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Politische Berichte Politische Berichte – Zeitschrift für Sozialistische Politik Ausgabe Nr. 8 am 17. April 1998, Jahrgang 19, Preis 2.– DM 8 98 PROLETARIER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH! PROLETARIER ALLER LÄNDER UND UNTERDRÜCKTE VÖLKER VEREINIGT EUCH ! Tarifabschluß im öffentlichen Dienst •Lohnfortzahlung gerettet • eigene Ziele wenig durchgesetzt S. 4

Politische Berichte Nr.8 / 1998

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Page 1: Politische Berichte Nr.8 / 1998

Politische Berichte

Politische Berichte – Zeitschrift für Sozialistische Politik Ausgabe Nr. 8 am 17. April 1998, Jahrgang 19, Preis 2.– DM

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Page 2: Politische Berichte Nr.8 / 1998

ALTENPFLEGE: SPD, Grünen undPDS unterstützen die Proteste von ÖTVund Pflegeverbänden gegen die Sen-kung der Standards in der Altenpflege.Für die Grünen erklärte ihre senioren-politische Sprecherin Irmingard Sche-

we-Gerigk am 26.3. zu der Demonstrati-on von ÖTV und Pflegekräften in Bonn:„In einer Nacht- und Nebelaktion woll-te die Bundesregierung den Mindestan-teil an Fachpflegekräften (50%) in der Al-tenpflege außer Kraft setzen. Ca. 600000pflegebedürftige Menschen wären davonbetroffen. Denn daß es ohne eine Fest-schreibung von Mindeststandards zu ei-ner Verschlechterung der Pflegequalitätkommen wird, steht außer Zweifel. Ge-gen dieses skandalöse Vorhaben der Bun-desregierung machen jetzt Gewerkschaf-ten und Verbände mobil. Wir unterstüt-zen vorbehaltlos die Forderungen derÖTV und der Wohlfahrtsverbände: Diebestehende Mindestfachkraftquote von50% muß erhalten bleiben. Eine Ab-schaffung würde nicht nur den Lebens-standard Pflegebedürftiger abbauen,sondern auch qualifizierte (Frauen)Ar-beitsplätze vernichten bzw. Auszubil-dende ohne Perspektive auf einen Ar-beitsplatz im Regen stehen lassen.“

STAATSBÜRGERSCHAFT: Nach derSPD wollen nun auch die Grünen imBundestag noch einmal für die Reformdes Staatsbürgerschaftsrechts Druckmachen. Ende März beschloß die Frakti-on, erneut einen Antrag zur Reform derEinbürgerung einzubringen.Kindern derzweiten und dritten Generation von hierlebenden Ausländern, die hier geborenwurden, sollen die deutsche Staatsbür-gerschaft erhalten.

WEHRMACHT-TRADITIONEN: Aufihrer Fraktionssitzung Ende März habendie Grünen im Bundestag beschlossen,eine Reform der Traditionspflege bei derBundeswehr zu verlangen. Im einzelnensoll die Bundesregierung aufgefordertwerden, eine „demokratieverträglichePräzisierung der Traditionsrichtliniender Bundeswehr vorzunehmen. Die poli-tische Bildung und Rechtsausbildungsoll verbessert werden.Des weiteren soll-ten die gegenwärtigen Schiffs- und Ka-sernennamen auf ihre demokratischeLeitbildfunktion hin überprüft werdenund bestehende Patenschaften zwischenBundeswehr und ehemaligen Verbändender Wehrmacht aufgelöst werden.“

BILLIGLOHN-POST: Kurz vor Osternwurde bekannt, daß die Postbehörde er-ste Lizenzen für Privatanbieter vergebenhat. Zu welchen Lohn- und Tarifstan-dards, teilte am 3. April der PDS-Abge-ordnete Gerhard Jüttemann mit: „Dieseit Jahresbeginn tätige Regulierungs-behörde für Telekommunikation undPost wartete jetzt mit einer Mitteilungauf, die die Deutsche Postgewerkschaft(DPG) in Rage bringen dürfte. Behör-denpräsident Walter Scheurle erklärte

dem zuständigen Bundestagsausschuß indieser Woche, was er unter sozialen Min-deststandards für Beschäftigte im Post-bereich verstehe: Prüfung der Arbeitsbe-dingungen und ob die Tätigkeiten nur mit620/520-DM-Jobs oder durch Schein-selbständige ausgeführt werden – undsonst nichts. Untergrenzen für Lohn undGehalt – Fehlanzeige; Regelungen für Ar-beitszeit, Urlaub und andere Kernpunk-te jedes normalen Arbeitsvertrages –Fehlanzeige; Vorlage einer von der DPGgeforderten Musterlizenz mit verbindli-chen Vorgaben für soziale Mindeststan-dards – ebenfalls Fehlanzeige. Original-ton Scheurle: Soweit mir bekannt ist,gibtes nur auf dem Bau Regelungen für Min-destlöhne. Der PDS-Antrag zum Postge-setz hatte damals neben der Verpflich-tung zu sozialversicherungspflichtigenBeschäftigungsverhältnissen und Aus-schluß von Scheinselbständigkeit auchumfassenden Kündigungsschutz und Ta-rifbindung gefordert. Doch er wurde ab-gelehnt,auch mit den Stimmen der SPD.“

BILLIGFLAGGEN: Mit einem neuen„Förderungsprogramm“ leistet die Bun-desregierung der Ausbreitung von Bil-ligstlöhnen auf den Schiffen erneut Bei-hilfe. Darauf hat die PDS-AbgeordneteDagmar Enkelmann am 2. April hinge-wiesen: „Die geänderte Schiffsbeset-zungsverordnung schreibt nicht mehr,wie bisher, eine Regelbesatzung von 7Seeleuten mit deutschen Zertifikatenvor. Gefordert ist jetzt, daß der Kapitändeutscher Staatsangehöriger sein muß.Es reicht nicht mehr, daß er, wie bisher,Inhaber eines deutschen Patents ist. Dasbedeutet zum einen ein Berufsverbot fürausländische Staatsangehörige mit deut-schem Befähigungszeugnis, zum anderenermöglicht die neue Schiffsbesetzungs-verordnung, fast ausschließlich auslän-dische Seeleute zu Bedingungen ihrerHerkunftsländer einzustellen, was aufBeschäftigungsverhältnisse zu Nied-rigstlöhnen hinausläuft.Es ist allerhöch-ste Zeit, international einheitliche Lohn-und Sozialstandards auszuhandeln, umdie Arbeitsplätze für deutsche Seeleutezu erhalten und diese vor Lohn- und So-zialdumping zu schützen. Bereits heuteliegt die Arbeitslosenquote von deut-schen Seeleuten bei über 18 Prozent. DieBundesregierung hat keinerlei Anstren-gungen unternommen, um die Beschäf-tigten abzusichern.“

WAS KOMMT DEMNÄCHST? Am 23.April berät der Bundestag über die Eu-ro-Einführung. Am Abend diskutierendie Abgeordneten über Anträge von Grü-nen und PDS gegen den Abbau von ABM-Jobs und für ein Wirtschaftsprogrammfür die neuen Länder. Am 24.4. steht dieHochschulpolitik, die Lage der Bundes-wehr und ihre rechtsextremen Skandale,der 60.Jahrestag der Bombardierung vonGuernika und die nukleare Endlagerpo-litik auf der Tagesordnung.Am 26.4. sindLandtagswahlen in Sachsen-Anhalt.

2 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 8/98

Politische Berichte Nr. 8/1998 – Inhalt__________________________________________

Aktuell aus Politik und WirtschaftAktuell in Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . 2Der Euro kommt: ein imperia-listisches Projekt . . . . . . . . . . . . . . . 3Ermittlungen Lübecker Brand-anschlag wieder aufgenommen . . . 3Dokumentiert: Gysi zum Euro . . . . 4„Volksgruppenrechtler“ dem-nächst in Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . 5Tarifabschluß ÖTV: Lohnfort-zahlung gerettet . . . . . . . . . . . . . . . . 5Bilanzen deutscher Konzerne:Ein Boom nur für Aktionäre . . . . . 7

AuslandsberichterstattungBetrifft: Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . 8Mexiko: Aufstandsbekämpfung . . . 9Costa Rica: Frauenquoten: Scheinoder Sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Meldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Regionales West und OstLokaler Widerstand . . . . . . . . . . . 12Karawane zur WTO-Konferenzin Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Regensburg: AntifaschistischerGedenktag mit tschechischenGästen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Hamburg: Pflege ist nicht genug! 14Essen: Aushungern als Strategiegegen Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . 15Leipzig: PDS-Kandidat zu den OB-Wahlen vor CDU . . . . . . . . . . 16O-Ton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Kommunale Politik . . . . . . . . . . . 17

Aus Betrieben und GewerkschaftenWas war? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18IG Metall befürchtet Sonder-tarifgebiet Ost . . . . . . . . . . . . . . . . 19Siemens: KonzernweiteLohnsenkungsprogramme . . . . . . 19Geringfügig Beschäftigte: Mittendrin und doch draußen . . . 20HBV: Keine Feiertagsarbeit fürden Euro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21

Diskussion und DokumentationEindrücke vom PDS-Parteitag . . 22Dokumentiert: André Brie zumEntwurf des Wahlprogramms . . . . 22Dokumentiert: Christa Luft „füreinen zukunftsfähigen Osten“ . . . 22

Letzte SeitenTexte wider die Rassenkonstruktiondurch die Humanbiologie . . . . . . . 27

Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

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PB 8/98 • AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT 3

Am 2. April hat der Bundestag in erster Le-sung die Gesetze zur Einführung des Euroberaten. Alle Parteien mit Ausnahme derPDS stimmten dem Vorhaben zu. Bereits am23. April, also in der Rekordzeit von geradedrei Wochen nach der ersten Lesung, sollder Bundestag in zweiter und dritter Lesungsämtliche erforderlichen Gesetze verab-schieden. Am 24. April entscheidet dann be-reits der Bundesrat, so daß alle entspre-chenden deutschen Gesetze bereits vor dem1. Mai verabschiedet sein dürften.

Nach dem langen Streit innerhalb derUnion und angesichts der anhaltendenSorgen und Unzufriedenheit in der Be-völkerung will die Bundesregierung ganzoffensichtlich keine Risiken eingehenund keine lange Debatte mehr über dieWährungsunion. Statt dessen soll die Be-völkerung, sollen aber auch die anderenEU-Staaten rasch vor vollendete Tatsa-chen gestellt werden, damit sich einebreitere Kritik gar nicht erst entfaltenkann.

Die Bundesregierung drängt auf Tempo

Am 2. und 3. Mai, so der Fahrplan, ent-scheiden dann bereits die Staats- und Re-gierungschefs der EU auf einem Gipfel-treffen formell über den endgültigen Teil-nehmerkreis, der ab 1.1.1999 in die soge-nannte „dritte Stufe“ der Währungsuni-on eintritt, und über die Zusammenset-zung des Zentralbankrats der neuen Eu-ropäischen Zentralbank (EZB).

Dritte Stufe heißt:• Die Wechselkurse unter den Teilneh-merstaaten untereinander sind gesetz-lich festgeschrieben, Änderungen sindausgeschlossen.• Alle Transaktionen, auch einfacheÜberweisungen, können dann entwederin DM oder in Euro ausgeführt werden.Alle umlaufenden Staatsschulden undneue Emissionen werden auf Euro umge-stellt, Firmen können ihre Abschlüsseund Bilanzen in DM oder Euro abgeben.Evtuell können auch die Steuerbeschei-de bereits in Euro erfolgen – im Juni wol-len die Finanzminister von Bund undLändern darüber noch einmal beraten,nachdem ihre Entscheidung, mit dieserUmstellung bis zum Jahr 2002 zu warten,von Verbänden wie dem BDI hart kriti-siert worden war.• Gleichzeitig nimmt die EuropäischeZentralbank ihre Arbeit auf.

Ihrem Zentralbankrat, über dessen

Vorsitz ebenfalls bereits am 2./3. Mai aufdem EU-Gipfel entschieden werden soll,werden 17 Mitglieder angehören. DieBRD, Frankreich und Italien, Spanien,die Niederlande und Belgien entsendendabei vermutlich jeweils zwei Vertreter inden EZB-Rat, Irland,Finnland,Portugal,Luxemburg und Österreich je einen. Alsdeutsche Vertreter sollen Bundesbank-Präsident Tietmeyer und der bisherigeStaatssekretär im FinanzministeriumStark, der als „Erfinder des Stabilitäts-pakts“ gilt, im EZB-Rat vertreten sein,heißt es in der Presse. Tietmeyers Amts-zeit als Bundesbankpräsident endet imSommer 1999, sein Nachfolger für dieBRD im EZB wird von der dann amtie-renden Bundesregierung ernannt.

Anhaltender Streit um den Vorsitz im EZB

Was den Vorsitz des EZB angeht, scheintdie Bundesregierung auf dem niederlän-dischen Zentralbankchef Duisenberg zubestehen. Politiker aus den Benelux-Staaten zu benennen, um so unter Aus-nutzung der deutschen wirtschaftlichenund politischen Macht in diesen Länderndeutsche Interessen in der EU besserdurchsetzen zu können, ist ein schon bei-nahe traditioneller „Trick“ deutscherGroßmachtpolitik in der EU.

Sollte statt Duisenberg überraschenddoch noch der französische Zentral-bankchef für den EZB-Chefsessel nomi-niert werden, so dürfte die französischeRegierung dafür einen hohen Preis zah-len müssen. Denkbar wäre etwa ein fran-zösisches Nachgeben im Bereich derAtomwaffen oder bei EU-Rüstungsalli-anzen, wo Konzerne wie Daimler u.a. ei-ne Reform des Airbus-Konsortiums un-ter Einschluß der Luftrüstung fordern,was das Ende einer eigenen französi-schen Luftrüstung bedeuten würde.

Der Euro bedeutet eine weitere Festigung der deutschen Vormacht in Europa

Schon bei der Entscheidung über denTeilnehmerkreis am Euro sollen ähnlichweitreichende Entscheidungen getroffenworden sein. So soll die italienische Re-gierung für die Zulassung zum Teilneh-merkreis der Währungsunion auf jedenWiderstand gegen das deutsche Strebennach einem ständigen Sitz in der UNOverzichtet haben.

Daß die Einführung des Euro selbst

Ein imperialistisches Projekt

Der EURO kommt, die Spekulationen habenschon begonnen

Pressemitteilung des Lübecker Bündnisgegen Rassismus

Ermittlungen zum Lübecker Brandanschlag wiederaufgenommen

Lübeck. Die Presse meldete es bundes-weit: in Lübeck sind die Ermittlungen zumBrandanschlag auf das Flüchtlingsheimin der Hafenstraße wieder aufgenommenworden, gegen die vier GrevesmühlenerJugendlichen, die bereits zu Anfang derErmittlungen unter Tatverdacht gestandenhatten. Einer der Jugendlichen, der zurZeit wegen anderer Straftaten in Haft sitzt,hat ein Geständnis abgelegt, inzwischenaber wohl seine Aussagen bereits wider-rufen. Das Lübecker Bündnis gegen Ras-sismus erklärt dazu:

Es muß bedenklich stimmen, daß dasGeständnis des Maik Wotenow bereitsEnde Februar erfolgte und diese Nach-richt erst jetzt durch Presserecherchendie Öffentlichkeit erreichte.Ebenso be-fremdlich ist, daß die Staatsanwältenun sofort wieder abwiegeln. Ein di-rektes Geständnis, das nicht vomHörensagen stammt,ist mehr,als gegenSafwan Eid jemals vorgelegen hätte.ImJanuar 1996 kannte die Staatsanwalt-schaft entsprechende Zurückhaltungnicht, als es darum ging, einen Flücht-ling der Brandstiftung zu bezichtigen.

Wenn Staatsanwalt Schultz in denLübecker Nachrichten vom 8.4.98 sagt,daß „jedem Hinweis“ nachgegangenwerde, „sei er auch noch so fernlie-gend“, so muß hierzu festgestellt wer-den: Die Staatsanwaltschaft ist überzwei Jahre lang fernliegenden Hinwei-sen gefolgt, jetzt müssen endlich dienaheliegenden ins Blickfeld rücken.Die vier Grevesmühlener jungen Män-ner waren von Anfang an bis heutedringend tatverdächtig. Die Ermitt-lungen gegen sie sind nach unsererÜberzeugung nicht aus sachlichen,sondern aus politischen Erwägungeneingestellt worden. Insbesondere istbis heute unerklärt, wie drei der vierVerdächtigen zu frischen Brandspurenim Gesicht gekommen sind. Ihr angeb-liches Alibi ist angesichts der bis heuteunklaren Tatzeit und der unterschied-lichen Aussagen hierzu ohne Belang.

Obwohl viele Beweise inzwischenvernichtet worden sind,hoffen wir,daßnun endlich die Aufdeckung der Wahr-heit beginnen kann. Dazu wird es not-wendig sein, noch einmal bei Null an-zufangen und die bisherigen Ermitt-lungen,die nicht unparteiisch,sonderneinseitig waren, beiseite zu lassen. Dieüberlebenden Opfer haben einen An-spruch auf die Wahrheit und einen An-spruch darauf, nicht länger beschul-digt zu werden, der Täter sei aus ihrerMitte gekommen.

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vor allem den deutschen Konzernen nut-zen wird, die den größten Teil des Im-undExportgeschäfts innerhalb der EU ab-wickeln und die künftig fast zwei Dritteldes bundesdeutschen Im- und Exportskünftig ungefährdet von irgendwelchenWechselkursänderungen abwickeln kön-nen, darüber waren sich auch in der Bun-destagsdebatte am 2. April alle Befür-worter der Euro-Einführung einig. Diedeutsche Vormachtstellung in Europawird damit im Vorgriff auf die EU-Oster-weiterung,bei der deutsche Konzerne so-wieso vorneweg marschieren, durch dieBildung der Euro-Zone weiter befestigt.Das Gerede von Grünen wie Trittin, dieAblösung der D-Mark durch den Euroschwäche den deutschen Nationalismus,ist einfach unwahr. In Wirklichkeit zie-hen sich die Grünen mit ihrer Zustim-mung zum Euro ein weiteres Mal aus demWiderstand gegen deutsche Großmacht-politik zurück.

Eine Euro-Zone bis nach Afrika

In der Presse nur ganz am Rande behan-delt wird derzeit, daß der Euro auch aufdas Verhältnis der EU zu Afrika Einflußhat. Denn ab 1.1.1999 werden auch 14afrikanische Staaten zum Euro-Raumgehören. Es handelt sich um Benin, Bur-kina Faso, Elfenbeinküste, Guinea Bis-sao, Mali, Niger, Senegal,Togo, Kamerun,Zentralafrikanische Republik, Tschad,Republik Kongo,Äquatorial-Guinea undGabun. Die Währungen all dieser Staa-ten waren bisher über die sog. „Franc-CFA-Zone“ an den Kurs des französi-schen Franc gebunden, alle Währungsre-serven lagerten bei der Bank von Frank-reich – einer der vielen neokolonialen He-bel, den sich die EU-Staaten zur Plünde-rung dieser Staaten bewahrt haben.

Eine wichtige Folge dieses neokolo-nialen „Währungsraums“ war schon bis-her, daß die (bisher vor allem französi-schen) Inhaber von (staatlichen oder pri-vaten) Schuldscheinen aus dieser Regiongegen jeden Wechselkursverlust ge-schützt waren. Wer z.B. Handel trieb mitdiesen Staaten oder aus anderen Grün-den private oder öffentliche Schuld-scheine aus diesem Gebiet besaß, war vorjedem Abwertungsverlust sicher.

Dieser Vorteil verwandelt sich ab1.1.1999 von einem Monopol für franzö-sische Firmen und Privatpersonen zu ei-nem gemeinschaftlichen Vorteil aller eu-ropäischen Mitglieder der Euro-Zone.Denn ab 1.1.1999 tritt auch für die obengenannten 14 afrikanischen Staaten derEuro an die Stelle des französischenFranc. Für die afrikanischen Schuldnerfreilich entstehen aus dieser Umstellungnur weitere Nachteile.Für sie wird damitdie Möglichkeit, sich durch Abwertungihrer Währung von Auslandsschulden zubefreien oder diese wenigstens zu ver-mindern, künftig noch geringer. DieMacht europäischer Firmen und Privat-personen auf dem afrikanischen Konti-nent wird damit noch drückender.

Euro-Zone contra Dollar-DominanzDerweil blüht in den Börsen und Ge-schäftszentralen der künftigen Euro-Zo-ne die Spekulation über die künftige Rol-le des Euro auf dem Weltmarkt. Derzeithat der Dollar an den Währungsreservender Welt einen Anteil von ca. 63 Prozent.An zweiter Stelle steht die D-Mark mitca. 14 Prozent, gefolgt vom japanischenYen mit 7%, dem britischen Pfund, demSchweizer Franken und anderenWährungen.

Für den künftigen Euro werden an denBörsenplätzen, bei Banken und anderenKonzernen derzeit Anteile an denWährungsreserven der Welt von 30 bis 35Prozent gehandelt. Aber nur „mittelfri-stig“. Denn ein solcher Anteil würde be-deuten, daß weltweit Schuldscheine imWert von ca. 1000 Milliarden Dollar vonDollar auf Euro umgewandelt werdenmüssen. Wenn diese enorme Umschich-tung – ganz abgesehen davon,ob sie über-haupt gelingt – zu schnell abläuft, würdedas den Kurs des Dollar stark nach un-ten drücken, die frohen Mienen deutscheKonzernchefs über fette Exportgewinnedank hohen Dollarkurses würden schlag-artig in Tobsuchtsanfälle umschlagen.Man will also eine „behutsame“ Um-schichtung, so in ca. 10 bis 15 Jahren.

Hoffnungen auf einfettes Geschäft

Am Ende aber locken enorme Gewinneund Machtzuwächse für die europäi-schen Konzerne,der Sturz des Dollars alsWeltleitwährung und Monopolwährungim Erdöl- und anderen Rohstoffgeschäf-ten und riesige Zinsgewinne europäi-scher Banken und Investmentfonds fürdie vielen Euro-Schuldscheine, die baldweltweit zirkulieren sollen. Zur Verdeut-lichung: Die Bundesbank erzielt derzeiteinen jährlichen Überschuß von 10 bis 15Milliarden DM, bei einem Weltmarktan-teil der D-Mark von ca. 14 bis 15 Prozent.

Bei einem Weltmarktanteil des Eurovon künftig 30 bis 35% winkt also selbstbei gleichbleibendem weltweitem Devi-senumlauf – wahrscheinlicher aber ist einAnstieg – ein Zinsgewinn der künftigenEU-Zentralbank von 15 bis 20 MilliardenEuro im Jahr – von Emissionsgewinnenund sonstigen Einnahmen der Bankenund Konzerne der künftigen Euro-Zoneganz zu schweigen!

Ein enormes imperialistisches Projektalso, das da am 1.1.1999 seinen formellenAnfang nehmen soll. Ein Projekt, das dieStaaten der Dritten Welt, speziell in Afri-ka, und die Lohnabhängigen in der EUmit weiterer Deregulierung und Senkungdes Lebensstandards bezahlen sollen.Einzig die PDS wird im Bundestag am23.4. gegen das Vorhaben stimmen.

(rül)

Quellen: Tagesspiegel, 25.3. und 28.3.; Handels-blatt,6.4 und 7.4.; Bundesbank Presseberichte Nr.20-22/98; Bundestagsprotokoll vom 2.4.98

Gregor Gysi (PDS) im Bundestagzur Einführung des Euro (…) Herr Bundeskanzler, Sie haben si-cherlich den Bericht der Bundesbankgelesen, und Sie können nicht leugnen,daß in diesem Bericht eine Menge Be-denken formuliert sind und daß ganzam Schluß, praktisch wie ein bißchenkünstlich aufgesetzt, die Formulierungkommt, daß es vertretbar sei. „Vertret-bar“ klingt aber wie „gerade noch ver-tretbar“. Das heißt nicht, daß es gut istoder daß es besonders positive Folgenund Wirkungen hat.

Ich darf an ein ähnliches Verhaltender Bundesbank im Zusammenhangmit der deutschen Währungsunion er-innern. Da hat nämlich die Bundes-bank auch vor den Folgen gewarnt undhat dennoch gesagt, die Währungsuni-on sei vertretbar.Die Folgen spüren wirnoch heute. Schauen wir uns doch dieErgebnisse einer falsch angelegtenWährungsunion in Deutschland selbstan.Der Osten ist deindustrialisiert.Daswird beim Euro die Zukunft des Sü-dens in Europa sein, zum Beispiel dieZukunft von Portugal und Spanien.

Der Osten hat eine riesige Massen-arbeitslosigkeit. Natürlich gab es auchUnternehmen,die von der Erweiterungdes Binnenmarktes und der WährungVorteile hatten, gerade im westlichenTeil Deutschlands. Das sind die Vortei-le, die im Rahmen der EuropäischenWährungsunion die großen Konzerneund Banken haben, weil sie sozusagenohne jede Hemmung expandieren undexportieren können. Aber letztlich ha-ben wir nicht nur eine wahnsinnig ho-he Massenarbeitslosigkeit im Osten,sondern auch mehr Insolvenzen im We-sten und immer mehr Arbeitslosigkeitim Westen. Das wird auch die Folge derEuropäischen Währungsunion sein,und zwar einfach deshalb, weil die Be-dingungen für sie nicht stimmen.

Da ist eigentlich fast alles an Kritikschon genannt worden.Allerdings wirddann die falsche Schlußfolgerung ge-zogen und gesagt: Das ganze Dingstimmt zwar nicht, aber wir stimmendennoch zu. (…)

Herr Bundeskanzler, wenn Sie heu-te das erste Mal offen eingestehen, daßdie anderen Länder nicht bereit seien,sich nach unseren sozialen Standardszu richten, dann sagen Sie damit dochnur, daß Sie unsere sozialen Standardsnoch mehr als gegenwärtig in Fragestellen. Später nämlich werden Sie mitdem Argument kommen, daß dieseStandards im Wettbewerb nicht zu hal-ten seien, daß sie gesenkt werden müß-ten, weil wir hier in Deutschland an-sonsten im Rahmen der Einheits-währung eine Bruchlandung machenwürden. Das heißt: Sie projizieren denweiteren Sozialabbau,Sie organisierenLohndumping. (…)aus: Bundestagsprotokoll vom 2. April

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PB 8/98 • AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT 5

Tarifabschluß im öffentlichen Dienst

Die Lohnfortzahlung gerettet – eigene Ziele wenig durchgesetztZiemlich dramatisch hatsich die diesjährige Tarif-runde für den öffentli-chen Dienst abgespielt.Unter Ausnutzung allerzeitlichen Spielräumewurde am 27. März danndoch ein Schlichtungser-gebnis erreicht, an daskaum jemand geglaubthatte und das eine deut-liche Ohrfeige fürKanther darstellt: denkompletten Erhalt derLohnfortzahlung imKrankheitsfall. Noch inder Nacht zum 27.3. hat-te Bundeskanzler Kohlpersönlich versucht, die-se Niederlage durch sei-ne Intervention bei denSchlichtern abzubiegen –ohne Erfolg.

Vor allem dieser Tatsa-che, dem vollständigenErhalt der Lohnfort-zahlung im Krank-heitsfall – ohne Her-ausrechnung von Zula-gen und Zuschlägen beiÜberstunden oder an-derer Verrechnung –,dürfte dann auch diegroße Zustimmung ge-schuldet sein,die dieserAbschluß sowohl beider Großen Tarifkom-mission (115 Stimmendafür, 3 dagegen, 12Enthaltungen) der ÖTV, aber zuvor auchschon an der Mitgliederbasis*) erhaltenhat: Alle 16 Bezirke stimmten demSchlichtungsergebnis zu; von 175 Kreis-verwaltungen lehnten es nur 9 (davon 3aus den neuen Bundesländern) ab.

Weniger Begeisterung konnten dage-gen andere Punkte des Schlichtungser-gebnisses hervorrufen.

Heftige Kritik an der „Angleichung Ost“

Am heftigsten kritisiert wurde vor allemin den neuen Bundesländern, daß die Ta-rifanpassung Ost an West zum 1.9.98 nurum 1,5 Prozentpunkte auf 86,5 Proizentsteigen soll bei gleichzeitiger Festschrei-bung bis Ende 1999.

Ausgeschlossen worden sind damitauch anderweitige „Angleichungsmaß-nahmen an das Tarifrecht West währendder Laufzeit“, d.h. jegliche Verhandlun-gen über Arbeitszeitverkürzungen odersonstige manteltarifliche Änderungen

(siehe unten) können damit nur für dasTarifgebiet West geführt werden, was ei-ner weiteren Diskriminierung bzw. ggfs.Erhöhung der Tarifdistanz gleichkommt.

Allerdings muß man auch hier auf denbesonders starken Widerstand der Ar-beitgeber hinweisen, deren zweitwich-tigstes Ziel die Verhinderung einer wei-teren Tarifangleichung unter allen Um-ständen war, da der öffentliche Diensthier nach wie vor die „Lohnführerschaft“innehat.

Magere Einkommenserhöhung

Auch die direkte Einkommenserhöhungfällt eher mager aus: 1,5% rückwirkendab 1. Januar für alle, also diesmal auchfür die Auszubildenden, bei allerdingsweiterhin eingefrorener Zuwendung(Weihnachtsgeld),was nach Arbeitgeber-berechnung 0,2% ausmacht, somit ver-ringert sich die Einkommenserhöhungauf 1,3%.

Warnstreikaktion vor Beginn der Schlichtungsverhandlungenin Berlin Anfang März. Die Bilder auf dieser und der folgen-den Seite wurden entnommen aus dem „ÖTV-Dialog - Extra“,hrsg. vom ÖTV-Bezirk Berlin

Demnächst in Prag:

Der FUEV-Kongreß Die Föderalistische Union EuropäischerVolksgruppen (FUEV) mit Sitz in Flensburg,die auf die Durchsetzung eines sogenannten„Volksgruppenrechtes“ auf europäischerEbene spezialisiert ist, wird ausgerechnet die-ses Jahr, im 60. Jahr nach dem faschistischen„Münchner Abkommen“, das die Zerstücke-lung und Annexion der Tschechoslowakeidurch das faschistische Deutsche Reich ein-leitete, vom 20. bis 24 Mai ihren Nationalitä-tenkongreß in Prag abhalten. Dies ist ein Zu-geständnis der Prager Regierung auf die For-derungen nach stärkerem Schutz „nationalerMinderheiten“ in der Tschechischen Republik.

So attackierte das FUEV-Präsidium be-reits vor drei Jahren auf einer Tagung inOstrava geschickt die Regierung in Prag:In der Republik Tschechien mit seinen et-wa 10,3 Millionen Einwohnern lebten ca.400000 Roma, 320000 Slowaken, 60000Polen, 50000 Deutsche, 10000 Ukrainerund je 4000 Ungarn, Bulgaren und Grie-chen.

Abgesehen von den Roma, die einerstarken Diskriminierung und gesell-schaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt sei-en, würden alle Minderheiten, von denennur wenige staatlich als solche anerkanntseien, unter großen Assimilierungspro-blemen leiden, ohne diesen wirksam be-gegnen zu können.

Hierzu fehle es ihnen an nötigemRechtsschutz sowie an Mitteln. Nur diedeutsche und polnische Minderheitkönnten sich auf einen Staatsvertrag be-rufen, in welchem bestimmte Mindestzu-geständnisse enthalten seien.

Minderheitenschutz in Tschechien seioffenbar nur in wenigen und kleinen An-sätzen erkennbar, die völlig unzurei-chend seien. Im wesentlichen würde derStaat sich darauf beschränken, die pri-vaten Initiativen und Organisationen derbetroffenen Minderheiten nicht zu be-hindern und sich selbst zu überlassen, siejedenfalls nicht zu unterstützen und zufördern.

Auf einem Treffen von FUEV-Mit-gliedsorganisationen im Oktober 1997,zu der der Rat der Polen in der Tschechi-schen Republik (seit Mai 1997 Mitgliedder FUEV) eingeladen hatte, mußte derRegierungsvertreter die Aktivitäten derFUEV würdigen. Er berichtete, daß dieTschechische Republik die Ratifizierungdes Rahmenabkommens zum Minderhei-tenschutz vorbereite, und stellte denStandpunkt der tschechischen Regierungzum Minderheitenschutz, dem das strik-te Gleichheitsprinzip aller Bürger zu-grunde liege, dar.

Über die völkisch-großdeutsche Poli-tik der FUEV wurde in dieser Zeitschriftschon mehrfach berichtet. Zwischen1992 und 1996 war Oskar Böse vom Su-detendeutscher Rat und führendes Mit-glied des Witikobundes einer der Vize-präsidenten der FUEV. (rua)

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6 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 8/98

Und die „Beschäftigungssicherung“?Gemessen an dem hoch gesteckten Zielder ÖTV, Beschäftigungssicherung undSchaffung von Beschäftigung zu errei-chen, ist der Abschluß allerdings erstrecht mager. Als einzig neue Maßnahmewurde eine Vereinbarung über Altersteil-zeit getroffen, die nur wenig über die ge-setzliche Regelung hinausgeht (Auf-stockung des Nettoeinkommens auf 83%,bei Rentenkürzung infolge AltersteilzeitEinmalzahlung von bis zu 3 Monatsbe-zügen).

Die Altersteilzeit soll (kein muß) vor-rangig dazu dienen, Ausgebildeten undArbeitslosen eine berufliche Perspektivezu ermöglichen. Über die Beschäfti-gungswirkung werden die Arbeitgeberregelmäßig berichten.

Lediglich die kommunalen Arbeitge-ber (VKA) haben sich bereit erklärt, auchbessere Regelungen zur Altersteilzeit zu-zulassen. Ihre Mitgliederversammlung„… erhebt keine Bedenken, wenn ein Ar-beitgeber im Einvernehmen mit demkommunalen Arbeitgeberverband beider Durchführung von Altersteilzeit Lei-stungen an den Arbeitnehmer gewährt,die über die in den Lohn- und Vergü-tungstarifverhandlungen vereinbartenVorgaben für Arbeitgeberleistungen beiAltersteilzeit hinausgehen.“ Eine solcheÖffnung auch für die Beschäftigten beiBund und Ländern lehnten deren Ar-beitgeber ab, sofern nicht zugleich eineÖffnung auch nach unten damit zugelas-sen würde.

Als weitere Maßnahme zur Beschäfti-gungssicherung wurde die Vereinbarungverlängert,wonach im Tarifgebiet Ost be-fristet Teilzeitarbeit mit Teillohnaus-gleich durch örtliche/regionale Tarifver-träge abgeschlossen werden können.Demnach können noch bis zum 31.12.desJahres 2000 solche tariflichen Regelun-gen mit einer Laufzeit von längstens 3Jahren abgeschlossen werden.

Wie wir bereits berichtet haben, wirdvon dieser Möglichkeit rege Gebrauchgemacht. Allerdings sind die Rahmenbe-dingungen verschlechtert worden: Bei ei-ner Herabsetzung der Arbeitszeit auf biszu 32 Stunden (Ausgangspunkt sind 40Stunden) kann Teillohnausgleich verein-bart werden, bei der weiteren Herabset-zung auf bis zu 30 Stunden muß (aber nurfür diese zwei Stunden) ein Teillohnaus-gleich vereinbart werden. Mit anderenWorten,eine Arbeitszeitsenkung um 20%ohne Lohnausgleich scheint beiden Ta-rifparteien offensichtlich zumutbar, unddas bei einem Tarifniveau von 85 bzw.86,5%!

Selbst diese Regelung soll dann fürLehrer und wissenschaftliches Personalan Hochschulen keine untere Grenzesein. Da kann dann auch nur bedingt trö-sten, daß für diese Zeit (maximal 3 Jah-re) ein Schutz vor betriebsbedingterKündigung besteht und ggfs. für dieanschließende Kündigung oder Vertrags-auflösung eine höhere Abfindung als bis-her möglich ist.

Als dritte „Maßnahme“ zur Beschäfti-gungssicherung sicherten die Arbeitge-ber zu, das gegenwärtige Ausbildungs-platzniveau zu halten.

Über weitere Maßnahmen zur Be-schäftigungssicherung bzw. -schaffungwurde vereinbart, entsprechende Ver-handlungen aufzunehmen oder fortzu-führen. Dies betrifft das Arbeitszeitkon-to bzw.die Faktorisierung der Arbeitszeit(Überstundenzuschläge bzw. andere Zu-lagen und Zuschläge sollen in Arbeitszeitumgerechnet werden), die Frage der De-finition von Überstunden, die Übernah-me von Regelungen aus dem Arbeitszeit-gesetz in den Tarifvertrag sowie den Aus-gleichszeitraum für die Wochenarbeits-zeit (Jahresarbeitszeit).

Anders gesagt, die Auseinanderset-zungen sind nicht beendet, sondern nurvertagt und werden außerhalb der Tarif-runde verhandelt.Dies hat Vor-,aber hin-sichtlich Kampffähigkeit auch erhebli-che Nachteile.

Über das ursprünglich für Beschäfti-gungsschaffung zentrale Thema Arbeits-zeitverkürzung wird nichts gesagt undfolglich auch nicht verhandelt. Es gehtnur noch um „Gestaltung der Arbeits-zeit“. Dies ist angesichts der unveränderthohen Massenarbeitslosigkeit und ange-sichts der stattfindenden Aktionen vonArbeitslosen, auch arbeitslosen Gewerk-schaftsmitgliedern, immerhin rund160000 in der ÖTV, Ausdruck von Hilflo-sigkeit und enttäuschend.Vielleicht aberist es auch Ausdruck einer realistischenEinschätzung, was die Abwehr-Kampf-kraft der eigenen Reihen anbelangt?

Unterschiedliches Echo auf die Vereinbarungen zur VBL

Auf unterschiedliches Echo in der Mit-gliedschaft ist das Schlichtungsergebnisgestoßen, was die Regelungen zur soge-nannten Zusatzversorgung (VBL) anbe-langt. Betroffen sind hauptsächlich dieBeschäftigten im Tarifgebiet West undhier zunächst einmal die bei Bund undLänder. Ab 1999 wird wieder eine Eigen-beteiligung eingeführt für jede Er-höhung,die über 5,2% hinausgeht.Da die

Arbeitgeber im Lauf der diesjährigen Ta-rifrunde bereits eine Erhöhung aufknapp 8% als notwendig reklamiert ha-ben, stehen den betroffenen Beschäftig-ten Lohnabzüge von 1 bis 1,5% bevor.Daß dafür die paritätische Mitbestim-mung bei der Zusatzversorgungskasseeingeführt wird, ist nur ein bedingterTrost und verhindert nicht,daß ein Groß-teil der West-Beschäftigten schlußend-lich mit „plus-minus null“ aus dieser Ta-rifrunde gehen wird.

Weitere Ausdifferenzierung auch im öffentlichen Dienst

Die Gesamtbewertung der diesjährigenTarifrunde ist deshalb schwer, weil dieeinzelnen Schlichtungsteile die Beschäf-tigten unterschiedlich treffen. Damitsetzt sich eine Entwicklung fort, die mitder Einführung des zweiten Tarifgebie-tes begonnen hat und die durch die ge-meinsame Große Tarifkommission derÖTV nicht aufgehoben wurde. Im Gegen-teil erweist es sich zunehmend alsschwieriger, Tarifverhandlungen zuführen für „einen“ öffentlichen Dienst,den es so gar nicht mehr gibt. Noch kannjede „Gruppe“ mit Teilergebnissen zu-frieden-, besser stillgestellt werden. Das„Einende“ dieser Tarifrunde war die Ab-wehr der Lohnkürzung im Krankheits-fall. Dies ist gelungen und ein wichtigerErfolg, der vielleicht anderen Branchenein Beispiel sein kann.

Zum 3. Mal Abschluß per Schlichtung

Die ÖTV aber muß die Diskussion überihre Tarifpolitik mit Nachdruck führen.Zum dritten Mal seit dem Streik 1992 hatsie ein Schlichtungsergebnis akzeptiertund muß sich fragen, ob sie damit nichtselbst zur Untergrabung der Tarifauto-nomie beiträgt bzw. die Frage der Streik-fähigkeit umschifft. (har)

*) Nach den heftigen internen Auseinan-dersetzungen in der ÖTV im Anschluß anden Streik 1992 wurde ein organisatori-sches Procedere der Rückkopplung ein-geführt, das eine relativ gute Basisbetei-ligung sicherstellen soll.

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PB 8/98 • AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT 7

Geschäftsbilanzendeutscher Konzerne

für 1997

Ein Boomnur für

AktionäreBis Anfang April hatten fast alle großendeutschen Industriekonzerne ihre Jah-resbilanzen für 1997 vorgelegt. Sie do-kumentieren einen Boom – aber nur fürAktionäre. Kein Wunder, daß der DAXsteigt und steigt. In der Tabelle rechtssind die Zahlen von einigen dieser Kon-zerne dokumentiert. Andere fehlen, oh-ne daß sich an den dargestellten Ten-denzen dadurch etwas ändern würde.

Denn auch die beiden anderen IG-Far-ben-Nachfolger Bayer und Hoechst, derRWE-Konzern, das neue StahlmonopolThyssen-Krupp, die Bosch-Gruppe,Mannesmann oder die bayerische VIAGAG weisen in diesem Jahr einen Boombeim Geschäftsergebnis, beim Jahres-überschuß und – folgerichtig – bei den Di-videnden an die Aktionäre aus. Über dieAktionäre dieser zehn bis zwölf größtendeutschen Industriekonzerne geht einwarmer Regen von Dividenden nieder.Sie ernten, was die Konzernführungenunter brutaler Ausnutzung des Drucksder hohen Arbeitslosigkeit,aber auch vonGesetzen wie dem Lohnfortzahlungsge-setz der Bundesregierung aus den Be-schäftigten im letzten Jahr an Mehrarbeitund Lohnsenkung herauspressen konn-ten. Allein Daimler-Benz steigert in die-sem Jahr seine Dividendensumme für dieAktionäre um fast 50%, von 567 auf 827Millionen DM.

Der Dividenden-Boom geht dabei querdurch alle Industriebranchen. Ob Stahl-erzeugung, Automobilproduktion oderZulieferung,Luftfahrt,Chemie,Pharma-zie, Energie oder Maschinenbau / Tele-kommunikation, die Bilanzen sind in al-len Gebieten goldgerändert. Das zeigt,daß es den Konzernen in allen Branchenim vergangenen Jahr gelungen ist,durch weitere Deregulierung der Ar-beitszeit, Steigerung des Arbeitstem-pos und Lohnsenkung die Profite dra-stisch in die Höhe zu drücken.

Dabei blühte 1997 neben dem Absatzvon Luxusprodukten und Gütern derhöheren Preissegmente vor allem dasExportgeschäft. Sowohl in die anderenEU-Staaten, nach Osteuropa wie in dieUSA konnten deutsche Konzerne neueExportrekorde erzielen und ihre Stel-lung auf den Weltmärkten ausbauen.

Von einer Krise des „StandortsDeutschland“, wie von BDI-Chef Hen-kel und Konsorten gepredigt wird, fin-

det sich in den Bilanzen der großen Kon-zerne nichts wieder. Im Gegenteil: durchdie Exportsteigerung konnten die Kon-zerne ihre Kapazitäten selbst bei weitge-hend stagnierendem Inlandsmarkt bes-ser ausnutzen, was die Profitrate zusätz-lich in die Höhe trieb.

Der hohe Dollarkurs schließlich bes-serte die Bilanzen für 1997 noch einmalzusätzlich auf. Der Daimler-Benz-Vor-stand etwa gibt an, von der Steigerungdes Geschäftsergebnisses um 1,9 Mrd.DM in 1997 seien 1 Mrd. DM, also mehrals die Hälfte, auf den steigenden Dollar-kurs zurückzuführen. Welche Stellungauf den Weltmärkten die deutschen Kon-zerne im Augenblick haben, dokumen-tiert beispielhaft der Streit zwischenBMW und VW um die Übernahme vonRolls Royce. Offenbar ist kein anderergroßer Automobilkonzern in der EU der-zeit flüssig genug, um beim Rennen umdie britische Luxusmarke mithalten zukönnen. Während die Konzerne also imGeld schwimmen, zeichnet sich für dieBeschäftigten keine Wende ab. Im Ge-genteil: Die Verdichtung der Arbeit, dieAusdehnung der Arbeitszeiten,die Lohn-senkungen und der Personalabbau sollen

weitergehen. Selbst die bescheidenenZuwächse bei den Beschäftigtenzahlen,die die in der Tabelle aufgeführten Kon-zerne für 1997 angeben, gingen weitge-hend auf den Anstieg der Auslandsbe-schäftigung zurück. Bei Daimler-Benzschlüsselte sich die Mehrbeschäftigungvon 10000 Personen in 1997 so auf: 7 600zusätzliche Beschäftigte im Ausland,2400 mehr im Inland. Der Siemens-Kon-zern wies Ende 1997 erstmals mehr Be-schäftigte im Ausland als im Inland auf,und wie der Vorstandskurs weitergeht,zeigt der jüngste, der IG Metall abge-preßte Verzicht auf Weihnachts- und Ur-laubsgeld in sog.„Dienstleistungs-Berei-chen“ des Konzerns. Weitere Globalisie-rung der Produktion durch den Ausbauder Fertigung vor allem in Billiglohnlän-dern bei gleichzeitiger Lohnsenkung undAbbau der Beschäftigung im Innern, solautet die Devise in den Konzern-führungsetagen.

Auch mit steigenden Steuerzahlungendurch die großen Konzerne ist in näch-ster Zeit nicht zu rechnen – jedenfallsnicht, solange das geltende Steuerrechtnicht radikal geändert wird. AlleinDaimler-Benz macht „Verlustvorträge“

von 15 Milliarden DM geltend, die denKonzern mindestens in den nächstendrei Jahren vor jeder Einkommens-steuerzahlung bewahren. Und auch biszu einer Besteuerung der enormen steu-erfreien Rückstellungen von Energie-konzernen wie der RWE, der VIAG oderder VEBA ist es noch weit.

So boomt die Börse weiter, und Kon-zerne wie BMW; VW, Daimler, Mannes-mann und andere nutzen den Boom,umsich durch Ausgabe neuer Aktien zu-sätzliches Kapital für ihre Weltmarkt-expansion zu beschaffen.

Auch für 1998 erwarten alle großendeutschen Konzerne bisher eine weite-re, zumeist zweistellige Steigerung ih-rer Gewinne.(rül)

BRD-KONZERNBILANZEN 1996 / 1997 IM VERGLEICHUmsatz Beschäftigte Geschäfts- Jahres- Dividende

in auf volle 1.000 auf- ergebnis überschuß inMrd. DM bzw. abgerundet Mrd. DM Mrd. DM DM je Aktie

KKoonnzzeerrnn 11999977 11999966 11999977 11999966 11999977 11999966 11999977 11999966 11999977 11999966

Daimler-Benz 124,1 106,4 300 290 4,3 2,4 3,2 2,8 1,6 1,1VW 113,2 100,1 275 261 3,8 2,0 1,4 0,7 12,0 9,0Siemens 106,9 93,8 386 376 3,5 3,2 2,6 2,5 1,5 1,5VEBA 82,7 74,5 130 123 5,0 4,4 3,0 2,5 2,1 1,9BMW 60,1 52,3 110 109 2,5 1,7 1,2 0,8 20,0 15,0BASF 55,8 48,8 106 108 5,3 4,4 3,2 2,8 2,0 1,7Summen 542,8 474,9 1.307 1.267 24,4 18,1 14,6 12,1 ./. ./.

ZZuunnaahhmmee ++1144,,11%% 33,,22%%++3344,,88%% ++2200,,77%% 00 bbiiss ++4455,,55%%

Anmerkungen: Beschäftigtenzahlen auf volle 1.000 auf- bzw. abgerundet. „Geschäftsergebnis“ meint in etwaden beim Konzern verbleibenden Bruttoprofit (also nach Abzug z.B. von Zinskosten für aufgenommene Kredi-te) vor Steuern, Jahresüberschuß ist der nach Steuern und evtl. Rückstellungen verbleibende Profit; bei Daim-ler-Benz wurden dabei Sonderfaktoren wie das angekündigte „Schütt-aus-Hol-zurück“-Verfahren mit altenRückstellungen, durch das der Konzern für seine Aktionäre von den Finanzämtern 2,9 Mrd. DM kassiert, aus derDarstellung herausgenommen. Die stark unterschiedlichen Dividendenangaben erklären sich z.T. aus der un-terschiedlichen Stückelung der Aktien, bei Daimler, Siemens,VEBA und BASF ist die Dividende je 5 DM-Aktieangegeben, bei VW und BMW je 50 DM-Aktie.Alle Angaben bis auf Siemens aus: „Handelsblatt“, 26.3. bis 9.4.98.

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8 AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG • PB 8/98

NIGERIA: Vor be-waffneten Konflik-ten in seinem Landhat der Nobel-preisträger WoleSoyinka gewarnt.Hiermit könnten de-mokratische Prinzi-pien nicht wieder-hergestellt werden.Gegenüber CNNforderte Soyinka dieFreilassung desfrüheren Präsiden-ten Abiola, der 1993die Wahlen gewon-nen hatte.Wenn kei-ne Regierung dernationalen Einheitwie auch eine Natio-nalkonferenz einge-richtet würden, auf

der die wichtigsten Zukunftsproblemediskutiert würden, sei die Möglichkeit ei-nes bewaffneten Konflikts gegeben. ImAugust sollen in Nigeria Wahlen durch-geführt werden. Die Aktion für Demo-kratie (UAD), ein Zusammenschluß von26 demokratischen Gruppierungen, hatdie internationale Öffentlichkeit erneutzu Sanktionen gegenüber ihrem Landaufgefordert.

GUINEA: Zwei Abgeordnete der Oppo-sitionspartei RPG sind in der letzten Wo-che wieder freigelassen worden. So dasRadio Africa Nr. 1 aus Gabon. Sie warengemeinsam mit zahlreichen anderen Per-sonen durch die Regierung LansanaConté festgenommen worden.In Conakryfindet derzeit ein Prozeß gegen soge-nannte „Putschisten“ statt, die im Fe-bruar 1996 versuchten, die Regierung zustürzen. Wegen allgemeiner Unstimmig-keiten über die weitere Entwicklung desLandes nach dem Putsch war es der Re-gierung möglich gewesen, den Putschniederzuschlagen. Interessant daran istauch, daß deutsche Behörden bis heuteden politischen Charakter des Putsch-versuchs dementieren, um Flüchtlingeaus Guinea ablehnen zu können, da derHintergrund „unpolitisch“ gewesen sei.

RWANDA/FRANKREICH: Der franzö-sische Ex-Verteidigungsminister P. Qui-les hat weitere Untersuchungsergebnisseangefordert, die die Beteiligung Frank-reichs an den blutigen Auseinanderset-zungen aus dem Jahr 1994 belegen.Es ha-be zum damaligen Zeitraum 8 Verteidi-gungsabkommen zwischen Frankreichund afrikanischen Ländern gegeben, diegeheim seien, da sie interne Angelegen-heit über die „Sicherheit und Ordnung“beträfen. Ein belgischer Experte hat be-reits bestätigt, daß Frankreich über dieEreignisse in den Flugzeugabsturz vonHabyarimana Anfang April 1994 infor-miert war. Der früherer Kooperationsmi-nister B. Debré hatte bestätigt, daß dieRaketen zum Abschuß des Flugzeugs vonFrankreich geliefert worden seien.

DR CONGO/ZAIRE: Amnesty Inter-national kritisiert, daß in der DR Congokeine unabhängige Menschenrechtsar-beit mehr möglich sei. Die AZADHOwurde von der Regierung inzwischen ver-boten. Es werde in dem Land mit zweiSprachen gesprochen; einerseits werdenZusagen zur Einhaltung der Menschen-rechte vor der Genfer Kommission gege-ben, andererseits werde die Arbeit dafürzuständiger Personen unterbunden. DieRegierung beschuldigt die AZADHO ei-ner politischen Kampagne gegen sie.Außerdem würden sie Geld von außer-halb erhalten; sie hätten auch ihr Ver-ständnis noch an der alten Mobutu-Re-gierung ausgerichtet. Auch unter der da-maligen Regierung hatte die AZADHOetliche Probleme. Auch eine andereGruppierung, die „Stimme der Stimmlo-sen“ hat erhebliche Probleme. So wurdeihr Präsident, Bahizire, am 20.3.98 vonfünf Unbekannten niedergeschlagen;vier davon trugen die Uniform der Mi-litärs.

KENIA: Nach der wiederholten Nieder-schlagung von Aufständen und Revoltenim Land wird die Regierung erneut derVerletzung menschlicher Rechte ange-klagt. Mehr als 100 Personen waren imRift Valley seit Januar 1998 ermordetworden, Tausende mußten fliehen. Vieleder Überlebenden fürchten sich zurück-zukehren und beschuldigen die Regie-rung, kein Interesse an dem Schutz derBevölkerung zu haben. Der KANU-Re-gierungspartei nahestehende Gruppenwerden beschuldigt, ethnische Konfliktezu schüren. Sie zielen darauf, die Wahl-erfolge der Oppositionspartei DP in Fra-ge zu stellen, die kürzlich auch eine Un-tersuchung der Präsidentschaftswahleneingefordert hat. Kenia gehörte bislangzu den als „stabil“ angesehenen westli-chen Verbündeten.

NICARAGUA: NEUER GEHEIM-DIENST PHILOSOPHISCH GESEHEN:30.März 1998, pulsar-Poonal.- Die Mehr-heit des nicaraguanischen Parlamentesstimmte für die Schaffung eines neuenGeheimdienstes unter dem Befehl des In-nenministeriums. Die Opposition derSandinisten reichte nicht aus, das Vorha-ben zu verhindern. Der Apparat ähneltder abgeschafften Generalbehörde fürSicherheit aus sandinistischen Zeiten.Der frühere Innenminister und liberaleAbgeordnete Carlos Hurtado erklärte,darauf angesprochen, gegenüber derPresse,„technisch gesehen könnte er die-selben Befugnisse haben … philoso-phisch gesehen ist er anders“.

Zwei Neffen des früheren DiktatorsAnastasio Somoza sind angeklagt, mit il-legalen Methoden Land wiedererlangenzu wollen. Ein Richter ordnete die Ver-

haftung von Alejandro Sevilla Somozaund Gustavo Rivas Somoza an. Ihnenwird vorgeworfen,eine bewaffnete Grup-pe organisiert zu haben, um die Zucker-plantage Montelimar in ihren Besitz zunehmen.

KOLUMBIEN: ENTFÜHRUNG GE-FÄHRDET FRIEDENSDIALOG – Streitum Rolle der USA: 31. März 1998, npl.-Die Entführung von vier US-Bürgernund einem Italiener zeige die „dringendeNotwendigkeit“, daß die internationaleGemeinschaft Kolumbien dabei helfe, ei-ne Verhandlungslösung im Krieg zwi-schen Regierung und Guerilla herbeizu-führen, meint Diego Uribe. Der ehemali-ger Außenminister des südamerikani-schen Landes ist Sprecher des von der ka-tholischen Kirche einberufenen Frie-densrates,der sich für eine friedliche Bei-legung des jahrzehntelangen Konfliktseinsetzt. Ein Kommando der marxisti-schen FARC (Revolutionäre StreitkräfteKolumbiens) hatte am 23. März auf derStraße nach Villavicencio südöstlich derHauptstadt Bogota einen Hinterhalt ge-legt und über 20 Menschen entführt.

Am Wochenende kündigte der Anfüh-rer der Gruppe, Kommandant Romana,an, daß die fünf hingerichtet würden,wenn sich herausstellen sollte,daß sie fürUS-Behörden wie den GeheimdienstCIA, die Bundespolizei FBI oder die An-ti-Drogen-Abteilung DEA arbeiten.

FARC-Auslandssprecher Marcos Cal-arca ergänzte diese Drohung von Mexikoaus: „Alle am Konflikt Beteiligten, obKolumbianer oder Ausländer, werden alsmilitärische Ziele betrachtet.“

Das Dementi kam; aus dem US-Außenministerium hieß es, die vier Ent-führten seien im Tourismusgeschäft tätig.Italiens Botschafter in Bogota versicher-te, Candela sei lediglich ein Geschäfts-mann, und wies darauf hin, daß die Eu-ropäische Union ihre Vermittlungstätig-keit überdenken werde, sollte die Ent-führung nicht schnell beendet werden.

BRASILIEN: WEITERE MST-MIT-GLIEDER ERMORDET(pulsar-Poonal).- Im Bundesstaat Parásind auf einer seit 20 Tagen von Campe-sinos besetzten Hazienda zwei Mitgliederder Landlosenbewegung MST ermordetworden.Verantwortlich wird eine Grup-pe von 30 Paramilitärs gemacht, die un-ter der Führung des HaziendabesitzersCarlos Antonio Costas stehen. Costasselbst soll die tödlichen Schüsse auf diebeiden MST-Mitglieder Onalicio BarrosAraujo und Valentén Silva Serra abgege-ben haben. Der Großgrundbesitzer undseine „Ordnungshüter“, darunter Mit-glieder der Militärpolizei, kamen auf dasbesetzte Land und gaben an, im Auftrageines richterlichen Räumungsbefehls zuhandeln. An dem Ort waren etwa 500Campesinos versammelt, die der Landlo-senbewegung angehören.

(Zusammenstellung: mc)

Protestdemon-stration der Op-position in Nige-ria Ende 1995 in der Haupt-stadt Lagos ge-gen das herr-schende Militär

B E T R I F F T: A F R I K A

Page 9: Politische Berichte Nr.8 / 1998

Der Plan wurde durch die Zapatistenaufgedeckt, regierungsunabhängigeMenschenrechtsorganisationen habenihn bestätigt.

In den letzten Wochen führte dies ver-stärkt dazu, ausländische BeobachterIn-nen des Landes zu verweisen. Die Aktio-nen richten sich in ersten Linie gegen je-ne, die die Situation in Chiapas kritisie-ren,mit NGOs zusammenarbeiten oder inden Friedenscamps der zapatistischenGemeinden leben. Ihnen wird Einmi-schung in die inneren AngelegenheitenMexikos vorgeworfen.

Viele von ihnen befürchten jetzt un-mittelbar bevorstehende militärischeMaßnahmen gegen die Zapatistische Ar-mee der Nationalen Befreiung (EZLN),bei denen es keine lästigen ZeugInnen ge-ben soll.

Zedillo erklärte, „diejenigen, die sichvom Ausland aus einmischen, nicht umzur Lösung des Konfliktes beizutragen,sondern um ihn als Kampfbanner auf-recht zu erhalten, sollten besser dafür ar-beiten, die Ungerechtigkeiten in ihren ei-genen Ländern zu beseitigen“.

Am 15. Februar landete – wie passendin diese Kampagne! – ein Hubschrauberdes Fernsehsender Televisión Azteca oh-ne Vorankündigung auf dem Schulhof derzapatischen Gemeinde La Realidad imLakandonen-Urwald.

Die verantwortliche Journalistin be-richtete später von „Ausländern mit Wal-kie Talkies,die Englisch,Französisch undDeutsch“ sprachen und der einheimi-schen Bevölkerung Befehle gaben.

Durch die vom Helikopter aus gefilm-ten Bilder wurde dies nicht belegt. Aufihnen waren nur Mitglieder der Organi-sation „Friedensgürtel“ zu sehen, darun-ter mehrere AusländerInnen.

In San Cristóbal gibt es auf der Straßeund in Hotels verstärkte Kontrollen vonAusländerInnen durch die Migrations-behörde.

Diese Aktionen haben eine Polemikausgelöst. Bei nicht wenigen Mexikane-rInnen fällt die Argumentation gegen die„ausländische Einmischung“ auf frucht-baren Boden. Sie unterstützen das Vorge-hen der Behörden.

Neben dieser propagandistischenMaßnahme ist die Vertreibung der indi-genen Bevölkerung vorgesehen, um siedamit von der Unterstützung der EZLNzu trennen. Bereits 13000 Menschen sol-len „umgesiedelt“ worden sein. Als Zielwird angegeben,so: „die taktischen Kräf-te der Gesetzesbrecher und ihre Basis zueliminieren“.

Die am Massaker von Acteal im De-zember 1997 beteiligten PRI-Mitgliedernwaren zuvor in Trainingslagern der soge-nannten Selbstverteidigung geschultworden.

Auch die Kirche wird in die Schußli-nie der Aufstandsbekämpfung genom-men: „Der Vatikan ist der indirekte Ver-ursacher des Konflikts in Chiapas,mit di-rekten Förderern in der von der Befrei-ungstheologie verseuchten Strömung inMexiko,mit Unterstützung ihresgleichenaus Lateinamerika, unter Gebrauch so-zialistischer und politischer Organisatio-nen, der Mafia und regierungskritischerGruppen als Ausführende.“

Keinen Zweifel läßt die These der Auf-standsbekämpfung an ihrem Ziel. Esheißt dazu: „die Aktionsnormen werdenjene sein, welche die Prinzipien des Krie-ges diktieren … Ziel: Die Zerstörung derin der Bevölkerung bestehenden Unter-stützung für die Gesetzesbrecher.“ (mc)Quelle: „Correos“, Zürich, Ausgabe Februar 1998

PB 8/98 • AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG 9

Costa Rica

Quoten fürpolitische Beteiligungvon Frauen – Schein oder Sein ?Von Roseléa Camacho

Im Dezember 1996 wurden in Costa Rica ei-ne Reihe von Reformen des Wahlgesetzesgebilligt, darunter auch die Festsetzung vonQuoten für die politische Beteiligung derFrauen. Die Parteien müssen Mechanismenschaffen, die mindestens 40% Frauenanteilin der Parteistruktur und auf den Wahlzettelnfür öffentliche Posten garantieren. Noch zuBeginn dieses Jahrzehnts wurde die Ideevon Repräsentanten verschiedener gesell-schaftlicher Bereiche rundweg abgelehnt.Daher kommt der Durchsetzung der neuenNorm eine Relevanz zu, denn sie bedeutet –allgemein gesprochen – einen Fortschritt fürZugangschancen der costaricanischenFrauen zu Entscheidungspositionen.

Bereits diese Regelung enthält einigeLücken, die ermöglichen, direkt gegendas Recht aller Frauen, gewählt zu wer-den und wichtige Positionen zu besetzen,zu verstoßen. Schwerwiegend ist die feh-lende Bestimmung, daß mindestens 40%Kandidatinnen tatsächlich auf Listen-plätzen rangieren müssen, für die Wahl-chancen bestehen.Das eröffnete den Par-teien den Weg durch die Hintertür: sieplazieren bei Einhaltung der Formalitätdie Frauen auf Plätzen, für die keine Aus-

Das Sekretariat der „Na-tionalen Verteidigung“(Sedena) hat im Oktober1997 Strategien entwor-fen, um den Aufstand inden südlichen Provinzendes Landes zu zerschla-gen. Dazu gehört die Or-ganisierung der Zivilbevöl-kerung, insbesondere derViehzüchter, der Kleinei-gentümer und von Perso-nen „mit starkem patrioti-schem Sinn“. Diese allesollen zur Unterstützungder militärischen Optionengewonnen werden, um sodie „Selbstverteidigungs-kräfte“ zu stärken. Siewerden insgesamt von Mi-litärinstruktoren unter-richtet.

Mexico

Aufstandsbekämpfung Angehörige der Gefange-nen des Santa-Maria-

Gefängnisses schlagen Polizisten in die Flucht.Bild aus: „Junge Welt“,

11. März 1998.

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Palästina: Konflikte zwischen Autono-miebehörde und islamischen Kräften„Wir haben einige Informationen,daß diepalästinensischen Sicherheitsbehördenhinter der Ermordung von Sharif stehen.Wir rufen alle Palästinenser, alle Freun-de des Islam auf, den Zionismus zubekämpfen.“ (Hamas. 8.4.98)

Unklar bleiben die Hintergründe derjüngsten Ermordung des „Ingenieur II“,wie Israel ihn nannte,anläßlich einer vor-getäuschten Autobombe. Ein palästinen-sischer Pathologie-Experte fand heraus,daß der Tod schon vor der Explosion desAutos eingetreten war. Israel erklärt sichdafür nicht verantwortlich, die Arafat-Fraktion macht die internen Hamas-Ver-hältnisse dafür verantwortlich, Hamaswiederum erklärt die palästinensischeAutonomiebehörde für zuständig.Das isteine bislang nicht so deutlich definierteLinie gegenüber Arafat. Für Außenste-hende kein leicht zu durchschauendesSpektrum, zumal jede Fraktion Interes-sen an der Eskalation haben könnte.Ge-rade in der letzten Woche waren 4 Mit-glieder von Hamas wegen einer Bomben-legung durch israelische Behörden ange-klagt worden. Hamas rief zur Rache auf.

Diese Entwicklung erfolgt auf demHintergrund einer zunehmenden Ver-schlechterung der politischen und sozia-len Dimensionen der Entwicklung. SeitOslo hat sich vieles zurückentwickelt,insbesondere die zuvor bestehende Mög-lichkeit einer palästinensischen Intidafa.Arafat droht heute zwar gelegentlichwieder damit, ist aber durch internatio-

nale und israelische Strategien in diePflicht genommen. Gegenüber der palä-stinensischen Bevölkerung versucht er,jegliche Opposition zu seinem Kurs re-pressiv zu verfolgen.

Die Aussichten auf eine weitere Rück-gabe der besetzten Gebiete, wie es imOslo-Abkommen festgelegt war, sind beiNull.Selbst in den USA wird die Blockie-rung des Prozesses durch die Netanjahu-Koalition mit Sorgen betrachtet, wenn-gleich dies an ihrer bedingungslosen Un-terstützung Israels nicht ändert.

(Nord-)Irland: Umstrittener VertragLanges Tauziehen in den Schlußver-handlungen; einige Male werden Termi-ne zur Verkündigung der Verträge zwi-schen den Parteien im Konflikt um diezukünftige Machtbalance rund um Bel-fast neu angesetzt. Immer wieder wirdzwischen den Royalisten und den Repu-blikanern um die bessere Startpositiongerungen, unter dem Druck der irischen,englischen und US-amerikanischen Re-gierung. Schließlich soll ein antiquierterKonflikt um die soziale Entwicklung ei-ner Provinz mitten im („friedlichen“) Eu-ropa beigelegt werden. Tony Blair wirftsein Image ebenso in die Wagschale wieder Sinn Fein-Vertreter Gerry Adams.Einige Dissidenten aus der IRA und jeneaus der INLA haben in den letzten Wo-chen versucht, den Kurs noch herumzu-reißen. Ihre militanten Kampfformenwerden zukünftig weiter isoliert werden.Die Sinn Fein wird die Funktion über-nehmen,den sozialen Sprengstoff zu kon-

Zu einer Auswertung der Newroz-Feierlichkeiten trafen sich Ende März in dertürkischen Hauptstadt Ankara die Vorsitzenden der Regionalorganisationen derHADEP. Trotz der Versuche der Regierung, Newroz als „türkisches Fest“ zu ver-einnahmen, habe die kurdische Bevölkerung bei den Newroz-Feiern erneut un-terstrichen, daß sie an ihrem nationalen Widerstand festhält und an ihren For-derungen nach Selbstbestimmungsrechten. Am 1. Mai werde man machtvoll auf-treten, kündigte die HADEP an. Auch über die Möglichkeit vorgezogener Neu-wahlen wurde gesprochen. Die HADEP werde kandidieren, wurde beschlossen.Der HADEP-Vorsitzende Bozlak und andere Vorstandsmitglieder sitzen seit Mo-naten in Haft. (rül, Bild: Özgür Politika, 4.4.98)

10 AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG • PB 8/98

sicht auf einen Wahlerfolg besteht.Ande-re Tricks erlauben es, die Präsenz derFrauen in allen Entscheidungsorganeninnerhalb der Parteistrukturen zu umge-hen.Auch verhindern sie die Möglichkeit,Sanktionen gegenüber den Parteien an-zuwenden, die die Quote nicht erfüllen.Das sind alles Schwachstellen,die bereitsin der Debatte dazu benannt worden wa-ren.

Weitere Lücken und Intentionen wur-den während des vergangenen Wahlpro-zesses sichtbar, der mit dem Wahltag am1. Februar endete. Frauen aus verschie-denen gesellschaftlichen Bereichen ver-folgten achtsam die Einzelheiten des Pro-zesses und die Versuche, die gesetzes-mäßig festgelegten Quoten durchzuset-zen. Wir nahmen an, daß wir als Bürge-rinnen die Möglichkeit hätten, die vonden Parteien eingereichten KandidatIn-nenlisten einzusehen. Dies hätte ermög-licht,die Einhaltung der Quoten zu über-prüfen und im Falle eines Verstoßes aktivzu werden. Zu unserer Überraschungwurden die Listen erst bekannt gegeben,als die Wahlzettel bereits gedruckt undfür die Wahlen vorbereitet waren, sozu-sagen als die Suppe bereits gekocht undservierfertig war.

Wie wir vermutet hatten, haben meh-rere Parteien die 40% Quote für Frauenauf den Wahlzetteln für die Repräsen-tantInnen des Parlamentes nicht erfüllt.Die Beschwerden ließen ebenso wenigauf sich warten wie die Erklärungen. Ineinem Abfederungsversuch behauptetedie Direktorin des Zivilregisters – ein Or-gan, das vom Obersten Wahltribunal(TSE) abhängt, zuständig für Einschrei-bung der Parteien und die Freigabe derWahlzettel –, niemand sei zum Unmögli-chen verpflichtet gewesen. In den Fällen,in denen es nicht genug Frauen gegebenhätte, wären die Parteien davon befreitgewesen, den erwähnten Prozentanteileinzuhalten. Eine Behauptung, daß wirFrauen einmal mehr verantwortlich fürunsere eigene Unsichtbarkeit sind.

In Anbetracht zahlreicher Klagen aufUngültigkeit gab das TSE zwei Tage nachden nationalen Wahlen eine Reihe ma-thematischer Formeln bekannt, um dieEinhaltung der 40 % zu belegen. In einemnie dagewesenen Fest von Summen undMultiplikationen fand jede Partei dieFormel, die schließlich die ersehnte Pro-zentzahl zum Ergebnis hatte. Auf einenAntrag zur Annullierung der Ergebnisse,den die Gruppe „Politische AgendaCostaricanischer Frauen“ stellte, ant-wortete das Wahltribunal nicht einmal.Es ist eine Lektion für die costaricani-schen Frauen gewesen. Funktionäre, diedemokratische Patriarchen spielen, un-vollständige Gesetze und beschönigendeAktionen täuschen. Ohne wirkliche undständige Kontrolle können wir den Quo-ten-Schein nicht in eine tatsächliche Be-teiligung der Frauen in Entscheidungs-positionen umwandeln.

(fempress-Poonal)

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trollieren, der in den Randsiedlungen derProvinz durchaus vorhanden ist.

Frankreich: Den „Sans Papiers“droht jetzt die AbschiebungNachdem die französische Mehrheitsko-alition in der letzten Woche eine neue Ge-setzgebung für AusländerInnen verab-schiedet hat, steht die Mehrheit der SansPapiers mit dem Rücken zur Wand. IhrerAbschiebung,durch die Regierung mehr-heitlich beschlossen, steht nun nichtsmehr im Wege. Argumentiert wurdedurch die PCF-Koalitionspartei mit ei-nem auch hierzulande bekannten Er-klärungsmuster; dies würde den Rechtennur noch mehr Auftrieb geben. Man dür-fe nicht Le Pen in die Hände arbeiten.

Die Regierung hat zwar eine neue, et-was weniger repressive Regelung als ih-rer Vorgängerin beschlossen, an den In-teressen und damit der Legalisierung derPapierlosen aber vorbeigehandelt. Etwadie Hälfte der Sans Papiers hat – bedingtdurch das Schein-Angebot der Regie-rung, Anträge zu prüfen – ihren Aufent-haltsort preisgegeben, ein anderer Teilhatte sich lediglich vermittelt über Soli-daritätsorganisationen gegenüber denBehörden „geoutet“.

Ihre Versuche der letzten Woche zieltenauf weitere Mobilisierung in Frankreich.Die Verbindung mit den Arbeitslosen inFrankreich wird gesucht, ebenso die mitden prekär Beschäftigten. „Aufenthaltfür 10 Jahre! Erhöhung der Arbeitslo-senbezüge!“ So die Forderungen. EineRückkehr in die Klandestinität schlies-sen die „Sans Papiers“ aus; jetzt, wo sieihre Stimme erhoben haben, sollen sichauch andere Kreise damit befassen. DieKulturschaffenden sollen erneut Stel-lung beziehen; wie vor zwei Jahren, alssie die Meldefristen zur Kontrolle derEinwanderung zu Fall brachten. Damals,vor zwei Jahren, begann der Kampf mitder Besetzung der Kirche St.Ambroise inParis. Die Selbstorganisierung der SansPapiers hat sich seitdem verbessert, siesind lokal und überregional organisiert,haben viel Selbstbewußtsein geschaffen.

• „Wir sind schon da!“ ist ein in deutscherSprache produziertes Video, in dem 5Frauen der Sans Papiers über ihrenKampf berichten; zu Entstehungsge-schichte und Hintergründen, von der Or-ganisierung der Frauen in den Sans Pa-piers und ihren Forderungen.MadjigueneCissee: „Unsere Forderungen gehen weitüber die Regulierung unserer Papierehinaus. Es ist sicher, daß unser Kampf,den wir – als Volk aus dem Süden,das hierin Europa lebt – führen, die Frage nachder Nord-Süd Beziehung stellt. Das istdie Frage, die sich heute stellt!“ Das Vi-deo ist gegen einen Kostenbeitrag von 50Mark zu entleihen bei: autofocus video-werkstatt, Eisenbahnstr. 4 10997 Berlin,Tel. 030-6188002, Fax: 030-6111583

(Zusammenstellung: mc)

KEIN MENSCH IST ILLEGAL! • ASYL IST MENSCHENRECHT! • NEIN ZUMRASSISMUS! • KEINE AUSWEISUNG!Seit langen Jahren spielt die Auswanderung eine wichtige Rolle in der Geschichte Ir-lands. Diese Menschen haben ihre Heimat verlassen, um ein besseres Leben in einemfremden Land zu führen. Als „ökonomische“ Auswanderer waren die Iren willkommen inder ganzen Welt. Im Moment gibt es in Irland etwa 5000 Asylsuchende. Die irische Re-gierung meint, nur 10% dieser Menschen seien „echte“ Flüchtlinge. Die anderen 90% sol-len sog. „ökonomische Immigranten“ sein, deshalb werden sie höchstwahrscheinlich inihre Heimat zurückgeschoben werden.In den 80er Jahren, nachdem die irische Regierung an die amerikanischen Behörden ap-pelliert hatte, sie sollten die irischen Illegale in den USA bleiben lassen, bekamen etwa40 000 Personen ihre Arbeitslaubnis. Im Februar 1998 fing die irische Regierung an,Flüchtlinge aus Irland auszuweisen. Behauptungen seitens der irischen Regierung be-fassen sich fast ausschließlich mit den daraus entstehenden Kosten für die irische Staats-kasse. Asylanten dürfen aber in Irland nicht arbeiten, bis ihre Verfahren geklärt sind, wasmeistens einige Jahre dauert. In der Zwischenzeit werden diese Menschen als „Schma-rotzer“ für den Staat bezeichnet. Rassistische Anfälle und körperliche Angriffe auf Asy-lanten, obwohl klein an der Zahl, sind im Steigen begriffen.Um Widerstand gegen die beschämend-heuchlerische Ausweisungspolitik der irischenRegierung sowie gegen den anwachsenden Rassismus wird ein irischer Aktionstag fürden 25. April bestimmt. Der Aktionstag wurde ins Leben gerufen von einer Koalition vonantirassistischen Gruppen und genießt die Unterstützung seitens der vielen Freiwilligen-gruppen in den Gemeinden. Demonstrationen sollen in Dublin, Cork, Galway, und Lime-rick stattfinden. Zusätzlich werden Protesttage vor der Botschaft Irland in Paris, Stock-holm, London, Bonn veranstaltet.

Unterstützen Sie unseren Protest vor der irischen Botschaft am 25. April 1998.

Aktionstag am 25. April um 13 Uhr, Botschaft der Republik Irland, Godesberger Allee 119, 53175 Bonn

Der obige Aufruf, der aus dem EU-Land Irland stammt, welches noch

nicht „Schengenstaat“ ist,zeigt die Pro-blematik der Ausweitung eines europäi-schen Abschottungssystems. NachdemÖsterreich und Italien in den letztenMonaten zu dem europäischen Ab-schreckungs- und Abwehrsystem ge-genüber asylsuchenden Menschen ausvielen Ländern hinzugekommen sind,stehen noch England, Irland und Grie-chenland „außerhalb“.Es wird eine Fra-ge der Zeit sein, bis auch diese Länderauf den Zug aufspringen. Die Entwick-lung in Irland drückt die Tendenz aus.

Das Straßburger Europaparlamenthatte in einer Entschließung Ende Ja-nuar 1998 gefordert, daß die europäi-schen Staaten sich gemeinsam der Auf-gabe und Verantwortung bewußt zu seinhätten, eine humane Einwanderungs-und Asylpolitik durchzusetzen. Dazugehört seiner Ansicht nach auch derSchutz von Bedrohten, ihren Aufenthalt„im Einklang mit den Menschenrechtenund internationalen Übereinkommenzu legalisieren“. Einwanderung dürftenicht differenziert werden, die Einge-wanderten sollten gleichbehandelt wer-den.

Ein Bericht mit 133 Punkten war vonder französischen Kommunistin AlinePailler erarbeitet worden und hatte dieZustimmung von 260 Europa-Parla-mentarierInnen erhalten. Die Konser-vativen und Rechtsextremen stimmtendagegen.

Neben vielen anderen Punkten wur-den die „Kollektivausweisungen“, dieAnwendung von Betäubungsmitteln zurAusweisung, die Aberkennung desFlüchtlingsstatus nach der Genfer Kon-

vention,die Abschottungspraxis der eu-ropäischen Länder kritisiert. Entspre-chend der Genfer und EuropäischenKonvention (Art 3 EMRK) fordert dieVersammlung die Mitgliedstaaten auf,„auch illegal eingereiste Einwandererund Flüchtlinge nicht in einen Staatzurückzuschieben, in dem ihnen Folteroder andere unmenschliche oder er-niedrigende Behandlung droht bzw. diebegründete Annahme besteht, einer sol-chen Behandlung ausgesetzt zu wer-den.“ Die Beschlußfassung forderte imübrigen auch „mit Nachdruck die kon-tinuierliche Durchführung von Infor-mations- und Bildungskampagnen, vorallem an den Schulen und in den Medi-en, um Rassismus zu bekämpfen, Tole-ranz zu fördern, den positiven Beitragvon AusländerInnen zur europäischenWirtschaft und Kultur herauszustel-len.“ Eine der europäischen Formierungauf der Ebene der Regierung deutlichentgegenstehende Beschlußfassung.Diese hat jedoch ihre Grenze dort, wodie Tendenzen des europäischen Parla-ments sabotiert werden durch die rea-len Einflußfaktoren der Machtfaktorenin einer Gesellschaft. Diese verhandelnparallel – z.B. in Bonn durch das Wirt-schaftsministerium angeführt – über die„Mindestnormen“ einer gleichmäßigen„Lastenverteilung“ in Sachen Einwan-derung.Darunter ist in der Regel ein Sy-stem von Zuwanderungskontrollen zuverstehen, daß auf dem niedrigst mögli-chen Niveau angesiedelt ist. So heißt esauch, für einen vorübergehendenSchutz existiere „kein Rechtsanspruch,die Staaten gewähren ihn als autonomeMaßnahme“.

(mc)

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Pax Christi im Erzbistum Kölnnimmt StellungKÖLN. Pax Christi im Erzbistum Kölnkritisiert die Praxis, alljährlich aus An-laß des Weltfriedenstages speziell fürSoldaten in Uniform eine Heilige Messeim Dom zu feiern.

Dies entspricht nach dem Verständnisvon Pax Christi und vielen anderen Ka-tholikinnen und Katholiken im Erzbis-tum nicht der päpstlichen Intention desWeltfriedenstages Diese thematisiert inder Regel die Perspektiven von Friedenund weltweiter Gerechtigkeit zu diesemAnlaß, nicht aber die kirchliche Recht-fertigung militärischen Handelns durchSoldaten. aus Lokalberichte Köln

Schiffsfahrt nach Düsseldorf undDemo zum InnenministeriumKöln. Am 17.April sollte eine Düsseldor-fer Regierungsdelegation in die Türkeireisen, um die Menschenrechtssituationzu untersuchen. Die Reise wurde von dertürkischen Regierung abgesagt, – doch esgibt mehr als genug Delegationsberichteüber die Türkei. Darum fordern dieFlüchtlinge, Kirchengemeinden undNetzwerke „Kein Mensch ist illegal“,daßeine öffentliche Anhörung über die Not-wendigkeit des Abschiebestopps in dieTürkei stattfinden soll – mit Menschen-rechtsexpertInnen aus der Türkei undDeutschland, mit VertreterInnen desLandesinnenministeriums und derLandtagsfraktionen. Diese Anhörungsoll im Mai stattfinden.

Am Freitag, 24. April, werden die kur-dischen Flüchtlinge mit PfarrerInnen,Prominenten und „Kein Mensch ist ille-gal“ mit einem Schiff nach Düsseldorffahren. Um 12 Uhr wird dort eine De-monstration zum Landtag bzw. Lan-desinnenministerium ziehen. Dort sollenInnenminister Kniola die Unterschriftenfür den Abschiebestopp und Material zuden Menschenrechtsverletzungen in derTürkei übergeben werden. InnenministerKniola hat so außerdem die Möglichkeit,

sich direkt bei den Flüchtlingen zu in-formieren. Sie alle sind ZeugInnen undOpfer der menschenverachtenden Poli-tik, von Folter Vergewaltigung, von Dor-fzerstörung und Vertreibung. Sie könnenaus eigener Erfahrung von der Verfolgungund Chancenlosigkeit kurdischer Men-schen in der gesamten Türkei berichten.

Nach der Rückkehr wird es abends ge-gen 18 Uhr ein Fest am Kölner Rheinufer

geben. – Abfahrt am 24.4. an der Hohen-zollern Brücke, 9 Uhr, Ankunft in Düs-seldorf ca.11.30 Uhr,Demonstration zumLandesinnenministerium!

Haftstrafe für TotalverweigererDARMSTADT. Das Amtsgericht Darmstadtverurteilte am 24. März den totalenKriegsdienstverweigerer Sven Hartjen-stein zu sechs Monaten Haft ohne Be-währung. Für die Hauptverhandlungbenötigte Richter Dähner gerade 45 Mi-nuten. Svens Versuche, seine Entschei-dung zu begründen und die zivil-mi-litärische Zusammenarbeit im Kriegsfalldarzustellen,wurden vom Gericht gezieltgestört und behindert. Die Staatsanwäl-tin forderte aus Gründen der „Individu-al- und Generalprävention“ sechs Mona-te Haft. Richter Dähner schloß sich demmit der Begründung an, Sven sei „einÜberzeugungstäter“ und die „Sozialpro-gnose“ negativ.Sven Hartjenstein hat ge-gen das Urteil Berufung eingelegt. ImVorfeld der Verhandlung war es derDFG/VK gelungen, durch eine Presse-mitteilung den Hessischen Rundfunkeinzuschalten. Er sendete kurz nach Be-endigung des Prozesses einen Beitrag imHörfunkprogramm über Sven.

Torsten Froese, DFG/VK FfM

FRANKFURT. Zu einem Friedenszeichen mit einem Durchmesser von 65 Meternstellten sich die Teilnehmer des Ostermarsches in der Ruppiner Heide in Bran-denburg auf. Auf dem 14 000 Hektar großen Gelände war früher ein Bombenab-wurfplatz der sowjetischen Armee. Die Ostermarschierer wandten sich dage-gen, daß jetzt das Gelände durch die Bundeswehr genutzt werden soll. In denöstlichen Bundesländern beteiligten sich viele Menschen an den Ostermärschen,allein im Zeitzer Forst in Sachsen-Anhalt und in der Ruppiner Heide 4500 Men-schen. – In den alten Bundesländern war die Teilnahme niedriger. Zur Ab-schlußkundgebung nach Frankfurt kamen z.B. 300 Teilnehmer. Das zentrale Os-termarschbüro in Frankfurt hatte den Aufruf unter das Motto gestellt „Es isthöchste Zeit für den Wechsel: Frieden und Arbeit für alle“. Die Palette politi-scher Themen des Ostermarsches war weit gefaßt: Demokratieabbau, aktuelldurch den Lauschangriff und die Abschottung der europäischen Grenzen, dieMilitarisierung Deutschlands, Nazis in der Bundeswehr, die Investition in Rü-stung statt in Frieden und Abrüstung, Arbeit und soziale Gerechtigkeit, Demo-kratie und Gleichberechtigung, ökologische Verantwortung und internationaleSolidarität.Wichtige Forderungen waren: Kein Bau des Eurofighters, keine Waf-fenlieferungen in die Türkei, Verbot von Waffenexport, keine Beteiligung an ei-nem Krieg im Irak, keine Entwicklung der Bundeswehr zu einer Interventions-armee. jöd, ola

HANNOVER. Am 28.3.98protestierten 300 Men-schen am Kröpcke ge-gen die Änderung desAsylbewerberleistungs-gesetzes, in dem vorge-sehen ist, Sozialleistun-gen für „geduldete“ undillegal eingereisteFlüchtlinge zu strei-chen. DGB-Landesbe-zirk Niedersachsen,NiedersächsischerFlüchtlingsrat, VVN-BdA Niedersachsen und weitere Initiativen der Flüchtlingsarbeit aus Hanno-ver, Hildesheim, Göttingen und Lüneburg unterstützten die Aktion. Alle Red-ner der Kundgebung wandten sich gegen „ein Gesetz, das so offensichtlich voneinem rassistischen Diskurs geleitet ist“ und Tausenden von Flüchtlingen jeg-liche Lebensgrundlage entzieht. anr

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Dannenberg. Wir erleben eine Zeit rasanterVeränderungen. Nichts gegen Veränderun-gen, doch sie gehen genau in die falscheRichtung. Weltweit dieselbe Entwicklung:Die Armen werden immer ärmer, während dieReichen immer reicher werden. Das schlim-me daran ist, daß es dabei nicht nur um ma-terielle Ungerechtigkeit geht. Auch Freiheit,Würde und eine gesunde Umwelt werdenmehr und mehr zu Waren, die von Reichenin Anspruch genommen werden können,aber den Armen vorenthalten werden. An-statt die Armut zu bekämpfen, wird ein Krieggegen die Armen geführt. Während für Ka-pital und Waren die Grenzen abgebaut wer-den (Globalisierung), werden für Menschenmit wenig Geld neue Grenzen aufgebaut. So-wohl auf großräumiger (z.B „Festung Euro-pa“) als auch auf lokaler Ebene sichern sichdie Reichen Gebiete, wo sie ungestört vomAnblick der Armut unter sich sein können.Die Aufteilung der Regionen nach Reichtumhat auch ökologische Bedeutung. Die giftig-sten und riskantesten Unternehmungen(z.B. Atomenergieanlagen) werden meist inden ärmsten Gebieten angesiedelt. Besten-falls werden die Schäden durch einen ver-schwenderischen Lebensstil für wenige(z.B. Luftverkehr) auf alle verteilt.

Stoppt den neoliberalen Wahnsinn !

Dieses Prinzip der Privatisierung desNutzens und der Sozialisierung derSchäden gilt auch für die Verantwortungwirtschaftlicher und politischer Ent-scheidungen.Während die Gewinne ger-ne als persönliche Leistungen einge-steckt werden, will für die sozialen undökologischen Folgen einer Entscheidungniemand die Verantwortung tragen.Dannliegt es plötzlich an unvermeidbarenSachzwängen, anonymen Mächten wiedem Markt oder den Konsumenten, diedas ja haben wollen.

Alles soll dem „freien“ Wettbewerbunterworfen werden, dann wird’s derMarkt schon regeln. Die Erfahrungenzeigen jedoch, daß der „freie“ Markt al-les nur im Sinne der Mächtigsten regelt.Soziale und ökologische Katastrophenwerden bei rein wirtschaftlicher Be-trachtung nicht mehr als zu vermeiden-de Unglücksfälle gesehen, sondern alsChancen,Löhne zu drücken und neue Ab-satzmaerkte zu erobern.Wir rasen auf ei-nen Abgrund zu. Doch unsere Politikerhaben nichts besseres zu tun als dieBremsen zu entfernen.

In geheimen Verhandlungen der OECD(Industriestaaten) wurde ein Vertrag„zum Schutz von Investitionen“ erarbei-tet, der den unterzeichnenden Staaten

praktisch alles verbietet, was den Inter-essen von Investoren widerspricht. Ge-setzliche Regelungen zum Umweltschutzoder zur sozialen Sicherung wären nurnoch möglich bei entsprechender „Ent-schädigung“ der Kapitalisten,angesichtsder leeren öffentlichen Kassen also na-hezu unmöglich. Dieser Vertrag, genannt„Multilateral Agreement on Investment“

(MAI) soll in diesem Frühjahr unter-zeichnet werden.Es ist zu befürchten,daßviele Staaten den Vertrag unterzeichnen,um Investoren anzulocken und die rest-lichen Staaten dadurch noch mehr unterDruck geraten. Einmal unterzeichnet,kann ein Staat frühestens nach 5 Jahrenaussteigen, und muss selbst dann nochweitere 15 Jahre die Regeln des MAI be-folgen. Die Demokratie wird damit voll-ends zur Marionette, da sie nur noch be-schliessen kann, was das Kapital will.Dieses Ermächtigungsgesetz kann nurverhindert werden, wenn ein breites öf-fentliches Bewusstsein über seine Kon-sequenzen entsteht. Nutzen wir den Mai,um das MAI zu verhindern!

Macht den Standort zum Widerstandort!

Oft ist zu hören,dass man gegen den Neo-liberalismus keinen Widerstand leistenkönne, da er zwar überall wirksam, abernirgends konkret zu fassen sei. Er wirdjedoch konkret in allen seinen Auswir-kungen und kann dort auch bekämpftwerden.Wir halten es jedoch für wichtig,daß diese Kämpfe nicht isoliert vonein-ander geführt werden, sondern im Ge-samtzusammenhang gesehen werden.Der Neoliberalismus bezieht seine Stär-ke aus seiner Ideologie, einem Gedan-kengebäude aus Lügen und Versprechun-gen. Diese muß als solche auch direkt an-gegriffen werden.

Auch der neoliberale Umbau der Welthat seine Termine und damit Anlässe, ge-meinsam dagegen vorzugehen. So treffensich im Mai (18.–20.) Minister und ande-re Bonzen in Genf zur jährlichen Tagungder Welthandelsorganisation ( WTO ), umweiter unsere Zukunft zu verplanen. Ne-benbei wollen sie ein 50jähriges Ju-biläum des WTO-Vorläufers GATT fei-ern, d.h. seit 50 Jahren wird die weltwei-te Ausbeutung von Mensch und Natur of-fiziell koordiniert.

Ein Aktionsbündnis von Widerstands-bewegungen aus aller Welt mit dem Na-men „Peoples Global Aktion“ (Weltwei-te Aktion der Leute /Völker ) will in die-ser Zeit sowohl dezentral als auch in Genfdirekt Aktionen gegen den „freien“ Han-del und seine Auswirkungen durch-führen. Im Rahmen dieser Aktionen wirdauch unsere Karawane stattfinden. Inden drei Wochen davor wollen wir schonmal eine Menge Aufmerksamkeit auf die-ses Ereignis lenken und uns dann auch anden Aktionen in Genf beteiligen.

Widerstand weltweit! • Arbeitsgruppe Wendland • Geld oder Leben ?

Aufruf zu einer Karawane nach Genf im Mai1998 zur WTO Ministerkonferenz

TourplanungDie Kernstrecke der Karawane wird vonFrankfurt bis Genf gehen. Frankfurt istdeutsches Finanzzentrum, Stadt derBanken und der Börse. (…) Für die Strecke Frankfurt-Genf haben wirzwei Wochen veranschlagt. Am Samstagden 2.5 wäre Ankunft in Frankfurt, dannein fahrtfreier Sonntag zum treffen, ken-nenlernen, diskutieren und planen. Einenweiteren freien Sonntag haben wir am10.5 in Basel eingeplant. Er dient auchals Zeitreserve, falls es an der GrenzeSchwierigkeiten gibt.

Mo 4.5 DDaarrmmssttaaddtt (30km)Di 5.5 HHeeiiddeellbbeerrgg (55)Mi 6.5 KKaarrllssrruuhhee (50)Do 7.5 OOffffeennbbuurrgg? (65) Fr 8.5 FFrreeiibbuurrgg (60)Sa 9.5. BBaasseell (60)Mo 11.5 AAaarraauu (55)Di 12.5 BBuurrggddoorrff?? (60)Mi 13.5 BBeerrnn (25)Do 14.5 FFrriibboouurrgg (30)Fr 15.5 LLaauussaannnnee (60) Sa16.5 GGeennff (60)

In Genf werden am 16.5 mit einer „Glo-bal Street Party“ die direkten Aktionen zurWTO Ministerkonferenz eingeleitet, diebis zum 20.5 dauert.

Mitmachen!

WWeennnn iihhrr mmiittffaahhrreenn wwoolllltt,, mmeellddeett eeuucchhffrrüühhzzeeiittiigg,, ddaammiitt wwiirr aabbsscchhäättzzeenn kköönn-nneenn,, wwiieevviieellee wwiirr wweerrddeenn..

Rückmeldung

zzuurr KKaarraawwaannee „„GGeelldd ooddeerr LLeebbeenn??““ nnaacchhGGeennff iimm MMaaii 9988TTeell.. 0055886611//22552277 FFaaxx:: 0055886611//22552277EEmmaaiill::wwiiwwaawweenndd@@mmaaiill..nnaaddiirr..oorrgg

WWIIWWAA WWeennddllaannddcc//oo AAbbrraaxxaa;; MMaarrsscchhttoorrssttrr.. 5566DD-2299445511 DDaannnneennbbeerrgg

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Festigung solidarischer Beziehungenwurden zwei tschechische Delegationenaus dem Bezirk Domazlice eingeladen.Die größere Delegation kommt, wie dieRegensburger Gruppe der Vereinigungder Verfolgten des Naziregimes – Bundder Antifaschisten (VVN-BdA) in einemRundschreiben mitteilt, vom ,links ori-entierten Klub der Frauen’, zu dem seitdem Internationalen Frauentag am 8.März 1997 freundschaftliche Beziehun-gen bestehen. Die zweite Delegationkommt vom Kreisrat des ,Klubs destschechischen Grenzgebiets’ in Domazli-ce,der seine Ziele in einem Brief vorstellt:„Wir sind für gute und beiderseits nütz-liche Beziehungen mit allen Nachbarnder CR, vor allem mit der BRD, und zwarauf der Basis von Gleichheit, Souverä-nitätsrespektierung und Nichteinmi-schung.“ An den antifaschistischenStadtrundgang wird sich ein Freund-schaftsessen mit den Gästen aus derTschechischen Republik anschließen. rh

Lebensbegleitung und Förderung

Pflege ist nicht genugHAMBURG. Mehrere hundert Menschen pro-testierten Anfang März auf einer Veranstal-tung im Museum für Arbeit gegen die Absichtdes Senats, Wohneinrichtungen von Behin-derten in Pflegeabteilungen bzw. Pflegehei-me umzuwandeln.

Nach dem Bundessozialhilfegesetz er-halten behinderte Menschen ergänzendzur Pflege eine sog. Eingliederungshilfezu ihrer Betreuung und Förderung, dieihnen ein einigermaßen individuelles undintegriertes Leben ermöglichen soll. Mitder beabsichtigten Umwandlung betreu-ter Wohneinrichtungen in Pflegeeinrich-tungen will der Senat einen Teil der Ko-sten für die Betreuung Behinderter aufdie Pflegeversicherung abwälzen, wasbedeutet, daß die Eingliederungshilfe –weil nicht Bestandteil der Pflegeversi-cherung – gestrichen wird. Dagegen hatsich inzwischen ein Hamburger Initiati-vkreis Eingliederungshilfe gegründet,der u.a. eine Unterschriftensammlunggegen die Streichung organisiert.Wir ver-öffentlichen Auszüge einer Entsch-ließung mehrerer Organisationen und desInitiativkreises. bab

Keine Experimente auf Kosten schwerst-behinderter Menschen!

Wir protestieren gegen die Absicht desHamburger Senats, Teile der Wohnein-richtungen für behinderte Menschen inPflegeabteilungen bzw. Pflegeheime um-zuwandeln. Menschen, die wegen ihrerBehinderung darauf angewiesen sind, inbetreuten Wohnformen zu leben, brau-chen verläßliche Assistenz, Lebensbe-gleitung und Förderung, die mit der not-wendigen Pflege ganzheitlich verbundensind. Der Anspruch für die Hilfe leitetsich ausschließlich aus der im Bundesso-

zialhilfegesetz normierten Eingliede-rungshilfe ab und ist nicht über andereRegelungen abzusichern.

Behinderte Menschen,die in Pflegeab-teilungen nach den Vorschriften des Pfle-geversicherungsgesetzes leben, verlierenfür den zentralen Lebensbereich desWohnens den Schutz der Eingliede-rungshilfe.

Wer in einem Pflegeheim bzw. einerPflegeabteilung lebt, hat zunächst An-spruch auf Pflege. Die Frage, inwieweitergänzende Eingliederungshilfe gewährtwird, die den bisherigen Betreuungs-standard tatsächlich gewährleistenkann,wird zum Spielball beliebiger Kür-zungsphantasien.Mängel im Pflegeversi-cherungsgesetz können nur über eine Än-derung dieses Gesetzes behoben werden.Wir protestieren dagegen, daß ersatzwei-se nun auch in Hamburg versucht wird,am Anspruch auf Eingliederungshilfe zumanipulieren.

Unsere Ängste begründen sich aus un-seren Erfahrungen. Behinderte Men-schen und deren Angehörige haben ge-lernt, daß sie sich nur auf die Hilfen ver-lassen können, die eine unmittelbare ge-setzliche Grundlage haben. Wenn dasWohnen für behinderte Menschen aus derEingliederungshilfe herausgenommenwird, bedeutet dies einen ersten Schrittzum Ausstieg aus der Eingliederungshil-fe … Wir fordern den Hamburger Senatauf, behinderte Menschen nicht in die fürsie ungeeigneten Strukturen der Pflegezu zwingen.

AntifaschistischerGedenktag mit tschechischen GästenREGENSBURG. Seit jeher wird in Regensburgder 23. April als antifaschistischer Gedenktagbegangen. Vor 53 Jahren, am 23. April 1945– die alliierten Truppen standen bereits un-mittelbar vor der Stadt – versammelten sicheinige Tausend Regensburgerinnen und Re-gensburger auf dem Dachau-Platz, um dort,in unmittelbarer Nähe der Nazi-Verwaltung,die kampflose Übergabe der Stadt zu fordern.Drei von ihnen, der Domprediger Dr. JohannMaier, Michael Lottner und Josef Zirkel, wur-den dafür von den Faschisten ermordet.

Auch in diesem Jahr wird mit einerKundgebung auf dem Dachauplatz andieses Ereignis erinnert werden. Abernicht nur an dieses. Die antifaschisti-schen Organisationen Regensburgs ladenein zu einem Stadtrundgang, der am 23.April um 15 Uhr am Denkmal für die KZ-Opfer im Stadtteil Stadtamhof beginnenwird. Mit einer Kranzniederlegung wirddort der Häftlinge aus allen von

Hitlerdeutschland überfallenen Län-dern gedacht, die ebenfalls am 23. April1945 aus dem KZ Flossenbürg, Außen-kommando Colosseum in Regensburg,auf den Todesmarsch getrieben wurden.Ein Teil dieser Häftlinge wurde, dem To-de bereits näher als dem Leben,von ihrenPeinigern durch die tschechische StadtDomazlice gejagt. Dort griffen mutigeFrauen und Männer die SS-Wachtpostenan und versuchten, die Häftlinge mit Le-bensmitteln zu versorgen. Auch daranwird, im Beisein tschechischer Gäste, inStadtamhof erinnert werden.

Nächste Station wird der Neupfarr-platz sein, auf dem am 12. Mai 1933 dieNazis die Bücher aller unliebsamenSchriftsteller verbrannten, der aber auchder „Neupfarrplatz-Gruppe“ den Na-men gab,einer Gruppe von Menschen,diesich nicht von den Nazi-Lügen Sand indie Augen streuen, sich vom Nazi-Terrornicht einschüchtern ließen. Daß auch ih-nen ein Denkmal gesetzt wird, ist eins derZiele der Regensburger Antifaschistenheute. Anschließend führt der Weg zurSynagoge. An demselben Platz, wo dieneue Synagoge wiederaufgebaut ist,wur-de am 9. November 1938 ihre Vorgänge-rin niedergebrannt. Und von diesemPlatz aus wurden auch die Juden aus Re-gensburg verschleppt, Richtung Dachauund Auschwitz.

Um 17 Uhr wird am Dachauplatz dieSchlußkundgebung stattfinden. Dortwird auch zur Sprache kommen, womitvor 60 Jahren die von den Nazis von lan-ger Hand geplante Versklavung der Völ-ker Osteuropas begann, dem Diktat vonMünchen („Münchner Abkommen“),dessen Null- und Nichtig-Erklärung vonAnfang an durch die Bundesregierung bisheute aussteht.

Zum gemeinsamen Gedenken und zur

So wie auf diesem Bild in Stuttgart de-monstrierten Ende März in zahlreichenStädten Pflegekräfte gegen die BonnerPläne, die Fachkraftquote von 50 Prozentin den Altenheimen zu streichen. Ihr Er-folg: die Pläne werden um 2 Jahre zurück-gestellt.Der Kampf um die Pflegequalitäthat damit Auftrieb bekommen.

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ESSEN. Wie leben Menschen in der Bundes-republik, die gezwungen sind, ihr Überlebenin der Illegalität zu organisieren? Auf Einla-dung von Pro Asyl/Flüchtlingsrat und demStadtteilbüro der Zeche Carl berichteten am28.3.1998 Mitglieder der Forschungsgesell-schaft Flucht und Migration aus Berlin, derBochumer medizinischen Flüchtlingshilfeund ein Pfarrer aus Altenessen in der ZecheCarl über ihre Erfahrungen.

So führt die Bochumer Initiative einmalwöchentlich eine „Sprechstunde“ fürFlüchtlinge durch. Wenn das anwesendemedizinisch geschulte Personal – z.T.Ärzt/innen – nicht helfen kann, vermit-teln sie weiter an Praxen und auch Kran-kenhäuser, die bereit sind, ohne Nachfra-ge notwendige Behandlungen durchzu-führen. Deutlich wurde, mit welch viel-fältigen Problemen die illegalisiertenMenschen zu kämpfen haben und wieauch die Helfer/innen oft an den Randder Illegalität gedrückt werden. Hierkann nur eine solidarische Öffentlichkeitein Gegengewicht setzen.Und manchmalist es möglich, aus der Illegalität wiederin die Legalität zu kommen, wie erfolg-reiche Kirchenasyle bewiesen haben. DieMitarbeiterin der Berliner Forschungs-gesellschaft berichtete über die erfreu-lich große Zustimmung, die die Kampa-gne „Kein Mensch ist illegal“, zu derenInitiatorinnen sie zählt, bundesweit fin-det. Im Rahmen dieser Kampagne gelingtes, unterschiedliche Aktionen zur Unter-stützung von Flüchtlingen zusammenzu-führen, z.B. die bisher größte Kirchen-asylkampagne gegen die Abschiebungvon kurdischen Flüchtlingen. Zunächstin Köln, derzeit in Düren sind über 100Menschen im Kirchenasyl. Ihre nächsteStation könnte eine Kirche in Bochumsein.

Nachdrücklich kritisierte die Mitar-beiterin der Forschungsstelle die Bun-desratsinitiative zur Änderung des Asyl-bewerberleistungsgesetzes, durch diehunderttausende Flüchtlinge in die Ille-galität gezwungen werden. Der Gesetz-entwurf – der von sozialdemokratisch re-gierten Ländern eingebracht wurde –passierte am Tag nach der Veranstaltungunter Beifall der Bundesregierung in er-ster Lesung den Bundestag. Die folgendeDarstellung der Auswirkungen des Ge-setzentwurfes ist dem Infobrief von ProAsyl/Flüchtlingsrat Essen, März 1998,entnommen. Pro Asyl/Flüchtlingsrat Es-sen will die Gesetzesänderung in denMittelpunkt des ersten flüchtlingspoliti-schen Ratschlages in Essen am 19. Maistellen.

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„Täuschen und Drohen“„Der Bundesrat hat eine neueStrategie zur Vertreibung von Flüchtlin-gen ausgeheckt: Das Streichen der So-zialhilfe“. Die hier übernommene Head-line des Spiegel vom 23.2.1998 zum Zwei-ten Gesetz zur Änderung des Asylbewer-berleistungsgesetzes beschreibt den vomBundesrat am 6.2.1998 beschlossenenGesetzesentwurf treffend. Wenn es nachihm geht, soll in Zukunft für geduldeteFlüchtlinge, die nicht abgeschoben wer-den können,der Rechtsanspruch auf Lei-stungen nach dem Asylbewerberlei-stungsgesetz „eingeschränkt“ werden. Inder Umsetzung heißt „eingeschränkt“für die meisten „gestrichen“, was in derVorlage des Bundesrates geschickt ver-schleiert wird.

Das Ziel ist, die Betroffenen zur Aus-reise zu treiben. Ein Ergebnis wird sein,daß sich viele in die Illegalität, statt in ih-re Herkunftsländer treiben lassen. DieFrage ist, ob die Gesetzesänderung ver-fassungsrechtlich haltbar ist, ob sie sichim Bundestag so durchsetzen läßt und obdie Kommunen mitspielen. Wenn sietatsächlich umgesetzt wird, sind schät-zungsweise zwischen 250000 und 500000Flüchtlinge in der Bundesrepublik vomAushungern bedroht.

Wen betrifft die Gesetzesänderung?

Die Streichung der Leistungen soll sol-che geduldete Personen und Familien be-treffen,„1. die sich in den Geltungsbereich die-ses Gesetzes begeben haben, um Leistun-gen nach diesem Gesetz zu erlangen“ Dasheißt, „… Personen, deren Motive für dieEinreise der Bezug von Sozialleistungenwaren …2. bei denen aus von ihnen zu vertreten-den Gründen aufenthaltsbeendendeMaßnahmen nicht vollzogen werden kön-nen …“ Beispielsweise,„…wenn sie nichtbei der Paßbeschaffung mitwirken 3. die nicht freiwillig ausreisen, obwohlihrer Ausreise in den Herkunftsstaat odereinen anderen zur Aufnahme bereitenStaat keine rechtlichen oder tatsächli-chen Hindernisse entgegenstehen …“Das heißt, „wenn eine Abschiebung desAusländers mangels Vorliegen bestimm-ter Voraussetzungen … nicht möglich ist,der Ausländer gleichwohl freiwillig insein Heimatland zurückkehren könnte.“Sie alle „erhalten Leistungen nach die-sem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfallnach den Umständen unabweisbar gebo-ten ist.“

Die publizierten Zahlen schwankenzwischen 250000 und 500000 Betroffe-nen.Genaue Angaben sind schon deshalb

nicht möglich, weilnicht klar ist, werunter die Kategorie„im Einzelfall nachden Umständen un-abweisbar geboten“fällt und leistungsbe-rechtigt bleiben soll.Darüber hinaus wirddieEntscheidung,wem die Leistungen

gestrichen werden und wem nicht, beiden Kommunen und ihren Mitarbeitersvor Ort liegen. Ob und wieviele lei-stungsberechtigte Einzelfälle sie festle-gen werden, hängt von kommunalen Di-rektiven, aber auch von der Auslegungder Mitarbeiter in den Sozialämtern undAusländerbehörden ab. Kein Flüchtlingwird von sich aus sagen, daß er nur ge-kommen ist, um Sozialhilfe zu erschlei-chen, oder daß er seine Papiere vernich-tet hat, um hier zu bleiben. Jeder gedul-dete Flüchtling kann glaubwürdig versi-chern, daß er nicht in Länder wie Algeri-en, Bosnien, Afghanistan zurückgehenkann, ohne sein Leben zu riskieren. Undin den meisten Fällen wissen die Sozial-arbeiter auch, daß dies nicht gelogen ist.So ist es nur realistisch, wenn es im Ge-setzentwurf des Bundesrates heißt: „DieHöhe der Einsparungen ist derzeit wegenfehlender Berechnungsunterlagen nichtzu beziffern“. Zum heutigen Zeitpunktwerden die geplanten Streichungen vorallem Menschen aus dem ehemaligen Ju-goslawien – hier besonders die Muslimeaus der Republik Srpska –, aus Algerien,aus Afghanistan, Libanon, sowie Kurdenund Vietnamesen aus der ehemaligenDDR treffen.

Schwarzer Peter liegt bei Kommunen

Wenn diese Gesetzesänderung tatsäch-lich vom Bundestag abgesegnet wird,ste-hen die Kommunen vor der Aufgabe zuentscheiden,wie eng oder wie weit sie dieGesetzesvorgaben umsetzen. Das Gesetztreibt sie geradezu dahin, dringend er-forderliche Einsparungen noch mehr anMenschen vorzunehmen, die in ihrerHeimat nicht leben können und inDeutschland am untersten Ende der Ver-sorgungsskala stehen. Das Gesetz zwingtdie Kommunen und ihre angestellten So-zialarbeiter geradezu, von jedem der be-troffenen Flüchtlinge anzunehmen, er seiein Betrüger. Manche Städte und auchmanche Mitarbeiter in den Behörden mö-gen diesen Einsparversuch auf demRücken der Schwächsten und Gefähr-detsten begrüßen.

Aber in einer Stadt wie Essen, die ei-nen vergleichsweise guten Ruf im Um-gang mit Flüchtlingen hat, kann dies nurzu massiven politischen und moralischenKonflikten führen – in der Verwaltung,beiden Angestellten der Sozialämter undnicht zuletzt bei den BürgerInnen,welchesich um Flüchtlinge vor Ort kümmern.

Zitate – soweit nicht anders gekenn-zeichnet – aus dem Gesetzentwurf,

Drucksache 691/97 – Juliane Pilz

Gesetzentwurf des Bundesrates liegt vor

Aushungern als Strategiegegen Flüchtlinge

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16 REGIONALES AUS WEST UND OST • PB 8/98

Von Dietmar Pellmann

Der Festsaal im Leipziger Neuen Rathauswar am Abend des 5. April reichlich gefüllt.Alle starrten auf eine Videowand. Als dortgegen 18.30 Uhr die ersten Abstimmungs-ergebnisse aufleuchteten, spaltete sich dasLager der Anwesenden zunächst noch zö-gernd in Gewinner und Verlierer. SPD-Kan-didat Tiefensee erreichte mit 40 Prozentzwar im ersten Anlauf nicht das angestreb-te Ziel, war aber dennoch der erwartete Ge-winner des Abends. Der Kandidat der PDS,Dr. Lothar Tippach, seit 1990 Vorsitzenderder PDS-Fraktion im Leipziger Stadtrat, warder eigentliche Gewinner des Abends. Sei-ne 24,3% bedeuteten nicht nur den zweitenPlatz, sondern waren fast 6 Prozent mehr als1994. Ziemlich betreten nahm CDU-Kandi-dat Kaminski seine reichlich 20 Prozent auf.

Daß die PDS in der größten Stadt desschwarzen Sachsens weit vor der CDUeinkommen würde, damit hatten besten-falls einige Insider gerechnet. Deshalbwar Tippach den ganzen Abend für diereichlich präsenten überregionalen Me-dien auch der gefragteste Interviewpart-ner. Der bekannteste ostdeutsche Bünd-nisgrüne, Werner Schulz, der vor Mona-ten aus dem rheinischen Bonn extra nachLeipzig geeilt war, um hier Oberbürger-meister zu werden, ward nach seinenrund 8% den ganzen Abend nicht mehrgesehen. Zu erwähnen bleibt schließlich:Die FDP bestätigte mit 1,5%, daß sie inLeipzig seit längerem kein Bein mehr aufdie Erde bekommt und von den Wahlsta-tistikern langsam in die Kategorie „Son-stige“ eingeordnet werden sollte.

Wie ist der erste Wahlgang für einenneuen Leipziger Oberbürgermeister nun

zu bewerten? Ich möchte dies nachfol-gend aus der Sicht der Leipziger PDS le-diglich thesenhaft tun, da eine solideAnalyse erst nach dem zweiten Wahlgangam 26. April möglich ist.

Erstens: Kommunalwahlen sind in er-ster Linie Personenwahlen. Die PDS hatmit Lothar Tippach einen Kandidatennominiert, dem von einem Viertel derWähler dieses hohe Amt wegen seinerkommunalpolitischen Kompetenz zuge-traut wurde. Honoriert wurde zugleichdie sachbezogene Oppositionspolitik derPDS-Fraktion im Stadtrat seit 1990.

Zweitens: Es ist der Leipziger PDS,dem mit 3300 mitgliederstärksten Kreis-verband der PDS,gelungen,einen von derBasis getragenen, aber professionellenWahlkampf zu führen und sich dabeiauch moderner Medien zu bedienen.Werernsthaft um den Oberbürgermeisterses-sel in einer Großstadt kämpft, der mußauch vom Erscheinungsbild während desWahlkampfes mit den anderen Kandida-ten konkurrieren können. Mangelnde fi-nanzielle Mittel im Vergleich zu CDU undSPD haben wir durch wesentlich mehrBürgergespräche in den Stadtteilen undInfoständen ausgeglichen.

Drittens: Partiell ist es uns gelungen,die von der PDS gelegentlich beklagteMedienblockade zumindest lokal zudurchbrechen. Das war nur möglich, weilden Journalisten originelle Angebote un-terbreitet wurden.Dazu gehörten u.a. ein„Elchtest“ von Lothar Tippach im Leip-ziger Wildpark, eine Tandemfahrt mitTäve Schur sowie der Anschlag eines So-fortprogramms nach Lutherschem Vor-bild an die Leipziger Rathaustür.

Viertens: Von den Wählerinnen undWählern wird durchaus honoriert, wenndie PDS alternative kommunalpolitische

3. Aktionstag gegen Arbeitslosig-keit: Ein Bericht aus Eberswalde

Der 3. Aktionstag gegen Arbeitslosigkeit,Ausgrenzung und Armut wurde im BezirkEberswalde dezentral durchgeführt.

Wie ÖTV-Geschäftsführer Jens Grögerinformierte,beteiligten sich in Schwedt250 und in Angermünde etwa 100 Ar-beitslose an der Aktion. In Eberswaldekamen trotz Dauerregens über 400 De-monstranten vor das Arbeitsamt. InEberswalde beteiligt waren diesmalauch zahlreiche Jugendliche, vor allemvom Oberstufenzentrum II.Dessen Lei-ter hatte die Jugendlichen für die De-monstration vom Unterricht freige-stellt.

Nach der Begrüßung formierte sichschnell der 400köpfige Demonstrati-onszug und marschierte zum 5 km ent-fernten Rathaus Eberswalde, das dies-mal Ziel des Arbeitslosenprotestes war.

Mit Trillerpfeifen,Sprechchören undzahlreichen Transparenten machtendie Demonstranten auf sich aufmerk-sam. Viele im Demostau stehendeKraftfahrer bekundeten durch Hupenihre Unterstützung für die Aktion. Un-terwegs wurde auf dem Karl-Marx-Platz, verbunden mit einer 10minüti-gen Straßenblockade, ein „Arbeitslo-sen-Denkmal“ eingeweiht. Im Gegen-satz zum Barnimer Landrat Bodo Ihr-ke, der bei den vorherigen Demonstra-tionen zum Landratsamt regelmäßigverhindert war, stand EberswaldesBürgermeister Reinhard Schulz denArbeitslosen auf der Straße vor demRathaus Rede und Antwort. Er verweisdarauf, daß der Spielraum der Kom-mune zur Lösung des Arbeitslosenpro-blems sehr begrenzt ist. Die grundle-genden Rahmenbedingungen würdenin Bonn und in Potsdam festgelegt. DerBürgermeister äußerte sein Verständnisfür die Arbeitslosenaktionen. Er unter-stütze deren Ziele und Forderungen.

Die Stadt versuche alles in ihrenKräften stehende, die Arbeitslosigkeiteinzudämmen. Reinhard Schulz nann-te als Erfolge u.a. die Entscheidungen,die die Landesregierung auf ihrer jüng-sten Sitzung in Eberswalde verkündethatte. Neben der Zusage zum Ausbaudes Flugplatzes Finow würden beson-ders die Vorbereitungen zur Landes-gartenschau im Jahr 2002 Investitionenund Arbeit in die Stadt und die Regionbringen. Die Demonstranten nahmendiese Aussagen sehr skeptisch zurKenntnis. Vor allem die Jugendlichengaben dieser Skepsis auch lautstarkAusdruck.Trotzdem ließen sich die De-monstranten im Anschluß die vom Bür-germeister gesponsorte Erbsensuppegut schmecken.

(Gerd Markmann, Eberswalde, ent-nommen aus: CL-Netz)

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1000 Personen beteiligten sich am 13.4. am Berliner Ostermarsch. Tags zuvorhatten im nahen Wittstock-Neuruppin 3000 gegen die geplante Weiternutzungdes früheren russischen Truppenübungsgeländes als „Bombodrom“ der Bun-deswehr protestiert. Trotzdem lästert die Presse über „schwache Beteiligung“.

Leipziger Oberbürgermeisterwahl

Lothar Tippach, PDS, mit 24,3%der Stimmen vor CDU-Kandidat

Page 17: Politische Berichte Nr.8 / 1998

ERZWUNGENE ARBEIT:Frankfurt/Main. Arbeitslo-

seninitiativen kritisieren diePolitik des Sozialdezernats:

„Ab dem 1.April werden in Frankfurt al-le neuen SozialhilfebezieherInnen ge-zwungen, eine sozialversicherungs-pflichtige Tätigkeit bei einer Beschäfti-gungsgesellschaft anzunehmen.Was sicherstmal ganz gut anhört, entpuppt sichschnell als Versuch der Stadt, Kosten aufden Bund abzuwälzen. Denn nach einemJahr hat der Sozialhilfebezieher An-spruch auf Arbeitslosengeld. Die Ver-mittlungsquote von Beschäftigungsge-sellschaften liegt bei stolzen 2 bis 3%.Berufliche Qualifikationen spielen indiesem Zusammenhang kaum eine Rol-le.Es muß angenommen werden,was an-geboten wird. Und dies zu einem Tarif,der weit unter Normalbezahlung liegt.Die Frage stellt sich, warum diese ‚Be-schäftigungsoffensive‘ mit Zwangsmit-teln erreicht werden soll? Offensichtlichhofft die Stadt, so mögliche Verweigereraus dem Sozialhilfebezug zu drängen.“

GESUNDHEITSVORSORGE: Augs-burg. Nach Ansicht der Grünen verwei-gert die Stadt den Bürgern eine ausrei-chende Gesundheitsvorsorge, indem sietrotz der ab 1998 festgesetzten ver-schärften Prüfwerte für krebserregen-den Dieselruß und Benzol keine Konse-quenzen in der Verkehrspolitik zieht:Vielmehr wird durch neuere Straßen-projekte mehr Verkehr in die Stadt ge-zogen und ist mit einer Mehrbelastungan kritischen Stellen zu rechnen. Meh-rere Anfragen der Fraktion der Grünendazu wurden nicht beantwortet.

AUSLÄNDERPOLITIK: München. Aufeiner Tagung der CSU-Stadtratsfraktio-nen von bayerischen Großstädten MitteMärz in Fürth wurde beschlossen, daßstärker nach der Devise „Ausländerraus“ gehandelt und außerdem der Zu-zug von Ausländern nach Bayern „aufNull reduziert“ werden soll. Dadurchkönnten die Großstädte in Bayern„kurzfristig um Sozialhilfekosten imdreistelligen Millionenbereich entlastetwerden“. SPD und Grüne befürchten,daß so Stimmung für ein von Gauweilergeplantes Volksbegehren gegen Auslän-der gemacht werden soll. Sie kündigtenbreite Gegenmaßnahmen an.

FRAUENFÖRDERUNG: Essen. Einekatastrophale Bilanz zieht der dritte Be-richt der Stadt Essen zur Frauenförde-rung. Personalpolitisch stagnierte dieUmsetzung der Ziele des Plans „in allenBereichen“, lautet das Fazit der Gleich-stellungsbeauftragten. Der Anteil derFrauen an den Beförderungen ist sogarzurückgegangen.An den 80 Beförderun-gen in höheren Einkommensgruppenwaren ganze 14 Frauen beteiligt,von den32 Teilnehmern an Fortbildungsmaß-

nahmen für den Führungskräftenach-wuchs waren 6 Frauen. Eigentlich solltedie Hälfte der Plätze mit Frauen belegtwerden. Als Grund für die Misere nenntder Bericht die fehlende Bereitschaftvon Fachbereichen und Führungskräf-ten,Verantwortung für Frauenförderungzu übernehmen. Die Ratsfraktion vonBündnis 90/Die Grünen fordert deshalbkonkrete Aufträge des Rates an die Ver-waltung. Die SPD-Mehrheit beklagtezwar die Ergebnisse des Berichts, ließsich darauf aber bisher nicht ein.

KREIS-SPONSOREN: Goslar/Harz.Mit „Werbung auf Dienstwagen“ willder Landkreis Goslar die Haushaltskas-se auffüllen.Zukünftig sollen Sponsorenden größten Teil des öffentlichen Fuhr-parks finanzieren, indem sie mit ihrenFirmenschriftzügen und Emblemen dieKreisfahrzeuge bedecken.

AUSLÄNDERBEIRAT RESIGNIERT:Uetersen. Der Ausländerbeirat hat be-schlossen,keine Neuwahlen am 22.Märzdurchführen zu lassen. Damit endet dievierjährige Amtszeit des Beiratsvorsit-zenden Alfred Jilek, der zusammenfaßt:„Wie soll man Probleme lösen,wenn kei-ne an einen herangetragen werden?“. Erist mit der geleisteten Arbeit unzufrie-den. Kaum etwas sei auf den Weg ge-bracht worden. Nach einem „furiosenStart“ mit einem gut besuchten Kultur-fest kam die erste Ernüchterung bereitsbei den angebotenen Sprechstunden auf.Diese wurden kaum genutzt, und wenn,dann mußten die Ratsuchenden an dieDiakonie im Rathaus verwiesen werden.Erst nach langer Zeit habe der Beiratüberhaupt erfahren, daß er über städti-sche Mittel von 2000 DM (die später auf1000 DM gekürzt wurden) verfügen kön-ne. Mit 529 von etwa 1200 Wahlberech-tigten hätten die türkischen Einwohnerzwar die größte Gruppe gestellt, seienaber aufgrund der Wahlordnung mit nurdrei Mitgliedern vertreten und hättensich unterrepräsentiert gefühlt. Jilekempfiehlt der Stadt die Bildung einerArbeitsgruppe oder einen Ausländerbe-auftragten.

WOHNGELD: Bonn. Das Wohngeld,dasseit 1990 nicht mehr erhöht worden ist,wird inzwischen zu 80 Prozent für So-zialhilfeempfänger aufgewendet. Bun-desbauminister Oswald (CSU) will eineReform, die Bund und Länder jeweils250 Mio.DM kosten würde.Dies hält dernordrhein-westfälische BauministerVesper (Die Grünen) für „einen Tropfenauf einen heißen Stein“, der schon durchdie automatische Anhebung des Wohn-geldes für Sozialhilfeempfänger aufge-zehrt würde. Oswalds Vorgänger Töpferhabe bereits vor Jahren das notwendigeVolumen für eine strukturelle Reformauf 1,8 Milliarden Mark beziffert.

Zusammenstellung: ulj/baf

PB 8/98 • REGIONALES AUS WEST UND OST 17

KKOOMMMM

UUNNAALLEE

KKOOMMMM

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PPOOLLIITTIIKK

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Angebote unterbreitet und vielleicht so-gar meßbares erreicht. Dafür zwei Bei-spiele. Horrende Kommunalabgabentreiben viele Siedler an den Rand desRuins. Die PDS hat sich sehr öffentlich-keitswirksam gegen solche städtischenPraktiken gewandt.Das Ergebnis ist,daßsolche Siedlergebiete inzwischen zu den„Hochburgen“ der Leipziger PDSgehören. Daran war 1990 noch nicht zudenken, als hier lediglich einstelligeWahlergebnisse verbucht wurden.Während des Wahlkampfes haben wiruns massiv gegen am sozialen Bedarf vor-beigehende Sanierungspraktiken derstädtischen Wohnungsgesellschaft ge-wandt und die Betroffenen wirksam un-terstützt. Das hat offensichtlich mit da-zu beigetragen, daß die PDS ihre über-durchschnittliche Präsenz in den Leipzi-ger Plattenbaugebieten behaupten konn-te,obwohl hier die Bevölkerungsfluktua-tion besonders hoch ist.

Fünftens: Die Leipziger Wahl hatselbstverständlich landes- und bundes-politische Aspekte. Es war der ersteernsthafte Test für den Wahlmarathon1998/99 in Ostdeutschland. In RichtungBundestagswahl könnte sich daraus fürdie PDS die Schlußfolgerung ergeben, ihrWahlergebnis von 1994 noch steigern zukönnen. Dies muß nicht mit Notwendig-keit so sein; aber Leipzig hat den Beweisgeliefert, daß ein solcher Trend möglichist. Insofern ist die Leipziger PDS ihrerVerantwortung vor der Gesamtpartei ge-recht geworden.

Es kann selbstverständlich nicht vor-ausgesagt werden, wie der zweite Wahl-gang am 26. April ausgehen wird. Es istaber keineswegs ausgeschlossen, daß diePDS ihr Ergebnis noch verbessern kann.Immerhin haben die Bündnisgrünenihren Kandidaten aus dem Rennen ge-nommen.

In den Tagen nach dem ersten Wahl-gang haben wir bereits einen Vorge-schmack davon bekommen, wie insbe-sondere die CDU im Bundestagswahl-kampf agieren könnte.Der hiesige Kreis-vorstand hat eine regelrechte Schlamm-schlacht gegen die PDS begonnen. Dabeisind sich selbst ehemalige Blockflöten,die noch vor Jahren mit bündnispoliti-schem Augenaufschlag zur SED aufge-schaut haben, nicht zu fein, für Leipzigdas Gespenst der „kommunistischen Ge-fahr“ an die Wand zu malen und jene, diedie PDS gewählt haben, als unverbesser-liche Antidemokraten zu schelten. Inähnlicher Weise ist auch die von einigenZeitungen losgetretene Kampagne gegenTäve Schur, der in Leipzig für den Bun-destag kandidiert, zu werten.

Alles in allem: Die Leipziger Wahlenhatten zwar in erster Linie kommunal-politische Gewichtung. Aber sie habenzumindest einige Erfahrungen gebracht,die die PDS in den folgenden Wahl-kämpfen beachten sollte.

Dr. sc. Dietmar Pellmann ist Vorsitzenderder Leipziger PDS.

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18 AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN • PB 8/98

EINZELHANDELNRW: 0,99 DM:

Die Große Tarifkommissionder Gewerkschaft Handel,Banken und Versicherungenhat am 20. 3.98 die diesjährigeForderung für die Lohn- undGehaltstarifrunde beschlos-sen: 0,99 DM Erhöhung proStunde. Die Tarifkommissionkam damit den Gebräuchenbei der Preisgestaltung im Ein-zelhandel entgegen. Zuvorhatte die Fachgruppe Einzel-handel Köln eine Mark als For-derung vorgeschlagen. DieAuszubildenden in der HBVfordern 50 DM pro Monatmehr. Der erste Verhandlungs-termin ist am 27. 4.1998. anl

JUGENDAMT PRIVAT: AusProtest gegen die Absichtendes Frankfurter Sozialdezer-nenten Vandreike, Teile desJugendamtes in einen Eigen-betrieb umzuwandeln, tratenam 10.3. die Vertreter des Per-sonalrats aus dem paritätischbesetzten Lenkungsausschußzurück, der in den letzten Jah-ren die Diskussion über die Re-form der Sozialverwaltungstrukturiert und betreut hatte.Auch der Gesamtpersonalratkritisierte den Vorgang und be-fürchtet, daß es sich um die„Durchgangsstation“ auf demWeg zur Übergabe an Wohl-fahrtsverbände handelt.

BETRIEBSRATSWAHLENBEI BAYER, LEVERKUSEN:1994 waren 30259 Beschäftig-te stimmberechtigt. 1998 wa-ren nur noch 25198 Beschäf-tigte stimmberechtigt. Dieszeigt den gewaltigen Stellen-abbau im Werk binnen vierJahre.1994 betrug die Wahlbe-teiligung 60,9%, 1998 betrugsie 61,3%. 1. Die Gruppe „Kol-leginnen und Kollegen für einedurchschaubare Betriebsrats-arbeit“ (Die Durchschauba-ren) hat in den letzten Mona-ten sehr stark die von der Be-triebsratsmehrheit (IG Berg-bau Chemie Energie) mit demVorstand getroffene Stand-ortvereinbarung kritisiert. Eswäre zu erwarten gewesen,daßsich diese Kritik in Stimmenauszahlt. Dies ist zumindestnicht im erwarteten Umfangeingetreten. Ein Zuwachs von1,4 Prozent der Stimmen ent-spricht nicht dem erhofftenErgebnis der Gruppe. 2. DieDAG hat einen deutlichen Zu-wachs an Stimmen zu ver-zeichnen (+ 3,2%).Auch sie hatsich kritisch zu dieser Verein-

barung geäußert und erstkürzlich nochmals deutlichgemacht, daß nachverhandeltwerden müsse. 3. Die IG BCEhat einen leichten Dämpfer er-halten. Der Stimmenverlust(-3,4%) ist dennoch schwächerals sich erwarten ließ.

Beachtet man, daß sich inden letzten vier Jahren sicher-lich die Zusammensetzung derBeschäftigten im Werk in Rich-tung Verjüngung verändert hatund heute mehr unerfahreneKolleginnen und Kollegen imWerk tätig sind, als dies nochvor vier Jahren der Fall war, sozeigt sich, daß die kritischeTätigkeit der Durchschauba-ren gewisse Früchte getragenhat. Dennoch hat die IG BCEnach wie vor für ihren Kurs ei-ne satte Mehrheit erhalten.Daher ist zu befürchten: DieStandortdebatte hat gegriffen.

LB Köln

ERFOLG BEI BURDA: Mitgroßer Spannung wurde sei-tens der IG Medien der Aus-gang der Wahlen bei der FirmaBurda in Offenburg erwartet,zumal nach den Auseinander-setzungen zwischen der zu-ständigen Gewerkschaft unddem alten Burda-Betriebsratüber das bundesweit Aufsehenerregende Burdamodell genugKonfliktstoff vorhanden war.(Die IG Medien hatte nach demAbschluß der tarifwidrigenBetriebsvereinbarungen undmehreren Angriffen gegen dieGewerkschaft den BR-Vorsit-zenden H. Kaufmann aus derIG Medien ausgeschlossen,worauf 5–6 organisierte BR-Kollegen/innen aus der Ge-werkschaft austraten.) DieMehrheit der nun nicht mehrorganisierten „alten“ Be-triebsräte kandidierte erneut(für das Burdamodell). Demstellten sich auf einer Liste 14Kandidaten der IG Medien zurWahl, von denen sich immer-hin zehn gerichtlich gegen dieVereinbarung gewehrt hatten!Trotzdem waren die Aussich-ten bei einem Verhältnis von14:27 (41 Kandidaten/innen)und einem Organisationsgradvon knapp 20% bei Burdanicht hervorragend.Die Befür-worter des Modells hatten zu-sammen mit der Geschäftslei-tung bis zuletzt mit persönli-chen Diffamierungen auf Be-triebsversammlungen oder inhausinternen Schriften ver-sucht, „die Belegschaft einzu-stimmen“! Dennoch ist es ge-lungen, fünf IG Medien-Mit-

glieder in das neue Gremiumzu bringen.Desweiteren habenvier bisher nicht aktive Mitar-beiter/ innen den Einzug ge-schafft, deren zukünftige Hal-tung im BR noch unklar ist.Vonehemals 14 des damalig 19-köpfigen BR, die für das Bur-damodell gestimmt hatten, er-reichten folglich nur sechs ei-ne ausreichende Stimmenzahl.Inzwischen hat die konstitu-ierende Sitzung des Burda-Be-triebsrates erste offene Wun-den geschlagen: Die IG-Medi-en-Fraktion hat sich eine vondrei Freistellungen gesichert,wovon u.a. der von der GL ge-wünschte und nun nichtberücksichtigte BR-Vorsitzen-de betroffen ist – der ehemali-ge Kollege darf nun wieder sei-nem ursprünglichen Berufnachgehen …! Bei der Beset-zung von wichtigen Ausschüs-sen ist es sogar gelungen, bis-her namhafte Vertreter derBurdalinie aus den Gremien zuwählen. Fazit: Eine kräftigeOhrfeige für den alten Be-triebsrat und eine schallendeOhrfeige für die Konzernspit-ze um Herrn Todenhöfer. Fürdie IG Medien ein wichtigerSchritt nach vorne; in vier Jah-ren soll die Mehrheit erobertwerden.

10000 DM GELDSTRAFE:Schadenfreude ist zwar keinGefühl, dessen sich ein wohl-erzogener Mensch rühmensollte, aber immer noch diereinste Freude: 10 000 DM mußder Verlag M. DuMont Schau-berg an die beiden Kölner Au-toren Werner Rügemer undErasmus Schöfer zahlen, wiedie IG Medien und der ihr an-gehörende Verband deutscherSchriftsteller mitteilt.Der Ver-lag hatte einen Text durch 82Eingriffe verändert und ihmdadurch die Schärfe genom-men. Wir freuen uns mit denbeiden Autoren über das, nochnicht rechtskräftige, Urteil –auch wenn es für den Medien-konzern aus der Portokasse be-zahlbar ist. Aber die Schaden-freude… tri

VOLLER LOHN FÜR BE-SCHÄFTIGTE NACH § 249H/242 S AFG: Das Bundes-arbeitsgericht hat nunmehrgrundsätzlich entschieden,daß Beschäftigte nach § 249 hbzw. § 242 s AFG (Lohnko-stenzuschüsse oder Maßnah-men der produktiven Arbeits-förderung nach dem Arbeits-förderungsgesetz) Anspruch

auf den vollen Tariflohn ha-ben, wenn der Arbeitgeber ta-rifgebunden ist (A.Z. 5AZR78/97).

Das AFG sieht die Ge-währung von Lohnkostenzu-schüssen unter der Bedingungvor, daß der Arbeitgeber 90%(inzwischen sogar nur 80%)des Tariflohns bezahlt. Dies iststaatlich angeordnetes Tarif-dumping. 1996 hatten die öf-fentlichen Arbeitgeber ver-sucht, Ausnahmeregelungenfür den sog. 2. Arbeitsmarkt(wie z.B. für ABM-Beschäftig-te möglich) im Tarifvertragauszuweiten. Dies hat die ÖTVabwehren können.Trotz Tarif-gebundenheit hat in Berlin dieSenatsverwaltung für Arbeit,zuständig für alle LKZ-Maß-nahmen in Einrichtungen desöffentlichen Dienstes, es abge-lehnt, den betroffenen Be-schäftigten vollen Tariflohn zuzahlen. Damit hat sie Tarif-bruch begangen, gegen den dieÖTV mithilfe von Betroffenenklagte. Nach Erfolgen der Ge-werkschaft in den ersten zweiInstanzen ging die Senatsver-waltung in Revision und erlittnun höchstrichterlich vor demBAG eine Niederlage, die teu-er kommt.Dieses Urteil gilt füralle Dienststellen in der Bun-desrepublik; es gilt aber nichtfür Beschäftigungsverhältnis-se bei freien Trägern, da fürdiese keine Tarifbindung exi-stiert.

Zusammenstellung: alk, har

Aktionstag der Schweinfur-ter Arbeitsloseninitiativeanläßlich der Bekanntgabeder aktuellen Arbeitslosen-zahlen am 7.4.98 auf demPostplatz in Schweinfurt.Auch in vielen anderenStädten fanden numehr zumdritten Mal Aktionen statt,meist mit hundert bis zwei-hundert Beteiligten.

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PB 8/98 • AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN 19

Zukunft des Flächentarifvertrages

IG Metall befürchtet Sondertarifgebiet OstDie Gespräche der IG Metall mit den Arbeit-geberverbänden in Baden-Württemberg undNordrhein-Westfalen über die Zukunft desFlächentarifvertrages stagnieren. Über dieEinrichtung von „technischen Kommissio-nen“ hinaus ist man bislang zu keinen greif-baren Ergebnissen gekommen. Dennochsind in jüngster Zeit einige Vorentscheidun-gen gefallen.

1. Zunächst hat die IG Metall im Zusam-menhang mit den Verhandlungen um dieAltersteilzeit mit den Arbeitgeberver-bänden die Verlängerung der Laufzeit derManteltarifverträge im Westen bis insJahr 2000 vereinbart. Damit ist ZwickelsVorstoß in Richtung 32-Stundenwochevom Tisch. Die Tarifabteilung beim Vor-stand der noch größten Einzelgewerk-schaft der Welt traut sich angesichts derStimmung bei den Mitgliedern vorerstkeine weitere Kampagne für Arbeitszeit-verkürzungen zu. Die Mitglieder wün-schen andere Schwerpunkte.2. Mit den Tarifabschlüssen über soge-nannte Ergänzungstarifverträge bei De-bis und bei Siemens hat die IG Metall er-kennen lassen, welche Abschläge sie be-reit ist hinzunehmen, wenn die Arbeitge-ber das „System Flächentarifverträge“aufrechterhalten. Insbesondere der De-bis-Vertrag läßt weitgehende Abwei-chungen bei der Arbeitszeit zu.

Nunmehr beginnen auch in den ande-ren Tarifbezirken Gespräche der Tarif-parteien auf regionaler Ebene. Die größ-ten Probleme stellen sich der IG Metalldabei in Ostdeutschland. Hier sieht siesich einer besonders prekären Situationausgesetzt. Ohnehin sind nur 30 Prozentder Betriebe bzw. 45 Prozent der Be-schäftigten in der Metall- und Elektroin-dustrie tarifgebunden.Den Arbeitgebernjedoch ist dies offensichtlich noch zuviel.In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thürin-gen gründeten sie den Arbeitgeberver-band „OST-METALL“ neben den bereitsbestehenden Verbänden. Die Vorständesind zum großen Teil personalidentischmit den Vorständen jener Verbände, diemit der IG Metall Tarifverträge abge-schlossen haben. Diese Strategie erlaubtes den Kapitalisten,doppelgleisig zu ope-rieren. So sind von dem neuen VerbandGespräche mit dem Christlichen Ge-werkschaftsbund aufgenommen worden.Obwohl dieser „Bund“ kaum Mitgliederhat, werden mit ihm Gespräche seitensdes neuen OST-METALL-Verbandesüber Tarifinhalte geführt. Offenbar set-zen die Arbeitgeber auf eine Durch-löcherung des Flächentarifvertrages.Ab-sprachen mit den christlichen Gewerk-schaften sollen den Flächentarifvertragdann mehr oder weniger ersetzen.

Die Offerte der IG Metall mit der Mög-

lichkeit der „Ergänzungstarife“ nachdem Muster Debis oder Siemens ist denArbeitgebern in Ostdeutschland offen-bar zu wenig. Sie wollen mehr.Vor allemwollen sie die noch gültige 38-Stunden-woche in Ostdeutschland aufrecht erhal-ten. Ende des Jahres läuft der Mantelta-rif im Osten aus. Dann geht es um die An-gleichung.

Aus Sicht der IG Metall entscheidet diekommende Tarifbewegung über die wei-tere Existenz des Flächentarifvertragesin Ostdeutschland. Falls es nicht gelingt,die Angleichung Ost- mit Westdeutsch-land hinsichtlich vor allem der Wochen-arbeitszeit und noch weiterer Bestim-mungen zustande zu bringen, wird eswomöglich auf Dauer zu „Sondertarifge-bieten“ im Osten kommen. Hasso Düvel,für Berlin,Brandenburg und Sachsen zu-ständiger Bezirkssekretär hat mehrfachbetont, daß das die letzte Chance zu Ver-hinderung von einer dauernden Abkop-pelung des Osten ist und das deshalb derArbeitskampf vorbereitet wird.

Die Ergebnisse der Gespräche mit demArbeitgeberverband will die IG Metallzudem im Wahljahr nutzen, um in der Öf-fentlichkeit darzulegen, welche Folgeneintreten,wenn den Kapitalisten die dau-ernde Abkoppelung des Osten von denTarifbedingungen im Westen gelingensollte. brr

Siemens: Aushebeln von Tarifverträgen

Konzernweite Lohn-senkungsprogrammeDer Versuch, die Einkommen von 30000 Be-schäftigten der Siemens AG – das sind fast15 Prozent der in der BRD bei Siemens Be-schäftigten – durch Ausgliederung der„Technischen Dienste“ und Hineinzwingenin den Tarif des bayerischen Elektrohand-werks drastisch zu senken, ist vorerst ab-geblockt worden.

In Karlsruhe wären mehr als 200 Kolle-gen in der Bannwaldallee und 600 imKnielinger Werk von den Plänen der Sie-mens-Zentrale betroffen, die Bereiche„Technische Dienstleistungen“ in einerSiemens-eigenen GmbH zusammenzu-fassen, mit Einkommensverlusten von 20Prozent. Außerdem beträgt die tariflicheArbeitszeit im bayerischen Elektrohand-werk nicht 35, sondern 37 Stunden. DieLohnfortzahlung bei Krankheit und Ku-ren wäre ebenso dahin wie der Tarifver-trag zur Altersteilzeit. Zudem hätte diekonzernweit geltende Regelung der all-gemeinen Arbeitsbedingungen für Sie-mens-Beschäftigte nach den Vorstellun-gen der Konzernzentrale am Wittelsba-

cher Platz in der GmbH nicht Inhalt desTarifvertrags werden sollen. Die Be-schäftigten der „technischen Dienste“haben mit Protest- und Streikaktionen(siehe Bild von der Kundgebung vor demKarlsruher Werk) gegen die Pläne aus denKonzernetagen demonstriert.

Anfang März machte der Vorstandnach heftigen Protesten der Beschäftig-ten der Vorschlag, die Verhandlungen

zunächst auf die Bereiche Gebäudetech-nik, Gebäudemanagement und auf Teileder Montageeinheiten im Kommunikati-onsbereich zu konzentrieren mit rund 6000 Beschäftigten. Anfang April sind fürdiesen Bereich erste Ergebnisse festge-schrieben worden:

Statt der geforderten Tarifeinstufungins Elektrohandwerk gilt für die aus-zugliedernden Bereiche der Industrieta-

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rif der bayerischen Metall- und Elektro-industrie. Künftige Tariferhöhungen indiesem Bereich treten erst mit einersechsmonatigenVerzögerung in Kraft.Für alle, die in die GmbH übertreten,bleibt das bisherige Monatsentgelt er-halten, einschließlich Leistungszulageund Montagezuschlag des Bundesmonta-getarifvertrags. Ab 1.10.1998 fallen das13.Monatsgehalt und das zusätzliche Ur-laubsgeld weg.Dafür wird im ersten Jahrein Ausgleich von 100 Prozent, im zwei-ten Jahr von 50 Prozent gezahlt, ab 2000sind diese tariflichen Bestandteile dannendgültig dahin. Stattdessen wird ab1999 eine Jahressonderzahlung von 600Mark und eine Leistungszulage von fünfProzent des Monatseinkommens gezahlt.Außerdem ist eine Mindest„gewinnbetei-ligung“ von 300 Mark vereinbart.

Azubis erhalten weiter die Ausbil-dungsvergütungen der Metall- und Elek-troindustrie, einschließlich eines Anteilsdes 13. Monatseinkommens sowie zu-sätzliches Urlaubsgeld. Die Siemens AGverpflichtet sich, auch weiterhin 2600Auszubildende einzustellen.

Es wurde eine Jahresarbeitszeit ver-einbart: 1575 Stunden in Westdeutsch-land, 1672 Stunden in Ostdeutschland.Für Qualifizierung werden Beschäftigtenim Westen pauschal 50 Stunden ange-rechnet, die Jahresarbeitszeit erhöht sichalso entsprechend. Weiterhin gelten derBundesmontagetarifvertrag (mit Aus-nahme des Montagezuschlags), der Tarif-vertrag für Auslösungssätze und Er-schwerniszulagen, die Tarifverträge zurBeschäftigungssicherung, vermögens-wirksamen Leistungen und Altersteil-zeit.

Soweit die ersten Mitteilungen aus derIG Metall. Daraus wird auch ersichtlich,was die Siemens-Konzernetagen allesvom Hals haben wollen.

BRD-weit sind von Pierer und Kon-sorten dabei, ganze Geschäftszweige desKonzerns aus bestehenden Tarifbindun-gen zu brechen und die erkämpften ge-werkschaftlichen Standards zu Makula-tur zu machen. Bisherige Geschäftsfel-der, die nach Auffassung des Konzern-vorstands nicht zum „Kernkompe-tenz“geschäft gehören, sind zum „Out-sourcen“, Ausgliedern vorgesehen. Beidiesen Umstrukturierungen werdendann massiv die tariflichen Standardsvon Einkommen,Arbeitzeit und Arbeits-bedingungen angegriffen.

Bei der Sinitec, einer ausgegliederten„Service-Tochter“ der Siemens-NixdorfAG, versuchen die Kapitalisten jetzt fürdie 1700 Beschäftigten durchzusetzen,daß die 40-Stunden-Woche wieder ein-geführt wird – aber nur 35 gezahlt wer-den. 30 Prozent des Einkommens sollennur noch als „vom Erfolg abhängige Va-riable“ gezahlt werden und die Beschäf-tigten sollen jährlich einen „Eigenbetragvon 44 Stunden“, vorzugsweise abendsund am Wochenende zur „Qualifizie-rung“ leisten.

Für die Teilefertigung in Karlsruhe

sind ähnliche Pläne kurz vor dem Ab-schluß. Nachdem der beabsichtigte Ver-kauf erstmal scheiterte (die Einkom-mensverluste für die Beschäftigten hät-ten teilweise für ein Einkommen auf demNiveau von Arbeitslosengeld gesorgt),haben Betriebsrat und Werkleitung eineFortführung der Produktion in einer Sie-mens-eigenen GmbH vereinbart mit fol-genden Eckpunkten: die GmbH wirdnicht dem Arbeitgeberverband an-gehören und der zur Zeit gültige Tarif-vertrag mindestens zur Arbeitszeit beer-digt: Statt 35 Stunden soll zukünftig 40Stunden wöchentlich gearbeitet werden,zum selben Lohn und Gehalt. Übertarif-liche Zulagen fallen ebenso weg wie diejährliche Sonderzahlung bzw. werdenvoraussichtlich – aber nur teilweise –durch ertragsabhängige Komponentenersetzt. Die Streichung von Weihnachts-und Urlaubsgeld ist - vorerst - vom Tisch.

So verwandelt der Siemens-Konzernauf diese Weise ganze Geschäftsfelder inZulieferbetriebe mit niederem Tarifstan-dard. In Summe sinken die Bruttoein-kommen der Beschäftigten erheblich,wenn auch mit zeitlicher Verzögerungund Abfederung durch durchaus be-trächtliche Abfindungs- und Übergangs-zahlungen, die umso höher sind je längerder Beschäftigte der Siemens AG an-gehört hat. H.H.

Geringfügig Beschäftigte

Mittendrin und trotzdem draußenEnde 1996 wurde die Kampagne „Mittendrinund trotzdem draußen“ von einem Träger-kreis aus Gewerkschaften, dem deutschenFrauenrat, und kirchlichen Frauenverbändengestartet. In diesem Rahmen führte in Mann-heim das Regionale Frauenbündnis gegenungeschützte Beschäftigung am 2. April mitca. 60 TeilnehmerInnen eine Veranstaltungdurch. Als ReferentInnen waren der Arbeits-rechtler Prof. Joachim Auer von der Fach-hochschule für Sozialwesen, Rupert Keindlvom Einzelhandelsverband Rhein-Neckarund Frau Schöntag, Gesamtbetriebsratsvor-sitzende des Catering-Unternehmens EU-REST (mit bundesweit 8500 Beschäftigten,davon 400 in geringfügigen Beschäfti-gungsverhältnissen) anwesend.

Mehr als 5,6 Mio. Personen waren imFrühjahr 1997 geringfügig beschäftigt.Inzwischen sind fast 15% der gesamtenArbeitsverhältnisse „geringfügig“; 70%davon sind Frauen. Im Reinigungsgewer-be vertreten ist eine Vielzahl von auslän-discher Frauen,die – jahrelang in solchenArbeitsverhältnissen –, damit keinerleieigene Rentenansprüche erwerben undim Alter in vollständiger Abhängigkeitvon der Familie leben müssen.

Heute sind diese Jobs in einigen Bran-chen fast zur Regel geworden. Immermehr reguläre Arbeitsverhältnisse wer-

den in „ungeschützte“ umgewandelt. ImEinzelhandel ist jeder zweite Teilzeitar-beitsplatz inzwischen ein „geringfügigesBeschäftigungsverhältnis“. Sie habensich ausgedehnt auf Anwaltskanzleien,Arztpraxen und den Bürobereich – vor al-lem durch die Umwandlung von vorheri-gen Teilzeitarbeitsplätzen.

Geringfügig beschäftigt ist, wer regel-mäßig weniger als 15 Stunden in der Wo-che arbeitet und nicht mehr als 620 DMpro Monat verdient. Oder wenn die Be-schäftigung innerhalb eines Jahres auflängstens zwei Monate oder 50 Arbeits-tage begrenzt ist.

Es wird behauptet, daß diese sozial-versicherungsfreien Jobs nur vorüberge-hend angenommen werden. Sie seien inden Betrieben unbedingt notwendig, umSaisonspitzen und Personalengpässe un-bürokratisch zu überbrücken. DiverseUntersuchungen ergaben, daß mehr alsdie Hälfte der geringfügig beschäftigtenFrauen länger als vier Jahre, fast 40% so-gar über sieben Jahre in solchen Arbeits-verhältnissen beschäftigt sind.

Der Mannheimer Großbäcker Kautschz.B. beschäftigt in seinen Filialengrundsätzlich nur eine Filialleiterin, an-sonsten nur geringfügig Beschäftigte. Erstellt die Frauen schlicht nicht anders ein.

Nach dem Beschäftigungsförderungs-gesetz dürfen teilzeitbeschäftigte Arbeit-nehmerInnen – dazu gehören auch ge-ringfügig Beschäftigte – nicht unter-schiedlich im Vergleich zu Vollzeitbe-schäftigten behandelt werden.

Deshalb – so erläuterte Prof. Auer –gelten für geringfügig Beschäftigte ansich alle tariflichen Regelungen, es seidenn, der jeweils anzuwendende Tarif-vertrag sieht eine Sonderregelung vor.Ih-re Arbeitsbedingungen unterliegen demSchutz und der Mitbestimmung der Be-triebsräte.

Im Krankheitsfall besteht bis zu einerDauer von sechs Wochen ein Anspruchauf Entgeltfortzahlung. Nach sechs Mo-naten Beschäftigungszeit unterliegen siedem gesetzlichen Kündigungsschutz.Aber: dies gilt nur für Betriebe,die im Re-gelfall mehr als 10 ArbeitnehmerInnenbeschäftigen. Wobei Teilzeitbeschäfti-gung nur anteilig zählt, so daß bis zu 40Menschen in einem Betrieb arbeiten kön-nen, ohne daß sie unter den Kündigungs-schutz fallen. Die Einhaltung dieser ge-setzlichen Vorschriften ist jedoch für ge-ringfügige Beschäftigungsverhältnissein der Praxis die absolute Ausnahme. Inder Regel sind diese Menschen „unge-schützt“ in ihren Arbeitsverhältnissen.

Geringfügige Beschäftigung unter-liegt nicht der Sozialversicherungs-pflicht, d.h. weder die betroffene Arbeit-nehmerin – oder Arbeitnehmer – noch Ar-beitgeberIn entrichten Beiträge zurKranken-, Renten-, Pflege- und Arbeits-losenversicherung. Folge: keine eigen-ständigen Ansprüche auf Arbeitslosen-geld, Krankengeld, Abstriche bei Renteund Leistungen aus der Pflegeversiche-rung. Rentenbeiträge auf geringfügige

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,alle imdeutschen Bundestag vertretenen Frak-tionen, außer der PDS haben am2.4.1998 im Rahmen der Gesetzgebungfür die Einführung des Euro eine Ände-rung des Arbeitszeitgesetzes für denbargeldlosen Zahlungsverkehr ab 1.1.99beschlossen.

In letzter Minute haben die Vertretervon CDU/CSU und FDP über den Bun-destagsausschuß für Arbeit und Sozia-les eine Ergänzung des bis dahin schonumfangreichen Euro-Einführungsge-setzespakets eingebracht. Danach wirdder § 10 Arbeitszeitgesetz wie folgtgeändert:

„Das Arbeitszeitgesetz vom 5.Juni1994 (BGBL. S. 1170) zuletzt geändertdurch Artikel 2 des Gesetzes vom 30.Ju-li 1996 BGBl. I S. 1186), wird wie folgtgeändert:

Nach §10 Abs. 3 Arbeitszeitgesetzwird folgender neuer Absatz 4 angefügt:

‚(4) Sofern die Arbeiten nicht an Werk-tagen vorgenommen werden können,dürfen Arbeitnehmer zur Durchführungdes Eil- und Großbetragszahlungsver-kehrs und des Geld-, Devisen-, Wertpa-pier- und Derivatehandels abweichendvon § 9 Abs. 1 an den auf einen Werktagfallenden Feiertagen beschäftigt wer-den, die nicht in allen Mitgliedstaatender Europäischen Union Feiertagesind.‘“

Uneinheitliche Feiertag sind in Euro-pa alle Feiertage mit Ausnahme des 1.Weihnachtsfeiertags (25. Dezember)und des Neujahrstages (1. Januar).

An allen anderen Feiertagen sollenBankangestellte also künftig arbeiten,wenn es nach dem Willen der Bankar-beitgeber geht. Bislang wurde kein Ar-gument vorgetragen, das die gesell-schaftliche Notwendigkeit der Feier-tagsarbeit im Bankbereich belegt hätte.

Hintergrund ist die Einführung deseuropaweiten Zahlungsverkehrssy-stems TARGET ab 1.1.99.

Technische Notwendigkeiten für Fei-ertagsarbeit gibt es aber durch TARGETnicht. Das System ist darauf eingerich-tet, nationale Feiertagsregelungen zuberücksichtigten.

Die deutschen Banken wollen sichaber kurzfristige Konkurrenzvorteileverschaffen und haben deshalb auf dieAbschaffung der Feiertagsruhe ge-drängt. Die anderen europäischen Län-der werden gezwungen sein, nachzuzie-hen.So wird die europäische Währungs-union zum Sozialdumping benutzt.

Im übrigen gefährdet diese Maßnah-me die Akzeptanz des Euro bei den

Bankangestellten.Nicht nur HBV auch die Evangelische

Kirche Deutschlands und das Kommis-sariat der Deutschen Bischöfe hattenbereits im Vorfeld gegen dieses Ansinnender Bankenverbände Protest eingelegt.

Hatten CDU/CSU und FDP Angst voröffentlicher Auseinandersetzung ?

Die CDU/CSU und FDP-Fraktionenhatten offensichtlich Angst vor einer öf-fentlichen Auseinandersetzung und ha-ben deshalb klammheimlich am 24.März, also nur eine Woche vor der Ver-abschiedung des Euro-Einführungsge-setzes die Ergänzung zum Arbeitszeit-gesetz im Bundestagsausschuß für Ar-beit und Soziales durchgezogen.Erst am1. April nachmittags, einen Tag vor der2. und 3. Lesung des Gesetzespakets imBundestag hatten die Fraktionen dasWerk mit insgesamt 60 Seiten weiterenGesetzesänderungen auf dem Tisch.Dies ist kein Ruhmesblatt der parla-mentarischen Demokratie, sondern einparlamentarischer Skandal!

Die Auseinandersetzung um die Feiertage im Bankgewerbe geht weiter !

HBV wird die Rücknahme dieser Geset-zesänderung zu einem Prüfstein imkommenden Bundestagswahlkampfmachen.

Fragen auch Sie Ihre Bundestagskan-didaten nach deren Meinung!

HBV hat darüber hinaus mit den eu-roäischen Gewerkschaften Kontaktaufgenommen, um sie über das unge-heuerliche Vorgehen der deutschen Ban-ken zu informieren und gemeinsam fürsoziale Mindeststandards und insbeson-dere die Erhaltung der jeweiligen Feier-tage zu kämpfen.

In der kommenden Tarifrunde werdendie Arbeitgeber die Frage garantiertthematisieren. Sie werden versuchen,die Bankfeiertage am 24. Dezember und31. Dezember weiter auszuhöhlen, siewerden versuchen, die Zuschläge fürFeiertagsarbeit zu kürzen. Nur durchgemeinsamen Widerstand aller Bankan-gestellten kann diesem Treiben Einhaltgeboten werden. Ohne ein Mindestmaßan Organisation kann dies aber nicht er-folgreich sein. Daher hier nochmals un-sere herzliche Bitte: Nehmen Sie dasVorgehen der Bankarbeitgeber zum An-laß, Kontakt zur Gewerkschaft aufzu-nehmen, am besten jedoch, ihr beizutre-ten! Lassen Sie Ihre Kolleginnen undKollegen in den zunächst direkt betrof-fenen Bereichen nicht im Stich.Keine Feiertagsarbeit für den Euro!

Beschäftigungsverhältnisse beseitigenwirklich keine Altersarmut, doch es wer-den Anwartschaften begründet und dieschon erworbenen erhalten. Durch dieAusgrenzung aus der Versicherungs-pflicht entstehen Lücken, die nie wiedergefüllt werden können. Jahrelange versi-cherungsfreie Tätigkeit kann zudem denVersicherungsschutz bei Erwerbsun-fähigkeit kosten. In einem Zeitraum vonfünf Jahren vor Eintritt einer Erwerbs-unfähigkeit müssen mindestens drei Jah-re lang Pflichtbeiträge entrichtet wordensein, sonst entfällt der Anspruch einerRentenzahlung.

Lt. Prof. Auer bringen 40 Jahre sozial-versicherte geringfügige Beschäftigung350 DM Monatsrente nach bisherigemRentenrecht. 40 Jahre ohne bringt nichts.

Dazu kommt: 13–15 Mrd. DM gehenjährlich den Sozialkassen durch dieseversicherungsfreien Arbeitsverhältnisseverloren: ein Grund für die Aushebelungder sozialen Versicherungssysteme. Aufder anderen Seite werden die hohen Ein-kommen und Vermögen aus den Sozial-kassen herausgehalten. Es gibt europa-weit auch andere Versicherungsmodelle,die alle Beschäftigungsverhältnisse um-fassen, z.B. in Dänemark und in derSchweiz.

Herr Keindl vom Einzelhandelsver-band konnte funktionsgemäß nichts „un-geschütztes“ in diesen Arbeitsverhält-nissen sehen. Solche Verträge würden janur auf Wunsch der ArbeitnehmerInnenabgeschlossen, ganz freiwillig, auf ange-meldete Teilzeitbeschäftigung würdesich ja kaum jemand melden. Die Idee seidoch eigentlich, einen Zusatzverdienstneben einem Hauptarbeitsverhältnis an-zubieten. Und dies diene doch nur dazu,Frequenzspitzen abzudecken. Wenn einegeringfügige Beschäftigung über 620 DMangemeldet ist, koste das den Arbeitge-ber einschließlich Steuer und Sozialab-gaben 751 DM.Und das sei angesichts derschwierigen wirtschaftliche Situationdes Einzelhandels nicht machbar. 1992hätte der Handel das letzte Mal Um-satzplus verzeichnet, 620 DM-Jobs bötendie Möglichkeit, Kosten zu senken.

Ehegattensplitting im Steuerrecht be-günstigt diese Arbeitsverhältnisse, kriti-sierte die Mannheimer Frauenbeauftrag-te Ilse Thomas. Oft seien es in der Tat dieMänner,die ihren Ehefrauen zu dieser Artvon „Zuverdienst“ zureden, fürs Ta-schengeld, fürs neue Auto. Es gehe ihrnicht um generelle Abschaffung gering-fügiger Beschäftigungsverhältnisse, son-dern darum, daß sie regulär versichertwerden.

Darin war sich die Versammlung aucheinig.Es müssen verstärkt Möglichkeitenvon den „Nutzern“ solcher Arbeitsver-hältnisse gefunden werden, um den Be-teiligten etwas mehr gerecht zu werden.Zur Abfederung von Frequenzspitzenz.B. gäbe es die Möglichkeit von Dienst-leistungszentren, die dort beschäftigteArbeitskräfte nach Bedarf zur Verfügungstellen. iro (Kommunal-Info Mannheim)

HBV fordert für Beschäftigte bei den Banken:

Keine Feiertagsarbeit für den Euro !Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Bezirksverwaltung Frankfurt infor-mierte in einem Flugblatt über eine Gesetzesänderung mit weitreichenden Folgen

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22 DISKUSSION UND DOKUMENTATION • PB 8/98

Aus der PDS-Diskussion

Eindrücke vom PDS-ParteitagWas der Parteitag der PDS zu bedeutenhat, wird sich am 26. April klarer sagenlassen. Das Ergebnis der Landtagswahlin Sachsen-Anhalt wird anzeigen, ob diepolitische Strategie greift. Eine bemer-kenswert klare Zusammenfassung dieserStrategie ist dem Wahlkampfleiter derPDS André Brie in seinem auf den fol-genden Seiten dokumentierten Partei-tagsvortrag gelungen. Das politische Zielist, durch öffentliche Kontrolle das Inve-stitionsgebaren der Hochfinanz politischdiskutabel und damit auch beeinflußbarzu machen und gleichzeitig mit einer Viel-zahl von Maßnahmen die Entwicklungeines dritten Wirtschaftssektors zu för-dern. Das Privateigentum mit seinen Er-fordernissen der Rendite soll nicht mehrdas gesellschaftliche Monopol auf Orga-nisation des Wirtschaftslebens haben.Die Wirtschaftstätigkeit von Genossen-schaften,Verbänden,Vereinen, besondersauch der Kommunen soll bedarfsorien-tiertem Wirtschaften Chancen bieten.

Eine solche Konzeption lebt von derZustimmung, die sie in der Bevölkerungvor allem der neuen Bundesländer findet.Kann die Partei ihren Einfluß in der Öf-fentlichkeit behaupten und ausbauen,und das werden die anhaltinischen Wahl-en zeigen, ergibt sich eine neue politischeKonstellation. Die Bevölkerung der neu-en Bundesländer, der man den Zugang zuden Produktionsmitteln massenhaft ver-sperrt,würde genau dies thematisiert undbeantwortet haben. Angesichts der Des-asters der Marktwirtschaft beansprucht

man das Recht – und die Mittel -, sichselbst zu helfen. Dies kommt namentlichin dem von Christa Luft vorgestellten„Rostocker Manifest“ zum Ausdruck. Obdie von der PDS vorgeschlagene politi-sche Strategie greift, hängt davon ab, obMenschen, die die Krise der Marktwirt-schaft als Krise des eigenen Lebens er-fahren, in großer Zahl, in gesellschaftli-cher Dimension, solche Wege begehenwollen. Darüber werden die anstehendenWahlen etwas sagen. Geht die Auskunftgut aus, wird eine breite gesellschaftlicheDiskussion solcher spröden Themen wie„vergesellschaftetes Wirtschaften“,„kommunale und regionale Wirtschafts-kreisläufe“ und ähnliches in Mode kom-men, sozialistische Politik käme zu neuerDurchschlagskraft,wenn – erstmals in ei-nem „modernen“ Industrieland -, die so-zialistische Kritik am Gesamtkomplexder Lebensbedingungen verbunden wer-den könnte mit praktikablen Strategiendes Überlebens im erklärten Gegensatzzu den grundlegenden Regularien Privat-eigentum, Rendite, Vermarktung. Hof-fentlich kommt es dazu!

Das Wahlprogramm in seiner abschlie-ßenden Fassung ist bei Redaktionsschlußnoch nicht erhältlich. Da eine Vielzahlvon Änderungen teils mit, teils auch ge-gen das Votum der Antragskommissionaufgenommen wurde, sind Irrtümer überden Ausgang möglich, eine Charakteri-sierung von Positionen,die im Verlauf desParteitags klarer wurde, ist trotzdemmöglich.

Zunächst: Die Parteitage der PDS ha-ben ihr Stärke, wenn was entschiedenwerden kann. Das erarbeitete Material,die Plenardiskussion und die Vielzahl deram Rande möglichen Einzelgesprächebieten ziemlich solide Grundlagen für

Entscheidungen.Wenn diese reif und vor-bereitet sind! Es muß klar gesagt werden,daß die Partei einen ziemlichen Aufwandan Fachkonferenzen usw. treibt, um ihreEntscheidungen vorzubereiten. Aber dieAnnahme solcher – fast immer mitäußerst aufwendigen Reisen verbunde-nen – Möglichkeiten läßt Wünsche offen.Dennoch war die Vorbereitung des Dis-kussion des Wahlprogrammes sorgfältig,und das gute Diskussionsergebnis be-steht in einer Vielzahl von Klarstellun-gen. Die Hauptlosung „Für eine gerech-te Republik“ wurde zu „Sozial und soli-darisch – Für eine gerechte Republik er-gänzt“ und hat damit eine unverwech-selbar rote Farbe. Der Klarstellung dientes auch,wenn bei der Absage an den Waf-fenexport der Nato-Partner Türkei undder Krieg gegen die Kurden erwähntwird, ebenso wenn explizit die Aufhe-bung des PKK-Verbotes gefordert wird.Solche Klarstellungen wurden an vielenPunkten erreicht. Das Wahlprogramm istin seiner Stoßrichtung erhalten geblie-ben und konkreter geworden.

Größte Probleme treten auf dem Par-teitag allerdings regelmäßig dann auf,wenn in der Diskussion einer Frage einFortschritt gemacht werden müßte, wiedas in dem beinahe schon leidigen Ge-samtkomplex von Arbeitszeitverkürzung(wieviel), Einkommensausgleich (fürwen?), Verteidigung der Tarife (durchwen?) so bitter nötig wäre.Wenn nicht al-les trügt, ist jetzt beschlossen, daß diePDS nicht für „20%“, sondern für „spür-bare“ Arbeitszeitverkürzung ist, daß siedafür aber den Einkommensausgleichnicht nur „für untere Lohngruppen“,sondern „voll“ fordert und daß die öf-fentliche Hand Aufträge nur an Firmenvergeben darf, die Tarif zahlen.

Liebe Genossinnen und Genossen, sehrverehrte Gäste, ein Wahlprogramm istkein Parteiprogramm. Es soll möglichstvielen Menschen außerhalb der Partei inmöglichst verständlicher Form sagen,mitwelchen politischen Zielen die PDS in dieWahlen geht und um Zustimmung wirbt.Erfüllt es diesen Zweck nicht, erfüllt esüberhaupt keinen Zweck.

Der euch jetzt vorliegende Entwurfdieses Programms hat einen mehr als ein-jährigen Entstehungsprozeß durchlau-fen. Im Februar 1997 wurden alle Inter-essen- und Arbeitsgemeinschaften undPDS-Fraktionen schriftlich gebeten, ih-re Vorstellungen zum Wahlprogramm ein-zureichen. Diese erste Phase begannziemlich schleppend.

Die Arbeitsgruppe hat dann in einer

Vielzahl von Diskussionsrunden mit Ge-nossinnen und Genossen unterschiedli-cher Bereiche mehrere einander ablösen-de Entwurfsvarianten ausgearbeitet.Schließlich hat der Parteivorstand nacheiner vielstündigen Diskussion den Ent-wurf verabschiedet, der euch vorliegt. Erwurde vor fast vier Monaten veröffent-licht und umfangreich diskutiert. Eskann also ohne Übertreibung gesagt wer-den, daß der Entwurf zum Wahlpro-gramm der PDS in einem beispielhaft de-mokratischen Verfahren unter direkterTeilnahme Hunderter von Genossinnenund Genossen zustande kam.

Ich möchte euch auf ein Problem hin-weisen, vor dem wir in der Diskussionstehen. Es ist verständlich, daß die An-träge zum großen Teil das Politikfeld be-

treffen, auf dem die Einreicher spezielltätig sind. Dennoch gibt es zu denken,wenn ökologisch aktive Genossinnen undGenossen fast ausschließlich zur Ökolo-gie, nicht zu den sozialen Fragen, nichtzum Antirassismus, nicht zur Demokra-tie Stellung nehmen,Sozialpolitiker ganzüberwiegend zur Sozialpolitik, nicht zurMedienproblematik, nicht zu Fragen desAntimilitarismus. Ich könnte das fortset-zen. Fachwissen und die engagierte Ver-tretung spezieller Interessen haben diegesamte Arbeit wesentlich unterstützt.Ich meine aber, wir sollten auch und ge-rade bei der Arbeit am Wahlprogrammdie Komplexität sozialistischer Pro-grammatik nicht aus dem Auge verlieren.Jede und jeder von uns ist nicht in ersterLinie Ökologe oder Medienpolitiker oder

Dokumentiert:

André Brie auf dem PDS-Parteitag zum Entwurf des PDS-WahlprogrammsDer folgend dokumentierte Vortrag von André Brie wurde aus Platzgründen um den Schlußteil gekürzt, in dem SPD und Bündnisgrünen kri-tisiert werden. Sie wiesen zwar Unterschiede zur Regierung auf, ihre Alternativen aber verblieben in weiten Teilen innerhalb des Neolibe-ralismus,seien sozial abgefederter oder ökologisch orientierter Neoliberalismus. Demgegenüber verteidige die PDS die Gesellschaft gegenden Marktradikalismus; ohne sie würde es im Bundestag nur eine weitere Unterwerfung unter die neoliberalen Sachzwänge geben.

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PB 8/98 • DISKUSSION UND DOKUMENTATION 23

Was steckt in dieser Kontroverse? Er-stens eine begriffliche Unklarheit in derBestimmung des Arbeitslohnes. 20% Ar-beitzeitverkürzung, ein Tag von fünfen,ist bei „vollem Lohnausgleich“ nichtmöglich, weil in einem solchen Fall auchdie Reproduktionskosten der Arbeits-kraft sinken würden. Da es allerdingsFälle gibt, in denen die jetzt erzieltenLohneinkommen bereits die Reprodukti-onskosten nicht mehr decken, muß einasymmetrischer Ausgleich gesucht wer-den.Wenn man aber unter Verweis auf dieSituation im Einzelhandel die Sparquo-te, (manchmal könnte man sogar von Ak-kumulationsgeschwindigkeit reden) dergehobenen Facharbeiterschaft und deshöheren Angestellten- und Beamten-haushaltes verteidigt,wird es heikel.Nunherrscht dort auch nicht eitel Sonnen-schein,aber die Probleme sind spezifisch,und die sozialpolitische Diskussion derPDS wird begrifflich klar kriegen müs-sen, was ein „niedriges“, was ein „mitt-leres“ und was ein „höheres“ Lohnein-kommen ist. – Falls am Ende ein Beschlußherausgekommen sein sollte, der dem„vollen Ausgleich“ die wirksame Umver-teilung von Arbeit opfert (denn das wärewohl der Unterschied zwischen „20%“und „spürbar“), wäre das sehr schade.

Noch ärgerlicher wäre es, wenn diePDS sich zur Problematik der Auftrags-vergabe durch die öffentliche Hand le-diglich mit der Bestimmung „Tarife zah-len“ verhalten würde. In dieser Kontro-

verse wird über die Ausnutzung der Ar-beitslosigkeit für Extraprofite geredet,ein trauriges Phänomen. Leidenschaftkommt auf, wo durch solche Beschlüssekleine Unternehmen, oft informell ge-nossenschaftlichen Zuschnitts, von öf-fentlichen Aufträgen ausgeschlossenwerden. Diese, die ganz gerne höhereLöhne zahlen würden (welche Genossen-schaft würde das nicht?),können es nicht,weil die Kapitalausstattung schlecht, derSchuldendienst hoch, die Auftragslageschlecht und der Personalbestand des-wegen überhöht ist.Wer ein wenig nach-denkt, kann leicht darauf kommen, daßöffentliche Aufträge in diese Sphäre zueiner realen Steigerung der Lohnein-kommen und damit zu einer Entlastungbei der Verteidigung der Tarife führenmüßte. – Vielleicht bringt es was, sich da-mit auseinanderzusetzen, was bei den„Selbständigen“ Ostdeutschlands ei-gentlich vorgeht. Gibt es Entwicklungenin Richtung Genossenschaft? In Richtungregionaler Wirtschaftskreisläufe? Einweites Feld wird wohl die Beziehung zwi-schen dem „dritten Wirtschaftssektor“und der Privatwirtschaft werden.Wo ste-hen hier die Gewerkschaften? Wie stehensie? Warum sind die Löhne und Gehälterin selbstverwaltet oder genossenschaft-lich wirtschaftenden Einrichtungenniedriger als in der „freien Wirtschaft“.Wie wirkt das auf das Lohnniveau? Span-nende Fragen, wenn sie praktisch wer-den. maf

Kulturpolitiker, sondern wir alle sind inerster Linie Sozialistinnen und Soziali-sten.

Ich betone an dieser Stelle: Wenn wirempfehlen, eine ganze Reihe von Anträ-gen nicht in das Wahlprogramm aufzu-nehmen, so heißt das nicht,daß sie von ir-gend jemandem für unwichtig gehaltenwürden. Ihre Inhalte können und sollenin vielfältiger Weise weiter bearbeitetwerden – ob in Wahlmaterial, in Argu-mentationen, als Vorlagen für den Partei-vorstand oder als Grundlage für weiter-führende Diskussionen und die Arbeitder ersten PDS-Fraktion im Bundestag.Auch in der Begründung des PDS-Wahl-programms kann ich nur wenige Fragenansprechen.

Liebe Genossinnen und Genossen,„Eine Weltkarte“, meinte Oscar Wilde,

„in der das Land Utopia nicht verzeich-net ist, verdient keinen Blick, denn sieläßt die eine Küste aus, wo die Mensch-heit ewig landen wird. Und wenn dieMenschheit da angelangt ist,hält sie Um-schau nach einem besseren Land undrichtet ihre Segel dahin. Der Fortschrittist die Verwirklichung von Utopien.“

Soweit Oscar Wilde. Es lohnte sich fürSozialistinnen und Sozialisten, sich freivon Vorurteilen und Klischees mit diesemwiderborstigen Denker und Künstler zubeschäftigen. Seine großen Warnungenjedenfalls erwiesen und erweisen sichwohl allesamt als berechtigt, nicht zu-letzt jene vor einem autoritären Sozialis-mus, der – sinngemäß wiedergegeben –ärger sei als seine kapitalistische Alter-native. („Wenn der Sozialismus autoritärwird,dann wird die letzte Stufe des Men-schen ärger sein als die erste.“) SolcheEinsicht ließ ihn nicht zum Antisoziali-sten werden, reichte aber hin, ihn mitweiten Teilen seines Denkens zur Unper-son werden zu lassen in den autoritärensozialistischen Staaten.

Ich spreche zum Wahlprogramm derPartei des Demokratischen Sozialismus.Das heißt erstens zum Programm einerPartei zu sprechen, die nicht aufhörenkann und nicht aufhören darf,sich zu öff-nen. Das politische und ideologischeReinheitsgebot der SED hat uns arm ge-macht, und wir müssen aufpassen, daßwir den Reichtum linken, emanzipatori-schen, sozialen, ökologischen, feministi-

Dokumente des Parteitags im Internet,http://www.pds-online.de/: Rostocker Manifest:Für einen zukunftsfähigen Osten in einer ge-rechten Republik • Eröffnungsrede von HansModrow, Ehrenvorsitzender der PDS • Für ei-ne gerechte Verteilung von Arbeit und Reichtum

- für einen starken Osten in einer gerechten Re-publik, Rede des Parteivorsitzenden, GenossenLothar Bisky • Für eine gerechte Republik -Das Wahlprogramm der PDS zu den Bundes-tagswahlen Rede des Wahlkampfleiters, Genos-sen André Brie •Vorstellung des Rostocker

Manifests, „Für einen zukunftsfähigen Osten ineiner gerechten Republik“ Prof. Christa Luft,MdB • Die PDS mit mehr als 5% der Stimmenin Fraktionsstärke in den 14. Deutschen Bun-destag, Rede des Gruppenvorsitzenden der PDSim Bundestag, Genossen Gregor Gysi •

Aus der Vorstellung des Rostocker Manifests durch Christa Luft

„Für einen zukunfts-fähigen Osten in einer gerechten Republik“

(…) Wir wollen nicht, daß die neuenLänder zu einer peripheren Region desrheinischen Zentrums mit verstetigterMassenarbeitslosigkeit, Perspektivlo-sigkeit für Frauen und junge Leute,vermindertem Eigentumsschutz, dis-kriminierenden Rentenregelungen,Einstellungsbarrieren und gesell-schaftlicher Ohnmacht wird.Wir wol-len nicht, daß der Osten in Wirt-schaftspolitik und Wirtschaftspraxisfast nur als Zielgebiet für aufwendigeTransferleistungen vorkommt, alsKlotz am Bein bei der noch stramme-ren Erfüllung der Euro-Kriterien, alsRegion nachholender Modernisie-rung, als Testfeld für Sozialabbau, fürdas Aushöhlen von Tarifverträgen, fürüberhöhte Abgaben, unproduktivePrivatisierung und Abwicklung vonWissenschaft.

Wir wollen, daß der Osten endlichals Chance begriffen wird. Und das istkein Regionalegoismus, sondern eindauerhafter Nutzen für das ganzeLand. Wenn der Osten nicht auf eige-ne Füße kommt, wird der Westen we-gen anhaltend notwendiger Transfer-leistungen Atemnot kriegen.Die deut-sche Einheit kann nicht als vollendetbetrachtet werden, wenn der Osten ei-ne Fast-Kopie des Westens gewordenist. Dann würden auch viele Auslauf-modelle kopiert.

Hier muß in den laufenden Um-bruchprozessen etwas Neues, Zu-kunftsfähiges entstehen, das auch fürdie alten Länder Impulse geben kann.

(…) Von Jahr zu Jahr ist deutlicher ge-

worden, daß die Schwierigkeiten desOstens nur die zugespitzten Problemedes Westens sind.Wenn wir die Schaf-fung eines öffentlich geförderten Be-schäftigungssektors fordern oder be-zahlbaren ÖPNV, die Stärkung der Fi-nanzkraft der Kommunen oder dieAufnahme eines Rechts auf Erstaus-bildung im Grundgesetz, um nur Bei-spiele zu nennen, dann sind das Ant-worten, die auch für die Situation inden alten Ländern anstehen.

(…)

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schen Denkens, aber auch den Realismusbei anderen um uns herum bemerken underschließen.

Auch wenn unsere Kritik an SPD undGrünen zu Recht hart ausfallen wird, dasie vor dem neoliberalen und machtpoli-tisch orientierten Mainstream zurück-weichen, sollte die PDS die einzige Par-tei sein, die in ihrem Wahlprogramm, soist es der Vorschlag des Parteivorstandes,auch eigene Nachdenklichkeit, Dialog-bereitschaft und Achtung anderen poli-tischen Kräften gegenüber ebenso aus-drückt wie die Differenzen.

Rund zwei Jahrzehnte war die politi-sche Kultur in der Bundesrepublik vonder gesellschaftlichen Blockade durchden Neoliberalismus gekennzeichnet.Konservative und marktliberale poli-tisch-geistige Hegemonie lag wie Mehl-tau auch auf dem intellektuellen politi-schen Leben. Die politischen Kräfte jen-seits der CDU/CSU erwiesen sich zudemals unfähig, offensiv auf den Zusammen-bruch der DDR und des gesamten osteu-ropäischen Realsozialismus zu antwor-ten.

Meiner Meinung nach hat aber endlichein Prozeß zur Überwindung dieser Läh-mung und der konservativen geistigenVorherrschaft begonnen.

Die breite Debatte um eine zukunfts-fähige bzw.nachhaltige Wirtschaftsalter-native, erneuerte gewerkschaftliche Al-ternativen, die Erfurter Erklärung unddas Wort der beiden großen Kirchen „zurwirtschaftlichen und sozialen Lage inDeutschland“ sind besonders wichtigeZeichen eines geistigen und politischenAufbruches. In diese reale gesellschaftli-che Diskussion und nicht in die Sterilitäteines linken Elfenbeinturms muß sichunser Wahlprogramm einordnen. Auchwir sind Suchende und haben keine Pa-tentrezepte.

Diese zentralen, in Gang kommendenDebatten müssen von uns aufgegriffenund dürfen, um Gottes Willen, von unsnicht ignoriert werden. Ohne unser lin-kes, sozialistisches Profil aufzugeben, imGegenteil, sind wir aufgefordert,zum po-litischen Konsens in diesen Existenzfra-gen beizutragen.Ich sage das mit solchemNachdruck,weil ich werben will,nicht je-nen Anträgen zu folgen, die solche Mo-mente aus dem Entwurf entfernen wol-len.

Ich spreche zweitens zu einem Wahl-programm einer Partei, die allen schwie-rigen Realismus und erforderlichenPragmatismus aufbringen wird, abernicht zuletzt dieses Realismus wegen kei-nen Grund sieht, Gesellschaftskritikzurückzunehmen und gesellschaftlicheAlternativen in das Archiv der Philoso-phiegeschichte zu verbannen. Der Kapi-talismus ist nicht das Ende der Ge-schichte. Der Gedanke, er sei es, ist dasEnde des politischen Denkens.

Oscar Wildes Begriff von Fortschrittals Verwirklichung von Utopien weistdarauf hin, in welch verstockter Zeit wirleben. Siege im internationalen Verdrän-

gungswettbewerb, technische Innovatio-nen, die Durchsetzung von Sozialkür-zungen,Kommerzialisierung immer neu-er Bereiche menschlichen Lebens – so undähnlich sieht das aus, was die Unterneh-merverbände und die Bundesregierungheutzutage als Fortschritt und Zukunftpropagieren.

Der große linke Begriff der Reform –ich erinnere aber auch daran, wie ver-dächtig er der SED war – ist in den ver-gangenen Jahren zu jenem Stereotyp her-untergekommen, in das CDU/CSU undF.D.P. ihre unsozialen Grausamkeitenkleiden.„Reform“ wird im Fremdwörter-buch als „Verbesserung“ übersetzt. SeitKohl regiert, kann von wirklichen Refor-men, also von Verbesserungen, weit undbreit nicht die Rede sein.

Die Politik in diesem Land ist durchnichts mehr gekennzeichnet als durch einempörendes Ausmaß sozialer Ungerech-tigkeit. Am Ende dieses Jahrhundertsmuß es nun endlich gelingen, die Ausein-andersetzung um eine gerechte Republikzu eröffnen und zu führen. Natürlichwerden wir überall dort sein müssen, wosoziale und politische Errungenschaftenaus den vergangenen Jahrzehnten vertei-digt werden. Aber mit der Verteidigungdes rheinischen gegen den amerikani-schen Kapitalismus, mit der sich JoschkaFischer begnügen will, werden die offen-sichtlich von ihm gemeinten Sozial-staatselemente gegen den ungebändigtenglobalen Kapitalismus nicht bewahrtund schon gar nicht die sozialen Fragender Gegenwart und Zukunft gelöst wer-den können.

Ich spreche drittens zu einem Wahl-programm, das als einziges in Deutsch-land von gesellschaftlicher Zuversichtgekennzeichnet ist, obwohl es die Dra-matik der Krisen klar benennt.Wenn dieRegierungsparteien, und nicht seltenauch die SPD und die Grünen, den histo-rischen Pessimismus verbreiten, es gebekeine politischen Alternativen zur Priva-tisierung und zur expansiven Vermark-tung der Gesellschaft, was ja nicht mehrund nicht weniger als die Zerstörung vonGesellschaft und Gesellschaftlichkeitbedeutet, dann ist die PDS eben auch dieeinzige gesellschaftspolitisch optimisti-sche Partei.

Sozialistische Politik und differen-zierte antikapitalistische Positionen, diebeispielsweise Unternehmerisches undMarkt nicht mit Kapitalismus gleichset-zen,sind hochaktuell.Die Frage nach mo-derner, zivilgesellschaftlicher und demo-kratischer Vergesellschaftung von Machtund Eigentum muß wieder hörbar wer-den.Wer an sie nicht heran will, das zeigtsich längst in großer Schärfe, wird wederdie Massenarbeitslosigkeit substantiellverringern, noch einen sozial-ökologi-schen Umbau erreichen können.

Wir haben in der Überarbeitung desProgrammentwurfs den sozialistischenCharakter der PDS noch einmal aus-drücklich formuliert. Das liegt Euch alsÄnderungsvorschlag der Redaktions-

gruppe vor. Der Entwurf ist aber vor al-lem in seinen konkreten Forderungenstärker als jedes bisherige Wahlpro-gramm der PDS von Positionen gekenn-zeichnet, die sozialistischen und glei-chermaßen aktuell praktikablen Cha-rakter haben.

Zum erstenmal seit Jahrzehnten for-dert eine Bundestagspartei in ihremWahlprogramm wieder die öffentlicheKontrolle der Großbanken. Und wir tundies nicht, weil wir uns nostalgisch ver-gangener linker Programme erinnern,sondern weil die entfesselten spekulati-ven Finanzmärkte zur Hauptbedrohungvernünftiger Wirtschaftsentwicklung ge-worden sind, weil die meisten der deut-schen Großbanken sich offensichtlich alskriminelle Vereinigungen zur Steuerhin-terziehung betätigen und weil ihre wei-ter gewachsene Macht nicht mehr derWirtschaftsregulierung, sondern derWirtschaftsverhinderung dient.

Wenn ein und dieselbe Bank im Auf-sichtsrat des einen Konzerns (Krupp) diefeindliche Übernahme des anderen be-treibt,in dessen Aufsichtsrat sie ebenfallssitzt (Thyssen), so ergibt sich unsere For-derung zwangsläufig, daß Banken nichtin die Aufsichtsräte von Industriekon-zernen, sondern selbst unter öffentlicheAufsicht gehören.

In Ostasien haben die Spekulationen,an denen deutsche Banken und andereAnleger führend beteiligt waren, kata-strophale soziale Folgen verursacht.Nachdem die Gewinne der letzten Jahreaus den Ostasiengeschäften natürlichprivatisiert worden waren, sollen die Ver-luste nunmehr in altbekannter Weise so-zialisiert werden. Übrigens über Rück-stellungen, Steuerausfälle und öffentli-che Bürgschaften auch in der Bundesre-publik Deutschland. Da weiß man we-nigstens, wo die Einnahmen aus derchrist- und sozialdemokratischen Mehr-wertsteuererhöhung landen werden.

Der Entwurf unseres Wahlprogrammsist auch in anderen Teilen ohne verbalesGetöse von Positionen geprägt, die densozialistischen Charakter der PDS aufaktuelle Weise deutlich machen. Das be-trifft insbesondere unsere konkreten Al-ternativen gegen die weitere Vermark-tung von Wohnen, Gesundheit, Bildung,Wissenschaft, Kultur und Information.

Hervorheben möchte ich aber nichtnur in diesem Zusammenhang die Vor-stellungen der PDS zur Schaffung einesdritten Wirtschaftssektors,den wir in un-serer unnachahmlichen PDS-Sprache alsöffentlich geförderten Beschäftigungs-sektor bezeichnen.Seine Grundzüge sindim Schweriner Parteitagsbeschluß zurBekämpfung der Massenarbeitslosigkeitund in einem Konzept der Bundestags-gruppe weitaus genauer dargestellt wor-den, als wir das in der ohnehin schon an-gezweifelten Kürze des Wahlprogrammskonnten.

Dieser dritte Wirtschaftssektor, nebender Privatwirtschaft und dem staatlichenBereich, ist kein erweitertes ABM-Pro-

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gramm, sondern ein komplexes wirt-schaftliches und gesellschaftliches Vor-haben, mit dem zum einen dauerhafte,existenzsichernde Arbeitsplätze entste-hen, zum anderen ökologische, sozialeund kulturelle Dienstleistungen gesi-chert werden sollen, die für die Repro-duktion der Gesellschaft unerläßlichsind. Gegenwärtig hinterlassen wir denkünftigen Generationen jährlich ökolo-gische Schäden von mindestens 200 Mil-liarden DM und quantitativ nur schwermeßbare soziale und kulturelle Zer-störungen.

Solche Politik, das wissen wir, kostetdie Zukunftsfähigkeit der Gesellschaftund gegenwärtig bereits die Zukunfts-chancen junger Menschen. Dementspre-chend haben wir den Bildungs-, Ausbil-dungs- und Freizeitmöglichkeiten vonKindern und Jugendlichen,ihrer sozialenSituation, ihren gesellschaftlichen Mit-wirkungsmöglichkeiten und der Hoch-schulpolitik besondere Aufmerksamkeitgeschenkt.

Das Konzept eines dritten Wirt-schaftssektors, um zu diesem Themazurückzukehren, ist eine Antwort auf dieFrage nach einer neuen Art von Vollbe-schäftigung, aber auch auf die gesell-schaftlichen Reproduktionsdefizite, diedurch die Reduzierung auf Profit und Ka-pitalverwertung hervorgerufen werden.Genossenschaftliche und kommunaleBetriebe, soziale, ökologische, kulturelleund feministische Initiativen, Wohl-fahrtsverbände und Selbsthilfeprojektekönnen und sollen unserer Auffassungnach Träger einer Struktur gemeinnützi-ger Projekte in diesem Wirtschaftssektorwerden. Ich will hier nicht theoretisieren,aber ich denke, daß die PDS mit solchenVorstellungen auch dabei ist, Ideen ge-meinschaftlicher Arbeit und vergesell-schafteten Eigentums zukunftsfähig zuerneuern.

Solche Fragen sind für uns kein Selbst-zweck.Wir wollen klare und heute reali-sierbare Antworten geben zur Überwin-dung der Massenarbeitslosigkeit, für Ver-teilungsgerechtigkeit, für einen ökologi-schen Umbau ohne soziale Gleichgültig-keit, für die Demokratisierung der De-mokratie und für eine Kulturentwick-lung, die Alternativen gegen die gesell-schaftliche Zersplitterung und Ausgren-zung bietet.

Wenn in Ostdeutschland mehr alssechzig Prozent der Befragten die natio-nalistische, rechte Losung „Deutsche Ar-beitsplätze für Deutsche“ „sehr gut“,„gut“ oder „eher gut“ finden,dann ist dasin vielfacher Hinsicht ein Alarmsignal.Und daß es von den Herrschenden über-hört oder mit einer Propaganda beant-wortet wird, die sich der Ausländer-feindlichkeit bedient, gehört zum Unver-antwortlichsten der CDU/CSU-Politik.Wir bleiben im Wahlprogramm, auchwenn es oft nicht populär ist, bei unse-rem Widerstand gegen Ausländerfeind-lichkeit und nationalistische Abschot-tung. Keinen Zentimeter dürfen wir

preisgeben. Das bestehende gesellschaft-liche Klima der Entsolidarisierung undFremdenfeindlichkeit, so steht es in un-serem Entwurf, begünstigt Rechtsextre-mismus,Rassismus und das Aufleben vonAntisemitismus.

Es ist die politische Linie der PDS,nicht nur zu fordern, „Nazis raus!“, son-dern „Nazis raus aus den Köpfen!“ Wirstellen damit die Frage nach der indivi-duellen Verantwortung genauso wie dienach der Verantwortung von Gesellschaftund Politik. Wer dem Fremdenhaß undder Verrohung der Rechten folgt, wird inder PDS und ihren Mitgliedern einenGegner haben.Wir weisen aber auch dar-auf hin, daß offizielle Arbeitslosenzahlenvon 30 und reale von 50 Prozent, Un-gleichberechtigung und Demütigung derOstdeutschen sowie die Arroganz,mit derdie Chancen eigenständiger Kulturent-wicklung in Ostdeutschland zerstörtwerden sollen, der bedrohliche Bodenvon Desorientierung und Zukunftsangstsind,auf dem braunes Denken und Nicht-denken gedeihen.

Solidarität und Gleichberechtigungsind nicht selektiv zu haben. Es gibt siefür alle oder gar nicht.Wer die anhalten-de Diskriminierung der Ostdeutschennicht populistisch und klientelistisch,sondern grundsätzlich überwinden will,der darf sich nicht damit abfinden, daßin der Bundesrepublik Deutschland Mil-lionen Menschen ohne deutschen Paß undandere Bevölkerungsgruppen diskrimi-niert werden.Wir setzen uns daher für einumfassendes Antidiskriminierungs- undGleichstellungsgesetz ein.

Zugleich nehmen wir die Menschen inihren sozialen Sorgen ernst. In einemLand, in dem von der Arbeitsmarktpoli-tik der Regierung nur festgestellt werdenkann, Politik wie Flasche leer, ist derKampf um Verfassungsrechte auf Ausbil-dung und Arbeit auch Bestandteil desKampfes gegen Neonazismus und Ras-sismus.

Anders als in früheren Jahren habenwir uns bemüht, ein Programm zu for-mulieren, das von den Zusammenhängenzwischen den einzelnen Politikbereichengekennzeichnet ist.Wenn ich dennoch andieser Stelle besonders charakteristischePositionen der PDS hervorheben darf,dann wären es die folgenden.

Die PDS hat das modernste Konzeptfür die Überwindung der Massenarbeits-losigkeit, weil sie aktive und ökologischorientierte Arbeitsmarkt- und Wirt-schaftspolitik mit realistischen und weit-reichenden Vorstellungen zur gerechtenVerteilung der vorhandenen Erwerbsar-beit und zur Schaffung eines neuen, desbereits erwähnten dritten Wirtschafts-sektors verbindet.

Die PDS ist die einzige Partei, die dieFrage nach einer gerechten Verteilung desgesellschaftlichen Reichtums konse-quent stellt. Wir wollen nicht in Robin-Hood-Manier oben nehmen und untengeben,sondern wir wollen zum einen,daßder Reichtum primär dort bleibt, wo er

produziert wird, bei den Lohnabhängi-gen. Zum anderen wollen wir, daß Reich-tum nicht spekulativ, sondern für einenbeschäftigungsorientierten und nach-haltigen Umbau von Wirtschaft und Ge-sellschaft eingesetzt wird.

Die PDS ist eine Partei, die sich ent-schieden für die Erweiterung der Mit-sprache- und Entscheidungsmöglichkei-ten der Bürgerinnen und Bürger einsetzt.Der Begriff der Demokratisierung derDemokratie ist inzwischen auch von Wis-senschaftlern als ein Begriff der PDS an-erkannt worden, und wie wir in unsererWahlkampfumfrage kürzlich feststellenkonnten,wird dieses Engagement auch inder Bevölkerung zunehmend anerkannt.Ich plädiere daher nicht nur dafür, daßunsere Vorschläge zur Erweiterung di-rekter Demokratie auf allen Ebenen un-terstützt werden, sondern daß wir auchdieses Markenzeichen der PDS nichtleichtfertig aufgeben. Aus den Anträgengeht nicht ganz klar hervor, warum ein-zelne Gruppen und Mitglieder den Be-griff der Demokratisierung der Demo-kratie so vehement ablehnen. Wenn da-hinter steckte, in traditioneller Weise da-von auszugehen, daß die bürgerlichenGesellschaften von vornherein undemo-kratisch, die Demokratie also nicht de-mokratisiert werden könne, so möchteich eindringlich vor dieser Einschätzungwarnen. Wenn es sich um rein sprachli-che Vorbehalte handelte, so bitte ich dar-um, zu verstehen, was für ein Glücksfalles ist, daß dieser Begriff uns zugeordnetwird, uns gehört.

Die PDS ist die einzige Partei,die kon-sequent, und auch die einzige Partei, dieumfassend ostdeutsche Interessen undostdeutsches Selbstbewußtsein artiku-liert.Wir haben für Ostdeutschland nichtregionalpolitische, sondern in die Zu-kunft weisende gesellschaftspolitischeAlternativen, die Pilotprojekt und Aus-gangspunkt für eine moderne, nachhalti-ge Entwicklung der gesamten Bundesre-publik werden könnten. Wir jammernnicht und wir fordern nicht, daß Ost-deutschland noch mehr Geld bekommenmüßte,wir fordern,daß die Ostdeutschenendlich mehr geben können: durch Ar-beitsmöglichkeiten,dadurch,daß endlichder große Wert ihrer anderen Lebensläu-fe und anderen Erfahrungen genutztwürde, durch Gleichberechtigung unddurch reale Mitwirkungsmöglichkeitenan der Gestaltung des Gemeinwesens.

Die PDS ist die einzige Partei, die inihrem Wahlprogramm konkrete Alterna-tiven zur Zerstörung der Gesellschaftdurch den Neoliberalismus vorgelegt hat.Dazu gehören unsere Vorstellungen zurRe-Regulierung und Repolitisierung derWirtschaft und des Finanzsystems eben-so wie unsere Forderungen nach direkterDemokratie, der Wiederherstellung derkommunalen Selbstverwaltung, zur De-mokratisierung der Europäischen Unionsowie zur Durchsetzung internationalersozialer und ökologischer Standards. (…)

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„Mit Begriffen, die häufig nicht wertfreibenutzt werden, findet am Institut einsensibler Umgang und eine kritischeAuseinandersetzung statt.“ Wie bitte?Ein sensibler Umgang mit „rassischenMischehen“, „fremdrassischen“, oder„gleichrassischen Partnern“? Ja, meinenStudierende und Lehrende am Institutfür Humanbiologie der Uni Hamburgund erklären, daß sie im Rassenkunde-unterricht „keine … biologistischen Hal-tungen erkennen konnten“. Dem wider-spricht die AG gegen Rassenkunde – jetztauch in Buchform – und dokumentiert dieseit 1986 geführte Auseinandersetzungum Forschung und Lehre am Institut fürHumanbiologie der Universität Ham-burg. Im Zentrum ihrer 225 Seiten um-fassenden Kritik steht das Lehrbuch desInstitutsleiters, Prof. Dr. Rainer Knuß-mannn.

Der ungewöhnlich rasante Evolu-tionsprozeß, den sein „Lehrbuch der An-thropologie und Humangenetik“ in nur16 Jahren durchgemacht hat, ist für diewissenschaftliche Grundausstattungdieser Disziplin derart bezeichnend, daßich eine der Absonderlichkeiten hier vor-stellen möchte: Nach dem Standardwerk,„Vergleichende Biologie des Menschen“(Erstauflage 1980) gilt für „Australiden“:„Mittel- bis hochwüchsig, schlank, aberrobuster Körperbau, sehr lange Glied-maßen, relativ häufig abgespreizte Groß-zehe; … geneigte Stirn mit starken Über-augenwülsten, unterdurchschnittlicheSchädelkapazität, dickes Schädeldach…: breites, grobes Gesicht“ usw. In derüberarbeiteten Fassung der zweiten Auf-lage (1996) lautet nämliche Beschrei-bung: „Mittel- bis hochwüchsig, schlank,aber robuster Körperbau, sehr langeGliedmaßen; … geneigte Stirn mit rel.starken Überaugenbögen, dickes Schä-deldach; breites, robustes Gesicht“ usw.

Wulf D. Hund, Professor für Soziolo-gie der HWP Hamburg, weist in seinembegleitenden Vorwort zur Veröffentli-chung der AG gegen Rassenkunde aufzwei erstaunliche Entwicklungen hin: Inweniger als einer Generation konnten die„Australiden“ die Differenz der Schädel-kapazität ausgleichen. Nicht minderüberraschend ist das Verschwinden derabgespreizten Großzehe. Immerhin galtsie als Merkmal nichtmenschlicher Pri-maten, welches 1980 noch als „Atavis-mus“ aufgetreten war und den Fußannähernd zum „Greiffuß“ werden ließ.

Dieses Beispiel zeigt bereits,daß es dasanthropologische Lehrbuch nicht bei dervermessenden Feldforschung beläßt.Vielmehr versucht die Rassenlehre, „eineOrdnung hereinzubringen, die Vielfalt

überschaubar werden läßt“. Das Unter-fangen liest sich in erster Fassung dannso: „Mehr oder weniger generell phylo-genetisch-primitive Rassen, d.h. solche,die insgesamt den Tierprimaten näher-stehen als andere …, sind in der heutigenMenschheit kaum zu finden (am ehestenAustraliden).“ 1996 heißt es über solcheÜberlegungen beim selben Autor: „Ras-senideologen (sic!) pflegen … bestimmteRassen gegenüber anderen generell alsphylogenetisch-primitiver darzustellen,d.h. den Tierprimaten näherstehend …“,womit sich die Forschung in des For-schers Schwanz verbissen hätte.

Hätten es die KritikerInnen beim ein-fachen Zirkelschluß belassen, wäre zwarProf. Dr. Knußmann nach eigener Aus-führung als Rassenideologe überführt,aber der eigentliche Widerspruch zwi-schen den Lehrinhalten und der Selbst-wahrnehmung der Beteiligten schlicht-weg unterschlagen worden. Die Dozen-tinnen und Dozenten der Humanbiologieselbst verorten sich im liberalen, gar lin-ken Spektrum und distanzieren sich ve-hement von politisch motiviertem Ras-sismus. Sie verteidigen eine „objektive“Wissenschaft, zu der nach ihren Auffas-sungen die Einteilung der Menschheit in„Rassen“ gehört. Bei ihnen beginnt Ras-simus dort, wo rassistische Ideologen –etwa die Gesellschaft für biologische An-thropologie, Eugenik und Verhaltensfor-schung e.V. – sich der wissenschaftlichenKategorien bemächtigt und Herrenmen-schentum rausschreien. Prof. Dr. Knuß-mann kennt den Vereinsvorsitzenden undHamburger Nazi-Kader, Jürgen Rieger,zwar nicht persönlich, wohl aber das ge-nerelle Problem: „In der Sache ist ras-senkundlicher Unterricht auf jeden Fallsinnvoll, und zwar gerade weil es Rassi-sten gibt. Ihrer Ideologie (…) ist das wis-senschaftliche Konzept der Entstehunggeographischer Merkmalsvariabilitätentgegenzustellen, indem gezeigt wird,

was Rassen wirklich sind, nämlich un-terschiedliche Adaptionen an unter-schiedliche Räume mit unterschiedlichenklimatischen und unterschiedlichen öko-logischen Gegebenheiten sowie unter-schiedlichen jahrtausendelangen Krank-heitsbelastungen.“

Das bestreiten die „Texte gegen rassi-stische und sexistische Kontinuitäten inder Humanbiologie“ und verweisen aufdie Geschichte, die Wissenschaftskritikder Aufklärung und Carl Linné.Auf letz-teren geht die Konstruktion der Haut-farbe als bestimmendes Merkmal zurEinteilung von Rassen zurück. Phänoty-pische und physiologische Merkmale –hauptsächlich Haut-, Haarfarbe sowieKörperformen – wurden herausgepickt,um die Herrschaft der europäischen Er-oberer über die kolonialisierten Völker zulegitimeren. Warum aber war die Haut-farbe ausschlaggebend? Die Antwort istrelativ simpel: der Einfachheit halber.„Rassen“ kommen in der Natur nicht vor.Sie sind das Produkt klassifikatorischer

Texte wider die Rassenkonstruktion durch die Humanbiologie

Die Vielfalt der Menschen wirdder Einfalt der Typen geopfert

AG gegen Rassenkunde (Hrsg.), Dei-ne Knochen – Deine Wirklichkeit,Texte gegen rassistische und sexsisti-sche Kontinuität in der Humanbiolo-gie, reihe antifaschistischer texte/Unrast-Verlag, Hamburg/Münster,März 1998, ISBN: 3-928300-80-6, 224Seiten, paperback, DM 16,80

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Anstrengungen, und der größte Teil derInformationsaufnahme erfolgt über dasmenschliche Auge. Der Rassenbegriffverknüpft nun äußere zumeist sichtbare,Merkmale mit sozialen Verhaltensweisenund erklärt das Konstrukt zur „natürli-chen Abstammung“. Mit naturgesetzli-chen Erkenntnissen hat das nichts zu tun.Bei 149 Mio. Quadratkilometern „natür-licher Abstammung“ des Menschen ist esdeshalb nicht verwunderlich,daß die ver-schiedenen typologischen Rassensyste-matiken – je nach Einteilung – auf dreibis dreihundert Menschenrassen kom-men.

Ein Kollege der Hamburger Human-biologInnen,Ulrich Kattmann,bestreitetdie Zweckmäßigkeit der Unterteilungenin Menschenrassen grundsätzlicher: „DieVielfalt der Menschen wird der Einfaltder Typen geopfert: Jede Rassenklassifi-kation simplifiziert die Vielfalt in un-zulässiger Weise, indem … dabei (kleine)Gruppenunterschiede höher bewertetwerden als (größere) zwischen den Indi-viduen ein und der selben Gruppe.“ DerDozent an der Uni Oldenburg schließtmit einem für die Rassenkunde vernich-tenden Resümee: „Eine Grundlinie imVerständnis des Begriffs Rasse läßt sich

im gesamten Verlauf der Anthropologienicht erkennen.“

In den eigenen Fachkreisen ist der Ras-senbegriff – vorsichtig ausgedrückt – um-stritten.Im Juni 1995 beschäftigte sich ei-ne Konferenz „Gegen Rassismus, Gewaltund Diskriminierung“ der UNESCO spe-ziell mit dem Forschungsstand in der An-thropologie, Biologie und Humangene-tik. In einer gemeinsamen Abschlußer-klärung gelangen achtzehn Wissen-schaftler und Wissenschaftlerinnen zurSchlußfolgerung, daß es „keinen wissen-schaftlichen Grund (gibt), den Begriff‚Rasse‘ weiterhin zu verwenden“. War-um? Erstens sorge nur ein verschwinden-der Anteil der menschlichen Gene für dasverschiedene Äußere, auf das sich der ty-pologische Rassenbegriff bezieht: etwa50 oder noch weniger von 60000; undzweitens seien die genetischen Unter-schiede zwischen verglichenen Men-schengruppen verschiedener Erdregio-nen fließend und weisen keine größerenBrüche zwischen den Gruppen auf. Da-gegen variieren die genetischen Merk-male der einzelnen Menschen innerhalbeiner Gruppe vergleichsweise stark.

Die DozentInnen am Hamburger Hu-manbiologischen Institut kennen und be-

stätigen den Forschungsstand. Entspre-chend relativiert Prof.Dr.Knußmann denRassenbegriff,„denn im Sinne biologischscharf voneinander abgegrenzter Grup-pen gibt es tatsächlich keine Rassen“. Ineinem zweiten Schritt wird die Rassedann hinterrücks wieder eingeführt:„Was es aber unbestreitbar gibt, ist einephylogenetisch bedingte geographischeDifferenzierung, in der sich verschiedene– genetisch determinierte – Schwerpunk-te erkennen lassen. Zumindest dieseSchwerpunkte,aber auch die verschiede-nen Abstufungen zwischen ihnen werden– dem Gebrauch des Begriffes in der ge-samten Biologie folgend – als Rassen be-zeichnet.“ Eindeutiger kann oder willsich das Standardwerk der Anthropolo-gie in der „Frage nach rassischer Be-dingtheit oder Umweltresultanten“ nichtfestlegen. Um so entschlossener fällt dasWissen über die „Unterschiede zwischenden rassischen Gruppen nach Bega-bungsbereichen“ aus. Wie diese Unter-schiede genau aussehen, bleibt offen. Al-lerdings wird festgestellt, daß sie „deut-lich“ sind. Der Rest bleibt der Phantasieüberlassen und entsteht im Auge des Be-trachters. Die wenigen Ausführungenwie die „musische Begabung der

Schwarzen“ entstammen der Mottenki-ste rassistischer Vorurteile und sind aufdem Niveau von „Neger können bessertanzen, Indianer besser Töpfe machen“.

Sicherlich gibt es Merkmale des Men-schen, die sich in geographischer Häufig-keit unterscheiden, so die für die Rasse-einteilung so wichtige Hautfarbe. Zu be-streiten ist jedoch,daß sich aus den Merk-malen des Menschen biologische Grup-pen konstituieren lassen. Die vernachläs-sigten Merkmale, also Schuhgröße, Wim-pernlänge, Darmvolumen sind zum Bei-spiel nicht in die Bildung dieser Gruppeneingeflossen. Virendra Chopra, einer derDozenten des Institutes, zieht die Grenzeschon bei einer Kombination von rund 60Merkmalen. Er schließt daraus nicht et-wa die Fragwürdigkeit der geographi-schen Zuordnung menschlicher Merkma-le und Eigenschaften, sondern lediglichdas Verwenden von so vielen Merkmalen,da es den Begriff Rasse ad absurdumführt. „Hautfarbenvariabilität“ hier,Töpfern da, der Prozeß der Bedeutungs-produktion wird vorstellbar.

Die Presseberichterstattung hat in denvergangenen zwei Jahren in Hamburgereine Menge Staub aufgewirbelt. Der ehe-malige Wissenschaftssenator Leonhardt

Hajen forderte vom Präsidenten der Uni-versität, Jürgen Lüthje, eine Stellung-nahme. Eine Arbeitsgruppe des Akade-mischen Senats wurde eingesetzt, derKriminologe Fritz Sack mit einem Gut-achten beauftragt. Dieser bezeichnet dieim Lehrbuch behaupteten Zusammen-hänge zwischen Kriminalität und „gene-tischer Belastung“ bei Personen mit„psychischen Auffälligkeiten“ als „irre-führend, wissenschaftlich unvertretbarund politisch verantwortungslos“. Ganzanders der Abschlußbericht vom30.10.1997: Der Akademische Senatkommt darin zu dem Schluß, daß die„Vorwürfe des Rassismus, des Antisemi-tismus und des Biologismus“ gegenüberden Lehrenden des Institutes „nicht be-gründet“ seien. Konsequenzen? Die Ras-senkunde-Veranstaltung wird mit Be-ginn des neuen Semesters in „Geogra-phische Variabilität des Menschen“ um-benannt, und die beanstandeten Mate-rialien aus der Zeit des Nationalsozialis-mus landen im institutseigenen Gift-schrank.

Für die AG gegen Rassenkunde sinddas kosmetische Maßnahmen, solangenicht der Rassenbegriff samt Begrün-dungszusammenhang vom Tisch ist. IhreForderung lautet: Schließung des Insti-tutes und Einrichtung eines Arbeitsbe-reiches ,Kritische Biologie‘. Ihre in derReihe antifaschistische Texte (rat) er-schienene Aufsatzsammlung schließt miteiner „Chronik der Proteste“ der letzten12 Jahre. Da die Studierenden beispiels-weise in Mainz oder Kiel mit ähnlichenInhalten konfrontiert werden, hoffen sie,„daß unsere Erfahrungen dadurch auchfür kritische Auseinandersetzungen undfür Protestaktionen in anderen Städtengenutzt werden können“.

Ich habe mich beschränken müssenund so im wesentlichen den Aufsatz vonJan Diedrich und Johann Knigge „Ras-senkunde am Institut für Humanbiolo-gie“ vorgestellt. Dort finden sich weitereAspekte,wie die Kritik am Konstrukt der„Juden als Bevölkerungstyp“ oder dieUrsachen für „soziale Auffälligkeiten“im Zusammenhang mit der Frage der Ver-erblichkeit von Intelligenz.In den Beiträ-gen von Britta Bergmann, Jakob Michel-sen und Elke Ostbomk-Fischer geht esum den Zusammenhang von „Geschlech-terkonstruktionen“ und „lesben- undschwulenfeindlicher Forschung am Hu-manbiologischen Institut“. Ruth Stiasnystreift durch die geschichtlichen Ver-wicklungen des Rassismus, und JakobMichelsen verfolgt die inhaltlichen undpersonellen Linien der NS-Anthropolo-gInnen der „Breslauer Schule“ bis heute.Naturwissenschaftliche Vorkenntnissesind fürs Lesen und Verstehen nicht not-wendig, und meine geographischenKenntnisse sind auch begrenzt. Ich, übri-gens, bin in Heidelberg geboren, abermein Vater kommt aus dem Hannover-schen und die Familie meiner Mutter ausder Lausitz.Von wo stammen Sie eigent-lich her? kun

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Politische BerichteZZEEIITTUUNNGG FFÜÜRR SSOOZZIIAALLIISSTTIISSCCHHEE PPOOLLIITTIIKK–– EERRSSCCHHEEIINNTT VVIIEERRZZEEHHNNTTÄÄGGLLIICCHH

Herausgeber: Arbeitskreis Politische Berichte, Gutenberg-straße 48, 70176 Stuttgart. Herausgeber für den ArbeitskreisPolitische Berichte: Selman Arslan, Christoph Cornides, Ulri-ke Detjen, Martin Fochler, Emil Hruska, Herbert Stascheit.

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Aktuelles aus Politik und Wirtschaft: Rüdiger Lötzer; GNN-Ver-lag, Dieffenbachstr. 33, 3. Hof, Eing. C, 10967 Berlin, Tel.030 / 69 40 10 39, Fax: 030 / 69 40 10 41.Auslandsberichterstattung: Hardy Vollmer; GNN-Verlag, Wil-helmstraße 15, 79098 Freiburg, Fax : 0761/ 34961Regionales West und Ost: Jörg Detjen, (West),GNN-Verlag,Post-fach 260 226, 50515 Köln. Hausadresse GNN-Verlag, ZülpicherStr. 7, 50674 Köln, Tel. 02 21 / 21 16 58, Fax : 02 21 / 21 53 73.;Rüdiger Lötzer, (Ost) s.o. „Aktuelles…“. Regionales West undOst wird in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Linke Kom-munalpolitik hergestellt.Aus Betrieben und Gewerkschaften: Alfred Küstler, GNN-Ver-lag, Gutenbergstr. 48, 70176 Stuttgart, Tel. 07 11 / 62 47 01,Fax : 0711 / 62 15 32.Diskussion / Dokumentation und Letzte Seiten: ChristianeSchneider, Hamburg: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359Hamburg, Tel. 040 / 43 18 88 20, Fax : 040 / 43 18 88 21.

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Unterschrift: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Einsenden an: GNN-Verlag, Gutenbergstr. 48, 70176 Stuttgart

ADRESSAUFKLEBER

MINETE

R 19. April: FDP-Bundesparteitag verab-schiedet Bundestagswahlprogramm.

20./21. April: SPD-Bundesparteitag inLeipzig wählt Kanzlerkandidat und ver-abschiedet Wahlprogramm

25. April: Kongreß gegen das MAI in BonnAudi-Max, Pädagogische Fakultät, Rö-merstr. 164

26. April 1998: Landtagswahl in Sachsen-Anhalt

2.Mai 1998: Karawane nach Genf zur WTOKonferenz: Ein Aktionsbündnis von Wi-derstandsbewegungen aus aller Welt –„Peoples Global Aktion“ – organisiert Pro-teste gegen das M.A.I (Multilateral Agree-ment of Investment) und den neoliberalenUmbau der Welt durch die Konferenz derWelthandelsorganisation WTO am 18.-20.Mai in Genf. In Genf beginnt Mitte Aprileine Karawane, die am 2.5. in Frank-furt/Main eintrifft, dann über zahlreicheStädte führt und am 16.5. nach Genfzurückkommt, wo mit einer „Global Stre-et Party“ Aktionen in Genf eingeleitet wer-den, die bis zum 20.5. dauern. Info: WIWAWendland, c/o Abraxa, Marschtorstr. 56,29451 Dannenberg. Tel./Fax: 05861/2527.Email: [email protected].

2./3. Mai: EU-Konferenz entscheidet Teil-nehmerkreis der EU-Währungsunion ab1.1.1999

17./19. Mai: CDU-Bundestagswahlpartei-tag in Bremen

22./23. Mai: Kongreß „Renaissance derGrundrechte" in München. Bestandsauf-nahme des Abbaus der Grundrechte undPlanung gemeinsamer Aktivitäten. Bisheran der Vorbereitung beteiligt: IAF, ProAsyl, Humanistische Union, Humanisti-sche Bewegung, Bündnis 90/Die Grünen,Bayer. Flüchtlingsrat, VDJ, Neue Richte-rInnen Vereinigung, Republikanischer An-

wältinnen- und Anwälteverein, Arbeiter-wohlfahrt. Infos über Büro MdEP ClaudiaRoth, Tel. 0228/1687939.

22./24. Mai: DKP-Parteitag in Hannover

22.05.1998 CDU-Wahlparteitag 17./19. Mai: CDU-Bundestagswahlpartei-tag in Bremen.

29.–31.Mai: Peace Congress Osnabrück 98,Vom Westfälischen Frieden zu einem frie-densstifenden Europa. Europäischer Frie-dens- und Kriegsdienstverweigerer-Kon-greß. Infos unter Tel. 05 41 / 26 06 50, Fax:26 06 80.

8.–12. Juni 1998: 16. o. Bundeskongreß desDGB in Düsseldorf

13./14. Juni: Bundestreffen der AG Betrie-be und Gewerkschaften der PDS in NRW

13./14. Juni: Bundeskongreß der VVN-BdAin Braunschweig, Motto: „Zukunft Antifa-schismus“. Infos bei der Bundesgeschäfts-stelle der VVN-BdA, Rolandstr. 16, 30161Hannover.

13. September: Landtagswahl in Bayern

17./19.9. a.o. Gewerkschaftstag der IG Me-tall in Mannheim

27. September: Bundestagswahl, Land-tagswahl in Mecklenburg-Vorpommernund Kommunalwahlen in Brandenburg

10./11. Oktober: Herbsttagung des ForumsKommunistischer Arbeitsgemeinschaftenin Köln

24.-29. Oktober: HBV-Gewerkschaftstagin Bremen und IG-Medien-Gewerk-schaftstag in Würzburg •

Multilaterales Abkommen über Investionen: Der Gipfel der Globalisierung Internationaler Kongreß

Samstag, 25. April, 9.30 Uhr bis 18 Uhr, Audimax, PädagogischeFakultät, Universität Bonn, Römerstr. 164

AABBLLAAUUFF::

10 Uhr: Der Abbau der Demokratie: Das MAI und die Bedrohung derRechte und Freiheiten der BürgerInnen. Tony Clarke, Direktor, PolarisInstitute, Ottawa, Kanada.10.45: Was bedeutet das MAI für Deutschland. Maria Mies, Soziolo-gin, Köln11.15: Fragen / Diskussion13.00: Mittagspause14.00: Das MAI aus der Perspektive des Südens. Martin Khor, Direk-tor Third World Network, Penang, Malaysia.14.30: Fragen / Diskussion15.30: Die Folgen der Globalisierung für die Erwerbsarbeit. Theo Steg-mann (IG Metall) Duisburg16.00: Fragen / Diskussion16.30: Internationaler Widerstand gegen das MAI, die Globalisierungun den „Frei“handel. Ann Stafford (Soziologie, Berlin)17.00: Diskussion: Wie soll es weitergehen? Informationen über Ak-tionen, Aktionsvorschläge usw.

MM..AA..II..::