Korona 93

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    KORONA Nr. 93 1

    ASTRONOMISCHER ARBEITSKREIS KASSEL E.V.

    31. Jahrgang Nummer 93 September 2003

    Sonnenfinsternis 2003

    Merkurtransit Jupiterbeobachtungen Evolutionre Erkenntnistheorie

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    Verfinsterte Sonne mit Flugzeug aus dem Artikel von Peter Fuchs

    Jupiterkarten zum Artikel von R. Hedewig

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    Inhaltsverzeichnis

    Klaus-Peter Haupt

    Liebe Mitglieder........................................................................................................4

    BeobachtungenPeter FuchsSofi im Kreis Pinneberg............................................................................................5

    Cristian Hendrich

    Sonnenfinsternis 2003................................................................................................7

    Roland HedewigJupiterbeobachtungen 2003......................................................................................9

    Roland HedewigDer Merkurdurchgang vom 7. Mai 2003..............................................................10

    BerichteRoland HedewigWieso knnen wir die Welt erkennen?.................................................................16

    VerschiedenesGnter DinglingerAntwort zur Gegendarstellung von K. P. Haupt in Nr. 92..................................38

    Christian HendrichBeobachtungshinweise.............................................................................................42

    Friedrich BaumPressespiegel.............................................................................................................43

    Unser Programm von September bis Dezember 2003......................................... 45

    Titelbild: Sonnenfinsternis 31.05.2003, fotografiert von C. Hendrich in derSternwarte Calden (2 Megapixel Digitalkamera, 3x opt., 2x dig. + 7x50 Fernglas)

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    Liebe Mitglieder.....

    Bei der Beobachtung der astronomischen Ereignisse der letzten Monate (Merkurtransit,Finsternisse) hatten wir viel Glck mit dem Wetter.Besonders den Merkurtransit konnten wir sowohl in der Albert-Schweitzer-Schule als auchder Sternwarte Calden beobachten.In beiden Fllen haben wir eine Mintron-Kamera eingesetzt. Vom Schuldach aus wurde dasSonnenbild ber Funk zu einem Beamer in der Aula bertragen. Dort konnten danngleichzeitig bis zu 200 Schler/innen in Groprojektion den Merkurtransit beobachten.Das war eine tolle Werbung fr den Venustransit im nchsten Jahr.

    In der Sternwarte Calden hat sich auch wieder etwas getan:- In einer der beiden Kuppeln ist ein neuer Reflektor montiert worden, dessenexzellenter Spiegel uns beste Bilder verspricht.

    - Im Herbst werden wir wohl endgltig die Sternwarte an das Stromnetz anschlieen.Auch wenn wir wenig elektrische Energie bentigen, Solar- und Windkraft reichennicht aus und der 5 kW Generator ist durch den Benzinverbrauch auf Dauer zu teuer.

    Ich wnsche Ihnen viel Spa und interessante Erfahrungen bei und mit unserem neuen undabwechslungsreichen Programm.

    Ihr

    KP Haupt

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    Sofi im Kreis Pinneberg

    von Peter Fuchs

    Wie viele andere Sternfreunde an diesem Morgen, machte auch ich mich auf, am 31.5.03 diepartielle Sonnenfinsternis zu beobachten und zu fotografieren. Der sorgenvolle Blick galtdem nicht wolkenfreien Osthorizont, als ich meinen Beobachtungsplatz erreichte. Den hatteich schon an den Vortagen in Bezug auf freie Horizontsicht ausgewhlt, aber gegen Wolkenist man natrlich machtlos. So verging der Zeitpunkt des Sonnenaufgangs (4.56 Uhr MESZ)

    ohne das ich die Sonne zuGesicht bekam. Aber dieWolkenschicht hing nur amHorizont irgendwann musstedie Sonne daraus auftauchen. Biszur grten Phase (5.32 UhrMESZ) waren es Gott sei Danknoch ein paar Minuten hin. Unddann stand pltzlich einGoldzahn am Himmel! Erblitzte gegen 5.20 Uhr MESZ ausden horizontnahen Wolkenhervor. Es war der linke Teil derunverfinsterten Sonnenscheibe,der sich dann innerhalb vonwenigen Augenblicken zur Sichelvervollstndigte. Zusammen mitden darber angestrahltenWolken und der gut sichtbarenHorizontsilhouette war dies einfantastischer Anblick (Abb.1). Nun klickte in regelmigenAbstnden der Kameraverschlu.Die Kamera musste zu Beginnnicht mit lichtdmpfenden Filtern

    bestckt werden, da die Wolkendies zum Teil bernahmen. ImLaufe der Zeit setzte ich nebenGrau- auch Gelbfilter ein, um dasStimmungsbild noch zuverstrken.

    Auch mein Fernrohr kam fr die visuelle Beobachtung zum Einsatz hier war allerdings derEinsatz des Objektivsonnenfilters ratsam, denn die Sonnenhelligkeit wurde mit hheremSonnenstand merklich intensiver.

    Zwischenzeit war die grte Phase vorbei die Sonne stieg hher und der Mond hatte sichschon merklich in stlicher Richtung weiter bewegt. Immer wieder zogen Wolken durch,aber das war fr den Gesamteindruck eher belebend als strend.

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    Um Punkt 6 Uhr starteten in kurzem Abstand die ersten Flieger vom Hamburger Flughafen.Sie trafen fast die teilverfinsterte Sonne, zogen aber dann doch knapp sdlich davonvorbei (Abb.2, wegen der besseren Qualitt auf der vorderen Umschlaginnenseite).Der Mond zog sich mehr und mehr von der Sonnenscheibe zurck und um 6.30 Uhr MESZ

    war dieses grandiose Schauspiel vorbei. Allerdings habe ich den letzten Kontakt nicht mehrsehen knnen, da genau in diesem Augenblick die Wolken dichter geworden waren und denBlick verwehrten.Fazit: nach meiner Sofi-Pleite 1999 waren auch 89 Prozent schon sehr eindrucksvoll,besonders unter diesen Rahmenbedingungen.

    Ausnahmsweise nicht zum Schlu der bliche Hinweis!

    Der Jahresbeitrag betrgt 35.- , der ermigte Beitrag betrgt 15.- (fr Studenten,Schler, Auszubildende oder auf Antrag beim Vorstand), der Familienbeitrag betrgt 50.-

    Vereinskonto: Kasseler Sparkasse (BLZ 52050353) 127048

    Informationen beim Kassenwart:Roxane KieselbachRuhstrathhe 2437073 Gttingen

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    Sonnenfinsternis 2003

    von Christian Hendrich

    Am 31. Mai 2003 hatte sich eine Gruppe von rund 30 Sternenfreunden und Gsten in derSternwarte Calden eingefunden, um die partielle Sonnenfinsternis zu beobachten. DieWetterbedingungen waren allerdings zunchst nicht sehr aussichtsreich, war der Himmelinsbesondere an der Stelle, an der die verfinsterte Sonne aufgehen sollte, sehr stark mitWolken bedeckt. Nichtsdestotrotz wurden die Teleskope, Fernglser und Fotoapparate aufden Statvien montiert und (un)geduldig auf das Erscheinen der Sonne gewartet (Abb. 1).

    Abb. 1: Warten auf die verfinsterte Sonne

    Allen Unkenrufen zu trotz wurden die Frhaufsteher belohnt: Hinter einem dickenWolkenband tauchte die vom Mond im oberen Bereich fast vollstndig bedeckte Sonne auf.Ein stimmungsvoller Anblick, war der Himmel doch in einem hellen Blutrot eingefrbt(Abb. 2).

    Abb. 2: Aufgang der Sonne hinter einem Wolkenband

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    Danach gab es eine kleine Beobachtungspause, denn die Sonne mitsamt Mond verschwandwieder hinter einer dicken Wolkendecke, doch es gab Hoffnung, denn oberhalb diesesWolkenbandes war der Himmel vllig klar.Nach wenigen Minuten war es soweit: Fr die Beobachter in der Sternwarte Calden ging die

    Sonne zum zweiten Mal an diesem Tag auf. Mittlerweile war die Sonne nicht mehr imoberen Bereich, sondern im linken Bereich von dem Mond bedeckt. So tauchte nun also eineblutige Sonnensichel aus den Wolken auf (Abb. 3).

    Abb. 3: Zweiter Sonnenaufgang

    Jetzt war die Wolkenlcke gro genug, um die Sonne in ihrer vollen Gre beobachten zuknnen (Abbildung auf der Titelseite). Diese genossen alle Beobachter und sptestens jetztklackte der Verschlu der Fotoapparate im Sekundentakt, bis die Sonne endgltig fr diesenMorgen hinter Wolken verschwand (Abb. 4).

    Abb. 4: Letzter Blick auf die verfinsterte Sonne

    Nach diesem tollen Erlebnis fand der Morgen mit einem ausgiebigen Frhstck vor derSternwarte einen krnenden Abschlu.

    Zu den Fotos: Alle Fotos wurden mit einer 2 Megapixel Digicam (3-fach opt., 2-fach dig.Zoom) gemacht. Die Kamera wurde bei allen Fotos frei Hand hinter ein auf einem Stativmontiertes 7x50mm-Fernglas gehalten.

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    Jupiterbeobachtungen

    von Roland Hedewig

    Die zugehrigen Abbildungen finden Sie wegen der besseren Qualitt auf der vorderen undhinteren Umschlaginnenseite.

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    Der Merkurdurchgang vom 7. Mai 2003

    Fotografie mit dem 80 mm-Refraktor

    von Roland Hedewig

    Merkurdurchgnge, also Vorbergnge des Merkur vor der Sonnenscheibe, sind gar nicht soselten. Erstmalig konnte Gassendi dieses Schauspiel am 7. November 1631 in Parisbeobach-ten - nach einer Vorhersage von Kepler. Die letzten fnf Merkurtransits vor dem7.5.2003 ereigneten sich 1970, 1973, 1986, 1993 und 1999. Die nchsten werden imNovember 2006 und im Mai 2016 erfolgen (s. Abb. 1, vgl. Neckel 1999).

    Abb. 1: Merkurdurchgnge zwischen 1920 und 2080 (aus Niechoy 1998, S. 125)

    Allerdings hatten die Merkurtransits von 1993 und 1999 zwei erhebliche Nachteile. Sieerfolgten dicht am Sonnenrand und waren in Deutschland nicht sichtbar.Merkurdurchgnge gibt es nur im Mai und im November Die Grnde dafr und viele

    weitere Informationen zu diesen Ereignissen enthlt der ausfhrliche Beitrag von HeinzNeckel in Ahnerts Kalender fr Sternfreunde 1999.

    Der Merkurdurchgang vom 7. Mai 2003 lag dagegen recht gnstig. Merkur durchquerteeinen groen Teil der Sonnenscheibe. Der Transit dauerte in Deutschland von 7:11:26,5MESZ bis 12:32:26,2 MESZ, also mehr als fnf Stunden (Werte fr Berlin, nach Ahnert2003, S. 103). Der scheinbare Durchmesser des Merkurscheibchens lag bei 12,1. Das ent-spricht der Gre eines kleinen Sonnenflecks. Der Durchmesser von Sonnenflecken liegtzwischen < 1 und 60.Der Durchgang des Marsscheibchens durch den Sonnenrand dauerte beim Eintritt 205,3 s(= 3` 25) und beim Austritt 264,4 s (= 4` 24,4, nach Ahnert 2003, S. 103). Der Unter-schied ergibt sich aus der Bewegung der Erde gegenber Merkur.

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    Mit Spannung erwartete ich am Morgen des 7. Mai den Beginn des Transits, denn ich vonAnfang bis Ende fotografisch durch Dias dokumentieren wollte. Als Instrument diente derRefraktor mit dem Zeiss AS-Objektiv 80/1200 mm, mit dem ich seit 1954 Sonnenflecken beobachte. Ein Objektivsonnenfilter (Glas mit verspiegelter Oberflche) reduziert die

    Helligkeit des Sonnenlichts auf 0,1 %. Das Fotografieren erfolgte mit Okularprojektion, d.h.das Objektiv meiner Nikon FM 2 wurde entfernt und durch Zwischenringe ersetzt, so dassdas vom Okular entworfene Bild beim Belichten direkt auf den Film fllt. Ich verwendeteOkulare von 40 mm und 15 mm Brennweite, den Farbdiafilm Fuji Sensia 100 ISO undBelichtungszeiten von 1/250 bis 1/2000 Sekunden je nach Okular, Hhe der Sonne berdem Horizont und Durchsicht der Atmosphre.Da das winzige Merkurscheibchen allein kein attraktives Beobachtungsobjekt ist, wennVergleichsobjekte der Umgebung, also Sonnenrand und Sonnenflecken, fehlen, fertigte icheine Diaserie an, auf der (bei Verwendung des 40 mm-Okulars) die ganze Sonne und (beiVerwendung des 15 mm-Okulars) ein Teil der Sonne mit Sonnenrand und der groen

    Fleckengruppe (Typ H) in der Nhe der Sonnenmitte abgebildet sind. Damit ergibt sich einVergleich des winzigen Merkurscheibchens mit der Gre der Sonne und ihren Flecken.Da der scheinbare Sonnendurchmesser am 7.5.2003 31`43 (1903,2) betrug, htte man dasnur 12,1 groe Merkurscheibchen 157 mal aneinander reihen knnen, um den gegenberliegenden Sonnenrand zu erreichenWrde Merkur auf seiner Bahn nicht in rund 58 Millionen km Entfernung von der Sonnesondern direkt an der Sonnenoberflche ber die Sonne ziehen, erschiene er uns beimTransit noch wesentlich kleiner.

    Die Sonne ging am 7. Mai in Kassel 5:54 MESZ auf. Rechtzeitig vor 7 Uhr hatte ich auf der

    Terrasse unseres Hauses Teleskop und Kamera aufgebaut, die Sonne in den Suchergenommen und den Nachfhrmotor eingeschaltet. Das zeitweilig vor der Sonne liegendeWolkenband gab den Blick auf die Sonne kurz vor Beginn des Transits frei, so dass ich dasEreignis von Anfang an beobachten konnte.

    Das Merkurscheibchen schob sich relativ schnell auf die Sonnenscheibe. Es erschientiefschwarz im Gegensatz zu den etwas helleren Sonnenflecken, die ja nur deshalb dunkelerscheinen, weil das Sonnenlicht stark abgeblendet wurde. In Wirklichkeit sind Sonnen-flecken viel heller als das Vollmondlicht. Wrde man die Sonne im Teleskop rings um dasMerkurscheibchen vllig abdecken und so Merkur auerhalb der Erdatmosphre foto-grafieren, dann wrde Merkur auch ohne Sonnenfilter und bei minutenlanger Belichtung auf

    dem Foto noch schwarz erscheinen.Von 7:14 bis 12:32 MESZ nahm ich 25 Farbdias auf, davon 12 Dias der gesamten Sonne,und 13 Detailaufnahmen mit Merkur und dem groen H-Fleck. Das erste Dia zeigt amSonnenrand , etwas unscharf, einen Zweidrittel-Merkur, der wie ein Tropfen am Sonnerandzu hngen scheint. Den Austritt des Planeten aus der Sonnenscheibe konnte ich auf 4 Diasfesthalten. Alle diese Randfotos sind wegen ihrer Unschrfe nicht fr eine Verffentlichunggeeignet, zumal durch das zweimalige Kopieren (vom Dia auf Papier und von da zumRasterbild der KORONA) kaum noch etwas von Merkur zu sehen wre.

    Auf den nchsten Seiten werden sieben Fotos verffentlicht, die den Weg des Merkurs berdie Sonnenscheibe gut zeigen (Abb. 2 8).

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    Abb. 2: Sonne, 7.5.2003, 7:43 MESZ, Merkur und 3 Fleckengruppen (Pfeile), N oben,Refraktor 80/1200 mm, Okularprojektion, 40 mm Okular, 1/500 s,

    Farbdiafilm Fuji Sensia 100 ISO, Vergrerung vom Dia

    Abb. 3: Merkurtransit, 8:50 MESZ, 1/1000 s, brige Daten wie in Abb. 2

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    Abb. 4: Merkurtransit, 9:13 MESZ, 15 mm-Okular, 1/500 s

    Abb. 5: Merkurtransit, 9:39 MESZ, 40 mm-Okular, 1/1000 s

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    Abb. 6: Merkurtransit, 10:46 MESZ, 40 mm-Okular, 1/2000 s

    Abb. 7: Merkurtransit, 11:56 MESZ, 40 mm-Okular, 1/2000 s

    Abb. 8: Merkurtransit, 12:17 MESZ, 40 mm-Okular, 1/2000 s

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    8.10 MESZ fertigte ich eine Zeichnung der Sonnenflecken an. Fnf Gruppen mit insgesamt36 Flecken waren zu erkennen. Die Flecken-Relativzahl betrug also Re = 86.Interessant ist noch ein psychologisches Phnomen. Whrend man die Merkurbewegung beigroer Entfernung des Planeten vom Sonnenrand nicht direkt wahrnimmt, sondern nur

    indirekt aus der Positionsvernderung zwischen zwei Beobachtungen in mehreren MinutenAbstand erschlieen kann, erkennt man beim Austritt des Planeten am Sonnenrand dieBewegung direkt. Der Planet scheint hier schneller zu laufen wie ein Lufer beimEndspurt.Entsprechendes kann man bei Sonnenuntergang beobachten. Wenn die Sonne am Horizontschrg nach unten sinkt und in einen Wald eintaucht, erkennt man zwischen den Baum-wipfeln die Sinkbewegung am besten mit einem Fernglas. Ursache dieses Phnomens istdie Tatsache, dass die Bewegung eines Objektes umso besser wahrgenommen wird, je nheres einem anderen Objekt kommt, das sich nicht bewegt.

    Venusdurchgnge

    Einen weit selteneren und interessanteren Planetendurchgang als den Merkurtransit knnenwir bereits 2004 erleben. Dann geht Venus an der Sonne vorber.Durchgnge der Venus sind viel seltener als die des Merkur, weil die Venusbahn weiter alsdie Merkurbahn von der Sonne entfernt ist. Die letzten Venusdurchgnge erfolgten zurJugendzeit unserer Urgrovter, 1874 und 1882. Die beiden nchsten knnen wir am 8. Juni2004 und am 6. Juni 2012 beobachten. Falls dann fr Kassel schlechtes Wetter angesagt ist,wrde sich eine Reise mit Teleskop im Gepck in eine sonnige Gegend lohnen, denn ein

    Venusdurchgang ist ein Jahrhundertereignis. Man kann ihn bereits mit bloem Auge undLichtschutzfolie gut beobachten. Wegen ihrer groen Erdnhe und ihrem groen Durch-messer erscheint Venus whrend eines Transits fnfmal so gro wie Merkur und bertrifftmit ihrer Flche auch jeden Sonnenfleck (s. Tabelle 1).

    Merkur VenusEntfernung von der Sonne 46 70 Mio km 107,5 108,9 Mio kmKleinster Abstand von der Erde 80 Mio km 38 Mio kmDurchmesser 4 878 km 12 100 kmScheinbarer Durchmesser bei Erdnhe 12 62

    Tabelle 1: Daten von Merkur und Venus

    Vielleicht rckt dann unser Nachbarplanet, der whrend der gegenwrtigen Marseuphorie inVergessenheit geriet und dessen Oberflche wegen der dichten Wolkenhlle von der Erdeaus unsichtbar ist, wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Bereiten wir uns darauf vor!

    Literatur Neckel, H.: Der Merkurdurchgang am 15. November 1999. Ahnerts Kalender fr Stern-freunde 1999, S. 211 216

    Nichoy, D.: Merkur. In: Roth, G.D. (Hrsg.): Planeten beobachten. Mnchen 1998, S. 117-126

    Prof. Dr. Roland Hedewig, Am Krmmershof 91, 34132 Kassel, [email protected]

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    Wieso knnen wir die Welt erkennen?

    Einwnde der Evolutionren Erkenntnistheoriegegen den Radikalen Konstruktivismus

    von Roland Hedewig

    Naiver Realismus: Wir sehen die Welt so, wie sie ist.

    Mit den Augen sehen wir die Welt so, wie sie ist. Diese Alltagsvorstellung, die man auchals Abbildhypothese bezeichnet, existiert in den Kpfen der meisten Menschen.

    Die Hypothese erscheint plausibel, weil sie durch gleichzeitiges Wahrnehmen eines Objektsmit Hilfe mehrerer Sinne besttigt werden kann. Wenn wir eine Kugel und einen Wrfel,die vor uns liegen, sehen und betasten, werden die Formunterschiede zwischen beidenKrpern Krper bereinstimmend wahrgenommen: Die Kugel ist allseits rund, der Wrfelhat dagegen eine Oberflche aus 6 gleich groen Quadraten und 8 von diesen Quadratengebildeten Ecken.Wer daran zweifelt, kann beide Krper mit Messinstrumenten vermessen. Da beliebig vieleMenschen unabhngig voneinander die Unterschiede zwischen beiden Krpern feststellenknnen, erscheint die Wahrnehmung beider Krper im Sinne der Abbildhypothese auchintersubjektiv gesichert. Dass die reale Kugel und der reale Wrfel nicht exakt den

    mathematischen Idealfiguren Kugel und Wrfel entsprechen, spielt hierbei keine Rolle,da es ja nur um die Wahrnehmung der Formunterschiede zwischen beiden Krpern geht.Diese Vorstellung, dass der Mensche mit Hilfe seiner Sinnesorgane und seines Gehirns einweitgehend richtiges Abbild der Realitt erhlt, wird in der Philosophie als naiverRealismus bezeichnet.Whrend das Kugel- und Wrfelbeispiel fr die Abbildhypothese spricht, gibt es zahlreicheAlltagsbeobachtungen, fr die diese Hypothese nicht zutrifft. Das gilt vor allem fr dieoptischen Tuschungen, die beim Betrachten bestimmter Figuren auftreten. Da erscheinenz.B. bestimmte gleich lange Strecken ungleich lang oder gleiche Flchen ungleich, wenn sievor einem bestimmten Hintergrund abgebildet werden. Auch gleiche Farben werdenunterschiedlich empfunden, wenn sie vor unterschiedlichen Farbflchen betrachtet werden.Ein weiteres Beispiel ist die Fata Morgana in der Wste, bei der der Beobachter durchTotalreflexion von Lichtstrahlen an stark erwrmten Luftschichten den Eindruck erhlt, dasssich in der Ferne eine Wasserflche befindet, die aber gar nicht existiert.Der Eindruck, dass die Erde eine Scheibe mit einem darber liegenden Himmelsgewlbe inForm einer abgeflachten Glocke ist, gehrt zu den Tuschungen. Obwohl seit Beginn derSeeschifffahrt in der Antike bekannt war, dass man beim Herannahen eines Schiffes zuerstden Mast und dann der Rumpf sieht, dauerte es lange, bis sich die Erkenntnis durchsetzte,dass die Erde nicht die Form einer Scheibe, sondern die einer Kugel hat (genauer:Rotationsellipsoid mit geringer Abplattung und unregelmig geformter Oberflche).Diese und andere Tuschungen erschttern jedoch noch nicht die Position des naivenRealismus, denn es handelt sich hierbei um Ausnahmesituationen, und durch Messungenund andere Untersuchungen kann man ja die tatschlichen Verhltnisse ermitteln und dieTuschungen als solche kennzeichnen. Darber hinaus kann man diese Tuschungen auch

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    physikalisch (wie bei der Fata Morgana) oder psychologisch und neurobiologisch (wie beituschenden Figuren und Farbflchen) erklren.Grundstzliche, ernst zu nehmende Einwnde gegen den naiven Realismus kommen von denverschiedenen Richtungen der Erkenntnistheorie. Die seit etwa 20 Jahren dominierende

    Richtung ist der Konstruktivismus.

    Der Konstruktivismus: Die Wirklichkeit ist eine Konstruktion

    Der Konstruktivismus wurde vor 25-30 Jahren aus der Kybernetik entwickelt. Da esunterschiedliche Positionen von Konstruktivisten gibt, kann man nicht von einerkonstruktivistischen Schule sprechen. Eine von diesen Positionen, die von ErlangerPhilosophen vertreten wird, bezeichnet man allerdings als Erlanger Schule.Hauptvertreter des Konstruktivismus sind Ernst von Glasersfeld (1978, 1995), Paul

    Watzlawick (1976, 1982), Heinz von Foerster (1985,1998), Humberto R. Maturana (1982)und Siegfried Schmidt (1987). Einen neurobiologischen Konstruktivismus vertritt derNeurobiologe und Philosoph Gerhard Roth (1996).Eine aus dem Konstruktivismus hervorgegangene, aber inzwischen selbstndige und zumKonstruktivismus in kritischer Distanz stehende Richtung, ist der um 1995 entwickelteKulturalismus. Sein Hauptvertreter ist der Marburger Philosoph Peter Janich (vgl. Janich1996; Hartmann/Janich 1997). Die spezielle Form des Methodischen Kulturalismus entstanddurch eine kritische Auseinandersetzung von Philosophen mit der (teils eigenen) Traditiondes Methodischen Konstruktivismus der Erlanger Schule (nach Janich 2000).Hier sollen jedoch nur wesentliche Aussagen von Konstruktivisten vorgestellt werden. Ihre

    zentrale Aussage lautet: Wissen ist kein Abbild der externen Realitt, sondern eineKonstruktion, die durch den Erkenntnisprozess entsteht. Die externe Realitt ist demMenschen nicht zugnglich. Unter Verwendung von Sinneseindrcken, die aufEinwirkungen der Auenwelt zurckgehen, konstruiert das Gehirn eine innere Wirklichkeit,die kein Abbild der externen Realitt ist. Unterschiede in den Positionen vonKonstruktivisten zeigen die folgenden Definitionen des Konstruktivismus: Das, was Konstruktivismus genannt wird, sollte, so meine ich, schlicht eine skeptische

    Haltung bleiben, die die Selbstverstndlichkeit des Realismus in Zweifel zieht.(von Foerster 1998)

    Untersuchung der Art und Weise, wie wir Menschen unsere eigene Wirklichkeit

    erschaffen. (Watzlawick 1986, S. 115) Der Konstruktivismus ist keine Theorie des Seins, formuliert keine Aussagen ber die

    Existenz der Dinge an sich, sondern ist eine Theorie der Genese des Wissens von denDingen, eine genetische Erkenntnistheorie. Fr den Konstruktivismus ist Wissen keinAbbild der externen Realitt, sondern eine Funktion des Erkenntnisprozesses.(Schulmeister 1996, S. 67) - Der radikale Konstruktivismus kann (...) als eineErkenntnistheorie beschrieben werden, die sich bemht, den Begriff des Wissens vonseiner traditionellen ikonischen Verknpfung mit der Wahrheit zu befreien. (vonGlasersfeld 1991, S. 203). Mit ikonischer Verknpfung meint er abbildhafteVerknpfung.

    Was ist Radikaler Konstruktivismus? Einfach ausgedrckt handelt es sich da um eineunkonventionelle Weise, die Probleme des Wissens und Erkennens zu betrachten. DerRadikale Konstruktivismus beruht auf der Annahme, dass alles Wissen, wie immer man

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    es auch definieren mag, nur in den Kpfen von Menschen existiert und dass dasdenkende Subjekt sein Wissen nur auf der Grundlage eigener Erfahrung konstruierenkann. Was wir aus unserer Erfahrung machen, das allein bildet die Welt, in der wirbewusst leben.

    (von Glasersfeld 1995, 22) Der Radikale Konstruktivismus begreift sich selbst als eine Konstruktion und nicht als

    eine letzte Wahrheit, er ist eine Mglichkeit, die Dinge zu sehen. Fr mich ist, das kannich auch mit Blick auf meine therapeutische Arbeit sagen, allein die Frageausschlaggebend, welche Konstruktion sich al die ntzlichste und menschlichsteerweist. (Watzlawick 2001, S. 222)

    In einigen kommentierenden Bemerkungen zum Konstruktivismus deuten ihre Vertreterauch Grenzen und Konsequenzen dieses Denkmodells an: Aus der Idee des Konstruktivismus ergeben sich zwei Konsequenzen. Erstens die

    Toleranz fr die Wirklichkeiten anderer - denn dann haben die Wirklichkeiten anderergenauso viel Berechtigung wie meine eigene. Zweitens ein Gefhl der absolutenVerantwortlichkeit. Denn wenn ich glaube, da ich meine eigene Wirklichkeit herstelle,bin ich fr diese Wirklichkeit verantwortlich, kann ich sie nicht jemandem anderen indie Schuhe schieben.(Watzlawick 1982, S. 31)

    Fr mich ist der Radikale Konstruktivismus eine ganz und gar praktische undunprosaische Angelegenheit; er versucht, eine brauchbare Art und Weise des Denkensvorzuschlagen, mehr nicht. Und es ist sehr wichtig, dass man sich von Anfang an und biszum Schluss darber klar ist, dass auch der Konstruktivismus nur ein Modell darstellt. .

    Ob es ein viables Modell des Denkens ist oder ob es einem als unbrauchbar erscheint das lsst sicht nicht fr andere und fr alle Zeiten entscheiden, das muss letzten Endesjeder fr sich und jedes Individuum selbst herausfinden. (von Glasersfeld 2001, S. 60)

    Natrlich kann der Konstruktivismus selbst kein Modell einer Wirklichkeit sein, denner unterliegt seinen eigenen Gesetzen. Der Konstruktivismus muss sich einzig und alleindurch die Praxis bewhren. Alles Rechthaberische verliert auf diesen Hintergrndenseinen Sinn. (Goorhuis 1998, S 10)

    Der klassische Konstruktivismus erscheint mir keineswegs als eine einleuchtendeDenkweise, da er die eine Seite im Erkenntnisprozess verabsolutiert: Der Organismuszwingt, so meint man, die ihm eigene Logik und seine Modelle der Welt auf. Aber das

    glaube ich ganz und gar nicht; eine solche Annahme erscheint mir als ein Rckfall in einneokantianisches Denken. (Varela 2001)

    Mein Eindruck ist (...),dass manche Konstruktivisten schlicht und einfach Mystikersind. (Roth 2001, S. 149)

    Der neurobiologische Konstruktivismus von Gerhard Roth

    Erst durch das Buch von Gerhard Roth Das Gehirn und seine Wirklichkeit, das von 1994

    bis 1996 in fnf Auflagen erschien, wurde der Konstruktivismus einem breiten Leserkreisbekannt. Der Untertitel Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzenweist auf Roths Anliegen hin, das er im 1. Kapitel des Buches nennt: Er mchte den Ansatz

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    des erkenntnistheoretischen Konstruktivismus mit dem eines nicht-reduktionistischenPhysikalismus verbinden (Roth 1996, 23). Er schreibt:

    Gehirne und so lautet meine These knnen die Welt grundstzlich nicht abbilden;siemssen konstruktiv sein,und zwar sowohl von ihrer funktionalen Organisation als auch vonihrer Aufgabe her, nmlich ein Verhalten zu erzeugen, mit dem der Organismus in seinerUmwelt berleben kann. Dies letztere garantiert, dass die vom Gehirn erzeugten Konstruktenicht willkrlich sind, auch wenn sie die Welt nicht abbilden (knnen). (Roth 1996, 23)

    Er unterscheidet grundstzlich die Realitt, also Objekte und Vorgnge der Auenwelt, vonder Wahrnehmungswelt, die er als Wirklichkeit (des wahrnehmenden Gehirns) bezeichnet.Zur Begrndung seiner Position fhrt er aus:

    In einem nicht-trivialen Sinn ist die Wahrnehmungswelt konstruiert, weil die Geschehnisse

    in der Umwelt in Elementarereignisse zerlegt und dann nach teils stammesgeschichtlicherworbenen und teils erfahrungsbedingten Regeln zu bedeutungshaftenWahrnehmungsinhalten neu zusammengesetzt werden. Die Regeln, nach denen diesesZusammensetzen oder Konstruieren geschieht, sind nicht der Umwelt entnommen, auchwenn sie an ihr berprft werden. Whrend unsere Sinnessysteme vieles ausblenden, was inder Auenwelt passiert, erhlt umgekehrt unsere Wahrnehmungswelt auch ihrem Inhalt nachsehr vieles, was keinerlei Entsprechung in der Auenwelt hat. Dazu gehren scheinbareeinfache Wahrnehmungsinhalte wie Farben und rumliches Sehen (Objekte in unsererUmwelt sind nicht farbig; unsere Umwelt ist nicht perspektivisch aufgebaut, d.h. entfernteObjekte sind nicht klein). Insbesondere aber gehren hierzu alle Kategorien und Begriffe,

    mit denen wir die Welt (unbewut oder bewut) ordnen, alles Bedeutungshafte in unsererWahrnehmung (die Ereignisse in der Umwelt sind an sich bedeutungslos), Aufmerksamkeit,Bewutsein, Ich-Identitt, Vorstellungen, Denken und Sprache. Wir wenden diesehochkomplexen Konstrukte auf die Welt an, sie sind ihr aber nicht entnommen. (Roth1996, 252-253)

    Neurobiologische Befunde

    Es ist in der Tat so, dass die von der Umwelt ausgehenden und von Sinnesorganen

    aufgenommenen optischen, thermischen, mechanischen, akustischen und chemischen Reizenicht durch von Sinnesorganen ausgehende Nerven ins Gehirn geleitet werden.. Nervenleiten keine Reize, sondern nur elektrische Impulse, die man als Erregungen bezeichnet. Inden Sinneszellen (z.B. Sehzellen, Hrzellen, Riechzellen) werden durch die jeweiligenReize elektrische Impulse stets gleicher Strke ausgelst. Unterschiedliche Reizstrkenwerden durch unterschiedliche Anzahlen von Impulsen pro Zeiteinheit verschlsselt. Eswird auch nicht die Reizenergie in elektrische Energie umgewandelt, sondern der Reiz lstdie Erregung nur aus. Deren Energie kommt aus dem Stoffwechsel der Sinneszelle so wie beim Klingelknopf der mechanische Druck nur den Stromkreis schliet, die elektrischeEnergie der Klingel aber aus der Stromquelle der Klingel kommt.

    Von den zahlreichen Lichtquanten, die von der Umgebung in jeder Sekunde auf dieNetzhaut des Auges gelangen, lsen nur diejenigen Erregungen aus, die auf Sehzellen undnicht auf Zwischenrume zwischen diesen treffen. Da die fr das Farbensehen zustndigenZapfen eine viel hhere Reizschwelle als die Stbchen haben, werden Zapfen erst erregt,

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    wenn sie viele Photonen gleichzeitig empfangen. Deshalb ist bei sehr geringer Helligkeitkein Farbensehen mglich.Dann erfolgt eine starke Filterung der von der Netzhaut durch den Sehnerv kommendenImpulse im Kniehcker des Thalamus. Nur ein Bruchteil der Impulse gelangt ber mehrere

    Zwischenstationen (V1 bis V5) in der Sehrinde des Grohirns zu den Integrationszentrender Grohirnrinde. Die Auswahl der Sehsignale im Thalamus erfolgt nach Anweisungen, dievon den Integrations- und Assoziationszentren der Grohirnrinde in den Thalamus kommen.So nehmen wir bevorzugt Objekte wahr, auf die sich die Aufmerksamkeit richtet, z.B. ein bekanntes Gesicht in einer Menschenmenge. Von jeder Wahrnehmung, die ins Kurz-zeitgedchtnis gelangt, kommt wiederum nur ein kleiner Teil ins Langzeitgedchtnis.Insgesamt bezieht sich also die Wahrnehmung der Auenwelt auf nur einen nur sehr kleinenAusschnitt der Realitt, wobei die Wahrnehmung dieses Ausschnittes auch noch durchzahlreiche Faktoren, wie sie z.B. bei optischen Tuschungen wirken, und Erfahrungenverndert werden.

    Abb. 1: Sehsystem der Objekterkennung und der visuell gesteuerten Greifbewegungund Gehirn eines Rhesusaffen (oben rechts)PF, prfrontaler Cortex; M, motorischer Cortex; PC, posteriorer parietaler Cortex;PM, prmotorischer Cortex; ST, superiorer temporaler Gyrus; ITC, inferiorertemporaler Cortex (aus Ewert 1998, S. 104)

    Hinzu kommt, dass die verschiedenen Informationen ber ein Objekt, z.B. ein Fahrzeug, aufdas sich die Aufmerksamkeit richtet, also Lage, Form, Gre, rumliche Tiefe, Farbe,Bewegung, nicht zusammen die Endstation in der Grohirnrinde erreichen. Vielmehrwerden diese Informationen getrennt durch unterschiedliche Nervenbahnen und die ZentrenV1 bis V5 zum Integrationszentrum im ITC (inferior temporaler Cortex) geleitet (s. Abb. 1

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    und die noch genauere Abbildung bei Penzlin 2002, S. 71). Erst im ITC erfolgt durchIntegration der unterschiedlichen Informationen die Objekterkennung, die vonKonstruktivisten als Konstruktion und von anderen Autoren als Rekonstruktion des Objektsbezeichnet wird.

    Der Befund, dass durch die Nerven nicht ein Bild ins Wahrnehmungszentrum gelangt,sondern zahlreiche gefilterte und getrennt ber mehrere Zentren laufende elektrischeImpulse, benutzt Roth als ein Argument dafr, dass im Gehirn gar kein Abbild der uerenRealitt entstehen kann.Die Regeln, nach denen die Konstruktion der Wirklichkeit erfolgt, ergeben sich nach Rothaus den Vorerfahrungen des kognitiven Systems. Hierzu gehren die Grundorganisation desGehirns, wie sie sich in der Stammesgeschichte herausgebildet hat, und die Tatsache, dasssich Sinnesorgane im Normalfall bei allen Angehrigen der Art in gleicher Weise mit bestimmten Hirngebieten geordnet verknpfen und dass dann diese Hirngebiete sich

    untereinander in ebenso geordneter Weise verbinden (Roth 1996, 256).

    ber die Prinzipien, nach denen die Konstruktion der Wirklichkeit erfolgen soll, schreibtRoth: Die Wirklichkeit ist nicht ein Konstrukt meines Ich, denn ich bin selbst ein

    Konstrukt.Vielmehr geht ihre Konstruktion durch das Gehirn nach Prinzipien vor sich, die teilsphylogenetisch, teils frhontogenetisch entstanden sind und ansonsten den Erfahrungen desGehirns mit seiner Umwelt entstammen. Diese Prinzipien sind meinem Willen nichtunterworfen. Vielmehr bin ich ihnen unterworfen. Diese Feststellung ist auerordentlichwichtig, denn sie macht den neurobiologischen Konstruktivismus, wie er hier vertreten wird,

    berhaupt erst plausibel. (Roth 1996, 330).

    Einwnde gegen Roths Konstruktivismus

    Ein Konstruktivist, der sich auf einem Berg verlor, sagte einem Rettungstrupp, als der ihnfand: Ich danke Euch, dass ihr mich erfunden habt. Bert Hellinger (2001, 74)

    Dieser Scherz kennzeichnet eine Schwachstelle des radikalen Konstruktivismus, die auchRoths Position trifft, nmlich die ungelste Frage, welche Beziehung die jeweils

    individuelle interne Wirklichkeit des Subjekts zur externen Realitt hat.Wenn das Gehirn nichts von der Realitt abbildet, woher wissen dann die Retter, dass derBergsteiger Hilfe braucht und wo er zu finden ist und wieso finden sie ihn tatschlich? Oderexistieren die Bergnot des Bergsteigers und seine Rettung nur in dessen Gehirn und nicht inder Realitt? Und wenn diese Rettung von mehreren Personen unabhngig voneinanderbeobachtet wird, wieso sehen sie alle dieselbe Szene und knnen unabhngig voneinanderdarber berichten?Und wie erbeuten tglich Tausende Musebussarde zielsicher Muse, wenn das Bild, dasihr Gehirn von einer Maus konstruiert, nicht im Hinblick auf Lage, Gestalt und Bewegungder Maus so realittsnah ist, dass der Vogel die Maus wirklich fngt? Oder soll der

    Musefang nur eine Konstruktion in den Gehirnen von Vogelbeobachtern sein? Wieso sehendann alle das Gleiche?Wie ist es mglich, dass beliebig viele Menschen z.B. gleichzeitig und unabhngigvoneinander sehen, hren und fhlen, dass es drauen regnet? Roth erklrt seine Position

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    selbst an diesem Beispiel: Die Aussage es regnet drauen reprsentiert fr diejenigeneine Wahrheit, die sich mit mir an diesem Ort befinden, ziemlich dieselbe Sinnesausrstunghaben wie ich, des Deutschen kundig sind und die enthaltenen Worte so verstehen wie ich.Dies sind eine Menge Voraussetzung. Eine Wahrheit objektiv zu nennen, die an derartig

    viele Voraussetzungen gebunden ist, erscheint sinnlos.Erwartet der Autor, dass irgend jemand diese Argumentation ernst nimmt? Ob es regnet,knnen beliebig viele Menschen an diesem Ort unabhngig voneinander sehen, hren undfhlen unabhngig davon, welche Sprache sie sprechen oder ob sie berhaupt sprechenknnen und ob sie schon einmal Regen erlebt haben. Darber hinaus kann man denRegenfall durch unterschiedliche Messgerte registrieren und die Folgen des Regens amBoden und durch das Abflieen des Regenwassers durch voneinander unabhngigeBeobachter und Messgerte nachweisen. Und sollen etwa verheerende berschwemmungenvon Flssen, durch die Huser weggerissen werden und durch die zahlreiche Menschenobdachlos werden, auch nichts mit der Realitt zu tun haben?

    Schlielich ist auch die Anzahl der Voraussetzungen, die gegeben sein mssen, um etwasnachzuweisen, kein Kriterium dafr, ob ein Ereignis stattgefunden hat.Im tglichen Leben verhalten sich auch Konstruktivisten so, dass sie selbstverstndlichannehmen, dass die Dinge, mit denen sie umgehen, real existieren und bestimmteEigenschaften haben, von denen der Mensch einige weitgehend zutreffend erkennt, so z.B.Ort, Form und Gre eines Objekts relativ zu benachbarten Objekten. Dass jedes Objektdarber hinaus zahlreiche weitere Eigenschaften besitzt, die wir mit unseremErkenntnisapparat nicht erkennen, spielt dabei keine Rolle. Roth schreibt selbst - in derAbwehr der Argumente von Gottesglubigen - : All unser Wissen ist in der Tathypothetisch; es weist nur unterschiedliche Grade an Plausibilitt, interner Konsistenz und

    Kohrenz auf. So kann ich jemandem, der die modernen Naturwissenschaften und ihren Naturgesetzbegriff als fundamentalen Irrtum ablehnt und dafr den Glauben an Gotthochhlt, der unmittelbar in das tgliche Leben eingreift, Inkonsequenzin seinem Denkenund Handeln nachweisen.

    Im tglichen Leben verlt er sich nicht stndig auf gttliche Fgung, sondern darauf, dassbestimmte Dinge in vorhersehbarer Weise funktionieren. Warum sollte er sonst sein Autozur Inspektion bringen? (Roth 1996, 356-357).Auch Konstruktivisten verlassen sich darauf, dass bestimmte Dinge in vorhersagbarer Weisefunktionieren (und folglich auch real existieren). Deshalb nehmen sie Nahrung zu sich,

    tragen einen Regenschirm oder sonstigen Regenschutz, wenn es regnet, und verlassen sichdarauf, dass ihr Bankkonto, von dem sie ihr Gehalt beziehen, real existiert.

    Wenn Roth schreibt, dass es in der Natur keine Farben gibt, sondern dass das, was wirFarbe nennen, elektromagnetische Wellen eines bestimmten Frequenzbereichs sind, dannsind das doch Aussagen ber die von Physikern erforschte Realitt.Wenn er keine Aussagen ber die Realitt machen kann (auer dass sie existiert), woherwei er dann, was Tuschungen sind und dass sich berhaupt die im Gehirnwahrgenommene Wirklichkeit von der Realitt unterscheidet?Und die Tatsache, dass die auf der Netzhaut des Auges entstehenden Bilder anschlieenddurch elektrische Impulse codiert werden, ist allein noch kein Beweis dafr, dass dadurchdie im Netzhautbild enthaltene Information grundlegend verndert wird. Auch beimAufnehmen von Abbildungen und Tnen auf elektronische Datentrger knnen bei sehrgutem Auflsungsvermgen der verwendeten Gerte die Daten so gut bertragen werden,

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    dass bei der Wiedergabe von Bild und Ton kaum Unterschiede zu den Originalenwahrnehmbar sind.Allerdings hngt die Abbildungsqualitt eines Netzhautbildes sehr von der Qualitt desoptischen Apparates des Auges und von der Anzahl der Sehzellen pro Flcheneinheit ab. Sie

    ist z.B. bei Schneckenaugen und bei den Facettenaugen der Insekten wesentlich geringer alsbei Greifvgeln und beim Menschen (s. KORONA 90, August 2002, Abb. auf S. 22).

    Die Frage, weshalb die unter Verwendung externer Reize im Gehirn konstruierte subjektiveWirklichkeit, in der nach Roth nichts von der Wirklichkeit abgebildet wird, Tieren undMenschen ein Leben in der Realitt ermglicht, beantwortet Roth mit der These, dass dieseKonstruktionen berlebenswirksam sind. Wenn das so ist, stellt sich die Frage, weshalb sieberlebenswirksam sein knnen. Diese Frage beantwortet Roth nicht.Verstndlich wird diese berlebenswirksamkeit doch nur, wenn man annimmt, dass ber-lebenswichtige Teile der Realitt im jeweiligen Individuum wenigstens so genau abgebildet

    oder rekonstruiert werden, dass die Tiere und Menschen Nahrung und Sexualpartner fr dieFortpflanzung finden und Gefahren so weitgehend vermeiden knnen, dass ausreichendviele Individuen mindestens bis zur Erzeugung von Nachkommenschaft berleben.

    Vllig unbewiesen und widersprchlich sind Roths Aussagen ber Gre und Gestalt vonDingen. Er schreibt: Ebenso sind die Gre und Gestalt von Dingen nichts, was derRealitt zukommt. . Eine Gestalt, die uns als vollkommen rund erscheint, ist nicht alsrundes (erst recht nicht vollkommen rundes) Gebilde auf der Netzhaut vorhanden oder in dersogenannten retinotropen Karte in V1/A17. Dort wird nmlich gar nichts abgebildet,sondern dort feuern Nervenzellen. Der vollkommen runde Kreis ist vollkommen rund

    aufgrund unseres Vorwissens.( Roth 1996, 360)Woher wei Roth, der ja nach eigenem Bekunden ber die Realitt nichts aussagen kann,dass Dinge der Realitt weder Gre noch Gestalt haben ? Da Roth eine auerhalb unseresBewusstseins existierende Realitt annimmt und eine Realitt definitionsgem nicht ausnichts besteht, sondern aus Objekten, mssen diese Objekte auch irgendeine Gre undGestalt haben, unabhngig davon ob unser Erkenntnisapparat diese ganz, teilweise oder garnicht abbilden kann. Mindestens das Gehirn Roths, von dem er selbst sagt, dass es real istund ernhrt werden muss, hat doch eine Gre und Gestalt, auch wenn er diese nichtobjektiv bestimmen kann.Und woher wei er, dass es im Gehirn das Areal V1/A17 gibt und dass dort Nervenzellen

    feuern, wenn er ber die Realitt keine Aussage machen kann?Wie erwirbt der Mensch schlielich das von Roth erwhnte Vorwissen ber denvollkommen runden Kreis, wenn sein Gehirn Abbildungen von Kreisen (z.B. inGeomertrielehrbchern) gar nicht abbilden kann?Er schreibt auf S. 360 weiter: Wir knnen diese Reduktion der Begriffe von Raum und Zeitausdehnen und werden feststellen, da auch sie jeden Sinn verlieren, wenn wir sie vonunserer Wirklichkeit abtrennen. Der reale Raum ist - wie wir gehrt haben - weder realdreidimensional-euklidisch noch relativistisch, sondern dies sind Vorstellungen in unsererWirklichkeit; und Aussagen wie oben, hinter und in haben auerhalb unsererWirklichkeit keine Bedeutung. Dasselbe gilt fr die Zeit.

    Woher wei Roth, dass der reale Raum weder dreidimensional-euklidisch noch relativistischist, wenn er keine Aussagen ber die Realitt machen kann?

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    Und soll die Aussage, dass der Begriff Zeit in der Realitt keinen Sinn hat, bedeuten, dasses in der Realitt keine Vorgnge gibt die nacheinander ablaufen wie die Rotation der Erdeund ihr Umlauf der Erde um die Sonne, die Umwandlung radioaktiver Elemente in andereElemente mit einer bestimmten Halbwertszeit, die man zur Datierung von Hlzern und

    Gesteinen nutzt, und das Nacheinander der Entstehung der Jahresringe von Bumen?

    Aus der Tatsache, dass alle Einwirkungen der Realitt, die in unseremWahrnehmungsapparat zu Wahrnehmungen fhren, das Filter unserer Sinnesorgane undunseres Gehirns durchlaufen und dort selektiert und verndert werden, kann man nichtschlieen, dass die wahrgenommenen Objekte und Vorgnge nicht existieren oder vlliganders aussehen. Es ist Aufgabe der Wissenschaften, durch Untersuchungen undExperimente zu intersubjektiv nachprfbaren, auf die Realitt bezogenen Ergebnissen zukommen und dabei auch nachzuweisen, wo Tuschungen, die durch unserenWahrnehmungsapparat verursacht werden, vorliegen.

    Auf S. 362 schreibt Roth: Letztlich ist jedes Nachdenken ber die objektive Realitt, sei eswissenschaftlich oder nicht, an die Bedingungen menschlichen Denkens, Sprechens und

    Handelns gebunden und mu sich darin bewhren. Deshalb sind Konstrukte unseres

    Gehirns nicht willkrlich.Einverstanden aber was heit es, dass sich das Nachdenken an den Bedingungenmenschlichen Denkens, Sprechens und Handelns bewhren muss und dass die Konstrukteunseres Gehirns nicht willkrlich sind? Wo ist der Mastab fr richtig und falsch im Alltagund in den Naturwissenschaften?

    Am Ende seines Buches schreibt er, dass er als Wissenschaftler den Anspruch aufgibt,objektive Wahrheiten zu verknden, zum Beispiel in seinem Buch. Ich kann lediglich dafrsorgen, da dasjenige, was ich hier dargestellt habe, gehobene Ansprche an Plausibilittund interne Konsistenz erfllt. (a.a.O., 363)Diese Plausibilitt und Konsistenz gilt zweifellos fr die von ihm dargestellten neuro- biologischen Forschungsergebnisse, nicht jedoch fr die oben zitierten, radikal kon-struktivistischen Thesen, die sich z.T. selbst widersprechen. Die innere Wider-spruchsfreiheit einer philosophischen Position ist aber eine Forderung, die an jedephilosophische Richtung zu stellen ist.

    Immerhin weisen Roths Aussage Mein Eindruck ist (...), dass manche Konstruktivistenschlicht und einfach Mystiker sind. (2001, S.149) und andere uerungen aus den letztenJahren darauf hin, dass er inzwischen gegenber dem Radikalen Konstruktivismus aufDistanz gegangen ist.

    Evolutionre Erkenntnistheorie, Naturalismus und hypothetischer Realismus

    Die Evolutionre Erkenntnistheorie versucht die Fragen zu beantworten, wieso es mglichist, dass Tiere und der Mensch Teile ihrer Umwelt so gut wahrnehmen, dass sie darin

    berleben knnen, und wieso es mglich ist, dass der Mensch die Welt erkennen kann.Dementsprechend lautet der Titel von Gerhard Vollmers neuestem Buch Wieso knnen wirdie Welt erkennen? (2003). Die Lektre dieses Buches war fr mich der Anlass, diesenBeitrag zu schreiben.

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    Die Evolutionre Erkenntnistheorie (EE) wurde von dem Biologen Konrad Lorenz (1903-1989) 1941/43 und von dem Psychologen Donald T. Campbell (1918-1996) begrndet undvon dem Physiker und Philosophen Gerhard Vollmer seit 1975 ausgearbeitet. Einemgreren Leserkreis wurde die EE bekannt durch das Buch von Konrad Lorenz Die

    Rckseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens (1973).Ein weiterer Vertreter der EE ist der Biologe Rupert Riedl, dessen Buch Biologie derErkenntnis. Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft 1980 erschien.

    Die EE wird heute von der Mehrheit der Biologen, die sich mit der Evolution des Gehirnsund des Erkenntnisvermgens beschftigen, akzeptiert. Von geisteswissenschaftlichorientierten Philosophen, die sich mit ihr beschftigt haben, wird sie abgelehnt (vgl.Spaemann/Koslowski/ Lw 1985). Die Philosophin Eve-Marie Engels, die auch Biologiestudierte, versucht zwischen EE und Konstruktivismus zu vermitteln und pldiert fr einengemigten Konstruktivismus, den sie als Konstruktionismus bezeichnet (vgl. Engels 1989

    und Roth 1996, S. 346).

    Die ontologische Position der EE ist derNaturalismus: Die Natur und die in ihr wirkenden Naturgesetze existieren unabhngig von unserem Bewusstsein und sind prinzipiell vomMenschen erforschbar. Ein Schpfer wird abgelehnt.

    Die erkenntnistheoretische Position der EE ist der hypothetische Realismus. Er geht philosophiegeschichtlich bis auf Xenophanes (570-475 v.Chr.) zurck. Hermann vonHelmholtz (1821-1894) hat ihn klar formuliert. Benannt hat ihn erst D. T. Campbell,whrend ihn K. Lorenz bekannt machte. Ausgearbeitet wurde er von G. Vollmer (1975) und

    P. Skagestad (1981).

    Der Naturalismus gewinnt in Deutschland aufgrund der starken transzendental-philosophischen und subjektivistischen Tradition nur langsam an Terrain, whrend er in denangelschsischen Lndern bereits eine fhrende Position einnimmt. Auch der Physiker undPhilosoph Bernulf Kanitscheider ist Naturalist. Er schreibt im Geleitwort zu Vollmersneuestem Buch: Wie es bei einem Naturalisten zu erwarten ist, hat sich Vollmer immer freinen erkenntnistheoretischen Realismus stark gemacht. Gerade angesichts der heutigenkonstruktivistischen und postmodernen Irrealisten ist es wichtig, auf die guteBegrndungslage fr einen erkenntnistheoretischen Realismus hinzuweisen. (Kanitscheider

    2003, 8).Damit lehnt Kanitscheider mit Vollmer den Konstruktivismus ab und macht deutlich, dassKonstruktivismus und Naturalismus nicht miteinander vereinbar sind.

    Vollmer sagt, dass die Frage Wieso knnen wir die Welt erkennen? drei Voraussetzungenhat:1. Die Welt existiert. Sie ist das Objekt von Erkenntnis und eindeutig bestimmt.2. Wir knnen diese Welt erkennen, vielleicht nicht vollstndig, vielleicht nicht beliebig

    genau, vielleicht nicht irrtumsfrei, aber doch einigermaen.3. Es gibt eine gewisse Gemeinsamkeit in unserem Erkennen, ein Mindestma an

    Intersubjektivitt.4. Die Antwort auf die Frage Wieso knnen wir die Welt erkennen ist weder trivial

    noch offenbar unmglich. Sie ist nicht prinzipiell unbeantwortbar.

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    Anmerkung: An Stelle von Intersubjektivitt wird seit einigen Jahren auch der BegriffTranssubjektivitt benutzt, so z.B. von Peter Janich (2000).

    Vollmer lehnt die philosophische Position von Idealisten, Skeptikern, Agnostikern und

    radikalen Konstruktivisten ab und setzt dagegen seinen Standpunkt, den hypothetischenRealismus, den er mit den folgenden Stichworten charakterisiert:Existenz einer bewusstseinsunabhngigen, gesetzlich strukturierten und zusammen-hngenden Welt; teilweise Erkennbarkeit und Verstehbarkeit dieser Welt durchWahrnehmung, Denken und eine intersubjektive Wissenschaft; hypothetischer (fehlbarerund deshalb vorlufiger) Charakter aller Wirklichkeitserkenntnis. Diese Thesen teilt derhypothetische Realismus mit dem kritischen Rationalismus (der darber hinaus dasmethodische Instrument der Kritik besonders betont). Im Rahmen dieses Standpunktes istdie Frage, wieso wir die Welt erkennen knnen, sinnvoll und berechtigt. (Vollmer 2003,16)

    Mit dem Begriff hypothetisch meint Vollmer hier in bereinstimmung mit Karl Popper,dass jede Wirklichkeitserkenntnis, also vor allem jede naturwissenschaftliche Erkenntnisvorlufigen Charakter hat und falsifizierbar sein muss, d.h. nur so lange gilt, bis neueForschungsergebnisse vorliegen, durch die die jeweilige Erkenntnis erweitert, in ihremGltigkeitsbereich eingeschrnkt oder teilweise oder ganz widerlegt wird.Im Gegensatz dazu sind Dogmen einer Ideologie (Religion oder Ersatzreligion) nichtfalsifizierbar.

    Der hypothetische Realismus steht dem kritischen Realismus nahe, der darber hinaus das

    methodische Instrument der Kritik betont. Er unterscheidet sich vom naiven Realismus, derdie Grenzen der menschlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisfhigkeit nicht beachtet.

    Als bestes Argument fr den Realismus nennt Vollmer das Scheitern von Theorien. EineTheorie scheitert, weil die Welt nicht so ist, wie die Theorie unterstellt. Um anders zu sein,als sie eine (falsche) Theorie darstellt, muss die Welt nicht nur existieren, sie muss aucheine spezifische Struktur haben, die wir treffen oder verfehlen knnen.Dagegen kann der Anti-Realist (also auch der radikale Konstruktivist) das Scheitern vonTheorien nicht erklren (a.a.O. 38/39).

    Zu betonen ist noch, dass Vollmer nicht von objektiver, sondern von intersubjektiverErkenntnis spricht. Damit wird deutlich, dass es Grenzen menschlicher Erkenntnisfhigkeitgibt, die durch die Struktur des menschlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisapparatesgegeben sind. So kann der Mensch z.B. nur elektromagnetische Strahlung im Wellen-lngenbereich von 400 bis 750 nm als Licht und mechanische Schwingungen nur beiFrequenzen von 15 bis 20 000 Hz (bei 80-Jhrigen bis 5000 Hz) als Schall wahrnehmen.

    Er legt auch dar, dass das menschliche Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermgen an denMesokosmos angepasst ist, also an mittlere rumliche und zeitliche Dimensionen, und anPhnomene geringer Komplexitt. Mikrokosmos und Makrokosmos sind unseren Sinnennicht direkt zugnglich. Allerdings kann wissenschaftliche Forschung mit Hilfe vonInstrumenten zu Erkenntnissen ber Phnomene im Mikrokosmos und Makrokosmoskommen, wobei diese oftmals unanschaulich sind, weil unser Vorstellungsvermgen an denMesokosmos angepasst ist. So kann man Aussagen der Quantentheorie und der

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    Relativittstheorie zwar in Worten und mit mathematischen Formeln beschreiben, aber nichtanschaulich darstellen.

    Anmerkung: Unter Mikrokosmos wird hier der Mikrokosmos der Physik verstanden, also

    der Bereich der Atome und Elementarteilchen. In der Biologie versteht man unterMikrokosmos die durch das Lichtmikroskop und das Elektronenmikroskop zugnglichenDimensionen. Dementsprechend bezieht sich die Mikrostrukturforschung der Biologie aufden Bereich, der mit diesen Instrumenten sichtbar gemacht wird. Lichtmikroskop: 300 bis0,3 Mikrometer, Elektronenmikroskop bis 300 bis 0,3 Nanometer. Die Nano-strukturforschung betrifft in der Physik vor allem die Anordnung von Atomen, in derBiologie vor allem die Struktur und Anordnung biologisch wirksamer Makromolekle(Proteine, Proteide, DNA, RNA).

    Aussagen der Evolutionren Erkenntnistheorie

    Die wichtigste Leistung von Vertretern der Evolutionren Erkenntnistheorie (EE) ist dieErarbeitung eines Modells fr die Entwicklung der Erkenntnisfhigkeit im Verlauf derEvolution der Organismen:So wie das Gehirn, ist auch unser Erkenntnisapparat ist ein Ergebnis der biologischenEvolution. Die subjektiven Erkenntnisstrukturen passen (wenigstens teilweise) auf die Welt,weil sie sich im Laufe der Evolution in Anpassung an diese reale Welt herausgebildethaben. Sie stimmen mit den realen Strukturen (teilweise) berein, weil nur eine solchebereinstimmung das berleben ermglichte. Die subjektiven Erkenntnisstrukturen sind

    genetisch determiniert und im Rahmen der statistischen Streuung fr alle Menschen mehroder weniger gleich.Weil biologische Anpassungen niemals ideal sind, ermglichen die subjektivenErkenntnisstrukturen, weil ber Jahrmillionen getestet, zwar keine absolut wahre, aber docheine angemessene Rekonstruktion realer Objekte, die mindestens in Bezug auf denmesokosmischen Lebensraum aber auch nicht vllig falsch sein kann. Vollmer spricht alsonicht von Konstruktion, sondern von Rekonstruktion realer Objekte in der Wahrnehmung.Der Biologe George Gaylord Simpson (1902-1984) formulierte es kurz, aber treffend:Der Affe, der keine realistische Wahrnehmung von dem Ast hatte, nach dem er sprang, warbald ein toter Affe und gehrt daher nicht zu unseren Urahnen. (zit. n. Vollmer 2003, 19)

    Entsprechendes gilt fr Greifvgel, die aus groer Hhe ein Beutetier fixieren, zielgerichtetauf dieses herab stoen und dieses auch fangen, weil das in ihrem Gehirn wahrgenommeneBild des Beutetieres in Lage, Form, Gre und Bewegung hinreichend genau mit derRealitt bereinstimmt. Dass diese Wahrnehmung des Objektes im Gehirn nicht alsoptisches Bild wie auf der Netzhaut des Auges, sondern in Form von Impulsen inNeuronengruppen vorliegt, spielt offensichtlich fr das Ergebnis der Wahrnehmung keineRolle.

    Beim Menschen wurde die Evolution des Erkenntnisapparates beschleunigt durch die relativschnelle Vergrerung und Differenzierung des Grohirns in den letzten 3 Millionen Jahren.Whrend die Australopithecinen vor 4 Millionen Jahren nur 400 cm3 Hirnmasse hatten (soviel wie heutige Schimpansen), lag die Hirnmasse bei Homo habilis vor 2 Mill. Jahrenbereits bei 600 cm3 und bei Homo erectus vor 1,7 Mill. Jahren bei 900 cm3, whrend siebeim heutigen Menschen im Mittel 1400 cm3 betrgt. Die Zunahme der Gehirngre wurde

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    wahrscheinlich ermglicht durch eine Zunahme des Energiegehaltes der Nahrung infolgestarker Zunahme des Anteils von Fleischnahung (bei Schimpansen nur 5-7 %, bei heutigenJger- und Sammlervlkern 40-60 % , nach Leonard 2003).Die enorme Grohirnentwicklung ermglichte eine deutliche Steigerung des Denk-

    vermgens und zusammen mit der allmhlichen Absenkung des Kehlkopfes die Entwicklungeiner differenzierten Lautsprache, die wiederum den Informationsaustausch zwischenMenschen erheblich verbesserte.

    Das menschliche Erkenntnisvermgen ist nicht ideal. Es geht in der Evolution nicht darum,die bestmgliche Lsung zu finden, sondern besser zu sein als die innerartlichen undzwischenartlichen Konkurrenten. Solange Fehlleistungen unseres Gehirns, z.B. beioptischen Tuschungen, nicht so nachteilig sind, dass der Reproduktionserfolg gefhrdet ist,bleiben sie erhalten.

    Jede Population von Organismen lebt in einerkologischen Nische, an die sie mehr oderweniger gut angepasst ist. Die kologische Nische ist nicht allein der Lebensraum, sonderndie Summe der Lebensbedingungen, in denen ein Organismus lebt. Im selben Lebensraumknnen viele unterschiedliche Organismen leben, wenn sie sich in ihrenLebensbedrfnissen, z.B. in der Art der Nahrung, unterscheiden. Im selben Lebensraumkann es also unterschiedliche kologische Nischen geben.In Analogie zur kologischen Nische spricht Vollmer von der kognitiven Nische desMenschen oder Tieres. Sie ist jener Ausschnitt der realen Welt, an die ein Organismuswahrnehmend, erfahrend und handelnd angepasst ist.

    Die kognitive Nische des Menschen ist der Mesokosmos, also die Welt der mittlerenEntfernungen, kleinen Geschwindigkeiten und Krfte und der geringen Komplexitt. UnserErkenntnis gewinnender (ratiomorpher) Apparat ist auf den Mesokosmos geprgt, auf alles,was wir mit Hilfe unserer Sinne direkt erfahren knnen. Hierzu ein Beispiel:Ohne den Einsatz von Hilfsmitteln umfasst unser optischer Erfahrungsraum Flchen mitRadien von 0,1 mm bis etwa 100 km (entfernte Berge bei guter Sicht). Weiter entfernteObjekte wie Mond, Sonne, Planeten und Fixsterne knnen wir zwar sehen, wenn die Anzahlder von diesen Objekten auf die Netzhaut gelangenden Photonen ausreicht, die Sehzellen zuerregen. Aber wir knnen die Entfernungen dieser Himmelskrper nicht schtzen, weilunser optischer Erfahrungsraum nicht wesentlich ber 100 km hinaus geht und auch

    Vergleichsobjekte fehlen, die in unserem Mesokosmos vorhanden sind. Bei Himmels-krpern kann man nur erkennen, dass sie weiter als die hchsten Wolken entfernt sind, weilsie von diesen verdeckt werden.

    Wir schlieen auch aus der Gre, in der uns bekannte Objekte erscheinen, auf derenEntfernung. Erscheint ein Mensch oder ein eingeschossiges Haus klein, d.h. unter einemkleinen Sehwinkel, schlieen wir daraus, dass diese Objekte weiter entfernt sind als gleicheObjekte, die wir gro, d.h. unter einem greren Sehwinkel sehen. Diese perspektivischeWahrnehmung wird erst nach dem 3./4. Lebensjahr durch Erfahrungen erlernt und imLangzeitgedchtnis so fest gespeichert, dass man von einer Prgung sprechen kann. Dabeirckt die fernste Ebene, in der wir noch unterscheiden knnen, ob ein Objekt nah oder fernist, mit zunehmendem Lebensalter des Kindes weiter weg.So berichtet Hermann von Helmholtz (1821-1894), dass er als kleiner Junge mit seinerMutter an der Potsdamer Garnisonkirche vorberging, auf deren Turm-Galerie er einige

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    Arbeiter bemerkte. Da bat er seine Mutter, sie mge ihm doch ein paar der kleinenPppchen herunterholen. Kirche und Arbeiter lagen bereits in seiner fernsten Ebene undwaren daher nicht fern, sondern klein (aus v. Uexkll/Kriszat 1956, 42-44)

    Vollmers Antwort auf Einwnde gegen den hypothetischen Realismus und die

    Evolutionre Erkenntnistheorie

    Gerhard Roth und andere Philosophen erhoben Einwnde gegen Vollmers Position. Inseinem neuesten Buch begegnet er einigen Einwnden mit Gegenargumenten (Vollmer2003, 24 ff.).

    1. Einwand: Der hypothetische Realismus macht Gebrauch von der Korrespondenztheorieder Wahrheit, d.h. eine Aussage ist wahr, wenn sie mit der Realitt da drauen

    bereinstimmt. Wir haben aber keinen unabhngigen Zugang zur Realitt und knnendeshalb die Welt an sich nicht erkennen. Dieser Einwand trifft alle Arten von Realismus.Antwort: Es gibt tatschlich keine erfllbaren hinreichenden Kriterien fr Wahrheit, da wirnicht ber den Blick von auen, die Gottesperspektive, verfgen. Was wir haben, sindnotwendige Kriterien wie Konsistenz, Bewhrung, Kohrenz, Konsens, wie sie vonverschiedenen Wahrheitstheorien hervorgehoben werden.

    2. Einwand: Ist die Passung unserer kognitiven Strukturen zirkelfrei feststellbar? Mssteman dafr nicht die Realitt unabhngig von unseren kognitiven Strukturen kennen underkennen?

    Antwort: Das menschliche Auge ist gerade in dem Wellenlngenbereich der elektro-magnetischen Wellen empfindlich, in dem die Sonnenstrahlung bis zur Erdoberflchedurchdringt (optisches Fenster der Erdatmosphre). Diese Passung wird in derEvolutionren Erkenntnistheorie als Ergebnis einer Anpassung gedeutet. Nun kann maneinwenden, was Physiker beschreiben, sei nicht die reale Welt, sondern nur eine Projektion.Tatschlich knnen wir die Wahrheit, das Zutreffen unserer Theorien, nicht strengbeweisen.( Streng genommen kann man noch nicht einmal beweisen, dass es etwas auerhalb unsererVorstellungen gibt. Hierzu sagt der Philosoph Karl Popper: Es ist der grte Skandal derPhilosophie, dass sie nicht beweisen kann, dass diese Welt berhaupt existiert.)

    Vollmer argumentiert weiter: Wo Beweise fehlen, kann es doch gute Grnde geben. Fr denerkenntnistheoretischen Realismus, wonach diese Welt zumindest nherungsweiseerkennbar ist, gibt es gute Grnde. Fr die Vermutung, dass wissenschaftliche Erkenntnisnichts weiter als eine Konstruktion ist, gibt es dagegen keine guten Grnde. Es ist auchuerst unplausibel, dass wir uns in der Evolution an Konstruktionen angepasst habensollen, die erst in den letzten Jahrhunderten von der Wissenschaft erarbeitet wurden.

    3. Einwand: Organismen haben sich nicht an die Realitt angepasst. Ihre Wahrnehmung derWelt und ihre Reaktion darauf ist nur berlebenswirksam.Antwort: Wenn es keine selektiven Anforderungen der realen Umwelt gibt, dann gibt es

    auch keine Merkmale, die das berleben erleichtern und keine die es gefhrden.

    4. Einwand: Wie knnen kognitive Strukturen an eine Umwelt angepasst sein, die man ersteinmal kennen msste, um sich ihr anpassen zu knnen?

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    Antwort: Wre dieser Einwand stichhaltig, so drfte es keine Augen geben. Denn wieknnten Augen an irdische Lichtverhltnisse angepasst sein, wenn Augen zuerst ntig sind,um Licht zu verarbeiten? Augen sind aber mindestens vierzigmal unabhngig voneinanderentstanden. Und die meisten sind an das Licht gut angepasst. Sie entstanden durch

    ungerichtete Mutationen und Genrekombinationen und bevorzugte Reproduktion ber-legener Lsungen.Hierzu mchte ich ergnzen, dass wir heute zahlreiche Stufen der Augenevolution kennen,von einzelnen Sehzellen in der Haut eines Regenwurmes ber Sehzellpolster, BecheraugenNapfaugen, Urnenaugen und Lochkameraaugen bis zu den Linsenaugen einiger Kopfferund der Wirbeltiere. Dabei verbesserte sich die Abbildungsqualitt vom bloen Hell-Dunkel-Sehen ber sehr unscharfes Bildsehen bis zum scharfen Bildsehen von Greifvgelnund Menschen (vgl. v. Ditfurth 1976, Kap.8; KORONA 90, August 2002, S. 21).Dass vorhandene Augen in der Evolution auch wieder reduziert werden und verschwindenknnen, wenn sie nicht mehr bentigt werden, zeigt das Beispiel blinder Hhlenfische. Sie

    besitzen noch die Struktur-Gene fr die Ausbildung von Augen. Die Augen entwickeln sichauch in der Individualentwicklung (Ontogenese) so weit, dass die Augenhhlen des Schdelsausgefllt werden. Dann aber wird die Entwicklung abgebrochen, weil das Regulator-Gen,das bei anderen Fischen die Struktur-Gene fr die weitere Augenentwicklung anschaltet,fehlt (Langenecker et al. 1993) in Cell Tissue Research 273: 183-192). Das Regulatorgen istoffensichtlich in der Evolution durch eine Mutation verschwunden und nur diejenigenFische konnten den Verlust berleben, die sich in Hhlen aufhielten, wo die Konkurrenzsehender Tiere fehlt. (Zu behaupten, dass das Regulatorgen verschwand, weil die Fisch inHhlen bersiedelten, wre unzulssiger Lamarckismus, denn Mutationen verlaufenungerichtet).

    5.Einwand: Die Umwelt bt auf die Evolution der Organismen nicht die determinierendeKraft aus, die ihr der Neodarwinismus zuschreibt.Viele Organismen haben sich in Millionen Jahren nicht wesentlich verndert, obwohl sichihre Umwelt nderte. Umgekehrt nderten sich viele Organismen, obwohl sich ihre Umweltnicht nderte. Viele Organismen berlebten deshalb, weil sie sich nicht eng an ihre Umweltanpassten, sondern unspezialisiert waren, whrend andere ausstarben, weil sie zu eng anihre Umwelt angepasst waren. Schlielich knnen sich Organismen gleicher Herkunft ingleicher Umwelt verschieden entwickeln aus Grnden, die in ihren strukturellen undfunktionellen Systemeigenschaften liegen.

    Der bei weitem bedeutungsvollste Faktor fr den Verlauf der Evolution sind dieGrokatastrophen, die in den vergangenen 700 Millionen Jahren mehrmals zwischen 50 und95 % der jeweils bestehenden Arten ausrotteten. Danach sind es die interdynamischenProzesse (die physikalischen und physiologischen Existenz- und Wachstumsbedingungen,strukturelle und funktionelle Koppelungen aller Art), welche die Evolution entscheidendbeeinflussen, indem sie das Spielmaterial fr die Umweltselektion bietet.Die Umwelt whlt in aller Regel nicht den Bestangepassten aus. Fr das berlebengengt es, gewisse Minimalbedingungen z.B. hinsichtlich Nahrungsaufnahme, Flucht,Reproduktion und Stoffwechsel zu erfllen, die zur erfolgreichen Erhaltung des Individuumsund der Art fhren. (Roth 1996, 347)Antwort: Da Vollmer auf diesen Einwand nicht eingeht, will ich ihn selbst beantworten.Durch die von Roth genannten biologischen Befunde wird die EvolutionreErkenntnistheorie nicht widerlegt.

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    Mutationen, die primren Ursachen der Evolution, sind bekanntlich ungerichtetenderungen des Genoms, die den jeweiligen Organismen berwiegend Nachteile bringen,weil in den mutierten Organismen bestimmte Stoffwechselprozesse gestrt sind. Vieledieser Mutanten sind deshalb gar nicht lebensfhig. Die lebensfhigen bleiben in ihrer

    kologischen Nische oder besetzen eine neue und konkurrieren dort mit anderenOrganismen derselben oder einer anderen Art. Das hat mit der Anpassung an einevernderte abiotische Umwelt gar nichts zu tun.

    Bei der Konkurrenz mit anderen Tieren kommt es darauf an, mit welcher von zweiStrategien, die genetisch verankert sind, die Tiere zum Fortpflanzungserfolg und damit zurErhaltung ihrer Population kommen (vgl. Hedewig 2000):

    Strategie 1 (r-Strategie): Die Tiere produzieren pro Jahr sehr viele Nachkommen (Beispiel:Feld-Muse, viele Fische, viele Insekten). Dann mssen sie nicht gut an

    Umweltbedingungen angepasst sein. Sie sind nicht auf eine bestimmte Nahrungspezialisiert, sondern leben von unterschiedlicher pflanzlicher oder tierischer Nahrung, diemeist im Nahbereich zur Verfgung steht. Es wird zwar ein hoher Prozentsatz einer jedenGeneration dieser Tiere von Beutegreifern erbeutet. Ein Teil stirbt auch an Krankheitenoder an Hunger. Aber es bleiben in jeder Generation so viele Tiere brig, dass diePopulation nicht ausstirbt. Das Sehsystem dieser Tiere muss keine sehr genauenInformationen ber die Umweltobjekte liefern. Es reicht z.B., wenn die Maus einenGreifvogel am Himmel nur als Schatten wahrnimmt und Nahrung optisch nur grob erkennt,weil sie diese noch durch Tasten, Riechen und Schmecken prft.

    Strategie 2 (K-Strategie): Die Tiere erzeugen pro Jahr nur wenige Nachkommen, manchmalnur ein Junges pro Elternpaar (Beispiele: Seevgel, Greifvgel, Menschenaffen). Sie habenaber die Mglichkeit, durch Verteidigung, insbesondere ihrer Jungen, das Dezimieren durchFeinde zu minimieren und durch das Auffinden auch weit entfernter Nahrung denNahrungsbedarf zu sichern. Diese Tiere bentigen Sinnesorgane und Gehirnstrukturen, diedurch eine recht genaue Wiedergabe berlebenswichtiger Merkmale der Auenweltermglichen, bei Seevgeln und Greifvgel z.B. das genaue Lokalisieren der sichbewegenden Beute, bei Menschenaffen das genaue Erkennen von Raubtieren auch ausgroer Entfernung und das Unterscheiden der Individuen in der Gruppe, in der es eineRangordnung gibt. Zu diesen Tieren gehren auch die affenhnlichen Vorfahren des

    Menschen, die nach einer Klimanderung in Ostafrika vom Urwald in die Savannebersiedelten. Sie waren dort der Gefahr durch Raubkatzen ausgesetzt, denen sie vielweniger als im Wald durch Flucht auf Bume ausweichen konnten. Whrend sich Huftiere,die diesen Gefahren ebenfalls ausgesetzt sind, durch schnellen Lauf meist gut entziehenknnen, waren Vor- und Frhmenschen angesichts langsamen Laufes und geringerReproduktionsrate darauf angewiesen, durch gute Wahrnehmung berlebenswichtigerMerkmale ihrer Umwelt, besonders das rechtzeitige Erkennen von Raubtieren, undintelligentes Reagieren einen berlebensvorteil gegenber anderen, verwandten Primaten zuerlangen. Individuen, denen das nicht gelang, haben nicht bis zur Geschlechtsreife berlebtund deshalb auch ihre Gene nicht an die nchste Generation weitergegeben.

    Bei nicht in Gruppen lebenden Tieren, z.B. Spinnen, vielen Insekten, Amphibien,Singvgeln kommt es darauf an, auch weit entfernte, reproduktionsbereite Sexualpartner zufinden. Dies gelingt durch Wahrnehmen von Sexuallockstoffen der Weibchen durch die

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    Mnnchen (z.B. bei Schmetterlingen), auffllige Farben (z.B. bei vielen Vgeln) oderbestimmte Laute (z.B. bei Frschen und Singvgeln). Angesichts der groen Anzahl vonArten dieser Tiergruppen ist es erforderlich, dass die Duftstoffe, optischen Signale oderLaute sehr spezifisch sind und die potentiellen Sexualpartner derselben Art diese auch

    genau von entsprechenden Signalen verwandter Arten unterscheiden knnen. Die Mnnchenmancher Schmetterlingsarten riechen ihre Weibchen aus einer Entfernung von mehrerenKilometern, weil bereits wenige Duftstoffmolekle, die auf die Antennen eines Mnnchensgelangen, wahrgenommen werden. Sie fliegen dann in Richtung zunehmenderDuftstoffkonzentration und finden das Weibchen zielsicher. Tieren dieser Arten, denen esnicht gelang, Sexualpartner zu erkennen, haben sich nicht fortpflanzen knnen und sinddeshalb schnell ausgestorben.

    Viele Einwirkungen der Auenwelt auf unsere Sinnesorgane knnen wir nicht wahrnehmen,weil in unserer Evolution keine entsprechenden Mutationen stattfanden, von denen uns

    einige vielleicht Vorteile gebracht htten. So knnen wir viele Duftstoffe, auf die Tierereagieren, nicht riechen. Wir knnen keinen Ultraschall und die meisten von Wassertierenausgehenden Laute unter Wasser nicht hren. Wir sehen kein UV-Licht (im Gegensatz zuden Bienen) und nehmen nicht die Farben kosmischer Gasnebel wahr, weil ihre Helligkeitunterhalb der Reizschwelle der Zapfen der Netzhaut liegt, whrend die nur fr Hell-Dunkel-Sehen geeigneten Stbchen eine viel niedrigere Reizschwelle haben, so dass wir diekosmischen Nebel wei sehen und ihre Farben nur auf Farbfotos wahrnehmen.Anmerkung: Die von Konstruktivisten wie Heinz von Foerster und Gerhard Roth betonteAuffassung, es gebe in der Natur keine Farben, sondern das, was wir als Farben bezeichnen,seien nur elektromagnetischen Wellen bestimmter Wellenlngen, ist zwar richtig. Aber

    wenn wir bestimmte Wellenlngenbereiche, z.B. 500-540 nm mit einem im Alltag benutztenBegriff, hier also grn, bezeichnen, knnen wir aus Grnden der sprachlichen Einfachheitweiter von Farben in der Natur sprechen. Astronomen scheuen sich auch nicht, dieeingefhrten Farbwrter zu benutzen und z.B. von Roten Riesensternen zu sprechen.Wenn man ganz konsequent sein wollte, msste man auch sagen , es gebe in der Natur keineSteine, Bume usw. Dies seien ja nur in bestimmter, unterschiedlicher Weise angeordneteAtome.

    Zusammenfassend kann man sagen: Es ist nicht so, dass die Umwelt generell einenSelektionsdruck in Richtung auf eine Optimierung des Wahrnehmungsapparates bei allen

    Tieren ausbt. Es gibt ja gleichzeitig Tiere mit sehr unterschiedlichen Wahr-nehmungsmglichkeiten und Reizschwellen fr Umweltreize. Wenn aber durch Mutationen bei einem Tier Sinneszellen (Sensoren) fr eine bestimmten Reizmodalitt, z. B. Licht,entstanden sind, und wenn die Nutzung dieser Sensoren in der kologischen Nischevorteilhaft ist, dann werden sie von diesem Tier und dessen Nachkommen genutzt, und dannhaben diejenigen Tiere gegenber anderen Tieren derselben Art oder verwandter Arten, diein derselben Nische leben, einen berlebens- und Fortpflanzungsvorteil, die ber diebessere Wahrnehmung verfgen. Ein Musterbeispiel sind die erwhnten, auf Duftstoffe desWeibchens spezialisierten Sensoren auf den Antennen der Mnnchen bestimmterSchmetterlingsarten.

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    Zur Entstehung optischer Tuschungen

    Auch die Entstehung optischer Tuschungen lsst sich mit der EvolutionrenErkenntnistheorie erklren. In der Evolution haben Tiere, insbesondere die mit geringer

    Anzahl von Nachkommen (Strategie 2), einen berlebensvorteil, wenn sie Erfahrungen imGehirn speichern und bei knftigem Verhalten nutzen knnen. Auf diese Weise wirdgenetisch bedingtes, also angeborenes Verhalten (Reflexe, Instinkthandlungen) durchindividuelles Lernen ergnzt. Dadurch werden vor allem Mglichkeiten der Orientierung,das Finden von Nahrung, das Ausweichen vor Gefahren, die individuelle Anpassung anschnell wechselnde Umweltbedingungen und die Kommunikation zwischen Gruppen-mitgliedern verbessert oder berhaupt erst ermglicht.Wie stark Erfahrungen zur Entstehung einer optischen Tuschung beitragen, sei anfolgendem Beispiel erlutert. Dabei sollen die hier gestellten Fragen in der angegebenenReihenfolge beantwortet und die Versuche unter Verwendung von Lineal, Schere und Papier

    ausgefhrt werden. Viel Spa bei diesem Versuch!

    1. Wodurch unterscheiden sich die Tischplatten A und B?

    2. Erscheint Tischplatte A nur wegen der perspektivischen Darstellung schmaler als diePlatte B oder ist Platte A tatschlich schmaler gezeichnet?

    3. Messe die Breite beider Tischplatten mit dem Lineal.

    4. Angenommen, man zeichnet Tischplatte A so, wie sie in der Abbildung gezeichnet ist,schneidet das Viereck aus und legt es auf die Tischplatte B. Wrde es passend sein?

    5. Zeichne die Platte A sehr genau auf Papier und schneide das Viereck aus. Welchegeometrische Form hat es?

    6. Lege das Viereck erst auf die Tischplatte A, dann auf die Tischplatte B.

    7. Schneide Papierstreifen aus und decke mit ihnen die Tischbeine und die Kanten der

    Tischplatte ab. Wie ndert sich die Wahrnehmung der beiden Platten?8. Drehe die Zeichnung mit den Abdeckungen um 90. Wie erscheinen jetzt beide

    Flchen?

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    Begrndung dieser optischen Tuschung:Das Gehirn interpretiert die Zeichnung als rumliche, perspektivische Darstellung von zweiTischen, weil reale Tische auf der Netzhaut (wie auch in einer Kamera) so perspektivischabgebildet werden. Dieser Eindruck dominiert so stark, dass selbst die durch das

    Nachmessen gewonnene Einsicht, dass beide Tischflchen in Form und Gre identischsind, nicht ausreicht, die Wahrnehmung, es handele sich um unterschiedlich breitgezeichnete Tischplatten, zu korrigieren. Erst wenn durch Abdecken der Tischbeine undKanten der Eindruck einer rumlichen Darstellung verschwindet und beide Platten nur alsFlchen, nmlich als Parallelogramme erscheinen, fllt die Beeinflussung durch die imGehirn gespeicherte Vorstellung ber das perspektivische Aussehen von Tischen weg,vollstndig aber nur dann, wenn die ursprnglich breiter erscheinende Flche senkrechtsteht, so dass die Assoziation mit der perspektivischen Darstellung der Platte wegfllt (ausHedewig 2003 b).

    Es gibt auch zahlreiche Tuschungen ber die relative Helligkeiten oder die Farbennebeneinander liegender Flchen oder die relative Gre von Winkeln. Die NeurobiologenPerves, Lotto und Nundi wiesen durchzahlreiche Versuche nach, dass solche Tuschungenauf Erfahrungen mit solchen Situationen im Alltag zurck gehen: Wenn die Netzhautmehrdeutige Informationen ber Helligkeiten, Farben oder geometrische Verhltnisseempfngt, orientiert sich das visuelle System daran, wie wahrscheinlich dei einzelnenmglichen Situationen sind oder genauer gesagt bisher waren. Erst daraus ergibt sich dieWahrnehmung (Purves/Lotto/Nundi 2003, 81).

    Die vermittelnde Position von Ernst Peter Fischer

    Der Mathematiker, Physiker und Biologe Ernst Peter Fischer, Professor frWissenschaftsgeschichte an der Universitt Konstanz, ist ein Vertreter der EvolutionrenErkenntnistheorie.Er lehnt den radikalen Konstruktivismus ab, nimmt aber einige Argumente desKonstruktivismus auf. Seine Position erscheint mir berzeugend. Sie soll hier kurzdargestellt werden:

    1. Die Wahrnehmung ist nicht einfach Abbildung, sondern ein aktiver Vorgang, durch den

    das Bild der Welt in unserem Kopf aufgebaut wird, und das geschieht, noch ehe dasDenken beginnt.2. Was im Gehirn erscheint, ist von seinem sinnlichen Anfang an anders als die harte

    Wirklichkeit, die mit Augen zu sehen und mit Hnden zu greifen ist.Kommentar: Mit der harten Wirklichkeit meint er die Realitt.

    3. Die optische Wahrnehmung hat sich dem Licht angepasst, das von der Sonneausgehend die lichtabsorbierenden Schichten der Atmosphre durchdringt. Derevolutionre Charakter dieses Vorgangs legt nahe, dass es nicht ausreicht, von einer bloen Konstruktion der Wirklichkeit zu sprechen, als wre die Freiheit dabeigrenzenlos. Lebensformen, bei denen das, was ihre Wahrnehmung als Wirklichkeitvermeldet, mit dem, was da drauen tatschlich ist, nichts oder wenig zu tun hatte,haben in der Evolution nicht berlebt. Fortgepflanzt haben sich nur die realistischenArtgenossen - und von ihnen haben wir Menschen das gute Einschtzungsvermgen frrumliche Dimensionen geerbt.

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    Kommentar: Das gilt in erster Linie fr Tiere mit geringer Fortpflanzungsrate, zu denenauch der Mensch gehrt.

    4. Was die Wahrnehmung erstrebt, ist nicht bloe Konstruktion, sondern eine hochgradigam Ausgangsmaterial namens Welt orientierte Rekonstruktion.

    5. Die Wahrnehmung ist nicht allein biologisch determiniert. Die kognitive Landkarteim Kopf mag zwar allgemein sein aber womit diese im Detail ausgefllt wird, ist vonIndividuum zu Individuum ganz verschieden. Jeder hat seine eigene Wirklichkeit, diesich von der aller anderen Menschen unterscheidet.

    6. Die Eindrcke, die Sehen, Hren, Riechen, Fhlen und Schmecken vermitteln, dieBeobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen, die wir machen, konstruieren berhaupterst das Gehirn: Bei der Geburt sind die neuronalen Strukturen , mit denen wir spterdie Welt erfassen und rekonstruieren, noch nicht ausgebildet; verschaltet werden sieerst im Umgang mit Menschen und der Umgebung.Kommentar: Das Wahrnehmen von mechanischen Reizen, also das Fhlen, beginnt

    schon lange vor der Geburt. So wird der Saugreflex, der ja nach der Geburt sofortfunktionieren muss, schon im 5. Schwangerschaftsmonat ausgelst, wenn der Ftus mitdem Daumen die Lippen berhrt. Das Daumenlutschen beginnt bereits im Mutterleib(vgl. Nilsson 1967, 92)

    7. Menschen unterschiedlicher Kulturen erlernen unterschiedliche kulturelleWahrnehungsmuster.

    8. Evolutionr liegt die Funktion des Sehens nicht allein darin, dem Betrachter dieKonturen und Farben einer Szene zu zeigen. Die Wahrnehmung muss die sinnlicherfassten Informationen unmittelbar mit Bedeutungen belegen knnen, ob da z.B.Gefahr droht.

    Kommentar: Im Verlaufe der Evolution verlagert sich dieses Erkennen von Bedeutungvom angeborenen Erkennen (das bei wirbellosen Tieren, Fischen, Amphibien undReptilien dominiert) in zunehmendem Mae zum erlernten Erkennen (das bei Vgelnund Sugetieren dominiert und beim Menschen am strksten ausgeprgt ist).

    9. Es stimmt einfach nicht, da es da drauen nur Schall- und Lichtwellen undunterschiedlich bewegte Molekle gibt. Was es da drauen vor allem gibt, das sindandere Menschen. Menschen, die einzigartig sind, die uns irritieren, in die wir unshineinversetzen knnen; von denen wir uns abgrenzen oder mit denen wir unsanfreunden. Die Wahrnehmung weist uns dazu den Weg. (Fischer 1997, 25)

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    Prof. Dr. Roland Hedewig, Am Krmmershof 91, 34132 Kassel, [email protected]

    Impressum

    Die KORONA wird herausgegeben vom Astronomischen Arbeitskreis Kassel e.V. (AAK)und kostenlos an die Mitglieder und befreundete Vereine im Austausch mit derenMitteilungen verteilt.

    Redaktion: alle AutorenZusammenstellung: C. HendrichDruck: Druckerei Ausdruck Heppner und Ziegler GbR, Kassel

    Auflage: 300Redaktionsschlu dieser Ausgabe: 16.08.2003Redaktionsschlu der kommenden Ausgabe: 19.12.2003

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  • 8/8/2019 Korona 93

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    38 KORONA Nr. 93

    Antwort zur Gegendarstellung von K. P. Haupt in Nr. 92

    Gnter Dinglinger

    Sehr geehrter Herr Haupt, ich habe mich gefreut, da Sie sich die Mhe gemacht haben,meinen Beitrag in Korona 91 kritisch durchzulesen und entsprechend zu kommentieren.Allerdings htte ich mir an manchen Stellen gewnscht, da das etwas weniger unwirschgeschehen wre. Prinzipiell bin ich aber froh, da berhaupt eine Reaktion zu einem meinerAufstze in Korona erfolgte. Es ist immer etwas schwierig mit seinen Gedanken imeigenen Saft zu schmoren, ohne da Anregungen von auen kommen. Ich gebe zu, denArtikel etwas provokant geschrieben zu haben, um Reaktionen herauszufordern. Aber Siedrfen mir glauben, da es mir fern lag, irgendwen zu verletzen.Zu Ihren Kritikpunkten mchte ich mich aber doch uern und nehme dabei Bezug auf die

    am Schlu aufgefhrte, bisher unwidersprochene, Literatur: Zitat: Urknall. Annahme, da das Universum vor ca 1 (bis) 2*1010 Jahren aus einemPunkt (Singularitt) extrem hoher Energiedichte entstanden ist. Es breitet sich rasch ausund khlt dabei ab1

    Verfolgt man die Zeit rckwrts, betrachtet man also immer frhere Zustnde desWeltalls, so schrumpfen alle Entfernungen. Man erreicht schlielich einen Zeitpunkt, zudem alle Entfernungen beliebig klein, die Stoffdichte wie auch die Energiedichte unddamit alle Temperatur im Weltall beliebig gro waren. Dies gilt auch fr dieExpansionsgeschwindigkeit, die im Grenzfall jeden beliebig vorgegebenen Wertbersteigt, auch den Zahlenwert, der der Lichtgeschwindigkeit entspricht. DerGrenzfall verschwindend kleiner Entfernungen im Weltall ist insgesamt mit einemphysikalisch singulren Zustand verknpft, der physikalisch nicht beschreibbar ist, da sichalle physikalischen Gesetze immer nur auf endliche Megren beziehen. Die kosmischeSingularitt bezeichnet man anschaulich als Urknall, da die Expansion explosionsartigmit extrem hoher Geschwindigkeit erfolgte.2

    Die Urknalltheorie ist im brigen auch eine Theorie, die noch nicht einmal durchBeobachtungen erhrtet werden kann, wie in den angegebenen Literaturstellen auchzugegeben wird. Das Fehlen einer Mitte des Weltalls (Ballon-Beispiel) sagt aber nichtsgegenteiliges zum ersten Zitat aus (s.o).

    Ich gebe zu, da mir im Eifer des Gefechts einmal unterlaufen ist, statt Zentrifugal-Zentripetalbeschleunigung geschri