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INSTITUT FÜR REGIONALE SPRACHEN UND KULTUREN Institute for Regional Languages and Cultures Kontaktadresse: IDI Gerd Allmayer, Zirmkogelstraße 6, A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land Salzburg Telefon: 0043 (0) 720901785 Mail: [email protected] IDI-INFORMATION Nr. 99 Februar 2015 Die Grenzerfahrung ist in Freistadt zu Architektur geworden – der grenzüberschreitende Handel hat die Stadt im Mühlviertel (OÖ) geprägt. Stadtführerin Julia Peterbauer erklärt die Geschichte fassbar. Die Tagungsteilnehmer vlnr: Birgit Rietzler, Manfred Kern, Josef Wittmann, Dirk Römmer, Anna Gruber, Annemarie Regensburger, Astrid Marte, Blasius Regensburger, Gerlinde Allmayer, Hannelore Decker, Klaus Gasseleder, Johann Viehböck, Adolf Vallaster, Christa Osterkorn, Lid- wina Boso, Heinz Siebold, Walter Osterkorn, Erna Rank-Kern, Ulrike Derndinger, Hannes Decker

A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land Salzburg IDI ... · IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 3. IDI-Information Nr.99 4 IDI-Information Nr.99 5 gesprochen

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INSTITUT FÜR REGIONALE SPRACHEN UND KULTURENInstitute for Regional Languages and Cultures

Kontaktadresse: IDI Gerd Allmayer, Zirmkogelstraße 6,A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land SalzburgTelefon: 0043 (0) 720901785 Mail: [email protected]

IDI-INFORMATIONNr. 99 Februar 2015

Freistädter Impressionen:Bilder: Manfred Kern und

Gerd Allmayer

Die Grenzerfahrung ist in Freistadt zu Architektur geworden – der grenzüberschreitende Handelhat die Stadt im Mühlviertel (OÖ) geprägt. Stadtführerin Julia Peterbauer erklärt die Geschichtefassbar. Die Tagungsteilnehmer vlnr: Birgit Rietzler, Manfred Kern, Josef Wittmann, Dirk Römmer,Anna Gruber, Annemarie Regensburger, Astrid Marte, Blasius Regensburger, Gerlinde Allmayer,Hannelore Decker, Klaus Gasseleder, Johann Viehböck, Adolf Vallaster, Christa Osterkorn, Lid-wina Boso, Heinz Siebold, Walter Osterkorn, Erna Rank-Kern, Ulrike Derndinger, Hannes Decker

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 1

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IDI-Information Nr.99 2 IDI-Information Nr.99 3

Dialekt an der GrenzeIDI-Tagung vom 17. bis 19. Oktober 2014 in Freistadt / OberösterreichFreistadt, 15 Kilometer von der tschechischenGrenze entfernt, war Treffpunkt für die Dichte-rinnen und Dichter aus Vorarlberg, Tirol, Ober-österreich und Bayern; auch Fränkisch,badisches Alemannisch und norddeutschesPlatt waren zu hören.

Freitag: Die Entwicklung im Elsass Deutschland und Frankreich – in der Geschichteging es zwischen beiden Ländern oft genug blu-tig zu. Wie wirkte sich das an der Grenze amOberrhein aus? Was machten die Grenzver-schiebungen mit den Elsässern, die einmalDeutsche, ein paar Jahre später wieder Franzo-sen waren, weil Herrscher das Land als Spiel-ball hin- und hergeworfen hatten? Heinz Siebold(Jahrgang 1950), Journalist aus Lahr, gab da-rauf gut recherchierte Antworten.Dialektsprecher im Elsass werden weniger, dieelsässische Identität droht in einem Fusionstopfzu verschwinden. Elsässisches Alemannischsteht mit Französisch (Amts- und Umgangs-sprache), mit Hochdeutschen (das wegen guterArbeitsplätze in Deutschland in der Schule ge-llernt wird) und mit Englisch (als globaler Spra-che) in Konkurrenz. Wie lange man nochSprachmixe hören kann wie: „Jaques, chassemer emol de Guggel üssem Jardin!“ ist unge-wiss. Mit der Sprache verschwindet auch dieDialektliteratur. Junge Autoren kämen nur we-nige nach.

Samstag: Das Süddeutsch-Österrei-chischeEinen kurzweiligen Vortrag bescherte der pen-sionierte Gymnasiallehrer Jakob Ebner (Jahr-gang 1942). Mit Sprachkarten verdeutlichte erregionale Ausprägungen des Süddeutsch-Öster-reichischen und seine Entwicklung, so zum Bei-spiel die Grenze zwischen Metzger (West) undFleischhauer (Ost). Fleischhauer kam aus Nord-deutschland in die Amtssprache, sagte Ebner.Kaiserin Maria Theresia hatte einen schlesi-schen Sprachwissenschaftler beauftragt, eineneue Verwaltungssprache zu installieren

– sie selbst allerdings sprach Dialekt. So wurdedas Dialektwort Metzger mancherorts vomFleischhauer ersetzt. Inzwischen gehe aberder dialektale Metzger in die Standardspracheein, so Ebner. Entgrenzung mache vielen Angst. Beim EU-Beitritt Österreichs wurde befürchtet, dass Ser-vus vom norddeutschen Tschüß verdrängtwürde. Ebner: Tschüß kommt ursprünglich ausSpanien von Adios – Sprache verändert sichlaufend und lang-fristig. Die konkrete bäuerli-che Welt, aus der der Dialekt stammt (Dialektkennt keine Abstrakta wie Abwesenheit oderZauber) schwindet, daher verändere sich auchdie Sprache. Eine Bereicherung ist für Ebnerdie Sprache der Jugend. Jede Generation legesich neue Ausdrucksweisen zurecht, um sichvon anderen abzugrenzen.

Dr. Jakob Ebner

Peterbauer sehr kundig durch das mittelalterli-che Freistadt, das seine Blütenzeit dem Salz-handel verdankte, geführt. Die Stadt wurde imfrühen 13. Jahrhundert planmäßig angelegt.Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundertwar sie eine wichtige Handelsstadt. In dieserZeit führte der einzig erlaubte Weg von Linznach Budweis durch die Stadt. Heute gilt Frei-stadt als Schul- und Verwaltungsstadt.

Persönliche Eindrücke von Hans Viehböck

Hans Viehböcks Vortrag war dreiteilig. Er be-gann mit Natur-Fotografien, große Landschaf-ten, winzige Details von Pflanzen und Tieren.Im zweiten Teil trug er zu Zithermusik in viel-schichtigen Rhythmen Gesänge und lyrischeTexte vor. Sinnierend, erzählend, reflektierendließ er seine Zuhörerinnen und Zuhörer an per-sönlichen Grenz-Erlebnissen teilhaben. Derdritte Teil war ein Parforce-Ritt durch die sozio-kulturelle Entwicklung der letzten 25 Jahre: vonden Ereignissen im Zuge der Auflösung des Ostblocks über einzelne Projekte staatlich ge-förderter Jugendkultur zur regionalen Befind-lichkeit und zu den bedenklichen Entwick-lungen des Bildungswesens in der Gegenwartführte er in seinem Vortrag, in dem persönlicheBetroffenheit und sprachliche Verwurzelungstets hörbar waren.

Grenzland Südböhmen-OberösterreichAn die tschechisch-österreichische Grenzeführte Johann Pammer, ins Grenzland Südböh-men-Oberösterreich. Seit der Öffnung des „Ei-sernen Vorhangs“ sind bis heute vielegrenzüberschreitende Projekte gelaufen. Pam-mer gab zum Beispiel nach der Wende „drin-nen“, wie er Tschechien nennt, Starthilfe undGebrauchsanleitungen für Kommunalpolitik.Pammer erzählte leicht und amüsant: Er seisehr gastfreundlich empfangen worden, erhabe sich sicher gefühlt, entgegen des Vorur-teils, dass „drinnen“ geklaut würde, seine Hilfewurde gern angenommen. Er betonte, wiewichtig es gewesen war, ein paar Worte Tsche-chisch zu lernen, obwohl einige Alte noch so

Inhalt: Seite

Titelblatt: Teilnehmer der IDI-Tagungbei der Stadtführung in Freistadt 1

Dialekt an der Grenze - Berichtvon der IDI-Tagung 2

Goethe-Gedenkstein am Strangen-berg im Elsass 5

Gschicht, Sprooch unLiteratur amOberrhin - Referat v. Heinz Siebert 6

Politische und soziokulturelle Ver-änderungen nach der Wende - Referatvon Johann Viehböck 10

Gegen das Sphärengeklingelfiktives Interview Klaus Gasseleder 12

Mitglieder-Info 13

Bücherecke 14

Von wegen Alt und Jung passt nit zommNiedernsiller Stund 2014 17

Das französische Bildungssystem:ein Narrenschiff, von Edgar Zeidler 18

Matura-Rede von Edgar Zeidlerzum AbiBac seiner zweisprachigen Klasse am Lycée Jean-JacquesHenner, Altkirch (Elsass) 19

Sprache gegen den reaktionärenStrich gebürstet - Brief von Kurt Sängeran Josef Wittmann 21

Max Faistauer feierte 80. Geburtstag 23

Impressionen von Freistadt und der IDI-Tagung 2014 24

Stadtführung durch FreistadtAm sonnigen Spätvormittag wurden die Ta-gungsteilnehmenden von Stadtführerin Julia

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IDI-Information Nr.99 2 IDI-Information Nr.99 3

Dialekt an der GrenzeIDI-Tagung vom 17. bis 19. Oktober 2014 in Freistadt / OberösterreichFreistadt, 15 Kilometer von der tschechischenGrenze entfernt, war Treffpunkt für die Dichte-rinnen und Dichter aus Vorarlberg, Tirol, Ober-österreich und Bayern; auch Fränkisch,badisches Alemannisch und norddeutschesPlatt waren zu hören.

Freitag: Die Entwicklung im Elsass Deutschland und Frankreich – in der Geschichteging es zwischen beiden Ländern oft genug blu-tig zu. Wie wirkte sich das an der Grenze amOberrhein aus? Was machten die Grenzver-schiebungen mit den Elsässern, die einmalDeutsche, ein paar Jahre später wieder Franzo-sen waren, weil Herrscher das Land als Spiel-ball hin- und hergeworfen hatten? Heinz Siebold(Jahrgang 1950), Journalist aus Lahr, gab da-rauf gut recherchierte Antworten.Dialektsprecher im Elsass werden weniger, dieelsässische Identität droht in einem Fusionstopfzu verschwinden. Elsässisches Alemannischsteht mit Französisch (Amts- und Umgangs-sprache), mit Hochdeutschen (das wegen guterArbeitsplätze in Deutschland in der Schule ge-llernt wird) und mit Englisch (als globaler Spra-che) in Konkurrenz. Wie lange man nochSprachmixe hören kann wie: „Jaques, chassemer emol de Guggel üssem Jardin!“ ist unge-wiss. Mit der Sprache verschwindet auch dieDialektliteratur. Junge Autoren kämen nur we-nige nach.

Samstag: Das Süddeutsch-Österrei-chischeEinen kurzweiligen Vortrag bescherte der pen-sionierte Gymnasiallehrer Jakob Ebner (Jahr-gang 1942). Mit Sprachkarten verdeutlichte erregionale Ausprägungen des Süddeutsch-Öster-reichischen und seine Entwicklung, so zum Bei-spiel die Grenze zwischen Metzger (West) undFleischhauer (Ost). Fleischhauer kam aus Nord-deutschland in die Amtssprache, sagte Ebner.Kaiserin Maria Theresia hatte einen schlesi-schen Sprachwissenschaftler beauftragt, eineneue Verwaltungssprache zu installieren

– sie selbst allerdings sprach Dialekt. So wurdedas Dialektwort Metzger mancherorts vomFleischhauer ersetzt. Inzwischen gehe aberder dialektale Metzger in die Standardspracheein, so Ebner. Entgrenzung mache vielen Angst. Beim EU-Beitritt Österreichs wurde befürchtet, dass Ser-vus vom norddeutschen Tschüß verdrängtwürde. Ebner: Tschüß kommt ursprünglich ausSpanien von Adios – Sprache verändert sichlaufend und lang-fristig. Die konkrete bäuerli-che Welt, aus der der Dialekt stammt (Dialektkennt keine Abstrakta wie Abwesenheit oderZauber) schwindet, daher verändere sich auchdie Sprache. Eine Bereicherung ist für Ebnerdie Sprache der Jugend. Jede Generation legesich neue Ausdrucksweisen zurecht, um sichvon anderen abzugrenzen.

Dr. Jakob Ebner

Peterbauer sehr kundig durch das mittelalterli-che Freistadt, das seine Blütenzeit dem Salz-handel verdankte, geführt. Die Stadt wurde imfrühen 13. Jahrhundert planmäßig angelegt.Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundertwar sie eine wichtige Handelsstadt. In dieserZeit führte der einzig erlaubte Weg von Linznach Budweis durch die Stadt. Heute gilt Frei-stadt als Schul- und Verwaltungsstadt.

Persönliche Eindrücke von Hans Viehböck

Hans Viehböcks Vortrag war dreiteilig. Er be-gann mit Natur-Fotografien, große Landschaf-ten, winzige Details von Pflanzen und Tieren.Im zweiten Teil trug er zu Zithermusik in viel-schichtigen Rhythmen Gesänge und lyrischeTexte vor. Sinnierend, erzählend, reflektierendließ er seine Zuhörerinnen und Zuhörer an per-sönlichen Grenz-Erlebnissen teilhaben. Derdritte Teil war ein Parforce-Ritt durch die sozio-kulturelle Entwicklung der letzten 25 Jahre: vonden Ereignissen im Zuge der Auflösung des Ostblocks über einzelne Projekte staatlich ge-förderter Jugendkultur zur regionalen Befind-lichkeit und zu den bedenklichen Entwick-lungen des Bildungswesens in der Gegenwartführte er in seinem Vortrag, in dem persönlicheBetroffenheit und sprachliche Verwurzelungstets hörbar waren.

Grenzland Südböhmen-OberösterreichAn die tschechisch-österreichische Grenzeführte Johann Pammer, ins Grenzland Südböh-men-Oberösterreich. Seit der Öffnung des „Ei-sernen Vorhangs“ sind bis heute vielegrenzüberschreitende Projekte gelaufen. Pam-mer gab zum Beispiel nach der Wende „drin-nen“, wie er Tschechien nennt, Starthilfe undGebrauchsanleitungen für Kommunalpolitik.Pammer erzählte leicht und amüsant: Er seisehr gastfreundlich empfangen worden, erhabe sich sicher gefühlt, entgegen des Vorur-teils, dass „drinnen“ geklaut würde, seine Hilfewurde gern angenommen. Er betonte, wiewichtig es gewesen war, ein paar Worte Tsche-chisch zu lernen, obwohl einige Alte noch so

Inhalt: Seite

Titelblatt: Teilnehmer der IDI-Tagungbei der Stadtführung in Freistadt 1

Dialekt an der Grenze - Berichtvon der IDI-Tagung 2

Goethe-Gedenkstein am Strangen-berg im Elsass 5

Gschicht, Sprooch unLiteratur amOberrhin - Referat v. Heinz Siebert 6

Politische und soziokulturelle Ver-änderungen nach der Wende - Referatvon Johann Viehböck 10

Gegen das Sphärengeklingelfiktives Interview Klaus Gasseleder 12

Mitglieder-Info 13

Bücherecke 14

Von wegen Alt und Jung passt nit zommNiedernsiller Stund 2014 17

Das französische Bildungssystem:ein Narrenschiff, von Edgar Zeidler 18

Matura-Rede von Edgar Zeidlerzum AbiBac seiner zweisprachigen Klasse am Lycée Jean-JacquesHenner, Altkirch (Elsass) 19

Sprache gegen den reaktionärenStrich gebürstet - Brief von Kurt Sängeran Josef Wittmann 21

Max Faistauer feierte 80. Geburtstag 23

Impressionen von Freistadt und der IDI-Tagung 2014 24

Stadtführung durch FreistadtAm sonnigen Spätvormittag wurden die Ta-gungsteilnehmenden von Stadtführerin Julia

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IDI-Information Nr.99 5 IDI-Information Nr.99 4

gesprochen hätten, wie seine Großeltern. Mitden tschechischen Floskeln für Prost, GutenTag und Danke habe er signalisiert, dass ernicht hochnäsig daherkomme, so als müsstenalle selbst verständlich Deutsch verstehen.

Abendliche LesungDie Lesung am Abend im Hotel Hubertuswurde im Hauptteil übernommen von HannesDecker, Astrid Marte und Ulrike Derndinger. EinSchweif, bei dem die Dichter rundum einenTexte lesen, ließ die anderen auch zu Wortkommen. Begleitet wurden sie humorvoll undpassend von der Mühlviertler Okarina-Musik.

Sonntag: Vertreibung aus Land undSpracheIn einem bis ins wissenschaftliche Detail fun-dierten und gleichwohl packend persönlichenVortrag führte Dr. Fritz Bertlwieser sein Audito-rium in die Regional-dialekte des Böhmerwaldsein. An der eigenen Herkunftssprache demons-trierte er, dass die markanten Lautgrenzen

nicht an der politischen Staatsgrenze, sondernentlang der Großen Mühl bzw. der SteinernenMühl verlaufen. Beeindruckend war aber auchsein Rückblick auf die Vertreibung der deutsch-stämmigen Bevölkerung aus dem Böhmerwald;ein kultureller und sprachlicher Kahlschlag, dernicht mehr rückgängig zu machen ist.

DDr. Fritz Bertlwieser

In einem Interview mit Gerlinde Allmayer erga-ben sich noch Einblicke in Werk-stätten fürDialektübersetzung und über deren Sinn undZweck. Damit klang die informative Tagung amMittag aus.

Ulrike Derndinger, Josef Wittmann

Johann Pammer

ImpressumRedaktion: Josef Wittmann, Gerd AllmayerLayout u. Bildbearbeitung: Gerd AllmayerDruck: Profil Medien+Design, Tittmoning

„Die Mundart ist doch eigentlichder Ort, wo die Sele ihren Atem schöpft“ - auf einem Gedenksteinan einem Weg durch die Weinberge am Strangenberg nahe Rouffach im Elsass hat Volkmar Zobeldiesen Gedenkstein mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe forografiert. Für die nach-folgende Zusammenfassung des Referats von Heinz Siebert steht der Stein als eine Art Mahnmal.

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 5

Page 5: A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land Salzburg IDI ... · IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 3. IDI-Information Nr.99 4 IDI-Information Nr.99 5 gesprochen

IDI-Information Nr.99 5 IDI-Information Nr.99 4

gesprochen hätten, wie seine Großeltern. Mitden tschechischen Floskeln für Prost, GutenTag und Danke habe er signalisiert, dass ernicht hochnäsig daherkomme, so als müsstenalle selbst verständlich Deutsch verstehen.

Abendliche LesungDie Lesung am Abend im Hotel Hubertuswurde im Hauptteil übernommen von HannesDecker, Astrid Marte und Ulrike Derndinger. EinSchweif, bei dem die Dichter rundum einenTexte lesen, ließ die anderen auch zu Wortkommen. Begleitet wurden sie humorvoll undpassend von der Mühlviertler Okarina-Musik.

Sonntag: Vertreibung aus Land undSpracheIn einem bis ins wissenschaftliche Detail fun-dierten und gleichwohl packend persönlichenVortrag führte Dr. Fritz Bertlwieser sein Audito-rium in die Regional-dialekte des Böhmerwaldsein. An der eigenen Herkunftssprache demons-trierte er, dass die markanten Lautgrenzen

nicht an der politischen Staatsgrenze, sondernentlang der Großen Mühl bzw. der SteinernenMühl verlaufen. Beeindruckend war aber auchsein Rückblick auf die Vertreibung der deutsch-stämmigen Bevölkerung aus dem Böhmerwald;ein kultureller und sprachlicher Kahlschlag, dernicht mehr rückgängig zu machen ist.

DDr. Fritz Bertlwieser

In einem Interview mit Gerlinde Allmayer erga-ben sich noch Einblicke in Werk-stätten fürDialektübersetzung und über deren Sinn undZweck. Damit klang die informative Tagung amMittag aus.

Ulrike Derndinger, Josef Wittmann

Johann Pammer

ImpressumRedaktion: Josef Wittmann, Gerd AllmayerLayout u. Bildbearbeitung: Gerd AllmayerDruck: Profil Medien+Design, Tittmoning

„Die Mundart ist doch eigentlichder Ort, wo die Sele ihren Atem schöpft“ - auf einem Gedenksteinan einem Weg durch die Weinberge am Strangenberg nahe Rouffach im Elsass hat Volkmar Zobeldiesen Gedenkstein mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe forografiert. Für die nach-folgende Zusammenfassung des Referats von Heinz Siebert steht der Stein als eine Art Mahnmal.

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 5

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IDI-Information Nr.99 7IDI-Information Nr.99 6

Gschicht, Sprooch un Literatur am Oberrhin

Prolog:Vergiss das ElsassDas Elsass ist GiftMit dem Elsass machst du dir höchstens dieKarriere kaputtMit dem Elsass kriegst du nur Ärger, so oder soDas Elsass bringt nichts...Das Elsass hat seinen Namen verloren...Vergiss das Elsass, streich die Vogesen aus, am HorizontVergiss unsVergiss uns alle.

Eine ziemlich böse und frustrierte Abrechnungvon Philipp Beyer in Allmende 87/2011. Aber das Elsass könnte bald tatsächlich vergessensein, denn:

1. Das Elsass soll mit Lothringen und derChampagne fusioniert werden:Paris will von den bislang 22 Regionen dieHälfte einsparen. Die Elsässer protestieren jetztvehement: Ihre Kampagne heißt „Cigogne re-belle“, die Parolen lauten: Touche pas à mon Al-sace. Es geht um regionale Identität, aber auchum Privilegien, die noch aus der Kaiserzeitstammen: Die Pfarrer werden immer noch vomStaat bezahlt, der Ladenschluss ist früher. Am Samstag, 10. Oktober, haben in Straßburg7.000 Menschen demonstriert, 10.000 warenangekündigt. Die Région Alsace hatte Sonder-züge gechartert und Billigtickets angeboten. „Unsere Zukunft ist die trinationale Metropolre-gion“, sagt der Präsident der elsässischenHandwerkskammer Bernard Stalter. Von Parislassen sich die Elsässer sowieso nicht gerneetwas sagen. Dort regieren die Sozialisten.“

2. Was war das Elsass einmal?Von 496 das ganze Mittelalter: Teil des deut-schen Reiches. Ab dem 17. Jahrhundert: Frankreich. Zwischen1633 und 1681 übernahm das Königreich Frank-reich in den meisten elsässischen Regionen die

Landesherrschaft. Das Elsass erlebte bis 1789eine Blütezeit, kulturell und wirtschaftlich. DasFranzösische verbreitete sich in ganz Europa,im Elsass als Verwaltungs-, Handels- und Di-plomatensprache besonders stark. Aber diegermanischen und romanischen Dialekte blie-ben erhalten und an der Universität Straßburgwurde nach wie vor auf Deutsch gelehrt. Abder Revolution 1789 wurden die Rechte der el-sässischen Herrschaften aufgelöst und die bei-den Départements Haut-Rhin und Bas-Rhingegründet.

Von 1871 bis 1918: kaiserlich Deutsch. AlsFolge des Krieges 1870–1871 wurden TeileOstfrankreichs, der überwiegende Teil der bei-den elsässischen Départements und die Nord-hälfte des benachbarten Lothringen an dasDeutsche Kaiserreich abgetreten. Der „Frank-furter Friede“ beinhaltete auch die sog. „Op-tion“: Die Einwohner konnten französischeStaatsbürger bleiben, mussten aber zu Elsass-Lothringen. Französischsprachige Gemeindenund Familien waren Germanisierungs- und As-similationsversuchen ausgesetzt. Schul- undAmtssprache wurde fast überall Deutsch.Von 1919 bis 1940: Französisch. Nach demErsten Weltkrieg (Versailler Vertrag) wurde das1871 abgetretene Gebiet wieder Frankreichangegliedert. Die französische Sprache wurdeals verbindliche Amts- und Schulsprache ein-geführt. Reichsdeutsche Beamte und nach1871 Zugezogene und deren Nachfahren (ins-gesamt 300.000 Menschen) mussten das El-sass verlassen. Von 1940 bis 1945: Nazi-Deutsch. 1940 be-setzte die deutsche Wehrmacht das Elsass,unterstellte es einer reichsdeutschen Zivilver-waltung und schloss es mit dem Gau Badenzum neuen Gau Baden-Elsass zusammen.45.000 Menschen wurden aus dem Elsass ver-wiesen bzw. deportiert. Von über 100.000 alsVolksdeutsche in Wehrmacht und Waffen-SSrekrutierten Elsässern und Lothringern kamenmehr als 40.000 ums Leben. Seit 1945: Französisch. Elsässische Spracheund Kultur wurde nach Kriegsende von amtli-cher und politischer Seite marginalisiert, so

dass ein großer Teil der Bevölkerung zu Fran-zösisch als Standardsprache überging. Durchden Strukturwandel in der Landwirtschaft, Ver-städterung und Einwanderung aus anderenTeilen Frankreichs sowie aus Italien, Portugal,der Türkei und dem Maghreb veränderte sichdie Zusammensetzung der Bevölkerung. Amts-und Schulsprache im Elsass ist heute aus-schließlich Französisch.

3. Die Sprache im ElsassDie Entwicklung der Sprache ist von der Politiknicht zu trennen. Sie oszilliert je nach denMachtverhältnissen: Deutsch-französisch-fran-zösisch – deutsch und mittendrin die Mundart:Esässerditsch – was ist das? Es gibt kein ein-heitliches „Elsässisch“, so wie es kein „Ba-disch“ gibt. Es gibt an der Rheinschiene wieauf der deutschen Seite von Süd nach Nordein Hoch- und ein Niederalemannisch. In wei-ten Teilen herrscht heute eine sogenannte „Di-glossie“, eine besondere Form der Zwei-sprachigkeit, die man mit einem Beispiel illus-trieren kann: Jaques, chasse mer emol d Gigglus em Jardin! Das kann man als Kauderwelschoder als bunte Vielfalt ansehen.

Gemäß einer Umfrage des Amts für Spracheund Kultur im Elsass sprachen 2012 noch etwa600.000 Menschen „Elsässisch“, vor allem imländlichen Raum, in Dörfern und kleinerenStädten. 1946 waren noch 90 Prozent Mund-artsprecher.

Die Mundart kämpft, obwohl inzwischen dieZweisprachigkeit staatlich gefördert wird, einenaussichtslosen Kampf gegen drei Hochspra-chen: 1. Die Amts- und Umgangssprache Franzö-sisch. 2. Das Hochdeutsche. 3. Die Globalisierungssprache Englisch, dievor allem auch die Massenkultur dominiert.

4. Literatur im ElsassLiteratur am Oberrhein war einmal links undrechts des Rheins Gemeingut: Im Humanis-mus des 15. Und 16. Jahrhunderts durch Eras-

mus von Rotterdam, Geiler von Kaysersberg,Johannes Reuchlin. Im Barock des 17. Jahr-hunderts durch Hans Jacob von Grimmels-hausen, im 18. Jahrhundert durch GoethesAufenthalte und Johann Gottfried Herder,durch Johann Peter Hebel. Durch Verfechterder Freiheit im Zeitalter der französischen Re-volution, des Vormärz und der bürgerlichen Re-volution von 1848/49. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts und bis zurNazizeit gab es eine Blütezeit der elsässichenLiteratur – geschrieben zumeist in Hoch-deutsch. Der wirkmächtigste Dichter von El-sass-Lothringen war der nach Deutschlandausgewanderte René Schickele. Er, Otto Flakeund Ernst Stadler bildeten die Gruppe des„Jüngsten Elsass“ mit der Zeitschrift „Stürmer“.(Was für ein Name!) René Schickele (1883-1940) war Schriftsteller, Essayist, Übersetzerund Pazifist. 1914 Herausgeber von „Die Wei-ßen Blätter“, die durch ihn zu einer der wich-tigsten Zeitschriften des Expressionismuswurden. Während des Krieges publizierten inden Weißen Blättern pazifistische Autoren wieJohannes R. Becher, Leonhard Frank, WalterHasenclever und Heinrich Mann. Nach demErsten Weltkrieg zog Schickele nach Baden-weiler und engagierte sich leidenschaftlich fürdie Verständigung zwischen Deutschland undFrankreich. René Schikele: „Das Land der Vo-gesen und das Land des Schwarzwaldes sindwie zwei Seiten eines aufgeschlagenen Bu-ches – ich sehe deutlich vor mir, wie der Rheinsie nicht trennt, sondern vereint, indem er siemit seinem festen Falz zusammenhält“.

Wie sieht es in der Neuzeit aus?Erst die Studentenrevolte von 1968 und späterder Kampf gegen Atomkraftwerke am Ober-rhein bescherten der Regionalsprache und derRegionalliteratur, nach der „epischen Dürre“(Alfred Döblin) der Nachkriegszeit eine stroh-feuerartige Blüte. „Die Wacht am Rhein“ warplötzlich eine grenzüberschreitende Solidaritätder Alemannen im „Dreyeckland“. „Mir keyemol d’Grenz über de Hüffe“, schrieb der Lieder-macher Francois Brumbt. Der SchriftstellerAndré Weckmann (1924-2012), IDI-Wegge-

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Gschicht, Sprooch un Literatur am Oberrhin

Prolog:Vergiss das ElsassDas Elsass ist GiftMit dem Elsass machst du dir höchstens dieKarriere kaputtMit dem Elsass kriegst du nur Ärger, so oder soDas Elsass bringt nichts...Das Elsass hat seinen Namen verloren...Vergiss das Elsass, streich die Vogesen aus, am HorizontVergiss unsVergiss uns alle.

Eine ziemlich böse und frustrierte Abrechnungvon Philipp Beyer in Allmende 87/2011. Aber das Elsass könnte bald tatsächlich vergessensein, denn:

1. Das Elsass soll mit Lothringen und derChampagne fusioniert werden:Paris will von den bislang 22 Regionen dieHälfte einsparen. Die Elsässer protestieren jetztvehement: Ihre Kampagne heißt „Cigogne re-belle“, die Parolen lauten: Touche pas à mon Al-sace. Es geht um regionale Identität, aber auchum Privilegien, die noch aus der Kaiserzeitstammen: Die Pfarrer werden immer noch vomStaat bezahlt, der Ladenschluss ist früher. Am Samstag, 10. Oktober, haben in Straßburg7.000 Menschen demonstriert, 10.000 warenangekündigt. Die Région Alsace hatte Sonder-züge gechartert und Billigtickets angeboten. „Unsere Zukunft ist die trinationale Metropolre-gion“, sagt der Präsident der elsässischenHandwerkskammer Bernard Stalter. Von Parislassen sich die Elsässer sowieso nicht gerneetwas sagen. Dort regieren die Sozialisten.“

2. Was war das Elsass einmal?Von 496 das ganze Mittelalter: Teil des deut-schen Reiches. Ab dem 17. Jahrhundert: Frankreich. Zwischen1633 und 1681 übernahm das Königreich Frank-reich in den meisten elsässischen Regionen die

Landesherrschaft. Das Elsass erlebte bis 1789eine Blütezeit, kulturell und wirtschaftlich. DasFranzösische verbreitete sich in ganz Europa,im Elsass als Verwaltungs-, Handels- und Di-plomatensprache besonders stark. Aber diegermanischen und romanischen Dialekte blie-ben erhalten und an der Universität Straßburgwurde nach wie vor auf Deutsch gelehrt. Abder Revolution 1789 wurden die Rechte der el-sässischen Herrschaften aufgelöst und die bei-den Départements Haut-Rhin und Bas-Rhingegründet.

Von 1871 bis 1918: kaiserlich Deutsch. AlsFolge des Krieges 1870–1871 wurden TeileOstfrankreichs, der überwiegende Teil der bei-den elsässischen Départements und die Nord-hälfte des benachbarten Lothringen an dasDeutsche Kaiserreich abgetreten. Der „Frank-furter Friede“ beinhaltete auch die sog. „Op-tion“: Die Einwohner konnten französischeStaatsbürger bleiben, mussten aber zu Elsass-Lothringen. Französischsprachige Gemeindenund Familien waren Germanisierungs- und As-similationsversuchen ausgesetzt. Schul- undAmtssprache wurde fast überall Deutsch.Von 1919 bis 1940: Französisch. Nach demErsten Weltkrieg (Versailler Vertrag) wurde das1871 abgetretene Gebiet wieder Frankreichangegliedert. Die französische Sprache wurdeals verbindliche Amts- und Schulsprache ein-geführt. Reichsdeutsche Beamte und nach1871 Zugezogene und deren Nachfahren (ins-gesamt 300.000 Menschen) mussten das El-sass verlassen. Von 1940 bis 1945: Nazi-Deutsch. 1940 be-setzte die deutsche Wehrmacht das Elsass,unterstellte es einer reichsdeutschen Zivilver-waltung und schloss es mit dem Gau Badenzum neuen Gau Baden-Elsass zusammen.45.000 Menschen wurden aus dem Elsass ver-wiesen bzw. deportiert. Von über 100.000 alsVolksdeutsche in Wehrmacht und Waffen-SSrekrutierten Elsässern und Lothringern kamenmehr als 40.000 ums Leben. Seit 1945: Französisch. Elsässische Spracheund Kultur wurde nach Kriegsende von amtli-cher und politischer Seite marginalisiert, so

dass ein großer Teil der Bevölkerung zu Fran-zösisch als Standardsprache überging. Durchden Strukturwandel in der Landwirtschaft, Ver-städterung und Einwanderung aus anderenTeilen Frankreichs sowie aus Italien, Portugal,der Türkei und dem Maghreb veränderte sichdie Zusammensetzung der Bevölkerung. Amts-und Schulsprache im Elsass ist heute aus-schließlich Französisch.

3. Die Sprache im ElsassDie Entwicklung der Sprache ist von der Politiknicht zu trennen. Sie oszilliert je nach denMachtverhältnissen: Deutsch-französisch-fran-zösisch – deutsch und mittendrin die Mundart:Esässerditsch – was ist das? Es gibt kein ein-heitliches „Elsässisch“, so wie es kein „Ba-disch“ gibt. Es gibt an der Rheinschiene wieauf der deutschen Seite von Süd nach Nordein Hoch- und ein Niederalemannisch. In wei-ten Teilen herrscht heute eine sogenannte „Di-glossie“, eine besondere Form der Zwei-sprachigkeit, die man mit einem Beispiel illus-trieren kann: Jaques, chasse mer emol d Gigglus em Jardin! Das kann man als Kauderwelschoder als bunte Vielfalt ansehen.

Gemäß einer Umfrage des Amts für Spracheund Kultur im Elsass sprachen 2012 noch etwa600.000 Menschen „Elsässisch“, vor allem imländlichen Raum, in Dörfern und kleinerenStädten. 1946 waren noch 90 Prozent Mund-artsprecher.

Die Mundart kämpft, obwohl inzwischen dieZweisprachigkeit staatlich gefördert wird, einenaussichtslosen Kampf gegen drei Hochspra-chen: 1. Die Amts- und Umgangssprache Franzö-sisch. 2. Das Hochdeutsche. 3. Die Globalisierungssprache Englisch, dievor allem auch die Massenkultur dominiert.

4. Literatur im ElsassLiteratur am Oberrhein war einmal links undrechts des Rheins Gemeingut: Im Humanis-mus des 15. Und 16. Jahrhunderts durch Eras-

mus von Rotterdam, Geiler von Kaysersberg,Johannes Reuchlin. Im Barock des 17. Jahr-hunderts durch Hans Jacob von Grimmels-hausen, im 18. Jahrhundert durch GoethesAufenthalte und Johann Gottfried Herder,durch Johann Peter Hebel. Durch Verfechterder Freiheit im Zeitalter der französischen Re-volution, des Vormärz und der bürgerlichen Re-volution von 1848/49. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts und bis zurNazizeit gab es eine Blütezeit der elsässichenLiteratur – geschrieben zumeist in Hoch-deutsch. Der wirkmächtigste Dichter von El-sass-Lothringen war der nach Deutschlandausgewanderte René Schickele. Er, Otto Flakeund Ernst Stadler bildeten die Gruppe des„Jüngsten Elsass“ mit der Zeitschrift „Stürmer“.(Was für ein Name!) René Schickele (1883-1940) war Schriftsteller, Essayist, Übersetzerund Pazifist. 1914 Herausgeber von „Die Wei-ßen Blätter“, die durch ihn zu einer der wich-tigsten Zeitschriften des Expressionismuswurden. Während des Krieges publizierten inden Weißen Blättern pazifistische Autoren wieJohannes R. Becher, Leonhard Frank, WalterHasenclever und Heinrich Mann. Nach demErsten Weltkrieg zog Schickele nach Baden-weiler und engagierte sich leidenschaftlich fürdie Verständigung zwischen Deutschland undFrankreich. René Schikele: „Das Land der Vo-gesen und das Land des Schwarzwaldes sindwie zwei Seiten eines aufgeschlagenen Bu-ches – ich sehe deutlich vor mir, wie der Rheinsie nicht trennt, sondern vereint, indem er siemit seinem festen Falz zusammenhält“.

Wie sieht es in der Neuzeit aus?Erst die Studentenrevolte von 1968 und späterder Kampf gegen Atomkraftwerke am Ober-rhein bescherten der Regionalsprache und derRegionalliteratur, nach der „epischen Dürre“(Alfred Döblin) der Nachkriegszeit eine stroh-feuerartige Blüte. „Die Wacht am Rhein“ warplötzlich eine grenzüberschreitende Solidaritätder Alemannen im „Dreyeckland“. „Mir keyemol d’Grenz über de Hüffe“, schrieb der Lieder-macher Francois Brumbt. Der SchriftstellerAndré Weckmann (1924-2012), IDI-Wegge-

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Page 8: A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land Salzburg IDI ... · IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 3. IDI-Information Nr.99 4 IDI-Information Nr.99 5 gesprochen

IDI-Information Nr.99 9IDI-Information Nr.99 8

fährte von Anfang an, sprach gar von einer„Alemannischen Internationale“. Weckmann:„Was glaubt ihr denn, ihr beiden prestigebela-denen, triumphalischen Nachbarn, die ihr tur-nusmäßig zu uns kamt mit euren hehrenkulturellen Schablonen und Kritierien und unsdas Heil brachtet. Was glaubt ihr denn? Dasswir so töricht seien und turnusmäßig verleug-nen, was der vorherige uns Gutes und Schö-nes eingepaukt hatte? Nein, wir horten dieSchätze, wir sortieren das Beste aus und säendie Edelmischung zwischen Vogesen undRhein.“

Und auch von anderen Autoren wurde die Ge-schichte wieder neu beleuchtet, sowohl Kaiser-als auch Nazizeit: Jean Egen, „Die Linden vonLauterbach“ – ein großartiger Roman über dasElsass der Zwischenkriegszeit, Claude Vigée,„Doppelt Jude und doppelt Elsässer“, AdrienFinck als Herausgeber der „Revue Alsaciennede litterature“, Tommi Ungerer zeichnete undschrieb: „Wir leben nicht mehr unter deutschenStiefeln oder französischen Pantoffeln“, ReneEgles, François Brumbt und Roger Sifferbrachten elsässisches Liedgut zum Vortrag,Germain Muller betrieb das Theater „Le Baabli“

In der Gegenwart gibt es nur noch OasenEs gibt nur noch ganz wenige Autoren, diemeisten schreiben in Französisch, wennDeutsch, dann Hochdeutsch. Mundart schrei-ben nur ganz ganz wenige. Die Themen sindvor allem: Die schöne Landschaft, das elsässi-sche Essen, alte Kirchen und Museen. Oderdie Abgrenzung von Paris. Politische Autorengibt es nicht. Aber unermüdliche Aktivisten,Dialektunterstützer und Grenzüberschreiter,wie: Yves Bisch (*1945), pensionierter Lehrer, Werke: De elsässische Max und Moritz, De el-sässische Strubelpeter, 10 Marle vo de BriederGrimm, und zusammen mit Edgar Zeidler 120leçons d’alsacien. Martin Graff (*1944), Pfarrer,Journalist, Autor, Kabarettist und Filmemacher,schrieb zahlreiche Bücher auf Französischoder Deutsch zum Thema Grenze, Minderheit und Religion, drehte mehr als 200 Filme fürdeutsche und französische Fernsehanstalten,

tritt regelmäßig in einer eigenen Show imTheâtre de la Choucrouterie in Straßburg auf,schreibt Kolumnen für Die Rheinpfalz und dieBadische Zeitung. Emma Guntz (*1937), hattevon 1984 bis 1996 eine wöchentliche Lyriksen-dung bei Radio France 3 Alsace, mehrere Ly-rikbände, zuletzt 2009 Späte Widmung.Edgar Zeidler (* 1953), Deutschlehrer undDichter, Leiter des Vereins AGATE (Académiepour une Graphie Alsacienne Transfrontalière).Aus „Nachtgebatt“, Allmende, Seite 65:Ùffem Bickla ìwrem Dorf, gànz oba Bliwi stehn, mìttem Blìck ìn die Farna Süech àm Himmel sini ÀuigastarnaMein, sie kännta ìm Wolkameer woga ...Jean-Christophe Meyer (*1978), Journalist,Gedichtbände „Sagittales“ (2004), „Garde tonsouffle pour le chant de la gratitude“ (2011),Herausgeber der zweisprachigen Anthologie„Im Kreuzfeuer zweier Kulturen“, engagierterVerfechter seiner Muttersprache, aktiv in meh-reren Vereinigungen (Heimetsproch un Tràdi-tion, Jùngi fer’s Elsassische, AGATE, usw.),2012 Teilnehmer der Schopfheimer Mundart-Li-teratur-Werkstatt.Weiter: Ronald Euler (*1966) Lyriker, PierreKretz (*1950), Rechtsanwalt, Schriftsteller, Si-mone Morgenthaler (*1952), Journalistin,Schriftstellerin.

Wer kümmert sich sonst noch um die elsäs-sische Sprache?Die Liedermacher Roger Siffer, FrancoisBrumbt, René Egles, Roland Engel, Robert-Frank Jacobi („der elsässische Brel“). DasTheater „La Chocrouterie“ in Paris, von RogerSiffer gegründet. Das Festival Summerlied inOhlungen (nördl. von Straßburg). Die René-Schickele-Gesellschaft, gegründet1968 mit ihrer Zeitschrift „Land und Sprooch“.Der Verein Uns‘ri Heimet, gegründet 2009.Der Verlag La Nuée Bleue: Elsässischer Verlagseit 1920, z.B.: „S KLEINE BIBBELE WILLÀN'S MEER“ von Christian Jolibois und Chris-tian Heinrich.Die Internetportale: Elsasser Zit-tung: http://www.elsasserzittung.com/ undElsässisches Kulturzentrum: http://www.centre-culturel-alsacien.eu/

5. Und bei uns – ist alles besser? Es gibt auf badischer Seite keinen Grund zurÜberheblichkeit, auch hier sind die alemanni-schen Dichter im Gleichschritt mit der Spracheauf dem Rückzug. Auch das badische Aleman-nisch kämpft gegen Hochsprache und Eng-lisch. Mundart wird von der Jugend als uncoolempfunden, als prollig oder bestenfalls retro.Die Mundart-Szene – Muettersprooch-Gesell-schaft – ist überaltert und Besserung ist nichtin Sicht. Junge Mundartautoren sind Mangel-ware. Es geht uns noch besser als im Elsaßaber nicht grundsätzlich besser.

Und in der Schweiz? Dort lebt der Dialekt vor allem, weil er Mittel zurAbgrenzung ist. Gegen das Hochdeutsche, dasFremde. Selbst in TV-Talkshows wird Schwy-zerdütsch gesprochen. Aber macht das die Ab-schottungspolitik gegenüber Ausländernbesser? Sprache, auch eine regionale Spra-che, sollte Brücken bauen und nicht zur Ab-schottung beitragen. Vor allem inGrenzgebieten, gerade auch am Oberrhein.

Heinz Siebold

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Page 9: A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land Salzburg IDI ... · IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 3. IDI-Information Nr.99 4 IDI-Information Nr.99 5 gesprochen

IDI-Information Nr.99 9IDI-Information Nr.99 8

fährte von Anfang an, sprach gar von einer„Alemannischen Internationale“. Weckmann:„Was glaubt ihr denn, ihr beiden prestigebela-denen, triumphalischen Nachbarn, die ihr tur-nusmäßig zu uns kamt mit euren hehrenkulturellen Schablonen und Kritierien und unsdas Heil brachtet. Was glaubt ihr denn? Dasswir so töricht seien und turnusmäßig verleug-nen, was der vorherige uns Gutes und Schö-nes eingepaukt hatte? Nein, wir horten dieSchätze, wir sortieren das Beste aus und säendie Edelmischung zwischen Vogesen undRhein.“

Und auch von anderen Autoren wurde die Ge-schichte wieder neu beleuchtet, sowohl Kaiser-als auch Nazizeit: Jean Egen, „Die Linden vonLauterbach“ – ein großartiger Roman über dasElsass der Zwischenkriegszeit, Claude Vigée,„Doppelt Jude und doppelt Elsässer“, AdrienFinck als Herausgeber der „Revue Alsaciennede litterature“, Tommi Ungerer zeichnete undschrieb: „Wir leben nicht mehr unter deutschenStiefeln oder französischen Pantoffeln“, ReneEgles, François Brumbt und Roger Sifferbrachten elsässisches Liedgut zum Vortrag,Germain Muller betrieb das Theater „Le Baabli“

In der Gegenwart gibt es nur noch OasenEs gibt nur noch ganz wenige Autoren, diemeisten schreiben in Französisch, wennDeutsch, dann Hochdeutsch. Mundart schrei-ben nur ganz ganz wenige. Die Themen sindvor allem: Die schöne Landschaft, das elsässi-sche Essen, alte Kirchen und Museen. Oderdie Abgrenzung von Paris. Politische Autorengibt es nicht. Aber unermüdliche Aktivisten,Dialektunterstützer und Grenzüberschreiter,wie: Yves Bisch (*1945), pensionierter Lehrer, Werke: De elsässische Max und Moritz, De el-sässische Strubelpeter, 10 Marle vo de BriederGrimm, und zusammen mit Edgar Zeidler 120leçons d’alsacien. Martin Graff (*1944), Pfarrer,Journalist, Autor, Kabarettist und Filmemacher,schrieb zahlreiche Bücher auf Französischoder Deutsch zum Thema Grenze, Minderheit und Religion, drehte mehr als 200 Filme fürdeutsche und französische Fernsehanstalten,

tritt regelmäßig in einer eigenen Show imTheâtre de la Choucrouterie in Straßburg auf,schreibt Kolumnen für Die Rheinpfalz und dieBadische Zeitung. Emma Guntz (*1937), hattevon 1984 bis 1996 eine wöchentliche Lyriksen-dung bei Radio France 3 Alsace, mehrere Ly-rikbände, zuletzt 2009 Späte Widmung.Edgar Zeidler (* 1953), Deutschlehrer undDichter, Leiter des Vereins AGATE (Académiepour une Graphie Alsacienne Transfrontalière).Aus „Nachtgebatt“, Allmende, Seite 65:Ùffem Bickla ìwrem Dorf, gànz oba Bliwi stehn, mìttem Blìck ìn die Farna Süech àm Himmel sini ÀuigastarnaMein, sie kännta ìm Wolkameer woga ...Jean-Christophe Meyer (*1978), Journalist,Gedichtbände „Sagittales“ (2004), „Garde tonsouffle pour le chant de la gratitude“ (2011),Herausgeber der zweisprachigen Anthologie„Im Kreuzfeuer zweier Kulturen“, engagierterVerfechter seiner Muttersprache, aktiv in meh-reren Vereinigungen (Heimetsproch un Tràdi-tion, Jùngi fer’s Elsassische, AGATE, usw.),2012 Teilnehmer der Schopfheimer Mundart-Li-teratur-Werkstatt.Weiter: Ronald Euler (*1966) Lyriker, PierreKretz (*1950), Rechtsanwalt, Schriftsteller, Si-mone Morgenthaler (*1952), Journalistin,Schriftstellerin.

Wer kümmert sich sonst noch um die elsäs-sische Sprache?Die Liedermacher Roger Siffer, FrancoisBrumbt, René Egles, Roland Engel, Robert-Frank Jacobi („der elsässische Brel“). DasTheater „La Chocrouterie“ in Paris, von RogerSiffer gegründet. Das Festival Summerlied inOhlungen (nördl. von Straßburg). Die René-Schickele-Gesellschaft, gegründet1968 mit ihrer Zeitschrift „Land und Sprooch“.Der Verein Uns‘ri Heimet, gegründet 2009.Der Verlag La Nuée Bleue: Elsässischer Verlagseit 1920, z.B.: „S KLEINE BIBBELE WILLÀN'S MEER“ von Christian Jolibois und Chris-tian Heinrich.Die Internetportale: Elsasser Zit-tung: http://www.elsasserzittung.com/ undElsässisches Kulturzentrum: http://www.centre-culturel-alsacien.eu/

5. Und bei uns – ist alles besser? Es gibt auf badischer Seite keinen Grund zurÜberheblichkeit, auch hier sind die alemanni-schen Dichter im Gleichschritt mit der Spracheauf dem Rückzug. Auch das badische Aleman-nisch kämpft gegen Hochsprache und Eng-lisch. Mundart wird von der Jugend als uncoolempfunden, als prollig oder bestenfalls retro.Die Mundart-Szene – Muettersprooch-Gesell-schaft – ist überaltert und Besserung ist nichtin Sicht. Junge Mundartautoren sind Mangel-ware. Es geht uns noch besser als im Elsaßaber nicht grundsätzlich besser.

Und in der Schweiz? Dort lebt der Dialekt vor allem, weil er Mittel zurAbgrenzung ist. Gegen das Hochdeutsche, dasFremde. Selbst in TV-Talkshows wird Schwy-zerdütsch gesprochen. Aber macht das die Ab-schottungspolitik gegenüber Ausländernbesser? Sprache, auch eine regionale Spra-che, sollte Brücken bauen und nicht zur Ab-schottung beitragen. Vor allem inGrenzgebieten, gerade auch am Oberrhein.

Heinz Siebold

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 9

BaustellenDas IDI funktioniert wieder. Es hat einen rüh-rigen Vorstand, es informiert Mitglieder und Interes s^enten, es wird mit seinem Anliegen wieder wahrgenommen. Es soll die in Mitteleu-ropa heimischen Sprachen und Dialekte för-dern und die Literatur in diesen Sprachen über deren regionale Grenzen hinaus bekannt ma-chen. Dafür interessieren sich viele Menschen und darum treten neue Interessenten dem IDI bei, um mitzuwirken.

Es würden mehr neue Interessenten beitre-ten, wenn die Mitglieder für das IDI werben, wenn sie ihren regionalen Mitstreitern das IDI empfehlen würden. Nur: wie sollen sie? Der Internet-Auftritt des IDI ist so gut wie nicht vorhanden, die Informationswege sind mit dem dezentral arbeitenden Vorstand nicht so trans-parent, wie man sie sich erwartet.

Guten Willens ist der Vorstand, aber für die internet-community zu alt. Jemand müsste sich um die Website, jemand müsste sich um die Social Media kümmern, jemand müsste dafür sorgen, dass man per Mausklick dem IDI bei-treten kann und dass die Beiträge im schönen weiten SEPA-Netz einge zogen werden kön-nen. Für jemanden, der mit der Technik umge-hen kann, kein großer Aufwand. So jemanden suchen wir: ein zusätzliches Vorstandsmitglied, das sich um diese Dinge kümmert.

Bis dahin gilt als Provisorium: bitte wenden Sie sich in allen Fragen, auch mit Beitritts-Wün-schen an Vorstandsmitglied Josef Wittmann, [email protected] – er verteilt die An-liegen im Vorstand, gibt Auskunft und bestätigt künftig auch alle Anmeldungen.

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IDI-Information Nr.99 11IDI-Information Nr.99 10

Politische und soziokulturelle Veränderun-gen nach der Wende

Mit einer sanften Revolution, (1989 – 1990)wurden in vielen Staaten Osteuropas:Polen, Ungarn, DDR, Tschechoslowakei, Bul-garien & Rumänien, kommunistische Regimevon pluralistischen, parlamentarischen Demo-kratien abgelöst. Die Erweiterung der EUin die osteuropäischen Länder nahm damitihren Anfang.Deutschland: Nach einer zeitweiligen Öffnungder ungarischen Grenze flüchteten 20.000DDR-Bürger zum Teil von Campingplätzen amNeusiedler See aus nach Österreich und wei-ter in die BRD. Als am 8.11.1989 nach De-monstrationen hunderttausender Menschendie kommunistische Regierung zurücktrat, fielam 9.11. die Berliner Mauer.In der Tschechoslowakei legten nach ähnlichstarken Protestdemonstrationen am Wenzels-Platz kommunistische Funktionäre reihen-weise ihre Ämter nieder und im Dezember tratauch Präsident Gustav Husak zurück. Am Tagdarauf durchschnitt Dr. Josef Ratzenböck miteinem Vertreter aus Tschechien den Stachel-drahtzaun, so wie es der Österreichische Au-ßenminister Dr. Alois Mock und sein ungar-ischer Counterpart Gyula Horn im Burgenlandpraktizierten.Von Oberösterreich aus hatten viele ehemalsVertriebene zugesehen wie ihre Häuser auftschechischer Seite im „Niemandsland“ abge-rissen wurden oder jenseits der Grenze verfie-len. Beneš Dekrete legalisierten die Ent-eignung.Kein Wunder, dass es vor allem jungeLeute in die Ballungsräume zog. Landfluchtwar die Folge.Osterweiterung 2004: Im Mai 2004 vermehrtesich die europäische Gemeinschaft nachlangen Verhandlungen durch den offiziellenBeitritt zehn neuer Mitgliedsländer:Die baltischen Staaten Estland, Lettland, Li-tauen, Polen, Polen Tschechische Republik,Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zy-pern. Rumänien und Bulgarien folgten 2007.Regionen, die an der Grenze von alten undneuen Mitgliedsländern liegen, werden speziell

gefördert. Diese Programme heißen INTERR-REG bzw. LEADER. Projekte im Tourismus, inder Landwirtschaft, Bildung, Infrastruktur, imGewerbe und in der Industrie sowie die grenz-überschreitende Zusammenarbeit der jeweili-gen Länder werden unterstützt. Das wesent-liche Ziel dabei wäre es, Grenzen die in denKöpfen der Menschen immer noch bestehen,zu überwinden.ERASMUS und SOKRATES fördern die Mobili-tät junger Menschen. Sie ermöglichen zigtau-senden Studenten, andere Länder kennen zulernen und im Ausland zu studieren.(vergl.: http://www.ooegeschichte.at/kids/rund-gaenge/oberoesterreich-und-europa /europaei-sche-integration/eu-osterweiterung-2004/)In Krumau hat es eine Gruppe von Künstlernund freiwilligen Helfern geschafft, ein altes Industriegebäude zu renovieren und zum inter-national angesehenen Schiele-Zentrum auszu-bauen, wo auch Literaten und Künstler aus OÖin dafür bereitgestellten Atelier-Wohnungenals „artists in residence“ im Rahmen vierwöchi-ger Stipendien an ihren Projekten schreibenund arbeiten konnten. Das Büro für kulturelleAuslandsbeziehungen des Landes OÖ förderte„Grenzgänger“, eine Serie grenzüberschreiten-der Symposien Bildender Künstler.Ich durfte einmal kurzfristig als musikalischeFeuerwehr einspringen, als sich ein Gitarristvor einem Konzert anlässlich eines Dorffestesin Holešovice den Daumen gebrochen hatte.

Laut Profil (vergl. Nr. 42, 13. 0ktober 2014, S.34) können sich 5 Prozent der Österreicher ineiner Sprache der ehemaligen Ostblockstaatenverständigen. Nur jede fünfte Oberösterreiche-rIn fährt öfter ins nördliche Nachbarland, trotzüberregionaler Landesausstellungen wie Kru-mau – Freistadt 2013. 3.700 Lateinklassen anösterreichischen AHS stehen 16 Tschechisch-klassen gegenüber.

Spannungen im Bildungs- und Sozialbereichsind beinahe offensichtlich. Der Anteil der Stu-dierenden aus soziokulturell benachteiligtenFamilien lag Anfang der Achtziger Jahre bei13,7 %, vor ein paar Jahren bei 8 %. Nur

Roma-Kinder in Tschechien haben noch gerin-gere Aussichten auf eine akademische Lauf-bahn.Zwei Theorien vor deren Hintergrund mir diese„Entwicklung“ mehr als bedenklich erscheint:

Jury-Theorem von Antoine Marquis de Con-dorcet (1743 -1794) Eine Jury hat zwischen zwei Optionen zu wäh-len. Wenn die Wahrscheinlichkeit für dierichtige Entscheidung einzelner Mitgliedern beiq > 0,5 liegt, steigt die Wahrscheinlichkeit fürrichtige Entscheidungen mit der Zahl der Mit-glieder oder „Wähler“. Je größer die Jury oder das Elektorat, destokorrekter wird die Entscheidung. Sinkt dieWahrscheinlichkeit für korrekte Entscheidun-gen einzelner Mitglieder unter q < 0,5, so giltdas Gegenteil. Je weniger Mitglieder destobesser. Condorcet schrieb, unterschiedlicheBildungschancen seien die Hauptursache derTyrannei“. Aus diesem Grund trat er vor rundzweihundert Jahren für allgemein zugänglicheBildungseinrichtungen vor allem für die Ju-gend, aber auch für Erwachsene ein. (Vgl.:http://de.wikipedia.org/ wiki/Marie_Jean_An-toine_Nicolas_Caritat,_Marquis_de_Condor-cet)

Restringierter und elaborierter Code vonBasil Bernstein (1924 - 2000)Basil Bernstein war ein Soziologe, dessenWerk in der Linguistik anerkannt und rezipiertwurde. Sprecher der Unterschicht wären unter-legen weil sich ihr restringierter Code durch ge-ringeren Wortschatz,einfache grammatikal-lische Strukturen und fehlende Abstrakta aus-zeichnete, die durch soziale Beruhigungsflos-keln, sogenannte sympathetische Zirkularitätenkompensiert würden.(vgl.:http://de.wikipedia.org/wiki/Basil _Bern-stein). Ich habe in meiner Abschlussarbeit inPädagogischer Psychologie an der Pädagogi-schen Akademie des Bundes in Linz versucht,dem restringierten Code etwas auf den Grundzu gehen. Der Abschlussjahrgang einer Haupt-schule sollte in drei Versuchsgruppen eineReihe dialektaler Äußerungen (Tonbandauf-

nahme) in einen fünfteiligen Raster emotional fundierter Sprachfunktionen einord-nen: 1. informieren, 2. sich etwasvorstellen, erklären, 3. Ausdruck der Persön-lichkeit, 4. menschliche Nähe, 5. ordnen,sichern, abgrenzen. Hinterher bekamen sieeinen sprachfreien Intelligenztest vorgelegt.Die Ergebnisse beim Einordnen der dialektalenÄußerungen und die des sprachfreien Intelligenztests haben auf einem signifikantenNiveau von p = 0,82 korreliert.Die Zentralisierung des Bildungsangebots isteine Maßnahme zur Ausgrenzung. WennZehnjährige aus entlegenen Gemeinden jedenTag gegen ihre eigene innere Uhr eineinhalbStunden früher aufstehen wollten, um in einehöhere Schule zu gelangen, würden sie biszum Freitag der Woche ein Schlafdefizit an-häufen, als ob sie eine Nacht nicht geschlafenhätten. Sozialer „Jetlag“ zu einem Zeitpunkt, indem noch ein großer Teil des eingeatmetenSauerstoffs für Wachstum und körperliche Ent-wicklung benötigt wird.Bitte bewahren sie sich ihren Optimismus – siewerden ihn vermutlich brauchen.

Johann Viehböck

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 11

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IDI-Information Nr.99 11IDI-Information Nr.99 10

Politische und soziokulturelle Veränderun-gen nach der Wende

Mit einer sanften Revolution, (1989 – 1990)wurden in vielen Staaten Osteuropas:Polen, Ungarn, DDR, Tschechoslowakei, Bul-garien & Rumänien, kommunistische Regimevon pluralistischen, parlamentarischen Demo-kratien abgelöst. Die Erweiterung der EUin die osteuropäischen Länder nahm damitihren Anfang.Deutschland: Nach einer zeitweiligen Öffnungder ungarischen Grenze flüchteten 20.000DDR-Bürger zum Teil von Campingplätzen amNeusiedler See aus nach Österreich und wei-ter in die BRD. Als am 8.11.1989 nach De-monstrationen hunderttausender Menschendie kommunistische Regierung zurücktrat, fielam 9.11. die Berliner Mauer.In der Tschechoslowakei legten nach ähnlichstarken Protestdemonstrationen am Wenzels-Platz kommunistische Funktionäre reihen-weise ihre Ämter nieder und im Dezember tratauch Präsident Gustav Husak zurück. Am Tagdarauf durchschnitt Dr. Josef Ratzenböck miteinem Vertreter aus Tschechien den Stachel-drahtzaun, so wie es der Österreichische Au-ßenminister Dr. Alois Mock und sein ungar-ischer Counterpart Gyula Horn im Burgenlandpraktizierten.Von Oberösterreich aus hatten viele ehemalsVertriebene zugesehen wie ihre Häuser auftschechischer Seite im „Niemandsland“ abge-rissen wurden oder jenseits der Grenze verfie-len. Beneš Dekrete legalisierten die Ent-eignung.Kein Wunder, dass es vor allem jungeLeute in die Ballungsräume zog. Landfluchtwar die Folge.Osterweiterung 2004: Im Mai 2004 vermehrtesich die europäische Gemeinschaft nachlangen Verhandlungen durch den offiziellenBeitritt zehn neuer Mitgliedsländer:Die baltischen Staaten Estland, Lettland, Li-tauen, Polen, Polen Tschechische Republik,Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zy-pern. Rumänien und Bulgarien folgten 2007.Regionen, die an der Grenze von alten undneuen Mitgliedsländern liegen, werden speziell

gefördert. Diese Programme heißen INTERR-REG bzw. LEADER. Projekte im Tourismus, inder Landwirtschaft, Bildung, Infrastruktur, imGewerbe und in der Industrie sowie die grenz-überschreitende Zusammenarbeit der jeweili-gen Länder werden unterstützt. Das wesent-liche Ziel dabei wäre es, Grenzen die in denKöpfen der Menschen immer noch bestehen,zu überwinden.ERASMUS und SOKRATES fördern die Mobili-tät junger Menschen. Sie ermöglichen zigtau-senden Studenten, andere Länder kennen zulernen und im Ausland zu studieren.(vergl.: http://www.ooegeschichte.at/kids/rund-gaenge/oberoesterreich-und-europa /europaei-sche-integration/eu-osterweiterung-2004/)In Krumau hat es eine Gruppe von Künstlernund freiwilligen Helfern geschafft, ein altes Industriegebäude zu renovieren und zum inter-national angesehenen Schiele-Zentrum auszu-bauen, wo auch Literaten und Künstler aus OÖin dafür bereitgestellten Atelier-Wohnungenals „artists in residence“ im Rahmen vierwöchi-ger Stipendien an ihren Projekten schreibenund arbeiten konnten. Das Büro für kulturelleAuslandsbeziehungen des Landes OÖ förderte„Grenzgänger“, eine Serie grenzüberschreiten-der Symposien Bildender Künstler.Ich durfte einmal kurzfristig als musikalischeFeuerwehr einspringen, als sich ein Gitarristvor einem Konzert anlässlich eines Dorffestesin Holešovice den Daumen gebrochen hatte.

Laut Profil (vergl. Nr. 42, 13. 0ktober 2014, S.34) können sich 5 Prozent der Österreicher ineiner Sprache der ehemaligen Ostblockstaatenverständigen. Nur jede fünfte Oberösterreiche-rIn fährt öfter ins nördliche Nachbarland, trotzüberregionaler Landesausstellungen wie Kru-mau – Freistadt 2013. 3.700 Lateinklassen anösterreichischen AHS stehen 16 Tschechisch-klassen gegenüber.

Spannungen im Bildungs- und Sozialbereichsind beinahe offensichtlich. Der Anteil der Stu-dierenden aus soziokulturell benachteiligtenFamilien lag Anfang der Achtziger Jahre bei13,7 %, vor ein paar Jahren bei 8 %. Nur

Roma-Kinder in Tschechien haben noch gerin-gere Aussichten auf eine akademische Lauf-bahn.Zwei Theorien vor deren Hintergrund mir diese„Entwicklung“ mehr als bedenklich erscheint:

Jury-Theorem von Antoine Marquis de Con-dorcet (1743 -1794) Eine Jury hat zwischen zwei Optionen zu wäh-len. Wenn die Wahrscheinlichkeit für dierichtige Entscheidung einzelner Mitgliedern beiq > 0,5 liegt, steigt die Wahrscheinlichkeit fürrichtige Entscheidungen mit der Zahl der Mit-glieder oder „Wähler“. Je größer die Jury oder das Elektorat, destokorrekter wird die Entscheidung. Sinkt dieWahrscheinlichkeit für korrekte Entscheidun-gen einzelner Mitglieder unter q < 0,5, so giltdas Gegenteil. Je weniger Mitglieder destobesser. Condorcet schrieb, unterschiedlicheBildungschancen seien die Hauptursache derTyrannei“. Aus diesem Grund trat er vor rundzweihundert Jahren für allgemein zugänglicheBildungseinrichtungen vor allem für die Ju-gend, aber auch für Erwachsene ein. (Vgl.:http://de.wikipedia.org/ wiki/Marie_Jean_An-toine_Nicolas_Caritat,_Marquis_de_Condor-cet)

Restringierter und elaborierter Code vonBasil Bernstein (1924 - 2000)Basil Bernstein war ein Soziologe, dessenWerk in der Linguistik anerkannt und rezipiertwurde. Sprecher der Unterschicht wären unter-legen weil sich ihr restringierter Code durch ge-ringeren Wortschatz,einfache grammatikal-lische Strukturen und fehlende Abstrakta aus-zeichnete, die durch soziale Beruhigungsflos-keln, sogenannte sympathetische Zirkularitätenkompensiert würden.(vgl.:http://de.wikipedia.org/wiki/Basil _Bern-stein). Ich habe in meiner Abschlussarbeit inPädagogischer Psychologie an der Pädagogi-schen Akademie des Bundes in Linz versucht,dem restringierten Code etwas auf den Grundzu gehen. Der Abschlussjahrgang einer Haupt-schule sollte in drei Versuchsgruppen eineReihe dialektaler Äußerungen (Tonbandauf-

nahme) in einen fünfteiligen Raster emotional fundierter Sprachfunktionen einord-nen: 1. informieren, 2. sich etwasvorstellen, erklären, 3. Ausdruck der Persön-lichkeit, 4. menschliche Nähe, 5. ordnen,sichern, abgrenzen. Hinterher bekamen sieeinen sprachfreien Intelligenztest vorgelegt.Die Ergebnisse beim Einordnen der dialektalenÄußerungen und die des sprachfreien Intelligenztests haben auf einem signifikantenNiveau von p = 0,82 korreliert.Die Zentralisierung des Bildungsangebots isteine Maßnahme zur Ausgrenzung. WennZehnjährige aus entlegenen Gemeinden jedenTag gegen ihre eigene innere Uhr eineinhalbStunden früher aufstehen wollten, um in einehöhere Schule zu gelangen, würden sie biszum Freitag der Woche ein Schlafdefizit an-häufen, als ob sie eine Nacht nicht geschlafenhätten. Sozialer „Jetlag“ zu einem Zeitpunkt, indem noch ein großer Teil des eingeatmetenSauerstoffs für Wachstum und körperliche Ent-wicklung benötigt wird.Bitte bewahren sie sich ihren Optimismus – siewerden ihn vermutlich brauchen.

Johann Viehböck

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IDI-Information Nr.99 13IDI-Information Nr.99 12

Liebe IDI-Mitglieder,

wir sind sehr an euren Aktivitäten, Lesungen, Buchvorstellungen, Veranstaltungen, Referaten, kurzan allem, was sich im weitesten Sinne mit Mundartliteratur beschäftigt, interessiert. Wir hoffen,über diesen Aufruf eine größere Vielfalt an Beiträgen in den nächsten IDI-Informationen bieten zukönnen. Ideal sind Beiträge als Word-Dokument. Bilder werden gerne verwendet (Format JPG,TIF, EPS mindestens 500kb Auflösung). Zu den Bildern bitte die Namen der abgebildeten Perso-nen und des Fotografen nennen. Meist nicht brauchbar sind eingescannte Zeitungsausschnitte, dasie nicht der erforderlichen Abbildungsqualität entsprechen und im Format nicht angepasst werdenkönnen. Alternative ist, den Zeitungsbericht als Word- oder rtf-Dokument anzufordern (notfalls ab-tippen!) und an [email protected] zu senden. Wenn sich also in eurer Region Interessantestut, schreibt uns.

Die Redaktion

Gegen das Sphärengeklingel

Fiktives Interview mit Klaus Gasselederüber das Schreiben in Mundart

Z: Herr Gasseleder, wir haben nachgesehen.Vor mehr als 10 Jahren haben Sie Ihren Ab-schied als Mundartautor erklärt. Nun gibt eswieder ein Buch mit Dialektgedichten vonIhnen. Wie kommt das?G: Nun, so vollkommen war der Abschied nie.Ich habe weiterhin Texte der Kollegen gelesen,auch mal darüber etwas geschrieben und auchaußerhalb Frankens ein paarmal alte Mundart-texte öffentlich gelesen, meist im Rahmen desInternationalen Dialektinstituts, unter Mundart-kosmopoliten sozusagen, paradox formuliert,eben keine Heimattümler. Z: Würden Sie sich als heimatverbunden be-zeichnen?G: Viele Kollegen sind schon heimatverbun-den, was übrigens überhaupt kein Gegensatzzum Mundartkosmopolitismus ist. Man kannsagen, dass Heimatverbundenheit die Voraus-setzung ist, diejenigen zu schätzen, die eineranderen Heimat verbunden sind. Ich habe abereine zwiespältige Haltung zur eigenen Heimatund zur Heimatverbundenheit als solcher. Alsich mehr als zwei Jahrzehnte außerhalb Fran-kens wohnte, kamen mir Heimatgefühle auf,die sich dann nach meiner Rückkehr bald wie-der gelegt haben. Der Begriff Heimat wird oftmissbraucht. Z: Ihr erstes Buch nach Ihrer Rückkehr nachFranken heißt „widdä dähemm“ , das nächste„eichendli iss die schönsd heimat för mich nouimmä där wääch“. Drückt das Ihre Zweifel aus?G: Genau. Beide Titel geben mein jeweiligesGrundgefühl wieder. Das Publikum hat daszweite Buch, in dem u. a. Gedichtzeilen ste-hen, wie „nix wie naus“ oder „vou wechen darmensch dreiwert wurzeln, vou wechn darmensch war aa baam“, weniger goutiert. Eswurde, obgleich umfangreicher und wohl auchbesser, weniger gekauft. Ich hatte in der Lokal-zeitung eine wöchentliche Mundartglosse, die mich bei einem relativ weiten Publikum be-kannt machte. Selbst heute, zehn Jahre da

nach, sprechen mich immer wieder noch Leutedarauf an. Aber viele Leute schätzten nichtdas, was ich schrieb, setzten sich nicht damitauseinander, sondern sie schätzten nur, dassich in Mundart schrieb. Es kam niemand, dersagte, ich hätte Mist geschrieben, sondernman klopfte mir auf die Schulter und sagte:schön, dass jemand die Mundart hoch hält undpflegt.Z: Und das wollen Sie nicht.G. Will ich nicht und kann ich nicht. Zum einengibt es keine feste Mundart, die man bewahrenund hegen und pflegen könnte, zum anderenkann ich auch die alte Mundart gar nicht spre-chen, was zumindest einigen Lesern aufgefal-len ist. Zum dritten begibt man sich, wenn manMundartpflege und Heimatpflege betreibt,leicht auf ein schlüpfriges Gelände und be-kommt falsche Freunde, fränkische Chauvinis-ten. Wozu der Chauvinismus, auch der mitsprachlicher Identität argumentierende, führenkann, hat die Geschichte gezeigt und zeigt sieauch heute wieder in ganz Europa. Z: Identität gilt doch gemeinhin als etwas Posi-tives.G: Es gibt ein Reden von Identität innerhalbeines psychologischen Diskurses, manchmalgerät es hier zu einem modischen Klischee.Weniger harmlos ist es, wenn der Begriff ver-wendet wird, um eine Zugehörigkeit zu einerNation zu beschreiben. Da wird es gefährlichund gerade wir Mundartautoren müssen dahellhörig sein.Z: Wieso soll man in Mundart schreiben, wennnicht zur Heimatpflege?G: Die Mundart bietet eine Reihe von Aus-drucksmöglichkeiten, die das Standartdeutschenicht hat, in Bezug auf Reim, Redensarten, la-konischen Ausdrücken usw. Es ist auch eineSpielwiese, ein Experimentierlabor. Sie hataber auch Nachteile für den Autor, nicht nur be-züglich des kleinen Verbreitungsraums. JedeSprache hat ihren eigenen Ton, Klang und jenachdem, was man ausdrücken will, muss manwählen. Manches Abstrakte lässt sich in derMundart nur mit Hilfe von Bildern, Beispielenoder gar nicht sagen. Dafür lässt sich in der Mundart manches sagen, ohne, dass es gleich

anzüglich oder banal wirkt. Ein Nachteil ist,dass sich Mundart und Ironie schlecht vertra-gen, da Mundart etwas Direktes hat, und Ironieist mir sehr wichtig beim Schreiben und auchals Lebenshaltung. Das Schreiben von Mund-arttexten hat auch eine politische Funktion. Esschafft ein Gegengewicht zu globalisiertenSprachdummheiten. Schlimmer z.B. als Angli-zismen finde ich, dass Norddeutschismen inSüddeutschland grassieren, wie „ein Pott Kaf-fee“ oder „lecker“, Worte, die mir negativer aufstoßen als ein englisches Fachwort.

Mit dem Dialekt kann man Phrasen, Floskeln,Denkschablonen der Standardsprache aushe-beln. Dem Befindlichkeitskitsch, Betroffenheits-kitsch, Esoterikkitsch usw. stellt sich derDialekt mit seiner Erdung und seiner Grobheitentgegen. Manche Banalität, manche Derbheit,auch mancher Kalauer können ein Gegengiftsein gegen die die Sprachblasen der Sinnsu-chenden, der gehobenen Klischeesprache, wiesie in gewissen Kreisen gepflegt wird. Erdver-bundenheit gegen Sphärengeklingel.Z: Danke für das Gespräch.

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 13

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Liebe IDI-Mitglieder,

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Die Redaktion

Gegen das Sphärengeklingel

Fiktives Interview mit Klaus Gasselederüber das Schreiben in Mundart

Z: Herr Gasseleder, wir haben nachgesehen.Vor mehr als 10 Jahren haben Sie Ihren Ab-schied als Mundartautor erklärt. Nun gibt eswieder ein Buch mit Dialektgedichten vonIhnen. Wie kommt das?G: Nun, so vollkommen war der Abschied nie.Ich habe weiterhin Texte der Kollegen gelesen,auch mal darüber etwas geschrieben und auchaußerhalb Frankens ein paarmal alte Mundart-texte öffentlich gelesen, meist im Rahmen desInternationalen Dialektinstituts, unter Mundart-kosmopoliten sozusagen, paradox formuliert,eben keine Heimattümler. Z: Würden Sie sich als heimatverbunden be-zeichnen?G: Viele Kollegen sind schon heimatverbun-den, was übrigens überhaupt kein Gegensatzzum Mundartkosmopolitismus ist. Man kannsagen, dass Heimatverbundenheit die Voraus-setzung ist, diejenigen zu schätzen, die eineranderen Heimat verbunden sind. Ich habe abereine zwiespältige Haltung zur eigenen Heimatund zur Heimatverbundenheit als solcher. Alsich mehr als zwei Jahrzehnte außerhalb Fran-kens wohnte, kamen mir Heimatgefühle auf,die sich dann nach meiner Rückkehr bald wie-der gelegt haben. Der Begriff Heimat wird oftmissbraucht. Z: Ihr erstes Buch nach Ihrer Rückkehr nachFranken heißt „widdä dähemm“ , das nächste„eichendli iss die schönsd heimat för mich nouimmä där wääch“. Drückt das Ihre Zweifel aus?G: Genau. Beide Titel geben mein jeweiligesGrundgefühl wieder. Das Publikum hat daszweite Buch, in dem u. a. Gedichtzeilen ste-hen, wie „nix wie naus“ oder „vou wechen darmensch dreiwert wurzeln, vou wechn darmensch war aa baam“, weniger goutiert. Eswurde, obgleich umfangreicher und wohl auchbesser, weniger gekauft. Ich hatte in der Lokal-zeitung eine wöchentliche Mundartglosse, die mich bei einem relativ weiten Publikum be-kannt machte. Selbst heute, zehn Jahre da

nach, sprechen mich immer wieder noch Leutedarauf an. Aber viele Leute schätzten nichtdas, was ich schrieb, setzten sich nicht damitauseinander, sondern sie schätzten nur, dassich in Mundart schrieb. Es kam niemand, dersagte, ich hätte Mist geschrieben, sondernman klopfte mir auf die Schulter und sagte:schön, dass jemand die Mundart hoch hält undpflegt.Z: Und das wollen Sie nicht.G. Will ich nicht und kann ich nicht. Zum einengibt es keine feste Mundart, die man bewahrenund hegen und pflegen könnte, zum anderenkann ich auch die alte Mundart gar nicht spre-chen, was zumindest einigen Lesern aufgefal-len ist. Zum dritten begibt man sich, wenn manMundartpflege und Heimatpflege betreibt,leicht auf ein schlüpfriges Gelände und be-kommt falsche Freunde, fränkische Chauvinis-ten. Wozu der Chauvinismus, auch der mitsprachlicher Identität argumentierende, führenkann, hat die Geschichte gezeigt und zeigt sieauch heute wieder in ganz Europa. Z: Identität gilt doch gemeinhin als etwas Posi-tives.G: Es gibt ein Reden von Identität innerhalbeines psychologischen Diskurses, manchmalgerät es hier zu einem modischen Klischee.Weniger harmlos ist es, wenn der Begriff ver-wendet wird, um eine Zugehörigkeit zu einerNation zu beschreiben. Da wird es gefährlichund gerade wir Mundartautoren müssen dahellhörig sein.Z: Wieso soll man in Mundart schreiben, wennnicht zur Heimatpflege?G: Die Mundart bietet eine Reihe von Aus-drucksmöglichkeiten, die das Standartdeutschenicht hat, in Bezug auf Reim, Redensarten, la-konischen Ausdrücken usw. Es ist auch eineSpielwiese, ein Experimentierlabor. Sie hataber auch Nachteile für den Autor, nicht nur be-züglich des kleinen Verbreitungsraums. JedeSprache hat ihren eigenen Ton, Klang und jenachdem, was man ausdrücken will, muss manwählen. Manches Abstrakte lässt sich in derMundart nur mit Hilfe von Bildern, Beispielenoder gar nicht sagen. Dafür lässt sich in der Mundart manches sagen, ohne, dass es gleich

anzüglich oder banal wirkt. Ein Nachteil ist,dass sich Mundart und Ironie schlecht vertra-gen, da Mundart etwas Direktes hat, und Ironieist mir sehr wichtig beim Schreiben und auchals Lebenshaltung. Das Schreiben von Mund-arttexten hat auch eine politische Funktion. Esschafft ein Gegengewicht zu globalisiertenSprachdummheiten. Schlimmer z.B. als Angli-zismen finde ich, dass Norddeutschismen inSüddeutschland grassieren, wie „ein Pott Kaf-fee“ oder „lecker“, Worte, die mir negativer aufstoßen als ein englisches Fachwort.

Mit dem Dialekt kann man Phrasen, Floskeln,Denkschablonen der Standardsprache aushe-beln. Dem Befindlichkeitskitsch, Betroffenheits-kitsch, Esoterikkitsch usw. stellt sich derDialekt mit seiner Erdung und seiner Grobheitentgegen. Manche Banalität, manche Derbheit,auch mancher Kalauer können ein Gegengiftsein gegen die die Sprachblasen der Sinnsu-chenden, der gehobenen Klischeesprache, wiesie in gewissen Kreisen gepflegt wird. Erdver-bundenheit gegen Sphärengeklingel.Z: Danke für das Gespräch.

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 13

Bitte benutzen Sie für die Überweisung des Mitgliedbeitrags die folgenden Konten:

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IDI-Information Nr.99 15 IDI-Information Nr.99 14

Guuchlhupfen, der neue Mundartband vonKlaus GasselederWildleser-Verlag Erlangen - 96 Seiten - bro-schiert - 12,80 EuroISBN: 978-3-923611-59-1

Ein paar ältere und zahlreiche neue Texte desaus Schweinfurt stammenden, in Erlangenwohnenden Poeten, die nicht in einem ganzgenau lokalisierbaren Dialekt sondern in einerdialektal gefärbten fränkischen Literaturspacheverfasst sind.

Die oft kritischen, frechen und zuweilen hinter-sinnigen Texte sind weder der Mundart- undHeimatpflege und vor allem keinem fränki-schen separatistischen Anliegen sondern einerskeptischen Aufklärung und lakonischen litera-rischen Moderne verpflichtet.

Klaus Gasseleder, geb. 1945 in Schweinfurt,trat in den 90er Jahren des letzten Jahrhun-derts mit einigen Bänden und Rundfunkbeiträ-gen unter-fränkischer Mundart in Erscheinungund verfasste über fast 10 Jahre hinweg Mund-artglossen im Schweinfurter Tagblatt. Gassele-der ist Mitglied im IDI, im VS, der Rückert-Gesellschaft, dem Erlanger Rückert-Kreis undder Neuen Gesellschaft für Literatur (NGL).2013 war er Turmschreiber in Abenberg.

Der Apfel c’est si bon biss ninHg. Emma GuntzIllustrationen Franz HandschuhDrey-Verlag, Gutach/ Salde, 2013ISBN 978 3 933765 71 019 Euro

Ein veritabler Früchtekorb aus dem Dreyeck- land Elsass, Baden und Schweiz liegt in diesemBand vor. Angeführt von Wendelinus Wurth mit seinem trocken konstatierenden Stil in Mundart-prosa und Lyrik, gefolgt von Markus ManfredJung mit sprachlich reduzierten und dennocheinfühlsamen Gedichten. Von Francis Krembelein berührendes elsässisch/französisches Gedicht zum Sterben der Mutter. Auch beimSankt Galler Erwin Messmer die Begegnung mitdem Tod. André Weckmann lässt sein Lied‚ ERATO’so ausklingen: „jeds liëd het en ànfang jeds liëdhet en end/ bàss uf dàss mr debie sich s mül nìt verbrannt/ jo joo!“ Die Illustrationen von Franz Handschuh sind den ‚Nasiaten’ gewidmet, wie er Menschen mit roter Nase nennt; auch der Baum desParadieses zeigt bei ihm rote Nasen als Früchte.Grenzüberschreitend die Initiative, nach der Weihnachtsanthologie 2011 „Unterwegs / En chemin“ hier nun also ein zweites Mal. Gefördert wird dieses Buch von fünf amtlichen Stellen aus dem Elsass und keiner einzigen ausDeutschland.

Claudia Scherer

Ehe der letzte Schornstein fällt ... Südtiroler Familien und ihr fremdes ZuhauseAnnemarie Regensburger, Angelika Polak-Poll-hammerEYE-Verlag, Landeck 2014

In dem kürzlich erschienen und auch auf derFrankfurter Buchmesse präsentierten Buchschildern die Imster Autorinnen Annemarie Re-gensburger und Angelika Polak-Pollhammer,wie es jenen Südtiroler Optanten ergangen ist,welche von der NS-Obrigkeit nach 1939 ins Ti-roler Oberland nach Imst verbracht wurden.Anhand von 21 Familiengeschichten aus derSüdtiroler Siedlung – die neue Heimat, derenhistorische Bauten kurz vor dem Verschwindenund teilweise schon modernen Wohnblocks ge-wichen sind – werden Menschenschicksale er-zählt, die zeigen, wie schwierig es dieAuswanderer in Wirklichkeit hatten. Voller Be-geisterung und angelockt von phantastischenVersprechungen glaubten viele an eine wun-derbare Zukunft, fanden jedoch häufig Neid,Ausgrenzung und Geringschätzung. Lang undsteinig war der Weg zur Integration.Bereits in Eingangskapitel verweisen die Auto-rinnen auf Entsprechungen zur heutigen Situa-tion von Flüchtenden und Asylsuchenden, undnicht zuletzt diese Parallele in Zeiten von politi-scher Verhetzung macht das Buch, so scheintmir, zu einem Lesemuss für uns alle.

Sepp Mall

Mittlt durch giahn Annemarie RegensburgerHaymon VerlagISBN-10: 3709971764

Der renommierte Literaturverlag Haymon, Inns-bruck, hat soeben den Lyrikband Mittlt durchgiahn von Annemarie Regensburger herausge-geben. Er enthält jeweils 30 Texte aus den ver-griffenen Büchern Stolperer (1988), Fassnnachn Lebm (1991) und barfueß (1997), diealle bei Haymon erschienen sind. Ebenfallsenthält das Buch 35 neue Texte, die im Ab-schnitt „Mittlt durch giahn“ zu lesen sind unddem Buch den Titel gaben.Der Verlag kündigt das Buch wie folgt an:Mittlt durch geht Annemarie Regensburger mitihren Gedichten – zart und eindringlich, kunst-voll gewebt und doch gerade heraus spricht sievon Freiheit, Gleichberechtigung und Toleranz.Ein Querschnitt durch das vielseitige Schaffeneiner Tiroler Mundart-Poetin.

Was trejt?Was ischesdejs trejtdejs zommhepptuan mitanond verbindetwas isches wirkligdejs uan sagn lasstda bin ih derhuem?

Bücherecke:

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 15

Page 15: A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land Salzburg IDI ... · IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 3. IDI-Information Nr.99 4 IDI-Information Nr.99 5 gesprochen

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Guuchlhupfen, der neue Mundartband vonKlaus GasselederWildleser-Verlag Erlangen - 96 Seiten - bro-schiert - 12,80 EuroISBN: 978-3-923611-59-1

Ein paar ältere und zahlreiche neue Texte desaus Schweinfurt stammenden, in Erlangenwohnenden Poeten, die nicht in einem ganzgenau lokalisierbaren Dialekt sondern in einerdialektal gefärbten fränkischen Literaturspacheverfasst sind.

Die oft kritischen, frechen und zuweilen hinter-sinnigen Texte sind weder der Mundart- undHeimatpflege und vor allem keinem fränki-schen separatistischen Anliegen sondern einerskeptischen Aufklärung und lakonischen litera-rischen Moderne verpflichtet.

Klaus Gasseleder, geb. 1945 in Schweinfurt,trat in den 90er Jahren des letzten Jahrhun-derts mit einigen Bänden und Rundfunkbeiträ-gen unter-fränkischer Mundart in Erscheinungund verfasste über fast 10 Jahre hinweg Mund-artglossen im Schweinfurter Tagblatt. Gassele-der ist Mitglied im IDI, im VS, der Rückert-Gesellschaft, dem Erlanger Rückert-Kreis undder Neuen Gesellschaft für Literatur (NGL).2013 war er Turmschreiber in Abenberg.

Der Apfel c’est si bon biss ninHg. Emma GuntzIllustrationen Franz HandschuhDrey-Verlag, Gutach/ Salde, 2013ISBN 978 3 933765 71 019 Euro

Ein veritabler Früchtekorb aus dem Dreyeck- land Elsass, Baden und Schweiz liegt in diesemBand vor. Angeführt von Wendelinus Wurth mit seinem trocken konstatierenden Stil in Mundart-prosa und Lyrik, gefolgt von Markus ManfredJung mit sprachlich reduzierten und dennocheinfühlsamen Gedichten. Von Francis Krembelein berührendes elsässisch/französisches Gedicht zum Sterben der Mutter. Auch beimSankt Galler Erwin Messmer die Begegnung mitdem Tod. André Weckmann lässt sein Lied‚ ERATO’so ausklingen: „jeds liëd het en ànfang jeds liëdhet en end/ bàss uf dàss mr debie sich s mül nìt verbrannt/ jo joo!“ Die Illustrationen von Franz Handschuh sind den ‚Nasiaten’ gewidmet, wie er Menschen mit roter Nase nennt; auch der Baum desParadieses zeigt bei ihm rote Nasen als Früchte.Grenzüberschreitend die Initiative, nach der Weihnachtsanthologie 2011 „Unterwegs / En chemin“ hier nun also ein zweites Mal. Gefördert wird dieses Buch von fünf amtlichen Stellen aus dem Elsass und keiner einzigen ausDeutschland.

Claudia Scherer

Ehe der letzte Schornstein fällt ... Südtiroler Familien und ihr fremdes ZuhauseAnnemarie Regensburger, Angelika Polak-Poll-hammerEYE-Verlag, Landeck 2014

In dem kürzlich erschienen und auch auf derFrankfurter Buchmesse präsentierten Buchschildern die Imster Autorinnen Annemarie Re-gensburger und Angelika Polak-Pollhammer,wie es jenen Südtiroler Optanten ergangen ist,welche von der NS-Obrigkeit nach 1939 ins Ti-roler Oberland nach Imst verbracht wurden.Anhand von 21 Familiengeschichten aus derSüdtiroler Siedlung – die neue Heimat, derenhistorische Bauten kurz vor dem Verschwindenund teilweise schon modernen Wohnblocks ge-wichen sind – werden Menschenschicksale er-zählt, die zeigen, wie schwierig es dieAuswanderer in Wirklichkeit hatten. Voller Be-geisterung und angelockt von phantastischenVersprechungen glaubten viele an eine wun-derbare Zukunft, fanden jedoch häufig Neid,Ausgrenzung und Geringschätzung. Lang undsteinig war der Weg zur Integration.Bereits in Eingangskapitel verweisen die Auto-rinnen auf Entsprechungen zur heutigen Situa-tion von Flüchtenden und Asylsuchenden, undnicht zuletzt diese Parallele in Zeiten von politi-scher Verhetzung macht das Buch, so scheintmir, zu einem Lesemuss für uns alle.

Sepp Mall

Mittlt durch giahn Annemarie RegensburgerHaymon VerlagISBN-10: 3709971764

Der renommierte Literaturverlag Haymon, Inns-bruck, hat soeben den Lyrikband Mittlt durchgiahn von Annemarie Regensburger herausge-geben. Er enthält jeweils 30 Texte aus den ver-griffenen Büchern Stolperer (1988), Fassnnachn Lebm (1991) und barfueß (1997), diealle bei Haymon erschienen sind. Ebenfallsenthält das Buch 35 neue Texte, die im Ab-schnitt „Mittlt durch giahn“ zu lesen sind unddem Buch den Titel gaben.Der Verlag kündigt das Buch wie folgt an:Mittlt durch geht Annemarie Regensburger mitihren Gedichten – zart und eindringlich, kunst-voll gewebt und doch gerade heraus spricht sievon Freiheit, Gleichberechtigung und Toleranz.Ein Querschnitt durch das vielseitige Schaffeneiner Tiroler Mundart-Poetin.

Was trejt?Was ischesdejs trejtdejs zommhepptuan mitanond verbindetwas isches wirkligdejs uan sagn lasstda bin ih derhuem?

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IDI-Information Nr.99 17IDI-Information Nr.99 16

Di Gschichd vom Mose und de Zehn Ge-bodeWie ich mich in di Gschichd vom Mose und deZehn Gebode vertiefe und laut zu lesen be-ginne, fällt mir zuerst die besondere Sprach-melodie des Textes auf. Auch bin ich vomSprachwitz dieser Dialektübersetzung über-rascht. Der Text berührt, dessen Inhalt ist alt-vertraut und doch so unverbraucht neu indieser Übersetzung.Eine kleine Kostprobe dazu:Und wi Schneaflogge is vom blaue Himml asManna gschwebd, as Himmlsbroad, wu nochbesser schmeggd wi Schneggenudle, noch villfeiner, wi Faschingsgrabfe und noch weid sia-ßer wi Nirnbercher Lebbkueche. Nidd emollderr beschde Begg in Franggeland konn dir sowoss Guads bagge. Und scho glei goar kannerin Minche odder Berlin odder Wien und weiderin derr groaße weide Weld um uns rum.Die Zehn Gebote, die Moses von Gott in einerVision bekam, übersetzt in dieser ursprüngli-chen Weise, sind zeitlos wahr und notwendendfür das menschliche Zusammenleben damalswie heute:

Annemarie Regensburger

Von wegen Alt und Jung passt nit zomm27.Niedernsiller Stund am 27.September 2014

Barbara Rettenbacher (Niedernsill) und An-dreas Berger (Fieberbrunn) bewiesen bei derNiedernsiller Stund 2014 ebenso wie AnnaNindl (Bramberg) und Max Faistauer (St. Mar-tin bei Lofer), dass in der gemeinsamen künst-lerischen Arbeit das Alter keine Rolle spielt.Wichtiger ist der Funke, der überspringt, wenneine Idee entsteht. Der Mensch sollte beson-ders in seinem Tun wahrgenommen werden,so dass keine Vorurteile oder Ängste gegenJüngere oder Ältere entstehen, die das Zuge-hen aufeinander behindern. Ganz offensichtlich war die Niedernsiller Stund2014 etwas Besonderes. Eine intensive Be-gegnung von Jung und Alt, tiefsinnig und be-rührend. Das Publikum im vollbesetztenSamerstall hielt den Atem an, als Barbara Ret

Babara Rettenbacher und Andreas Berger

tenbacher und Andreas Berger ein Gesprächüber Gedichte, Musik und das Leben began-nen. Und viele bekamen eine Gänsehaut, alsMax Faistauer und Anna Nindl über verschie-dene religiöse Sichtweisen diskutierten.Die musikalische Umrahmung durch HeideloreSchauer und die Mundartband „Zeitweis“ ver-stärkte die Gefühle, die durch Texte der Dichte-rinnen und Dichter hervorgerufen wurden.Erwähnt sei auch noch, dass Manfred Bau-mann, der Moderator, durch seine einfühlsa-men Übergänge Dichtkunst mit Musikzusammenspannte, Publikum mit Künstlern,Politiker mit dem Volk, und überhaupt Men-schen mit Menschen. „Die Niedernsiller Stund 2014 war spannend,

vielschichtig und ging unter die Haut“, resü-mierte die Organisatorin Gerlinde Allmayer.

Erwin Simonitsch

„oiss gsagg…“

manggei verlag, Niedernsill, ÖsterreichISBN: 978-3-9501623-6-3Buch und Hörbuch 18,00 € Die Leserin / der Leser darf sich auf ein Werkfreuen, in dem vielleicht nicht alles gesagt wird,so wie der mehrdeutige Titel suggeriert, aberauf eines, in dem ein breites Spektrum vonThemen aufgegriffen wird. Die Mehrzahl derGedichte und Prosatexte - sie belegen dieBandbreite des Schaffens von Max Faistauer -befasst sich jedoch mit Themen, die Menschenimmer bewegt haben und bewegen. Es gehtdem Autor um Fragen des menschlichen Zu-sammenlebens, um Vorurteile, um den Um-gang mit alten Menschen, um die Natur, umJahreszeiten und religiöse Bräuche, ums Älter-werden und Sterben, kurzum: ums volle Leben.Gestaltet ist all dies in einer treffenden Art undWeise und einer Sicherheit in der Beherr-schung der Mundart, einer Mundart, die nichtals „konservativ“, „rückwärtsgewandt“ oder„bäuerlich“ beschrieben werden kann, sonderndie zeigt, dass die Mundart eine Sprachformist, in der alle Themen gestaltet werden kön-nen, es hängt nur davon ab, wie meisterlichman sich der Mundart bedienen kann. Und dasist bei Max Faistauer zweifelsohne der Fall.

Mag. Peter Haudum

Anna Nindl und Max Faistauer

Mundartband „Zeitweis“

IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 17

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IDI-Information Nr.99 17IDI-Information Nr.99 16

Di Gschichd vom Mose und de Zehn Ge-bodeWie ich mich in di Gschichd vom Mose und deZehn Gebode vertiefe und laut zu lesen be-ginne, fällt mir zuerst die besondere Sprach-melodie des Textes auf. Auch bin ich vomSprachwitz dieser Dialektübersetzung über-rascht. Der Text berührt, dessen Inhalt ist alt-vertraut und doch so unverbraucht neu indieser Übersetzung.Eine kleine Kostprobe dazu:Und wi Schneaflogge is vom blaue Himml asManna gschwebd, as Himmlsbroad, wu nochbesser schmeggd wi Schneggenudle, noch villfeiner, wi Faschingsgrabfe und noch weid sia-ßer wi Nirnbercher Lebbkueche. Nidd emollderr beschde Begg in Franggeland konn dir sowoss Guads bagge. Und scho glei goar kannerin Minche odder Berlin odder Wien und weiderin derr groaße weide Weld um uns rum.Die Zehn Gebote, die Moses von Gott in einerVision bekam, übersetzt in dieser ursprüngli-chen Weise, sind zeitlos wahr und notwendendfür das menschliche Zusammenleben damalswie heute:

Annemarie Regensburger

Von wegen Alt und Jung passt nit zomm27.Niedernsiller Stund am 27.September 2014

Barbara Rettenbacher (Niedernsill) und An-dreas Berger (Fieberbrunn) bewiesen bei derNiedernsiller Stund 2014 ebenso wie AnnaNindl (Bramberg) und Max Faistauer (St. Mar-tin bei Lofer), dass in der gemeinsamen künst-lerischen Arbeit das Alter keine Rolle spielt.Wichtiger ist der Funke, der überspringt, wenneine Idee entsteht. Der Mensch sollte beson-ders in seinem Tun wahrgenommen werden,so dass keine Vorurteile oder Ängste gegenJüngere oder Ältere entstehen, die das Zuge-hen aufeinander behindern. Ganz offensichtlich war die Niedernsiller Stund2014 etwas Besonderes. Eine intensive Be-gegnung von Jung und Alt, tiefsinnig und be-rührend. Das Publikum im vollbesetztenSamerstall hielt den Atem an, als Barbara Ret

Babara Rettenbacher und Andreas Berger

tenbacher und Andreas Berger ein Gesprächüber Gedichte, Musik und das Leben began-nen. Und viele bekamen eine Gänsehaut, alsMax Faistauer und Anna Nindl über verschie-dene religiöse Sichtweisen diskutierten.Die musikalische Umrahmung durch HeideloreSchauer und die Mundartband „Zeitweis“ ver-stärkte die Gefühle, die durch Texte der Dichte-rinnen und Dichter hervorgerufen wurden.Erwähnt sei auch noch, dass Manfred Bau-mann, der Moderator, durch seine einfühlsa-men Übergänge Dichtkunst mit Musikzusammenspannte, Publikum mit Künstlern,Politiker mit dem Volk, und überhaupt Men-schen mit Menschen. „Die Niedernsiller Stund 2014 war spannend,

vielschichtig und ging unter die Haut“, resü-mierte die Organisatorin Gerlinde Allmayer.

Erwin Simonitsch

„oiss gsagg…“

manggei verlag, Niedernsill, ÖsterreichISBN: 978-3-9501623-6-3Buch und Hörbuch 18,00 € Die Leserin / der Leser darf sich auf ein Werkfreuen, in dem vielleicht nicht alles gesagt wird,so wie der mehrdeutige Titel suggeriert, aberauf eines, in dem ein breites Spektrum vonThemen aufgegriffen wird. Die Mehrzahl derGedichte und Prosatexte - sie belegen dieBandbreite des Schaffens von Max Faistauer -befasst sich jedoch mit Themen, die Menschenimmer bewegt haben und bewegen. Es gehtdem Autor um Fragen des menschlichen Zu-sammenlebens, um Vorurteile, um den Um-gang mit alten Menschen, um die Natur, umJahreszeiten und religiöse Bräuche, ums Älter-werden und Sterben, kurzum: ums volle Leben.Gestaltet ist all dies in einer treffenden Art undWeise und einer Sicherheit in der Beherr-schung der Mundart, einer Mundart, die nichtals „konservativ“, „rückwärtsgewandt“ oder„bäuerlich“ beschrieben werden kann, sonderndie zeigt, dass die Mundart eine Sprachformist, in der alle Themen gestaltet werden kön-nen, es hängt nur davon ab, wie meisterlichman sich der Mundart bedienen kann. Und dasist bei Max Faistauer zweifelsohne der Fall.

Mag. Peter Haudum

Anna Nindl und Max Faistauer

Mundartband „Zeitweis“

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IDI-Information Nr.99 19

Rede von Edgar Zeidler,zur Matura (Abitur, Baccalaureat) seiner zwei-sprachigen Klasse am Lycée Jean-Jacques-Henner, Altkirch (Elsass)

Im Herbst meiner Laufbahn habe ich das Privi-leg, dass ich das zweite Jahr in Folge eine Abi-Bac-Klasse vom zweiten bis zum letztenSchuljahr begleiten konnte. Ich habe sie jedeWoche sechs Stunden gesehen und als Glanz-licht erneut einen sehr erfolgreichen Austauschmit dem Romain Rolland Gymnasium in Dres-den pflegen können.Das war ein menschlichesund pädagogisches Abenteuer von hohemRang, aber auch mit hohem Risiko.

In den drei Jahren verändern sich die jungenLeute, entwickeln sich, überwinden Krisen undZeiten des Zweifels und der Entmutigung.Aber Mathieu Escaich und ich bilden mit denSchülern eine wahre Mannschaft, wo Verständ-nis, Solidarität, Beistand, Dialog und Ziele dieLeitbegriffe sind: Wir wollen Weltmeister wer-den, oder anders gesagt: AbiBac-ler!

Als Team-Manager, die wir sind, sprechen wiruns gut ab, um zu jeder Zeit gute Entscheidun-gen zu treffen und die beste Taktik festzulegen,um ein Maximum an Auszeichnungen zu erhal-ten und um die 100 % Erfolg zu erreichen.Dieses Jahr haben wir dieses Ziel nicht ganzerreicht. Das Scheitern einer Schülerin war lei-der vorhersehbar, aber es war immerhin ge-dämpft durch die Tatsache, dass sie verdientdas C1-Zertifikat des Goethe-Instituts und nachmündlicher Nachprüfung das Bac erhalten hat.Auch wenn es gefährlich ist, die Ergebnisseeiner Klasse mit denen einer anderen zu ver-gleichen, gerade wenn die vorherige eine au-ßergewöhnliche war, können wir, könnt ihr,liebe Schüler, stolz auf euch sein.

Ihr habt 7-mal die Beurteilung „sehr gut“ erhalten,davon 5-mal die hervorragende Note 1,0,6-mal die Beurteilung „gut“, 3-mal die Beurteilung „befriedigend“ und einmal die Beurteilung „ausreichend“.

Unsere Devise beim AbiBac ist, „immer dasBeste zu geben versuchen“. Unser Ziel ist es,hervorragend zu sein, es muss Momentegeben, „wo man über sich hinauswächst“.Wie anders könnte man das sein?

Zu viele schwarze Wolken türmen sich amstürmischen Himmel des französischen Bil-dungswesens auf. Es verliert den Ball, es ver-liert das Gespür für den Wert der Noten undvernachlässigt den Wert der Anstrengung,damit minimiert es den Preis. Ein Bildungssys-tem, das vorgibt, den Zusammenhang zwi-schen den Anforderungen und der Qualitäteiner Arbeit nicht zu kennen, fördert Trägheit.Wenn man weiterhin ständig die Bewertungs-kriterien, die Art der Prüfungen und deren Aus-wertung ständig ändert, um die Erfolgsstati-stiken aufzublähen, ist zu befürchten dass mandefinitiv nicht nur das Bac entwertet sondernzugleich die Diplome, die auf das Bac folgen.Das französische Bildungssystem riskiert, sichim Auge des Zyklons wiederzufinden, wenn dieBewertung der Fähigkeiten das Ende des von0 bis 20 bezifferten Notensystems einläutet.

Unsere deutschen Partner hüten ihre Beziffe-rung der Leistungsbewertung wie ihren Aug-apfel. Die Arbeitgeber und Universitäten wis-sen noch und immer, was eine 1,0 ausdrückt,was eine 2,2 oder eine 4 ist, auch wenn es zwi-schen bestimmten Ländern Feinheiten gibt.Für die Bewertung unseres AbiBac drücke ichHerrn Burger meine Anerkennung aus. Er re-präsentiert das Land Sachsen, das bekannter-maßen auf den Gebieten Erziehung undPädagogik unter den Ländern an der Spitzesteht.Es ist seiner Kontrolle zu verdanken,dass wir sagen können, der Mittelwert von14,9 aus drei schriftlichen Prüfungen in Ge-schichte, Geographie und deutscher Literaturund der von 15,1 in der mündlichen Prüfung inDeutsch sind aussagekräftig und in keinerWeise überbewertet oder schöngefärbt.

Unsere Schüler wissen im übrigen, dass sieauf ihren internationalen oder trinationalen Be-rufswegen in Konkurrenz stehen mit Bewer-

IDI-Information Nr.99 18

Das französische Bildungssystem:ein Narrenschiff

Lange habe ich zusehen müssen, wie ein Bil-dungssystem in den Fängen von rosarot bisdunkelrot gefärbten Gewerkschaften (1) undmit passiver, bzw. aktiver Unterstützung derRegierenden aller Couleur seit den 70er Jah-ren kontinuierlich den Bach runter gegangenist, beschleunigt durch die „réforme Haby“(1975), die den „collège unique“, eine Art Ein-bahnstraße mit Schulpflicht bis 16, eingeführthat, eine versuchte Sparmaßnahme gegen die„Demokratisierung“ der Sekundarstufe!

Die kaum noch nachvollziehbare Anzahl der„Reformen“, von denen praktisch keine ver-nünftig ausgewertet wurde, diente im Grundegenommen nur einem Zweck: Die sinkendenund letztendlich desolaten Leistungen der fran-zösischen Schüler im internationalen Vergleichzu vertuschen. Gleichzeitig wurde den reform-hungrigen Demagogen Recht gegeben, diedas Bildungssystem als Spielfläche für ihre Ex-perimente im Dienste der „Chancengleichheit“benutzt haben. Das unübersichtliche Gebilde,das Unsummen verschlingt und kafkascheZüge annimmt, bastelt dauernd an neuen Be-wertungskriterien, damit die von der Zentralge-walt erwünschten und erwarteten Zahlenerreicht werden. So müssen mindestens 90 %der Gymnasiasten das Abitur (le Baccalauréat)in der Tasche haben. Das schafft man, indemman die Kohorten der untertänig-emsigen In-spektoren Bewertungstabellen austüfteln lässt,mit dem Ziel, die Prüfer zu gängeln und zu be-vormunden. Z.B. muss ich in Deutsch, zweiteFremdsprache, im Hörverstehen, wo die Schü-ler nach dreimaligem Anhören eines kurzenTexts auf Französisch antworten, entwedereine 4, eine 8, eine 14, oder 20 auf 20 geben!

Sollte trotz aller Vorkehrungen der Notendurch-schnitt bei einem Prüfer unter dem erwünsch-ten Durchschnitt liegen, wird er – nicht seltentelefonisch - von den Herren Inspektoren indie Schranken verwiesen. Zu allem Überflussnahmen im letzten Jahrzehnt die Stundenzah-

len in den Hauptfächern kontinuierlich ab unddie Klassenbestände ständig zu - 30 in den„Collèges“ und 35 in den „Lycées“ betrachtetman inzwischen als „normal“ - wobei z.B. diewöchentliche Stundenzahl in Fremdsprachenin der Sekundarstufe 2 noch lächerliche zweiStunden beträgt.

Die Folgen sind leicht auszumachen: immerweniger Stoff, immer weniger Inhalt, erbärmlichniedriges Gesamtniveau, ständig sinkende An-forderungen, eine demoralisierte Lehrerschaft,deren Bezüge seit 2010 eingefroren sind,wachsender Lehrermangel, ethnische Span-nungen und Disziplinlosigkeit in den Klassen,eingerahmt durch einen gigantischen Verwal-tungsapparat, der im selbst verursachten Pa-pierkram erstickt.

Was nach dem Baccalauréat geschieht, wirdtotgeschwiegen. Die zwei ersten Jahre an derUniversität dienen als Filter: die Sekundarstufeverlassen jedes Jahr ca. 150.000 mit leerenHänden, die Universität noch viel mehr. Dassdie „Enarchie“(2), die das Land seit Jahrzehn-ten im Griff hat un d’Schissgàss àwa fiahrt,ihren Sprösslingen den Weg zu den Elite-Schulen, „ENA“, „HEC“ oder „Polytechnique“,trotz allem zu ebnen versteht, sollte der end-gültige Beleg für das Zweiklassensystem die-ses verlogenen Bildungswesens sein, das nunernsthaft erwägt, das Notensytem abzuschaf-fen und es durch einen Kompetenzen-Katalogzu ersetzen. Begründung: Noten würden dieSchüler traumatisieren und in ihrer Entwicklunghemmen… Kurzum, s Nàrraschìff vom Sebas-tian Brant schribt ìm Frànkrich boll wìeder a nèiKàpitel!

Edgar Zeidler

(1) Außer dem Lehrerverband « SNALC », dersich seinerzeit allein gegen die „réforme Haby“engagiert hatte und dessen Schmiede immerwieder vernünftige Vorschläge macht, wie «lecollège modulaire » und «le lycée de tous lessavoirs ».(2) Enarchie: Wortspiel aus ENA (Ecole Natio-nale d’Administration) und Anarchie

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IDI-Information Nr.99 19

Rede von Edgar Zeidler,zur Matura (Abitur, Baccalaureat) seiner zwei-sprachigen Klasse am Lycée Jean-Jacques-Henner, Altkirch (Elsass)

Im Herbst meiner Laufbahn habe ich das Privi-leg, dass ich das zweite Jahr in Folge eine Abi-Bac-Klasse vom zweiten bis zum letztenSchuljahr begleiten konnte. Ich habe sie jedeWoche sechs Stunden gesehen und als Glanz-licht erneut einen sehr erfolgreichen Austauschmit dem Romain Rolland Gymnasium in Dres-den pflegen können.Das war ein menschlichesund pädagogisches Abenteuer von hohemRang, aber auch mit hohem Risiko.

In den drei Jahren verändern sich die jungenLeute, entwickeln sich, überwinden Krisen undZeiten des Zweifels und der Entmutigung.Aber Mathieu Escaich und ich bilden mit denSchülern eine wahre Mannschaft, wo Verständ-nis, Solidarität, Beistand, Dialog und Ziele dieLeitbegriffe sind: Wir wollen Weltmeister wer-den, oder anders gesagt: AbiBac-ler!

Als Team-Manager, die wir sind, sprechen wiruns gut ab, um zu jeder Zeit gute Entscheidun-gen zu treffen und die beste Taktik festzulegen,um ein Maximum an Auszeichnungen zu erhal-ten und um die 100 % Erfolg zu erreichen.Dieses Jahr haben wir dieses Ziel nicht ganzerreicht. Das Scheitern einer Schülerin war lei-der vorhersehbar, aber es war immerhin ge-dämpft durch die Tatsache, dass sie verdientdas C1-Zertifikat des Goethe-Instituts und nachmündlicher Nachprüfung das Bac erhalten hat.Auch wenn es gefährlich ist, die Ergebnisseeiner Klasse mit denen einer anderen zu ver-gleichen, gerade wenn die vorherige eine au-ßergewöhnliche war, können wir, könnt ihr,liebe Schüler, stolz auf euch sein.

Ihr habt 7-mal die Beurteilung „sehr gut“ erhalten,davon 5-mal die hervorragende Note 1,0,6-mal die Beurteilung „gut“, 3-mal die Beurteilung „befriedigend“ und einmal die Beurteilung „ausreichend“.

Unsere Devise beim AbiBac ist, „immer dasBeste zu geben versuchen“. Unser Ziel ist es,hervorragend zu sein, es muss Momentegeben, „wo man über sich hinauswächst“.Wie anders könnte man das sein?

Zu viele schwarze Wolken türmen sich amstürmischen Himmel des französischen Bil-dungswesens auf. Es verliert den Ball, es ver-liert das Gespür für den Wert der Noten undvernachlässigt den Wert der Anstrengung,damit minimiert es den Preis. Ein Bildungssys-tem, das vorgibt, den Zusammenhang zwi-schen den Anforderungen und der Qualitäteiner Arbeit nicht zu kennen, fördert Trägheit.Wenn man weiterhin ständig die Bewertungs-kriterien, die Art der Prüfungen und deren Aus-wertung ständig ändert, um die Erfolgsstati-stiken aufzublähen, ist zu befürchten dass mandefinitiv nicht nur das Bac entwertet sondernzugleich die Diplome, die auf das Bac folgen.Das französische Bildungssystem riskiert, sichim Auge des Zyklons wiederzufinden, wenn dieBewertung der Fähigkeiten das Ende des von0 bis 20 bezifferten Notensystems einläutet.

Unsere deutschen Partner hüten ihre Beziffe-rung der Leistungsbewertung wie ihren Aug-apfel. Die Arbeitgeber und Universitäten wis-sen noch und immer, was eine 1,0 ausdrückt,was eine 2,2 oder eine 4 ist, auch wenn es zwi-schen bestimmten Ländern Feinheiten gibt.Für die Bewertung unseres AbiBac drücke ichHerrn Burger meine Anerkennung aus. Er re-präsentiert das Land Sachsen, das bekannter-maßen auf den Gebieten Erziehung undPädagogik unter den Ländern an der Spitzesteht.Es ist seiner Kontrolle zu verdanken,dass wir sagen können, der Mittelwert von14,9 aus drei schriftlichen Prüfungen in Ge-schichte, Geographie und deutscher Literaturund der von 15,1 in der mündlichen Prüfung inDeutsch sind aussagekräftig und in keinerWeise überbewertet oder schöngefärbt.

Unsere Schüler wissen im übrigen, dass sieauf ihren internationalen oder trinationalen Be-rufswegen in Konkurrenz stehen mit Bewer-

IDI-Information Nr.99 18

Das französische Bildungssystem:ein Narrenschiff

Lange habe ich zusehen müssen, wie ein Bil-dungssystem in den Fängen von rosarot bisdunkelrot gefärbten Gewerkschaften (1) undmit passiver, bzw. aktiver Unterstützung derRegierenden aller Couleur seit den 70er Jah-ren kontinuierlich den Bach runter gegangenist, beschleunigt durch die „réforme Haby“(1975), die den „collège unique“, eine Art Ein-bahnstraße mit Schulpflicht bis 16, eingeführthat, eine versuchte Sparmaßnahme gegen die„Demokratisierung“ der Sekundarstufe!

Die kaum noch nachvollziehbare Anzahl der„Reformen“, von denen praktisch keine ver-nünftig ausgewertet wurde, diente im Grundegenommen nur einem Zweck: Die sinkendenund letztendlich desolaten Leistungen der fran-zösischen Schüler im internationalen Vergleichzu vertuschen. Gleichzeitig wurde den reform-hungrigen Demagogen Recht gegeben, diedas Bildungssystem als Spielfläche für ihre Ex-perimente im Dienste der „Chancengleichheit“benutzt haben. Das unübersichtliche Gebilde,das Unsummen verschlingt und kafkascheZüge annimmt, bastelt dauernd an neuen Be-wertungskriterien, damit die von der Zentralge-walt erwünschten und erwarteten Zahlenerreicht werden. So müssen mindestens 90 %der Gymnasiasten das Abitur (le Baccalauréat)in der Tasche haben. Das schafft man, indemman die Kohorten der untertänig-emsigen In-spektoren Bewertungstabellen austüfteln lässt,mit dem Ziel, die Prüfer zu gängeln und zu be-vormunden. Z.B. muss ich in Deutsch, zweiteFremdsprache, im Hörverstehen, wo die Schü-ler nach dreimaligem Anhören eines kurzenTexts auf Französisch antworten, entwedereine 4, eine 8, eine 14, oder 20 auf 20 geben!

Sollte trotz aller Vorkehrungen der Notendurch-schnitt bei einem Prüfer unter dem erwünsch-ten Durchschnitt liegen, wird er – nicht seltentelefonisch - von den Herren Inspektoren indie Schranken verwiesen. Zu allem Überflussnahmen im letzten Jahrzehnt die Stundenzah-

len in den Hauptfächern kontinuierlich ab unddie Klassenbestände ständig zu - 30 in den„Collèges“ und 35 in den „Lycées“ betrachtetman inzwischen als „normal“ - wobei z.B. diewöchentliche Stundenzahl in Fremdsprachenin der Sekundarstufe 2 noch lächerliche zweiStunden beträgt.

Die Folgen sind leicht auszumachen: immerweniger Stoff, immer weniger Inhalt, erbärmlichniedriges Gesamtniveau, ständig sinkende An-forderungen, eine demoralisierte Lehrerschaft,deren Bezüge seit 2010 eingefroren sind,wachsender Lehrermangel, ethnische Span-nungen und Disziplinlosigkeit in den Klassen,eingerahmt durch einen gigantischen Verwal-tungsapparat, der im selbst verursachten Pa-pierkram erstickt.

Was nach dem Baccalauréat geschieht, wirdtotgeschwiegen. Die zwei ersten Jahre an derUniversität dienen als Filter: die Sekundarstufeverlassen jedes Jahr ca. 150.000 mit leerenHänden, die Universität noch viel mehr. Dassdie „Enarchie“(2), die das Land seit Jahrzehn-ten im Griff hat un d’Schissgàss àwa fiahrt,ihren Sprösslingen den Weg zu den Elite-Schulen, „ENA“, „HEC“ oder „Polytechnique“,trotz allem zu ebnen versteht, sollte der end-gültige Beleg für das Zweiklassensystem die-ses verlogenen Bildungswesens sein, das nunernsthaft erwägt, das Notensytem abzuschaf-fen und es durch einen Kompetenzen-Katalogzu ersetzen. Begründung: Noten würden dieSchüler traumatisieren und in ihrer Entwicklunghemmen… Kurzum, s Nàrraschìff vom Sebas-tian Brant schribt ìm Frànkrich boll wìeder a nèiKàpitel!

Edgar Zeidler

(1) Außer dem Lehrerverband « SNALC », dersich seinerzeit allein gegen die „réforme Haby“engagiert hatte und dessen Schmiede immerwieder vernünftige Vorschläge macht, wie «lecollège modulaire » und «le lycée de tous lessavoirs ».(2) Enarchie: Wortspiel aus ENA (Ecole Natio-nale d’Administration) und Anarchie

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IDI-Information Nr.99 21

Sprache gegen den reaktionären Strichgebürstet

Ausschnitte aus einem Brief von Kurt Sängeran Josef Wittmann.

Wo fange ich an? Beim letzten Ereignis. Meineletzte, größere Lesung habe ich in Kiel anläss-lich des Tages der Deutschen Einheit gemacht.Es gab dort eine Veranstaltung zu Dialekten inDeutschland. Diese Veranstaltung war schonvon der Präsentation einschließlich TechnikSchrott. Große mannshohe Bühne in einer La-gerhalle am Hafen. Hunderte Leute als Lauf-kundschaft statt Zuhörer. Die Autoren/Innen,die dort präsentiert wurden, kamen alle aus der„heiteren“ Mundartszene aus den Regionen,teilweise sogar in Tracht, wohl vermittelt vonden jeweiligen regionalen Medien. Ich selbstwar unter diesen Leuten fremd.

Fragen beispielsweise nach Dirk Römmer, Hel-mut Debus oder Gerd Spiekermann wurdenmir dort mit Achselzucken beantwortet. Die lite-rarische Szene, wie ich sie von früher herkannte und dort auch erwartet hatte, war nichtvorhanden, nicht anwesend, ja, überhauptnicht bekannt. Ich wurde dort „verkauft“ als einVertreter aus Hessen, den niemand als„Hesse“ identifizieren konnte, und als ich micham Stand des Landes Hessen selbst vorstellenwollte, so auf ne Bratwurst und ein Bier, dakannte mich dort ebenfalls keiner, peinlich bismegapeinlich, und ich hab mich dann ganzschnell zu einem Rockkonzert verkrümelt. Für20 Minuten Lesung war ich 16 Stunden mitdem Zug unterwegs für gerade mal 248 EuroHonorar. Auch ne Nummer. Eingeladen hattemich die Kieler Staatskanzlei.

In Hessen selbst gab es für mich in der Ver-gangenheit beim Hessischen Rundfunk mitun-ter noch Gelegenheiten, mit kleinen Beiträgenund Interviews präsent zu sein. Was hier in denMedien jedoch dominant ist, das ist die Co-medy- und Blödel-Szene mit "Badesalz" oder"Maddin". Literatur findet dort nicht statt. SelbstKurt Sigel schweigt, und wer aktuell für ein

Professor der Marburger Dialektologen mitsehr guten Kontakten in die Redaktionen derMedien und selbst als Interviewpartner und Ex-perte in Sachen Dialekte präsent und gefragtist. Kontakte zu diesen Mundart-Initiativenhabe ich nicht, da gibt es einen Riss und keine Kontinuität. Ich beklage das nicht, weil ich mir

dort auch auf falschen Brettern wie einst in Kielvorkäme. Literarische Impulse setzen, Streit-punkte eröffnen, wäre aber nicht verkehrt.

Wahrscheinlich wirken politische Motive hiergleichfalls ein. Denn Heinrich Dingeldein warlange Zeit für die FDP im Landkreis Marburg-Biedenkopf und im Stadtparlament Marburgaktiv, ich als Grüner aus demselben Geviertnicht unbedingt Wunschpartner einer Koalition,erst recht nach ganz aktuellen Vorgängen inHessen und noch aktueller nach dem Eklat inder Kommunalpolitik in Bad Vilbel. Hier habeich es mit dem noch amtierenden Justizminis-ter Jörg Uwe Hahn zu tun, ganz lebensnah unddirekt, und ich habe ihm kommunalpolitischnichts zu schenken und er mir auch nicht.

Dabei habe ich über mehr als zehn Jahre fürdie liberal-konservative Frankfurter NeuePresse im Tagesgeschäft gearbeitet, (derenpolitisches Verlagsprofil inzwischen allerdingseher nach Schwarz-Grün in Hessen tendiert). Bei den Grünen selbst finden meine Arbeitenkein Interesse, weil es keine regionale Kultur-arbeit jenseits der Energie- und Ökologiedebat-ten in deren Denken gibt. Da bin ich dereinsame Rufer in der Wüste.

Das war mal anders im Zuge der Regionalis-mus-Debatte und der Anti-AKW-Bewegung.Eine kulturpolitische Lobby in meiner eigenenPartei zu finden? – also Fehlanzeige! Für dieGrünen in Hessen ist diese regionale Kulturar-beit auch in der Literatur-Szene kein Thema,die haben das nicht auf dem Schirm, und essind dann doch die Konservativen und dieGamsbärte, wie Du sagst, die im Land dieseThemen besetzen. Wenn auch die Ökologie-Bewegung in die regionalen Lebensweltengeht, so dann doch aus dem – mitunter bürger-

IDI-Information Nr.99 20

bern, deren Muttersprache Deutsch ist. Ummitzuhalten, müssen sie nicht nur den Einstiegschaffen, sie müssen ihre Kompetenzen weiterverbessern und an ihren Schwachstellen arbei-ten.Indem man Maß nimmt an den Besten wirdman am Ende Teil einer Elite sein.

Habe ich Elite gesagt? Ja, ich habe Elite ge-sagt, dieses Wort, das von einem Gutteil deserziehenden Personals so verabscheut wird,ebenso von den Gewerkschaften und von denFührungsgremien des nationalen Bildungswe-sens, die Chancengleichheit mit Gleichmache-rei verwechseln, bei denen die Guten ausge-bremst, ja sogar angefeindet werden, und wohervorragende Werdegänge, wie AbiBac kriti-siert, ja sogar verteufelt werden.

In diesem Wahn, in dem man alles zu köpfenversucht, was herausragt, in dem man allenden Schritt der langsamsten aufzwingt, vergisstman, dass eine Nation, die sich um eine gutaufgestellte Elite bringt, die von den Werteneiner wahren Demokratie geleitet wird zu einerRepublik, die diesen Namen verdient, dasseine solche Nation in sich die Ansätze von Ver-fall und Niedergang trägt. Die Alarmzeichen,die von den Politikern aller Richtungen ausge-sandt werden, zum Beispiel die Organisationdes programmierten Amtsmissbrauchs, lässtmich das Schlimmste für mein Land befürch-ten.

Wenn es mir mit meinen Kollegen Sacha Meierund Mathieu Escaich ein wenig gelungen ist,neue Eliten zu formen, die Frankreich morgenbrauchen wird, um sich wieder aufzurichtenund an der Zukunft teilzuhaben, dann warmeine Zeit am Henner und meine Arbeit als an-spruchsvoller Germanist nicht umsonst.Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört und,wer weiß, verstanden haben.

bisschen Furore in der intelligenten Autoren-Szene sorgt, ist Walter Renneisen oder Mi-chael Quast beim Theater. Wolfgang Deichselhat sich vor Jahren schon um die Ecke gesof-fen. Deichsel und Quast habe ich noch alsJournalist bei den Burgfestspielen in Bad Vilbelnäher kennengelernt, Deichsel schon vormit-tags bei Proben mit ner Plastiktüte voll Dosen-bier.

Neben meiner ehemaligen Gruppe Odermen-nig gab es noch die ebenfalls mittelhessischeGruppe Fäägmeel, eine eher „heimatverbun-dene“ wenn auch durchaus zeitnahe und„nicht-tümelnde“ Gruppe. Diese Gruppe hatteeinen relativ großen Erfolg in Mittelhessen. Ausderen Mitte kam dann der Autor Siegward Rothmit seinem „Knotterbock“ - Humoresken. Rothist auch ein standardsprachlicher Autor. VonBeruf ist er Polizeibeamter im Präsidium Mittel-hessen. Bleibt noch die Gruppe Säuwänzt ausder Rhön. Eine Skiffle-Combo im Rhöner Dia-lekt. Allen ist gemeinsam die oberflächliche Un-terhaltung mit dem retrospektiven Blick instraute Dörflein bei unterhaltsamen Kochküns-ten im Fernsehen regionaler Sendungen. Aberder Arbeitsplatz „Dorf“ ist längst ausgestorben,mithin das ihn tragende dialektale Leben, undso sind auch diese Versuche langfristig für dieKatz, die längst nach anderen Mäusen geht.

Die Kultband Rodgau Monotones hat sich nieweiterentwickelt, vielleicht auch deshalb, weildas Publikum nichts anderes mehr hören willoder wollte als das Erbarmen der Hessen. Sobleibt man barmherzig im Geschäft, wenn esdenn noch eins ist. Interessant nur: Vor weni-gen Jahren erhielt Hubert von Goisern einengroßen Auftritt zum Hessentag. Hoffnungszei-chen gegenüber den Konservativen? Vielleicht– aber das will ich erst mal sehr kritisch abwar-ten. Unterhalb dieser Szene gibt es in Hessenjedoch einige Mundart-Vereine, besonders inMittelhessen, die Sprache museal sammeln,CDs produzieren, Mundart-Gottesdienste ver-anstalten oder Mundart-Wettbewerbe machen.Hinter diesen Initiativen steckt oft noch Hein-rich Dingeldein, der aus seiner Position als

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Sprache gegen den reaktionären Strichgebürstet

Ausschnitte aus einem Brief von Kurt Sängeran Josef Wittmann.

Wo fange ich an? Beim letzten Ereignis. Meineletzte, größere Lesung habe ich in Kiel anläss-lich des Tages der Deutschen Einheit gemacht.Es gab dort eine Veranstaltung zu Dialekten inDeutschland. Diese Veranstaltung war schonvon der Präsentation einschließlich TechnikSchrott. Große mannshohe Bühne in einer La-gerhalle am Hafen. Hunderte Leute als Lauf-kundschaft statt Zuhörer. Die Autoren/Innen,die dort präsentiert wurden, kamen alle aus der„heiteren“ Mundartszene aus den Regionen,teilweise sogar in Tracht, wohl vermittelt vonden jeweiligen regionalen Medien. Ich selbstwar unter diesen Leuten fremd.

Fragen beispielsweise nach Dirk Römmer, Hel-mut Debus oder Gerd Spiekermann wurdenmir dort mit Achselzucken beantwortet. Die lite-rarische Szene, wie ich sie von früher herkannte und dort auch erwartet hatte, war nichtvorhanden, nicht anwesend, ja, überhauptnicht bekannt. Ich wurde dort „verkauft“ als einVertreter aus Hessen, den niemand als„Hesse“ identifizieren konnte, und als ich micham Stand des Landes Hessen selbst vorstellenwollte, so auf ne Bratwurst und ein Bier, dakannte mich dort ebenfalls keiner, peinlich bismegapeinlich, und ich hab mich dann ganzschnell zu einem Rockkonzert verkrümelt. Für20 Minuten Lesung war ich 16 Stunden mitdem Zug unterwegs für gerade mal 248 EuroHonorar. Auch ne Nummer. Eingeladen hattemich die Kieler Staatskanzlei.

In Hessen selbst gab es für mich in der Ver-gangenheit beim Hessischen Rundfunk mitun-ter noch Gelegenheiten, mit kleinen Beiträgenund Interviews präsent zu sein. Was hier in denMedien jedoch dominant ist, das ist die Co-medy- und Blödel-Szene mit "Badesalz" oder"Maddin". Literatur findet dort nicht statt. SelbstKurt Sigel schweigt, und wer aktuell für ein

Professor der Marburger Dialektologen mitsehr guten Kontakten in die Redaktionen derMedien und selbst als Interviewpartner und Ex-perte in Sachen Dialekte präsent und gefragtist. Kontakte zu diesen Mundart-Initiativenhabe ich nicht, da gibt es einen Riss und keine Kontinuität. Ich beklage das nicht, weil ich mir

dort auch auf falschen Brettern wie einst in Kielvorkäme. Literarische Impulse setzen, Streit-punkte eröffnen, wäre aber nicht verkehrt.

Wahrscheinlich wirken politische Motive hiergleichfalls ein. Denn Heinrich Dingeldein warlange Zeit für die FDP im Landkreis Marburg-Biedenkopf und im Stadtparlament Marburgaktiv, ich als Grüner aus demselben Geviertnicht unbedingt Wunschpartner einer Koalition,erst recht nach ganz aktuellen Vorgängen inHessen und noch aktueller nach dem Eklat inder Kommunalpolitik in Bad Vilbel. Hier habeich es mit dem noch amtierenden Justizminis-ter Jörg Uwe Hahn zu tun, ganz lebensnah unddirekt, und ich habe ihm kommunalpolitischnichts zu schenken und er mir auch nicht.

Dabei habe ich über mehr als zehn Jahre fürdie liberal-konservative Frankfurter NeuePresse im Tagesgeschäft gearbeitet, (derenpolitisches Verlagsprofil inzwischen allerdingseher nach Schwarz-Grün in Hessen tendiert). Bei den Grünen selbst finden meine Arbeitenkein Interesse, weil es keine regionale Kultur-arbeit jenseits der Energie- und Ökologiedebat-ten in deren Denken gibt. Da bin ich dereinsame Rufer in der Wüste.

Das war mal anders im Zuge der Regionalis-mus-Debatte und der Anti-AKW-Bewegung.Eine kulturpolitische Lobby in meiner eigenenPartei zu finden? – also Fehlanzeige! Für dieGrünen in Hessen ist diese regionale Kulturar-beit auch in der Literatur-Szene kein Thema,die haben das nicht auf dem Schirm, und essind dann doch die Konservativen und dieGamsbärte, wie Du sagst, die im Land dieseThemen besetzen. Wenn auch die Ökologie-Bewegung in die regionalen Lebensweltengeht, so dann doch aus dem – mitunter bürger-

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bern, deren Muttersprache Deutsch ist. Ummitzuhalten, müssen sie nicht nur den Einstiegschaffen, sie müssen ihre Kompetenzen weiterverbessern und an ihren Schwachstellen arbei-ten.Indem man Maß nimmt an den Besten wirdman am Ende Teil einer Elite sein.

Habe ich Elite gesagt? Ja, ich habe Elite ge-sagt, dieses Wort, das von einem Gutteil deserziehenden Personals so verabscheut wird,ebenso von den Gewerkschaften und von denFührungsgremien des nationalen Bildungswe-sens, die Chancengleichheit mit Gleichmache-rei verwechseln, bei denen die Guten ausge-bremst, ja sogar angefeindet werden, und wohervorragende Werdegänge, wie AbiBac kriti-siert, ja sogar verteufelt werden.

In diesem Wahn, in dem man alles zu köpfenversucht, was herausragt, in dem man allenden Schritt der langsamsten aufzwingt, vergisstman, dass eine Nation, die sich um eine gutaufgestellte Elite bringt, die von den Werteneiner wahren Demokratie geleitet wird zu einerRepublik, die diesen Namen verdient, dasseine solche Nation in sich die Ansätze von Ver-fall und Niedergang trägt. Die Alarmzeichen,die von den Politikern aller Richtungen ausge-sandt werden, zum Beispiel die Organisationdes programmierten Amtsmissbrauchs, lässtmich das Schlimmste für mein Land befürch-ten.

Wenn es mir mit meinen Kollegen Sacha Meierund Mathieu Escaich ein wenig gelungen ist,neue Eliten zu formen, die Frankreich morgenbrauchen wird, um sich wieder aufzurichtenund an der Zukunft teilzuhaben, dann warmeine Zeit am Henner und meine Arbeit als an-spruchsvoller Germanist nicht umsonst.Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört und,wer weiß, verstanden haben.

bisschen Furore in der intelligenten Autoren-Szene sorgt, ist Walter Renneisen oder Mi-chael Quast beim Theater. Wolfgang Deichselhat sich vor Jahren schon um die Ecke gesof-fen. Deichsel und Quast habe ich noch alsJournalist bei den Burgfestspielen in Bad Vilbelnäher kennengelernt, Deichsel schon vormit-tags bei Proben mit ner Plastiktüte voll Dosen-bier.

Neben meiner ehemaligen Gruppe Odermen-nig gab es noch die ebenfalls mittelhessischeGruppe Fäägmeel, eine eher „heimatverbun-dene“ wenn auch durchaus zeitnahe und„nicht-tümelnde“ Gruppe. Diese Gruppe hatteeinen relativ großen Erfolg in Mittelhessen. Ausderen Mitte kam dann der Autor Siegward Rothmit seinem „Knotterbock“ - Humoresken. Rothist auch ein standardsprachlicher Autor. VonBeruf ist er Polizeibeamter im Präsidium Mittel-hessen. Bleibt noch die Gruppe Säuwänzt ausder Rhön. Eine Skiffle-Combo im Rhöner Dia-lekt. Allen ist gemeinsam die oberflächliche Un-terhaltung mit dem retrospektiven Blick instraute Dörflein bei unterhaltsamen Kochküns-ten im Fernsehen regionaler Sendungen. Aberder Arbeitsplatz „Dorf“ ist längst ausgestorben,mithin das ihn tragende dialektale Leben, undso sind auch diese Versuche langfristig für dieKatz, die längst nach anderen Mäusen geht.

Die Kultband Rodgau Monotones hat sich nieweiterentwickelt, vielleicht auch deshalb, weildas Publikum nichts anderes mehr hören willoder wollte als das Erbarmen der Hessen. Sobleibt man barmherzig im Geschäft, wenn esdenn noch eins ist. Interessant nur: Vor weni-gen Jahren erhielt Hubert von Goisern einengroßen Auftritt zum Hessentag. Hoffnungszei-chen gegenüber den Konservativen? Vielleicht– aber das will ich erst mal sehr kritisch abwar-ten. Unterhalb dieser Szene gibt es in Hessenjedoch einige Mundart-Vereine, besonders inMittelhessen, die Sprache museal sammeln,CDs produzieren, Mundart-Gottesdienste ver-anstalten oder Mundart-Wettbewerbe machen.Hinter diesen Initiativen steckt oft noch Hein-rich Dingeldein, der aus seiner Position als

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Page 22: A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land Salzburg IDI ... · IDI Nr 24 Seiten Nr992015_02_06_Layout 1 06.02.2015 22:44 Seite 3. IDI-Information Nr.99 4 IDI-Information Nr.99 5 gesprochen

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Ein Doyen der Salzburger Mundart feierteseinen 80. Geburtstag

Max Faistauer mag den Trubel um seine Per-son überhaupt nicht. Doch Freunde machtenaus seiner Buchpräsentation in Lofer eineschöne Geburtstagsfeier mit Lesung.Sein sechstes Mundartbuch trägt den Titel“oiss gsagg...”. Tatsächlich aber hat Faistauerlängst nicht alles gesagt und geschrieben.Auch wenn er kürzlich seinen 80. Geburtstagbeging. Dieser wurde am Samstag stimmungs-voll gefeiert: mit Freunden, Verwandten undLebensbegleitern in der Hauptschule Lofer,Faistauers früherem Arbeitsfeld als Schuldirek-tor. Gerlinde und Gerd Allmayer präsentiertendas in ihrem Manggei-Verlag in Niedernsill he-rausgegebene neue Werk des Mundartdich-ters. Die beiliegende Hörbuch-CD hat derSalzburger Autor Peter Blaikner gestaltet,Maler Volker Lauth aus Uttendorf das Porträtam Titelbild. Ein zufriedener Faistauer blickt

einem da entgegen. Tatsächlich kann dieserMann mit seiner dichterischen Ernte und derEntwicklung der Mundart zufrieden sein. Den“Arbeitskreis regionale Sprache und Literatur”im Salzburger Bildungswerk hat er mitbegrün-det und geleitet. Dieser hob die Qualität undden Wert der Mundart, führte weg von Herz-Schmerz-Reimereien und dem verklärten Blickauf die Heimat. Durch Faistauer lernten vieleTalente im Land, wie man Aussagen verknapptund auch in wenigen Zeilen prägnante, authen-tische Bilder hervorruft. Weil seine eigenen Bü-cher vergriffen sind, bietet das neue einenrepräsentativen Querschnitt durch sein breitesSchaffen. Die Mundartgedichte und Prosatextezeigen ein “gekonntes Spiel mit Sprache”, das– so der Germanist Peter Haudum im Vorwort– Faistauer eigen ist. “Danke Euch allen, diemein Leben so bereichern”, sagte ein bewegterFaistauer nach seiner Lesung.

Christine Schweinöster

Geburtstagsfeier mit Buchpräsentation arrangierten Faistauers Freunde, v. li.: Maler Volker Lauthaus Uttendorf, Gerlinde Allmayer aus Niedernsill, Autor Max Faistauer, Peter Blaikner aus Salz-burg, Gerd Allmayer aus Niedernsill

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lich-esotherischen - Blickwinkel der Erzeugunghochwertiger Lebensmittel im Sinne einer no-blen, regionalen Fresswelle, die keiner bezah-len kann, wenn er abends von der Arbeitkommt. Eine Kritik, die übrigens Tarek Al Wazirmit mir mal öffentlich geteilt hat, als es um diePreisgestaltung ökologischer Produkte ging.Wie diese Debatten in Bayern geführt werden,das weiß ich natürlich nicht.

Was in Hessen fehlt, das sind Verlage, die jen-seits der Heimat-Unterhaltungs-Duselei Bücherproduzieren. Jüngst hatte ich Kontakte zuSpoo im Saarland, aber er kommt auch nicht ohne Druckkostenzuschüsse oder Sponsorenaus. Und der Groß-Verleger Naumann inHanau lehnt meine Texte rundum ab. Gefragtsind bei den Verlegern auflagenstarke Überset-zungen, beispielsweise von Asterix ins Frank-furterische, die Weihnachtsevangelien insOberhessische oder Kochbücher als regionaleHighlights. Nicht, dass man das denen vorwer-fen kann, allein, die gehen nach dem Markt.Und wir Autoren aus der Wiener Geschichteder modernen Dialektdichtung, dann auch dieIDI-Autoren, haben diesen Markt nicht mehr.Wir sind gegenwärtig dabei, uns nur nochselbst literaturgeschichtlich zu archivieren.

Aber wir haben auch ganz große Chancen, dieuns die heutigen Internet-Möglichkeiten bieten.Ich war verwundert, als ich mit Markus in Kon-takt ging, dass das IDI keine eigene Webseitehat, also über keine literarische Plattform im In-ternet mit Texten, Themen und Projekten ver-fügt. Und gerade dort, wo in den Regionenmassive Veränderungen stattfinden, sei es inder Arbeits- und Lebenswelt, sei in der Zuwan-derungsdiskussion, sei es in den Veränderun-gen der kulturellen Ausdrucksformen in derProvinz, der Jugendkultur (hierzu dann auchLaBrassBanda), könnten und sollten wir mitmi-schen. Wer mitmischt, das sind die Konservati-ven in einer restaurativen Heimat-Show inmedialer Omnipotenz und verlogenem Augen-pulver. In diese Konfliktfelder würde ich gerneals regionaler Autor hineingehen, auch Spra-che neu einbeziehen und literarisch neu be

werten vor dem Hintergrund all dieser Verän-derungen.

Bislang haben wir politisch den Stachel gegendie Heimatfuzzys gesetzt, Sprache, Volks-kunde und Geschichte gegen den reaktionärenStrich gebürstet, das ist, was mich an Haid bisheute bindet (und von König abwendet), undich denke, ganz in persönlicher Meinung, dasswir auf die kulturelle Gegenwart auch sprach-lich eine literarische Antwort finden können, diebeschreibt, was ist, und nicht, wie es gewesenwar. Und ich denke, dass das gerade eine Auf-gabe sein kann von den gegenwärtigen IDI-Au-toren allein schon aus der Geschichte heraus.Aber wir dürfen eines hierbei mit Fernand Hoff-mann nicht aus den Augen verlieren: Wir ma-chen Literatur. Ob uns das gelingt, hängt vonuns selber ab. Und davon, wie wir uns organi-sieren. Mal sehen, und da bin ich jetzt mal ge-spannt, wie sich das im IDI entwickelt, und dabin ich für all das zu haben.

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Kurt Sänger

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Ein Doyen der Salzburger Mundart feierteseinen 80. Geburtstag

Max Faistauer mag den Trubel um seine Per-son überhaupt nicht. Doch Freunde machtenaus seiner Buchpräsentation in Lofer eineschöne Geburtstagsfeier mit Lesung.Sein sechstes Mundartbuch trägt den Titel“oiss gsagg...”. Tatsächlich aber hat Faistauerlängst nicht alles gesagt und geschrieben.Auch wenn er kürzlich seinen 80. Geburtstagbeging. Dieser wurde am Samstag stimmungs-voll gefeiert: mit Freunden, Verwandten undLebensbegleitern in der Hauptschule Lofer,Faistauers früherem Arbeitsfeld als Schuldirek-tor. Gerlinde und Gerd Allmayer präsentiertendas in ihrem Manggei-Verlag in Niedernsill he-rausgegebene neue Werk des Mundartdich-ters. Die beiliegende Hörbuch-CD hat derSalzburger Autor Peter Blaikner gestaltet,Maler Volker Lauth aus Uttendorf das Porträtam Titelbild. Ein zufriedener Faistauer blickt

einem da entgegen. Tatsächlich kann dieserMann mit seiner dichterischen Ernte und derEntwicklung der Mundart zufrieden sein. Den“Arbeitskreis regionale Sprache und Literatur”im Salzburger Bildungswerk hat er mitbegrün-det und geleitet. Dieser hob die Qualität undden Wert der Mundart, führte weg von Herz-Schmerz-Reimereien und dem verklärten Blickauf die Heimat. Durch Faistauer lernten vieleTalente im Land, wie man Aussagen verknapptund auch in wenigen Zeilen prägnante, authen-tische Bilder hervorruft. Weil seine eigenen Bü-cher vergriffen sind, bietet das neue einenrepräsentativen Querschnitt durch sein breitesSchaffen. Die Mundartgedichte und Prosatextezeigen ein “gekonntes Spiel mit Sprache”, das– so der Germanist Peter Haudum im Vorwort– Faistauer eigen ist. “Danke Euch allen, diemein Leben so bereichern”, sagte ein bewegterFaistauer nach seiner Lesung.

Christine Schweinöster

Geburtstagsfeier mit Buchpräsentation arrangierten Faistauers Freunde, v. li.: Maler Volker Lauthaus Uttendorf, Gerlinde Allmayer aus Niedernsill, Autor Max Faistauer, Peter Blaikner aus Salz-burg, Gerd Allmayer aus Niedernsill

IDI-Information Nr.99 22

lich-esotherischen - Blickwinkel der Erzeugunghochwertiger Lebensmittel im Sinne einer no-blen, regionalen Fresswelle, die keiner bezah-len kann, wenn er abends von der Arbeitkommt. Eine Kritik, die übrigens Tarek Al Wazirmit mir mal öffentlich geteilt hat, als es um diePreisgestaltung ökologischer Produkte ging.Wie diese Debatten in Bayern geführt werden,das weiß ich natürlich nicht.

Was in Hessen fehlt, das sind Verlage, die jen-seits der Heimat-Unterhaltungs-Duselei Bücherproduzieren. Jüngst hatte ich Kontakte zuSpoo im Saarland, aber er kommt auch nicht ohne Druckkostenzuschüsse oder Sponsorenaus. Und der Groß-Verleger Naumann inHanau lehnt meine Texte rundum ab. Gefragtsind bei den Verlegern auflagenstarke Überset-zungen, beispielsweise von Asterix ins Frank-furterische, die Weihnachtsevangelien insOberhessische oder Kochbücher als regionaleHighlights. Nicht, dass man das denen vorwer-fen kann, allein, die gehen nach dem Markt.Und wir Autoren aus der Wiener Geschichteder modernen Dialektdichtung, dann auch dieIDI-Autoren, haben diesen Markt nicht mehr.Wir sind gegenwärtig dabei, uns nur nochselbst literaturgeschichtlich zu archivieren.

Aber wir haben auch ganz große Chancen, dieuns die heutigen Internet-Möglichkeiten bieten.Ich war verwundert, als ich mit Markus in Kon-takt ging, dass das IDI keine eigene Webseitehat, also über keine literarische Plattform im In-ternet mit Texten, Themen und Projekten ver-fügt. Und gerade dort, wo in den Regionenmassive Veränderungen stattfinden, sei es inder Arbeits- und Lebenswelt, sei in der Zuwan-derungsdiskussion, sei es in den Veränderun-gen der kulturellen Ausdrucksformen in derProvinz, der Jugendkultur (hierzu dann auchLaBrassBanda), könnten und sollten wir mitmi-schen. Wer mitmischt, das sind die Konservati-ven in einer restaurativen Heimat-Show inmedialer Omnipotenz und verlogenem Augen-pulver. In diese Konfliktfelder würde ich gerneals regionaler Autor hineingehen, auch Spra-che neu einbeziehen und literarisch neu be

werten vor dem Hintergrund all dieser Verän-derungen.

Bislang haben wir politisch den Stachel gegendie Heimatfuzzys gesetzt, Sprache, Volks-kunde und Geschichte gegen den reaktionärenStrich gebürstet, das ist, was mich an Haid bisheute bindet (und von König abwendet), undich denke, ganz in persönlicher Meinung, dasswir auf die kulturelle Gegenwart auch sprach-lich eine literarische Antwort finden können, diebeschreibt, was ist, und nicht, wie es gewesenwar. Und ich denke, dass das gerade eine Auf-gabe sein kann von den gegenwärtigen IDI-Au-toren allein schon aus der Geschichte heraus.Aber wir dürfen eines hierbei mit Fernand Hoff-mann nicht aus den Augen verlieren: Wir ma-chen Literatur. Ob uns das gelingt, hängt vonuns selber ab. Und davon, wie wir uns organi-sieren. Mal sehen, und da bin ich jetzt mal ge-spannt, wie sich das im IDI entwickelt, und dabin ich für all das zu haben.

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INSTITUT FÜR REGIONALE SPRACHEN UND KULTURENInstitute for Regional Languages and Cultures

Kontaktadresse: IDI Gerd Allmayer, Zirmkogelstraße 6,A - 5722 Niedernsill, Österreich, Land SalzburgTelefon: 0043 (0) 720901785 Mail: [email protected]

IDI-INFORMATIONNr. 99 Februar 2015

Freistädter Impressionen:Bilder: Manfred Kern und

Gerd Allmayer

Die Grenzerfahrung ist in Freistadt zu Architektur geworden – der grenzüberschreitende Handelhat die Stadt im Mühlviertel (OÖ) geprägt. Stadtführerin Julia Peterbauer erklärt die Geschichtefassbar. Die Tagungsteilnehmer vlnr: Birgit Rietzler, Manfred Kern, Josef Wittmann, Dirk Römmer,Anna Gruber, Annemarie Regensburger, Astrid Marte, Blasius Regensburger, Gerlinde Allmayer,Hannelore Decker, Klaus Gasseleder, Johann Viehböck, Adolf Vallaster, Christa Osterkorn, Lid-wina Boso, Heinz Siebold, Walter Osterkorn, Erna Rank-Kern, Ulrike Derndinger, Hannes Decker

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