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AKTUELLE MEDIZIN KONGRESSBERICHTE Immer wieder Unterzucker Schlechte Prognose, drohende Demenz Eine der häufigsten und gefürchtetsten Komplikationen des Diabetes mellitus ist die Hypoglykämie. Episoden der Unterzuckerung beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität. Sie sind auch prognostisch relevant und führen zu kogniti- ven Beeinträchtigungen bis hin zur Demenz. - Die erapie des Diabetes ist eine Gratwanderung. Einerseits ist eine normnahe Blutzuckereinstellung anzu- streben, um Spätkomplikationen zu ver- hindern, andererseits wird dadurch aber das Hypoglykämierisiko erhöht. Mit neuen Substanzen, besseren Insulinen, intensiverer Schulung und effektiveren Überwachungsstrategien versucht man, das Hypoglykämierisiko zu minimieren. Angst vor Hypoglykämien stört Optimierung der Therapie In der DAWN2-Studie gaben über 40% der Typ-2-Diabetiker an, Angst vor einer Hypoglykämie zu haben. „Besonders groß war die Angst bei jenen, die bereits eine Hypoglykämie erlebt hatten“, so Prof. omas Danne, Hannover. Risiko- faktoren für eine Unterzuckerung sind Alter, lange Diabetesdauer, Demenz, Niereninsuffizienz, Schlaf, Alkohol und Sport. Die Angst vor Hypoglykämien stört die erapieadhärenz und die Be- reitschaſt für eine Optimierung der an- tidiabetischen erapie. Eine Hypoglykämie führt zu einer abgeschwächten physiologischen Ant- wort auf die Unterzuckerung. Dies wie- derum hat eine herabgesetzte Hypogly- kämiewahrnehmung zur Folge, was die Anfälligkeit für weitere Hypoglykämien erhöht – ein Teufelskreis wiederholter Hypoglykämien entsteht. Mehr vaskuläre Ereignisse Hypoglykämien senken nicht nur die Lebensqualität, sondern erhöhen auch das Risiko für ein vaskuläres Ereignis. „Unterzuckerungen machen Plaques vul- nerabler, sie begünstigen also eine Pla- queruptur“, erklärte Prof. omas R. Pieber, Graz. Überdies kommt es zu ei- ner Störung der Repolarisation im Her- zen mit Verlängerung der QTc-Zeit, was den Nährboden für vital bedrohliche ta- chykarde Rhythmusstörungen bereitet. Auch das Sturz- und Frakturrisiko steigt. Vorteile der neuen Substanzen Hypoglykämien treten am häufigsten unter Sulfonylharnstoffen und Insuli- nen auf. Der Vorteil neuer Strategien wie der Gliptine und der GLP-1-Analoga be- steht darin, dass sie selbst keine Hypo- glykämien verursachen können. Glei- ches gilt für Metformin. Beim Typ-2-Diabetiker wird die Hy- poglykämie meist durch das abendliche Basalinsulin induziert. Schon die lang- wirksamen Basalinsuline wie Insulin de- temir und Insulin glargin sind sicherer im Hinblick auf schwere nächtliche Hy- poglykämien als die NPH-Basalinsuline. Das neue ultralang wirksame Insulinana- logon Insulin degludec scheint nach bis- herigen Daten das Hypoglykämierisiko weiter zu senken. Das sehr flache und lang anhaltende Wirkprofil dieses Insu- lins erlaubt auch eine größere Flexibilität bei der Injektion, d. h. es muss keine be- stimmte Uhrzeit eingehalten werden. Diabetes und Demenz: Wie hängt das zusammen? „Verlaufsuntersuchungen haben gezeigt, dass Typ-2-Diabetiker ein etwa doppelt so hohes Demenzrisiko zeigen wie Stoff- wechselgesunde“, so Prof. Werner Kern, Ulm. Nicht nur die vaskuläre, sondern auch die degenerative Demenz vom Alz- heimer-Typ tritt bei ihnen häufiger auf. Demente Patienten haben ein erhöh- tes Risiko für eine Unterzuckerung. „So- mit stellt sich die Frage, was ist Henne und was ist Ei?“, so Kern. Bei Typ-1-Di- abetikern habe man bisher nicht belegen können, dass Hypoglykämien die kog- nitive Leistung beeinträchtigten. Doch bei den meist älteren Typ-2-Diabetikern verdoppelt sich das Demenzrisiko, wenn wiederholt schwere Hypoglykämien auf- getreten sind. Auch gibt es Hinweise, dass sogar milde Hypoglykämien lang- fristig das Gedächtnis stören. sti Quelle: Deutscher Diabetes Kongress, 28.31.5.2014 in Berlin Sport bei Typ-1-Diabetikern Alles ist möglich! Typ-1-Diabetiker sind meist schlanke, aktive Menschen, die ihre sportliche Be- tätigung nach Entdeckung der Stoff- wechselerkrankung keinesfalls aufge- ben möchten. Um Hypoglykämien zu vermeiden, müssen diese Patienten ler- nen, entsprechende Therapieanpas- sungen vorzunehmen. Dabei muss be- rücksichtigt werden, dass der Energie- verbrauch und auch die Insulinemp- findlichkeit sowohl bei den verschiede- nen Sportarten als auch im Tagesver- lauf sehr unterschiedlich sein können. „Wer das beherrscht, bei dem ist sport- lich alles möglich“, versicherte Extrem- sportler Andreas May, Hamburg. © Getty Images/iStockphoto 18 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (12)

Schlechte Prognose, drohende Demenz

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AKTUELLE MEDIZIN_KONGRESSBERICHTE

Immer wieder Unterzucker

Schlechte Prognose, drohende DemenzEine der häu� gsten und gefürchtetsten Komplikationen des Diabetes mellitus ist die Hypoglykämie. Episoden der Unterzuckerung beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität. Sie sind auch prognostisch relevant und führen zu kogniti-ven Beeinträchtigungen bis hin zur Demenz.

−Die � erapie des Diabetes ist eine Gratwanderung. Einerseits ist eine normnahe Blutzuckereinstellung anzu-streben, um Spätkomplikationen zu ver-hindern, andererseits wird dadurch aber das Hypoglykämierisiko erhöht. Mit neuen Substanzen, besseren Insulinen, intensiverer Schulung und e� ektiveren Überwachungsstrategien versucht man, das Hypoglykämierisiko zu minimieren.

Angst vor Hypoglykämien stört Optimierung der TherapieIn der DAWN2-Studie gaben über 40% der Typ-2-Diabetiker an, Angst vor einer Hypoglykämie zu haben. „Besonders groß war die Angst bei jenen, die bereits eine Hypoglykämie erlebt hatten“, so Prof. � omas Danne, Hannover. Risiko-faktoren für eine Unterzuckerung sind Alter, lange Diabetesdauer, Demenz, Niereninsu� zienz, Schlaf, Alkohol und Sport. Die Angst vor Hypoglykämien stört die � erapieadhärenz und die Be-reitscha� für eine Optimierung der an-tidiabetischen � erapie.

Eine Hypoglykämie führt zu einer abgeschwächten physiologischen Ant-wort auf die Unterzuckerung. Dies wie-derum hat eine herabgesetzte Hypogly-kämiewahrnehmung zur Folge, was die Anfälligkeit für weitere Hypoglykämien erhöht – ein Teufelskreis wiederholter Hypoglykämien entsteht.

Mehr vaskuläre EreignisseHypoglykämien senken nicht nur die Lebensqualität, sondern erhöhen auch das Risiko für ein vaskuläres Ereignis.

„Unterzuckerungen machen Plaques vul-nerabler, sie begünstigen also eine Pla-queruptur“, erklärte Prof. � omas R. Pieber, Graz. Überdies kommt es zu ei-ner Störung der Repolarisation im Her-

zen mit Verlängerung der QTc-Zeit, was den Nährboden für vital bedrohliche ta-chykarde Rhythmusstörungen bereitet. Auch das Sturz- und Frakturrisiko steigt.

Vorteile der neuen SubstanzenHypoglykämien treten am häu� gsten unter Sulfonylharnsto� en und Insuli-nen auf. Der Vorteil neuer Strategien wie der Gliptine und der GLP-1-Analoga be-steht darin, dass sie selbst keine Hypo-glykämien verursachen können. Glei-ches gilt für Metformin.

Beim Typ-2-Diabetiker wird die Hy-poglykämie meist durch das abendliche Basalinsulin induziert. Schon die lang-wirksamen Basalinsuline wie Insulin de-temir und Insulin glargin sind sicherer im Hinblick auf schwere nächtliche Hy-poglykämien als die NPH-Basalinsuline. Das neue ultralang wirksame Insulinana-logon Insulin degludec scheint nach bis-herigen Daten das Hypoglykämierisiko weiter zu senken. Das sehr � ache und

lang anhaltende Wirkpro� l dieses Insu-lins erlaubt auch eine größere Flexibilität bei der Injektion, d.h. es muss keine be-stimmte Uhrzeit eingehalten werden.

Diabetes und Demenz: Wie hängt das zusammen?

„Verlaufsuntersuchungen haben gezeigt, dass Typ-2-Diabetiker ein etwa doppelt so hohes Demenzrisiko zeigen wie Sto� -wechselgesunde“, so Prof. Werner Kern, Ulm. Nicht nur die vaskuläre, sondern auch die degenerative Demenz vom Alz-heimer-Typ tritt bei ihnen häu� ger auf.

Demente Patienten haben ein erhöh-tes Risiko für eine Unterzuckerung. „So-mit stellt sich die Frage, was ist Henne und was ist Ei?“, so Kern. Bei Typ-1-Di-abetikern habe man bisher nicht belegen können, dass Hypoglykämien die kog-nitive Leistung beeinträchtigten. Doch bei den meist älteren Typ-2-Diabetikern verdoppelt sich das Demenzrisiko, wenn wiederholt schwere Hypoglykämien auf-getreten sind. Auch gibt es Hinweise, dass sogar milde Hypoglykämien lang-fristig das Gedächtnis stören. sti ■

■ Quelle: Deutscher Diabetes Kongress, 28.–31.5.2014 in Berlin

Sport bei Typ-1-Diabetikern

Alles ist möglich!

Typ-1-Diabetiker sind meist schlanke, aktive Menschen, die ihre sportliche Be-tätigung nach Entdeckung der Sto� -wechselerkrankung keinesfalls aufge-ben möchten. Um Hypoglykämien zu vermeiden, müssen diese Patienten ler-nen, entsprechende Therapieanpas-sungen vorzunehmen. Dabei muss be-rücksichtigt werden, dass der Energie-verbrauch und auch die Insulinemp-� ndlichkeit sowohl bei den verschiede-nen Sportarten als auch im Tagesver-lauf sehr unterschiedlich sein können. „Wer das beherrscht, bei dem ist sport-lich alles möglich“, versicherte Extrem-sportler Andreas May, Hamburg. ©

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18 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (12)