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Langfristig erzielbare Leistungen aus der Lebensversicherung in einzelwirtschaftlicher Betrachtung* Von Axel Holzwarth, Köln 1. Die Lebensversicherung als Alterssicherungssystem Betrachtet man die Lebensversicherung aus der Sicht des „Einzelnen ", so ist festzustellen: In den letzten Jahren und Jahrzehnten wird die deutsche Lebensversicherung immer deutlicher im Zusammenhang mit der Alters- sicherung insgesamt gesehen, und dies gilt nicht nur für das Bewußtsein des einzelnen Bürgers, sondern drückt sich auch sehr prägnant, durch statisti- sche Aussagen untermauert, in der Realität unseres Staates und unserer Gesellschaft aus. Daher möchte ich die Lebensversicherung als Bestandteil eines gegliederten Gesamtsystems der Alters-, Invaliditäts- und Hinterblie- benenvorsorge darstellen. Dieses gegliederte Gesamtsystem beinhaltet als Regelsicherungen die gesetzliche Rentenversicherung oder andere Systeme wie etwa die Beamtenversorgung und berufsständische Versorgungseinrich- tungen. Für den Arbeitnehmer werden sie unter Umständen ergänzt durch Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung bzw. aus der Zusatzver- sorgung im öffentlichen Dienst. Zur notwendigen individuellen Abrundung der aus den beiden anderen Systemen zu erwartenden Leistungen und damit zur Verwirklichung eines darüber hinausgehenden Versorgungsziels des Einzelnen dient die Lebensversicherung. Für Selbständige und Freiberufler ist sie sogar oft das einzige umfassende Versorgungssystem. In diesen einleitenden Bemerkungen habe ich die Lebensversicherung als ein Alterssicherungssystem betrachtet und bin zunächst einmal nachweis- pflichtig, warum ich das darf. Es gilt demnach, Merkmale der Lebensversi- cherung herauszuarbeiten, die diese zu einem Alterssicherungssystem quali- fizieren. Vier Merkmale sollen dies nachweisen: — Die Lebensversicherung bietet umfassenden Versicherungsschutz. — Die Leistungsaussagen der Lebensversicherung sind zuverlässig. — Die Lebensversicherung ist ein dynamisches System. — Die Lebensversicherung ist weithin akzeptiert. * Vortrag, gehalten vor dem Deutschen Verein für Versicherungswissenschaft im Rahmen einer Veranstaltung unter dem Gesamtthema „Die Zukunft der Alterssiche- rung in der Gesamtwirtschaft" am 6. November 1989 in Bonn. Die Vortragsform ist beibehalten.

Langfristig erzielbare Leistungen aus der Lebensversicherung in einzelwirtschaftlicher Betrachtung

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Langfristig erzielbare Leistungen aus derLebensversicherung in einzelwirtschaftlicher Betrachtung*

Von Axel Holzwarth, Köln

1. Die Lebensversicherung als Alterssicherungssystem

Betrachtet man die Lebensversicherung aus der Sicht des „Einzelnen", soist festzustellen: In den letzten Jahren und Jahrzehnten wird die deutscheLebensversicherung immer deutlicher im Zusammenhang mit der Alters-sicherung insgesamt gesehen, und dies gilt nicht nur für das Bewußtsein deseinzelnen Bürgers, sondern drückt sich auch sehr prägnant, durch statisti-sche Aussagen untermauert, in der Realität unseres Staates und unsererGesellschaft aus. Daher möchte ich die Lebensversicherung als Bestandteileines gegliederten Gesamtsystems der Alters-, Invaliditäts- und Hinterblie-benenvorsorge darstellen. Dieses gegliederte Gesamtsystem beinhaltet alsRegelsicherungen die gesetzliche Rentenversicherung oder andere Systemewie etwa die Beamtenversorgung und berufsständische Versorgungseinrich-tungen. Für den Arbeitnehmer werden sie unter Umständen ergänzt durchLeistungen aus der betrieblichen Altersversorgung bzw. aus der Zusatzver-sorgung im öffentlichen Dienst. Zur notwendigen individuellen Abrundungder aus den beiden anderen Systemen zu erwartenden Leistungen und damitzur Verwirklichung eines darüber hinausgehenden Versorgungsziels desEinzelnen dient die Lebensversicherung. Für Selbständige und Freiberuflerist sie sogar oft das einzige umfassende Versorgungssystem.

In diesen einleitenden Bemerkungen habe ich die Lebensversicherung alsein Alterssicherungssystem betrachtet und bin zunächst einmal nachweis-pflichtig, warum ich das darf. Es gilt demnach, Merkmale der Lebensversi-cherung herauszuarbeiten, die diese zu einem Alterssicherungssystem quali-fizieren. Vier Merkmale sollen dies nachweisen:

— Die Lebensversicherung bietet umfassenden Versicherungsschutz.

— Die Leistungsaussagen der Lebensversicherung sind zuverlässig.

— Die Lebensversicherung ist ein dynamisches System.

— Die Lebensversicherung ist weithin akzeptiert.

* Vortrag, gehalten vor dem Deutschen Verein für Versicherungswissenschaft imRahmen einer Veranstaltung unter dem Gesamtthema „Die Zukunft der Alterssiche-rung in der Gesamtwirtschaft" am 6. November 1989 in Bonn. Die Vortragsform istbeibehalten.

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a) Die Lebensversicherung bietet umfassenden Versicherungsschutz

Die Lebensversicherung bietet Versicherungsschutz für die Fälle desAlters, der Berufsunfähigkeit und des Todes. Darüber hinaus werden auchandere Risiken von den Lebensversicherungsunternehmen übernommen.Ich nenne hier nur beispielhaft das Risiko des Pflegefalles in der Pflegeren-tenversicherung. Diese zusätzlichen Risiken möchte ich hier nicht näherbetrachten, sondern mich auf die drei genannten Risiken beschränken: dieLanglebigkeit, die Berufsunfähigkeit und den Tod. Jeden dieser Versiche-rungsfälle kann die Lebensversicherung einzeln versichern: Wer nur für daseigene Alter vorsorgen muß, kann die reine Leibrente wählen. Wer nur fürden Todesfall, d. h. für Hinterbliebene vorsorgen muß, kann die reine Risiko

-versicherung wählen. Und wer schließlich nur die Berufsunfähigkeit alsVorsorgefall absichern will, kann sich der selbständigen Berufsunfähig

-keitsversicherung bedienen.

Im allgemeinen wird sich jedoch der Bedarf auf mehrere oder alle dergenannten Vorsorgefälle erstrecken. Die Lebensversicherung kann dannErleben, Berufsunfähigkeit oder Tod entweder in getrennten Verträgennebeneinander oder auch in einem einzigen Vertrag versichern. Sie bietetdadurch in jedem Fall umfassende Vorsorge, wie sie von anderen Alters-sicherungssystemen der 1. und 2. Säule bekannt ist. Im Bereich privaterEigeninitiative ist die Lebensversicherung allerdings das einzige System,das diesen umfassenden Schutz bietet.

Neben der umfassenden Vorsorge für das Alter, die Berufsunfähigkeit unddie Hinterbliebenenversorgung sehe ich in der hohen Flexibilität bei derVertragsgestaltung ein wesentliches Qualitätsmerkmal der Lebensversiche-rung gerade im Hinblick auf ihre Funktion als ergänzendes Alterssiche-rungssystem. Das Kriterium der Flexibilität bezieht sich sehr wesentlichauch auf die Möglichkeit der Wahl zwischen einer Kapital- und einer Ren

-tenleistung. Wenn zum Beispiel für die Alters- und Hinterbliebenenvorsorgeeine gemischte Kapitalversicherung abgeschlossen worden ist, dann hat derKunde im Erlebensfall bis zur Fälligkeit der Kapitalleistung — im allgemei-nen im Alter 60 bis 65 — oder auch darüber hinaus die Möglichkeit, dieseganz oder teilweise in eine Leibrente umzuwandeln. Diese Wahlmöglichkeitist sinnvoll, weil beim Abschluß eines Lebensversicherungsvertrages in jun-gen Jahren noch kaum erkennbar ist, ob der Versorgungsbedarf im Ruhe-stand zusätzlich zu den Renten aus anderen Systemen besser mit einerKapitalleistung, mit einer Rente oder einer Kombination von beidem zubefriedigen ist. Dabei ist auch an die Einbeziehung einer privaten Pflege-rentenversicherung in diese Überlegungen zu denken, weil die Absicherungdes Pflegefallrisikos bei steigender Lebenserwartung und abnehmenderPflegemöglichkeit in der Familie immer bedeutsamer wird.

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b) Die Leistungsaussagen der Lebensversicherung sind zuverlässig

Die Alterssicherung ist ein langfristiger Vorgang. Sie begleitet in derAnwartschaftsphase ein ganzes Berufsleben und in der Leistungsphase einganzes Ruhestandsleben. Alterssicherung reicht also im Normalfall weit indie Zukunft. Deshalb muß es das Anliegen eines jeden Alterssicherungssy-

stems sein, die Unsicherheiten, die die Zukunft grundsätzlich birgt, soweitwie möglich einzugrenzen und zu möglichst zuverlässigen langfristigen Lei-stungsaussagen zu kommen.

Bei der Lebensversicherung sorgt ein Ordnungsrahmen aus Gesetzen undstaatlicher Aufsicht für eine relativ große Zuverlässigkeit langfristiger Lei-stungsaussagen. Dieser Ordnungsrahmen besteht in seinen Grundzügen seitnunmehr 90 Jahren unverändert'. Er hat sich in dieser langen Zeit bewährtund der Bürger vertraut heute in hohem Maße auf seine Funktionsfähigkeit.Ergänzt wird dieser Ordnungsrahmen durch zwei aus der Mitte des vorigenJahrhunderts stammende Grundsätze: Vorsichtige Kalkulationsgrundlagenfür die Tarife und Sicherheit bei den Kapitalanlagen.

Der Grundsatz vorsichtiger Kalkulationsgrundlagen bedeutet, daß für dieBerechnung von Beiträgen, Rückstellungen und Leistungen bestimmte vor-sichtige Annahmen über Sterblichkeit, Zins und Kosten zwingend sind.Hieraus ergibt sich, daß im Versicherungsvertrag nur eine Mindestleistungversprochen wird, die allerdings mit einer immanenten Erfüllungsgarantieversehen ist. Die Aussage der Lebensversicherung über diese Mindestlei-stung ist auch langfristig in einem hohen Maße zuverlässig.

Die Leistung der Lebensversicherung umfaßt jedoch nicht nur diesegarantierte Mindestleistung, sondern darüber hinaus die zugunsten derKunden erwirtschafteten Überschüsse. Diese Überschußbeteiligung kann —bei langlaufenden Verträgen — mehr als die Hälfte der Gesamtleistung aus-machen. Auch auf diese Mehrleistung erstrecken sich die Leistungsaussagender Lebensversicherer und damit die Frage nach der Zuverlässigkeit ihrerLeistungsaussagen.

Die jährlichen Überschüsse der Lebensversicherungsunternehmen erge-ben sich vor allem aus der Differenz zwischen dem kalkulierten Zins unddem am Kapitalmarkt tatsächlich erzielbaren Zins3 . Die Zuverlässigkeit derlangfristigen Leistungsaussage der Lebensversicherung hängt somit auchvon der Stabilität dieses sogenannten Überzinses ab. Der Grundsatz der

1 Privatversicherungsgesetz für das Deutsche Reich (Versicherungsaufsichtsge-setz), 12. Mai 1901, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig.

2 A. Zillmer: Die mathematischen Rechnungen bei Lebens- und Rentenversiche-rungen; Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin, 1861.

3 Kennzahlen der Lebensversicherung; Verband der Lebensversicherungs-Unter-nehmen e. V., Bonn, 01.06.1989.

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Sicherheit bei der Kapitalanlage, der sich in mehreren Fakten nieder-schlägt, bewirkt, daß diese Stabilität tatsächlich weitgehend gegeben ist.

Da sind zunächst die gesetzlichen Vorgaben, nämlich die Anlagegrund-sätze und ein fest umschriebener Anlagenkatalog4 . Sie sorgen dafür, daßspekulative Kapitalanlagen ganz vermieden und Anlagemöglichkeiten, dieerfahrungsgemäß starken Wertschwankungen ausgesetzt sind, eng begrenztwerden. Besonders deutlich wird dies bei den besonderen Anlagevorschrif-ten für den Deckungsstock, über deren Einhaltung auch ein unabhängigerTreuhänder wacht. Der Deckungsstock umfaßt diejenigen Vermögenswerte,auf die die Kunden insgesamt bereits einen direkten Anspruch erworbenhaben, also den wesentlichen Teil der Kapitalanlagen. Beispielsweise sindbei meinem Unternehmen fast 90 % der Anlagen für Bestände des Deckungs-stocks reserviert. Die Kapitalanlagestruktur bei den deutschen Lebensversi-cherern wird durch diese Vorschriften an die versorgungsorientierten Versi-cherungsprodukte angepaßt und unterstreicht somit die Qualifikation derLebensversicherung als Alterssicherungssystem.

Hinzu kommt das bevorzugte Anlageverhalten der Lebensversicherer, dieim Einklang mit der Langfristigkeit der Alterssicherung möglichst langfri-stige Anlagen bevorzugen.

Aus all dem ergibt sich, daß die laufende Verzinsung der Kapitalanlagender Lebensversicherungsunternehmen den üblichen Kapitalmarktschwan

-kungen nur mit Verzögerung und in sehr abgeschwächter Form folgt undinfolgedessen außerordentlich stabil ist. So hat sich die laufende Bruttover-zinsung der Kapitalanlagen seit 1975 eng um 8 Prozent bewegt, während indem gleichen Zeitraum z. B. die Umlaufrendite festverzinslicher Wertpa-piere zwischen 10,6 Prozent und 5,8 Prozent, der Habenzins für Spareinla-gen mit mindestens vierjähriger Kündigungsfrist (der „Sparplanzins") zwi-schen knapp 8 Prozent und knapp 4 Prozent schwankte (Abb. 1)5, 6 •

Oft wird in diesem Zusammenhang auf mögliche Unsicherheiten dergesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten hin-gewiesen, die durchaus zu einer langfristigen und nachhaltigen Verände-rung des Kapitalmarktzinsniveaus führen könnten. Dieses Argument wirdzuweilen mit der absehbaren demographischen Entwicklung verknüpft (vgl.R. Schwebler in diesem Heft). Ich will darauf nicht weiter eingehen und nuranmerken, daß meines Wissens das Bestehen einer Korrelation zwischenabnehmender Bevölkerung und sinkendem Kapitalmarktzins nicht zurherrschenden Lehre der Nationalökonomie geworden ist.

4 Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG), §§ 54ff.5 Kennzahlen der Lebensversicherung; Verband der Lebensversicherungs-Unter-

nehmen e. V., Bonn, 01.06. 1989.6 Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Tab. VI.6., H. 12/1982, H. 1/1988,

H.7/1989.

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Abb. 1:Zinsentwicklung

12

10

8

6

4

2

01975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988

—6 Bruttoverz. Kapitalanlagen LV 0 Zins auf Spareinlagen (4 Jahre)

1 Umlaufrendite festverzinsliche Wertpapiere

Im Fazit gehe ich folglich davon aus, daß die langfristigen Leistungsaus-sagen der Lebensversicherung mit einem hohen Grad an Zuverlässigkeit aus-gestattet sind und auch dadurch die Lebensversicherung als Alterssiche-rungssystem qualifiziert ist.

c) Die Lebensversicherung ist ein dynamisches System

Die Lebensversicherung ist, wie seit langem für Alterssicherungssystemeüblich, ein dynamisches System. Ihre Dynamik hat einen „inneren Aspekt ",den der Versicherungsnehmer nicht direkt beeinflussen kann, und einen„äußeren Aspekt", der auf die individuellen Lebensphasen des Kundenabgestimmt ist.

Der „innere Aspekt" drückt sich im Rechnungszins und der Überschußbe-teiligung aus. Durch letztere wird der Leistungsanspruch des Bezugsberech-tigten jährlich laufend erhöht. Dies gilt nicht nur während der Anwart-schaftsphase, sondern bei einer Rente auch während der Leistungsphase.Im Gegensatz zur lohnabhängigen Dynamik staatlicher Alterssicherungs-systeme und der vom Lebenshaltungskostenindex abhängigen Dynamiklaufender Betriebsrenten handelt es sich bei der Lebensversicherung imwesentlichen um eine Zinsdynamik. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehntezeigen, daß diese Zinsdynamik langfristig einer Lohndynamik zumindest

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gleichwertig ist. Im Durchschnitt der letzten 30 Jahre lag die Verzinsungsogar um ca. 1% jährlich über der Lohnsteigerungsrate.

Der „äußere Aspekt" der Dynamik bezieht sich bei der Lebensversiche-rung auf die dynamische Gestaltung des Beitrags und dementsprechendauch der Leistung. Hierbei sind sehr unterschiedliche Gestaltungsformenmöglich. Zwei weitverbreitete möchte ich beispielhaft erwähnen: So kannder Lebensversicherungsbeitrag jährlich um einen bestimmten festen Pro-zentsatz steigen, andererseits kann der Beitrag auch entsprechend der Ent-wicklung des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung fortge-schrieben werden.

In jedem Fall erreicht es der Kunde, seine Lebensversicherung, also seineprivate Altersvorsorge, an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu kop-peln, und zwar abgestimmt auf seine sich ändernden individuellen Bedürf-nisse.

Die beiden genannten Aspekte der Dynamik bei Lebensversicherungenhängen von unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen ab. Für dieEntwicklung der äußeren Dynamik ist lediglich eine entsprechende konti-nuierliche Steigerung des individuellen Einkommens notwendig, die nichtdirekt von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abhängt. Dieinnere Dynamik hingegen soll sicherstellen, daß der Wert einer Lebensversi-cherung am Ende zumindest der Kaufkraft der gezahlten Beiträge ent-spricht. Daher hat die Stabilität des Geldwertes große Bedeutung für dieLebensversicherungswirtschaft. Für sie sind plötzliche Inflationsschübenachteilig, denen der Kapitalmarktzins nicht oder nur mit großer Verzöge

-rung folgt. Deshalb unterstützen die Lebensversicherer die Bemühungen derBundesbank zur Bekämpfung der wieder aufgekeimten Inflationsgefahrsehr nachdrücklich.

Betrachten wir nun den Aspekt Kaufkrafterhaltung durch die „innereDynamik" der Lebensversicherung an einem konkreten Beispiel der Ver-gangenheit. Wir stellen fest, daß die innere Dynamik ihrer Funktion zurErhaltung der Kaufkraft der Leistung aus der Lebensversicherung vollgerecht wird. In der Vergangenheit hat sie die Geldentwertung sogar weitüberkompensiert:

Versicherungsabschluß: 01.12.1962Beitrittsalter: 30 JahreVersicherungsdauer: 30 JahreMonatsbeitrag: 121,60 DMVersicherungssumme: 50 000 DMAblaufleistung aus derLebensversicherung am 01.12.1992: 112 632 DMNotwendige Leistung zur Kompensation der tat-sächlichen jährlichen Inflationsraten von 1962 bis 1992 7 : 95 056 DM

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d) Die Lebensversicherung ist weithin akzeptiert

Zu einem Alterssicherungssystem, das weder auf gesetzlicher Mitglied-schaft noch auf Gewährung z. B. durch den Arbeitgeber beruht, gehört einebreite freiwillige Inanspruchnahme und Akzeptanz. Beides ist bei derLebensversicherung gegeben.

So zeigt uns zum Beispiel die amtliche Statistik im Rahmen der Einkom-mens- und Verbrauchsstichprobe 8 , daß die Lebensversicherung in allensozialen Schichten weit verbreitet ist. Aus verständlichen Gründen ist derAnteil der Haushalte mit Lebensversicherungen bei den Selbständigen mit84 Prozent am größten. Doch auch in 81 Prozent der Arbeiterhaushalte, 77Prozent der Beamtenhaushalte und 75 Prozent der Angestelltenhaushaltesind Lebensversicherungen vorhanden. Diese Zahlen beziehen sich auf dasJahr 1983. Neuere Daten sind zum Jahresende 1988 erhoben worden. Ichvermute allerdings, daß sie keine wesentlich anderen Strukturen ausweisenwerden.

Hinzu kommt, daß die Lebensversicherung gerade als Alterssicherungs-system weithin akzeptiert ist und sich steigender Beliebtheit erfreut. EineRepräsentativumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach 9 , die imSommer 1988 durchgeführt wurde, macht dies deutlich. Danach rangiert dieLebensversicherung als „die beste Alterssicherung" bereits an zweiter Stellehinter den staatlichen Sicherungssystemen (gesetzliche Rentenversicherungund Beamtenversorgung). Hierin ist der fortschreitende Prozeß der Aufwer-tung der Lebensversicherung gegenüber den anderen Formen der Altersver-sorgung zu erkennen.

Aus derselben Befragung ergibt sich, daß von einer Vielzahl möglicherAbschlußmotive die Motive „Rücklage fürs Alter" und „Familie absichern ",also die Alters- und Hinterbliebenenvorsorge, in fast neun von zehn Fällenausschlaggebend oder doch wichtig war.

Die hohe Einschätzung der privaten Vorsorge in allen Schichten derBevölkerung kommt auch im Beitragsaufwand für die Lebensversicherungzum Ausdruck. So hat die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Sta-tistischen Bundesamtes bereits für 1983 ergeben, daß die 81% der Arbeiter-haushalte, die Lebensversicherungsverträge besaßen, hierfür durchschnitt-lich rund 100 DM monatlich aufwandten. Bei den Haushalten von Ange-stellten waren es sogar 141 DM. Die im Jahre 1988 durchgeführte Einkom-

7 Dabei wurden die Inflationsraten für 1989 bis 1992 angenommen mit 3,5 %, 3%,3% und 3%.

8 Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1983; in „Wirtschaft und Statistik" 11/1985.

9 Lebensversicherung als Säule der Altersvorsorge; Institut für DemoskopieAllensbach, 1988.

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mens- und Verbrauchsstichprobe dürfte voraussichtlich noch höhere Bei-träge der Arbeitnehmerhaushalte zur Lebensversicherung ausweisen.

Daß noch finanzieller Spielraum für zusätzliche private Alters- und Hin-terbliebenenvorsorge besteht, wird aus den laufenden Wirtschaftsrechnun-

gen des Statistischen Bundesamtes für ausgewählte private Haushalte deut-lich. Danach hatten Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalte mit einem Ver-diener und mittlerem Einkommen im Jahre 1988 eine monatliche Nettoer-sparnis von 429 DM. Das waren gut 10% des ausgabenfähigen Haushalts-einkommens. Angesichts der hohen Priorität der Alters- und Hinterbliebe-nenvorsorge erscheint es plausibel, daß ein erheblicher Teil dieser Ersparnisfür die freiwillige Alters- und Hinterbliebenenvorsorge aufgewendet wird.

Welche Bedeutung die Lebensversicherung inzwischen erlangt hat, ergibtsich auch aus den Auszahlungen an Versicherte und Hinterbliebene: 1988betrugen diese Auszahlungen incl. der vorzeitigen Leistungen fast 28 Mil-liarden DM. Sie machten damit rund 17,4 % der Rentenausgaben der Arbei-terrenten- und Angestelltenversicherung aus. Fachleute sprechen davon,daß im Jahr 1990 die Auszahlungen der Lebensversicherung fast 1/s derRentenausgaben erreichen werden, bis Mitte der 90er Jahre sogar mehrals 1/410, 11.

Demzufolge brauche ich also nicht zu zögern, die Lebensversicherungauch unter dem Aspekt ihrer Verbreitung in der Bevölkerung, und zwar inallen Schichten der Bevölkerung, sowie ihrer breiten Akzeptanz bei derAlters- und Hinterbliebenenvorsorge als Alterssicherungssystem zu be-trachten.

2. Die Lebensversicherung als komplementäres Alterssicherungssystem

Nachdem ich nunmehr anhand der vier Merkmale eines Alterssicherungs-systems — umfassender Versicherungsschutz, Zuverlässigkeit, Dynamik undAkzeptanz — die deutsche Lebensversicherung als solches ausgewiesen habe,möchte ich mich im folgenden mit einigen speziellen Funktionen der Lebens

-versicherung im gesamten Alterssicherungssystem der Bundesrepublik aus-einandersetzen. Damit soll auch aufgezeigt werden, wie anpassungsfähigdas Produkt Lebensversicherung bei unterschiedlichen Kundenwünschen ist.

Die Lebensversicherung ist in der Lage, bei der sozialen Sicherung vieleunterschiedliche Funktionen zu übernehmen. Bis zur Öffnung der gesetzli-chen Rentenversicherung für jedermann im Jahre 1972 hatte sie eine recht-lich begründete Alleinstellung bei allen Personen, die einem anderen Siche-

10 Die deutsche Lebensversicherung, Jahrbuch 1989; Pressestelle des Verbandesder Lebensversicherungs-Unternehmen e. V., Bonn, 1989.

11 Arno Surminski: Altersvorsorge in der Zukunft: ZfV 15 - 16/1989.

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rungssystem nicht angehören konnten. Seitdem kann sie diese Stellung nurnoch durch persönliche Entscheidung derjenigen Personen erlangen, diekeiner Versicherungspflicht in einem anderen Sicherungssystem unterlie-gen.

Eine besondere Funktion übernimmt die Lebensversicherung als soge-nannte Befreiungsversicherung, wenn ihr Besitz den Versicherten von derVersicherungspflicht in einem anderen Sicherungssystem befreit. DieseMöglichkeit bot die gesetzliche Rentenversicherung im Jahre 1938 bei Ein-führung der Pflichtversicherung der Handwerker, in den Jahren 1957, 1965und 1967/68 den Angestellten, die durch Erhöhung bzw. Aufhebung derVersicherungspflichtgrenze neu in die Versicherungspflicht einbezogenwerden sollten, und 1981 bei der Einführung der Künstlersozialversiche-rung. Entsprechende Befreiungsmöglichkeiten bieten regelmäßig auchberufsständische Versorgungswerke bei ihrer Neueinrichtung.

Die frühere Bedeutung dieser Befreiungsmöglichkeiten durch die Lebens-versicherung kommt darin zum Ausdruck, daß sich in den Jahren 1957 bis

1968 immer größere Anteile, zuletzt fast die Hälfte der in Frage kommendenAngestellten, für die private Vorsorge entschieden haben. In der Einräu-mung der Befreiungsmöglichkeiten kann unschwer eine Anerkennung derLebensversicherung als Alterssicherungssystem durch den Gesetzgebergesehen werden.

Hauptsächlich dient die Lebensversicherung heute zur Ergänzung und alsMedium anderer Versorgungseinrichtungen 12, 13 . Medium ist sie vor allemfür die betriebliche Altersversorgung, und zwar in dreifacher Weise:

(1) Als Direktversicherung ist sie einer der klassischen Durchführungswegedieses Sicherungssystems und hat als solcher in das Gesetz zur Verbes-serung der betrieblichen Altersversorgung aus 1974 Eingang gefunden.Gerade die Direktversicherung hat seit dieser Zeit eine beachtliche Ent-wicklung genommen und dies trotz einer insgesamt stagnierendenbetrieblichen Altersversorgung: Von Ende 1974 bis Ende 1988 hat sichdie Anzahl der so durch ihren Betrieb versicherten Arbeitnehmer ver-dreifacht, nämlich von gut 1 Million auf mehr als 3 Millionen. Der Versi-cherungsschutz weist sogar den gut siebenfachen Wert auf, er hat sich indiesem Zeitraum von 14 Milliarden DM auf 104 Milliarden DM erhöht.

(2) Als Rückdeckungsversicherung für Pensionszusagen und Unterstüt-zungskassen nimmt die Lebensversicherung dem Arbeitgeber Versor-gungsrisiken ab. Sie steht auch zur Verfügung für die Aufnahme vonDeckungsmitteln, die aus dem Betrieb ausgegliedert werden sollen.

12 Axel Holzwarth: Aufgaben und Möglichkeiten der Lebensversicherung; GVG,Band 17.

13 Verteilung der Lasten einer ausreichenden künftigen Gesamtversorgung auf diedrei Säulen; GVG, Heft 15.

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(3) Eine besondere Funktion nimmt die Lebensversicherung im Rahmen derInsolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung wahr, indem siedie vom Pensions-Sicherungs-Verein übernommenen Betriebsrentenzahlungsunfähiger Arbeitgeber versichert und abwickelt.

Soweit die betriebliche Altersversorgung Leistungen der gesetzlichenRentenversicherung ergänzt, ist die Lebensversicherung schon in ihrerFunktion als betriebliche Versorgungseinrichtung ein Komplement derstaatlichen Alterssicherung.

Der weitaus größte Teil aller Lebensversicherungsverträge dient derunmittelbaren Ergänzung anderer Versorgungseinrichtungen. Entspre-chend der Struktur der Bevölkerung und der Verbreitung der einzelnenAlterssicherungssysteme trifft die Lebensversicherung dabei am häufigstenmit der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersver-sorgung zusammen. Das hierauf bezogene Bild von den „drei Säulen derVorsorge" wird allerdings der vollen Bedeutung der Lebensversicherungnicht gerecht. Es umfaßt z. B. nicht deren Rolle bei der sozialen Sicherungdes Beamten und des Selbständigen, und zwar unabhängig davon, ob letzte-rer einem eigenen Versorgungswerk angehört oder nicht. Auch der pflicht-versicherte Arbeitnehmer, dem betriebliche Versorgungsleistungen nichtzugesagt worden sind, wird sich zwar der Lebensversicherung als Vorsorge

-einrichtung bedienen, diese aber kaum als eine „dritte Säule" seiner sozia-len Sicherung empfinden.

Die Wertigkeit der Lebensversicherung kann, das möchte ich damit sagen,in einer Art Hierarchie für verschiedene Personenkreise dargestellt werden.Während der Selbständige, der sich für die Lebensversicherung als alleinigeAlterssicherung entschieden hat, diese als erste und einzige Säule seinesAlterssicherungssystems sieht, ist sie dagegen für den Arbeitnehmer einesGroßunternehmens sicherlich die dritte Säule neben gesetzlicher Renten

-versicherung und betrieblicher Altersversorgung.

In jedem Fall ist es gerechtfertigt, die Lebensversicherung als Bestandteileines gegliederten Gesamtsystems der Alters-, Invaliditäts- und Hinterblie-benenvorsorge zu betrachten. In diesem Gesamtsystem gibt es Interaktionenzwischen den einzelnen Teilen, wie sich an verschiedenen Beispielen zeigenläßt:

(1) Parallelentwicklung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversi-cherung und der Lebensversicherung.

Die Herabsetzung der tatsächlichen Altersgrenzen in der gesetzlichenRentenversicherung durch die Möglichkeit des Bezugs von vorgezogenenoder flexiblen Altersrenten hat dazu geführt, daß auch in der Lebensver-sicherung eine deutliche Verschiebung des vereinbarten Endalters zuverzeichnen ist. Während früher die Altersversorgung (Ablaufzeitpunkt)

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meistens auf Endalter 65 abgestellt wurde, zeigt sich in den letzten Jah-ren mehr der Trend in Richtung Endalter 60.

(2) Einführung einer flexiblen Altersgrenze in der Lebensversicherung imGefolge der entsprechenden Rechtsänderung in der gesetzlichen Renten-versicherung.

Hiermit wird den Versicherten, die sich früher z. B. für das Endalter 65entschieden hatten, die Vertragsbeendigung ab Alter 60 ohne die beieinem normalen Rückkauf auftretenden Nachteile ermöglicht.

(3) In der Berufsunfähigkeitsversicherung Einschränkung des gesetzlichenSchutzes verbunden mit Ausweitung des privaten Schutzes.

Durch die Erschwerung bzw. Verhinderung des Bezugs von Berufs- undErwerbsunfähigkeitsrenten in der gesetzlichen Rentenversicherung fürnicht der Pflichtversicherung unterliegenden Personen ab 1984 ist fürdie betroffenen Gruppen die Lebensversicherung die einzige Alternative.Dies zeigt sich vor allem in dem merklich gestiegenen Bestand anBerufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen in den letzten fünf Jahren.

(4) Einführung einer Ablaufphase im Hinblick auf höhere gesetzlicheAltersgrenzen.

Mit einer fünfjährigen Ablaufphase ermöglicht die Lebensversicherungeine flexible Reaktion auf die im Zuge der Rentenreform vorgesehenenhöheren Altersgrenzen bzw. auf die Abschläge beim vorgezogenenAltersrentenbeginn nach den persönlichen Vorstellungen des Kunden.

3. Modellrechnungen

Im gegliederten Gesamtsystem der Alterssicherung gibt es gewiß typischeVersorgungssituationen. Doch sind allzu pauschale Vorstellungen über dasZusammenwirken der einzelnen Säulen in diesem Gesamtsystem in der ein-zelwirtschaftlichen Betrachtung wenig hilfreich. In mehr als vier Jahrzehn-ten seit der Wirtschafts- und Währungsreform von 1948 und mehr als dreiJahrzehnten seit der grundlegenden Rentenreform von 1957 haben sich dieEinkommens- und Vermögensverhältnisse der privaten Haushalte zu sehrverändert und möglicherweise auch differenziert, um durch hergebrachtepauschale Vorstellungen noch zutreffend erfaßt werden zu können.

Deshalb werden den folgenden Modellrechnungen über Beiträge und Lei-stungen der Lebensversicherung als Alterssicherungssystem keine Vorgabenüber die Aufteilung einer Gesamtversorgung auf die verschiedenen Säulendes Gesamtsystems zugrunde gelegt. Vielmehr soll in einem Fächer vonModellrechnungen untersucht werden, welche Leistungen aus der Lebens

-versicherung sich ergeben, wenn bestimmte Prozentsätze des Einkommens

40 Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 4

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hierfür aufgewendet werden. Außerdem wird ermittelt, welcher Beitrags-aufwand erforderlich ist, um bestimmte Anteile des letzten Aktiv-Nettoein-kommens durch Leistungen aus der Lebensversicherung zu ersetzen. Aufdiese Weise ergeben sich Werte, die umgerechnet werden können auf diepersönliche Versorgungssituation bzw. die angestrebte Gesamtversorgungdes einzelnen Bürgers.

Diese Modellrechnungen gelten nicht nur für Arbeitnehmer, die einezusätzliche private Vorsorge anstreben, sondern auch für Selbständige undFreiberufler, die sich voll privat versorgen müssen, weil sie keinem anderenAlterssicherungssystem angehören. So muß beispielsweise ein 30jährigerSelbständiger, im Rahmen einer dynamischen Lebensversicherung, bei einerjährlichen Beitragssteigerung von 4% einen Anfangsbeitrag von monatlichetwa 500 DM aufwenden, um ab Alter 65 eine monatliche Altersrente von5000 DM mit 60% Witwenrentenübergang zu beziehen. Die 5000 DM ent-sprechen bei einer 3 %igen Inflation heute einer Kaufkraft von knapp1800 DM. Mit dieser Versicherung würde sich der Selbständige also eineGrundversorgung schaffen, die betragsmäßig der Altersversorgung ent-spricht, wie sie sozialversicherungspflichtige Personen aus der gesetzlichenRentenversicherung 14 erhalten. Für einen Selbständigen ist dies also in allerRegel noch kein allein ausreichender Schutz.

Damit beende ich diesen kurzen Ausflug in die spezielle Problematik derSelbständigen und spreche mit den folgenden Berechnungen zur Lebensver-sicherung die große Mehrheit unserer Bürger an, deren Regelsicherung diegesetzliche Rentenversicherung ist. Es ist nicht beabsichtigt, hier in einenLeistungsvergleich mit der gesetzlichen Rentenversicherung einzutreten,dafür sind diese Modellrechnungen auch gar nicht geeignet.

Behandelt werden die Beispiele eines 30jährigen Mannes und einer 30-jährigen Frau, die eine dynamische gemischte Kapitalversicherung auf dasEndalter 65 abschließen. Dabei wird wahlweise auch der Einschluß einerBerufsunfähigkeits-Zusatzversicherung mit einer versicherten Jahresrentein Höhe von 12 % der jeweiligen Todesfalleistung vorgesehen. Die Leistun-gen aus der Lebensversicherung werden im Alter 65 nach einem privatenRententarif in eine monatliche dynamische Rente umgewandelt.

Berechnet wird die sich aus der Gesamtablaufleistung ergebende Alters-rente ohne bzw. mit Hinterbliebenenrente, bezogen auf das letzte Nettoein-kommen (das entsprechend den heutigen Verhältnissen bei dem durch

-schnittlich verdienenden Arbeitnehmer mit zwei Dritteln des Bruttoein-kommens angenommen wird).

14 Individuelle Bemessungsgrundlage 100% (d.h., Durchschnitts -Arbeitsentgelt)und 45 Versicherungsjahre ergeben in 1989 1727 DM dynamische Altersrente.

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Durch die Überschußbeteiligung wird die ausgewiesene Rente dynamischum z. Z. ca. 3,5 % jährlich erhöht. Dies entspricht in etwa dem Wachstumeiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

a) Die Modellrechnungen werden mit einem Anfangsbeitrag von 100 DMmonatlich durchgeführt, weil dieser Betrag — wie oben ausgeführt — fürdie meisten Arbeitnehmerhaushalte erschwinglich sein dürfte. Er ent-sprach im Jahre 1988 rund 3% des durchschnittlichen monatlichenBruttoarbeitsentgelts aller Versicherten der Arbeiterrenten- und Ange-stelltenversicherung.

b) Den Berechnungen liegt weiter eine Beitragssteigerung entsprechend derzukünftigen Lohnsteigerungsrate zugrunde. Diese beträgt nach denModellrechnungen im Rentenanpassungsbericht 1989 in der mittlerenVariante 4 %, wobei die Bandbreite zwischen 3% und 5% liegt.

c) Die Überschußbeteiligung wurde nach einem natürlichen System15 ange-setzt mit einem gegenüber den heutigen Verhältnissen ermäßigten Zins

-anteilsatz.

Dabei wurde angenommen, daß auf die Kapitalanlagen der Lebensver-sicherer langfristig ein Zins von 6% erzielt wird (Tabelle 1). Als Ergebniskann festgehalten werden, daß ein Mann mit 3 % seines Bruttoeinkom-mens eine dynamische Altersrente von 11 % seines letzten Nettoeinkom-mens aus der Lebensversicherung erhalten kann.

Alternativ werden die Werte bei einem Zins auf die Kapitalanlagenvon 5,5 % angegeben (Tabelle 2).

Im Umkehrschluß wird schließlich ermittelt, wie hoch der Beitrag inProzent des Bruttoeinkommens sein muß, um eine Altersrente von 10%des letzten Nettoeinkommens zu erzielen (Tabelle 3). Es ergibt sich, daß— je nach gewählten Randbedingungen — zwischen 2,1% und 3,4% desBruttoeinkommens notwendig sind.

15 bestehend aus 3 Komponenten:Zinsüberschußbeteiligung im m-ten Versicherungsjahr: Differenz von Ertrags- undRechnungszins (2,5 % bzw. 2 %) gutgeschrieben auf das Deckungskapital in der Mittedes Vorjahres, um V2 Jahr diskontiert:

0,025 • p112 m -iVx + m - 2Vx VS

2 1000Risikoüberschußbeteiligung im m-ten Versicherungsjahr: 30% des „Risikobeitrages inder Mitte des Vorjahres ", der Risikobeitrag auf die Todesfalleistung abzgl. derReserve in der Mitte des Vorjahres:

m -1Vx + m-2Vx VS0,3 qx+m - i 1000 — 2 1000

Schlußüberschußbeteiligung: 16% des angesammelten Überschußguthabens.

40•

Page 14: Langfristig erzielbare Leistungen aus der Lebensversicherung in einzelwirtschaftlicher Betrachtung

626

Axel Holzwarth

Tabelle 1:

Altersversorgung aus dyn. Kapitalversicherungen

(Gesamtzins 6 %)

Altersrente aus 100 DM mtl. Anfangsbeitrag(• 3 % des Bruttoeinkommens)

ohne BUZ-Einschluß mit BUZ-Einschluß

in Prozent des in Prozent des

DM uletzt verfügbaren DM uletzt verfügbarenNettoeinkommens I Nettoeinkommens

Mannnur Altersrente 1275 13,8 1042 11,3

mit 60 % Übergang 1020 11,0 833 9,0

Fraunur Altersrente 1065 11,5 800 8,7

mit 60 % Übergang 1011 10,9 760 8,2

Tabelle 2:

Altersversorgung aus dyn. Kapitalversicherungen

(Gesamtzins 5,5 %)

Altersrente aus 100 DM mtl. Anfangsbeitrag(• 3 % des Bruttoeinkommens)

ohne BUZ-Einschluß mit BUZ-Einschlug

^ in Prozent des I in Prozent des

DM zuletzt verfügbaren DM rbuletzt verfügbarenNettoeinkommens Nettoeinkommens

Mannnur Altersrente 1180 ^ 12,8 969 10,5

mit 60 % Übergang 944 10,2 775 8,4

Fraunur Altersrente 985 10,7 747 8,1

mit 60 % Übergang 936 10,1 709 7,7

Page 15: Langfristig erzielbare Leistungen aus der Lebensversicherung in einzelwirtschaftlicher Betrachtung

Langfristig erzielbare Leistungen aus der Lebensversicherung 627

Tabelle 3:

Altersversorgung aus dyn. Kapitalversicherungen

(Gesamtzins 6 %)

Monatlicher Anfangsbeitrag für eine AltersrenteHöhe von 10 % des verfügbaren Nettoeinkommens

ohne BUZ-Einschluß

mit BUZ-Einschluß

^ in Prozent des

in Prozent des

DM l Bruttoeinkommens

DM Bruttoeinkommens

Mannnur Altersrentel 72,50 ! 2,1

88,50 2,5

mit 60 % Ubergangl 90,30 ; 2,6

110,30 3,1

Fraunur Altersrentel 86,60 1 2,5 1114,901 3,3

mit 60 % Obergang 91 ,10 2,6 1120,901 3,4

4. Ausblick

Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Blick in die Zukunft werfen.Meine Darstellung der Lebensversicherung als Alterssicherungssystem unddie Modellrechnungen dazu beziehen sich auf diejenige Form der Lebens

-versicherung, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt sindund wie sie sich im deutschsprachigen Raum seit Mitte des letzten Jahrhun-derts entwickelt hat. Dabei haben wir gesehen, daß sich die Qualifikationder deutschen Lebensversicherung als Alterssicherungssystem aus be-stimmten Merkmalen ergibt, die vor allem eine hohe Zuverlässigkeit lang-fristiger Leistungsaussagen voraussetzt. Damit meine ich vor allem die vor-geschriebenen vorsichtigen Kalkulationsgrundlagen, die Besonderheitender Kapitalanlagevorschriften und die materielle Staatsaufsicht.

Hieran ist zu erinnern, wenn es darum geht, das Versicherungsaufsichts-recht und das Versicherungsvertragsrecht unter dem Schlagwort der Dere-gulierung zu reformieren. Der Gesetzgeber muß sehr darauf achten, daß erdabei nicht gerade die Merkmale wegreformiert, die die Qualität unsererLebensversicherung als Alterssicherungssystem ausmachen. Reformationwürde dann zur Deformation des Lebensversicherungsproduktes werden,auf dessen Qualität sich der Bürger heute aus Erfahrung verläßt.

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628 Axel Holzwarth

Genauso wichtig für die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Lebensversi-cherungs-Leistungen ist Kontinuität und Verläßlichkeit bei der Steuerge-setzgebung in Zukunft. Experimente wie etwa die wieder abgeschaffteQuellensteuer können dabei großen Schaden materieller und psychologi-scher Art anrichten.

Besonders wichtig erscheint mir der Hinweis auf die dem deutschenGesetzgeber weitgehend entzogene Gesetzgebung zum EG-Binnenmarkt zusein. Hier muß einfach gesehen werden, daß Lebensversicherung nicht inallen EG-Ländern dasselbe bedeutet. Die Lebensversicherung hat in denverschiedenen EG-Ländern eine sehr unterschiedliche Entwicklung hintersich und ist mit sehr unterschiedlicher Intensität in die Alterssicherung derBevölkerung eingeschlossen. In einigen EG-Ländern ist die Lebensversiche-rung fast ausschließlich ein Investmentprodukt.

Es gilt daher in Zukunft darauf zu achten, daß die Lebensversicherung alsAlterssicherungssystem qualifiziert und attraktiv für unsere Bürger bleibt.Besonderes Augenmerk sollte dabei gegenwärtig auf Veränderungen desnationalen Ordnungsrahmens für die Lebensversicherung durch Versiche-rungsaufsichtsgesetz und Versicherungsvertragsgesetz sowie die Herstel-lung des gemeinsamen Marktes durch die Dienstleistungsrichtlinie Lebens-versicherung und deren Umsetzung in nationales Recht gelegt werden.

Mit diesem abschließenden Ausblick in die Zukunft wollte ich mahnenzum Erhalt eines historisch gewachsenen Gleichgewichtssystems der Alters-sicherung zwischen gesetzlicher Rentenversicherung, betrieblicher Alters-vorsorge und privater Lebensversicherung. Dieser drei Elemente — mit ihrenunterschiedlichen Stärken und Schwächen — kann sich der Einzelne heutebedienen, um so eine optimale, sichere und auf seine persönlichen Bedürf-nisse zugeschnittene Altersvorsorge zu betreiben. Die deutsche Lebensver-sicherung ist ein leistungsfähiges und unverzichtbares Element dieserAlterssicherung.