22
F-Praktikum Paramagnetische Elektronenresonanz (EPR: e lectron p aramagnetic r esonance) an Lösungen freier Radikale 1. Einleitung Die paramagnetische Elektronenresonanz ist ein Zweig der Spektroskopie, bei dem elektro- magnetische Strahlung im Mikrowellenbereich von solchen Molekülen, Ionen oder Atomen absorbiert werden kann, die Elektronen mit ungepaarten Spins besitzen. Diese Methode weist viele Analogien zur NMR-Spektroskopie auf, nur dass statt der Kernspins die ungepaarten Elektronenspins die unbedingte Voraussetzung des Verfahrens darstellen. Abhängig von der Anzahl der ungepaarten Spins der paramagnetischen Zentren, ihrer chemischen Art und Um- gebung sowie auch des Aggregatzustands, entstehen EPR-Spektren unterschiedlicher Kom- plexität. Einige typische Systeme, die untersucht wurden, gehören den folgenden Substanz- klassen an: Freie Radikale in Festkörpern, Lösungen und Gasen: Darunter fasst man Atome, Molekü- le oder Ionen, die ein ungepaartes Elektron enthalten. Punktdefekte in Festkörpern: Die wichtigsten Vertreter sind die F-Zentren, in denen ein ungepaartes Elektron eine Anionenleerstelle in Kristallen oder Gläsern besetzt. Diradikale: Es handelt sich um Moleküle mit zwei räumlich entfernten ungepaarten Elekt- ronen, die nur schwach miteinander wechselwirken. Triplettzustände: Man versteht darunter Moleküle mit zwei stark wechselwirkenden unge- paarten Elektronen. Meist handelt es sich um angeregte elektronische Zustände. Übergangsmetall- und Seltenerdionen: In diesen Systemen treten häufig mehrere unge- paarte Elektronen auf, deren Spin- und Bahndrehimpulse substanzabhängig entweder nach der Russel-Saunders- oder j-j-Kopplung zu einem Gesamtdrehimpuls koppeln können. EPR-Experimente an Lösungen freier, stabiler Radikalmoleküle (S = ½), die in diesem Ver- such eingesetzt werden, liefern relativ einfach zu interpretierende Spektren und sind deshalb als Einführung in die Methodik gut geeignet.

F-Praktikum Paramagnetische Elektronenresonanz (EPR ... · F-Praktikum Paramagnetische Elektronenresonanz (EPR: electron paramagnetic resonance) an Lösungen freier Radikale 1. Einleitung

Embed Size (px)

Citation preview

F-Praktikum

Paramagnetische Elektronenresonanz (EPR: electron paramagnetic resonance) an Lösungen freier Radikale

1. Einleitung

Die paramagnetische Elektronenresonanz ist ein Zweig der Spektroskopie, bei dem elektro-

magnetische Strahlung im Mikrowellenbereich von solchen Molekülen, Ionen oder Atomen

absorbiert werden kann, die Elektronen mit ungepaarten Spins besitzen. Diese Methode weist

viele Analogien zur NMR-Spektroskopie auf, nur dass statt der Kernspins die ungepaarten

Elektronenspins die unbedingte Voraussetzung des Verfahrens darstellen. Abhängig von der

Anzahl der ungepaarten Spins der paramagnetischen Zentren, ihrer chemischen Art und Um-

gebung sowie auch des Aggregatzustands, entstehen EPR-Spektren unterschiedlicher Kom-

plexität. Einige typische Systeme, die untersucht wurden, gehören den folgenden Substanz-

klassen an:

• Freie Radikale in Festkörpern, Lösungen und Gasen: Darunter fasst man Atome, Molekü-

le oder Ionen, die ein ungepaartes Elektron enthalten.

• Punktdefekte in Festkörpern: Die wichtigsten Vertreter sind die F-Zentren, in denen ein

ungepaartes Elektron eine Anionenleerstelle in Kristallen oder Gläsern besetzt.

• Diradikale: Es handelt sich um Moleküle mit zwei räumlich entfernten ungepaarten Elekt-

ronen, die nur schwach miteinander wechselwirken.

• Triplettzustände: Man versteht darunter Moleküle mit zwei stark wechselwirkenden unge-

paarten Elektronen. Meist handelt es sich um angeregte elektronische Zustände.

• Übergangsmetall- und Seltenerdionen: In diesen Systemen treten häufig mehrere unge-

paarte Elektronen auf, deren Spin- und Bahndrehimpulse substanzabhängig entweder nach

der Russel-Saunders- oder j-j-Kopplung zu einem Gesamtdrehimpuls koppeln können.

EPR-Experimente an Lösungen freier, stabiler Radikalmoleküle (S = ½), die in diesem Ver-

such eingesetzt werden, liefern relativ einfach zu interpretierende Spektren und sind deshalb

als Einführung in die Methodik gut geeignet.

EPR in Flüssigkeiten 2

2. Grundlagen 2.1 Quantenmechanik des Drehimpulses

Klassisch ergeben sich aus der Definition des Drehimpulses als Vektorprodukt

prJ���

×= (1)

seine kartesischen Komponenten zu:

yzx zpypJ −= ; zxy xpzpJ −= ; xyz ypxpJ −= . (1a)

Der Drehimpuls im atomaren Bereich unterliegt jedoch den Gesetzen der Quantenmechanik

und wird als Vektoroperator J� beschrieben. Seine quantenmechanischen Eigenschaften wer-

den durch die sogenannten Kommutatoren oder Vertauschungsrelationen bestimmt. Sie lassen

sich aus den Orts-( x, etc) und linearen Impulsoperatoren ( xp , etc) und deren Vertauschungs-

relationen konstruieren:

[ ]

[ ] '''' ˆˆˆ,

ˆˆˆ,

qqqqq

xxx

iqppqpq

ixppxpx

δ�

=−=

=−=, oder allgemeiner

mit 0' =qqδ für 'qq ≠ und 1' =qqδ für 'qq = ; (q = x, y, z)

(2)

Ort und Impuls eines Teilchens bezüglich der selben Ortskoordinate sind in der Quantenme-

chanik also komplementäre Observablen, die sich nicht gleichzeitig scharf bestimmen lassen.

Ersetzt man in Gl. 1 J�

und p�

durch ihre Operatoren J�

und p� , kann man den folgenden

Kommutator unter Einbeziehung von Gl.2 berechnen:

[ ] ( ) ( )[ ][ ] [ ] [ ] [ ]

[ ] [ ] ( )z

yxzyxz

zyxyzzxz

zxyzyx

Ji

pxpyipzpxpzpy

pxpzzppzpxpypzpy

pxpzpzpyJJ

ˆ

ˆˆˆ,ˆ00ˆ,ˆ

ˆ,ˆ,ˆˆ,ˆˆ,ˆ

ˆˆ,ˆˆˆ,ˆ

=

+−=+−−=

+−−=

−−=

(3)

Die verbleibenden Kommutatoren lassen sich prinzipiell auf die gleiche Weise ermitteln.

[ ] zyx JiJJ ˆˆ,ˆ �= ; [ ] xzy JiJJ ˆˆ,ˆ �= ; [ ] yxz JiJJ ˆˆ,ˆ �= (4)

Jede der einzelnen Drehimpulskomponenten vertauscht jedoch mit 2J�

:

EPR in Flüssigkeiten 3

[ ]

2 2 2 2 2 2 2

2 2 2 3 3

2

ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ , , , , ,

ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ, 0

ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ,

,

z x y z z x z y z z z

z z z z z z z z

x z x x z z x x x x z x z x x z x z x x

x x z

J J J J J J J J J J J J

J J J J J J J J

J J J J J J J J J J J J J J J J J J J J

J J J J

� � � � � � � � � �= + + = + +� � � � � � � �� �� �

� � = − = − =� �

� � = − = − + −� �

= +

[ ] ( ) ( )( ) ( )2

2 2

,

ˆ ˆ, , ,

ˆ ˆˆ ˆ, 0 , 0

x z x x y y x

y z y y z y z y y x x y

z q

J J J i J i J J

J J J J J J J J J i J i J J

J J J J

= − + −

� � � � � �= + = + →� � � �� �

� � � �= → =� � � �� � � �

� �

� �

� �

(5)

Da sich nur diejenigen Observablen gleichzeitig scharf messen lassen, deren Operatoren

kommutieren, folgt aus den Gleichungen 4 und 5, dass nur eine Komponente und das Quadrat

der Größe des Drehimpulses zeitgleich bestimmt werden können. Hat man sich auf eine Rich-

tung festgelegt (z. B. die z-Richtung), sind die verbleibenden Komponenten unbestimmt.

Bei festgelegter z-Richtung definiert man die sogenannten „Verschiebungsoperatoren“ als

Linearkombinationen von xJ und yJ :

yx

yx

JiJJ

JiJJ

ˆˆˆ

ˆˆˆ

−≡

+≡

+

(6)

Die Bedeutung dieser neuen Operatoren wird später deutlich. Aus (4) – (6) ergeben sich fol-

gende Vertauschungsrelationen:

[ ][ ][ ] z

z

z

JJJ

JJJ

JJJ

JJJJ

ˆ2ˆ,ˆ

ˆˆ,ˆ

ˆˆ,ˆ

0ˆ,ˆˆ,ˆ 22

��

=

−=

=

=���

���=��

����

−+

−−

++

−+

(7)

Alle Operatoren jedweder Art, die diesen Vertauschungsrelationen genügen, verhalten sich

quantenmechanisch wie Drehimpulse, auch wenn sie es im engeren Sinne nicht sind. Der Spin

des Elektrons, S�

, ist ein solches Beispiel. Er ist ein rein quantenmechanisches Phänomen, das

nur sehr unzureichend als " Eigendrehimpuls" des Elektrons charakterisiert werden kann.

2.2 Eigenwerte der Spinoperatoren

Die besondere Stellung des Elektronenspins drückt sich auch in der dimensionslosen Angabe

seines Vektoroperators S�

aus:

EPR in Flüssigkeiten 4

SJ ˆˆ ��

�= (8)

Um die Eigenwerte der Spinoperatoren aus Gl. 5 mit 8 bestimmen zu können, müssen die

entsprechenden Eigenwertgleichungen gelöst werden. Die zugehörigen Eigenfunktionen

, sS mΨ charakterisieren den jeweiligen Spinzustand. Sie sind zeitunabhängig, und da sie im

Gegensatz zu den Kugelflächenfunktionen der freien Rotation (Eigenfunktionen des eigentli-

chen Drehimpulsoperators J�

) keine Ortsabhängigkeit von kartesischen Koordinaten ausdrü-

cken, benutzt man zur Beschreibung des Spinzustands gerne die Dirac’sche Schreibweise des

komplexen Vektors smS , (“Ket“) an Stelle der Wellenfunktion , sS mΨ .

Analog zu Ket smS , kann man ein konjugiert komplexes Gegenstück smS, definieren,

welches als “Bra“ bezeichnet wird. Ein Vergleich mit der Schrödinger'schen Darstellung der

Eigenwertgleichung für einen beliebigen Operator O mit den Wellenfunktionen SmS ,Ψ fasst

die wesentlichen Aspekte des Dirac'schen Systems zusammen:

'

,

,

, ,

, ,

,

,

, ,

ˆ ˆ, ,

s

s

s s s s

s s

S m s

S m s

S m S m s s m m

S m S m s s

S m

S m

d S m S m

O d S m O S m o

τ δ

τ

Ψ ≡

Ψ ≡

Ψ Ψ ≡ =

Ψ Ψ ≡ =

(10)

Das Kronecker-Delta der vorletzten Zeile impliziert, dass die Kets smS , und Wellenfunkti-

onen smS ,Ψ orthonormiert sind. In der letzten Zeile bezeichnet o den Eigenwert.

Dieser Formalismus lässt sich jetzt auf die Spinoperatoren anwenden:

Wurde die z-Komponente des Drehimpulses als die exakt messbare Komponente festgelegt,

ist das Ket smS , ein Eigenket der Drehimpulsoperatoren zS und 2S�

und es gelten die fol-

genden Eigenwertgleichungen:

2ˆ: , ( 1) ,

ˆ: , ,

s s

z s s s

Betragsquantelung S S m S S S m

Richtungsquantelung S S m m S m

= +

=

(9)

mit den Eigenwerten S(S+1) bzw. ms. Die magnetische oder Orientierungsquantenzahl ms

nimmt 2S+1 Werte zwischen -S und + S an. S nennt man Spinquantenzahl.

EPR in Flüssigkeiten 5

Die Quantisierungen sind in Abb.2 verdeutlicht:

Abb.2: Der Kegel repräsentiert einen Spinzustand mit spezifizierter Länge und

z- Komponente. Die x- und y-Komponenten sind entsprechend unbestimmt.

Für den halben Öffnungswinkel θ des Kegels ergibt sich demnach:

)1(cos +=Θ ssms

Die Wirkungsweise der Verschiebungsoperatoren wird durch die Gleichungen

[ ][ ] 1,)1()1(,ˆ

1,)1()1(,ˆ

21

21

−−−+=

++−+=

+

ssss

ssss

mSmmSSmSS

mSmmSSmSS

(11)

verdeutlicht: Sie überführen einen Spinzustand smS , in den Zustand mit der nächst höheren

oder nächst kleineren zS -Komponente. Somit sind die Beziehungen in Gl.11 keine Eigen-

wertgleichungen. Das Übergangsmoment der EPR enthält die quadratischen Verschiebungs-

operatoren. Damit sind die EPR-Signalintensitäten proportional zu ( 1) ( 1)s sS S m m+ − + .

2.3 Beziehung zwischen magnetischem Moment und Drehimpuls

Genau wie in der klassischen Physik eine rotierende Ladung ein magnetisches Dipolmoment

erzeugt, sind auch die Drehimpulse der Elektronen und der Kerne mit magnetischen Momen-

ten verknüpft. Ein Analogon zu dem magnetischen Dipolmoment µ des Bahndrehimpulses

eines Elektrons bildet ein klassisches Teilchen der Masse m und Ladung q , das mit der Ge-

schwindigkeit v auf einer Kreisbahn mit Radius r rotiert ( Abb.1). Das von dem elektrischen

Kreisstrom i induzierte Magnetfeld entspricht dem eines magnetischen Punktdipols.

Abb.1

Modell einer rotierenden Masse m mit Ladung q, Geschwindigkeit v�

und

Drehimpuls J�

. Es gilt die "rechte Hand"- Regel. Das magnetische Moment (nicht eingezeichnet) aus dem Produkt des Kreisstroms i und der umschlos-

senen Fläche A ist kolinear zu J�

orientiert.

J

r

v

m

A

)1( +SS

smz

Θ

EPR in Flüssigkeiten 6

rmJmrprJ

vv

=×=×= �����

trπ2

v =

(12)

Jmq

rq

rtq

Atq

iA2

v2

2 ===== πµ (12a)

In der Quantenmechanik wird jeder Observablen ein Operator zugeordnet. Damit ändert sich

Gleichung 12a im Falle des Elektrons zu:

24 1

ˆ ˆˆ2

9,2740154 10 J T2

e

e

eJ J

me

m

βµ

β − −

= = −

= = ⋅

� ��

(12b)

wobei β als das Bohrsche Magneton bezeichnet wird. Prinzipiell setzt sich der Drehimpuls des

Elektrons aus seinem Spin- und Bahnanteil zusammen. Da das magnetische Moment, das mit

dem Spin verknüpft ist, um den Faktor 2 größer ist als das der Bahnkomponente, wird der

Korrekturfaktor g eingeführt (reiner Spinmagnetismus: SJ ˆˆ ��

�= mit g = 2; reiner Bahnmagne-

tismus: LJ ˆˆ ��= mit g = 1):

ˆ ˆˆ2 e

eg J g J

mβµ = = −

� ��

(13)

Eine eingehendere Betrachtung des g-Faktors findet in Kapitel 3 statt.

2.4 Energie eines freien Elektrons im Magnetfeld (Zeeman-Effekt)

Die in Kapitel 2.2 vorgestellten Orientierungszustände des Elektronenspins sind entartet.

Durch Anlegen eines Magnetfeldes (z.B. in z-Richtung) kann diese Entartung aufgehoben

werden, da die parallele und antiparallele Orientierung nicht energiegleich sind.

Das magnetische Moment eines freien Elektrons ist allein mit dem Spin assoziiert und be-

stimmt seine potentielle Energie in einem äußeren Magnetfeld. Die klassische Formulierung

der magnetischen Wechslwirkungsenergie von µ� in einem Magnetfeld B�

ist durch das

Skalarprodukt:

BE��µ−= (14)

gegeben. Man erhält den quantenmechanischen Energieoperator, indem man µ� durch den

geeigneten Operator (Gln.8,13 ) ersetzt:

EPR in Flüssigkeiten 7

BSgBH���� ˆˆˆ βµ =−= (15)

Das Feld wird definitionsgemäß in z-Richtung gelegt und mit B0 bezeichnet (Bx = By = 0):

00ˆˆˆ BSgBH zz βµ =−= (16)

( zµ liegt antiparallel zu zS )

Die zugehörigen Energieeigenwerte smE ergeben sich durch Lösen der zeitunabhängigen Ei-

genwertgleichung (siehe auch Gln. 9-10):

smssssss

szs

EBgmmSmSBmgmSHmS

mSBSgmSH

===

=

00

0

,,,ˆ,

,ˆ,ˆ

ββ

β

(17)

Für ein einzelnes Elektron mit S = 1/2 entstehen also zwei Niveaus gemäß ms = ±1/2. Die

Energiedifferenz E∆ ist dem äußeren Magnetfeld proportional (Abb.3):

02/12/1 BgEEE β=−=∆ −+ (18)

E

B0

m = - 1/2

m = + 1/2s

s

m = + 1/2s

B = 00

E∆

Abb.3. Aufspaltung der Zeeman-Energieniveaus im Magnetfeld

Sie kann über die Bohr'sche Frequenzbedingung mit einem elektromagnetischen Strahlungs-

quant in Beziehung gesetzt werden,

0BgE βω ==∆ � (19)

EPR in Flüssigkeiten 8

Ist Gl.19 erfüllt, können Übergänge zwischen den beiden Energieniveaus erzeugt werden, wie

es im EPR-Experiment auch durchgeführt wird.

Im klassischen Bild erfährt ein durch einen Drehimpuls erzeugtes magnetisches Moment in

einem Magnetfeld ein Drehmoment, das zu einer Präzessionsbewegung des magnetischen

Momentes um die Richtung des B-Feldes führt (Kreiselmechanik). Die quantenmechanische

Behandlung erfordert die Lösung der zeitabhängigen Schrödinger-Gleichung. Die x- und y-

Komponenten der magnetischen Momente )(ˆ txµ und )(ˆ tyµ oszillieren zeitlich mit der Lar-

morfrequenz 10L g Bω β −= � während sich zµ als zeitunabhängig ergibt. D. h. der Vektorope-

rator µ� verhält sich wie ein Vektor, der mit einem festen Winkel gegen B0 ausgelenkt ist und

in der x-y-Ebene präzediert (siehe Darstellung in Abb.4).

Hieraus ergibt sich, dass die Frequenz des Energieübergangs (Gl. 19) auch gleich dieser Prä-

zesssionsfrequenz Lω ist:

Lωω = (20)

Abb.4: Darstellung der relativen Orientierung von Spin S�

und magnetischem Moment µ� bezüglich B0 für ms =

½ und ms = -½. Beide rotieren mit der Larmorfrequenz um die Magnetfeldrichtung. Die links dargestellte Orien-

tierung entspricht der größeren potentiellen Energie.

2.5 Makroskopische Magnetisierung und Resonanz

In der EPR-Spektroskopie werden kondensierte Materieproben mit ca 1012 bis 1018 ungepaar-

ten Elektronen untersucht. Im thermischen Gleichgewicht verteilen sich deren magnetische

µ z

Sz

S

µ

B0

ω L

ω L

m s = 1/2 B0m s = -1/2

µ

S

Sz

µ z

ω L

ω L

EPR in Flüssigkeiten 9

Momente im äußeren Magnetfeld auf die nach Gl. 17 erlaubten Energiezustände gemäß der

Boltzmannverteilung:

kTBg

kTBg

NN 00

2/1

2/1 1expββ

−≅�

��

−=−

(21)

Da die magnetische Wechselwirkungsenergie sehr viel kleiner ist als die thermische Energie

kT, ist die angegebene Näherung bereits ab 1K gut erfüllt ("Hochtemperaturnäherung"). Auf-

grund dieser unterschiedlichen Besetzungszahlen N±1/2 resultiert nach einigen weiteren hier

nicht aufgeführten Umformungen eine makroskopische Magnetisierung M0 in Feldrichtung

000

22

0 3

)1(BB

kT

SSgNMM gesamt

z χβ

=+

==

(22)

mit der Teilchenzahldichte Ngesamt und der Volumensuszeptibilität χ0 . Man erkennt hier die

dem Curie'schen Gesetz

TC=0χ

(23)

entsprechende inverse Temperaturabhängigkeit.

Abb. 5: Darstellung der makroskopischen Magnetisierung M0 || z als Kon-

sequenz der Boltzmannverteilung. Die einzelnen magnetischen Momente

µ� präzedieren mit ωL um B0.

Mit der magnetischen Feldkomponente einer eingestrahlten elektromagnetischen Welle der

Frequenz ωL lassen sich in der Probe Absorptions- und induzierte Emissions-

µ

ω L

ω L

B0

m s = -1/2

µ

M0

m s = 1/2

EPR in Flüssigkeiten 10

elementarprozesse erzeugen, bei denen die Spins ihre Orientierung in beide Richtungen gleich

wahrscheinlich ändern können. Der beobachtete Gesamteffekt hängt von dem Unterschied ∆N

der Besetzungszahlen ab. Im thermischen Gleichgewicht wird man also Absorption beobach-

ten.

Man nutzt eine linear polarisierte Welle, deren B1-Feldkomponente ⊥ zu B0 angeordnet wird.

Diese kann in zwei gegensinnig rotierende Zirkularkomponenten zerlegt werden. Die Kompo-

nente, die gleichsinnig wie die Spinpräzession rotiert (Abb. 6 a)), ist für den Umklappvorgang

verantwortlich, der erfolgt, wenn die Resonanzbedingung erfüllt ist. Unterscheiden sich hin-

gegen eingestrahlte und Larmorfrequenz deutlich, sind beide Oszillatoren entkoppelt und es

findet kein Energietransfer statt.

Klassisch betrachtet übt B1 ein Drehmoment auf M0 aus und lenkt die Magnetisierung aus der

z-Richtung aus. Im ausgelenkten Zustand wirkt auf M0 ein starkes Drehmoment durch B0, das

die Magnetisierung zur Präzession mit ωL um B0 zwingt. Die oszillierenden x- und y-

Komponenten von M0 induzieren dabei eine Spannung in einem elektrischen Schwingkreis,

die als Signal registriert werden kann. Die Drehmomente beider Magnetfelder führen im La-

borsystem zu einer komplizierten schraubenförmigen Bewegung des Magnetisierungsvektors

um B0. Eine einfachere Darstellung gelingt mit Hilfe des mit ω um die z-Richtung rotierenden

Koordinatensystems, das die schnelle Rotation um B0 ausblendet (Abb.6 b))

Abb. 6 a): Im EPR-Experiment wird ein zirkular

polarisiertes B1-Feld der Frequenz ω in der xy-Ebene

eingestrahlt. Resonanz erfolgt, wenn ω = ωL.

B0

M0

B1

ω = ωL

ωL

EPR in Flüssigkeiten 11

Abb.6 b):

Denkt man sich in ein mit ωL um die z-Achse rotierendes Koordinatensys-

tem, erscheint das B1-Feld als stationär und der Magnetisierungsvektor

kann im Resonanzfall (ω = ωL) um die Richtung von B1 rotieren. Seine im

ausgelenkten Zustand schnelle Rotation mit ωL um B0 ist im rotierenden

Koordinatensystem eliminiert. Die Rotation mit ω1 um B1 ist deutlich

langsamer, da B1 << B0. In der Darstellung ist die Einstrahldauer von B1

so gewählt, daß eine Auslenkung von M0 um 900 erzeugt wird, so daß die

xy-Komponente maximal ist, die im Laborsystem die Signalspannung

erzeugt.

3. Wechselwirkungen 3.1 Der g-Faktor

Bei der Ableitung der Resonanzbedingung in Gl. 19 wurde das magnetische Moment des frei-

en Elektrons zu Grunde gelegt. Wie jedoch bereits in Kapitel 2.3 dargelegt, trägt auch der

Bahndrehimpuls der ungepaarten Elektronen zur Stärke des magnetischen Momentes bei.

Während der beherrschende Spinanteil prinzipiell immer vorhanden ist, kann der Bahnanteil

in Abhängigkeit der Substanz, ja sogar des Aggregatzustandes sehr stark variieren.

Im einfacheren Fall eines freien paramagnetischen Atoms oder Ions mit LS-Kopplung (Rus-

sel-Saunders Kopplung) bilden alle ungepaarten Spins ein resultierendes S�

und die betreffen-

den Bahndrehimpulse ein resultierendes L�

. L�

und S�

koppeln ihrerseits additiv zu dem

Gesamtdrehimpuls J�

, der das magnetische Moment Jµ� erzeugt.

Der Hamiltonoperator der Zeeman Wechselwirkung ergibt sich entsprechend zu:

0ˆˆˆ BJgBH LJ

���� βµ =−= (24)

(hier sind J�

und S�

einheitlich dimensionslos formuliert) mit den Energieeigenwerten

JJM

mitBgME

J

LJJ

−+==

,...,0β

(25)

gL bezeichnet den Lande'schen g-Faktor:

( ) ( ) ( )( )12

1)111

++−++++=

JJLLSSJJ

g L (26)

B0

M0

B1

EPR in Flüssigkeiten 12

Es entstehen also 2J+1 äquidistante Energieniveaus mit der Aufspaltung JE∆ zwischen be-

nachbarten Niveaus ( 1±=∆ JM ):

0BgE JJ β=∆ (27)

Die übliche Notation eines Energiezustandes eines "Russel-Saunders" Systems lautet 2S+1LJ.

Damit ergibt sich für den elektronischen Grundzustand z.B. eines Sauerstoffatoms (zwei un-

gepaarte Elektronen) der Term 3P2. Daraus errechnet sich: gL= 1,5. Der Grundzustand des

Wasserstoffatoms beträgt 2S1/2. Es ist also L = 0 und somit gL = 2. Beim freien Elektron

weicht der g-Wert um eine relativistische Korrektur etwas von 2 ab: ge = 2.00229.

Bei paramagnetischen Atomen oder Ionen in molekularer oder kristalliner Umgebung hinge-

gen ist der Bahndrehimpuls durch die entstehenden elektrischen Felder häufig unterdrückt und

die obige Formulierung für g nicht mehr gültig; in erster Näherung ergibt sich dann g allein

aus dem Spinanteil.

Unter dem Einfluß des äußeren Magnetfeldes wird diese Unterdrückung partiell wieder aufge-

hoben und das resultierende Bahnmoment mit dem Spin gekoppelt (Spin-Bahn-Kopplung).

Formal wird dieser substanzspezifische Einfluß der Bahnkomponente des Drehimpulses auf

die Stärke des gesamten magnetischen Moments des Elektrons durch einen rein experimentel-

len g-Faktor ausgedrückt, der aus dem Spektrum abzulesen ist. Er symbolisiert ein effektives

magnetisches Moment, das mit den ungepaarten Elektronen assoziiert ist. Die Abweichungen

von ge können ganz erheblich sein und hängen im Festkörper von der Orientierung des Mole-

küls oder Kristalls zum Magnetfeld ab, da die Zirkulationspfade des Elektrons um das Mag-

netfeld von der Geometrie der beteiligten Orbitale bestimmt sind. In diesen Fällen ist g�

ein

Tensor, der jedoch in Flüssigkeiten und Gasen durch die rasche Taumelbewegung der Mole-

küle auf einen isotropen Mittelwert g reduziert wird.

Diese Variation des g-Tensors führt im Festkörper zu strukturierten Linienformen, aus denen

wertvolle Informationen über die chemische Umgebung und die Bindungsverhältnisse gewon-

nen werden können.

In diesem Praktikum werden Lösungen freier organischer Radikalmoleküle untersucht. Auf-

grund des im Radikalmolekül delokalisierten ungepaarten Elektrons ist der Bahndrehimpuls

weitgehend unterdrückt, und auch die Spin-Bahn-Kopplung ist gering, so dass der isotrope g-

Wert in unseren Beispielen nahezu 2 beträgt.

EPR in Flüssigkeiten 13

3.2 Kernspin - Elektronenspin-Wechselwirkungen (Hyperfeinwechselwirkung) Wie aus der NMR-Spektroskopie hinlänglich bekannt ist, besitzen eine ganze Reihe von A-

tomkernen einen Kernspin I�

, der mit einem magnetischen Moment Nµ� ( N für nucleus) ver-

knüpft ist und analog zum magnetischen Moment des Elektrons formuliert wird:

IIg NNNˆˆˆ ��

�� γβµ == (28)

Als charakteristische Größen des betreffenden Kerns bezeichnet γ das magnetogyrische Ver-

hältnis des Kerns, gN den Kern g-Faktor und βN das Kernmagneton für die Protonenmasse:

pN m

e2�=β = 5,050 786 6 ∗ 10-27 J T-1

(29)

Der Kernspin I�

besitzt 2I + 1 magnetische Quantenzahlen mI = +I,...,-I..

Häufig enthalten die Moleküle einer EPR-Probe neben den ungepaarten Elektronen auch

gleichzeitig Atomkerne mit magnetischen Momenten, die mit denen der Elektronen in Wech-

selwirkung treten. Diese Hyperfeinkopplung bewirkt eine Zunahme der Einstellmöglichkeiten

des Elektronenspins im Magnetfeld und damit eine Aufspaltung der Zeeman-Energieterme.

Führt man die Experimente bei hinreichend großen Magnetfeldern durch , kann die Hyper-

feinwechselwirkung als kleine Störung δE der ursprünglichen Zeeman-Niveaus SmE betrachtet

werden:

isoaniso EEE δδδ += (30)

δEaniso beschreibt die magnetische Dipol-Dipol-Wechselwirkung, die vom Wert der magneti-

schen Momente abgesehen, der klassischen richtungsabhängigen Wechselwirkung entspricht,

und deren Beiträge sich in Flüssigkeiten ausmitteln. Der richtungsunabhängige Fermi-

Kontakt-Term δEiso hat kein klassisches Analogon und entsteht, wenn die Wahrscheinlichkeit,

das ungepaarte Elektron am Ort des Kerns zu finden, ungleich Null ist. Das ist der Fall, wenn

sich das Radikalelektron in einem s-Orbital, oder zumindest einem Orbital mit etwas s-

Charakter aufhält. Diese Wechselwirkung tritt in Lösungen freier Radikale auf.

In einem genügend starken Magnetfeld B0 kann die Fermi-Kontakt-Wechselwirkung, wie be-

reits erwähnt, als kleine Störung der Zeeman-Energie der Elektronenspins betrachtet werden.

Der Spin-Hamiltonoperator läßt sich dann als Summe beider Wechselwirkungsbeiträge for-

mulieren (die Zeeman-Energie der Kernmomente wird vernachlässigt):

SIaBSgH ˆˆˆˆ ����+= β (31)

EPR in Flüssigkeiten 14

Die Kopplungskonstante a ist ein Maß für die Stärke der Wechselwirkung. Sie ist der „Spin-

dichte“ des ungepaarten Elektrons am Kernort proportional. Für ein s-Elektron gilt:

2)0(3

8 ψββπNNgga =

(32)

Das Skalarprodukt aus Kern- und Elektronenspinoperator enthält die kartesischen Komponen-

ten:

)ˆˆˆˆˆˆ(ˆˆzzyyxx SISISIaSIa ++=

��, (33)

von denen in erster Ordnung nur die z-Komponente die Zeeman-Energien modifiziert. Der

Produktoperator aus Gl. 33 wirkt auf die Spineinstellungen von S�

und I�

gleichzeitig, die

durch die gemeinsame Wellenfunktion IS mImS ,;, symbolisiert werden, wobei Im den

Eigenwert zu ZI darstellt. Hieraus ergibt sich für δEiso:

SIiso

ISSIISzz

mmaE

mImSmmamImSSIa

==

δ,;,,;,ˆˆ

(34)

Die transversalen x-,y-Komponenten führen im wesentlichen zu Übergängen zwischen be-

stimmten Energieniveaus und müssen erst in zweiter Ordnung berücksichtigt werden.

Aus Gln. 17, 31 und 34 ergeben sich für die Energieeigenwerte des Elektronenspins:

ISSm mmaBgmES

+= 0β (35)

Mit den Auswahlregeln ∆mS = ± 1 und ∆mI = 0 entsteht z. B. für die Kopplung eines Elekt-

rons mit einem 14N-Kern (I = 1) folgendes Energieniveauschema mit den Übergängen I, II und

III (Abb. 7):

EPR in Flüssigkeiten 15

E

IIIIII

ohne Kopplung mit Kopplung

B B B B0

mI =

mI =

101

101

-

+

+

-m = - 1/2

m = + 1/2s

s

01 02 03

Abb. 7: Hyperfeinenergieniveaus durch Fermi-Kontakt-Wechselwirkung eines ungepaarten Elektronenspins mit

einem Kernspin mit I = 1 in Abhängigkeit von Bo

Koppelt das Elektron mit n äquivalenten Kernen der Drehimpulsquantenzahl I, so spalten die

Zeeman-Terme in ( 2nI + 1 ) Komponenten auf.

3.2.1. Mechanismus der Hyperfeinaufspaltung in konjugierten Systemen In aromatischen Radikalmolekülen beobachtet man eine Hyperfeinaufspaltung des EPR-

Spektrums durch die Ringprotonen. Nach den Ausführungen in Kapitel 3.2 kann diese Wech-

selwirkung theoretisch nicht auftreten, da sich das Radikalelektron im π-System, das aus den

2pz-Orbitalen der aromatischen Kohlenstoffatome gebildet wird, aufhält. Die pz-Orbitale be-

sitzen einen Knoten in der Molekülebene, in der sich auch die σ-C-H-Bindungen aus C- sp2-

und H-1s-Orbitalen befinden. Folglich sollte keine ungepaarte Spindichte als Voraussetzung

der Hyperfeinwechselwirkung an die Ringprotonen gelangen.

Obwohl also keine Radikalelektronendichte direkt in die s-Orbitale der Protonen delokalisiert

werden kann, wird dennoch ungepaarte Spindichte durch Spin-Polarisation indirekt an den

Ringprotonen erzeugt. Für eine vereinfachte Erklärung betrachten wir die zwei Resonanzfor-

men eines σ-C-H-Bindungsfragments mit einem Radikalelektron in dem pz-Orbital des Koh-

lenstoffatoms stellvertretend für das π-System:

EPR in Flüssigkeiten 16

C H

I II

C H

Abb. 8: Zwei Resonanzformen eines C-H-Ringfragments eines aromatischen Radikalmoleküls, mit dem unge-

paarten Elektron im pz-Orbital des C-Atoms, stellvertretend für das π-System.

Die durch das ungepaarte Elektron vorgegebene Spinausrichtung polarisiert die Bindungs-

elektronen und erzeugt negative Spindichte (entgegengesetzt zum Spin in pz) am Wasserstoff-

atom (Struktur II). Ursache ist die Elektronenaustauschwechselwirkung, die Struktur II gegen-

über Struktur I energetisch stabilisiert.

a

bC H

b

aC H

Abb .9: Schematische Darstellung der Elektronenaustauschwechselwirkung zwischen den Elektronen a und b

Der in Abb. 9 dargestellte Austausch erfolgt unter Beibehaltung der zueinander parallelen

Spinorientierungen der austauschenden Elektronen und ist demzufolge nur in Struktur II

(Abb.8) möglich. Struktur II ist also gegenüber Struktur I durch eine quantenmechanische

Wechselwirkung favorisiert (Hund’sche Regel).

Diese am Wasserstoffatom induzierte ungepaarte Elektronenspindichte ist der Radikalelektro-

nendichte im pz-Orbital des an der Bindung beteiligten Kohlenstoffs proportional und erzeugt

Kopplungskonstanten von ca -2,3 mT. Im Vergleich dazu beträgt die Kopplungskonstante von

atomarem Wasserstoff, die durch das 1s-Elektron produziert wird, + 50 mT.

4. Beschreibung des Spektrometers Setzt man in die Resonanzbedingung (Gl.19) die bei dem benutzten Gerät verwendeten Feld-

stärken von 0,3 bis 0,4 T ein, so erhält man für die Resonanzfrequenzen Werte von 8,5 bis 11

GHz. Elektromagnetische Wellen dieser Frequenz werden als X-Band der Mikrowellen be-

zeichnet. Neben diesem Band ( λ ≈ 30 mm ) werden in EPR-Geräten noch Mikrowellen des S-

Bandes (λ ≈ 100 mm ) und des Q-Bandes (λ ≈ 8 mm ) verwendet. Der Vorteil des Q-Bandes (

günstigere Boltzmann-Verteilung) wird durch große Energieverluste (vom Probenquerschnitt

abhängige Verluste ) im Resonator wieder zunichte gemacht. Da gerade im S-Band die ge-

EPR in Flüssigkeiten 17

ringsten Energieverluste zu verzeichnen sind, bietet sich das X-Band als Kompromiß an. Das

EPR-Spektrometer EMS 104 der Firma Bruker arbeitet mit einer Gunn-Diode als Sender,

welche die benötigten Mikrowellen von ca 9 GHz erzeugt. Sie ist Bestandteil einer Mikrowel-

lenbrücke. Dieses Bauelement hat einerseits die Aufgabe, die erzeugte Mikrowelle nur dem

Resonator zuzuführen und andererseits, die reflektierte Mikrowelle zu separieren und sie

zwecks Gleichrichtung der Detektordiode zuzuführen. In dieser Silizium-Kontakt-Diode wird

der Mikrowellenanteil des Absorptionssignals gleichgerichtet. Der verbleibende niederfre-

quente Signalanteil durchläuft einen Phasendetektor, mehrere Verstärkungs- und Aufberei-

tungsstufen und einen einstellbaren Tiefpaß bevor er als Spektrum dargestellt wird. Ein

Blockschaltbild des Spektrometeraufbaus ist in Abb.10 dargestellt.

Die Meßanordnung besteht aus dem TE102-Resonator (Abb.11) mit einer Probendurchführung

in y-Richtung. Der Probe werden drei verschiedene Felder zugeführt:

1. Ein B0-Feld in z-Richtung. Dieses Feld setzt sich aus einem konstanten Feld und einem

Sweep-Feld zusammen.

2. Ein hochfrequentes Wechselfeld B1 in y-Richtung. Dieses Feld resultiert am Probenort aus

zwei entgegengesetzt zirkular polarisierten Mikrowellen, die sich zu einer linear polarisier-

ten Welle addieren (Abb.11 Links).

3. Ein zusätzliches 100 kHz-Feld Bm in z-Richtung. Dieses Feld wird durch am Resonator

befindliche Helmholtz-Spulen erzeugt und dient der Erhöhung der Spektrometerempfind-

lichkeit durch Modulation der Feldstärke (siehe Abb.12). Auf Grund der Feldmodulation-

wird generell die erste Ableitung der Linienform bezüglich der Feldstärke 0 0( )df B dB

aufgezeichnet.

4. Abb. 10: Blockschaltbild eines EPR-Spektrometers

Probe

Resonator

EPR in Flüssigkeiten 18

Abb. 11: Darstellung eines TE102-Resonators (TE: transversales E(t)-Feld). Das äußere B0-Feld ist entlang der z-Richtung orientiert. Das Probenröhrchen wird durch die Öffnung (sample stack) in den Resonator geschoben.

Links: Feldlinienverlauf des B1(t)-Feldes der resonanten Welle in der xy-Ebene, der sich aus zwei zirkular polarisierten Anteilen zusammensetzt, die sich in der Mitte in y-Richtung zu einem linear polarisierten Feld ad-dieren (Position der Probe). Auf die Elektronenspins in der Probe wirkt nur der zirkular polarisierte Anteil der eingestrahlten Mikrowelle, der sich mit den Spins gleichsinnig dreht, wie bereits in Abb.6a dargestellt.

Rechts: Verlauf der E(t)-Feldlinien der eingestrahlten Resonanzfrequenz in der xz-Ebene.

Abb.12: Veranschaulichung des Feldmodulations-verfahrens: Die EPR-Absorption wird in Abhängigkeit des B0-Feldes als Detektorstrom registriert. Jede durchlaufene Feldstelle B0 wird sinus-förmig mit dem Modulationsfeld Bm abgetas-tet (unteres Bild). Die resultierende Wech-selstromantwort (ia und ib) verstärkt sich proportional zur Steigung der Signalkurve. Die Amplitudenmaxima des resultierenden Detektorstroms als Funktion von B0 bilden also die Steigung der eigentlichen Signal-kurve ab (oberes Bild). Das Ziel dieses tech-nischen Kniffs liegt in der Signalverstärkung und nicht in der sich ergebenden Differentia-tion der Kurve.

Z-axis

B0 B0

y y

x x

z z

B1(t)

E(t) B1(t)

E(t)

EPR in Flüssigkeiten 19

5. Einflüsse auf das EPR-Signal 5.1 Interne Faktoren Die Intensität eines EPR-Signals ist der Radikalkonzentration proportional. Andererseits führt

eine hohe Radikalkonzentration zu einer starken Linien-Verbreiterung, die einer guten Auflö-

sung entgegenwirkt. Ursache ist hauptsächlich die Spinaustausch-Wechselwirkung. Bei den

gegenseitigen Zusammenstößen der Radikalmoleküle in der Lösung geht die Information der

Spinausrichtung der ungepaarten Elektronen durch den Austauschvorgang verloren. Die Le-

bensdauer Lτ der Energiezustände der Spinorientierung sinkt also, wodurch die Unschärfe

Eδ der einzelnen Niveaus zunimmt:

12LEδ τ ≈ �

(36)

Dies führt zu einer Verschmierung der Hyperfeinniveaus, so dass im Extremfall die gesamte

Hyperfeinstruktur der EPR-Spektren zu einer einzigen Linie ausgemittelt werden kann. Ent-

spricht die reziproke Spinaustauschzeit τ (mit Lτ τ= ) der Kopplungskonstanten a des Spekt-

rums, fallen die benachbarten Linien zusammen:

Ausmittelung bei: 1

≈ (37)

Die Radikalkonzentration cr, die Viskosität η des Lösungsmittels und die Temperatur T der Lösung stehen zu τ in folgender Beziehung:

1 1

rc Tτ η�

(38)

Bei kleinen Kopplungskonstanten reicht bereits die Konzentration molekular gelösten Luft-

sauerstoffs (Diradikal) in der Lösung, um die Auflösung auszumitteln.

Hochaufgelöste EPR-Spektren erreicht man nur bei kleiner Radikalkonzentration (0,001M bis

0,0001M) und entgasten Lösungen.

5.2 Messparameter Modulation Nicht nur die eingestrahlte Mikrowellenleistung, sondern auch die gewählte Modulationsamp-

litude (siehe Abb.12) bestimmen die Intensität des Spektrums. Letztere sollte die Linienbreite

EPR in Flüssigkeiten 20

in halber Höhe nicht überschreiten, da sonst die Gefahr besteht, eng benachbarte Linien

gleichzeitig abzutasten, statt nacheinander, was zu Verlust der Auflösung führt.

6. Aufgaben

Generelle Hinweise zur Spektrenauswertung

Linienbreite in halber Peakhöhe 1 2ω∆ , Kopplungskonstante

a, sowie die Position des g-Faktors sind in das Spektrum

eingezeichnet. Als Intensitätsmaß I gilt der Abstand zwi-

schen Maxi mum und Minimum einer Linie im unteren

Spektrum.

Schematisches Aufspaltungsmus-

ter einer EPR-Linie durch Kopp-

lung zweier äquivalenter Spin ½

Kerne mit gleicher Hyperfein-

kopplungskonstante a. Die relati-

ve Intensitätsverteilung ergibt

sich aus der Anzahl der Striche

pro Linie

ESR-Absorptionsspektrum zu

obigem Schema

Differenziertes Absorptions-

spektrum, wie es vom Spektro-

meter als Folge der Modulations-

technik aufgezeichnet wird

Bitte orientieren Sie sich bei der Durchführung der Aufgaben an obigem Schema.

I

EPR in Flüssigkeiten 21

Nitroxidradikal Tempo in Toluol 1. Nehmen Sie jeweils ein Spektrum der Lösungen 1-5 des Nitroxidradikals Tempo in Toluol

(Reihenfolge entspricht abnehmender Konzentration) auf und untersuchen Sie in dieser

Konzentrationsreihe das Verhalten von Linienbreite und –abstand:

2. Bestimmen Sie den g-Faktor, die Linienbreite und, wenn möglich, die Kopplungskonstante

für jedes Spektrum.

N

O . Tempo

• Erklären Sie das theoretisch zu erwartende Spektrum und die beobachteten Effekte.

• Bestimmen Sie die jeweilige Konzentration der Proben durch doppelte Integration der ein-

zelnen Spektren. Als Referenz dient die ebenfalls zu bestimmende Intensität des Signals

von Probe 1 mit bekannter Konzentration (0.05M).

Galvinoxyl in Toluol

3. Aufnahme des Spektrums einer frisch angesetzten Lösung des Galvinoxyl-Radikals in

Toluol:

C OH

O .

Galvinoxyl

• Spülen Sie die stark verdünnte Radikallösung mit N2-Gas für ca 2 min und nehmen Sie

erneut ein Spektrum auf. Optimieren Sie die Aufnahmeparameter sorgfältig.

• Bestimmen Sie die Linienbreite sowie die Kopplungskonstanten des optimierten Spekt-

rums.

• Begründen Sie die Unterschiede der beiden experimentellen Spektren des Galvinoxyls.

EPR in Flüssigkeiten 22

• Erstellen Sie aus den ermittelten Kopplungskonstanten ein maßstabsgetreues, theoretisches

Kopplungsschema für Galvinoxyl (Millimeterpapier).

• Bestimmen Sie daraus die Linienintensitäten (Pascal’sches Dreieck) und vergleichen Sie

diese mit den aus dem Spektrum experimentell ermittelten.

Tetracen-Radiklkation in H2SO4

4. Aufnahme des Spektrums einer Lösung von Tetracen in konzentrierter Schwefelsäure, die

den Aromaten zum Radikalkation oxydiert:

.+

Tetracen-Radikalkation

• Geben Sie eine kurze Erklärung des theoretisch zu erwartenden Spektrums und erläutern

Sie das experimentell erhaltene.

6. Literatur

• P. W. Atkins, R. S. Friedman, Molecular Quantum Mechanics, Oxford University Press,

1997

• F.Gerson, Hochauflösende ESR-Spektroskopie, Verlag Chemie 1967

• J. A. Weil, J.R. Bolton, J.E. Wertz, , Electron Paramagnetic Resonance, John Wiley and

Sons, 1994

• R.S. Drago, Physical Methods for Chemists, Saunders College 1992

• G.M. Coppinger, J. Amer. Chem. Soc. 79, 501 (1957)

• Auf Grund der Ähnlichkeit der Methoden wird auf das Skript der Apparativen Methoden

„Grundlagen der NMR-Spektroskopie“ verwiesen.

Version vom 07.09.06