens des Ge-schehens im Lebensraum und ihr Zugriffauf die Zukunft. Dass sie nebenher nochdemokratisch und rechtsschutzmäßig, al-so rechtsstaatlich breit angelegt werdenkann, dies gibt ihr die Chance des maß-gebenden Verfahrens, anders formuliert,die Funktion eines Leitverfahrens zurück.Die Frage ist nur, ob dies erkannt wird.Auf alle Fälle tun die Gemeinden gut dar-an, das Raumplanungsverfahren und dieRaumplanung insgesamt im Auge zu be-halten. Vorbehalte gegenüber der „Pla-nung“ als „Planung“ sind begründet, abernur dann, wenn dahinter Machbarkeits-denken dominiert. Wird sie als die Aus-einandersetzung einer offenen Gesell-schaft mit der offenen Zukunft ver-standen, dann macht sie Sinn, auchethisch. Siehe dazu Ritter, Ernst-Hasso:Stellenwert der Planung in Staat und Ge-sellschaft, in: Akademie für Raumfor-schung und Landesplanung, Methodenund Instrument räumlicher Planung,Hannover 1998, S.6ff. Das Bild einerethisch orientierten Planung findet sichbei Martin Lendi, vgl. dazu die in der fol-genden Fn. zit. Lit.

18 Vgl. dazu Lendi, Martin: Politisch, sach-lich und ethisch indizierte Raumplanung,am Beispiel der Schweiz, Wien 1998;ders.: Ethik der Raumplanung, in: Raum-planung in den 90er-Jahren, Festschriftfür Karl Ruppert, Augsburg 1991, S.571ff.;ders.: Planungsphilosophie und ihre Um-setzung, in: Festschrift für Konrad Gop-pel, Augsburg 1993, S.27ff.; ders.: Grund-riss einer Theorie der Raumplanung,Zürich 19963; ders.: Raumplanung imUmbruch. Auf dem Weg zu einer poli-tisch, sachlich und ethisch indizier-ten Raumplanung, Schweizerisches Zen-tralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht(ZBl), Zürich 1999, S.193ff.; ders.: Rechts-kultur als Ausdruck der Verantwortungfür den Lebensraum, in: ders., Subtilitä-ten des Rechts, Zürich 1996, S.125ff.

19 Statt vieler Autoren Ruh, Hans: ArgumentEthik, Zürich 1991. Eine breitere Lite-raturzusammenstellung findet sich beiLendi, Martin: Ethische Verantwortungder Raumplanung, in: Larese/Lendi/Lin-der, Ethik als Handlungsmaxime, Bern

Martin Lendi52

2000, S.150ff.; ebenso bei Lendi, Mar-tin: Ethik und Raumplanung – Raum-planungsethik, DISP141, Zürich 2000,S.17ff.

20 Die Vorarbeiten sind eingeleitet. Es kann– ungefähr auf das Jahr 2003/2004 – mit einer Publikation gerechnet werden,die mehrere Autoren zusammenführenwird. Dabei wird der Zusammenhang vonNachhaltigkeit und Ethik der Raumpla-nung voraussichtlich eine zentrale Rollespielen.

21 Nur nebenbei: Die Nachhaltigkeit ist zu einer Bereicherung des Nachdenkensüber die Raumplanung geworden. Siehilft, Missverständnisse zu beseitigen, et-wa jenes von der planerischen Machbar-keit oder der fatalen Vortäuschung einer(finalisierten) Endzustandsplanung stattder Befolgung einer offenen Planung der prozessorientierten Annäherung aufüberblickbare Ziele.

22 Denkbar ist es, alle staatlichen Organe zuverpflichten, sich alle vier Jahre Rechen-schaft über die Frage zu geben, ob sie mitihren Analysen und Lösungsvorgaben ge-messen an der intergenerationellen Ver-antwortung auf dem richtigen Weg seien.

23 Es handelt sich bei dieser Stadt mit unter100.000 Einwohnern um eine ehemaligeIndustriestadt im Wandel hin zu einerDienstleistungsstadt, positiv und tradi-tionell unterlegt mit einem reichen, dieStadt prägenden Kulturleben. Die Stadthätte wegen der wirtschaftlichen Verän-derungen guten Grund, sich einseitig derwirtschaftlichen Entwicklung zu ver-schreiben. Sie tut es aber nicht.

24 Stadtplanung im Sinne der örtlichenRaumplanung (resp. von wirtschaftlicherEntwicklungsplanung) und Umwelt-schutz zu Gunsten der Stadt Winterthurwerden also nicht außer Kraft gesetzt. Siewerden auch nicht relativiert, sondern er-gänzt, bereichert und zwar in Richtungdes Verantwortbaren und des Langfristi-gen, des langfristig Angezeigten sowie desvor dem Gewissen Vertretbaren. Greifbarist Stadt Winterthur, ZukunftsbeständigeGemeinde, VADEMECUM zur nachhalti-gen Kommunalpolitik, Winterthur 20003.

25 Die Auswertung der Daten der verschie-denen Städte (es werden fünf Vergleichs-städte herangezogen) erfolgt nach demPrinzip einer linearen Nutzwert-Analysemit einer Wertskala von 0 bis 10. Der be-ste Indikatorenwert erhielt den Nutzwert8, der schlechteste den Nutzwert 2. Mög-lich wird eine einfache Aggregation derNutzwerte zu einer Kennzahl, also zu ei-ner Art „Nachhaltigkeitsindex“.

26 Internet-Adresse: www. umwelt-winterthur.ch /barometer/

27 Hinter dem erfolgreich angelaufenen Vor-haben der Stadt Winterthur steht das an-erkannte Planungsbüro „Basler + Partner“in Zollikon, vertreten durch ThomasSchneider, Dipl. Bau. Ing. ETH, Mitglieddes schweizerischen Rates für Raumord-nung, Autor zahlreicher Studien zur Stra-tegie der Nachhaltigkeit, dann aber auchzu Problemen des Umweltschutzes, derRaumplanung und nicht zuletzt zuAspekten der Sicherheit, dann zu solchendes Energieverbrauchs bei Bauten undAnlagen.

28 Das Gewissen weist dabei zurück auf dasgelebte Leben und vorwärts auf das zu le-bende Leben, immer aber nach dem Maß-stab der Lebenschancen der kommendenGenerationen, bezogen auf das natürli-che, vitale Leben sowie die politische,wirtschaftliche und soziale Lebensentfal-tung.

29 Beispiele für Umweltindikatoren auf ört-licher Ebene: Energieverbrauch, Wasser-verbrauch (insbesondere Trinkwasserab-gabe), Kehrichtanfall, CO2-Emissionen,NO2-Emissionen, Nitrat im Grundwasser,überbaute Flächen, Freiraum- und Erho-lungszonen/Wald/Landwirtschaft, Nut-zung des öffentlichen Verkehrs, usw. Bei-spiele für Wirtschaftsindikatoren auförtlicher Ebene: Steuerbares Einkommennatürlicher Personen, steuerbares Ver-mögen, Verschuldung der Gemeinden,Steuereinkommen der Gemeinde, Inves-titionen ins Verwaltungsvermögen, Be-schäftigte, Verhältnis Beschäftige 1., 2.und 3. Sektor, Arbeitsplätze in expansi-ven Bereichen, so im IT- und Telekom-Bereich, usw. Beispiele für Gesellschafts-indikatoren auf örtlicher Ebene: Wohn-fläche pro Person, übermäßigem Lärmausgesetzte Personenzahl, Sozialhilfeab-gaben, Erwerbslosenrate, Plätze in Kin-dertagesstrukturen, Benutzung von Bi-bliotheken, Freiwilligenarbeit, Stimm-beteiligung, Straftaten, Beanstandungender Lebensmittelkontrolle, usw.

30 Selbstredend gibt es zahlreiche andere„Formeln“ der praktischen Handhabungder Nachhaltigkeit, beispielsweise jenevon der „Nahversorgung“. Sie tragen sooder so zur Lebensqualität bei. Ob sie aberalles in allem und nach allen SeitenNachhaltigkeit implizieren, dies ist offen.Mit der Anknüpfung bei der Raumpla-nung wird ab ovo ein breiterer Fächer derNachhaltigkeit erreicht und wird gleich-zeitig neben der Raum- die Zeitkompo-nente eingeschlossen. Sie scheint deshalb,

Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft 53

wenn zusätzlich einige besondere Indi-katoren beachtet werden, eine gewisseGewähr für eine nachhaltige Entwicklungzu bieten.

31 Die schweizerische Regierung ist mittendaran, eine neue Strategie der Nachhal-tigkeit zu formulieren. Die zentralenHandlungsfelder sollen herausgearbeitetwerden. Das erste Strategiepapier des Bun-desrates (Bundesregierung) stammt ausdem Jahre 1997. Entsprechende Strate-gien kennt auch Deutschland, so Bun-desumweltamt, Nachhaltiges Deutsch-land, Bonn 1998.

32 Vgl. dazu vor allem Akademie für Raum-forschung und Landesplanung (Hrsg.):Handwörterbuch der Raumordnung,Hannover 1995, aber auch id.: Grundrissder Landes- und Regionalplanung, Han-nover 1999.

33 Zur politischen Planung siehe Hoppe,Werner: Planung, in: Josef Isensee/PaulKirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats-rechts der Bundesrepublik Deutschland,Bd.III, Das Handeln des Staates, Heidel-berg 1988, S.653ff.; Ossenbühl, Fritz: Wel-che normativen Anforderungen stellt derVerfassungsgrundsatz des demokratischenRechtsstaates an die planende staatlicheTätigkeit, dargestellt am Beispiel der Ent-wicklungsplanung?, Gutachten B zum 50.DJT, 1974; Lendi, Martin/Linder, Wolf(Hrsg.): Politische Planung in Theorie undPraxis, Bern 1979; Linder, Wolf/Hotz, Be-at/Werder, Hans: Planung in der schwei-zerischen Demokratie, Bern 1979.

34 Es wird also keine allgemeingültige Nach-haltigkeitsdefinition vorausgesetzt. Esgenügt beispielsweise, wenn bei derRaumplanung von der haushälterischenBodennutzung die Rede ist. Es taugt,wenn im Rahmen der Energiegesetzge-bung von der sparsamen Verwendung dererneuerbaren und von der größtenZurückhaltung gegenüber den nicht er-neuerbaren Energien die Rede ist. Dieslässt sich auf jedes relevante Rechtsgebiet– „mutatis mutandis“ – übertragen. DieBundesverfassung der SchweizerischenEidgenossenschaft vom 18.4.1999 zeich-net dieses Vorgehen einer relativen Of-fenheit des Begriffs der Nachhaltigkeitvor. Vgl. dazu Fn.4.

35 Eine moderne Gesetzgebungslehre findetsich bei Müller, Georg: Elemente einerRechtsetzungslehre, Zürich 1999, aberauch bereits bei Noll, Peter: Gesetzge-bungslehre, Reinbeck bei Hamburg 1973.

36 „Nix gwiß woa's ma ned“(bayerisches, geflügeltes Wort).

37 „Es gibt Risiken, die man nie eingehen

darf: Der Untergang der Menschheit istein solches.“, so Dürrenmatt, Friedrich,in: Die Physiker, eine Komödie, (1961),Gesammelte Werke, Bd.2, S.195 (gespro-chen durch Möbius).

38 Die konsequente Trennung von Rechts-und ethischer Elementarlehre, wie sie sichetwa in der Metaphysik der Sitten vonImmanuel Kant (Kant, Immanuel: DieMetaphysik der Sitten (1797), Nachdruck,Erlangen 1990) findet, wird in der De-mokratie durch die direkte Begegnungvon Individuum und Bürger herwärts dermetaphysischen Anfangsgründe relati-viert.

39 Der Wortteil „Zivil-“ steht hier für latei-nisch „civis“, was Bürger bedeutet. DieThematik der Zivilgesellschaft vor demHintergrund einer neuen Bürger- undSozialkultur gewinnt an Bedeutung. ImKern geht es um die Selbstorganisations-fähigkeit einer offenen Gesellschaft. DenHintergrund dürfte die Individualisie-rungsneigung in der Gesellschaft bilden.Sie macht sichtbar, dass eine Gesellschaftnur lebt, wenn ihre Glieder Freiwilligkeitgelten lassen: Der Preis der Freiheit ist dieFreiwilligkeit! Es geht letztlich um eineErneuerung des Milizprinzips, das in sei-nem Kern nichts anders besagt, als dasseine Gesellschaft solange funktioniert,wie jedes Glied etwas mehr macht als esvon Rechts wegen gehalten ist. Dies giltfür die staatliche Gemeinschaft genau sowie für das Vereinsleben, dies gilt für diepolitische Gemeinde genau so wie für dieParteien, sogar für die Nicht-Regierungs-organisationen. Siehe dazu Hanns SeidelStiftung (Hrsg.): Neue Bürger- und So-zialkultur – Vision oder Utopie, PolitischeStudien, Sonderheft 1/1999, München1999.

40 So in den einseitig ökonomisch-betriebs-wirtschaftlichen Lehren des sog. NPM(New Public Management).

41 Pestalozzi, Heinrich: „Es ist für den sitt-lich, geistig und bürgerlich gesundenWeltteil keine Rettung möglich als durchdie Erziehung, als durch die Bildung zur Menschlichkeit, als durch die Men-schenbildung! (Heinrich Pestalozzi: DerWeg der Menschheit, An die Unschuld,den Ernst und den Edelmut meines Zeit-alters und meines Vaterlandes (1815), in:Heinrich Pestalozzis Lebendiges Werk,Bd.II, Basel 1956, S.359). Zur Erziehungals Bildung an einer anderen Stelle: „DerAnfang und das Ende meiner Politik istErziehung.“ S.299.

42 Heinrich Pestalozzi formuliert das Miliz-prinzip als moralisches Postulat: „Was der

Martin Lendi54

Staat und alle seine Einrichtungen für dieMenschenbildung und die Volkskulturnicht tun und nicht tun können, dasmüssen wir tun.“, S.321.

43 „Von der Politik haben wir Vernunft, vonden Einzelnen Liebe zu fordern.“, so Dür-renmatt, Friedrich: Das Schicksal derMenschen (1950), Gesammelte Werke,Bd.6, Zürich 1988, S.635. Die Ethik for-dert uns gleichzeitig als Menschen undBürger heraus.

44 Vgl. dazu das bleibend grundlegendeWerk von Humboldt, Wilhelm: Ideen zueinem Versuch, die Grenzen der Wirk-samkeit des Staates zu bestimmen (1792),Stuttgart 1967. Hier findet sich der grund-legende Gedanke, die Sorgfalt mache deneigentlichen Endzweck des Staates aus,

S.57ff. Und eben diese Sorgfalt beginntihrerseits mit dem Innehalten und Be-sinnen. Wir haben dafür zu Beginn die-ser Abhandlung den Ausdruck der „Um-sicht“ verwendet.

45 Wenn da und dort die Frage aufgewor-fen wird, ob Nachhaltigkeit ein „brauch-bares Kriterium“ sei, so ist zu bedenken:Entscheidend ist der innere Gehalt. Wirddieser ermittelt, dann wird Nachhaltig-keit zum moralischen Postulat und so-weit rechtlich eingebunden zur recht-lich verbindlichen Vorgabe. Zur Kritik ander Brauchbarkeit des Nachhaltigkeits-ansatzes siehe beispielsweise Leidig, Gui-do: Nachhaltigkeit als umweltplaneri-sches Entscheidungskriterium, UPR 2000,S.371ff.

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

1. Winterthur: Die Stadt(http://www.stadt-winterthur.ch)

Winterthur ist mit rund 90.000 Ein-wohnern die sechstgrößte Stadt derSchweiz. Sie liegt in einer Distanz vonknapp 30 Kilometern nordöstlich vonZürich. Verschiedene größere Indus-triefirmen, ein namentlich weltweittätiges Versicherungsunternehmen so-wie ein intaktes Gewerbe und Groß-und Kleinhandelsfirmen prägen denWirtschaftsstandort Winterthur. Eben-so hat die Stadt während der vergan-genen Jahre die Bildungseinrichtun-gen, darunter die größte Fachhoch-schule der Schweiz, ausbauen können.Erwähnenswert sind des Weiteren diegute Infrastruktur generell, nicht zu-letzt die verschiedenen Verkehrsver-bindungen inkl. eines hervorragendausgebauten öffentlichen Verkehrs-systems. Auch hat Winterthur den ver-dienten Ruf als Fahrradstadt. Besonde-rer Erwähnung bedarf die KulturstadtWinterthur mit teils internationalemRuf und nicht zuletzt bietet die Stadtein breites Unterhaltungsangebot an.

Das Stadtgebiet Winterthurs ist nur zurund einem Drittel überbaut und hatdaher einen entsprechend breiten

Grüngürtel, auch mit großen Wäldern,die als Naherholungsraum dienen.

Trotz beachtenswerter Fortschritte imUmweltbereich sind aber immer nochUmweltprobleme durch gebietsweiseübermäßige Luft- und Lärmbelastun-gen zu vermelden. Das hartnäckigsteProblem Winterthurs ist jedoch dersich immer noch in Gang befindlicheWandel von der einstigen klassischenIndustriestadt hin zu zukunftsweisen-den Wirtschaftsbereichen. Winterthurverlor während der vergangenen JahreTausende von Arbeitsplätzen im In-dustriesektor. Neue Arbeitsplätze imMedizinal-, Kommunikations-, Dienst-leistungs- und Bildungsbereich konn-ten die entschwundenen Industriear-beitsplätze bis heute nicht vollzähligersetzen. Große ehemalige Industriege-biete konnten zudem noch nicht einerNeunutzung zugeführt werden. Zahl-reiche Industriearbeitnehmende stam-men aus dem Ausland. Ihre einmal er-worbenen Industriequalifikationen er-lauben es nur bedingt, moderne Ar-beitsplätze zu belegen. Auch fürschweizerische Hilfskräfte ist es oftschwierig, eine Arbeit zu finden. DieWinterthurer Arbeitslosenquote liegtüber dem schweizerischen Durch-schnitt. Die Soziallasten sind während

Winterthur: Zum Beispiel„Nachhaltige Kommunalpolitik“

Hans Hollenstein

Hans Hollenstein56

der vergangenen Jahre deutlich ange-stiegen. Die Integration der ersten undzweiten Generation ausländischer Fa-milien muss stark gefördert werden.

2. Lokale Agenda 21: Winterthurer Grundverständnis

Die so genannte Brundtland-Kommis-sion hat „Nachhaltige Entwicklung“im Auftrag der UNO für die ganze Weltwie folgt beschrieben: „NachhaltigeEntwicklung ist eine Entwicklung, wel-che weltweit die heutigen Bedürfnissezu decken vermag, ohne für künfti-ge Generationen die Möglichkeit zuschmälern, ihre eigenen Bedürfnisse zudecken.“

Diese Umschreibung nachhaltiger Ent-wicklung basiert auf der Erkenntnis,dass sich die zivilisatorische Entwick-lung der Menschheit auf dem PlanetenErde langfristig innerhalb zweier kriti-scher Grenzen bewegen muss: Die un-tere Grenze ist durch das Existenzmi-nimum für die Menschen bestimmt,die obere Grenze durch die Umwelt-übernutzung. Keine dieser Grenzendarf langandauernd überschritten wer-den. Die Menschheit hat sich währendder längsten Zeit ihrer Entwicklungum den Aufbau gesunder Lebensbe-dingungen und einen guten Lebens-standard bemüht. Für den größerenTeil der Weltbevölkerung ist diese Ent-wicklung noch nicht abgeschlossen.Ein kleinerer Teil der Weltbevölkerungbelastet hingegen den natürlichen Le-bensraum bereits so stark, dass sogardroht, für die Erde als Ganzes die obe-re Grenze zu erreichen. Nachhaltigkann die Entwicklung auf der Erde je-doch nur sein, wenn sich die gesamte

Menschheit auf einem vernünftigenNiveau zwischen diesen beiden Gren-zen weiterentwickelt. In Rio ist dieseProblemsicht in der so genanntenAgenda 21 dokumentiert und konkre-tisiert worden.

Die globale Dimension der nachhalti-gen Entwicklung muss immer im Augebehalten werden. Darüber hinaus istdie Vision aber für einen nationalenund insbesondere lokalen Rahmen zuinterpretieren und zu konkretisieren.Für Winterthur ist sie für die lokalePerspektive wie folgt formuliert wor-den: „Winterthur ist dann nachhaltig,wenn die Menschen auch in Zukunft,z.B. im Jahre 2050, immer noch gernein Winterthur leben, wohnen und ar-beiten, und das mit einem guten Ge-wissen.“

Diese Umschreibung der lokalen Nach-haltigkeit spricht alle Dimensionen dernachhaltigen Entwicklung an. Lebenund Wohnen betreffen die ökologi-schen und die gesellschaftlichen As-pekte: Umweltqualität, Urbanität, so-zio-kulturelle Angebote oder generelldie Lebensqualität. Arbeiten weist aufden ökonomischen Pfeiler einer nach-haltigen Stadt hin. Das gute Gewissenschließlich steht für die Rücksicht aufandere, d.h. die überstädtische, aberauch globale sowie zukunftsbezogeneDimension der Nachhaltigkeit. OhneRücksichtnahme auf künftige Genera-tionen, auf die Nachbarn der StadtWinterthur und ohne Solidarität mitden anderen Völkern der Welt ist einenachhaltige Entwicklung in Winter-thur nicht möglich.

Auf dem UNO-Umweltgipfel ist 1992die Agenda 21 verabschiedet worden.Im Kapitel 28 fordert sie: „Die Lokal-

Winterthur: Zum Beispiel „Nachhaltige Kommunalpolitik“ 57

behörden spielen als Regierungsbehör-den, die den Menschen am nächstenstehen, in der Erziehung und im Sen-sibilisieren der Öffentlichkeit für ei-ne nachhaltige Entwicklung eine ent-scheidende Rolle. Bis 1996 soll jede Lo-kalbehörde ihre Bürger und Bürgerin-nen befragt und eine Lokale Agenda 21für ihre Gemeinschaft ausgearbeitethaben ... .“

Diese Forderung gilt für alle Un-terzeichnerstaaten der Welt (zu de-nen auch die Schweiz zählt) mit ihremsehr unterschiedlichen Stand der ge-sellschaftlichen, wirtschaftlichen undpolitischen Entwicklung. Dement-sprechend müssen die Vorgaben in die konkreten, spezifischen schwei-zerischen Verhältnisse übersetzt wer-den.

In der Schweiz besteht auf Grund lan-ger Erfahrungen ein hoch entwickeltesdemokratisches System der Entschei-dungsfindung mit weit gehenden Par-tizipationsmöglichkeiten der Bürger-innen und Bürger. Dies kommt denVorstellungen gemäß Kapitel 28 sehrnahe. Nach diesen soll eine LokaleAgenda 21 das Ergebnis eines Bewusst-seinsbildungs- und Lernprozesses inder lokalen Öffentlichkeit und in derFolge eines Meinungsbildungs- undKonsensfindungsprozesses sein. Daraussollen wünschenswerte und erreich-bare Ziele für eine zukunftsfähige Ent-wicklung der Gemeinde hervorgehen.Dieser Konsens soll das Ergebnis einerKonsultation der Bevölkerung durchdie Kommunalverwaltung sein.

Diese Vorstellung des Partizipations-prozesses deckt sich in den wesent-lichen Teilen mit der heutigen Or-ganisation der Meinungsbildung im

schweizerischen demokratischen Sys-tem und seinen etablierten Abläufenzur Entscheidungsfindung. Der Stadt-rat von Winterthur vertritt deshalb dieAuffassung, dass bei einer LokalenAgenda 21 für Winterthur, und gene-rell in der Schweiz, der Schwerpunktprimär auf die inhaltlichen Aspekte dernachhaltigen Entwicklung und nichtauf eine Verfeinerung oder gar Neu-schaffung demokratischer Mechanis-men gelegt werden muss.

Die Lokale Agenda 21 für Winterthurist vor allem eine langfristige Strate-gie, die beabsichtigt, die nachhaltige,zukunftsbeständige Entwicklung derStadt zu sichern. Sie soll den zentralenHandlungsrahmen für die kommunaleEntwicklung darstellen. Dabei liefertdie Agenda 21 von Rio thematisch denübergeordneten Wegweiser, welcher si-cherstellt, dass durch die Umsetzungauf lokaler Ebene kumulative Effektemit letztlich globalen Auswirkungenentstehen. Dies entspricht der Vision„Global denken, lokal handeln“.

Auf der Basis dieses Grundverständnis-ses misst Winterthur folgenden Über-legungen zentrale Bedeutung zu:

● Die traditionelle Kommunalpolitikmit einem Zeithorizont von einigenJahren muss um eine nachhalti-ge, zukunftsfähige Kommunalpoli-tik mit intergenerationeller Perspek-tive ergänzt werden.

● Die Nachhaltigkeitsanliegen müssendeshalb in die strategische Planungdes Stadtrates integriert werden. Sieerfordern eine große Beharrlichkeitin der Umsetzung. Sie können nichtdurch ein kurzfristiges Aktionspro-gramm umgesetzt werden, wie diesvielerorts angestrebt wird.

Hans Hollenstein58

● Die langfristigen Anliegen der Nach-haltigkeit werden unter Umstän-den zu neuen Gewichtungen undzu neuen Beurteilungsmaßstäben,aber auch Beurteilungsinstrumen-ten führen.

● „Nachhaltige Stadtpolitik“ ist fürdie Verwaltung eine Querschnitts-aufgabe. Es bedarf deshalb einer „in-terdepartementalen Klammer“, wel-che das Lösen dieser Aufgabe or-ganisatorisch fördert und unter-stützt.

● Die Gestaltung der notwendigenProzesse muss auf den bestehendenInstitutionen und auf den etab-lierten Verfahren zur politischenMeinungsbildung aufbauen. Dem-entsprechend muss die Bewältigungder zusätzlichen Aufgaben durchWeiterentwicklung bestehender In-stitutionen gewährleistet werden.

● Nachhaltige Entwicklung in Win-terthur ist nicht nur eine Aufgabeder Behörden. Deshalb sind beste-hende lokale Initiativen, die einenBeitrag für die nachhaltige Entwick-lung der Stadt leisten, zu ihrer Ver-stärkung zu vernetzen und zu för-dern. Sie können wichtige Anstößeund Beiträge für die Ausgestal-tung der nachhaltigen Stadtpolitikliefern.

In Winterthur ist das Bewusstsein ge-wachsen, dass das Etablieren einernachhaltigen Entwicklung in der Stadteines ausdauernden politischen Wil-lens aller Beteiligten bedarf. Nachhal-tige Entwicklung ist keine freiwilligeOption, sondern eine sowohl rationalwie ethisch und emotional begründ-bare, wichtige Aufgabe. Sie stützt sich zudem auf die Schweizerische Bundes-verfassung und die Strategie des Bun-desrates. Sie muss wichtiger Bestandteil

der Zukunftsvision von Winterthursein.

3. Nachhaltige Entwicklung: Bewusstseinsbildung braucht Zeit

Das Winterthurer Bewusstsein für dievielfältigen und auch herausfordern-den Aspekte der nachhaltigen Ent-wicklung ist das Resultat einer bereitsmehr als zehnjährigen Auseinander-setzung mit dem Thema in unter-schiedlichsten Formen.

Aktivitäten, die in ihren Grundzügenin Richtung nachhaltiger Entwicklunggehen, nahmen in Winterthur ihrenAnfang, als im Zuge der wirtschaftli-chen Veränderungen zu Beginn der90er-Jahre plötzlich große Industrie-areale frei wurden. Dies führte zur„Werkstatt 90“ und den daran an-schließenden öffentlichen Foren. Indiesen Veranstaltungen zur künftigenStadtentwicklung diskutierten Partei-en, Verbände und lokale Interessen-gruppen konkrete Vorstellungen zurEntwicklung von Winterthur bzw. des-sen Stadtzentrum. Dieser Prozess zeig-te bereits wichtige Merkmale eines Pro-zesses zur nachhaltigen Kommunal-politik: Es ging um die zukünftige Ent-wicklung der Stadt Winterthur, sowohlunter gesellschaftlichen, wirtschaft-lichen als auch ökologischen Aspek-ten. In breiten Kreisen bestand ein ausgeprägtes Bewusstsein, dass ent-scheidende Weichen gestellt werdenmüssen, bis hin zu einem gewissen po-litischen Leidensdruck. Die Ausein-andersetzungen haben zudem gezeigt,dass die Zukunftsfähigkeit von Win-terthur lokal gesehen nicht primär einökologisches Problem ist, sondern ein

Winterthur: Zum Beispiel „Nachhaltige Kommunalpolitik“ 59

gesellschaftliches und ein wirtschaftli-ches.

Seit 1998 sind explizit unter dem Be-griff „Nachhaltige Entwicklung“ ver-schiedene konkrete Aktivitäten er-folgt:

● Von zentraler Bedeutung sind zu-nächst die Ziele und Maßnah-men, die der Stadtrat 1998 für die Legislaturperiode 1998–2002 be-schlossen und publiziert hat. Zahl-reiche dieser Ziele haben einen di-rekten Bezug zur nachhaltigenEntwicklung der Stadt und fordernkonkrete Maßnahmen in den Berei-chen der städtischen Umwelt-, Ge-sellschafts- und Wirtschaftspoli-tik.

● Ebenfalls 1998 wurde die Broschü-re „Zukunftsbeständige Gemeinde,Vademekum zur nachhaltigen Kom-munalpolitik“ publiziert. Sie fasstdas notwendige Basiswissen zu denThemen „Nachhaltige Entwicklung,Agenda 21 und Lokale Agenda 21“in kompakter Form für lokale Ent-scheidungsträger leicht verständlichzusammen. Mittlerweile ist das Va-demekum gesamtschweizerisch ge-fragt und beeinflusst das Bild vonWinterthur in zahlreichen Kanto-nen, Städten und Gemeinden posi-tiv. (http://www.umwelt-winterthur.ch/aktuell/index.html)

● Seit 1998 finden jährlich im Herbstdie so genannten „Barockhäuschen-Gespräche“ mit Beiträgen externerExperten statt. Sie entspringen demBedürfnis nach vermehrter Infor-mation zum Thema „NachhaltigeEntwicklung“ und haben das Ziel,das Verständnis für diese Herausfor-derung innerhalb der Verwaltung zufördern. Die Ergebnisse der bisheri-

gen drei Gespräche liegen für In-teressierte in schriftlicher Form vor.

● In den „Barockhäuschen-Gesprä-chen“ hat sich gezeigt, dass einegroße Bereitschaft besteht, das All-tagshandeln nach den Anliegen derNachhaltigkeit auszurichten. Wasfür die praktische Arbeit bis jetzt ge-fehlt hat, sind Hilfsmittel und In-strumente zur konkreten Beurtei-lung der Nachhaltigkeit entspre-chender Vorhaben. Es sind deshalbzwei Vorschläge für solche Beurtei-lungsinstrumente entwickelt wor-den: das Winterthurer Nachhaltig-keits-Barometer und ein System sogenannter Kernindikatoren. BeideInstrumente sind auf Tagungen imIn- und Ausland vorgestellt wor-den und auf großes Interesse ge-stoßen.

Das Nachhaltigkeits-Barometer dientder gesamtheitlichen Beurteilung vonKonzepten und Programmen. Es ba-siert auf knapp 100 Indikatoren, dievom Anwender qualitativ bewertetwerden müssen. Das Barometer zeigtdie Stärken und Schwächen entspre-chender Vorhaben auf und unterstütztden Optimierungs- und Meinungsbil-dungsprozess. (http://www.umwelt-winterthur.ch/barometer/)

Die Kernindikatoren zeigen die Stärkenund Schwächen einer Stadt als Ganzesauf und ermöglichen einen Städtever-gleich mit Bezug auf die nachhaltigeEntwicklung. 27 Indikatoren werdenim Unterschied zum Barometer quan-titativ beurteilt. Sie zeigen, wo eineStadt bezüglich strategischer Nachhal-tigkeitsaspekte im Vergleich zu ande-ren Städten steht. (http://www.umwelt-winterthur.ch/aktuell/index.html)

Hans Hollenstein60

● In den beiden ersten „Barockhäus-chen-Gesprächen“ wurde die Op-tion eines lokalen WinterthurerRates für Nachhaltigkeit in Anleh-nung an das ursprüngliche bundes-rätliche Modell eingehend erörtert.Dabei zeigte sich, dass Rolle, Man-dat und Kompetenzen eines der-artigen lokalen Rates schwer zu de-finieren sind. Ein verwaltungs-internes sogenanntes Kernteam, be-stehend aus Leuten aller wichti-gen Nachhaltigkeitsaspekte, wurdeals zweckmäßigerer Ansatz erachtet.Das Kernteam soll klären, wie nach-haltige Entwicklung im Verwal-tungshandeln institutionalisiertwerden kann.

● Zur Förderung des besseren Ver-ständnisses nachhaltiger Entwick-lung haben Fachleute der Verwal-tung an verschiedenen nationalenund internationalen Tagungen teil-genommen. Im Weiteren wurdenzahlreiche nationale und interna-tionale Kontakte aufgebaut.

● Im Winter 1999/2000 führte die bis-herige Arbeit mit Instrumenten zurBeurteilung lokaler Nachhaltigkeitzu der Einladung, sich am EU-Pro-jekt „Pastille“ zu beteiligen. DiesesProjekt soll klären, wie mit Indi-katoren die lokale Politik in Rich-tung Nachhaltigkeit beeinflusst wer-den kann. Neben Winterthur wir-ken London, Lyon und Wien mit.(http://www.lse.ac.uk/Depts/geogra-phy/Pastille/)

Der systematische Aufbau dieser Wis-sens- und Erfahrungsbasis hat dazu ge-führt, dass Winterthur zunehmendvon Dritten, wie dem Bund oder ande-ren Kantonen, in Aktivitäten zumThema Nachhaltigkeit einbezogenwird.

4. Nachhaltige Kommunal-politik: Die Strategie

Der Stadtrat von Winterthur ist derAuffassung, dass eine langfristig er-folgreiche nachhaltige Stadtpolitik auf sechs zentralen Elementen fußenmuss:

● Information und Förderung des Ver-ständnisses nachhaltiger Entwick-lung,

● Leitlinien und Kriterien,● Abstimmung innerhalb der Verwal-

tung,● Beurteilungsinstrumente,● Kommunikation und Einbezug von

Parlament und Öffentlichkeit und● organisatorische Voraussetzungen.

Die zuvor beschriebenen, für die För-derung der nachhaltigen Stadtpolitikwichtigen Elemente sollen deshalb ge-zielt entwickelt und gestärkt werden.Dabei soll von den bestehenden Struk-turen und Mechanismen sowie denbisherigen Aktivitäten im BereichNachhaltigkeit ausgegangen werden.

4.1 Kommunikation und Einbezug von Parlament und Öffentlichkeit

Die Kommunikation mit der Öffent-lichkeit zum Thema „Nachhaltige Ent-wicklung“ ist für den Stadtrat äußerstwichtig. Er ist sich bewusst, dass Nach-haltigkeit eine Zielsetzung ist, die nichtnur den Staat in die Pflicht nimmt. Ne-ben dem Staat sind auch die Akteureder Wirtschaft sowie die Gesellschaft – bis zum Individuum – angesprochen,nicht nur als Betroffene staatlicherAufgabenwahrnehmung, sondern alsihrerseits herausgeforderte, selbststän-

Winterthur: Zum Beispiel „Nachhaltige Kommunalpolitik“ 61

dige Verantwortungsträger. Nachhal-tigkeit setzt eigenaktives und eigen-verantwortliches Verhalten der Win-terthurer Unternehmungen wie auchder privaten Winterthurer Haushaltevoraus. Die nachhaltige Entwicklungder Stadt Winterthur ist damit sowohleine öffentliche Aufgabe als auch eineprivatwirtschaftliche und individuelleVerantwortung.

Die gewünschte Mitwirkung der Wirt-schaft und der Bevölkerung in Fragender Nachhaltigkeit ist somit nach demVerständnis des Stadtrates ein sub-stanzieller Beitrag und nicht bloß eineAkzeptanzerklärung. Dies fordert vonWirtschaft und Gesellschaft nicht nur,ihren Bereich zu verantworten, son-dern auch die Probleme und Anliegender jeweils anderen Bereiche zu beden-ken.

Trotz übergeordnetem Auftrag ist sichder Stadtrat im Klaren, dass sich dieLegitimation seines konkreten Han-delns zu Gunsten der Nachhaltigkeitimmer auch auf den aktuellen Willender Öffentlichkeit und der verschiede-nen Gruppierungen abstützen könnenmuss, denn der Stadtrat hat zumeistnur indirekte Mittel verfügbar.

4.2 Leitlinien und Kriterien

Der Stadtrat will, dass seine an denBedürfnissen der Nachhaltigkeit orien-tierte Politik letztlich konkreten Nie-derschlag im täglichen Verwaltungs-handeln findet. Dazu muss seinelangfristig orientierte Nachhaltigkeits-strategie, die z.B. in den bereits er-wähnten Zielen und Maßnahmen fürseine Legislaturperioden zum Ausdruckkommt, in kurzfristige Aktionen und

Maßnahmen heruntergebrochen wer-den. Der Stadtrat wird deshalb ent-sprechende strategische Leitlinien undBeurteilungskriterien bereit stellen las-sen.

4.3 Beurteilungsinstrumente

Zurzeit gibt es noch keine ausgereiftenund erprobten Beurteilungsinstrumen-te, die ein praxisorientiertes, einfachesEinschätzen der Nachhaltigkeit einerStadt, aber auch von Entscheiden,Konzepten und Projekten erlauben.Derartige Beurteilungen sind aber ent-scheidend für das Verständnis vonNachhaltigkeit auf lokaler Ebene undfür das Fördern der nachhaltigen Stadt-entwicklung. Ansätze wie das Win-terthurer Nachhaltigkeits-Barometeroder die Kernindikatoren liegen vor.Diese müssen in einer nächsten Phasein Zusammenarbeit mit den Anwen-dern weiterentwickelt und verfeinertwerden. Der Stadtrat unterstützt dar-über hinaus im Rahmen seiner Mög-lichkeiten konkrete Projekte Dritter,die dieser Zielsetzung dienen.

4.4 Information und Förderung des Verständnisses nachhaltiger Entwicklung

Die Stadt möchte auch in Zukunftdurch verschiedene Aktivitäten dieSchaffung und Verbreitung geeigneterInformation zum Thema Nachhaltig-keit in und außerhalb der Verwaltungfördern. Neben dem Vademekum, den„Barockhäuschen-Gesprächen“ undder Teilnahme an Veranstaltungen undProjekten sollen die Informations-kanäle in der Stadt genutzt werden,um dieses Thema in eine breitere Dis-

Hans Hollenstein62

kussion zu tragen. Der Stadtrat beab-sichtigt, die Öffentlichkeit regelmäßigin geeigneter Form zu informieren undeinzubeziehen.

4.5 Organisatorische Voraussetzungen

Trägerin des nachhaltigen Handelns istgrundsätzlich jede Verwaltungsstelle.Alle Linienfunktionen müssen mitihren verschiedenen Leuten tragendund verantwortlich mitwirken. Die Vision der nachhaltigen Stadtpoli-tik muss alle involvierten Stellenerreichen. Andererseits ist die Um-setzung der nachhaltigen Stadtpoli-tik eine Querschnittsaufgabe, damitdie Bestrebungen nicht isoliert verlau-fen.

Bisher sind für die organisatorischeVerankerung der nachhaltigen Ent-wicklung auf lokaler Ebene ganz un-terschiedliche Ansätze beobachtbar.Ein eindeutig zu favorisierender Weghat sich bisher nicht abgezeichnet. Inder Schweiz gibt es deshalb bis heutekeine wirklich umfassende Lösung die-ses Problems. Nicht zuletzt auf Grundder kurzen Zeit, die seit der bewusstenAkzeptanz der nachhaltigen Entwick-lung als notwendige Politikstrategieverstrichen ist, hat sich noch keine Or-ganisationsform als besonders vorteil-haft erwiesen. Die bisherigen Ansätzesind in der Regel nur auf einen be-schränkten Themenkreis ausgerichtet.In Zürich ist z.B. die Fachstelle fürStadtentwicklung der Präsidialabtei-lung mit dem Thema Nachhaltigkeitbeauftragt. Ebenso hat sich die soge-nannte Werkstatt Basel primär mitkonkreten Problemen der Stadtent-wicklung in einem engeren Sinne be-

fasst. In der Stadt St. Gallen ist dasThema dem Amt für Umweltschutz zu-gewiesen. In kleineren Gemeindenwird mit Nachhaltigkeitsräten expe-rimentiert, die sich aus freiwilligen, amThema interessierten Bürgern und Bür-gerinnen rekrutieren.

Zum heutigen Zeitpunkt betreut fürdie Stadt Winterthur vor allem derstädtische Beauftragte für Umwelt-schutz und Energie zusätzlich zu sei-nem Pflichtenheft das Dossier „LokaleNachhaltigkeit“. Die bisherigen Erfah-rungen zeigen, dass in Zukunft dasThema „Nachhaltige Entwicklung“und die Umsetzung der nachhaltigenStadtpolitik jedoch nur mit einer ge-zielten Organisationsentwicklung be-wältigt werden kann.

5. Ausblick: Wird Winterthur nachhaltig?

Heute ist ein gewisser Optimismus be-rechtigt, anzunehmen, dass sich beibeharrlicher Umsetzung der Strategiedie Stadt Winterthur nachhaltiger ent-wickeln wird als bisher.

Mit Rückschlägen ist allerdings zurechnen: Nachhaltige Entwicklung auflokaler Ebene ist nicht ein Aufsehen er-regendes Aktionsprogramm mit neuer-fundener Basisdemokratie, sondern ei-ne Vision, die das Handeln allerAkteure in der Stadt Winterthur durch-dringen sollte. Sie ist ein Prozess, dervor allem auf den Pfeilern „Bewusst-sein“, „Verstehen“, „Beharrlichkeit“,„Stehvermögen“ und speziell auch aufdem entsprechenden politischen Wil-len fußen muss. Ob das Bauen an die-sen Pfeilern in jedem Fall und zu jederZeit verträglich sein wird mit der poli-

Winterthur: Zum Beispiel „Nachhaltige Kommunalpolitik“ 63

tischen Alltagskultur und ihrem docheher nahen Zeithorizont, soll hier

bewusst vorerst offen gelassen wer-den.

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

Kaum ein Begriff hat die politischeWortwahl der vergangenen fünf Jahremehr geprägt als der der Nachhaltig-keit. Er diente und dient in mehr oderweniger verwaschener Form der Recht-fertigung, Begründung und Bekräf-tigung von Positionen, verkommt z.T.auch zum Totschlägerargument. Sehroft werden Sätze wie „nur dieser Wegentspricht einer nachhaltigen Ent-wicklung im Sinne der kommunalenAgenda“ zur Begründung nicht stich-haltiger Thesen in der Kommunalpo-litik verwendet.

Mit dem Begriff als solchem muss mansich auseinander setzen, weil dieNachhaltigkeit ansonsten eben zumSchlagwort verkommt. Es geht deshalbzunächst darum, zu bestimmen, waszum Wesen der Nachhaltigkeit gehörtund zuletzt soll auch anhand von Bei-spielen aus der Praxis die Problematik des Nachhaltigkeitsprozesses aufge-zeigt werden.

1. Zum Begriff

Der Duden umschreibt Nachhaltigkeitals „die längere Zeit anhaltende Wir-kung“. „Nachhaltig“ bedeutet, dasssich etwas auf längere Zeit stark aus-

wirkt, einen Eindruck hinterlässt, je-manden beeinflusst.

Nach Brockhaus ist das als „nachhalti-ge Entwicklung“ übersetzte Schlüssel-wort der Konferenz von Rio „sustain-able development“ eine ökonomische,soziale und ökologische Entwicklung,die weltweit die Bedürfnisse der gegen-wärtigen Generation befriedigt, ohnedie Lebenschancen künftiger Genera-tionen zu gefährden.

So verstanden ist die nachhaltige Ent-wicklung ein gesellschaftlicher Wand-lungsprozess, der zu neuen Wertvor-stellungen und Konsumgewohnheitenführen soll.

2. Wesensmerkmale der Nachhaltigkeit

Was macht einen Planungs- und Ent-scheidungsvorgang nachhaltig? Vierprägende Momente lassen sich fest-stellen:

● Das Zeitmoment: Eine Entschei-dung ist nachhaltig, wenn sie in dieZukunft wirkt.

● Das Umstandsmoment: Eine Ent-scheidung wirkt positiv auf Wirt-

Nachhaltigkeit in der Kommunalpolitik – Ein Prinzip in der Praxis

Uwe Brandl

Nachhaltigkeit in der Kommunalpolitik – Ein Prinzip in der Praxis 65

schaft, Umwelt und Gesellschaft.● Das soziologische Moment: Eine

Entscheidung beruht auf einer ge-meinsamen oder zumindest mög-lichst gleichen Wertebasis.

● Das Bindungsmoment: Die an derEntscheidung Beteiligten und vonihr Betroffenen fühlen sich gebun-den und akzeptieren die währenddes Entscheidungsfindungsprozes-ses getroffenen Abwägungen.

So verstanden kann eine nachhaltigeEntwicklung niemals eine Lösung fürden Augenblick sein. Sie kann auchniemals die optimale Entscheidung zuGunsten ausschließlich eines Lebens-bereiches sein oder etwa die Entschei-dung eines Einzelnen.

Gerade das soziologische Moment be-schäftigt die in der KommunalpolitikTätigen vehement. Wie schafft man ei-ne gemeinsame strategische Werte-basis, also allgemeinverbindliche Zieleoder allgemein anerkannte Ziele, dieals Entscheidungsgrundlage von mög-lichst vielen akzeptiert werden? Die-se Frage trifft den Kern der Debatte um Qualität und Quantität der Bür-gerbeteiligung in Politik und Verwal-tung.

Wer nicht am Bürger vorbeiplanenwill, muss ihn einbeziehen. Aber nichtden einzelnen sondern die breite Basis– und das ist schwer. Gilt schon dieFeststellung, dass selbst in Fachkrei-sen die Meinungsvielfalt Legion ist, sotrifft das auf die Bürgerschaft in Potenzzu. Festzustellen ist auch eine Lethar-gie vieler Bürgerinnen und Bürger,nicht partizipieren zu wollen. Aber„Schweigen“ kann nicht automatischals Zustimmung oder Ablehnung auf-gefasst werden.

Entscheidend für die Nachhaltigkeits-prozesse – besonders auf kommunalerEbene – ist also, die Bürgerschaft ausihrer passiven Zuschauerrolle zu holenund zur aktiven Beteiligung zu moti-vieren. Kommunikation und Informa-tion sind dabei ebenso wichtig wie derWille, im Sinne aller positiv zu einerPlanung beizutragen.

Die Bereitschaft, sich mit Einzelthe-men auseinander zu setzen, ist allent-halben vorhanden. In bestimmtenFällen mag dieses Phänomen derpunktuellen Bereitschaft einem Enga-gement förderlich sein. Insgesamt istdiese Tendenz zum Einzelengagementaber – genauso wie die individuelleund damit verbundene unterschiedli-che Zielorientierung der Bürgerschaft –sehr problematisch. ZukunftsbezogeneEntscheidungen und Entscheidungs-findungen sind komplex und stehenin vielschichtigen Zusammenhängen.Diese müssen insgesamt gewichtetwerden. Ein Aussparen auch nur ein-zelner Bereiche verletzt das Prinzip derNachhaltigkeit.

Besonders bei der Planung von Indus-trieansiedlungen stellt man immerwieder fest, dass die Bürgerbeteiligungvon Einzelaspekten dominiert ist. En-gagierte Umweltschützer werden ihreBeiträge zum Planungsprozess aus-schließlich auf den Belang des Um-weltschutzes beschränken, ohne diewirtschaftlichen oder sonstigen Belan-ge auch nur ansatzweise zu gewichten. Es darf in Planungsprozessen abernicht einigen wenigen überlassen sein,Planungen und Entwicklungen derKommunen durch überproportionalesEngagement, u.U. sogar zu Lastenschweigender Mehrheiten, zu beein-flussen. Die Rolle des kommunalen

Uwe Brandl66

Mandatsträgers muss dies berücksich-tigen. Der kommunale Mandatsträgerist im Planungs- und Entwicklungs-prozess weder der unantastbare Mon-arch noch der bloße Mediator. Aufgabeund Ziel muss es sein, finanzverant-wortlicher Anwalt aller zu sein. Dies isteine sehr schwere, aber auch eine er-forderbare Aufgabe.

3. Praxisbeispiele

Wenn eine Kommune plant und dabeiBürgerinnen und Bürger durch Infor-mationsveranstaltungen, Workshopsusw. einbezieht, ist dies positiv. DerGrad der Akzeptanz des Planungser-gebnisses hängt dabei sicher von derQuantität und Qualität der Bürgerbe-teiligung ab. Dies ist aber nur in engenGrenzen beeinflussbar.

Trotzdem machen viele positive Bei-spiele – vor allen Dingen aus dem Be-reich der Dorferneuerung – Mut, dieMöglichkeiten der Bürgerbeteiligungin Planungsprozessen zu optimieren.Sicher ist auch der Gesetzgeber gefor-dert, Instrumentalien zu schaffen, diediese Beteiligung sicherstellen.1

Einige aktuelle Beispiele aus der Klein-stadt Abensberg mögen die Möglich-keiten und Grenzen nachhaltiger Pla-nung, die bürgernah geschehen muss,nochmals belegen.

● Ein Grundwasserschutzgebiet kanndurch Rechtsverordnung festge-setzt werden. In Abensberg wur-de der Weg der Kooperation ge-sucht. Zusammen mit den betroffe-nen Grundstückseigentümern undLandwirten wurde unter Einbezie-hung des Amtes für Landwirtschaft

eine vertragliche Schutzsystematikentwickelt. Diese entspricht den In-teressen der Landwirtschaft ebensowie den Interessen der Stadt Abens-berg als Wasserversorger. Über 95%der betroffenen Böden im Wasser-einzugsgebiet werden zwischenzeit-lich extensiv bewirtschaftet, ohnedass dies bei der Landwirtschaft zuExistenzgefährdungen führt.

● Der vorhabenbezogene Bebauungs-plan Hundertwasser-Kuchlbauer-Turm in Abensberg. 90% der zu be-teiligenden Fachstellen haben gegenden geplanten, 70 m hohen Kunst-turm (die Kirche weist eine Höhevon 54 m auf) aus unterschiedli-chen Gründen negativ argumen-tiert. „Verzerrung des Ortsbildes“,„nicht gelöste Probleme des Ver-kehrs“, „Immissionsschutz“, „An-wohnerbedenken“ etc. prägen dieStellungnahmen. Die Bevölkerungäußert sich völlig anders: „Wir wol-len den Turm“, „er ist unsere Chan-ce“, „wir brauchen kein Verfahren“,„wir wollen uns nicht mit Einzel-problemen befassen“, „wir wollendiesen Turm!“ Abwägungen interes-sieren nicht. Die Bevölkerung ver-steht den Planungsprozess nicht,der über das Baugesetzbuch vorge-geben ist. Die Bevölkerung lässt sichauch nicht aufklären. Es interessiertsie nicht, dass bestimmte Verwal-tungsschritte zu unternehmen sind.Informationsveranstaltungen wer-den nicht besucht. Es gibt weder ei-ne Werte-, noch eine Gesprächsba-sis, auch keine Informationsbasis –und an Stelle des Sachlichkeits-prinzips tritt Emotion. Wenn aberEmotion ein Verfahren beherrscht,ist ein Nachhaltigkeitsprozess nurschwer abwickelbar, weil dieser not-

Nachhaltigkeit in der Kommunalpolitik – Ein Prinzip in der Praxis 67

wendigerweise sachorientiert seinmuss.

● Ökologischer Schulgarten: Freiwil-lige, insbesondere engagierte Eltern,bauen den Schulhof um. Das ist be-grüßenswert und es ist nachhaltig,weil etwas für die Umwelt- und dieNaturerziehung der Kinder getanwird. Eine schweigende Masse derBevölkerung ist allerdings gegendieses Projekt, artikuliert sich dabeiaber nicht. Nachdem der erste Ab-schnitt erfolgreich beendet wurde,akzeptieren die Akteure im Hinter-grund – vor allen Dingen die Planer– aber keinerlei finanziell bedingteRahmenentscheidungen mehr. DiePresse berichtet nicht objektiv, son-dern subjektiv. Themen wie „Sicher-heit der Kinder“, „Multifunktiona-lität der Schule“, „Finanzfragen“traten in den Hintergrund. Preise,die den 1. Bauabschnitt zierten unddie durch politisch hochrangige Per-sönlichkeiten überreicht wurden,führten zu zusätzlichem Entschei-dungsdruck bei den kommunalenMandatsträgern. Eine Abwägungaller relevanten Eckdaten geschiehtnicht mehr. Mandatsträger lassensich allenthalben unter dem Ein-druck bevorstehender Wahlen vonwenigen Aktivisten leider nachhal-tig beeinflussen. Gilt in der Wirt-schaft das Denken von Bilanz zuBilanz, so gilt in der Politik das Den-ken von Wahl zu Wahl. Dieses Prin-zip widerspricht der Nachhaltigkeiteklatant.

● Bauleitplanung und Flächennut-zungsplanung: Für die raumbe-deutsamen Planungen, insbeson-dere den Flächennutzungsplan mitLandschaftsplan, gilt es, die Bürger

in einem öffentlichen Beteiligungs-verfahren intensiv zu beteiligen.Dies ist Voraussetzung dafür, dassdiese Bauleitpläne als Richtlinien-vorgaben mittelfristig auch Gültig-keit haben. Die Stadt Abensberg ver-zichtete bei der Erarbeitung desFlächennutzungs- und Landschafts-plans weitestgehend auf statischeElemente und öffnete gerade dielandschaftsplanerischen Festsetzun-gen einer gewissen Dynamik, umden zeitlichen Anpassungserforder-nissen Rechnung zu tragen. Wichtigwar es vor allen Dingen auch, eineSystematik zu entwickeln, die denErfordernissen der Eingriffs- undAusgleichsregelung bei Baugebiets-ausweisungen Rechnung trägt.

● Auf der Ebene des Bebauungsplanskönnen Kommunen neue Sied-lungsformen auch unter ökolo-gischen Gesichtspunkten und imZusammenhang mit sozialen Funk-tionen von Siedlungsformen ent-wickeln. Der Mensch im Mittel-punkt der Planung ist das Leitbilddes Ökodorfes Abensberg-Gaden.

● Die Agenda 21-Prozesse sind in vie-len Fällen ins Stocken geraten – vorallen Dingen deshalb, weil es kaumgelungen ist, diesen Prozess der Leit-bildentwicklung und Zielorientie-rung einer breiten Öffentlichkeitzugänglich zu machen. Vielerortskonnte auch nicht vermittelt wer-den, dass sich der Agenda 21-Pro-zess nicht auf die Umwelt alleinebeschränkt, sondern auch wirt-schaftliche und soziale Themen ei-ne Rolle spielen. Es geht um die Zu-kunft der Kommunen und umverbindliche Entwicklungsleitlinien,die das kommunale Handeln prä-

Uwe Brandl68

gen und bestimmen. Dabei mussdie Bürgerschaft notwendigerweisein die dynamischen Prozesse einge-bunden sein. Ein Prozess der Leit-bildentwicklung und -zielsetzungkann aber aus der Natur der Sacheheraus niemals abgeschlossen sein.Er ist den laufenden Entwicklungenständig anzupassen. Das Control-ling und die Zielumsetzung erfor-dern ständige Arbeit. Die Leitbild-formulierung und Zielentwicklungin Abensberg ist abgeschlossen undwird einem laufenden Kontroll-prozess unterzogen.

Viele Einzelprojekte motivieren vor al-len Dingen zum weiteren Mitmachenund dienen zur Veranschaulichungund Nützlichkeit des Prozesses an sich.So hat aktuell die Landjugend Sand-harlanden eine Patenschaft zu Guns-ten eines geschützten Landschaftsbe-standteiles übernommen. Als Aus-fluss der Landschafts- und Flächennut-zungsplanung wurden Radwegenetzeentworfen, kartiert und ausgewiesen,die Natur und Umwelt mit einbezie-hen. Das Stadtradlprojekt Abensbergwirbt für kleinräumiges Umsteigen ausdem Auto auf das Rad.

Nachhaltiges Planen und Entwickelnbedeutet auch, dass die Kommunen ih-rer Vorbildfunktion gerecht werdenmüssen. Die Schaffung von baubiolo-gischen Kindergärten, die Anbringungvon Vollwärmeschutz bei Kommu-nalbauten, energietechnische Unter-

suchungen, Regenwasserförderungu.v.m. sind Aktionen der Stadt Abens-berg, um den Nachhaltigkeitsgedan-ken im Bereich „Bauen“ zu vermitteln.Unter Einbeziehung der örtlichenHandwerkerschaft ist es auch gelun-gen, die Nachfrage für die Installationvon Fotovoltaik- und Brauchwasserer-wärmungskollektoren zu steigern.

4. Fünf Thesen zum Schluss

● Nachhaltiges Planen und Ent-scheiden in der Kommunalpolitikbraucht engagierte Gemeindebürgerund emanzipierte Mandatsträger.

● Eine nachhaltige Planung und Ent-scheidung braucht gemeinsameWertvorstellungen und gemeinsameZiele, die von allen Beteiligten ak-zeptiert werden.

● Nachhaltiges Planen und Entschei-den braucht auch den Mut, Sach-ebenen nicht zu verlassen.

● Nachhaltiges Planen und Entschei-den setzt Information und aktive Be-teiligung der Bürger unabdingbar vo-raus, ebenso aberauch den Willen derBürger, sich informieren zu lassen.

● Entscheidend für eine nachhaltigePlanung und Entwicklung auf kom-munaler Ebene ist auch der ge-genseitige Respekt der Beteiligten.Planungen und Entscheidungendürfen nicht Selbstzweck sein, son-dern müssen im Dienste der Kom-mune stehen und zwar im Sinne desWortes.

Anmerkung1 Glück, Alois/Magel, Holger (Hrsg.): Neue Wege in der Kommunalpolitik, München 2000.

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

1. Einführung

Die Planungshoheit der Gemeindenverleiht den Kommunen besonderegesellschaftliche Verantwortung überdie städtebaulichen und baulichenEntwicklungen. Dabei sind die Pla-nungskultur, der Umgang mit dentechnisch-künstlerischen Werten unddie Qualität der öffentlichen Diskus-sion und Erarbeitung Gradmesser für„verantwortungsvolles“ Planen. Der Be-griff des „Entwickelns“ beinhaltet offe-ne Planungen, die sich auf Grund einesImpulses in logisch hinterfragbaren Ab-folgen entwickeln.

Ein Zitat des Wiener Architekten undPhilosophen Adolf Loos beschreibt inknappster Weise die Komplexität derFragestellung: „Wer vor der eigenenZeit keine Hochachtung empfindet,dem fehlt sie auch vor der Vergangen-heit.“

Eingebunden in ein zeitliches Kontinu-um sind neue Erkenntnisse dann um-zusetzen, wenn sie der Qualitätsver-besserung der menschlichen Lebens-bedingungen im weitesten Sinne die-nen.

An vier Thesen, die mit Beispielen belegt sind, soll versucht werden, dieSpannweite einer verantwortungsvol-len Planung aufzuzeigen und die Chan-cen zu verdeutlichen, die sich aus um-fassenden Ansätzen ergeben.

2. Vier Thesen

Erste TheseHohenkammer: Die Idee einer Kulturlandschaft begreifen

Die Gemeinde Hohenkammer liegt ingünstiger Weg-Zeit-Entfernung zu demdynamisch sich entwickelnden Umfelddes Flughafens München II. Sie ist ge-prägt durch noch in weiten Teilen in-takte städtebauliche Strukturen ohneZersiedlungen.

Nach den folgenden, der Nachhaltig-keit verpflichteten Grundsätzen, soll-ten städtebauliche Strategien und Pla-nungen entwickelt werden:

● Sparsamer Umgang mit Grund undBoden,

● Wiederverwendung leerfallenderStrukturen,

Vier Thesen zur verantwortungsvollen

Planung und Entwicklung

Matthias Reichenbach-Klinke

Matthias Reichenbach-Klinke70

● Sicherung ökologischer Natur-schutzausgleichsflächen und

● Bewahrung einer Eigenständigkeitdurch Mischung von Wohn- undArbeitsstellen innerhalb der Ge-meinde.

Die Idee, die Kulturlandschaft zu er-kennen und fortzuschreiben, drücktsich in folgenden methodischen An-sätzen aus:

● Siedlungen im Verbund mit denLandnutzungen, Wegesystemen undAusgleichsflächen überplanen,

● Maßstabsebenen vom gemeinde-übergreifenden Verbund bis zur Ob-jektebene in Beziehung setzen,

● alte, leerfallende Bausubstanz einer

neuen Nutzung zuführen,● Entwicklung von Haustypologien,

die die Grundsätze der Nachhaltig-keit erfüllen,

● angemessene Zeithorizonte einerEntwicklung, die sozialverträglichsind, erarbeiten und

● die Bodenpolitik soll maßgeb-lich von der Gemeinde gesteuertwerden. Der soziale Auftrag wirddurch die Gemeinde konsequentverfolgt.

Über eine gründliche analytische Er-hebung der Merkmale und Kriteriender Gemeinde entsteht in Zusammen-arbeit mit den Bewohnern das Ver-ständnis für die Potenziale einer Kul-turlandschaft.

Die Kulturlandschaft um Hohenkammer erschließt sich in ihren Qualitäten durch intensive Analysen. (Luftbild: Klaus Leidorf, Buch am Erlbach)

Vier Thesen zur verantwortungsvollen Planung und Entwicklung 71

Zweite TheseColleta di Castelbianco: Das Dorfwird durch die Zuordnung vonWohnen und Arbeiten bestimmt

Gerade der ländliche Raum bietet dieMöglichkeit, im Sinne der Nachhaltig-keit mit geringstem Ressourcenver-brauch größte ökonomische Optimie-rungen zu erzielen.

Das ehemals vollständig verlasseneBergdorf Colleta di Castelbianco, imHinterland der italienischen Riviera,wurde 1991 zu einem Teledorfprojekt.Über Telearbeitsmöglichkeiten sollteversucht werden, die alte Bausubstanzwieder zu beleben und den ländlichenRaum vor weiterer Abwanderung zuschützen.

Der Entwurf des Architekten Giancar-lo de Carlo berücksichtigt weitgehenddie bestehende Baustruktur, die ergänztwird durch eine terrassierte Sammelga-rage, ein gemeinschaftliches Schwimm-bad und die Technikzentrale der Tele-kommunikation.

Das Dorf beherbergte im 18. Jahrhun-dert ca. 600 Einwohner, die über-wiegend in der Landwirtschaft tätigwaren. Heute hat der Komplex 58Wohneinheiten, von denen 35 bereitsbewohnt sind. Die restlichen sindnoch im Bau. Jede Wohneinheit ver-fügt über eine attraktive Dachterrasse.Die soziale Mitte bildet ein kleinerDorfplatz mit Bar und Lebensmittel-laden für den täglichen Bedarf.

Das verkabelte Dorf Colleta di Castelbianco. Rechts vom Baukran die Terrassen der Stellplätze.(Foto: privat)

Matthias Reichenbach-Klinke72

Dritte TheseObermarkersdorf:„Notgemeinschaften“ schaffenVerantwortlichkeiten

Das landwirtschaftlich geprägte Ober-markersdorf liegt im Nordosten Nie-derösterreichs in einem besonders be-nachteiligten Gebiet in unmittelbarerNähe der Grenze zur TschechischenRepublik. Seit 1985 arbeiten Gemeindeund die 392 Einwohner an Konzepten,die nachhaltig die Situation periphererländlicher Räume verbessern.

Ein Hackschnitzelheizkraftwerk mitSonnenkollektoren, genossenschaftlichorganisiert, nutzt erneuerbare Energie-

träger. Von den 180 Haushalten sindbereits 70 an die 3,4 km lange Ringlei-tung angeschlossen. Für künftige Ener-gienutzer gilt Anschlusspflicht. Derkleinräumige Energiekreislauf ist bei-spielhaft. Über diesen Bewusstseins-prozess konnten Gemeinschaftsein-richtungen realisiert und ausgebautwerden: ein multifunktionelles Rat-haus mit Saal, Musikheim, Bank, Arzt-praxis und Kindergarten.

Die Nutzung vorhandener Bausubstanzgeht vor Neubau und ist durch die Be-bauungsplanung gesichert. Obermar-kersdorf hat den Europäischen Dorfer-neuerungspreis 1998 erhalten.

Die genossenschaftliche Energiezentrale in Obermarkersdorf, Niederösterreich: Kombination vonHackschnitzel und Sonnenenergie. (Foto: privat)

Vier Thesen zur verantwortungsvollen Planung und Entwicklung 73

Vierte TheseWeyarn: Verantwortungsvolles Pla-nen und Bauen bedeutet einenkommunikativen Prozess zu führen

Die Gemeinde Weyarn im südlichenOberbayern beschritt bei der Neupla-nung eines kleinen Neubaugebietesneue Wege. Die intensiven Bürgermit-bestimmungen bei der Dorferneuerung(EXPO Projekt 2000 des Landes Bayern)gaben die angewendete Methode vor.

Am Anfang steht ein gemeinsamesLeitbild: der Südhang inmitten desDorfes bildet Gartenterrassen, in diesich die Gebäude einfügen. Das Prinzipdes Gemeinschaftlichen hat Vorrangvor dem Privaten. Demgemäß über-wiegen die gemeinschaftlichen Flä-chenanteile, die in den GartenzonenPachtflächen für das ganze Dorf anbie-ten. Die Ausrichtung der Gebäude umeinen Platz ist energetisch optimiertund wird ergänzt durch ein Gemein-schaftshaus mit Energiezentrale.

Die Gleichzeitigkeit aller Planungs-ebenen – von der Ortsplanung zumDetail, von sozialen bis finanziellenFragen – ermöglicht unter Einbindungder späteren Nutzer und der Nachbar-schaft Modelle, die dem Ziel einernachhaltigen Entwicklung nahe kom-men. Technische, soziale, ökonomi-sche und gestalterische Aspekte er-fahren die notwendige Akzeptanzdurch eine kommunikationsoffene Pla-nung.

3. Fazit

Nachhaltigkeit in der Kommunalpoli-tik bedeutet, dass die Gemeinde überdie Moderation der Interessen aktivie-rend eingreift. Gemeinsam erarbeiteteLeitbilder werden mit Substanzialitätim Rahmen der gemeindlichen Ver-antwortung gefüllt und realisiert. DasGemeinwesen kann damit an den kon-kreten Realisierungen auf Nachhaltig-keit evaluiert werden.

Der Lageplan der geplanten Baugruppe in Weyarn vermittelt das Leitbild der Hangterrassen, in diedie Bebauung eingeordnet ist.

Politische Studien, Sonderheft 1/2001, 52. Jahrgang, Dezember 2001

1. Vorbemerkungen

Das Thema Nachhaltigkeit steht, wieglobale „Mainstreams“ und die UN-Konferenzen „Istanbul plus 5“ im Juni2001 in New York und „RIO plus 10“im September 2002 in Johannesburgauch klar zeigen, in engem Zusam-menhang mit den Themen Civil So-ciety (Zivil- oder Bürgergesellschaft)und „Good“ bzw. „Urban Gover-nance“.1 Deutschland hat diesbezüg-lich noch – insbesondere auf der theo-retisch-abstrakten oder philosophi-schen, aber auch auf der praktischenEbene – einen klaren Nachholbedarf.Dies zeigt ganz deutlich der National-bericht der Bundesrepublik Deutsch-land zum UN-Sondergipfel „HabitatIstanbul plus 5“, in dem viel von öko-logischer Nachhaltigkeit die Rede ist,ökonomische Aspekte der Nachhaltig-keit oder das Thema Bürgergesellschaftaber kaum angesprochen werden.

Es gibt, dies haben die Beiträge vonClaus Hipp und Martin Lendi gezeigt,bereits viele positive Beispiele nachhal-tigen und bürgerschaftlichen Handelns.Matthias Reichenbach-Klinke hat ausseiner Perspektive Positives zum Planenund Bauen im ländlichen Raum beige-steuert.

Das Thema Nachhaltigkeit hat be-reits eine derartige Hochkonjunktur er-reicht, dass es Gefahr läuft, eine Wort-hülse zu werden, die man nicht mehrernst nimmt. Der Auftrag bleibt trotz-dem, auch und erst recht nach demBonner Klimagipfel.

Auch die Themen Bürgergesellschaftund ehrenamtliches Handeln habenHochkonjunktur. Es ist klar geworden,dass das Konzept der Aktiven Bürger-gesellschaft, so wie es Alois Glück ver-steht, mehr ist als nur Bürgerengage-ment. Bürgerengagement ist aber einwichtiger Baustein der Bürgergesell-schaft. Die USA haben uns offensicht-lich einiges voraus, was das Thema„Corporate Citizenship“ betrifft, dasvor einiger Zeit im Siemens Forum inMünchen diskutiert wurde: DeutscheFirmen sollen künftig großzügiger seinund ihre Mitarbeiter für ehrenamtli-ches Engagement, z.B. im Sozial- oderauch Politikbereich freistellen. DieFirmen profitieren davon, denn „guteBürger“ sind auch gute Mitarbeiter. Esist also eine Win-Win-Situation ge-geben.

Wir brauchen emanzipierte Kommu-nalpolitiker. Der zweite Vizepräsidentdes Bayerischen Gemeindetags, Uwe

Nachhaltigkeit ist zuallererst

eine ethische Frage

Holger Magel

Nachhaltigkeit ist zuallererst eine ethische Frage 75

Brandl, hat dies gleich mehrfach be-tont. Eine Definition hat Brandl zwarnicht mitgeliefert, doch haben wirgespürt, was gemeint ist: standfeste,offene, vertrauenswürdige und ver-lässliche Politiker, die im Sinne vonMartin Lendi den Konsens suchen, oh-ne aber dem Dissens aus dem Wege zu gehen, ganz nach den Good Gover-nance-Prinzipien.

2. Fazit

2.1 Bei Nachhaltigkeit geht es letztlich um Ethik

Ist Ethik völlig gleich bedeutend mitWerten? Auf alle Fälle ist Ethik mitWerten verknüpft. Es geht um Besin-nung und Besinnungsarbeit, worausBegründung und Gründe folgen müs-sen. Hierzu sollte man sich Zeit lassenund nicht hektisch handeln. Kommu-nalpolitiker, die gestresst aufstöhnenund diese Mahnung mit dem Hinweis„Die reden sich leicht!“ wegwischen,sollten gleichwohl innehalten undnachdenken. Mut und Selbstbewusst-sein aus dem Beharren auf Besin-nung(sarbeit) und überzeugenden zu-kunftsbeständigen Begründungen zuschöpfen, ist es, was in Zukunfts-workshops, Denkwerkstätten usw. ver-sucht werden muss!

Es gibt wohl weltweit keine gesetzli-chen Definitionen zur Nachhaltigkeit,auch nicht in Deutschland, weder imBaugesetzbuch noch im Raumord-nungsgesetz etc. Es gibt nur den Be-griff. Um ihn umzusetzen, genügtnicht allein die Kenntnis von Sach-zusammenhängen und Kriterien. ZurÄnderung von Verhalten braucht esmehr als Wissen. Das müssen auch die

hohen Schulen beherzigen, die immernoch oft nur reines Faktenwissen ver-mitteln und die ethischen und imma-teriellen Werte viel zu wenig berück-sichtigen. Erfreulicherweise will sichdie Technische Universität München,wenn auch spät, nun diesen Aspektenöffnen.

Wie kommt man zu Verhaltensände-rungen? Hilft hier der Bezug auf dieSchöpfung? Oder hilft der Rekurs aufzeitlose, generationenüberdauerndeWerte wie sie z.B. Denkmäler ver-mitteln, nach Professor Reichenbach-Klinkes Motto: „Es muss schon nochetwas 'Ewiges' auch geben dürfen.“Nicht alles darf der beliebigen Verfüg-barkeit der jeweiligen Generation über-lassen bleiben. Dieser ethische Aspektbedarf noch einer viel stärkeren, gera-de auch für konkret handelnde Men-schen, insbesondere für Kommunal-politiker, besser fassbaren Aufberei-tung.

2.2 Nachhaltigkeit darf nicht zu sehr mit Beschränkung verbunden werden

Notwendige Reformen werden oft des-halb unterlaufen, weil sie immer nurmit den Wörtern „verzichten“, „ein-schränken“, „Gürtel enger schnallen“oder „Belastungen“ verbunden wer-den, statt mit der Option, dass mandamit Zukunft entwickeln kann. Die-ser Fehler wurde und wird auch in denVerwaltungen gemacht, wo alles im-mer nur als negativ empfunden wird.Bis jetzt ist noch unklar, ob bei not-wendigen Ein- und Beschränkungen,die für ein Erreichen nachhaltigenHandelns anstehen, die Philosophieoder Erfahrung der christlichen Askese

Holger Magel76

weiterhilft oder etwa die Metapher vonUlrich Beck, der Selbstbegrenzung als„Schritt ins Ungedachte“ attraktiv ma-chen will.

Vielleicht hilft etwas ganz Profanes: Be-lohnung für nachhaltiges Handeln miteinem Imagegewinn in der Öffentlich-keit, nach dem Motto: Ich fahre miteinem kleineren Drei-Liter-Auto undverzichte freiwillig auf einen viel Ener-gieaufwand verursachenden schwerenbisherigen „Prestige-Wagen“.

2.3 Die Zeitkomponente derräumlichen Planung mussernster genommen werden

Wenn dies geschieht, akzeptiert manauch Martin Lendis ethisches Postu-lat: „Besinnung und daraus Begrün-dung“. Konkret heißt dies: Flächen-nutzungsplanung soll nicht einfach als mehr oder weniger finale Flächen-verbrauchsplanung praktiziert werden.Stattdessen ist ein Zukunftskonzeptmit Leitbild, Nachhaltigkeitszielen aufethischer Basis, Verzicht, Alternativenetc. zu erarbeiten. Lendi würde bei vie-len Flächennutzungs-Plänen den Dau-men nach unten drehen müssen. SeineGebote sind:

● Keine finalen Ziele vorgeben, alsooffen bleiben;

● Prozesse gestalten, Lernprozesse undInteraktionen eröffnen und in kom-plexen Systemen denken;

● die Zeitkomponente beachten, d.h.an Kontinuitäten und Dis-Kon-tinuitäten denken, an Wiederkehroder Beständigkeit;

● in „größeren“ Dimensionen denkenund sich nicht scheuen, die Öffent-lichkeit da hinzuführen.

Kommunalpolitiker und Bürger müs-sen in solchen „nachhaltigen“ Dimen-sionen denken und nicht nur dieberühmten pragmatischen „Kanal-deckel-Diskussionen“ führen.

Wie schafft man es, davon wegzu-kommen, „von der Hand in den Mundzu leben“ und stattdessen dynami-sche Prozesse mit „Dimensionen“ an-zustoßen und trotzdem heute zuhandeln? Lendi hat schön formuliert:„Wir müssen in die ungewisse Zu-kunft hinein handeln und denken und trotzdem heute das Richtige tun.“ Und wir müssen nebenbei noch„systemisch“ denken. Auch hier-zu lautete die Antwort: Besinnung,woraus Begründung folgt. Dies kann man ohne Probleme in moderne Pla-nungssprache und -methoden um-setzen.

Aber welcher Gemeinderat oder Bür-germeister hat denn je überhauptRaumplanung gelernt? Wo gibt es die-se Fortbildung, um systemisches Den-ken und Planen zu lernen und nichtnur, wie man einen Haushalt aufstellt?Wenn kommunale Raumplanung sowichtig ist, wie es Lendi unmissver-ständlich klar gemacht hat, müsste vielmehr getan werden.

2.4 Für Nachhaltigkeit und Bürgergesellschaft, sollten vomStaat Rahmenbedingungengesetzt werden

Die Frage, ob Nachhaltigkeit nur in ei-ner (Aktiven) Bürgergesellschaft mög-lich sei, ist schwer zu beantworten. Ausdem Beitrag von Alois Glück kannman aber einen ziemlich engen Zu-sammenhang herauslesen. Man muss

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ja nicht gleich so weit gehen, Nachhal-tigkeit und Bürgergesellschaft als siame-sische Zwillinge zu sehen. Unbestrittengilt aber: Für beide sollte der Staat Rah-menbedingungen setzen. Claus Hipphat dies in fünf Punkten aufgelistet:

● Anerkennung der Freiwilligkeit undEigenverantwortung,

● Eröffnung von Flexibilität undSpielräumen,

● Definition der Prinzipien der Nach-haltigkeit mehr im Sinne von Ethikund Werten („Verantwortung fürdie Schöpfung“),

● Beachtung von Effizienz und● Beachtung von Praxistauglichkeit.

Es ist jetzt schon klar, dass wir uns mitAnnäherungen zufrieden geben müs-sen. Dies ist aber in jedem Fall besser,als noch länger auf wissenschaftlicheErgebnisse zu warten, die ohnehin nurdas bestätigen können, was jetzt schonklar ist: Wir müssen ethisch handeln!

2.5 Die in der Arbeitswelt vonmorgen benötigte größereSelbstverantwortung darf nicht nur in eine reine Ich-Zentrierung münden,sondern muss auch Mitver-antwortung einschließen

Jeder Mensch braucht zu seiner ge-lebten Personalität ein Gegenüber. Die „zivile Arbeitsgesellschaft“ schlägteine Brücke zur Bürgergesellschaft: Verantwortung für die Gemeinschaft,für die Gesellschaft und deren Zu-kunft.

Das noch recht ungewohnte Konzeptder neuen „Arbeitsgestalter“, das starknach Eliten, Ich-Unternehmern undweniger nach gemeinschaftsorientier-ten Menschen klingt, ruft naturgemäßSkepsis hervor. Wie es weitergeht, mußman der Zukunft überlassen. Wir lebenin einer Zeit des Wandels, gerade auchin der Arbeitswelt!

Anmerkung1 Vgl. hierzu Leitbild der Deutschen Bundesregierung vom Aktivierenden Staat, das aber der

Gesamtbedeutung des Begriffs Governance, wie er in der derzeitigen „UN – Global Cam-paign Good Governance“ verwendet wird, bei weitem nicht entspricht.

Brandl, Uwe, Dr.Bürgermeister, Zweiter Vizepräsidentdes Bayerischen Gemeindetags, Abens-berg

Glück, Alois, MdLVorsitzender der CSU-Fraktion imBayerischen Landtag, Vorsitzender derCSU-Grundsatzkommission, München

Hipp, Claus, Dr.Präsident der Industrie- und Handels-kammer für München und Oberbay-ern, München

Hollenstein, Hans, Dr.Stadtrat, Départements-Vorsteher Si-cherheit und Umwelt der Stadt Win-terthur

Lendi, Martin, Univ.-Prof. Dr. jur.Eidgenössische Technische Hochschu-le Zürich

Luther, Susanne, Dr.Referentin für Grundsatzfragen undAuswärtige Beziehungen, Akademie fürPolitik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung e.V., München

Magel, Holger, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Präsident der Bayerischen AkademieLändlicher Raum e.V., München

Reichenbach-Klinke, Matthias,Univ.-Prof.Ordinarius für Planen und Bauen imLändlichen Raum, Technische Univer-sität München

Vogt, Markus, Prof. Dr. Leiter der Clearingstelle „Kirche undUmwelt“, Benediktbeuern

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