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AN DER MARMOLADA Unterwegs DAV Panorama 23 Nr. 3/2001 Im Norden bedeckt sie ein Eispanzer, nach Süden fallen ihre Steilwände bis zu 800 Meter ab, mit ihren 3343 Metern ist sie der höchste Berg der Dolomiten: die Marmolada. Der „Königin im Dolomitenreich“ erweist NICHOLAS MAILÄNDER seine Reverenz. Im Felsenreich der 100 Jahre Marmolada-Südwand Unmittelbar rechts und links der Gipfelschlucht wurden Marksteine des alpinen Fels- kletterns gesetzt. 1901 vollbrachte die briti- sche Alpinistin Beatrice Tomasson mit den berühm- ten Dolomitenführern Michele Bettega und Bortolo Zagonel die erste Durch- steigung der Südwand rechts der großen Schlucht. Ein Jahrzehnt lang galt diese Route als eine der schwierig- sten Dolomitenklettereien. 1929 eröffnete der Bergführer Luigi Micheluzzi aus Canazei am Südpfeiler links von der Schlucht die zu jener Zeit schwierigste Route Italiens. Nach mehreren gescheiter- ten Wiederholungsver- suchen wurden Zweifel an Micheluzzis Tat laut; erst recht, als Roberto Perathoner, Teilnehmer der Erstbegehungsseilschaft im August 1932, 150 Meter unter dem Ausstieg stecken blieb und mit Seilhilfe von oben gerettet werden musste. Zwei Wochen später glückte Walter Stösser und Fritz Kast die erste vollstän- dige Wiederholung des Südpfeilers, sie brachten den Beweis für Micheluzzis Erfolg. Beatrice Tomasson und der Führer Arcangelo Siorpaes beim „Posing“ in Cortina d’Ampezzo. 1883 entstand das erste Foto von Beatrice Tomasson im Innsbrucker Studio Senoner (links). Fotos: Sammlung Carlo Gandini/Archiv Hermann Reisach Foto: Rudi Lindner

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DAV Panorama 23Nr. 3/2001

Im Norden bedeckt sie ein Eispanzer, nach Süden fallen ihre Steilwände bis zu 800 Meter ab,

mit ihren 3343 Metern ist sie der höchste Berg der Dolomiten: die Marmolada. Der „Königin

im Dolomitenreich“ erweist NICHOLAS MAILÄNDER seine Reverenz.

Im Felsenreich der

100 Jahre Marmolada-Südwand

Unmittelbar rechts und linksder Gipfelschlucht wurdenMarksteine des alpinen Fels-kletterns gesetzt.1901 vollbrachte die briti-sche Alpinistin BeatriceTomasson mit den berühm-ten DolomitenführernMichele Bettega und BortoloZagonel die erste Durch-steigung der Südwandrechts der großen Schlucht.Ein Jahrzehnt lang galt dieseRoute als eine der schwierig-sten Dolomitenklettereien.

1929 eröffnete derBergführer Luigi Micheluzziaus Canazei am Südpfeilerlinks von der Schlucht die zujener Zeit schwierigsteRoute Italiens.Nach mehreren gescheiter-ten Wiederholungsver-suchen wurden Zweifel anMicheluzzis Tat laut; erst recht, als RobertoPerathoner, Teilnehmer derErstbegehungsseilschaft imAugust 1932, 150 Meter unter dem Ausstieg steckenblieb und mit Seilhilfe von oben gerettet werdenmusste. Zwei Wochen späterglückte Walter Stösser undFritz Kast die erste vollstän-dige Wiederholung desSüdpfeilers, sie brachtenden Beweis für MicheluzzisErfolg.

Beatrice Tomasson und derFührer Arcangelo Siorpaesbeim „Posing“ in Cortina d’Ampezzo.1883 entstand das ersteFoto von Beatrice Tomassonim Innsbrucker StudioSenoner (links).

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Eine alte ladinische Sage er-zählt,dass die Gemahlin des Prin-zen, der vor langer, langer Zeitüber die Dolomiten herrschte,

von einer tiefen, tödlichen Traurigkeit be-fallen wurde.Sie war eine Tochter des Mond-königs und hatte unendliche Sehnsuchtnach den silbern glänzenden Bergen ihrerfernen Heimat. Da kamen die Zwerge ausihren Wohnstätten in den Klüften derDolomiten und spannen zur Zeit des vollenMondes sein Licht zu feinen Silberfäden.Mitihnen überzogen sie die bis dahin dunkeldrohenden Berge.Seit jener Nacht leuchtendie Gipfel der Dolomiten im bleichen, sil-berfahlen Licht, das der heimwehkrankenMondprinzessin alsbald die ersehnte Hei-lung brachte.

Am intensivsten glänzten die bleichenBerge – lis montes pàlyes – aber dort,wo sieam höchsten aufragten: In den schroffenSüdwänden der eisbedeckten Marmolada,der Königin des Dolomitenlandes. Ihr zuFüßen lebte einst eine reiche Frau aus vor-nehmem Geschlecht, die mehrere Töchterhatte. So anziehend sie auch waren – vonder Schönheit ihrer Stiefschwester Conturì-na wurden sie weit überstrahlt.Alle Prinzen,die das Schloss besuchten,sahen nur sie.Da

half es auch nichts, dass die Herrin verbrei-tete, Conturìna sei lahm, blödsinnig undstumm.In ihrem verzweifelten Zorn ließ dieneidische Stiefmutter das schöne Mädchenvon einer Hexe in die Südabstürze derMarmolada bannen, in die parèyes de laMarmolèda. Jahre vergingen und niemandwusste, was aus Conturìna geworden war,als ein Kriegsmann, der droben am einsa-men Ombretta-Pass Wache hielt,den Gesangeiner Frauenstimme vernahm:

Son de saß e no me mèveIch bin aus Fels, und rühr‘ mich nicht,

Son de crèpa en Marmolèda,Ich bin an der Marmolada, aus Berggestein,

Son na fìa arbondonèdaIch bin ein Mädchen verlassen, allein,

E no sè per ké resón!Und ich weiß nicht warum!

Es war ein langes, leidvolles Lied, von demnur noch diese eine Strophe bekannt ist. Alses ausgeklungen war, rief der junge Kriegerin die Wände hinauf und bot Conturìna an,die Felsen zu ersteigen, sobald es Tag ge-worden war, um sie zu befreien. Doch

Zwei weitere Versuche bringen Groh-mann auch nicht weiter. Zu allem ent-schlossen holt er sich schließlich im Spät-sommer 1863 zwei der besten Bergführeraus Cortina d‘Ampezzo,Angelo und Fulgen-zio Dimai.Am Morgen des 28.September er-klimmen die drei den steilen Gletscher, derdie beiden Gipfel trennt, überwinden dieSchlusswand zum Grat und erreichen soden höchsten Gipfel. Um 10 Uhr 37 des 28.September 1864 ist die Königin der Dolo-miten bezwungen.

Nicht ganz fair, aber findigIn den folgenden Jahrzehnten entwickeltesich die Marmolada zu einem der populär-sten Bergsteigerziele in den Ostalpen, dassogar dem berühmten Großglockner Kon-kurrenz machte.Allgemein gelobt wurde die„wunderbare, einzig schöne“ Aussicht vom

nem Thermometer und einigen Notizen andie Felsen nagelte. Hier fand es zwei Jahrespäter Paul Grohmann aus Wien.Zusammenmit dem Führer Pellegrini erreichte der be-deutende Dolomitenerschließer wenig spä-ter den Gipfel der Punta di Rocca. AllemDrängen des Österreichers zum Trotz wei-gert sich Pellegrini aber vehement, zur 33Meter höheren Marmolada di Penia weiter-zusteigen: „Sarebbe un affare di morte!“ –„Das wäre eine Sache des Todes!“

Conturìna musste ihn enttäuschen: In denersten sieben Jahren ihrer Verzauberung wä-re der Fluch noch zu lösen gewesen,nun seies zu spät. Erst mit Anbruch der „verheiße-nen Zeit“ werde der Bann seine Macht ver-lieren.Daran sei nichts zu ändern.Auch heu-te berichten noch manche Wanderer, dienachts im verlassenen Ombretta-Tal unter-wegs sind, sie hätten droben in den Nebelnder Südwand das leise, lockende Klageliedder Conturìna gehört.Und nicht wenige sei-en ihm gefolgt.

Das mag nun sein wie es will. Niemandwird jedoch bezweifeln, dass die Königinder Dolomiten mit ihren Wänden undGraten auf die Bergsteiger von jeher einenunwiderstehlichen Reiz ausübt.Als erste er-lagen ihm ausgerechnet einige geistlicheHerren, die sich am 2. August 1802 auf-machten, um den Gipfel der Marmolada zubezwingen. Don Giuseppe Terza, DonTommaso Pezzei und Don Giovan MattiaCostadedòi, denen sich noch der ChirurgDr. Hauser und der bischöfliche Richter Dr.Peristi angeschlossen hatten,übernachtetenin einer Hütte am Fedajapass. Bei Morgen-grauen des nächsten Tages begannen dieHerrschaften mit dem Aufstieg, doch daskühne Unternehmen nahm ein so abrupteswie tragisches Ende: Don Giuseppe Terzastürzte in eine verborgene Gletscherspalte,die ihn nie wieder hergab.

Mehr Erfolg war da dem Iren John Ballund seinem Gefährten John Birkbeck be-schieden, die den Berg im Jahr 1860 unterder Führung des Chamonixer Führers VictorTairraz über die Nordflanke angingen. IhrAngriff kam allerdings circa 200 Meter unterder Punta di Rocca an einem Grat insStocken, wo John Ball ein Kästchen mit ei-

Die Marmolada mit ihrer vergletschertenNordflanke und dem Fedajasee dahinter.Vorne der Ombrettapass mit der drei Kilo-meter breiten Phalanx der Südabstürze.

Paul Grohmann (1838-1908) war derDolomitenpionier der ersten Stunde.Zwischen 1862 und 1869 erstieg er mit ver-schiedenen Führern viele prominente Gipfel,wie Langkofel, Große Zinne und Marmolada.

Das Contrinhaus, 1897 von der SektionNürnberg erbaut, wurde zu Beginn derKriegshandlungen 1915 zerstört und in denZwanziger Jahren vom CAI wieder aufge-baut. Für die Besteigung des Marmolada-hauptgipfels über den Westgrat ist es einidealer Stützpunkt, der vom Fassatal ausangegangen wird.

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vergletscherten Kulminationspunkt derDolomiten, der auf dem Nordanstieg vomFedajapass aus ohne allzu große Mühen er-reicht werden konnte. Während dieseModetour das Interesse der bergsportlichenÖffentlichkeit fesselte,blieb die Südseite desGebirgsstocks praktisch unbeachtet. Diesänderte sich erst, als der wackere HansSeyffert von der Sektion Nürnberg desDÖAV Mitte der neunziger Jahre auf das al-pinistische Potenzial und die Schönheit dessüdlichen Teils der Marmolada-Gruppe auf-merksam wurde.Kaum war das Contrinhausder Nürnberger Sektion am 28.Juli 1897 ein-geweiht, startete Seyffert eine Werbekam-pagne,vor der manch moderner Marketing-experte neidvoll erblassen würde.

Doch Dr.Seyffert verstand sich nicht nurauf die verbale Touristikpromotion. Ein ver-sicherter Klettersteig über den noch unbe-gangenen Westgrat zum Gipfel der Marmo-lada musste her, um dem Normalweg überden Gletscher die Schau zu stehlen! DieNürnberger machten gleich Nägel mitKöpfen und engagierten Luigi Rizzi,den be-sten Dolomitenführer ihrer Zeit.Am 21. Juli1898 rückte das Dreierteam Rizzi, Seyffertund Dittmann dem plattengepanzertenGrat,der sich aus der Marmoladascharte auf-bäumt, zu Leibe, wenn auch mit Methoden,die heute nicht unbedingt unter „by fairmeans“ laufen würden: „Der kleine Pickelhat fest zu klopfen,einen winzigen Griff fürdie Hand auszumeisseln. Auch das genügtnicht. Luigi treibt in ein winziges Löchlein,das er entdeckt,einen Stift 3 Zentimeter tiefein.Das Seil wird darum gelegt und von unszweien festgezogen. Dann schwingt sichLuigi gegen 2 1/2 – 3 Meter links um dieKante, wie ein Schieferdecker auf seinemFahrstuhle am senkrechten Thurmdache

seine Schwenkungen ausführt.“ Weitere vierStunden raufen Luigi Rizzi und seine fränki-schen Klienten mit dem abweisenden Plat-tenfels,bis sie am Firngrat unterm Gipfel er-leichtert die Steigeisen anlegen können. Essollte allerdings noch ein halbes Jahrzehntdauern,bis Hans Seyffert das eigentliche ZielseinerWünsche erreicht hatte: Am 5.August1903 wurde der Eisenweg über den Mar-molada-Westgrat feierlich eröffnet. Draht-seile und eine Reihe trittfester Eisenklam-mern führten jetzt über den widerborstigenAufschwung empor, der Luigi Rizzi so zuschaffen gemacht hatte.

Während die Nürnberger am Westgratherumwerkelten, war die benachbarte, 600Meter hohe Südwand der Marmolada in dasZentrum des Interesses der kletterndenAvantgarde gerückt. Im Anschluss an ihreErstbesteigung des Campanile Basso in derBrenta hatten Otto Ampferer und KarlBerger 1899 ihr Glück auch an der Marmo-lada versucht.Allerdings mit bescheidenemErfolg. Als es einigen Bergführern ausCampitello und Cortina auch nicht bessererging, begann die Dolomitenkletterszenedes Fin de Siècle die Ohren zu spitzen.

Wo ein Wille ist, ist auch ein WegAusgerechnet ein englisches Fräulein hattesich in den Kopf gesetzt, dem abschrecken-den Gemäuer der Südwand den erstenDurchstieg abzuringen. Beatrice Tomassonwar eine ernstzunehmende Anwärterin.Denn der 1849 nahe dem nordenglischenRetford geborenen Tochter eines Gutsbe-sitzers waren in den Jahren 1897 und 1898als Klientin der besten Dolomitenbergfüh-rer zahlreiche Erstbesteigungen geglückt so-wie die zweite Begehung der Laurinswand-

Der heute übliche Normalweg zum Marmoladahauptgipfel, der Klettersteig über den Westgrat, wurde 1898 unter Führung von Luigi Rizziaus Campitello erstmals begangen, und 1903 als Klettersteig eingeweiht. Links im Hintergrund die Felsen des Gran Vernel. Unten: Der Kulminationspunkt der Dolomiten, das Gipfelkreuz auf der Punta Penia, einer der meistbesuchten Höhepunkte südlich desAlpenhauptkamms.

Der Bergführer Luigi Rizzi kletterte bereitsum 1900 im Alleingang bis zur ersten Süd-Wandterrasse. In den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg bildete er mit dem Führer Angelo Dibonaund den Brüdern Mayer eine der erfolg-reichsten Seilschaften und eröffnete einigeder bedeutendsten Routen der Epoche, z. B. an der Lalidererwand im Karwendelund am Croz dell’Altissimo in der Brenta.

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Westwand, der damaligen „Toproute“ imRosengarten-Gebiet.Mit keinem Geringerenals Luigi Rizzi!

Im Sommer 1900 stellte Letzterer in derMarmolada-Südwand eindrucksvoll unterBeweis, dass er sich nicht nur aufs Griffe-schlagen und auf trickreiche Seilmanöververstand. Während seine britische Kundinvom Ombrettagrat aus zuschaute, wagteRizzi im Alleingang in den Platten rechts derGipfelschlucht einen Vorstoß zur ErstenTerrasse der in drei Etagen gegliedertenWand. Dabei musste er im Auf- und Abstiegohne Sicherung Stellen im vierten Schwie-rigkeitsgrad bewältigen. Eine Meisterleis-tung und ein Meilenstein in der Geschichtedes freien Kletterns! Obwohl damit derSchlüssel zur Südwand gefunden war,zogenTomasson und ihr Guida wieder unverrich-teter Dinge ab.Die Chronisten sind sich un-eins, ob die überhöhte Honorarforderungdes Starführers daran Schuld hatte oder einplötzlicher Schlechtwettereinbruch.

Wie dem auch gewesen sein mag – imFrühsommer des Jahres 1901 engagierteMiss Tomasson das bewährte FührerteamMichele Bettega und Bortolo Zagonel ausder Pala.Am 29. Juni fand sich die Südwand-Seilschaft im Hotel Belvedere in Caprile ein.Verstärkt durch zwei lokale Führer, AgostinoSoppelsa und Nepomuco Dal Buos,stieg diekleine Expedition am nächsten Morgen inRichtung Marmolada auf und übernachteteauf der Alpe Ombretta.Am 1.Juli 1901 über-nimmt Bettega im Morgengrauen den Vor-stieg in den glatten, teilweise senkrechtenKaminen,die östlich unterhalb des Ombret-tapasses zum rechten Ende der ErstenTerrasse emporziehen.Die Schwierigkeiten,die der bereits 47-jährige Führer aus Fiera diPrimiero meistern muss, übertreffen alles,was ihm bisher begegnet ist.Um eventuelle

Zweifler von vornherein zum Schweigen zubringen,hinterlassen die Erstbegeher in derSüdwand mehrere Haken sowie Zeitungs-bandarolen,die an „Miss Tomasson,Cortina“,adressiert sind.

Im oberen Wanddrittel gerät das nur mitdem Allernötigsten ausgestattete Team in ei-nes der gefürchteten Marmolada-Gewitter.Bettega gibt den Vorstieg an seinen jungenKollegen Zagonel ab, der das Unternehmenin den verschneiten Platten zu einem gutenEnde bringt. Indessen haben die beidenFührer aus Caprile das schwere Gepäck derSeilschaft auf den Gipfel der Marmolada diPenia geschafft. Hier harren sie im Schnee-sturm aus und begrüßen die Südwandbe-zwinger mit warmer Bekleidung,genageltenBergschuhen – und Champagner! MicheleBettega sollte den Tag seines großen Erfolgsein Leben lang in bester Erinnerung behal-ten.Nicht zuletzt wohl wegen des geradezufürstlichen Honorars,das ihm zuteil wurde:Die Marmolada-Südwand war der engli-schen Lady immerhin 400 Kronen wert.Füreine vergleichbare Summe lassen sich be-tuchte Zeitgenossen heute auf den MountEverest führen.

Außer einer fünfzeiligen Meldung in denMittheilungen des DÖAV fand die bedeu-tendste bergsteigerische Leistung des Jahres1901 in der alpinen Presse keinen Nieder-schlag.Auch ein fast 40-seitiges Marmolada-Kapitel in der DÖAV-Zeitschrift des Jahres1905 widmete Miss Tomasson* und ihrenFührern gerade ein paar Sätze, an die sichein langer Bericht von Georg Leuchs überdie zweite Durchsteigung der Wand am14./15. September 1902 anschloss.

Allerdings lässt Leuchs bezüglich derLeistung seiner Vorgänger keine Zweifel auf-kommen: „Die Südwand der Marmolata hatuns einen Eindruck hinterlassen,wie wenigandere Klettertouren.“ Ihr Ruf als eine deranspruchsvollsten Führen in den Alpen hieltsich fast zehn Jahre lang und begann erst zubröckeln,als Leute wie Dibona,Haupt,Piaz,Preuß und Dülfer kurz vor dem ErstenWeltkrieg zum Quantensprung ins moderneExtremklettern ansetzten.

Kaum einer dieser Feuerköpfe dürfte je-doch geahnt haben,dass ihr Tun – vor allemin den Dolomiten – seitens der Militär-strategen sehr genau registriert wurde. ImErsten Weltkrieg war das Bollwerk derMarmolada-Südwand ab 1916 entscheiden-der Bestandteil der Front zwischen Contrin-tal und Fedajapass: Von der Marmolada-scharte über den Westgrat und den Haupt-gipfel bis hin zur Quote 3063 Meter wurde

der Kamm im Auftrag der k. u. k. Heeres-leitung mit einer ununterbrochenen Kettevon Geschützen, Feldwachen, Beobach-tungsposten und Signalstationen gespickt.Als nach der Isonzoschlacht im November1917 der Wahnsinn an der Marmolada zuEnde ging, hatten hier Tausende Menschenihr Leben gelassen.

Schwerer als die „Wand der Wände“Nachdem der Kanonendonner verhallt warund sich der Pulverdampf verzogen hatte,wurde es still im Reich der Conturìna.Denndie Marmolada-Südwand geriet immer mehrin den Schatten von Anstiegen wie demPreuß-Riß an der Kleinsten Zinne oder denWegen von Angelo Dibona am Langkofel-Nordpfeiler und in der Einserkofel-Nord-wand, die in den Dolomiten inzwischen alsdie maßgeblichen Touren galten. Emil

Solleder sorgte dann in den Jahren 1925 und1926 mit seinem grandiosen Hattrick –Civetta-Nordwestwand,Furchetta-Nordwandund Sass Maor-Ostwand – endgültig dafür,dass die Marmoladawand unter „ferner lie-fen“ gehandelt wurde. Die vierte Begehungder Civettawand, der „Wand der Wände“,holte sich am 18./19. August 1929 derPforzheimer Alpinstar Walter Stösser zusam-men mit seinen Kameraden Ludwig Hallund Fritz Schütt. Und Stösser wäre nichtStösser gewesen, hätte er dabei nicht denSüdpfeiler der Marmolada bemerkt,der we-nige Kilometer im Norden schroff in denHimmel strebte. Seiner Sache sicher, hobsich der Spitzenkletterer aus dem Battert dieLösung „des vielleicht größten Dolomiten-problems“ für die nächste Saison auf.

Die Nachricht, die sich keinen Monatspäter wie ein Lauffeuer in der Kletterszeneverbreitete, muss Stösser wie ein Blitz aus

* Ein ausführliches Porträt der Alpinistin BeatriceTomasson finden Sie im Alpenvereins-Jahrbuch2001, das bei der DAV Service GmbH erhältlich ist.

Keine „Plaisirtour“: Die klassische Südwandroute bietet ernste Umgebung und Alpinkletterei mit oft spärlichen Sicherungsmöglichkeiten.Links die schwierigen Kamine bis zur ersten Terrasse, rechts der Ausstieg aus der großen Verschneidung vor der zweiten Terrasse.

Die große Verschneidung vor der zweiten Terrasse (links) und die Schluchtrinne vor dem Ausstieg zum Gipfelgrat der Punta Penia. Rechts: am Gipfelgrat bietet sich ein informativer Ausblick auf die Punta Rocca (3309 m) und den Ombrettagipfel (3247 m) mit derSeilbahnstation. Ganz hinten die Spitze des einsamen Piz Seràuta.

Beatrice Tomasson (1859-1947) zählte zuden leistungsfähigsten Alpinistinnen ihrerZeit.

Die Bergführer aus Fiera di Primierogehörten zu den begehrtesten ihrerBranche: von links Bortolo Zagonel,Michele Bettega, Guiseppe Zecchini undAntonio Tavernaro. Vor allem in denDolomiten westlich des Cordevoletals hin-terließen sie zahlreiche Erstbegehungen.

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heiterem Himmel getroffen haben: Am 6./7.September hatten die beiden FassanerBergführer Luigi Micheluzzi und RobertoPerathoner zusammen mit dem IngenieurDemetrio Cristomannos „Stössers“ Traum-pfeiler bereits im ersten Versuch einenDurchstieg abgerungen. Micheluzzi, der„Capo Cordata“, machte wenig Aufhebensvon seinem Erfolg. Im Annuario 1929–1930der Società Alpinisti Tridentini veröffent-lichte er lediglich eine knappe Anstiegsbe-schreibung. Aber die dürren technischenAngaben belegen,dass sich Luigi Micheluzzider Bedeutung seiner genialen Erstbege-hung durchaus bewusst war:Benötigte Zeit:30 Stunden mit einem Biwak, eigentlicheKletterzeit: 10 Stunden. Wandhöhe: 600Meter. 6.–7. September 1929 – VII.

Nachdem ihnen ein unbekannter Berg-führer aus dem Fassatal ihr Projekt wegge-schnappt und auch noch den VII. Grad fürseine Neutour reklamiert hatte, setztenStösser und Schütt alles daran, sich wenigs-tens die Zweitbegehung zu sichern. VierAnläufe startete die erfolgsgewohnte Seil-schaft allein im August 1930,die aber alle amWetter oder an der grausamen Vereisungscheiterten. Erst im Jahr 1932 ist WalterStösser mit seinem bewährten Kameradenvon der Klettergilde Battert, Fritz Kast, er-folgreich.Aber der „Sieg“ wird ihnen nichtgeschenkt. Im strömenden Regen kämpfensie sich durch den teils vereisten Schluss-kamin:„Ein wilder Bach tobte zwischen denWänden herab... Die Kälte schüttelte uns,dass die Zähne aufeinanderschlugen, freiesStehen war unmöglich,die zitternden Beinevermochten den Körper nicht mehr zu hal-ten. Erst wenn beim Klettern jeder Muskelangespannt war, da zwang die Arbeit auchwieder die Nerven zu ihrer Pflicht.“

Stössers eindrucksvoller Bericht in derDÖAV-Zeitschrift 1933 unterstrich die Meis-terklasse der Führe und ihrer Erschließer.Begeistert feierte die italienische Bergstei-gerschaft den Erfolg ihrer Landsleute.„Siebter Grad,direkter,schöner,schwierigerals alle Führen, die von Ausländern in unse-ren Alpen erstbegangen wurden“ bewerteteEttore Castiglioni im Jahr 1937 die Leistungvon Micheluzzi – der Anfang vom Ende derdeutschen Dominanz in den Dolomiten. Esist das Urteil eines Berufenen, der selbst andieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligtwar.

Castiglioni hatte wiederholt mit Versu-chen an der stark überhängenden Südwest-wand ins Erstbegehungsgeschäft an derMarmolada eingegriffen.Nach einem Erkun-dungsvorstoß im Sommer 1935 gelingt esCastiglioni, den renommierten FelsgeherBruno Detassis aus Madonna di Campigliofür sein Projekt zu begeistern. Es waren al-lerdings zwei Kletterer von der traurigenGestalt, die sich da Ende August 1936 aufdem Ombrettaweg dem Einstieg nähern:Castiglioni hinkt am Stock daher, eine übleMagenverstimmung verleiht Detassis dasAussehen einer wandelnden Leiche.Immer-hin kommt das gehandicapte Duo bis zurVerschneidung oberhalb der ZweitenTerrasse, wo sie aus „hygienischen Grün-den“ den Rückzug antreten. Nicht ahnend,dass ein ernsthafter Konkurrent in denStartlöchern scharrt, reist Ettore Castiglioninach Breuil im Aostatal, um an derMitgliederversammlung des Club AlpinoAcademico Italiano teilzunehmen.Danach –so hat er sich fest vorgenommen – wird erdie Rechnung mit der Südwestwand end-gültig begleichen.

Besiegte SiegerWährend Castiglionis kurzer Abwesenheitschlägt sein Mitbewerber zwei Mal zu: Am25./26. August durchsteigt Gino Soldà zu-sammen mit F.Bertoli die Direkte Nordwanddes Langkofels und findet sich bereits einenTag später auf dem Rifugio Contrin ein, ummit Umberto Conforto das nächste Projektabzuhaken.Am 29.August legen sie Hand anden Fels und kommen immerhin 40 Meterweiter als ihre Vorgänger, ehe sie biwakie-ren. Gino Soldà ist einiges gewöhnt – imLauf des vergangenen Monats hat er nichtweniger als fünf Erstbegehungen im sechs-ten Grad bewältigt. Doch die Schwierigkei-ten in dieser Marmolada-Wand lassen alles,was er bisher gemacht hat,verblassen.Selbstdie Cassin-Führe an der Westlichen Zinne!

Die Südwestwand der Marmoladaim Abendlicht. Der Routenverlaufdes Südpfeilers wird im unterenTeil von der Licht-Schattengrenzemarkiert. Die große Verschneidungder Soldàroute im Wandteil linksdes Südpfeilers ist gut erkennbar.

Luigi Micheluzzi im November 1929 bei einer Parade in Rom.

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Am nächsten Tag ringen die Italiener der ex-trem abdrängenden Wand gerade 60 Meterab, dann verbringen sie in den Seilen hän-gend die Nacht. Trotz Schlechtwetterein-bruch und starker Vereisung der Gipfel-schlucht führt Soldà seinen Kameraden amdritten Tag sicher aus dieser „furchtbarenWand“. So der Erstbegeher im O-Ton.

Auf den Erfolg seiner Konkurrenten rea-giert Castiglioni auf für ihn typische Weise:Zwei Tage nachdem sich ein anderer dieSüdwestwand geholt hat, nimmt der „Aka-demiker“ die Lösung des „letzten“ noch of-fenen Marmolada-Problems in Angriff – die790 Meter hohe Südwand der Punta diRocca.Er greift dabei auf eine Geheimwaffezurück.Die ist 24 Jahre alt,1 Meter 80 groß,wiegt 62 Kilogramm – und heißt JohannBaptist Vinatzer. Der aus St. Ulrich imGrödnertal stammende „Battista” Vinatzerhat sich seit Anfang der dreißiger Jahredurch die Erschließung schwierigster Dolo-mitenwände einen hervorragenden Namenerworben;so gelten der 1931 durchstiegene„Stevia-Riss“ und der ein Jahr später vonVinatzer erstbegangene Weg in der Fur-chetta-Nordwand als die weltweit erstenRouten an der Grenze zum echten siebtenGrad. Da Vinatzer die Punta-di-Rocca-Wandbereits im Vorjahr versucht hat, will er sienur unter der Bedingung mit Castiglioni an-gehen, dass dieser ihm vom Kar bis zumGipfel den Vorstieg einräumt.Total konzen-triert und sicher bewältigt der junge Gröd-ner den 200 Meter hohen überhängendenWandsockel,Castiglioni folgt als Seilzweiterund leidet dabei mindestes so sehr unterder demütigenden Nachsteigerrolle wie un-ter dem schweren Rucksack.Es ist keine be-sonders glückliche Seilschaft,die am Abenddes 3.September 1936 die anspruchsvollsteFühre der Dolomiten in der Tasche hat:Castiglioni und Vinatzer einigen sich darauf,im Tal weiterhin gute Freunde zu sein, abernie wieder miteinander zu klettern.

Wenige Jahre nach diesem bittersüßenErfolg setzte ein schwerer Skiunfall Vinat-zers klettersportlicher Karriere ein jähesEnde. Kurz darauf wurde der Zweite Welt-krieg erklärt. Man eroberte und wurde ge-schlagen. Im März 1944 starb Ettore Castig-lioni unter mysteriösen Umständen untermFornopass im Bergell. Keine hundert Kilo-meter entfernt erschossen italienische Parti-sanen ein gutes Jahr danach Benito Musso-lini.Wenige Tage später wurde in Berlin diebedingungslose Kapitulation unterzeichnet,das „Tausendjährige Reich“ war in Schuttund Asche versunken – und bald fandenwieder gute Kletterer den Weg in die Mar-moladawand.Hier wiederholten sie – selbst

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Bepi, der BerserkerDer italienische Autor, Verleger und Bergsteiger Bepi Pellegrinon

gibt im Jubiläumsjahr der Marmolada-Südwand-Erstbegehung eine

neue Monografie heraus. Anlass genug, den rastlosen Belluneser

einem breiteren Publikum vorzustellen.

Wir melden uns im Archiv desAlpinen Museums auf derPraterinsel artig an, vereinbaren

mit dem ehrenamtlichen Betreuer Johan-nes Merk,der mit Argusaugen die kostba-ren Originale hütet, einen Rechercheter-min für das neue Marmoladabuch vonPellegrinon und Hermann Reisach. ImJanuar 2001 kommt es dann zur Begegnungund nach kurzem Vorgeplänkel – die Recher-cheliste ist schnell abgehakt – wühlt sichBepi durch Schachteln,Hängeordner,Bilderstapel und Archivschränke und ent-deckt eine Rarität nach der anderen,diebislang nicht zuzuordnen war.

Damit muss man leben,dass einer,derüber 1000 Klettertouren, rund 50 Erstbege-hungen,30 Bücher und einen Verlag mitbislang über 300 Publikationen auf derHabenseite verbucht, keine halben Sachenmacht.Wenn Bepi auf Touren kommt, ist ernicht mehr zu bremsen,weder als Festred-

ner noch als Festgast.Der „workaholic“schuftet und genießt voller Leidenschaftund macht dabei wahrscheinlich nochnicht einmal einen Unterschied.

1942 in Falcade geboren,begann diealpine Steilkarriere für den 17-jährigen miteinem Paukenschlag. Seine erste Tour wareine Winterbesteigung des gewaltigenMonte Agner über dem Val San Lucano.Esfolgten 30 Wintererstbegehungen und zahl-reiche Neutouren,darunter die DirekteWestwand am Pan di Zucchero und die Via Irma in der Ciavazes-Südwand.BepisTemperament macht es dem Interview-partner nicht leicht:Welche Touren warenfür ihn die schönsten? Alle.Welche Erleb-nisse sind ihm besonders in Erinnerung?Jedes Erlebnis ist unauslöschlich.WelcheSeilpartner sind ihm besonders ans Herzgewachsen? Habe alle gekannt und jedengemocht.

Toni Hiebeler, der mit seiner Frau 1984bei einem Hubschrauberabsturz ums Lebenkam, scheint ihm allerdings besonders ansHerz gewachsen zu sein.Genauso DieterHasse, zu dem er ständigen Kontakt hältund mit dem er ein Denkmal in Alleghe ent-hüllt hat, zur Erinnerung an die Erstdurch-steigung der Civetta-Riesenmauer durchEmil Solleder und Gustav Lettenbauer.Tags drauf bei der Ehrung der emeritiertenBergführer von San Martino und Agordodasselbe:Pellegrinon hält die Festrede unddie alten Haudegen freuen sich über dendeutschen Gast.Nein,den berühmten„Chiebeler“ habe ich nicht mehr kennen-gelernt, „Chasse“ schon.

Ursprünglich hatte Pellegrinon einejournalistische Laufbahn eingeschlagen,doch dann lenkten seine Bergleidenschaftund sein unermüdlicher Einsatz für dieRegion,die Mitmenschen,den HeimatortFalcade und die gleichgesinnten Bergka-meraden die Lebensbahn entsprechendum: In den 70er Jahren war er Berater fürden Tourismusverband von Belluno,Vorsit-zender des Fremdenverkehrsamts vonAgordo, zwei Legislaturperioden lang alsüberzeugter Sozialist Bürgermeister von

Falcade und von 1981-1987 Vizepräsident des Club AlpinoAccademico Italiano.

„Ich liebe meine Freunde und meine Menschen. Als Bürger-meister hatte ich die Möglichkeit,Gutes für sie zu tun,mehr wollteich nicht erreichen.“ Das sieht man den Lebensverhältnissen auch unverhüllt an.Weder vor noch hinter der Eingangstür derWohnung in Falcade häufen sich Reichtümer.Nur Bücher türmensich in der gesamten Wohnung,mit Ausnahme des Schlafzimmers.Das verteidigt Luciana,die Frau,die das alles aushält, als bücher-freie Zone wie eine Löwin.Das Archiv von Gunther Langes, vonArturo Andreoletti,Gemälde zeitgenössischer Bergmaler undUnmengen längst vergriffener Bergbücher,die jeder Raritäten-Sammlung öffentlicher Bibliotheken zur Ehre gereichen würden –dies sind die sichtbaren Schätze,die Bepi Pellegrinon angehäufthat.

Als Bergsteiger und Verleger – 2001 feiert er in Falcade mit einer Ausstellung das 30-jährige Jubiläum seines Verlags „NuoviSentieri“ – hat er in ganz Europa Freunde fürs Leben gewonnen,wie eben Hermann Reisach oder Dietrich Hasse.Nun,nachBeendigung aller politischen Ämter, kann sich Pellegrinon endlichin seine Lieblingsarbeit stürzen:Bücher herstellen. Für 2001 (Stand März 2001) stehen – gerade hat er Werke über die Schleier-kante,die Civetta-Nordwestwand und über Attilio Tissi publiziert –Monografien über die Marmolada und den Focobon sowie eineBiografie über den Maler,Dichter und Bergsteiger Alfredo Palusellian.

Über seine Recherchen im Münchner Archiv hat Pellegrinon inzwischen Gefallen an den Stippvisiten gefunden und JohannesMerk hat sich über die Faszination des Grauens mit dem Bellu-neser Naturereignis abgefunden.

Nun ist er auf die Münchner Schule und die Arbeiterbergsteigerder 30er Jahre gestoßen.„Wäre schon komisch,wenn ein Verlegeraus Falcade auf die Praterinsel kommen muss,um über die Münch-ner Bergsteigerszene der dreißiger Jahre ein Buch zu schreiben“sagt er und das Blitzen in seinen Augen verrät, dass der bellunesi-sche Berserker schon bald wieder zuschlagen wird. Lutz Bormann

Bücher und Berge, die Leidenschaftenvon Bepi, führen zu Bergen vonBergbüchern in seinem Domizil inFalcade.

Es gibt kaum einen Dolomitenkletterer, den Bepi nicht kennt: im Bild Erich Abram, der in den 50er und 60er Jahren zur erstenGarnitur der Südtiroler Kletterer zählte. Beide waren auch an derMarmolada erfolgreich: Abram u. a. 1951 mit der ersten vollständi-gen Wiederholung der Vinatzerroute und 1950 der fünftenBegehung der Soldàroute; Bepi mit der ersten Wiederholung desConfortorisses 1964 mit der Münchnerin Daisy Voog.

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im Winter – die inzwischen klassischenWege und eröffneten auch manch schwieri-gen neuen Anstieg.So bewundernswert die-se Leistungen auch waren, so sprengten siedoch nicht jenen Rahmen, den Männer wieSolleder, Micheluzzi, Detassis, Castiglioni –und besonders Battista Vinatzer – abgesteckthatten.

Moderne ZeitenDass die von Vinatzer an der Marmolada diRocca definierten Grenzen des frei Kletter-baren auch ausgerechnet in dieser Wandüberwunden wurden, ist ein eigenartigerZufall der Alpingeschichte. Am 17. August

der Tscheche Igor Koller mit dem Gedan-ken, einen Weg über diesen Pfeiler zu eröff-nen. Aber Koller ist kein Träumer. Am 2.August 1982 nimmt er ihn zusammen mitIndrich Sustr in Angriff, rechts vom Versuchdes Hausmeisterpaares, wo der Fels nochunnahbarer emporschießt. Drei Tage späterbringen die tschechischen Könner,ohne ei-nen einzigen Bohrhaken zu schlagen, ihrMeisterwerk zum Abschluss – den „Wegdurch den Fisch“.Als Schwierigkeitsbewer-tung werfen sie VII, A0 und A1 aus. DieTiroler sparen nicht mit Kritik, denn mitdem Einsatz von Haken, Klemmkeilen undSkyhooks zur Fortbewegung haben dieEindringlinge gegen die ungeschriebeneHausordnung dieses Alpenwinkels ver-stoßen.

Kurz entschlossen zeigt Mariacher allen,die es noch nicht verstanden haben sollten,wie man an der Marmolada Erstbegehungenzu machen hat und zaubert in reiner Frei-

Kameraden Heinz Mariacher und dessenLebensgefährtin Luisa Iovane zu den Haus-meistern der Marmoladawand, die das Erst-begehungsgeschäft in der kilometerlangenMauer praktisch unter sich ausmachen.Heinz braucht also niemanden um Erlaubniszu fragen, als er im Sommer 1980 mit Luisain den abschreckenden, rundlichen Platten-pfeiler einsteigt, der aus dem Kar lotrechtzum Gipfel der Marmolada d’Ombretta em-porzieht. Das Paar gelangt ungefähr bis inWandmitte,verschiebt die komplette Durch-steigung jedoch in der Gewissheit,dass hieraußer ihnen selbst oder dem engerenFreundeskreis eh niemand den Hauch einerChance hätte.

Natürlich kann Heinz Mariacher nichtwissen, dass im fernen Prag ein ziemlichdurchtrainierter „Jemand“ täglich mehrereStunden vor einem großen Schwarzweiß-bild sitzt, das ausgerechnet seine „Silber-platten“ zeigt. Schon seit Jahren spielt auch

Aber selbst der Ikonen-Zerdepperer ausdem Villnößtal hätte wahrscheinlich überdie zwei Bürschchen gestaunt, die am 20.November 1979 durch die Südwand derMarmolada d’Ombretta stürmten. LudwigRieser aus Mayrhofen und der ÖtztalerReinhard Schiestl zählen zur Elite einer neu-en Generation Tiroler Kletterer, gleicher-maßen verwurzelt in ihrer heimischenBergsteigertradition wie erfüllt von demüber den Atlantik frisch herüberwehendenGeist des Freeclimbing. Schon ihr Aufzugund ihre Ausrüstung provozieren: An dieglattsohligen Kletterpatschen und den Hüft-gurt hat man sich ja inzwischen fast ge-wöhnt, aber dass der „Rieser Luggi“ seinenSteinschlaghelm mit einem Zylinderhut unddie Bergjacke gegen einen gelben, lang-schössigen Frack getauscht hat,das ist schonallerhand! Und im Kreuz haben die traditi-onsbewussten Felsrebellen nicht etwa ei-nen schweren Rucksack mit der Biwakaus-rüstung, sondern einzig ihr Kletterkönnen.In knapp zwei Stunden ist das große Band inWandmitte erreicht. Dort verschlägt es ih-nen aber schier den Atem. Denn die 400Meter hohe, nahezu ungegliederte Platten-wand erscheint aussichtslos. Doch sie kom-men höher, fast ohne Haken zu schlagen.Acht Stunden nachdem „Luggi“ und Rein-hard eingestiegen sind, ist mit der seltenwiederholten Original-Schlüsselstelle dersiebte Grad auch an der Marmolada Wirk-lichkeit und ihre Route vollendet. Sie heißt– warum wohl? – „Schwalbenschwanz“.

In den folgenden Jahren entwickeln sichdie beiden Tiroler zusammen mit ihrem

1969, nach mehr als 30 Jahren der Stagna-tion oder gar des Rückschritts, ist die Zeitendlich reif. Am Vortag war der damals24-jährige Reinhold Messner im Alleingangzum Biwakplatz auf dem großen Band inWandmitte heraufgestiegen. Die Schlüssel-seillängen der Vinatzerführe sind ihm allei-ne auch nicht schwerer gefallen als sonst –business as usual. Seit Monaten hat sich derSüdtiroler systematisch vorbereitet, um ei-nen Traum Wirklichkeit werden zu lassen:Dort,wo die Erstbegeher nach rechts in dieAusstiegsschlucht gequert waren,will Mess-ner einen Weg gerade durch den vierhun-dert Meter hohen Plattenpanzer der Gipfel-wand finden.Dass hier in freier Kletterei et-was auszurichten ist,hält damals außer ihmkein Mensch für möglich. Doch er ist inHochform und von seinem Können über-zeugt.Analytisch und gelassen tastet sich derAlleingänger über das Plattenschild empor,bis sich ihm ein senkrechter Aufschwungentgegenstellt. Hier ist absolute Entschlos-senheit gefragt.An einigen Haken gesichert,gelingt es Messner, die Schlüsselstelle derWand an weit auseinander liegenden Grif-fen zu meistern. Die Passage gehört zu denschwierigsten,die er je geklettert ist. Aber erhat gewonnen – der Weg zum Gipfel ist frei.In der Fachwelt herrscht heute Einigkeitdarüber, dass diese Erstbegehung an derPunta di Rocca als eine der größten kletter-sportlichen Leistungen Reinhold Messnerszu werten ist.Vor allem zeigt sich in diesemWeg jedoch ein neuer Geist im Klettersport,welcher dabei ist, vor der Vokabel „unmög-lich“ jeden Respekt zu verlieren.

Hans Vinatzer (1912-1993) eröffnete 1936an der Punta Rocca (oben in Bildmitte) seine berühmteste Route, die über Jahr-zehnte hinweg zum Standardprogrammder besten Kletterer zählte.1932 stieß er an der Direktroute durch dieFurchetta-Nordwand in den siebten Gradvor. Diese Tour zählt bis heute kaum 20Begehungen und zeugt heute noch vomexzellenten Können des Grödners.

An der Südwand derMarmolada rechts derTomassonroute haben sich die Spitzenklettereraller nachfolgendenGenerationen seit den30er Jahren ihre Denk-mäler gesetzt. Vor allenArmando Aste mit der Viadell Ideale (1964) im plattigen Wandbereichunter der Seilbahnstation.Durch die kompaktePlattenzone etwas weiterrechts fand Igor Koller1981 seinen „Weg durchden Fisch“, der in unserenTagen zur Messlatte der-jenigen geworden ist, diesich der Elite zugehörigfühlen.

Mit der Route „ModerneZeiten“ (VII+) hat sichHeinz Mariacher 1982 zusammen mit seinerLebensgefährtin LuisaJovane verewigt. Große Hakenabständeund kleine Fingerlöchersind ein typischesCharakteristikum dieserimmer noch besonders an-spruchsvollen Route, in derOrientierungsvermögen,Nervenstärke und derSiebte Sinn des Alpinistengefordert sind. In derPlattenzone zwischen derGognaroute und denLinien von Vinatzer undMessner bewegt sich eine der interessantestenDolomitenklettereien fürTopleute.Gleich kurze Zeit nach derErstbegehung erfolgte dieerste Wiederholung durchWolfgang Güllich (✝ ) undNorbert Sandner.Die erste Solobegehunggelang als „free solo“Maurizio Giordani imAugust 1985.

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kletterei links von der Vinatzer-/Messner-führe seine Route „Moderne Zeiten“ durchdie Wandflucht der Punta di Rocca.VII+,oh-ne Löcher und Laschen! Die Wiederholerdes neuen Spitzenweges sind beeindruckt,doch in Insiderkreisen wird die Frage immerlauter, warum die zweite Begehung desWeges der Tschechen so lange auf sich war-ten lässt.Heute ist die Antwort klar.Denn inder Liste jener,die am Quergang über die ge-streifte Platte in der berüchtigten 13.Seillänge einen mehr oder weniger dynami-schen Rückzug antreten mussten,stehen in-zwischen viele der bekanntesten Klettererunserer Zeit.Der „Weg durch den Fisch“,erläuft offiziell unter VII+,A1 oder IX-/IX, giltfast zwei Jahrzehnte nach seiner Erstbege-hung immer noch als einer der anspruchs-vollsten Anstiege in den gesamten Alpen,ganz gleich ob hier und da ins Metall gegrif-fen wird oder nicht.

Ein Traum aus SteinDie emsigen Erschließungsaktivitäten zuBeginn der achtziger Jahre rückten dieMarmolada ins Zentrum des Interesses deralpinen Sportkletterer. Schon 1983 warenan schönen Wochenenden oft mehrereSeilschaften in jeder der gängigen neuenFühren unterwegs,die schnell zu modernenKlassikern avancierten.Auch die Helden derersten Stunde blieben weiterhin aktiv. Vorallem Luggi Rieser, der – seit Mai 1982Schüler des indischen MeditationsmeistersOsho – jetzt auf den Namen Swami PremDarshano hörte, sorgte dafür, dass das Mar-molada-Menü immer reichhaltiger wurde.

Doch wer denkt, Darshano habe derQuantität die Qualität geopfert, liegt dane-ben! Unbeirrt von den minimalen Erfolgs-chancen nahm er zusammen mit demNachwuchstalent Ingo Knapp auch diegrau-schwarze, überhängende Zone in derOmbrettawand in Angriff, die links jenesWandwulsts emporschießt, der von denKletterern allgemein als „Elefantenbauch“bezeichnet wird.Doch bereits nach einigenSeillängen zeigte ihnen eine kompaktePlattenpassage unmissverständlich dieGrenzen ihrer Kletterkunst auf. Um keinenPreis wollten sie sich mit Bohrhaken undTrittschlingen über dieses Hindernis hin-wegmogeln und seilten deshalb ab.Denn ei-nes Tages könnten ja Bessere kommen...

In den folgenden Jahren wandten diebeiden dem Klettern eine Zeitlang denRücken zu. Darshano konzentrierte sichaufs Meditieren und Streckenfliegen; stattsich an Mikrogriffen festzuklammern,rauschte Ingo Knapp einige Jahre lang liebermit Segel und Board über die Wellen des

Marmolada – Die beliebtesten Routen

Marmolada,3343 m Punta Penia

WestgratI, gesicherter Klettersteig, L. Rizzi, H. Seyffert,Dittmann, 21.7. 1898.Von der Marmoladascharte 2 Std. Ausgesetzter, ernstzu-nehmender Klettersteig. DasTragen eines Steinschlag-helms ist unerlässlich. Beidrohendem Gewitter ist essinnvoll, die Finger von die-sem Blitzableiter zu lassen!

Südwestwand (Soldà)VI-,A0 oder VII-, Wandhöhe550 Meter, G. Soldà, U. Conforto, 29. – 31.8. 1936.Zeit für Zweierseilschaft 8-11 Stunden. HochalpinerAnstieg, wegen der nassenund oft auch vereisten Gip-felschlucht erst im Spätsom-mer ratsam. Insgesamt vielanspruchsvoller als aufgrunddes Schwierigkeitsgrads zuvermuten wäre.

Südpfeiler (Micheluzzi)VI-,AO oder VI+, Wandhöhe 550 m, L. Micheluzzi, R. Perathoner, D. Cristomannos, 6./7.9. 1929.Zeit für Zweierseilschaft 8-14 Stunden. Auch heutenoch eine der ganz großenHerausforderungen! Es istangebracht, zusätzlich zumüblichen Klettermaterial zweiKombihämmer und ein PaarSteigeisen pro Seilschaft mit-zuführen.

„Alte Führe“ („Via classica“)IV+, meist leichter, Wandhöhe 650 m, M. Bettega, B. Zagonel,Beatrice Tomasson,

1.7. 1901.Zeit für Zweierseilschaft 5-7 Stunden. Sehr empfeh-lenswerte „alpine“ Unterneh-mung, die nicht unterschätztwerden sollte. Die notwendi-gen Haken stecken, Wieder-holungsaspiranten solltensich jedoch auf langeRunouts gefasst machen.

Punta Rocca,3309 m

Gogna-FühreVI, A0 oder VII, 800 m Wandhöhe, A. Gogna, A. Dorigatti, A. Giambisi, B. Allemand, 27./28.8. 1970.Zeit für Zweierseilschaft 8-11 Std. Dieser schöne undrelativ gut mit Haken ausge-stattete Weg gilt als die ge-eignetste Route, um dieMarmolada-Südwand von ih-rer extremen Seite kennen zulernen, schon früh im Jahrtrocken.

Moderne ZeitenVII+ und VII, viel VI+ und VI, 800 m Wandhöhe, H. Mariacher, L. Iovane.Zeit für Zweierseilschaft 10-14 Std. Nur für sehr guteund alpin versierte Kletterer,

die auch lange Runouts nichtscheuen! Eine Führe, die mitandauernden Schwierigkei-ten und einem Minimum an fixen Sicherungen aufwartet.

Vinatzer/Castiglioni-FühreVI-, A0 oder VII-, 800 m Wandhöhe, G.B. Vinatzer, E. Castiglioni,2./3.9. 1936.Zeit für Zweierseilschaft 8-12 Std. Auch wenn dieses Meisterwerk heutedurch viele unnötige Hakenentwertet ist, sollte dasGesamtunternehmungen wegen der oft vereistenAusstiegsschlucht nicht unterschätzt werden.Klemmkeile bis Hex. 9 oderentsprechende Friends.

Messner-FühreVI+, A1 oder VII, 400 Meter vom großen Band,R. Messner im Alleingang,17.8.1969.Zeit für Zweierseilschaft 5-7 Std. Hier ist noch keinerhochgestiegen, ohne dieLeistung des Erstbegeherszutiefst zu bewundern. EineWiederholung sollte nur vonLeuten gewagt werden, dieden Schwierigkeitsgrad VI+wirklich beherrschen!

Puntad’Ombretta,3247 m

Via dell’ IdealeNach Bohrhakenausbrüchenneuerdings VII-, A0 oder VII, 850 Meter Wandhöhe, A. Aste, F. Solina, 24. – 29.8.1964.Zeit für Zweierseilschaft 1-2 Tage. In dieser Routewartet das ganz große alpine Erlebnis. Nur bei sicherem Wetter einsteigenund die Begehung bei der Seilbahnbergstation anmelden, sonst droht derMüllschlag!

Weg durch den FischVII+,A1 oder IX-/IX, 850 Meter Wandhöhe, I. Koller, I. Sustr, 2. – 4.8.1981.Zeit für Zweierseilschaft 2Tage. Auch zwanzig Jahrenach der Erstbegehung immer noch eines der„Testpieces“ des alpinenKletterns. Nach der Aus-sage von Wiederholern sindheute die notwendigenFortbewegungsmittel in denTechno-Passagen installiert,alle anderen Sicherungs-punkte müssen selbst ange-bracht werden.

Don QuixoteVI+ (eine Stelle), einiges VI und VI-, meist leichter, 750Meter Wandhöhe, R. Schiestl, H. Mariacher,

24.6.1979.Zeit für Zweierseilschaft 8-11 Std. Schöne Freiklet-terei, die meisten Siche-rungspunkte müssen selbstangebracht werden (bis Hex.9 oder entsprechendeFriends), schon früh im Jahrtrocken. Trotz der schwieri-gen Schlüsselstelle die leich-teste der modernen Führenan der Marmolada.

SchwalbenschwanzVII- (Originalführe), VI (heute übliche Variante), 750 Meter Wandhöhe, R. Schiestl, L. Rieser,19.11.1978.Zeit für Zweierseilschaft 8-11 Std. „Der“ moderneKlassiker an der Marmolada,die Sicherungspunkte müs-sen oft selbst angebrachtwerden (bis Hex. 10 oderentsprechende Friends).Manch einer hat sich hier gewundert, wie schwierig dersechste Grad ist.

Abstiege:1. Vom Hauptgipfel über denKlettersteig am Westgrat zumContrinhaus ( 2 Std.)2. Von der Punta Rocca überden Marmoladagletscher zumFedajasee (2 – 3 Std.), oder3. Mit der Seilbahn vomOmbretta-Gipfel direkt ins Tal(Parkplatz, Falierhütte). Kurz unter dem Hauptgipfelder Punta Penia gibt es eineim Sommer bewirtschaftete kleine Hütte.

Von den circa 100 Führen in den Südwänden der drei Marmolada-Gipfelwird heute ein Dutzend regelmäßig wiederholt.

Das Rifugio Falier bietet einen äußerst empfehlenswertenAusgangspunkt für die Südwand von der Punta Rocca bis zur Punta d’Ombretta.

Die Route „Schwalben-schwanz“, im November1978 von Darshano L. Rieser und ReinhardSchiestl erstbegangen,hat sich wegen ihrer relativ moderatenSchwierigkeiten bereitszu einem oft wiederhol-ten „extremen Klassiker“gemausert.

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Gardasees. Locker, aber total durchtrainiertund klettertechnisch auf der Höhe der Zeitstanden sie im Sommer 1992 aber wiederunter ihrem Projekt. Dritter im Bunde warder tüchtige Hanspeter „Jesus“ Schratten-thaler.Auf Anhieb gelang es ihnen,die einst-mals unkletterbar erscheinende Passage zumeistern.Was sie aber nicht ahnten:Nur we-nig höher wartete eine noch anspruchsvol-lere Stelle. Beim Versuch, sie zu umgehen,leistete sich Ingo einen spektakulären Pen-delsturz, der ihm die Ferse samt dem Fuß-wurzelknochen zerlegte. Ein Jahr Zwangs-pause.

Der Sommer 1994 sieht das Team wie-der in der Wand. Diesmal wird die Unfall-stelle des Vorjahres direkt erklettert, was al-lerdings erst nach einer Serie von kalkulier-ten und kontrollierten Stürzen ins Seil ge-lingt. Die Felsfahrt entfaltet sich mit einemFeuerwerk an atemberaubenden Kletterstel-len: Eine Querung an Erosionslöchern imachten Grad,eine Platte im neunten,ein dy-namisch zu nehmendes Dach und ein über-hängender Aufschwung – bis die Erstbege-her von einer weiteren Schlüsselstelle ge-stoppt werden, in der keine Sicherung an-zubringen ist. Stundenlang rennen Darsha-no, Ingo und Jesus gegen das Hindernis anund nehmen mehrere Fünf- bis Zehnmeter-stürze in Kauf. Erst als die Dämmerung her-einbricht, geben sie auf. Die Tiroler verord-nen sich eine weitere Trainingsphase. Sys-tematisch entwickeln sie die Maximalkraftihrer Unterarme und arbeiten daran, psy-chisch noch stärker zu werden. Im Altwei-bersommer 1995 gelingt der Durchbruch:Furchtlos tanzt Ingo Knapp in der leichtüberhängenden Wand an minimalen Halte-punkten empor und schließt die grenzwer-tige Bewegungsfolge mit einem kühnen„Dynamo“ ab; „Jesus“ und Darshano kom-plettieren die bis zum letzten Zentimeter imoberen neunten Grad liegende Schlüsselseil-länge. Eine alpine Route im Schwierigkeits-grad X- ist Wirklichkeit geworden: „Senk-recht ins Tao“. Eröffnet ausschließlich infreier Kletterei, ohne Bohrhaken und ande-re Fortbewegungshilfen.

Mit diesem kühnen Wurf machten diedrei Tiroler unmissverständlich darauf auf-merksam, dass an der Marmolada andereGesetze gelten als in den meisten anderenAlpenwänden, wo der Einsatz von Bohrha-ken heute fast schon die Regel ist.Darshano,Ingo Knapp und Hanspeter Schrattenthalerhaben bewiesen, dass es auch anders geht,selbst nahe der Grenze des heute Machba-ren. Manch einer versteht diese Botschaftbesser,als ihm das lieb ist.Denn es gibt heu-te kaum einen ernsthaften Felsgeher, der

nicht insgeheim davon träumt,sein Könnenan einer der großen Marmolada-Touren zumessen.Anders ist es kaum zu erklären,dasses im Frühherbst – wenn die Finger starkund die Bewegungen rund geworden sind –so viele in diese Mauer zieht, die dem Zeit-geist so trotzig die Stirn bietet.Vielleicht ha-ben sie, ganz leise, das Lied der schönenConturìna vernommen, wie vor langer Zeitjener junge Kriegsmann am Ombretta-Passund nach ihm die vielen Pioniere desKlettersports, die zwischen Punta di Peniaund Marmolada d‘Ombretta ihre Spurenhinterlassen haben. Sie alle durften erfah-ren, wie das tote Berggestein unter ihrenHänden zu vibrierendem Leben erwachte.Sie alle haben in dieser königlichen Wandihr Äußerstes gegeben und sind mit Ge-schenken heimgekehrt, die ihre Strahlkraftniemals verlieren werden.

Heinz Mariacher, AlpenvereinsführerDolomiten, Marmolada-HauptkammMünchen 1983 (Bergverlag Rudolf Rother)Tommaso Magalotti; Marmolada Regina, Cavallermaggiore 1993 (Gribaudo Editore)Antonio Cembran & Maurizio Giordani;Marmolada – Sogno di Pietra,Trento 1986 (Luigi Reverdito Editore)Karl Felix Wolff, Dolomiten Sagen,Innsbruck-Wien 1989, (Tyrolia-Verlag)

Literatur

„Senkrecht ins Tao“ (X-) die bis heute ulti-mative Erstbegehung im Dolomitenfels,1995 ohne Bohrhaken und Cliffhänger vonDarshano L. Rieser, Ingo Knapp undHanspeter Schrattenthaler durchgeführt,fand bis dato keine Wiederholer.

Oben: Hanspeter „Jesus“ Schrattenthalerunterhalb der ersten Schlüsselseillänge.Unten: Darshano L. Rieser in der oberenSchlüsselseillänge.

An der „Elefantenbauch“ genanntenWandzone unter der Punta d’Ombrettaspielen sich die derzeitigen „Grenzgänge“im Klettergeschehen an der Marmolada ab.

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Vom 15.bis 17.März 1955 haben vier Stuttgarter erstmals die winterliche Marmolada-Südwand auf

der klassischen Tomasson-Route unter aus heutiger Sicht vorsintflutlichen Bedingungen bestiegen.

Zwei der Akteure erinnern sich an ihr außergewöhnliches Bergabenteuer. Von EWALD WEISS

Eine Winter-Odyssee

F ür uns war Bergsteigen mehr als Sport”, meinen BernhardHuhn und Horst Wiedmann überzeugt und erzählen dieGeschichte von vier enthusiastischen Bergfreunden,die davon

träumten, den noch unbezwungenen Nevado Alpamayo im fernenSüdamerika erstmals zu besteigen. Mit von der Partie waren derStudent Günter Hauser;Bernhard Huhn,der gerade seine Malerlehrebeendet hatte; Hermann Horter und Horst Wiedmann, die beideschon im Berufsleben standen. Die vier bildeten eine eingefuchsteMannschaft, in der jeder jedem blind vertrauen konnte und die festzueinander stand – eine Bergkameradschaft wie Pech und Schwefel,die in einer Zeit, in der viele Seilschaften als reine Zweckbündnisseerscheinen,etwas antiquiert anmutet.

Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und derNazidiktatur träumten die Menschen wieder von einer ver-heißungsvollen Zukunft. Anfangs der fünfziger Jahre erfolgte dieNeugründung vieler Sektionen des von der amerikanischenBesatzungsmacht verbotenen Alpenvereins.Trotz der noch großenmateriellen Sorgen ließen Abenteuerlust und die neu gewonneneFreiheit junge Bergsteiger nach den Sternen greifen, wie die vierMitglieder der Jungmannschaft der Sektion Schwaben. Als einge-schworene Albkletterer waren die Freunde fit im steilen Kalkfels.Ihre Fähigkeiten hatten sie in der Comici-Route an der Nordwandder Großen Zinne bewiesen und an der Südostverschneidung derFleischbank,die damals als schwierigste Tour im Wilden Kaiser galt.Günter Hauser,so etwas wie der Spiritus Rector der Gruppe,wussteallerdings, dass sie für den Alpamayo mehr drauf haben mussten:Erfahrung in steilem Eis war gefordert.

Längere Reisen waren zu jener Zeit nicht einfach, chronischerGeldmangel verhinderte Touren in den Westalpen, die Schweiz warschlicht unerschwinglich für junge Alpinisten. Das übliche Fort-

bewegungsmittel war ein Fahrrad.Das war zwar mühsam,aber dafürbillig und das Konditionstraining wurde gleich mit der Anfahrt er-ledigt. Immerhin gelangte man so in die Dolomiten und in dieOstalpen,wo die Schwaben im Winter 1954 die Watzmann-Ostwandauf dem Berchtesgadener Weg in einem harten Unternehmen ab-hakten, das zwei Biwaks erforderte; Hermann Horter handelte sichdabei auch noch Kälteschäden an den Fingerkuppen ein. Im folgen-den Jahr suchten sie eine neue Herausforderung: Ein anspruchsvol-les Unternehmen musste es sein,eine Wand,möglichst berühmt undim Winter noch unbezwungen. Nach ausgiebigem Studium derAlpinliteratur stellten sie fest, dass die Marmolada-Südwand auf derklassischen Route zur Punta Penia noch keine Winterbegehung hat-te – das war exakt was sie suchten, eine Tour, die auch im Winterharte Bedingungen bieten würde!

Nur eine „Trainingstour“Im März 1955 steigt das große Marmolada-Unternehmen. Die mate-rielle Situation hat sich inzwischen soweit gebessert, dass man mo-torisierte Fahrzeuge hat, die einen schneller ans Ziel bringen konn-ten. Günter Hauser und Hermann Horter fahren mit einem Messer-schmitt Kabinenroller voraus,einer Art umgebauten Flugzeugkanzelauf Rädern,auch bekannt unter dem bezeichnenden Namen „Stuka“.Das Gefährt bot Platz für zwei Personen,Gepäck konnte man damitnur wenig transportieren. Horst Wiedmanns Stolz war eine 250erBMW, da saß Bernhard Huhn mit einem sperrigen Traggestell-rucksack und den Skiern hinten drauf, eine für die Gleichgewichts-verteilung etwas heikle Angelegenheit.

Ein eisiger Winter hält gerade das Land fest im Griff und dieAutobahnfahrt nach München auf spiegelglatten Fahrbahnen,liegengebliebenen Fahrzeugen und meterhohen Schneeverwehungen

wird zu einem Horrortrip, der die beiden Nachzügler auf eine erns-te Bewährungsprobe stellt.Völlig durchgefroren und erschöpft, mitden Blessuren von zwei schweren Motorradstürzen, kommenWiedmann und Huhn nach sechs Stunden in Obermenzing an, wosie trotz knapper Kasse erst mal das nächstbeste Hotel aufsuchen,um sich von den Strapazen zu erholen.Am nächsten Tag reisen sieper Bahn weiter nach Klausen und Wolkenstein ins Grödnertal, vondort aus geht es per Ski weiter über die tief verschneite Straße zumSellajoch und über die Steinerne Stadt zu Füßen des Langkofels hinü-ber ins Fassatal nach Canazei und hinauf zum Contrinhaus – das istbeinahe eine halbe Dolomitendurchquerung auf Skiern! Im Winter-raum des Contrinhauses, dem „Basislager“ ihrer eigentlichen Berg-tour,warten bereits Hauser und Horter.

Wo Zuverlässigkeit zähltUnverzüglich steigen die vier am nächsten Tag zum Ombrettapassauf, die Verhältnisse sind gut, um die Südwand direkt anzugreifen.Vom Skidepot am Ombrettapass aus macht die Wand einen zuver-sichtlichen Eindruck und in der ersten Euphorie glauben alle an ei-nen schnellen Erfolg – doch nur zu schnell sollte die Marmolada ih-re eisigen Zähne zeigen!

Am Abend des 15. März erreichen die Zweierseilschaften nachzähem Kampf mit den Unbilden des Winters die erste großeSüdwandterrasse.Feiner Staubschnee rieselt ständig über die Wand,der Fels in den Kaminen und Rissen ist mit glashartem Wassereisüberzogen,so dass Griffe und Tritte fortwährend mit dem Eishammerfrei geklopft werden müssen.Zu allem Übel verhängen sich die sper-rigen Rucksäcke immer wieder in den Kaminen und Huhn mussmehrfach zurückklettern und sie befreien.Dann wird noch eines derSeile vom Steinschlag schwer beschädigt.Mit größter Konzentrationbewegen sich die Vorsteiger über das prekäre Gelände,Sicherungensind oft illusorisch,ein Sturz würde in der Katastrophe enden.In derfeindseligen stillen Felsenwildnis ist das zuverlässige Zusammenspielder Seilschaften einziger Halt, jeder Selbstzweifel, jedes Zaudernkönnte jetzt den Untergang bedeuten – ein Rückzug ist wegen dermarginalen Hakenmöglichkeiten illusorisch!

Zunächst klettern Hauser mit Horter und Wiedmann mit Huhnin je einer Seilschaft, alles in klassischem Alpinstil, ausgerüstet mitEinfachseil,Pickel, Steigeisen und Eishammer;dazu führen sie weni-ge Schmiedestahlhaken und schwere Eisenkarabiner mit.Als Beklei-

Mit viel Glück und noch mehrIdealismus und der für heuti-ge Verhältnisse ziemlich dürf-tigen Ausrüstung auf demStand der 30er Jahre kämpf-ten sich die vier wackerenSchwaben durch die winterli-che Marmolada-Südwand.Von links: die Wandzoneüber der ersten Terrasse, dasBiwak auf der unterenTerrasse, eine Seillänge immittleren Wandteil und diezweite Terrasse. Wie leicht zu erkennen ist,waren die Sicherungsmetho-den eher von der „morali-schen“ Art.

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Page 11: Unterwegs AN DER MARMOLADA 100 Jahre Marmolada-Südwand · AN DER MARMOLADA Unterwegs Nr. 3/2001 DAV Panorama 23 Im Norden bedeckt sie ein Eispanzer, nach Süden fallen ihre Steilwände

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A N D E R M A R M O L A D AU n t e r w e g s

dung dienen Bundhosen aus Walliserloden, kratzig, aber solide undwarm; Leinengamaschen und Anoraks aus Pamirleinen – wenn diegefroren waren, bemerkt Horst Wiedmann sarkastisch, konnte mansie wie eine Ritterrüstung in die Ecke stellen.Weiße Gummifolien,welche kaum die Kälte abhalten, dienen als Biwaksäcke. Gekochtwird auf zwei Benzinkochern – ein heikles Gefummel,bis die einmalrichtig in Fahrt kommen –, auf dem einen Ovomaltine, auf dem an-deren eine fettige Würfelsuppe. Geschmeckt hat beides gleichscheußlich – nämlich nach Benzin!

Zusammenhalten!Am 16. März kämpfen sich die beiden Seilschaften zur zweitenTerrasse empor,Wiedmann und Huhn erreichen als erste die nächs-te Gelegenheit zum Biwak und bereiten diese für die kommendeNacht vor.Hermann Horter leidet,seine Fingerkuppen sind nur nochblutige Klumpen,die Kälteschäden von der Watzmanndurchsteigungrächen sich jetzt bitter. Eine zweite endlose Biwaknacht bricht anund die vier beobachten sorgenvoll die aufziehenden Wolken.AmHimmel steht die bange Frage:Wird das Wetter halten?

Düster und mit brodelnden Wolken, die aus dem Cordevoletalheraufziehen,beginnt der 17.März.Beißender Wind und eisige Kältefordern das Äußerste an Durchhaltevermögen, der Zustand von

Hermann Horter wird nicht besser – jetzt heißt es zusammenhalten!Alle vier bilden eine gemeinsame Seilschaft in einer immer lebens-feindlicheren Umgebung. Ein kurzer Verhauer kostet Zeit, in derGipfelschlucht der Punta Penia lauern absturzbereite Schneebalkonewie bösartige Ungeheuer,eine abgehende Lawine könnte für alle denTod bedeuten.Der Ausstieg über die Leuchsvariante ist zu gefährlich,also wird die weit rechts liegende Schlucht des Originalwegs zumrettenden Ausweg.Zuerst tiefer Firnschnee,dann abwechselnd über-frorene kleinsplittrige Felsen,an denen kaum verlässliche Sicherun-gen anzubringen sind – die letzten Seillängen zur Scharte amGipfelgrat erzwingen noch einmal harten Einsatz, zumal der allesdurchdringende beißende Wind gehörig an der Motivation zerrt.Dann, nach 54 Stunden zähen Ringens mit der weißen Hölle, ist dieAusstiegsscharte da – doch große Freude will sich nicht einstellen.Die Abenddämmerung ist bereits angebrochen und tief unten amGletscher der Nordflanke schimmert spärliches Licht aus der Berg-station eines Sessellifts (dieser Lift existiert heute nicht mehr,Anm.d. Red.). Jetzt nur nichts wie hinunter, ohne Rücksicht auf lawinen-gefährdete Firnhänge und tiefe Spalten, die oft kaum zu erkennensind. „Bleibt doch bei uns“ bitten die freundlichen Leute der Berg-station, doch jetzt gibt es kein Halten mehr, zu nahe ist die erlösen-de Geborgenheit des Tales und langsam wächst die Freude über densicheren Erfolg. In der Dunkelheit bieten die Stützen des Sesselliftsausreichende Orientierung und spät,kurz vor Mitternacht,gelangendie wackeren Freunde zum Ende ihrer Odyssee zum Fedajahaus,woder zuvorkommende Wirt eine warme Suppe auftischt.

Am 17. Juni 1957 stehen Günter Hauser, Bernhard Huhn und HorstWiedmann als erste Menschen auf dem Gipfel des 5947 Meterhohen Nevado Alpamayo in Peru, es ist ihr größter gemeinsamerErfolg als Bergsteiger.

Günter Hauser (✝ 1981) wurde ein erfolgreicher Outdoor-Unter-nehmer. Hermann Horter fand in Australien eine neue Heimat.Bernhard Huhn wurde selbstständiger Malermeister, er ist für dasUnternehmen seines Freundes Hauser gelegentlich noch auf Trek-kingtour. Horst Wiedmann war bis zum Jahr 2000 als „Verwaltungs-bergsteiger“ in verschiedenen Funktionen für die Sektion Schwabendes DAV tätig, aus Dankbarkeit für die großzügige Förderung in derJugend,wie er sagt.

Arktische Verhältnisse im obersten Wandteil mitder schneegefülltenAusstiegsschlucht desOriginalwegs.Die tarnfarbene Beklei-dung zwischen mausgrauund mausbraun prägteden Stil der Bergsteigerbis Ende der 60er Jahreebenso, wie Eishammerund Eispickel mit Holz-schäften.

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