Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Rilke

    Der Cornet

    Erste und letzte Fassung der Prosadichtung

    eBOOK-Bibliothek

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    eBOOKBIBLIOTHEK

    ebook-bibliothek.org

    littera scripta manet

    AINE AIA ILKE

    DER CORNET

    Erste und letzte Fassung der Prosadichtung.

    Die erste Fassung aus dem Jahr 899 trgt den Titel

    Der Cornet, die endgltige Fassung aus dem Jahr 906wurde unter dem TitelDie Weise von Liebe und Tod des

    Cornets Christoph Rilkeim Inselverlag verffentlicht.

    http://www.ebook-bibliothek.org/http://www.ebook-bibliothek.org/http://www.ebook-bibliothek.org/http://www.ebook-bibliothek.org/http://www.ebook-bibliothek.org/
  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Rainer Maria Rilke

    (4.1.187 9.1.196)

    . Ausgabe, Dezember 2005

    eBOOK-Bibliothek 2005 fr diese Ausgabe

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    Der Cornet

    Erste Fassung: Herbst 899

    Berlin-Schmargendorf

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    Appel Rilke, Herr auf Langenau, Grnitz, Greuenu. s. f. hat drei Shne. Der Jngste, Otto, tritt in oester-reichische Dienste. Er fllt, 8 Jahre alt, als Cornet inder Compagnie des Freiherrn von Pirovano gegen dieTrken in Ungarn (664).

    Dieses ist der Inhalt einer Stelle, welche ich in alten Regestengefunden habe. Man kann sie so lesen, oder auch auf folgende

    Art.

    Reiten, reiten, reiten durch den Tag, durch die Nacht, durchden Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so mde ge-

    worden und die Sehnsucht so gro. Es giebt keine Berge mehr,kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Htten

    hocken durstig an versumpen Brunnen. Nirgends ein Turm.

    Und immer das gleiche Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur

    in der Nacht manchmal glaubt man, den Weg zu kennen. Viel-

    leicht kehren wir nchtens immer wieder das Stck zurck,

    das wir in der fremden Sonne mhsam gewonnen haben?

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    Es kann sein. Die Sonne ist schwer, wie bei uns tief im Som-

    mer. Aber wir haben im Sommer Abschied genommen, frei-

    lich. Die Kleider der Frauen leuchteten lang aus dem Grn.Und nun reiten wir lang. Es mu also Herbst sein. Wenigstens

    dort, wo traurige Frauen von uns wissen.

    Der von Langenau rckt im Sattel und sagt:Herr Marquis.

    Sein Nachbar, der kleine feine Franzose, hat erst drei Tage

    lang gesprochen und gelacht. Jetzt wei er nichts mehr. Er ist

    wie ein Kind, das schlafen mchte. Staub bleibt auf seinem fei-

    nen weien Spitzenkragen liegen; er merkt es nicht. Er wird

    langsam welk in seinem samtenen Sattel.Aber der von Langenau lchelt und sagt:

    Ihr habt seltsame Augen, Herr Marquis. Gewi seht Ihr

    Eurer Mutter hnlich

    Da blht der Kleine noch einmal auf, und stubt seinen

    Kragen ab und ist wie neu.

    Dann erzhlt jemand von seiner Mutter. Ein Deutscher offen-bar; laut und langsam setzt er seine Worte wie ein Mdchen,

    das ein Krnzel bindet, sinnend die Blumen probt und noch

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    nicht wei, was aus dem Ganzen wird: so fgt er seine Worte.

    Zu Lust, zu Leide? Alle lauschen, sogar das Spucken hrt auf.

    Denn es sind lauter Herren, die wissen was sich gehrt. Undwer das Deutsche nicht kann in dem Haufen, der versteht es

    auf einmal

    Da sind sie alle einander nah, diese Herren, die aus Frank-reich kommen und aus den Niederlanden und aus Krntens

    Tlern und von den bhmischen Burgen und vom Kaiser Leo-

    pold. Denn was der Eine erzhlt, das haben auch sie erfahren

    und gerade so. Als ob es nur eineMutter gbe

    So reitet man in den Abend hinein, in irgend einen Abend.Man schweigt wieder, aber man hat die lichten Worte mit wie

    schne Geschenke. Und da hebt der Marquis den schweren

    Helm ab. Seine dunklen Haare sind weich und frauenha la-sten sie auf seinem gesenkten Nacken. Jetzt erkennt auch der

    von Langenau: Fern ragt etwas in den Glanz hinein, etwas

    Dunkles, Schlankes. Eine einsame Sule, halbverfallen. Und

    wie sie lange vorber sind, spter, fllt ihm ein, da das eine

    Madonna war.

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    Wachtfeuer. Man sitzt rundherum und wartet. Wartet bis Ei-ner singt. Aber man ist so md. Das rote Licht ist schwer. Es

    liegt auf den staubigen Schuhn. Es kriecht bis an die Kniee, es

    schaut in die gefalteten Hnde hinein. Es hat keine Flgel. Die

    Gesichter sind dunkel. Dennoch leuchten eine Weile die Augen

    des kleinen Franzosen mit eigenem Licht. Er hat eine kleine

    Rose gekt, und nun darf sie weiterwelken an seiner Brust.Der von Langenau hat es gesehen, weil er nicht schlafen kann.

    Er denkt: Ich habe keine Rose, keine. Und dann singt er. Das ist

    ein altes, trauriges Lied, wie es zuhause die Mdchen auf den

    Feldern singen, im Herbst, wenn die Ernten zuende gehen.

    Sagt der kleine Marquis: Ihr seid sehr jung, Herr? Und dervon Langenau in Trauer halb und halb in Trotz: Achtzehn!

    Dann schweigen sie.

    Spter fragt der Franzose: Habt Ihr auch eine Braut da-

    heim, Herr Ritter?Ihr? giebt der von Langenau zurck.

    Sie ist blond wie Ihr, Herr Ritter

    Und sie schweigen wieder bis der Deutsche ru:

    Aber zum Teufel warum sitzt Ihr denn dann im Sattel und

    reitet durch dieses giige Land diesen trkischen Hunden

    entgegen?

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    Um wiederzukehren, lchelt der Marquis.

    Und der von Langenau wird traurig. Er denkt an ein blon-

    des Mdchen, mit dem er spielte daheim, wilde Spieledurch Tag und Tann. Und er mchte nach Hause, nur fr ei-

    nen Augenblick, nur fr solange, als es braucht, um die Worte

    zu sagen:

    Magdalena, da ich immer so war, verzeih!

    Wie war? denkt der junge Herr.

    Und sie sind weit.

    Einmal am Morgen ist ein Reiter da, und dann ein zweiter,ganz in Eisen, gro. Dann tausend dahinter: das Heer. Man

    mu sich trennen:Kehrt glcklich heim, Herr Marquis.

    Die Maria hat Euch lieb, Herr Ritter.

    Und sie knnen nicht von einander. Sie sind Freunde auf

    einmal, Brder. Sie haben sich viel zu vertrauen, denn sie wis-

    sen schon so viel Einer vom Andern. Sie zgern. Und ist Hast

    und Hufschlag um sie. Da strei der Marquis den rechtenrauhen Handschuh ab und leise friert seine feine Hand. Er

    holt die kleine Rose hervor und nimmt ihr ein Blatt. Das ist,

    wie wenn man eine Hostie bricht. Das wird Euch beschir-

    men! Lebt wohl.

    Der von Langenau staunt. Lange schaut er dem Franzosen

    nach. Dann legt er den fremden Frhling unter den Waffen-

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    rock. Und das Blatt treibt so hin auf den einsamen Wellen

    seines Herzens. Hornruf. Er reitet zum Heer, der Ritter, und

    lchelt traurig. Ihn schtzt eine fremde Frau.

    X

    Ein Tag durch den Tro. Flche, Farben und Lachen da-

    von blendet das Land. Kommen bunte Buben gelaufen. Rau-fen und Rufen. Kommen Dirnen mit purpurnen Hten im

    flutenden Haar. Winken. Kommen Knechte, schwarzeisern

    wie wandernde Nacht. Packen die Dirnen hei, da ihnen

    die Kleider zerreien. Drcken sie an den Trommelrand.

    Und von der wilden Gegenwehr hastiger Hnde werden die

    Trommeln wach, wie im Traum poltern sie poltern Und

    Abends halten sie ihm Laternen her seltsame: Wein, leuch-tend in eisernen Hauben. Wein oder Blut. Wer kanns unter-

    scheiden?

    Endlich vor Spork. Neben seinem Schimmel ragt der Graf,

    und auch sein langes Haar hat den glatten Glanz des Eisens.

    Der von Langenau hat nicht gefragt, er erkennt den Gene-

    ral, schwingt sich vom Ro und verneigt sich in einer WolkeStaub. Er bringt ein Schreiben mit, das ihn empfehlen soll

    beim Grafen. Der aber befiehlt: Lies mir den Wisch! Und

    seine Lippen haben sich kaum gerhrt. Er braucht sie auch

    nicht dazu. Zum Fluchen sind sie grade gut genug. Was dr-

    ber hinaus ist, redet die Rechte. Punktum. Und man sieht es

    ihr an. Der junge Herr ist lngst zuende. Er wei nicht mehr,

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    wo er steht. Der Graf ist vor Allem. Sogar der Himmel ist fort.

    Da sagt Spork, der groe General:

    Cornet.Und das ist viel.

    X

    Die Compagnie liegt jenseits der Raab. Der von Langenaureitet hin, allein, allein.Heier Abend. Glanz bricht ber das Land herein, von al-

    len Seiten zugleich. Die Heide fngt Feuer, als ob sie pltzlich

    hundert brennende Hnde nach dem Himmel streckte. Und

    der Mond wird rasch reif in dieser Glut. Er rollt aufwrts,

    ganz gro, ganz rot.

    Der von Langenau trumt. Trab, trab.Es ru ihn ein Baum.

    Ru, wie wund. Trab, trab.

    Ru. Da wacht er auf und erschrickt: Halt!

    Es ru ihn ein Baum.

    Er reitet heran: Ist ein braunes Mdchen daran gebunden,

    ru: Mach mich los!Ist ganz nackt das braune Mdchen.

    Und ru: Mach mich los!

    Und hat die Nacht in den Augen, das braune Mdchen,

    und den Abend im Nacken, wie einen Mantel.

    Heig durchhaut er die Schnre, die an den Fen zu-

    erst, dann die an den Handgelenken, die warm sind vom

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    ungeduldigen Blut. Und zum Schlu erlst er die Brust. Und

    fhlt ber seine Finger das erste Aufatmen schlagen, wie eine

    landende Welle. Und zittert.Und sitzt schon zu Ro.

    Und jagt in die Nacht, allein. Blutige Schnre fest in der

    Faust.

    X

    Der von Langenau schreibt einen Brief ganz in Gedanken.Langsam schreibt er mit groen ernsten Lettern:

    Meine gute Mutter,

    sei stolz: Ich trage die Fahne, sei ohne Sorge: ich trage

    die Fahne. Hab mich lieb: ich trage die Fahne Dann steckt er den Brief zu sich in den Waffenrock, an

    den einsamsten Ort, nachbarlich dem Rosenblatt, und denkt:

    er wird bald duen davon, und denkt: vielleicht findet ihn

    einmal Einer denkt. Denn der Feind ist nah.

    X

    Sie reiten ber einen erschlagenen Bauer. Er hat die Augenweit offen und irgendein fremder, schwerer Himmel spiegelt

    sich drin. Spter heulen Hunde. Es kommt also ein Dorf

    endlich. Und hinter den Htten steigt steinern ein Schlo.

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    Breit hlt sich ihnen die Brcke hin. Gro wird das Tor. Hoch

    willkommt das Horn. Horch! Hundegebell, Wiehern im Hof

    und Huf und Ruf.

    X

    Rast! Gast sein, einmal. Nicht immer selbst seine Wnsche

    bewirten, mit krglicher Kost. Nicht immerfeindlichnach Al-lem fassen, einmal sich Alles geschehen lassen und wissen was

    geschieht ist gut. Auch der Mut mu einmal sich strecken und

    sich am Saume seidener Decken in sich selber berschlagen.

    Nicht immer Soldat sein. Einmal die Locken offen tragen und

    den weiten offenen Kragen und in seidenen Sesseln sitzen und

    bis in die Fingerspitzen, so: nach dem Bad sein. Und wieder

    einmal lernen, was Frauen sind. Und wie die weien tun undwie die blauen sind, was sie fr Hnde haben, wie sie ihr La-

    chen singen, wenn die blonden Knaben die goldenen Schalen

    bringen, von vielen Frchten schwer.

    X

    Als Mahl beganns. Und ist ein Fest geworden. Man wei nichtwie. Die hohen Flammen flackten, die Stimmen schwirrten,

    viele Lieder klirrten aus Glas und Glanz und endlich aus den

    reifgewordnen Takten entsprang der Tanz. Und alle ri er hin.

    Und war ein Wellenschlagen in den Slen, ein Sich-vermischen

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    und ein Sich-vermhlen, ein Abschiednehmen und ein Wie-

    derfinden, ein Glanzgenieen und ein Lichterblinden, ein

    Willigwerden jenen stillern Winden, die wie die Flgel frem-der Blten sind. Aus dunklem Wein und roten Rosen rinnt

    die Stunde rauschend in den Traum der Nacht.

    X

    Und Einer steht und staunt in diese Pracht. Und er ist so gear-tet, da er wartet bis er erwacht. Denn nur im Schlafe schaut

    man solchen Staat und solche Feste und solche Frauen. Ihre

    kleinste Geste ist eine Falte, fallend in Brokat. Sie bauen ein

    Lachen auf aus silbernen Gesprchen und manchmal heben sie

    die Hnde so, und du mut meinen, da sie irgendwo hoch in

    den Len blasse Rosen brchen, die du nicht siehst. Und dawillst du geschmckt sein mit ihnen und anders beglckt sein

    und dir eine Krone verdienen weil deine Stirne so leer ist

    X

    Einer, der weie Seide trgt, erkennt, da er nicht erwachenkann; denn er ist wach und verwirrt von der Wirklichkeit.

    So flieht er bange in den Traum und steht im Park, einsam

    im schwarzen Park. Und das Fest ist fern. Und das Licht lgt.

    Und die Nacht ist nah ber ihm und khl. Und er fragt eine

    Frau, die sich zu ihm neigt: Bist du die Nacht?

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    Und sie lacht.

    Und da schmt er sich fr sein weies Kleid.

    Und mchte weit und allein und in Waffen sein. Ganz inWaffen.

    X

    Hast du vergessen, da du mein Page bist fr einen Tag? Was

    verlassest du mich? Dein weies Kleid gibt mir ein Recht Sehnst du dich nach deinem rauhen Rock?

    Und da friert er so als ob ein Wind oder Winter wre.

    Hast du Heimweh? lchelt die Grfin.

    Aber es ist nur, weil das Kindsein ihm von den Schultern

    gefallen ist, dieses weichliche warme Kleid. Jemand hat es

    fortgerissen:Du? fragt er gro mit neuer Stimme und staunt:

    Du. Und steht da, jnglingsnackt im Gefhl, neu, schlank.

    XX

    Langsam verlscht das Schlo. Alle sind mde oder verliebtoder trunken. Nach so vielen leeren nchternen Feldnchten:

    Betten. Breite eichene Betten. Da betet sichs anders als in der

    schlammigen Furche, unterwegs, die einen immer an das

    Grab gemahnt. Herr, wie du willst! Krzer sind die Gebete

    im Bett. Aber inniger.

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    XX

    Sie haben das Licht in die Turmstube gerettet. In den Augenhaben sies mitgebracht, in den nichtgesagten Worten, in dem

    dunkeln Scho ihrer Sehnsucht. Und es entfaltet sich jetzt. Sie

    leuchten sich ins Gesicht mit ihrem Lcheln. Sie betasten sich

    wie Blinde, die sich erkennen; sie packen sich wie Kinder, die

    Angst haben vor der Nacht. Aber sie frchten sich nicht. Sie

    wissen nichts von gestern und denken nicht an ein morgen.Die Zeit ist eingestrzt. Und sie blhn beide aus den Trm-

    mern. Sie fragen einander nicht,

    weder Er: Dein Gemahl?

    noch sie wie heit du ?, sie haben sich ja gefunden,

    um sich neue Namen zu geben, alle die ihnen einfallen aus

    Geschichten, aus Trumen, in hundert Sprachen

    XX

    Im Vorsaal ber einem Stuhl hngt der Waffenrock und dasBandelier und der Mantel von dem von Langenau. Seine

    Fahne steht steil, gelehnt an das Fensterkreuz. Sie ist schwarzund schlank. Ein Sturm hetzt ber den Himmel hin, pltzlich.

    Das Licht zittert vor ihm. So kommt es, da die reglose Fahne

    flatternde Schatten hat, als ob sie trumte.

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    XX

    Es ist eine unruhige Nacht geworden. Die Tren schlagen imganzen Schlo hinter heimlichen Gsten zu, die durch alle

    Zimmer gehen. Nur in das Turmgemach findet Keiner. Die

    Fahne wacht an der Schwelle. Wie hinter hundert Tren ist

    dieser Schlaf, den zwei Menschen so gemeinsam haben wie

    eineMutter, oder wie einenTod.

    XX

    Kommt der Morgen so? Pltzlich ist alles hell: Wnde undWaffen, Stimmen und Stirnen, Helme und Hrner, Lager und

    Land. Noch wlzt das Schlo den roten Gedanken in seinem

    Hirn, den ungeheuren, der heimlich rei und die Tore ergrei,bis sie alle schreien:

    Brand!

    Was hil da verrammeln? Jetzt ist es verraten. Ganz nahe

    waren Janitscharen. Taten! Taten! Taten! bedarfs. Schande

    den Schwachen, die zagha erwachen. Schmach! Langsamerlangt der Drachen das Dach, es schwankt: Krachen. Und

    im Hof erschrockene Hrner stammeln: Sammeln, sammeln,

    sammeln

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    XX

    Cornet! Der Cornet fehlt. Zu Pferd! Klirrn! Eile. Schon

    schwirrn Pfeile her. Hnde, Helme, Hrner, Fluch und Spruch.Rufe: Cornet! Hufe.

    XX

    Der Cornet fehlt. Er lu mit den Gngen um die Wette, mitden fremden brennenden Gngen, immer die Fahne hoch.Endlich berholt er den letzten, atemlos, und bndigt ein

    Pferd und berhetzt Alles: Licht, Lrm, Land, Leute. Sie er-

    kennen ihn, fern voran, wei in Seide, helmlos und wie ge-

    panzert in Licht. Er lacht. Da erwacht die Standarte ber ihm,

    hoch im Wind. Wird gro, rot, rot? Wessen die Farbe? Und

    sie sehen ihn nicht mehr, ihren Cornet. Sie sehen nur einebrennende Fahne mitten im Feind und jagen ihr nach.

    XX

    Der Tag kommt viel zu spt. Alle Farben sind schon wach.Und der von Langenau leuchtet ihnen ins Gesicht, den frem-

    den festlichen Farben: Habt ihr auch Mnner mit? Und

    lacht. Seine Augen sind voll zum berflieen von Seide, Ge-

    schmeide, Glut und Gold. Der Schrecken umschirmt ihn, und

    er hat Zeit, die bunte Pracht zu schauen unter seiner langsam

    verlodernden Fahne.

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    XX

    Wie ein Garten ist das, und es ist kein Wind in den Zwei-gen. Da blitzt ein Yatagan, springt hell wie ein Quell durch

    die Lu. Und wieder ein Strahl und wieder einer. Und viele

    flimmernde Fontnen rings in den Grten. Da lacht der Cor-

    net, die Lippen zum Trinken bereit: Ist das das Leben? Und

    giebt sich ihm hin.

    XX

    Sein Waffenrock ist im Schlosse verbrannt und mit ihm dasRosenblatt der fremden Frau. Den Brief hat keiner gefunden.

    Im nchsten Frhjahr, es kam traurig und kalt, ritt ein Ku-

    rier des Freiherrn von Pirovano langsam in Langenau ein, mitleeren Hnden. Dort hat er eine alte Frau weinen sehen.

    XXX

    Ein riesiger Krassier (er ist spter bei St. Gotthardt gefal-len) trug die Grfin aus dem brennenden Schlo. Wie durch

    ein Wunder gelang die Flucht. Aber man wei ihren Namen

    nicht und nicht den Namen des Sohns, den sie bald in ande-

    ren friedsamen Landen gebar.

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    Die Weise von Liebe und Tod

    des Cornets Christoph Rilke

    Endgltige Fassung von 906

    Geschrieben 899

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    den 24. November 663 wurde Otto von Rilke / aufLangenau / Grnitz und Ziegra / zu Linda mit seinesin Ungarn gefallenen Bruders Christoph hinterlasse-nem Antheile am Gute Linda beliehen; doch mute ereinen Revers ausstellen / nach welchem die Lehensrei-chung null und nichtig sein sollte / im Falle sein Bru-der Christoph (der nach beigebrachtem Totenscheinals Cornet in der Compagnie des Freiherrn von Piro-vano des kaiserl. oesterr. Heysterschen Regiments zuRo verstorben war) zurckkehrt

    Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durchden Tag.

    Reiten, reiten, reiten.

    Und der Mut ist so mde geworden und die Sehnsucht sogro. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen Baum. Nichts

    wagt aufzustehen. Fremde Htten hocken durstig an ver-

    sumpen Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das

    gleiche Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht

    manchmal glaubt man den Weg zu kennen. Vielleicht kehren

    wir nchtens immer wieder das Stck zurck, das wir in der

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    fremden Sonne mhsam gewonnen haben? Es kann sein. Die

    Sonne ist schwer, wie bei uns tief im Sommer. Aber wir ha-

    ben im Sommer Abschied genommen. Die Kleider der Frauenleuchteten lang aus dem Grn. Und nun reiten wir lang. Es

    mu also Herbst sein. Wenigstens dort, wo traurige Frauen

    von uns wissen.

    Der von Langenau rckt im Sattel und sagt: Herr Marquis Sein Nachbar, der kleine feine Franzose, hat erst drei Tagelang gesprochen und gelacht. Jetzt wei er nichts mehr. Er ist

    wie ein Kind, das schlafen mchte. Staub bleibt auf seinem

    feinen weien Spitzenkragen liegen; er merkt es nicht. Er wird

    langsam welk in seinem samtenen Sattel.

    Aber der von Langenau lchelt und sagt: Ihr habt selt-

    same Augen, Herr Marquis. Gewi seht Ihr Eurer Mutterhnlich

    Da blht der Kleine noch einmal auf und stubt seinen

    Kragen ab und ist wie neu.

    Jemand erzhlt von seiner Mutter. Ein Deutscher offenbar.Laut und langsam setzt er seine Worte. Wie ein Mdchen,

    das Blumen bindet, nachdenklich Blume um Blume probt

    und noch nicht wei, was aus dem Ganzen wird : so fgt

    er seine Worte. Zu Lust? Zu Leide? Alle lauschen. Sogar das

    Spucken hrt auf. Denn es sind lauter Herren, die wissen, was

    sich gehrt. Und wer das Deutsche nicht kann in dem Haufen,

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    der versteht es auf einmal, fhlt einzelne Worte: Abends

    Klein war

    Da sind sie alle einander nah, diese Herren, die aus Frank-reich kommen und aus Burgund, aus den Niederlanden, aus

    Krntens Tlern, von den bhmischen Burgen und vom Kai-

    ser Leopold. Denn was der Eine erzhlt, das haben auch sie

    erfahren und gerade so. Als ob es nur eineMutter gbe

    So reitet man in den Abend hinein, in irgend einen Abend.Man schweigt wieder, aber man hat die lichten Worte mit. Da

    hebt der Marquis den Helm ab. Seine dunklen Haare sind

    weich und, wie er das Haupt senkt, dehnen sie sich frauen-

    ha auf seinem Nacken. Jetzt erkennt auch der von Langenau:Fern ragt etwas in den Glanz hinein, etwas Schlankes, Dunk-

    les. Eine einsame Sule, halbverfallen. Und wie sie lange vor-

    ber sind, spter, fllt ihm ein, da das eine Madonna war.

    Wachtfeuer. Man sitzt rundumher und wartet. Wartet, daeiner singt. Aber man ist so md. Das rote Licht ist schwer. Es

    liegt auf den staubigen Schuhn. Es kriecht bis an die Kniee,

    es schaut in die gefalteten Hnde hinein. Es hat keine Flgel.

    Die Gesichter sind dunkel. Dennoch leuchten eine Weile die

    Augen des kleinen Franzosen mit eigenem Licht. Er hat eine

    kleine Rose gekt, und nun darf sie weiterwelken an seiner

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Brust. Der von Langenau hat es gesehen, weil er nicht schlafen

    kann. Er denkt: Ich habe keine Rose, keine.

    Dann singt er. Und das ist ein altes trauriges Lied, das zuHause die Mdchen auf den Feldern singen, im Herbst, wenn

    die Ernten zu Ende gehen.

    Sagt der kleine Marquis: Ihr seid sehr jung, Herr?

    Und der von Langenau, in Trauer halb und halb in Trotz:Achtzehn.

    Dann schweigen sie.

    Spter fragt der Franzose: Habt Ihr auch eine Braut da-

    heim, Herr Junker?

    Ihr? gibt der von Langenau zurck.

    Sie ist blond wie Ihr.

    Und sie schweigen wieder, bis der Deutsche ru: Aberzum Teufel, warum sitzt Ihr denn dann im Sattel und reitet

    durch dieses giige Land den trkischen Hunden entgegen?

    Der Marquis lchelt. Um wiederzukehren.

    Und der von Langenau wird traurig. Er denkt an ein blon-

    des Mdchen, mit dem er spielte. Wilde Spiele. Und er mchte

    nach Hause, fr einen Augenblick nur, nur fr so lange, alses braucht, um die Worte zu sagen: Magdalena, da ich

    immer so war, verzeih!

    Wie war? denkt der junge Herr. Und sie sind weit.

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Einmal, am Morgen, ist ein Reiter da, und dann ein zweiter,vier, zehn. Ganz in Eisen, gro. Dann tausend dahinter: Das

    Heer.Man mu sich trennen.

    Kehrt glcklich heim, Herr Marquis.

    Die Maria schtzt Euch, Herr Junker.

    Und sie knnen nicht voneinander. Sie sind Freunde auf

    einmal, Brder. Haben einander mehr zu vertrauen; denn

    sie wissen schon so viel Einer vom Andern. Sie zgern. Undist Hast und Hufschlag um sie. Da strei der Marquis den

    groen rechten Handschuh ab. Er holt die kleine Rose hervor,

    nimmt ihr ein Blatt. Als ob man eine Hostie bricht.

    Das wird Euch beschirmen. Lebt wohl.

    Der von Langenau staunt. Lange schaut er dem Franzo-

    sen nach. Dann schiebt er das fremde Blatt unter den Waffen-

    rock. Und es treibt auf und ab auf den Wellen seines Herzens.Hornruf. Er reitet zum Heer, der Junker. Er lchelt traurig:

    ihn schtzt eine fremde Frau.

    Ein Tag durch den Tro. Flche, Farben, Lachen : davon

    blendet das Land. Kommen bunte Buben gelaufen. Raufenund Rufen. Kommen Dirnen mit purpurnen Hten im flu-

    tenden Haar. Winken. Kommen Knechte, schwarzeisern wie

    wandernde Nacht. Packen die Dirnen hei, da ihnen die

    Kleider zerreien. Drcken sie an den Trommelrand. Und von

    der wilderen Gegenwehr hastiger Hnde werden die Trom-

    meln wach, wie im Traum poltern sie, poltern . Und Abends

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    halten sie ihm Laternen her, seltsame: Wein, leuchtend in eiser-

    nen Hauben. Wein? Oder Blut? Wer kanns unterscheiden?

    Endlich vor Spork. Neben seinem Schimmel ragt der Graf.Sein langes Haar hat den Glanz des Eisens.

    Der von Langenau hat nicht gefragt. Er erkennt den Gene-

    ral, schwingt sich vom Ro und verneigt sich in einer Wolke

    Staub. Er bringt ein Schreiben mit, das ihn empfehlen sollbeim Grafen. Der aber befiehlt: Lies mir den Wisch. Und

    seine Lippen haben sich nicht bewegt. Er braucht sie nicht

    dazu; sind zum Fluchen gerade gut genug. Was drber hinaus

    ist, redet die Rechte. Punktum. Und man sieht es ihr an. Der

    junge Herr ist lngst zu Ende. Er wei nicht mehr, wo er steht.

    Der Spork ist vor Allem. Sogar der Himmel ist fort. Da sagt

    Spork, der groe General:Cornet.

    Und das ist viel.

    Die Kompagnie liegt jenseits der Raab. Der von Langenau

    reitet hin, allein. Ebene. Abend. Der Beschlag vorn am Sattelglnzt durch den Staub. Und dann steigt der Mond. Er sieht

    es an seinen Hnden.

    Er trumt.

    Aber da schreit es ihn an.

    Schreit, schreit,

    zerreit ihm den Traum.

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Das ist keine Eule. Barmherzigkeit:

    der einzige Baum

    schreit ihn an:Mann!

    Und er schaut: es bumt sich. Es bumt sich ein Leib

    den Baum entlang, und ein junges Weib,

    blutig und blo,

    fllt ihn an: Mach mich los!

    Und er springt hinab in das schwarze Grn

    und durchhaut die heien Stricke;

    und er sieht ihre Blicke glhn

    und ihre Zhne beien.

    Lacht sie?

    Ihn graust.

    Und er sitzt schon zu Ro

    und jagt in die Nacht. Blutige Schnre fest in der Faust.

    Der von Langenau schreibt einen Brief, ganz in Gedanken.Langsam malt er mit groen, ernsten, aufrechten Lettern:

    Meine gute Mutter,

    seid stolz: Ich trage die Fahne,

    seid ohne Sorge: Ich trage die Fahne,

    habt mich lieb: Ich trage die Fahne

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Dann steckt er den Brief zu sich in den Waffenrock, an die

    heimlichste Stelle, neben das Rosenblatt. Und denkt: er wird

    bald duen davon. Und denkt: vielleicht findet ihn einmal Ei-ner Und denkt: . . . . ; denn der Feind ist nah.

    Sie reiten ber einen erschlagenen Bauer. Er hat die Augenweit offen und Etwas spiegelt sich drin; kein Himmel. Spter

    heulen Hunde. Es kommt also ein Dorf, endlich. Und berden Htten steigt steinern ein Schlo. Breit hlt sich ihnen die

    Brcke hin. Gro wird das Tor. Hoch willkommt das Horn.

    Horch: Poltern, Klirren und Hundegebell! Wiehern im Hof,

    Hufschlag und Ruf.

    Rast! Gast sein einmal. Nicht immer selbst seine Wnschebewirten mit krglicher Kost. Nicht immer feindlich nach

    allem fassen; einmal sich alles geschehen lassen und wissen:

    was geschieht, ist gut. Auch der Mut mu einmal sich strek-

    ken und sich am Saume seidener Decken in sich selber ber-

    schlagen. Nicht immer Soldat sein. Einmal die Locken offen

    tragen und den weiten offenen Kragen und in seidenen Ses-seln sitzen und bis in die Fingerspitzen so: nach dem Bad sein.

    Und wieder erst lernen, was Frauen sind. Und wie die weien

    tun und wie die blauen sind; was fr Hnde sie haben, wie sie

    ihr Lachen singen, wenn blonde Knaben die schnen Schalen

    bringen, von saigen Frchten schwer.

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Als Mahl beganns. Und ist ein Fest geworden, kaum weiman wie. Die hohen Flammen flackten, die Stimmen schwirr-

    ten, wirre Lieder klirrten aus Glas und Glanz, und endlich ausden reifgewordnen Takten: entsprang der Tanz. Und alle ri

    er hin. Das war ein Wellenschlagen in den Slen, ein Sich-Be-

    gegnen und ein Sich-Erwhlen, ein Abschiednehmen und ein

    Wiederfinden, ein Glanzgenieen und ein Lichterblinden und

    ein Sich-Wiegen in den Sommerwinden, die in den Kleidern

    warmer Frauen sind.Aus dunklem Wein und tausend Rosen rinnt die Stunde

    rauschend in den Traum der Nacht.

    Und Einer steht und staunt in diese Pracht. Und er ist sogeartet, da er wartet, ob er erwacht. Denn nur im Schlafe

    schaut man solchen Staat und solche Feste solcher Frauen:ihre kleinste Geste ist eine Falte, fallend in Brokat. Sie bauen

    Stunden auf aus silbernen Gesprchen, und manchmal heben

    sie die Hnde so , und du mut meinen, da sie irgendwo,

    wo du nicht hinreichst, sane Rosen brchen, die du nicht

    siehst. Und da trumst du: Geschmckt sein mit ihnen und

    anders beglckt sein und dir eine Krone verdienen fr deineStirne, die leer ist.

    Einer, der weie Seide trgt, erkennt, da er nicht erwachenkann; denn er ist wach und verwirrt von Wirklichkeit. So

    flieht er bange in den Traum und steht im Park, einsam im

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    schwarzen Park. Und das Fest ist fern. Und das Licht lgt.

    Und die Nacht ist nahe um ihn und khl. Und er fragt eine

    Frau, die sich zu ihm neigt:Bist Du die Nacht?

    Sie lchelt.

    Und da schmt er sich fr sein weies Kleid.

    Und mchte weit und allein und in Waffen sein.

    Ganz in Waffen.

    Hast Du vergessen, da Du mein Page bist fr diesen Tag?Verlssest Du mich? Wo gehst Du hin? Dein weies Kleid gibt

    mir Dein Recht .

    Sehnt es Dich nach Deinem rauhen Rock?

    Frierst Du? Hast Du Heimweh?

    Die Grfin lchelt.

    Nein. Aber das ist nur, weil das Kindsein ihm von den

    Schultern gefallen ist, dieses sane dunkle Kleid. Wer hat es

    fortgenommen? Du? fragt er mit einer Stimme, die er noch

    nicht gehrt hat. Du!Und nun ist nichts an ihm. Und er ist nackt wie ein Heili-

    ger. Hell und schlank.

    Langsam lischt das Schlo aus. Alle sind schwer: mde oder

    verliebt oder trunken. Nach so vielen leeren, langen Feldnch-

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    ten: Betten. Breite eichene Betten. Da betet sichs anders als in

    der lumpigen Furche unterwegs, die, wenn man einschlafen

    will, wie ein Grab wird.Herrgott, wie Du willst!

    Krzer sind die Gebete im Bett.

    Aber inniger.

    Die Turmstube ist dunkel.Aber sie leuchten sich ins Gesicht mit ihrem Lcheln. Sietasten vor sich her wie Blinde und finden den Andern wie

    eine Tr. Fast wie Kinder, die sich vor der Nacht ngstigen,

    drngen sie sich in einander ein. Und doch frchten sie sich

    nicht. Da ist nichts, was gegen sie wre: kein Gestern, kein

    Morgen; denn die Zeit ist eingestrzt. Und sie blhen aus ih-

    ren Trmmern.Er fragt nicht: Dein Gemahl?

    Sie fragt nicht: Dein Namen?

    Sie haben sich ja gefunden, um einander ein neues Ge-

    schlecht zu sein.

    Sie werden sich hundert neue Namen geben und einan-

    der alle wieder abnehmen, leise, wie man einen Ohrring ab-nimmt.

    Im Vorsaal ber einem Sessel hngt der Waffenrock, das Ban-delier und der Mantel von dem von Langenau. Seine Hand-

    schuhe liegen auf dem Fuboden. Seine Fahne steht steil,

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    gelehnt an das Fensterkreuz. Sie ist schwarz und schlank.

    Drauen jagt ein Sturm ber den Himmel hin und macht

    Stcke aus der Nacht, weie und schwarze. Der Mondscheingeht wie ein langer Blitz vorbei, und die reglose Fahne hat un-

    ruhige Schatten. Sie trumt.

    War ein Fenster offen? Ist der Sturm im Haus? Wer schlgt

    die Tren zu? Wer geht durch die Zimmer? La. Wer es auch sei. Ins Turmgemach findet er nicht. Wie

    hinter hundert Tren ist dieser groe Schlaf, den zwei Men-

    schen gemeinsam haben; so gemeinsam wie eineMutter oder

    einenTod.

    Ist das der Morgen? Welche Sonne geht auf? Wie gro ist dieSonne. Sind das Vgel? Ihre Stimmen sind berall.

    Alles ist hell, aber es ist kein Tag.

    Alles ist laut, aber es sind nicht Vogelstimmen.

    Das sind die Balken, die leuchten. Das sind die Fenster, die

    schrein. Und sie schrein, rot, in die Feinde hinein, die drau-

    en stehn im flackernden Land, schrein: Brand.Und mit zerrissenem Schlaf im Gesicht drngen sich alle,

    halb Eisen, halb nackt, von Zimmer zu Zimmer, von Trakt zu

    Trakt und suchen die Treppe.

    Und mit verschlagenem Atem stammeln Hrner im Hof:

    Sammeln, sammeln!

    Und bebende Trommeln.

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Aber die Fahne ist nicht dabei.Rufe: Cornet!

    Rasende Pferde, Gebete, Geschrei,Flche: Cornet!

    Eisen an Eisen, Befehl und Signal;

    Stille: Cornet!

    Und noch ein Mal: Cornet!

    Und heraus mit der brausenden Reiterei.

    Aber die Fahne ist nicht dabei.

    Er lu um die Wette mit brennenden Gngen, durch Tren,die ihn glhend umdrngen, ber Treppen, die ihn versengen,

    bricht er aus aus dem rasenden Bau. Auf seinen Armen trgt

    er die Fahne wie eine weie, bewutlose Frau. Und er findetein Pferd, und es ist wie ein Schrei: ber alles dahin und an

    allem vorbei, auch an den Seinen. Und da kommt auch die

    Fahne wieder zu sich und niemals war sie so kniglich; und

    jetzt sehn sie sie alle, fern voran, und erkennen den hellen,

    helmlosen Mann und erkennen die Fahne

    Aber da fngt sie zu scheinen an, wir sich hinaus undwird gro und rot

    Da brennt ihre Fahne mitten im Feind, und sie jagen ihr

    nach.

  • 7/26/2019 Rilke_Rainer Maria - Der Cornet

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    Der von Langenau ist tief im Feind, aber ganz allein. DerSchrecken hat um ihn einen runden Raum gemacht, und er

    hlt, mitten drin, unter seiner langsam verlodernden Fahne.Langsam, fast nachdenklich, schaut er um sich. Es ist viel

    Fremdes, Buntes vor ihm. Grten denkt er und lchelt.

    Aber da fhlt er, da Augen ihn halten und erkennt Mnner

    und wei, da es die heidnischen Hunde sind : und wir

    sein Pferd mitten hinein.

    Aber, als es jetzt hinter ihm zusammenschlgt, sind esdoch wieder Grten, und die sechzehn runden Sbel, die auf

    ihn zuspringen, Strahl um Strahl, sind ein Fest.

    Eine lachende Wasserkunst.

    Der Waffenrock ist im Schlosse verbrannt, der Brief und dasRosenblatt einer fremden Frau.

    Im nchsten Frhjahr (es kam traurig und kalt) ritt ein

    Kurier des Freiherrn von Pirovano langsam in Langenau ein.

    Dort hat er eine alte Frau weinen sehen.