24.04.2014 Wissenschaft & Pseudowissenschaft ... · Popper, Kuhn & Lakatos Karl R. Popper...

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24.04.2014

Wissenschaft & Pseudowissenschaft — Demarkationskriterien: Popper, Kuhn und Lakatos

Alexander Christian M.A.

Lernziele

❖ drei `Klassiker´ auszugsweise im Original lesen!

❖ Falsifizierbarkeit als Demarkationskriterium!

❖ reziprokes Verhältnis von normativer und deskriptiver Wissenschaftstheorie & beispielhafte Entwicklung verfeinerter Wissenschaftsmodelle!

❖ paradigmatische Kritik von Pseudowissenschaften (kurze Fallstudie zu Freuds Psychoanalyse)

Popper, Kuhn & Lakatos

Karl R. Popper Thomas S. Kuhn Imre Lakatos

Popper, Kuhn & Lakatos

Karl R. Popper Thomas S. Kuhn Imre Lakatos

Orientierung an de facto Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnis!!

Aufnahme des (naiven) Falsfikationismus ⇒ Weiterentwicklung zum rafinierten Falsifikationismus

1. Science: Conjectures and Refutations

1.1 Science: Conjectures and Refutations

❖ Karl R. Popper (1963): Conjectures and Refutations. London, Routledge and Kegan, S. 33-39.!

❖ Klärung der Fragestellung:!

❖ Nicht: Wann ist eine Theorie wahr? oder Wann ist eine Theorie (rational) akzeptabel?!

❖ Sondern: Wie kann zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft unterschieden werden?

1.2 Science: Conjectures and Refutations❖ Voraussetzung: Gleichsetzung von `Pseudowissenschaft´ und `Metaphysik´ (S. 3)!

❖ prima facie: Unterscheidungsmerkmal der (empirischen) induktiven Methode (von Beobachtungen & Experimenten zu Theorien)!

❖ unbefriedigend: auch Pseudowissenschaften operieren mit emp. Evidenz, Beispiel Astrologie!

❖ Poppers Zweifel an Marxistischer Theorie, Psychoanalyse & Individualpsychologie (Schule der Tiefenpsychologie)!

❖ Was unterscheidet diese Theorien substanziell von erfolgreichen Theorien der Physik?

1.3 Science: Conjectures and Refutations

❖ Wichtig: Popper geht es nicht um Wahrheit, Exaktheit oder Genauigkeit dieser Theorien, sondern um ihre Wesensverschiedenheit — um ihren wissenschaftlichen Status.!

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„[…] It was rather that I felt that these other three theories, though posing as sciences, hat in fact more in common with primitive myths than with science; […].“ (S. 5)

1.4 Science: Conjectures and Refutations

❖ Beobachtungen:!

❖ Erklärungskraft dieser Theorien scheint beeindruckend groß (S. 5)!

❖ Überall sind (vermeintliche) wahrmachende (bestigende) Evidenzen zu finden (S. 5)!

❖ Theorien offenbaren eine neue Weltsicht (S. 5)

1.5 Science: Conjectures and Refutations

„A Marxist could not open a newspaper without finding on every page confirming evidence for his interpretation of history; not only in the news, but

also in its presentation — which revealed the class bias of the paper — and especially of douse in what the paper did not say.“ (S. 5)

1.6 Science: Conjectures and Refutations

❖ Fallbeispiel: Adlers Individualpsychologie (S. 5-6)!

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❖ Was keine Adlers Theorie erklären und wie genau kann seine Argumentation für eine bestimmte psychologische Erklärung rekonstruiert werden?!

❖ Was unterscheidet Adlers Vorgehen von Einsteins und Eddingtons Vorgehen?

1.7 Science: Conjectures and Refutations❖ Fallbeispiel: Adlers Individualpsychologie (S. 5-6)!

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❖ Adler beruft sich auf seine persönlichen Erfahrungen und räumt diesen Priorität ein gegenüber neuen empirischen Evidenzen.!

❖ Adler kann scheinbar mit jeder Art empirischer Evidenz umgehen; ihr Vorhandensein scheinbar erklären.!

❖ Einstein und Eddington beschäftigen sich mit riskanten Voraussagen, von denen nicht ohne Beobachtung oder Experiment ersichtlich ist, ob sie zutreffen oder nicht zutreffen.!

❖ Wichtiger Punkt: Ihre Theorie ist mit bestimmten möglichen Resultaten von Beobachtungen oder Experimenten inkompatibel. (S. 6)

1.8 Science: Conjectures and Refutations

❖ Poppers Folgerungen 1-7!

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„One can sum up all this by saying that the criterion of the scientific status of a theory is its falsifiability, or refutability, or testability.“ (S. 7)

1.9 Science: Conjectures and Refutations

❖ Immunisierungsstrategien!

❖ ad-hoc-Modifikationen zum Schutz vor Widerlegung!

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❖ Wichtiger Unterschied zum log. Positivismus: unwissenschaftliche / metaphysische bzw. pseudowissenschaftliche Theorien sind nicht kognitiv sinnlos oder unsinnig.

2. Logic of Discovery or Psychology of Research?

2.1 Logic of Discovery or Psychology of Research?❖ Imre Lakatos and Alan Musgrave (1970, Hg.): Criticism and the Groth of

Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press, S. 4-10.!

❖ Kritik an Poppers Falsifikationismus, genauer dessen Generalisierungen.!

❖ en detail: Die von Popper Dargestellte Forschungsmethode ist in Anbetracht de facto ablaufender Beschreibungen von Forschungsvorgängen historisch inadäquat: Wissenschaftler suchen nicht primär nach Widerlegungen, sondern üben eine normalwissenschaftlichen Praxis (`normal science´) aus. (S. 11 f)!

❖ Dabei werden eine Theorie, involvierte Fragestellungen, akzeptierte Musterlösungen und Methoden (etc.) vorausgesetzt.

2.2 Logic of Discovery or Psychology of Research?

„In short, though tests occur frequently in normal science, these tests are of peculiar sort, for in the final analysis it is the individual scientist rather than

current theory which is tested.“ (S. 12)

2.3 Logic of Discovery or Psychology of Research?

Popper Kuhn

Wissenschaftler testen die TheorieWissenschaftler bearbeiten normalerweise vor dem Hintergrund eines wissenschaftlichen

Paradigmas bestimmte Fragestellungen

Popper beschreibt nach Kuhn nur! revolutionäre Phasen der Forschung

2.4 Logic of Discovery or Psychology of Research?

❖ Quintessenz in einfachen Worten!

❖ Normalwissenschaftliche Phase: Forschung an bestimmten Fragestellungen vor dem Hintergrund eines etablierten wissenschaftlichen Paradigmas (puzzle solving) !

❖ Revolutionäre Phase: Anhäufung von ungelösten Fragen und suche nach einem neuen Paradigma

2.5 Logic of Discovery or Psychology of Research?

❖ Zwei Kriterien:!

1. Test der Hypothese / Theorie!

2. normale Forschungspraxis (puzzle solving)!

❖ Beispiel Astrologie: Theoretischer Stillstand, Merkmale eine (Pseudo-)Technik

2.6 Logic of Discovery or Psychology of Research?

„In short, though astrologers made testable predictions and recognized that these predictions sometimes failed, they did not and could not engage in the sorts of activities that normally characterize all recognized sciences.“ (S. 17)

3. Science and Pseudoscience

3.1 Science and Pseudoscience

❖ Imre Lakatos (1977): Philosophical Papers, vol. 1. Cambridge: Cambridge University Press, S. 1-7.!

❖ Wie kann Wissenschaft von Aberglaube, Ideologie oder Pseudowissenschaft unterschieden werden?!

❖ Starker Fokus auf den kognitiven Gehalt einer Theorie mit wissenschaftlichem Anspruch & den Methoden einer Forschergemeinschaft wissenschaftliche Erkenntnis zu finden

3.2 Science and Pseudoscience

„The cognitive value of a theory has nothing to do with its psychological influence on people´s minds. Belief, commitment, understanding are states of the human mind. But the objective, scientific value of a theory is independent

of the human mind which creates it or understands it.“ (S. 21)

3.3 Science and Pseudoscience❖ Eine mögliche Herangehensweise: Probabilistische Bewertung wissenschaftliche Theorien

(S. 22)!

❖ Darstellung der Kritik von Popper: Wahrscheinlichkeit aller Theorien — ob wissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich — konvergiert gegen 0, gegeben keine Evidenz. Somit sind Theorien nicht nur nicht verifizierbar, sondern auch gleichermaßen unwahrscheinlich.!

❖ Popper Demarkationskriterium unabhängig von de facto Evidenzen, da es sich nur auf die Möglichkeit des Widerspruchs mit Evidenzen bezieht.!

❖ Lakatos: Wir unterscheiden nicht wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche s Theorien, sondern wissenschaftliche Methoden von nicht-wissenschaftlichen Methoden

3.4 Science and Pseudoscience

„Is then, Popper´s falsifiability criterion the solution to the problem of demarcating science form pseudoscience? No. For Popper´s criterion ignores

the remarkable tenacity of scientific theories. Scientists have thick skins.“ (S. 23)

3.5 Science and Pseudoscience

❖ Wissenschaftler geben eine Theorie nicht notwendigerweise auf, falls die empirischen Evidenzen gegen die Theorie sprechen (eine Anomalie liegt vor), sondern ignorieren diese und wenden sich anderen Problemen zu. (S. 23)

3.6 Science and Pseudoscience❖ Ansatz von Lakatos: methodology of scientific research programmes!

1. typische Beschreibungseinheit großer wissenschaftlicher Leistungen sind nicht isolierte Hypothesen, sondern Forschungsprogramme (Wissenschaft ist nicht trial & error á la Poppers Falsifikationismus) ⇒ Beispiel Newtons Theorie (S. 23)!

2. Unterscheidung von Kern und Peripherie eines Forschungsprogramms !

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Zur Dynamik wissenschaftlicher Forschungsprogramme: Schurz, G. (2006). Einführung in die Wissenschaftstheorie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 183 f & S. 198 f.

3.7 Science and Pseudoscience

Kern der Theorie

Peripherie der Theorie

3.8 Science and Pseudoscience

❖ Wissenschaftliche Forschungsprogramme & pseudowissenschaftliche (degenerative) Forschungsprogramme!

❖ Was kennzeichnet degenerative Forschungsprogramme?

3.9 Science and Pseudoscience

Kern der Theorie

Peripherie der Theorie

(i) Wissenschaftler können ihre Theorie vor Widerlegung schützen, in dem sie Annahmen der Peripherie verändern oder neue Annahmen hinzunehmen.

(ii)Solange dadurch neue Phänomene (s.g. `novel predictions´) erklärt bzw. vorausgesagt werden können, handelt es sich um ein progressives Forschungsprogramm.

Crashkurs

zur P

hilosophie

!

von Lakato

s!

(Sieh

e Lite

raturlis

te!)

Gegenüberstellung

Popper Kuhn Lakatos

Falsifizierbarkeit, d.h. möglicher Widerspruch von Voraussagen mit

empirischen Evidenzen, als Demarkationskriterium!

!teils synonyme Verwendung von

`Metaphysik´, `Pseudowissenschaft´ und `Nichtwissenschaft´!

!Auseinanderfallen von

Pseudowissenschaftlichkeit und `Sinnlosigkeit`

Kritik an Poppers Fokussierung auf revolutionäre Phasen der Forschung!

!

Kriterien: (i) Test der Theorie & (ii) Lösung wissenschaftlicher Fragen

im Kontext normalwissenschaftliche Forschung!

!

Hinwendung zur Forschergemeinschaft und deren

Methoden!!

Pseudowissenschaften sind degenerative bzw. degenerierte

Forschungsprogramme

nächste Sitzung

❖ Entwurf einer Heuristik zur Bewertung des wissenschaftlichen Status von Pseudowissenschaften (Christian, A. (2013). Wissenschaft und Pseudowissenschaft. Frankfurt am Main: Peter Lang.)!

❖ konzeptueller Sprung von monokriteriellen Ansätzen und ihrer Kritik zu elaborierten multikriteriellen Ansätzen & einer Methode der Bewertung

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

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