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Trivium (2011) Vitesse et existence. La multiplicité des temps historiques ................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Alexandre Escudier Das Gefühl der Beschleunigung der modernen Geschichte: Bausteine für eine Geschichte ................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Avertissement Le contenu de ce site relève de la législation française sur la propriété intellectuelle et est la propriété exclusive de l'éditeur. Les œuvres figurant sur ce site peuvent être consultées et reproduites sur un support papier ou numérique sous réserve qu'elles soient strictement réservées à un usage soit personnel, soit scientifique ou pédagogique excluant toute exploitation commerciale. La reproduction devra obligatoirement mentionner l'éditeur, le nom de la revue, l'auteur et la référence du document. Toute autre reproduction est interdite sauf accord préalable de l'éditeur, en dehors des cas prévus par la législation en vigueur en France. Revues.org est un portail de revues en sciences humaines et sociales développé par le Cléo, Centre pour l'édition électronique ouverte (CNRS, EHESS, UP, UAPV). ................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Référence électronique Alexandre Escudier, « Das Gefühl der Beschleunigung der modernen Geschichte: Bausteine für eine Geschichte », Trivium [En ligne], 9 | 2011, mis en ligne le 30 novembre 2011, consulté le 23 mars 2015. URL : http:// trivium.revues.org/4034 Éditeur : Fondation Maison des sciences de l'Homme http://trivium.revues.org http://www.revues.org Document accessible en ligne sur : http://trivium.revues.org/4034 Document généré automatiquement le 23 mars 2015. © Tous droits réservés

Trivium 4034 9 Das Gefuhl Der Beschleunigung Der Modernen Geschichte Bausteine Fur Eine Geschichte

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Trivium 4034 9 Das Gefuhl Der Beschleunigung Der Modernen Geschichte Bausteine Fur Eine Geschichte

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  • Trivium9 (2011)Vitesse et existence. La multiplicit des temps historiques

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    Alexandre Escudier

    Das Gefhl der Beschleunigung dermodernen Geschichte: Bausteine freine Geschichte................................................................................................................................................................................................................................................................................................

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    Rfrence lectroniqueAlexandre Escudier, Das Gefhl der Beschleunigung der modernen Geschichte: Bausteine fr eine Geschichte,Trivium [En ligne], 9|2011, mis en ligne le 30 novembre 2011, consult le 23 mars 2015. URL: http://trivium.revues.org/4034

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    Alexandre Escudier

    Das Gefhl der Beschleunigung dermodernen Geschichte: Bausteine fr eineGeschichteTraduction de Achim Russer

    Reinhart Koselleck zum Gedenken

    Bald wird man streng abgeschirmte Klster bauen mssen, in die weder die Wellen nochdie Bltter eindringen; in denen die Ignoranz jeglicher Politik bewahrt und gepflegt wird.

    Dort wird man Verachtung empfinden fr Geschwindigkeit, fr groe Zahlen, fr dieMassen-, die berraschungs-, Wiederholungs-, Neuheits- und Leichtglubigkeitseffekte.Dorthin wird man gehen mssen an manchen Tagen und durch die Gitterstbe hindurch

    einige Exemplare von freien Menschen betrachten.11 Die Beschleunigung der Geschichte gehrt gewiss zu jenen zeitgenssischen

    Schlagwrtern, die ebenso selten analysiert wie hufig zitiert werden. Von ReinhartKoselleck2 und neuerdings Peter Borscheid3 und Hartmut Rosa4 einmal abgesehen, haben nurwenige Autoren versucht, das Phnomen in seiner ganzen Komplexitt zu erkunden. DasSchlagwort nhrt somit die essayistische und journalistische Prosa, ohne es jemals zu einemwohldefinierten Begriff oder einem Idealtypus mit heuristischen Qualitten zu bringen. DieGrnde dafr sind leicht nachvollziehbar: Nher besehen zeigt sich nmlich, dass das Problemder Beschleunigung der Geschichte derart unterschiedliche und heterogene Wirklichkeiteneinschliet, dass man sich zu Recht die Frage stellt, ob die darin einbegriffenen Phnomeneund Diagnosen berhaupt einen wirklichen, als solchen objektivierbaren Gegenstanddarstellen. Womit gemeint ist: objektivierbar von welchem Korpus, von welcher Periode aus,fr welchen Raum und fr welche Typen sozialer, politischer und kultureller Milieus?

    2 Das Thema der Beschleunigung der Geschichte verweist ebensowohl auf diesubjektive Seite der sozialen Zeiterfahrung wie auf die objektive Seite der dynamischenGesellschaftsstrukturen. Insofern begreift es nichts weniger ein als die Geschichte allerWandlungsfaktoren der Modernitt seit dem 18.Jahrhundert: den technischen, den sozialen,den kulturellen und auch, oder vielleicht vor allem, den symbolischen Wandel. Er verweistdamit gleichermaen auf die Technikgeschichte (innerhalb deren die Beschleunigung desGter- und Personentransports deutlich zu unterscheiden ist von der Beschleunigung derbermittlung schlichter Informationen) wie auf die Geschichte des strukturellen Wandelsder wirtschaftlichen und sozialen Organisation der Moderne und der all diesen Mutationenentsprechenden politischen und kulturellen Geschichte.

    3 Von vornherein ist daher auf eine auerordentliche methodologische Schwierigkeithinzuweisen, deren Erwhnung weit mehr ist als eine bloe rhetorische Vorkehrung: auf dieSchwierigkeit, einen (kausalen) Zusammenhang zwischen konkreten Phnomenen materiellerBeschleunigung der modernen Gesellschaften und diversen historischen Semantikenherzustellen, die auf mehr oder weniger konfuse Weise Beschleunigungsdiagnosender Geschichte seit dem 18. Jahrhundert formulieren. Wie lassen sich dieVerkettungsebenen zwischen der objektiven (materiellen) Seite und der subjektiven(wahrnehmungsmigen, vorstellungsgemen, kurz: gefhlshaften) Seite des Phnomensder so genannten Beschleunigung der Geschichte eigentlich historisch fassen? DieErklrung stt hier auf eine Quadratur des Kreises, die man zu lsen versuchenkann, indem man die unterschiedlichen empirischen Materialien, die hier vorliegen, demKoselleckschen Doppelregister entsprechend in Erfahrungsraum (objektive Seite) undErwartungshorizont (subjektive Seite) aufteilt d. h. entsprechend dem Doppelregisterpassiver Affektion und spontaner Aktivitt der historischen Subjekte (also der groenHusserlschen Sonderung von Retention und Protention, die selbst wiederum die dem hier

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    zitierten Koselleckschen Kategorienpaar implizite Augustinische Thematik der distentio animiaufgreift).

    4 In der folgenden Darstellung werde ich mich auf die Herausarbeitung derjenigen Punktebeschrnken, die mir vom millenaristischen Thema der Beschleunigung der Endzeitbis hin zu den zeitgenssischen Diagnosen der Beschleunigung der Geschichte und dengegenwrtigen utopischen Wnschen nach Entschleunigung als Kernpunkte dieser ganzenAngelegenheit erscheinen.

    Die Beschleunigung der Endzeit vor derBeschleunigung der Geschichte

    5 Die Thematik der Beschleunigung der Geschichte przis erfassen heit zunchst einmal,sie von einer im Okzident sehr viel lteren Semantik abgrenzen: der der Beschleunigungder Endzeit. Von den ersten millenaristischen Interpretationen einiger Schlsselstellender Bibel angefangen bis hin zum Beginn des 19. Jahrhunderts entstand eine Unzahlzunchst eschatologischer und sodann chiliastischer (d. h. millenaristischer) Diskurse5,die ausgehend von den alttestamentarischen Prophezeiungen und vor allem der GeheimenOffenbarung des Johannes verknden, dass das Ende der Zeiten im Sturmschrittherannahe. Die historische und kategoriale Unterscheidung zwischen diesen beidenunterschiedlichen Erwartungshaltungen die Beschleunigung der Endzeit einerseits, dieder Geschichte andererseits scheint mir umso entscheidender, als die mit der erstenBeschleunigung verbundenen Diskurse6 dem Gedchtnishorizont unseres skularisiertenhistorischen Bewusstseins heute weitgehend entschwunden sind und die Verbindung zwischenden beiden Phnomenreihen im 18. und frhen 19.Jahrhunderten der Aufmerksamkeit derExperten berwiegend entging.

    6 Das Spezifische dieses Beschleunigungsdenkens liegt darin, dass die Geschichte imWesentlichen bereits geschrieben ist. Wir kennen den Anfang (die Erschaffung der Welt),die Mitte (die Fleischwerdung Christi) und das Ende (die Parusie), aber wir kennen wederden genauen Zeitpunkt dieses Endes (des Endes der Zeiten, der Wiederkehr Christi undder Auferstehung der Toten)7 noch wissen wir, ob ihr auf Erden ein Millenium, d.h. einevorparadiesische Friedensperiode von tausend Jahren vorangeht, die fr die einen der erstenAuferstehung der Heiligen und der Seelen, fr die anderen (die darin Joachim von Fiore folgen)einem dritten, innerweltlichen Zeitalter der heiligen Geschichte entspricht: dem Zeitalter desGeistes.8

    7 Ausgehend von der biblischen Angabe, die Welt sei 6000 Jahre alt, legten manche Autorenim 18. und im frhen 19.Jahrhundert ihr Ende auf das Jahr 1836 oder auf 1816 (und zwarauf den 18.Juni) fest. Die Erweckungssekte des schwbischen Protestantismus, gesttzt vorallem auf den Erfolg der chiliastischen Thesen des Johann Albrecht Bengel9 und die SchriftenJohann Heinrich Jung-Stillings, eines renommierten Kameralisten10, stellt ein in Deutschlandallbekanntes Beispiel fr diese Spekulationen ber das voraussichtliche Datum des Endes dar.

    8 Aber im Grunde wissen die Menschen nichts darber.11 Denn tausend Jahre sind vordir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache, heit es im90. Psalm.12Folglichmuss man sich stets bereithalten13, denn das Ende der Zeiten kannjederzeit eintreffen und Christus zurckkehren zu einer Stunde, da ihr nicht meinet.14

    Die Beschleunigung, von der in diesem Rahmen die Rede ist, ist die der berstrzungder Ereignisse infolge der Ankunft des Antichrist, der just vor der Wiederkunft Christiauftaucht, kurz bevor die Welt durch die zweite Auferstehung (die der Krper) gerettet wird.Die Beschleunigung oder Verkrzung der Zeit blieb mithin sehr lange eine Kategorie derErwartung. Dies ermglichte zwei Grundhaltungen:

    9 1. die Wiederkunft Christi abwarten und die Beschleunigung der Zeit unter den Vorsten desAntichrist miterleben unter Vorsten, die umso heftiger ausfallen werden, als dieser denKampf gegen Michael und seine Engel im Himmel verloren hat und nur ber ganz wenig Zeitverfgt15 (dreieinhalb Jahre)16, um, einmal auf Erden losgelassen, seinem Zorn bis zur Parusiedie Zgel schieen zu lassen;

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    10 2. ber eine theologisch-politische Revolution gewaltsam eingreifen (wie die bhmischenTaboriten, die Mnsteraner Wiedertufer oder auch Thomas Mntzer und die Bauernkriege),um durch Herbeifhrung des Milleniums die Endzeit zu beschleunigen und voranzutreiben,oder in ein anderes innerweltliches Territorium auswandern, das der verdorbenen alten Welt,dem Sitz des Antichrist, entrckt ist und als vorparadiesisch gilt (z.B. die von den berhmtenThesen Jung-Stillings angeregte, am Ende des 18.Jahrhunderts einsetzende Auswanderungnach Osteuropa und Sdrussland angesichts der erwarteten Heraufkunft des Antichrist undder Aufklrung aus dem Westen, eine Erwartung, die das Schauspiel der FranzsischenRevolution hinreichend zu belegen schien).17

    11 Der in die Niederlande ausgewanderte Pierre Jurieu, seit der Rcknahme des Edikts vonNantes ein entschiedener Gegner der antiprotestantischen Politik Ludwigs des XIV., gibtin seiner Schrift Laccomplissement des prophties (1686) ein anderes berhmtes Beispielfr politischen Millenarismus.18 Ihm zufolge verkrpert die durch den Papismus vertreteneRmische Kirche die Periode des Antichrist und macht eben dadurch deutlich, dass das Endeder Welt nahe ist (der Prophezeiung zufolge in dreieinhalb Jahren, also im Jahr 1785).19

    Diesen literarischen Prophetismus setzten die Kamisarden der Dauphin und der Cvennenin einen Millenarismus um, der sich der Gefolgsleute der Monarchie ebenso gewaltsamannahm wie er den Zeichen seiner gttlichen Gnadenwahl vertraute.20 Auch hier konnte dermillenaristische Kommentar der Geheimen Offenbarung des Johannes in der Tradition desJustinus21, Papias22 und Sankt Irenus23 zu Formen gewaltsamen Aufruhrs bei Minderheitenfhren, die sich von einer dem Antichrist gleichenden irdischen Macht unterdrckt fhlten.

    12 Dieses millenaristische Warten auf die Beschleunigung der Endzeit oder die Abkrzungder Zeiten blieb lange bestehen, bte seine ursprnglich apokalyptische Substanz abernach und nach ein: Der betrchtliche Wandel in den Kenntnissen und Leistungen derNaturwissenschaften (seit dem 17. Jahrhundert) wird in Verbindung mit fortschrittlichenIdealen bezglich einer gerechteren Neuorganisation der Gesellschaft dieses metaphorischeRepertoire auf der Ebene politischer Ideologien und Versprechungen nmlich radikalverzeitlichen. Jurieus antithetisches Vokabular Millenaristen versus Antimillenaristen24

    findet sich bald in der revolutionren Rhetorik aufgefrischt wieder.2513 So spinnt Ferdinand Lassalle 1859 in seinem Franz von Sickingen26 die Metapher weiter,

    verleiht ihr nunmehr jedoch einen neuen, sozialistischen Gehalt (und eine Analogie zurGeburtshilfe). Lassalle gibt zu verstehen, dass der innerweltliche historische Prozessvermittels revolutionrer Gewalt die fr die historische Heraufkunft des Fortschrittsdasselbe sein soll wie der Kaiserschnitt fr die Gebrende zwar beschleunigt, in seinemvon unwandelbaren Gesetzen des historischen Fortschritts vorgeschriebenen Ablauf jedochniemals umgelenkt werden knne; diese Mglichkeit historischer Beschleunigung stelle sogardie einzige Manvriermarge dar, ber die die Menschen in Bezug auf diese Gesetze verfgten.Besagter Kaiserschnitt ist in diesem Rahmen letztlich nichts anderes als der theoretische Ortrevolutionrer Gewalt, angesichts der unhintergehbaren Zwnge der Geschichte das einzigeAttribut menschlicher Freiheit. Denn zwar kann die Revolution beschleunigt, keineswegs aberunbeschrnkt aufgehalten werden: Wenn ihre Stunde geschlagen hat, muss sie eintreten.

    Das Aufkommen des Begriffs Geschichte und die beidenRevolutionen

    Der Begriff Geschichte14 Die Heraufkunft des Geschichtsbegriffs ist die Bedingung der Mglichkeit dessen, dass die

    Beschleunigung der Geschichte zum Thema wird zu einem Thema, das am Ende des18. Jahrhunderts den frheren Diskursen ber die Beschleunigung des Endes der Zeitennach und nach den Rang abluft. Bevor die umgreifende Kategorie einer linear ausgerichteten,kumulativ verlaufenden, am Zeitpfeil sich ausrichtenden Geschichte sich im mentalen Raumder Europer einnistet, lsst sich tatschlich nicht von einem Gefhl der Beschleunigung derGeschichte sprechen.27

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    15 Legt man zum Beispiel Luthers Bibelbersetzung in die Meiener Kanzleisprache zugrunde,dann bedeutet, was dort Zukunft heit, noch absolut nicht das, was wir heute darunterverstehen. Zunchst einmal gibt es den Begriff nicht in der Einzahl: Was es gibt, sind zweierleiDinge, die erst am Ende des 18.Jahrhunderts konvergieren28: 1) die Zukunft im Sinne desAdventus Domini (Zukunft des Herrn)29, das heit der Wiederkehr Christi auf Erden amEnde der Zeiten (also die zweite Parusie); 2) die Vorstellung knftiger Dinge, die jenseitsder bloen Gegenwart eintreffen sollen, also der Plural futura oder Zuknftiges.30

    16 Neu ist im 18.Jahrhundert das Aufkommen des mentalen Raums der Zukunft als solcher(unsere noch nicht gnzlich skularisierte, aber auf den Begriff einer linear verlaufendenGeschichte schlechthin bezogene Zukunft) ein Aufkommen, das mit der semantischenTransformation der Zukunft des Herrn in Zukunft des Menschen einhergeht. Der SingularZukunft und der Plural futura fusionieren also:

    17 1. zunchst einmal ber eine allmhliche Skularisierung des Adventus-Motivs. Die Fragedes Sinns des menschlichen Treibens auf Erden fllt nunmehr in die Kompetenz derfortschrittlichen Geschichtsphilosophien (die Geschichtsphilosophie tritt erst etwa imzweiten Drittel des 18. Jahrhunderts als eigene Disziplin auf als erster spricht 1765Voltaire von philosophie de lhistoire); wir wohnen gewissermaen einer Verlagerungder Hoffnung (um die glckliche Formulierung Halvys aufzugreifen)31 oder auch einerVerzeitlichung der herkmmlichen messianischen Hoffnungen bei.32 Des Problems derHoffnung nimmt sich nunmehr das Schema des Fortschritts an. In seinem berhmten Textber Die Erziehung des Menschengeschlechts ( 80) spricht Lessing es 1777 aus. Es hilftnichts zu wollen, dass die Geschichte und das Ende der Zeiten sich nicht beschleunigen mgen,es gilt, sich mit der Geduld des Fortschritts zu versehen, der sich langsam ausbreitet, undsich darauf einzustellen, die Verwirklichung des Versprechens selbst nicht zu erleben. DieSkularisierung ist nicht vollstndig beileibe nicht , aber die herkmmliche apokalyptischeund chiliastische Literatur ber die Beschleunigung des Endes der Zeiten lassen wir allmhlichhinter uns. Auf die eschatologische Ungeduld des Schwrmers folgt nach und nach diefortschrittliche Gestalt des Geschichtsphilosophen, des unermdlichen Entzifferers des Sinnsder Ereignisse hienieden;

    18 2. sodann ber die Singularisierung von futura in futurum. Diese Umformung wird von demAufkommen des Begriffs Geschichte begleitet (nicht mehr der Geschichten im Plural,sondern auch hier der Geschichte schlechthin, die nunmehr in einer bestimmten Richtungverluft und irreversibel ist).33

    19 Zukunft, Fortschritt, Geschichte sind allesamt kollektive Singulare, die am Ende des18.Jahrhunderts auftauchen und ohne die selbst die Vorstellung von einer Beschleunigungder Geschichte als solcher einfach nicht denkbar ist.

    Eine allgemeine Epochendiagnose:Franzsische Revolution und industrielle Revolution

    20 Das am Ende des 18. Jahrhunderts denkbar gewordene Motiv der Beschleunigungder Geschichte verwandelt sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in eine generelleEpochendiagnose. Die Entwicklung der Semantik und der Empfindungen verzeichnetsomit die Auswirkungen einer doppelten, dauerhaften Erschtterung: die der FranzsischenRevolution im politischen und symbolischen Bereich; die der industriellen und technischenRevolution im Feld der sozialen Interaktionen.

    21 Dazu gibt es eine Unzahl von Zeugnissen. Besonders aufschlussreich berichtet zu den Folgender Franzsischen Revolution Karl-Viktor von Bonstetten (17451832):

    Ich habe einige Erinnerungen aus einem sehr vielgestaltigen Leben dargestellt; ich habe dieSitten der Nationen nachgezeichnet, die ich kennenlernte; aber die Mehrzahl dieser Bilder gehrennunmehr einer anderen Welt an, einer altertmlichen Welt, einer Epoche jenseits der groenhistorischen Schranke, die den Namen Revolution trgt. Fast alle diese Bilder sind verschwundenund haben nur Bruchstcke hinterlassen, die uns an etwas erinnern, das nicht mehr ist. Wirsehen, dass die Alpen zwei Vlker trennen, die einander keineswegs gleichen. So steht esauch mit dem groen Gebirgszug zwischen zwei Zeitaltern; er trennt Menschen, die sich derart

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    voneinander unterscheiden, dass diejenigen, die wie ich in beiden Epochen gelebt habe, sichwundern, dieselben Menschen zu sein.34

    22 Bonstetten fhrt hier mehrere Leitmotive der Epoche zusammen: das Gefhl einer unerhrtenBeschleunigung der politischen und sozialen Zeit; die Abtrennung der Gegenwart vonder Vergangenheit, die uns damit ebenso fremd wird wie wir uns selbst; und schlielichdie rumliche Metaphorisierung der Zeit mit jenem Gebirgszug der FranzsischenRevolution, die zwei getrennte, nunmehr in sich geschlossene Rume der Wahrnehmung undSelbstwahrnehmung schafft.

    23 Als Beispiel liee sich auch Chateaubriand zitieren, der, als Historiker allzu oft vergessen,in seinen Historischen Studien von 1831 erlutert, wie die zeitgenssische Beschleunigungder Geschichte ihn in seiner Arbeit als Historiker tangiert (er schreibt gerade ber HenriIV.und die Religionskriege in Frankreich):

    Die lebendige Geschichte hat die einstmals so berhmten Vorflle der toten Geschichte kleinerwerden lassen. Was gilt der Tag der Barrikaden, was selbst die Bartholomusnacht angesichtsjener groen Erhebungen vom 7.Oktober 1789, vom 10.August 1792, angesichts der Massakervom 2., 3. und 4.September desselben Jahres, der Ermordung Ludwigs des XVI., seiner Schwesterund seiner Frau, was schlielich angesichts der ganzen Schreckensherrschaft? Und whrend ichmich jener Barrikaden annahm, die einen Knig aus Paris vertrieben [12.Mai 1588], brachtenandere Barrikaden [die des Juli 1830 in Paris] innerhalb weniger Stunden drei Generationen vonKnigen zum Verschwinden. Die Geschichte wartet nicht mehr auf den Historiker: Sie zieht einenStrich; sie rafft eine Welt hinweg.35

    Die Beschleunigung der Zeit fhrt daher geradezu zur Unfhigkeit, Geschichte zuschreiben (zumal zeitgenssische Geschichte, Gegenwartsgeschichte). Wie die Zeitgenossenzugestehen, ist dies vllig paradox, da das Bedrfnis nach Orientierung gerade in dieserKrisenzeit am intensivsten sprbar wird.

    24 Aber das Wesentliche, das, worum es grundstzlich geht, ist der prinzipielle und symbolischeWandel der politischen Ordnung.

    Namenlose Massen bewegen sich wie die Volksbewegungen des Mittelalters, ohne zu wissenweshalb, ausgehungerte Herden, die keinen Hirten noch anerkennen, die von der Ebene insGebirge und vom Gebirge in die Ebene rennen, die die Erfahrung der in Wind und Wetterabgehrteten Hirten miachten. Im Leben der Gemeinwesen ist alles im Wandel begriffen.Religion und Moral werden nicht mehr anerkannt, oder jeder interpretiert sie auf seine Art.In weniger wichtigen Fragen die gleiche Ohnmacht der berzeugung und des Daseins: einRuhmestitel leuchtet kaum eine Stunde: ein Buch altert in einem Tag; Schriftsteller nehmen sichdas Leben, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; weitere Eitelkeit: man hrt nicht aufihre letzten Seufzer. [] An die Stelle der Invasion der Barbaren ist die Invasion der Ideengetreten; die gegenwrtige aufgelste Zivilisation verliert sich selbst; die Vase, die sie enthlt, hatdie Flssigkeit noch nicht in eine andere Vase gegossen; die Vase ist zerbrochen. []Wenn dieDampfmaschine vervollkommnet sein wird, wenn durch sie, durch den Telegraphen Entfernungenunbedeutend geworden sind, werden nicht nur die Waren reisen, sondern auch die Ideen auf Reisengehen! Wenn die Schranken des Fiskus und des Handels zwischen den verschiedenen Staatenniedergelegt sein werden, wie sie es zwischen den Provinzen ein und desselben Staates schonsind, wenn die verschiedenen Lnder in tglicher Beziehung nach der Einheit ihrer Vlker strebenwerden, wie wollt ihr dann die alte Form der Trennung wieder zum Leben erwecken?36

    Die Zerrttung der alten Form der Trennung auf allen Ebenen der Gesellschaft: eben darumgeht es.

    25 Somit intensivieren die vom technisch-industriellen Wandel des frhen 19. Jahrhundertshervorgerufenen materiellen Beschleunigungen allenfalls den durch die Auflsung derpolitischen, sozialen und religisen Erfahrungsrahmen des Ancien Rgime ausgelsten groenTransformationsprozess. Wenn die alte Welt endet37, so deswegen, weil wir mit dem Jahr1789 in die wortklauberische ra der groen Prinzipien und Ideologien eingetreten sind, in derNationen oder Massen die Legitimitt und Erfahrung der Tradition verdrngen. Das Themader Beschleunigung der Geschichte, fr manche ein Symbol der Besorgnis, fr andere einSymbol grenzenloser Hoffnung, stellt fr das Bewusstsein beider Gruppen den bergang voneinem theologisch-politischen Zeitalter zu einem anderen dar: Macht und Autoritt der inWind und Wetter abgehrteten Hirten haben sich berlebt, whrend das ungewiss bleibende

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    Gleichgewicht der modernen demokratischen Ordnung sich gerade erst einstellt. Whrend dieUngewissheit ber die Zukunft steigt, ist Epochendiagnose eher eine Beschwrungsformelals ein analytischer Begriff, eher recht unbestimmt-gefhlsmiger Natur als ein Urteil.Kurz, die Thematik der Beschleunigung der Geschichte entspricht anfnglich einem Versuchaktiver Aneignung dessen, was die Subjekte in der Entwicklung ihrer Gesellschaft absolutin Mitleidenschaft zieht und lhmt38; sie verrt ein nicht zu unterdrckendes Bedrfnis nachOrientierung und geht letzten Endes aus der Kantschen Thematik des historischen Symbolsim Streit der Fakultten hervor.39

    26 Was nun die Gesamtheit dieser Diskurse thematisiert, liee sich als fortschreitendeEntnaturalisierung der herkmmlichen Zeiterfahrung bezeichnen, die frher viel strker annatrliche Lebenszwnge gebunden war (Tag, Nacht, langsame Fortbewegung im Raum durchtierische Zugkrfte usw.). Die durch die Mechanisierung und Industrialisierung motorischerKrfte hervorgerufene neue Zeiterfahrung markiert das baldige Ende eines mehrere hundertJahre whrenden Zeitalters: des hippomobilen Zeitalters, von dessen Zwngen die Menschensich jahrhundertelang nur teilweise zu befreien wussten (durch Maximierung ein und derselbenFortbewegungsart Pferd und Gespann durch intensivere Nutzung der Post, Verbesserungder Straen, Verringerung der Kosten usw.).40 Und ebendiese Erfahrung vom Ende desZeitalters, in dem das Pferd die schnellstmgliche Bewegung im Raum darstellte41, verstrktedas Gefhl, dass sich ein neues politisches und kulturelles Zeitalter auftat: nicht mehrTrennung der Ordnungen und Stnde, sondern Fusion und Agitation der Massen; nicht mehrder Absolutismus des Ancien Rgime, sondern die Egalisierung der Lebensbedingungenund die demokratische Dynamik mittels einer stets labilen Spannung zwischen Freiheit undGleichheit, zwischen der Quelle der Souvernitt und ihrer institutionellen Formgebung durchdie reprsentrative Regierung.

    27 Dieses Gefhl materieller Beschleunigung wandelt sich in den Zeit-Diskursen in Formverschiedener Unterthematiken ab.

    28 a) Die Beobachter haben zunchst den Eindruck, dass der Raum schrumpft wie niemals zuvor.Der Brockhaus stellt dies 183842 fest, whrend Heinrich Heine in einem Text, den er 1843 inLutetia aufnahm, wrtlich schreibt:

    Aber die Zeit rollt rasch vorwrts, unaufhaltsam, auf rauchenden Dampfwagen, und dieabgenutzten Helden der Vergangenheit, die alten Stelzfe abgeschlossener Nationalitt, dieInvaliden und Incunabeln, werden wir bald aus den Augen verlieren. [] Wir merken [], daunsre ganze Existenz in neue Gleise fortgerissen, fortgeschleudert wird, da neue Verhltnisse,Freuden und Drangsale uns erwarten, und das Unbekannte bt seinen schauerlichen Reiz,verlockend und zugleich bengstigend. So mu unsern Vtern zu Muth gewesen sein, alsAmerika entdeckt wurde, als die Erfindung des Pulvers sich durch ihre ersten Schsse ankndigte,als die Buchdruckerei die ersten Aushngebogen des gttlichen Wortes in die Welt schickte.Die Eisenbahnen sind wieder ein solches providencielles Ereigni, das der Menschheit einenneuen Umschwung giebt, das die Farbe und Gestalt des Lebens verndert; es beginnt ein neuerAbschnitt in der Weltgeschichte, und unsre Generation darf sich rhmen, da sie dabei gewesen.Welche Vernderungen mssen jetzt eintreten in unsrer Anschauungsweise und in unsernVorstellungen! Sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden.Durch die Eisenbahnen wird der Raum getdtet, und es bleibt uns nur noch die Zeit brig. Httenwir nur Geld genug, um auch letztere anstndig zu tdten! In vierthalb Stunden reist man jetztnach Orlans, in ebenso viel Stunden nach Rouen. Was wird das erst geben, wenn die Linien nachBelgien und Deutschland ausgefhrt und mit den dortigen Bahnen verbunden sein werden! Mirist, als kmen die Berge und Wlder aller Lnder auf Paris angerckt. Ich rieche schon den Duftder deutschen Linden; vor meiner Thre brandet die Nordsee.43

    29 b) Ferner entwickelt sich das Gefhl, dass die neuen Verkehrsmittel wie Eisenbahn undDampfschiff da sie faktisch die Klassenspaltung aufheben, indem sie alle Welt mitderselben Geschwindigkeit und zu immer niedrigeren Kosten befrdern die demokratischeund egalitre Tendenz der modernen politischen Ordnung beschleunigen. Nicht nur in dertheologisch-politischen und in der sozialen Ordnung, sondern auch in der materiellen undalltglichen ist die Gleichheit der Lebensbedingungen im Vormarsch. Bald wird es aus sein mitdem Paris, das Louis-Sbastien Mercier 1771 beschrieb und dessen Straen im Wesentlichen

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    auf Grund der ostentativen Eitelkeit der Groen und Reichen, die vergessen [hatten], da[sie] Beine zum Gehen [besaen], mit Snften und Privatkarossen verstopft waren.44

    30 Die Geschwindigkeit der neuen Verkehrsmittel gleicht den Unterschied zwischen den sozialenKlassen aus und verwandelt sie in eine sich immer schneller fortbewegende, homogene Masse,deren Bahn fr jeden dieselbe ist und die bei Bedarf durch oder ber einstige natrlicheHindernisse wie Gebirge, Schluchten, Flsse, Tler usw. fhrt. In der Kunst wie wenig spterauch in der Werbung treten neue ikonographische Register in Erscheinung: An die Stelledes romantisch Erhabenen, wie es das machtvolle Schauspiel der Natur bietet, treten geradeLinien, auf denen sich die Geschwindigkeit im Raum der modernen Knstler ber Reliefshinweg hin zu dem einzigen Horizont entfaltet, der ihrem himmelstrmerischen Drang nochWiderstand bietet der Sonne.

    31 c) Die festgestellte Beschleunigung berhrt gleichfalls die soziale Arbeitsteilung undden rascheren Rhythmus der Produktionsprozesse. Die der Technik geschuldetenProduktivittsgewinne erlauben ein Absenken der in den Produktionskosten eingeschlossenenLohnkosten; immer mehr Menschen finden sich durch Maschinen ersetzt, und schon entstehenneben der Sorge um die Arbeitslosigkeit andere ngste wie etwa die, die Chateaubriandin seinen Erinnerungen so formuliert: Was soll man mit dem beschftigungslosenMenschengeschlecht anfangen?45

    32 Es stellt sich die Frage, was die Menschen mit dieser dank der Technik den traditionellenProduktionsprozessen abgezwungenen Freizeit machen werden; und wer sich wieChateaubriand auf den Standpunkt eines katholischen Denkens stellt, das die Erbsndeund das Ringen mit der Materie zu Bedingungen der Mglichkeit menschlicher Wrdeund Freiheit erhebt, der kann diese gewonnene Zeit nur als Quelle knftiger Laster derarbeitenden Klassen verstehen. Fr den, dem vor dem Zeitalter der Massen graut, verstrkentechnischer wie industrieller Fortschritt und demokratische Gleichmacherei sich gegenseitigund erscheinen als Trger aller knftigen soziopolitischen Strungen. Ein und dieselbeErfahrung materieller Beschleunigung kann hier jedoch zu unterschiedlichen Reaktionenfhren (zur antidemokratischen Besorgnis Chateaubriands wie zur fortschrittlichen IronieHeines46), sodass die von einem gemeinsamen Rahmen von Phnomenen ausgehendeEpochendiagnose heterogener Beobachter unter der Einwirkung soziopolitischer, religiserund kultureller Voreinstellungen in unterschiedliche Richtungen gehen kann. Einer nochzu begrndenden historischen Soziologie der materiellen und sozialen Beschleunigung derModerne fiele die Aufgabe zu, diese oder jene Voreinstellung mit diesem oder jenem Typusvon Zeitdiagnose empirisch zu korrelieren.

    33 d) Schlielich hat man das Gefhl, dass die von den modernen Menschen erfahrenesoziale Beschleunigung mit ihrer Egalisierung der Lebensbedingungen im symbolischen undpolitischen Bereich das einst strikt natrliche System der Bedrfnisse umgreifend verndert.Die bloe Zeit des Ausruhens, d. h. des Regenerierens der Arbeitskraft zu Zwecken desberlebens, wird durch eine an sich freie Zeit ersetzt, die neue Wnsche hervorruft, die sichdem Bewusstsein nach und nach als neue Bedrfnisse darstellen. Nun entsteht das Bedrfnisder Intensivierung der Bedrfnisse und Vergngungen als neue Lebensweise; nun entstehendas System der Mode und das Reich des Ephemeren, die Baudelaire zum Ausgangspunktseiner Definition des eigentlichen Wesens der Moderne erhebt.47 Natrlich betrifft diesesSystem anfangs nur eine kulturelle und soziale Elite; da jedoch der Anteil der Freizeit inAbhngigkeit von der zunehmenden Produktivitt im wirtschaftlichen Bereich auch unter denMassen wchst, entsteht hier ein paradigmatisches Ethos, das immer mehr um sich greift. DasAufkommen der Thematik der Langeweile von ihrer trivialen sozialen Dimension bis hinzur metaphysischen ist von diesen unterschiedlichen Erfahrungen sozialer Beschleunigungnicht zu trennen.48

    34 Zwei Reihen von Diagnosen und Argumenten sind so sehr sie auch miteinander einhergehenund sich wechselseitig verstrken bei ihrer Analyse sorgfltig auseinanderzuhalten undzueinander ins Verhltnis zu setzen: die eine, die sich auf die Franzsische Revolutionbezieht und daher mit dem Wandel der modernen soziopolitischen Ordnung zusammenhngt;und die zweite, die sich auf die industrielle Revolution bezieht und die Transformationen

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    des materiellen und konomischen Rahmens des modernen Lebens betrifft. Das Gefhlder Beschleunigung geht jedoch nicht unbedingt mit dem Gefhl radikaler Neuartigkeiteinher. Die Franzsische Revolution konnte in diesem Sinn manchmal als eine kurze Periodewahrgenommen werden, whrend der alle seit der Antike theoretisch gefassten politischenFormen aktualisiert und beschleunigt wiederkehrten, ohne doch eine qualitative Innovation zubeinhalten. Die Vorstellung einer absoluten Neuartigkeit historischer Zeiten geht daher nichtzwangslufig mit der Feststellung einer Form sozialer Beschleunigung einher: Das Alte kannsich auch schlicht und einfach im Zeitraffer wiederholen.

    Die Beschleunigung der Geschichte heute: von derGlobalisierung zum Ideal der Entschleunigung

    35 Das Thema Beschleunigung der Geschichte deckt sich heute mit zahlreichen heterogenenAnalysen, die wir in einige groe Gruppen zu gliedern versuchen werden.

    Die Globalisierung36 Die Thematik Beschleunigung der Geschichte wird heute immer hufiger mit der der

    Globalisierung in Verbindung gebracht. Damit wird zunchst einmal der Zustand einerdurch die Verallgemeinerung der Informatik und die Verbreitung des Internets, durchMobiltelefone und Satellitenfernsehen mit Netzwerken berzogenen zeitgenssischen Weltbeschrieben; ferner werden dabei die durch Senkung der Transportkosten ermglichtenBetriebsverlagerungen ins Auge gefasst, die es erlauben, aus der Differenz der Lohnkostenzwischen den verschiedenen Wirtschaftsrumen Gewinn zu erzielen; schlielich unternimmtman, auf diese Weise die zeitgenssische Finanzialisierung der Wirtschaften zu beschreiben,die bewirkt, dass um eine berhmte Formel KarlsV. abzuwandeln die Sonne ber demReich der Finanzen niemals untergeht: Die Zeit der Interaktion in einer finanzialisiertenWirtschaft wre damit heute die zur Durchfhrung globaler Transaktionen erforderlichMindestzeit, also nahezu die Zeit, die das Licht braucht die Echtzeit.49

    Die Intensivierung sozialer und politischer Interaktionsbeziehungen37 Die Thematik Beschleunigung der Geschichte wird oft mit der der Beschleunigung des

    Rhythmus sozialer Interaktionen und deren Auswirkungen auf das individuelle Bewusstseinverwechselt. Daher wird der von Simmel an der Schwelle zum 20.Jahrhundert eingefhrteUnterschied zwischen Tempo des Lebens und Zeit des Lebens50, d.h. zwischen erlebterZeit (der Stelle aller Empfindungen) und kalendarisch messbarer Zeit (die sich ihrerseitsstreng genommen nicht beschleunigen kann), kurz zwischen subjektiver und objektiverZeit, in den Untersuchungen verwischt. Was dann mit dieser Thematik bezeichnet wird,ist die Tatsache, dass auf die Individuen der modernen (industrialisierten, verstdterten,massenbasierten, kurz funktionell differenzierten) Gesellschaften innerhalb ein und derselbenkalendarisch messbaren Zeiteinheit im Vergleich zu ihren Vorfahren immer mehr und immerkompaktere Ereignisse und soziale Beziehungen einwirken, und zwar so sehr, dass sie unterdem Ansturm dieser von allen Seiten auf sie einstrmenden sozialen Wirklichkeit schlielichdas Gefhl haben, dass ihre psychische konomie von der Bewltigung der sie berflutenden,unendlichen Vielfalt berfordert ist. Das Thema der Beschleunigung der Geschichte (oderauch der Beschleunigung der Beschleunigung seit dem Aufkommen der modernenKommunikations- und Informationstechnologien, das dem vom elektrischen Telegraphen um1850 ausgelsten Wandel51 eine exponentielle Dimension verleiht), ist nunmehr semantischerIndex einer psychischen Bruchstelle, der der moderne Mensch unfehlbar frher oder spterzum Opfer fallen soll. An die Stelle einer Vision vom zwangslufig eintretenden Fortschrittder Geschichte ist seit Ende des 19.Jahrhunderts das Zeitalter der Nervositt52 getreten,und die gegenwrtige Epoche transponiert diese wohlbekannte Szene gewissermaen nur insHightech-Zeitalter der Netzwerkanbindung.

    38 Zweierlei allerdings ist neu. Zum einen ist die krzlich erfolgte Erhebung von Flexibilittund rastloser Arbeit zur Norm ein untrgliches Zeichen dafr, dass die soziale Wertigkeitdes einstigen adligen Miggangs (den der brgerliche Rentier im 19. Jahrhundert

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    nachffte) umgekehrt wurde: Rastlosigkeit wurde zum ueren Kennzeichen des sozialenund symbolischen Kapitals eines Individuums, und ostentativer, sich selbst gengenderAktionismus ist seither nicht mehr nur ein Zeichen sozialer Distinktion, sondern einekonomische Statusideologie.53 Zum anderen hat das Reich des in Echtzeit ber denganzen Planeten hin ausgestrahlten Events die politische Gesamtlage gegenber demZeitalter der Nervositt am Ende des 19. Jahrhunderts betrchtlich modifiziert. DieWende zur Mediatisierung, von der die rtliche wie die globale Politik in den letztenbeiden Jahrzehnten erfasst wurden, hat eine bislang in der Geschichte nie dagewesene,fast vollstndige Konvergenz zwischen einem Ereignis und seiner der internationalenffentlichkeit zugnglichen Fernsehbertragung herbeigefhrt. Angesichts eines wie auchimmer gearteten politischen Geschehens, das unmittelbar von den Fernsehstationen oder jetztauch von Bloggern und Podcastern usw. aufgegriffen wird, schrumpft die Zeit, die sich dieunterschiedlichen politischen Akteure fr ihre Reaktion nehmen knnen, immer mehr dahin;manche gehen so weit zu behaupten, dass dringende politische Lsungen nunmehr in Echtzeit,das heit mit der Geschwindigkeit der Bildbertragung, gefunden werden mssen. Darauf hatder amerikanische Generalstab 2003 whrend des zweiten Irak-Feldzugs in der Weise reagiert,dass er in die angreifenden Truppen Kriegsreporter einbettete: Die sich vor unseren Augenin Echtzeit ereignende Geschichte war von der sich als vollstndige Transparenz tarnendenZensur nicht mehr zu trennen.

    39 Allem Anschein nach ist damit eine neue Phase eingetreten: die des politischen Zeitdrucksund des damit einhergehenden Begriffs des politischen Risikos.54 Wenn fr manche dasZeitalter der Arkana der Macht, in denen die Regierenden sich eine den Medien unzugnglicheund geheime Zone einrichten konnten, heute definitiv zu Ende ist, darf man sich fragen,ob die Bedingung der Mglichkeit aller Politik und Handlungsfreiheit nicht immer nochdas Geheime bleibt, mit einem Wort: ein Mindestma an Reserviertheit des Staats,der Regierenden und der zentralen Entscheidungsapparate.55 Anders gesagt: Die Thematikpolitischer Zeitdruck geht allzu rasch an der heute in Blte stehenden Soziologie derpolitischen Entscheidung vorbei.

    Die Trgheit der technischen und industriellen Systeme alsinnerweltliche Eschatologie

    40 Die bereits eingetretene und weiter andauernde Beschleunigung der Geschichte wird auchunter dem Gesichtspunkt ihrer langfristigen Wirkungen ins Auge gefasst. Die Trgheit dertechnischen, industriellen Systeme und ihrer langfristigen Auswirkungen erscheint so als eineder Hauptquellen zeitgenssischer ngste. Uns schwant, dass das Los schon gefallen ist, dassdie Tage unseres Daseins hienieden und die des Planeten vielleicht schon gezhlt sind, undwir verlngern tglich die Liste der unter den vereinten Auswirkungen der Wissenschaft undihrer tglichen Anwendungen, der industriellen Systeme und der Konsumgewohnheiten inden entwickelten Lndern mglich gewordenen kologischen Katastrophen. Da eine solcheKatastrophe nie allein eintritt, stehen uns die menschlichen, geopolitischen usw. Katastrophenvor Augen, die dem unmittelbar folgen wrden.

    41 Es sieht demnach ganz danach aus, als habe sich im post-utopischen Zeitalter der mentaleRaum einer neuen Eschatologie herausgebildet nicht mehr der chiliastischen Eschatologievon einst, sondern einer Art paradoxer innerweltlicher Eschatologie: Wir wissen, dass dasDasein der Menschheit auf Erden an sein Ende gelangen kann, wissen aber aufgrund der zugroen Komplexitt der fraglichen Systeme und klimatischen Variablen noch nicht, innerhalbwelcher Frist dieses Ende kommen kann. Daher polarisieren sich die Debatten: Auf dieHeuristik der Angst (Hans Jonas) reagieren voluntaristische Diagnosen, denen zufolge dieModerne wie stets in sich selbst (im Instrument ihres mglichen Unglcks der Wissenschaft und in ihrer privilegierten, da der Selbstreflexion und Selbstkorrektur fhigen politischen Form der Demokratie) die zur langfristigen Sanierung einer verfahrenen Situation notwendigenRessourcen finden werde.56

    42 Unsere heutige Weltrisikogesellschaft57 verweist damit auf eines der grten Paradoxeunserer Zeit: Wir knnen nicht mehr wie einst der berwltigenden Allmacht der Natur

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    oder der Gtter die Verantwortung fr Naturkatastrophen zuschieben, aber zugleichknnen wir nicht diesen oder jenen Politiker herausgreifen, um ihn fr Entscheidungenverantwortlich zu machen, die er getroffen hat bzw. nicht rechtzeitig treffen wollteoder konnte, um zu verhindern, dass sich dieses oder jenes weltweite Gefahrenpotentialverschrft. Angesichts der kurzfristigen Trgheit der konomischen Systeme einerseitsund der geopolitischen Krfteverhltnisse andererseits legt die innerweltliche kologischeEschatologie gewissermaen den Finger auf das, was in Wahrheit die Quadratur desKreises der Temporalitten heutigen politischen Handelns darstellt: d.h. auf die unmglicheHarmonisierung der Langfristigkeit der von der globalen technisch-industriellen Sphreinitiierten kologischen Auswirkungen und der kurzen oder mittleren Frist demokratischlegitimierten politischen Handelns.

    43 Die humanisierte / technisierte Natur hat somit strukturell den einst vom Zufall derNaturkatastrophen (Erdbeben, Vulkanausbrchen usw.) besetzten Platz bernommen; da inden Augen der Staatsbrger die zeitlichen Dimensionen politischen Handelns nicht mehr aufder Hhe der eingegangenen Risiken sind, wohnen wir einer zunehmenden Entlegitimierungder demokratischen politischen Systeme bei. Die von Francis Bacon datierende moderne undfortschrittliche Gleichsetzung von Beherrschung der Natur und Beherrschung des kollektivenGeschicks einer Gesellschaft oder gar der Menschheit scheint heute definitiv desavouiert:

    Es sieht manchmal so aus, als ob die Gesellschaften ihr Schicksal um so weniger bestimmen,je mehr sie, mit dem Mittel der Technik, eine verstrkte Herrschaft ber die natrliche Umweltgewonnen haben.58

    Die Entsynchronisierung der politischen Zeitdimensionen44 Der zuletzt erwhnte Punkt fhrt uns auf ein von der gegenwrtigen sozialen Beschleunigung

    ausgehendes allgemeines Problem. Seit ber zwei Jahrhunderten bestand der groe Ehrgeiz derModerne sicherlich darin, einen Zivilisationstypus zu formen, in dem das Ideal individuellerund kollektiver Autonomie endlich dauerhaft verwirklicht werden knnte. Der Staat desAncien Rgime und die damaligen militrischen Erfordernisse hatten bereits eine gewisseadministrative und territoriale Zentralisierung und Regulierung sowie eine technischeInnovation in Gang gebracht. Darauf aufbauend wurden die Strukturen demokratischerBeschlussfassung im Rahmen dessen, was Ulrich Beck die erste Moderne nennt, alsBeschleunigungsfaktoren des Emanzipationsprojekts konzipiert. Das damalige historischeBewusstsein konnte sich daher eine vollkommene und dauerhafte bereinstimmung vonpolitischen Formen und konomisch-technischen Prozessen ertrumen, die der Produktion vonReichtum (und ber Verteilungsmechanismen herzustellender Autonomie) innerhalb jederbrgerlichen Gesellschaft zugrunde lgen. Was wir heute unter dem Eindruck der nichtnur von Generation zu Generation, sondern selbst innerhalb jeder Generation wahrnehmbarensozialen Beschleunigung erleben, ist die je nach Land und jeweiliger Lage mehr oder wenigerstarke Entsynchronisierung zwischen den regulierenden Rahmenbedingungen dieser oderjener politischen Einheit und dem galoppierenden Wandel der jeweiligen wirtschaftlichenund technischen Strukturen. Aus dieser Entsynchronisierung schlieen manche Autoren(z.B. William F. Scheuerman)59 sogar auf die Notwendigkeit, selbst den Kern der modernenDemokratietheorien, nmlich das Prinzip der Gewaltenteilung, zu berdenken.

    45 Demnach wre die reprsentative Regierung des klassischen politischenVerfahrensliberalismus unfhig geworden, hinreichend rasch auf die in unseren Tagen sichimmer hufiger einstellenden politischen Notlagen zu reagieren, und zwar eben aufgrundder Zeit, die der parlamentarischen Beratung ber Gesetze zu komplexen Problemen zusteht zu Problemen, ber die die Wissenschaften selbst im brigen die grte Mhe haben,unabweisbare, konsensfhige Urteile zu fllen. Abgesehen von dem chronischen Rckstandder Legislative gegenber neuen Phnomenen zumal wenn sie juristisches Neulanddarstellen werden hauptschlich zwei negative Auswirkungen festgestellt: Zum einennutze die Exekutivgewalt Schnellverfahren (so die franzsische Regierung den Artikel 49Abs.3)60, die, obgleich verfassungskonform, manchmal missbruchlich eingesetzt werden,um heikle und unaufschiebbare Probleme beschleunigt zu lsen; zum anderen zeigten

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    Exekutive wie Legislative zunehmend die fatale Tendenz, die demokratische Beratung bzw.Beschlussfassung durch das Parlament zu externalisieren und an andere, demokratisch nichtlegitimierte Instanzen abzutreten (Expertenkommissionen, Subsysteme der Rechtsprechung,Deregulierung, Privatisierung usw.). Da sie dennoch fr den generellen Kurs aller politischenManahmen vor dem Volk verantwortlich bleiben, geraten die Regierungen in einedoppelte Zwickmhle: einerseits, weil sie an demokratisch nicht legitimierte SubsystemeRegulierungsverfahren delegieren, fr die sie zwangslufig vor der Whlerschaft geradestehenmssen; andererseits dann, wenn im Anschluss an auerparlamentarische Beratungennichtsdestotrotz im Parlament ber gesetzliche Manahmen abgestimmt wird, weil ihrrechtlicher Gehalt (in bioethischen Fragen zum Beispiel) oft genug ber den Common sensevon Berufspolitikern hinausgeht.

    46 Dieses aktuelle Phnomen der Entsynchronisierung differenzierter Subsysteme in unserenGesellschaften kann indessen auch andere Seiten zeitigen. Zum Beispiel tendiert dervon der ffentlichkeit auf politische Fhrer und Apparate ausgebte Druck dazu, diean Wahlterminen orientierte Kurzfristigkeit politischen Handelns weiter zu verstrkenund traditionsorientierte oder sogar mehr oder weniger zweifelhafte Whlergruppen zubedienen. So erscheint der gegenber der Reprsentationsdemokratie zunehmende Einflussder Meinungsdemokratie als durch die Medien verstrkter Faktor fr die Zuspitzungbesagter Entsynchronisierung.61 Diese lsst sich darber hinaus innerhalb ein und desselbenadministrativen Raums feststellen (vgl. die franzsischen Banlieue-Unruhen im Herbst 2005).Da gewisse konomische, soziale, urbane usw. Situationen eine betrchtliche Trgheitaufweisen, die keinerlei punktuelle politische Aktion aufheben oder sprbar korrigieren kann,erscheinen die demokratisch beauftragten politischen Akteure in den Augen der ffentlichkeittatschlich entweder als unfhig, zynisch und korrupt oder als strukturell ohnmchtig, zumalder mangelnde Weitblick des Staates in der Vergangenheit die aktuellen sozialen Wirrenin bestimmten Zonen des nationalen Territoriums nicht voraussah, in denen sich nun aufbegrenztem Raum alle Schwierigkeiten der heutigen Welt kristallisieren. Da manche politischeStrategien sich heute als gegenber den in diesen Vierteln real angehuften Problemenentsynchronisiert erweisen, ist die politische Klasse dauerhaft entlegitimiert, und diesesensiblen Zonen des Staatsgebiets erscheinen als wahre Ghettos auf Zeit, in denen andereSitten herrschen und das Gesetz der Republik auer Kraft gesetzt ist. Von diesen innerhalbeines gegebenen Staatsgebiets geltenden unterschiedlichen Temporalitten (die im brigendurch das Versagen der in der Vergangenheit praktizierten Politik erklrbar sind) ist es nur einSchritt hin zu dem angeblich unassimilierbaren Charakter mancher immigrierter Populationen ein Schritt, den der zeitgenssische rassistisch angehauchte Populismus natrlich nichtunterlsst.

    47 Die Hauptthese des Soziologen Hartmut Rosa ist unter diesem Gesichtspunkt alles andereals irrelevant.62 Es scheint nmlich, dass wir zumindest in mancher Hinsicht heute einefunktionale Umkehrung bisheriger Beschleunigungsfaktoren der Moderne festzustellen haben:Die Instanzen, die einst die Nationalstaaten ausmachten und durch ein Mindestma ansozialer Kohrenz (Staat, Armee, Brokratie, Demokratie, politische Regelsetzungen usw.)ihre rasche Modernisierung ermglichten, scheinen nunmehr die von der Globalisierungangestoene soziale Beschleunigung abzubremsen, mag man sich darber nun freuen (wiedie Anhnger eines starken, die Verzerrungen des Marktes korrigierenden Staates) oderes bedauern (wie die Befrworter der Ansicht, die von der transnationalen konomisch-technischen Sphre ausgehende soziale Beschleunigung wrde vermittels der Produktionverteilbarer Reichtmer das moderne Autonomieprojekt gewhrleisten). Damit lsst sichvernnftigerweise fr die post-kosellecksche Proposition pldieren63, die darin besteht, dieGeschichte der Moderne als Geschichte sozialer Beschleunigung ins Auge zu fassen unddie ewigen Debatten ber die Postmoderne (Lyotard, Latour, Haraway), die flchtigeModerne (Bauman)64, die zweite oder reflexive Moderne (Beck)65 oder auch dieHochmoderne und Sptmoderne (Giddens)66 durch die Feinperiodisierung sprbarerBeschleunigungsschbe zu ersetzen. Angesichts dessen, dass man sich alles in allemmanchmal zu Recht fragt, was diese Debatten eigentlich zum Gegenstand haben, wre der zu

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    erhoffende empirische Gewinn eines solchen Wechsels der Problemstellung vielleicht nichtzu vernachlssigen.

    Das Ende der Erinnerungsmilieus oder die Zweite FranzsischeRevolution

    48 Im ersten, einleitenden Absatz zu seinem Gesamtunternehmen der Lieux de mmoire, derErinnerungsorte, schrieb Pierre Nora 1984:

    Beschleunigung der Geschichte. Jenseits der Metapher gilt es zu ermessen, was der Ausdruckbedeutet: ein immer rascheres Umkippen in eine definitiv abgestorbene Vergangenheit, dieumfassende Wahrnehmung aller Dinge als verschwundene einen Bruch des Gleichgewichts. DasHerausreien alles dessen, was noch gelebt wurde in der Wrme der Tradition, im Schweigen desBrauchtums, in der Wiederholung des Althergebrachten, angetrieben von einem tiefgreifendenhistorischen Gefhl. Erlangen des Selbstbewusstsein unter dem Vorzeichen des berholten,Vollendung von etwas seit alters her Begonnenen. Von Erinnerung wird nur deshalb so vielgeredet, weil es sie nicht mehr gibt.67

    Und wenn es keine Erinnerungsmilieus mehr gibt und die Geschichte das Gefhl vermittelt,dass sie sich beschleunigt, so deswegen, weil zwischen 1965 und 1984 zumindest in Frankreichein tiefer sozialer und zivilisatorischer Wandel eintrat, den Henri Mendras, der Begrnder derfranzsischen Agrarsoziologie, als Zweite Franzsische Revolution bezeichnete.68

    49 Whrend dieser kurzen Zeitspanne ereignete sich nicht nur das Ende der Bauern69,sondern ber den radikalen Wandel des Bauerntums seit dem Ende der Anbaugebiete70

    hinaus die Auflsung der drei anderen groen sozialen Klassen, die seit dem19. Jahrhundert das gesamtgesellschaftliche System in Frankreich im Gleichgewichthielten: des Proletariats, der Bourgeoisie und der zwischen ihrer Herkunft aus niederenund buerlichen Schichten und ihrem brgerlichen Ehrgeiz hin und her gerissenen71

    Mittelklassen. Die an Langzeitperspektiven orientierten, natrlichen Rhythmen verpflichtetenMilieus buerlicher Erinnerung sind untergegangen; die proletarischen Schichten habensich im Verlauf der zunehmenden Tertiarisierung unserer konomien zurckgebildet; dieBourgeoisie, durch Finanzkrisen und Inflation um ihre wirtschaftlichen Grundlagen gebracht,lebt heute wie jedermann zunchst von ihrer Arbeit und nebenbei von ihrem Vermgen;kurz: ein Klassensystem im ausgeprgten Sinn des Wortes ist innerhalb kurzer Zeitzusammengebrochen und hat einer Vielzahl sozialer Gruppen Platz gemacht, fr die dieberlieferte meritokratische Adquanz von Einkommenshhe und Ausbildungsabschlssenabsolut nicht mehr gilt.72

    50 Die Identitt der Individuen und sozialen Gruppen ist damit auf Dauer weitgehendzersplittert, und wenn man die tiefgreifenden Vernderungen im Bereich der Familie(Heirats-, Geburten-, Scheidungsquoten, neue Arbeitsteilung zwischen den Geschlechternusw.) und die gewichtige Tatsache hinzunimmt, dass die herkmmlichen Garanten einessozialen Mindestzusammenhalts (wie Kirche, Armee, Republik, Schule, Volksparteien undMassengewerkschaften) ihre symbolische Integrationsfunktion verloren haben, dann scheintalles dafr zu sprechen, dass angebrochen ist, was Mendras eine neue Zivilisation der Sittenmit noch ungewisser Zukunft nennt. Das Motiv der Beschleunigung der Geschichte erlaubtauch hier, dieses Ungewisse zu benennen, whrend die Inflation von Erinnerungsfeiern esihrerseits unternimmt, es zu bannen.

    Das Ende der Moderne als innerweltlicher Verzeitlichung der Utopie51 Die Entstehung des historischen Bewusstseins in der zweiten Hlfte des 18.Jahrhunderts

    ging mit dem einher, was Koselleck als allgemeine Verzeitlichung der Geschichte und derUtopie bezeichnete. Diese Skularisierung73 der traditionell religisen Diskurse ber dieHoffnung lie den kollektiven Singular Geschichte als nicht nur ergnzenden, sondernzentralen Faktor einer Historizitt erscheinen, der unterschiedlichen Akteuren erlaubt,ihr politisches Argumentieren und Handeln auf einer einzigen innerweltlichen Zeitskala zusituieren, die vorwrtsgewandt und unumkehrbar ist; damit entstand kraft einer unerhrtenberinvestition in die Zukunft und der zunehmenden Ideologisierung der politischen Projekteder moderne Perspektivismus.

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    52 Mit dem Fall der Berliner Mauer scheint dieses Zeitalter innerweltlicher verzeitlichterIdeologien vorbergehend an ein Ende gelangt, und das alte Thema der Beschleunigungder Geschichte zeigt sich heute nur mehr unter einer von jedem empirisch zuweisbarentelos abgekoppelten Doppelgestalt: als wirtschaftlich-technische Beschleunigung und alssoziale Beschleunigung. Ein bestimmtes Regime des Glaubens an die Geschichte ist imBewusstsein der modernen Menschen an sein Ende gelangt, und wir sind gewissermaendazu verdammt, in dieser Welt zu leben74 Nicht dass die moderne demokratischeDynamik , d. h. die unaufhebbare Spannung zwischen dem Ideal der Freiheit und demder Gleichheit, aufgehrt htte, ihre Wirkungen zu entfalten, und man sich nunmehrgemtlich in jenem Ende der Geschichte einrichten knnte, das sich angeblich in derreprsentativen Verfahrensdemokratie der entwickelten Lnder verkrpert.75 Da die Zukunftsich jedoch nicht mehr zu einer krypto-parusischen Projektionsflche eignet, scheint dieGegenwart sich zu entleeren und uns nur mehr dem Vakuum einer technischen undsozialen Beschleunigung ohne substanzielle wertspezifische Finalitt nher zu bringen.Von diesem neuen Beschleunigungssystem ohne telos bleibt ist uns der messianischeHorizont der Geschichte erst einmal entzogen nichts brig als auf die Spitze getriebeneGeschftigkeit und Stress, Rastlosigkeit und Tyrannei des Zeitdrucks76, Prsentismus77 undGegenwartskult. 78 Und dies ist heute sicher der gewichtigste Einwand gegen die Vorstellungeiner kontinuierlichen Beschleunigung der Geschichte.

    53 Definiert man die Moderne als Verzeitlichung der Utopie, dann ist die zeitgenssischeEntteleologisierung tatschlich so etwas wie das Totenglckchen der Moderne und dieAuslschung79 oder kulturelle Entwertung der Zukunft gleichbedeutend mit einerwahren anthropologischen Revolution, die vom Perspektivmenschen der Renaissancezum Gegenwartsmenschen80 des Posthistoire berleitet (A. Gehlen).81 Der Zeitdruckliefe damit dem Projekt endgltig den Rang ab und die Heteronomie wirtschaftlicherund technisch-industrieller Subsysteme dem modernen Ideal individueller wie kollektiverAutonomie.

    Zeitgenssische Strategien der Entschleunigung54 Doch gerade der Wunsch, das moderne Projekt des Autonomieideals aufrechtzuerhalten, steht

    hinter den meisten zeitgenssischen Diskursen ber die notwendige Entschleunigung nichtmehr so sehr der Geschichte als vielmehr des zgellosen Tempos unserer Gesellschaften.Das Paradox besteht jedoch darin, dass dasselbe moderne Autonomieideal zu radikalunterschiedlichen politischen Optionen fhrt, die einander in der Wahl der Mittel zurErreichung eines solchen gemeinsamen Ziels die Stirn bieten knnen. Die aus den Fugengeratene Zeit des Wirtschaftlichen und Sozialen zu resynchronisieren82 mit den pluralischenZeitrhythmen des individuellen Seelenlebens, der politischen Beratung und des kologischenGleichgewichts auf unserem Planeten: so lautet generell die Parole. Doch mehrere Variantenkonkurrieren miteinander.

    55 Diejenigen, fr die der historische Kapitalismus und seine avancierte Form, dieGlobalisierung, den wichtigsten Motor einer heute unertrglich gewordenen sozialenBeschleunigung darstellen, zgern nicht, Strategien der Zwangs-Re-Synchronisation83

    zu predigen, um so die schdlichen Auswirkungen des technischen Fortschritts und derdestruktiven Trgheit der Mrkte rasch in den Griff zu bekommen. So sympathisierenmanche altermondialistische84 oder radikalkologische Strmungen mit einer erzwungenenEntglobalisierung und Rezession unserer Wirtschaft, whrend eine breite, manchmalbertreibende, aber immer hufiger nuanciert argumentierende Literatur zu diesem Thema desfrher oder spter notwendigen negativen Wachstums der heutigen Welt floriert85 und diesumso mehr, als die Menschheit des Industriezeitalters in 250Jahren die Reserven an fossilenBrennstoffen aufgezehrt haben wird, die von der Natur in Jahrmillionen angehuft wurden.

    56 Andere, die das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft als unzweifelhaftes Kriteriumwirtschaftlicher Effizienz akzeptieren, setzen eher auf den Willen des Staateszur Durchsetzung politischer Anpassungsstrategien als Schlssel zur erforderlichenResynchronisation unserer Gesellschaften. Die Metapher vom Staat als Herrn der Uhren

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    meint einen Staat, der mittel- und langfristig fr das Gemeinwohl sorgt und allein in der Lageist, sich um das Problem ffentlicher Einrichtungen, wichtiger strategischer Investitionen undexterner Auswirkungen zu kmmern. Philippe Delmas unterstreicht in immer wieder neuenVariationen:

    Der Staat ist der Hter der Uhren, der Beschaffer der erforderlichen Langsamkeit, dem Einflussder Mrkte entzogen, weil der Schnelligkeit kontrr, die ihre Strke ausmacht []. Um dauerhaftzur Verfgung zu stehen, muss das Kapital anderen Gesetzen gehorchen als den seinigen. Darinliegt der Sinn ffentlichen Handelns. Der Staat ist der Hter der Uhren, dank dem die Zukunft dieerforderliche Zeit hat heranzureifen.86

    Diese Metapher hat eine lange Geschichte, sie bringt die Gestalt des Sonnenknigs als Prinzipabsoluter, die Zeiten berdauernder Stabilitt ins Spiel. Der Staat als Herr der Uhrenunterscheidet sich in nichts vom Portrt des absolutistischen Monarchen als Chronokrator,als Herr ber die Zeit, dessen Weisheit eine stabile Gegenwart gewhrleistet, dessenErinnerung eine intakte Vergangenheit garantiert und dessen Voraussicht uns eine dauerhafte,ungetrbte Zukunft sichert.87 Das Ideal der Beherrschung dieser unterschiedlichen Zeiten, dasGefahr luft, die gerade aufgrund der ihnen aufgezwungenen technischen, wirtschaftlichenund sozialen Beschleunigung unterschiedliche Sphren unserer Gesellschaften auf Dauer zuentsynchronisieren, ist letzten Endes nichts anderes als die zeitgenssische demokratische(dem modernen regulativen Ideal der Autonomie und der Beherrschung des gemeinsamenGeschicks verpflichtete) Art und Weise, das der Metapher vom absolutistischen Chronokratorzugrunde liegende moderne Souvernittsprinzip erneut zur Geltung zu bringen. Derdemokratische Staat versucht, dem Markt auf gleicher Ebene zu begegnen: Er unternimmt es,die durch den Gang der Geschfte bedingten unerwnschten Folgen von Geschwindigkeit,Flexibilitt und permanentem Wandel zu konterkarieren, indem er sich zum Garanten desffentlichen Interesses, nationaler Solidaritt und dauerhafter sozialer Bindungen erklrt.

    57 Aber der Wille zur Entschleunigung nimmt auch Formen an, die mit der Frage nach einerzentralen Staatsmacht und ihres Einsatzes politischer Strategien mit resynchronisierenderWirkung verhltnismig wenig zu tun haben. Gegen Produktivismus, Konsumismus unddie gesellschaftliche Beschleunigung berhaupt erst die Bedingung ihrer Mglichkeit werden, ob individuell oder kollektiv, eine bessere Qualitt subjektiver Lebenszeit und dieFhigkeit sozialer Akteure aufgewertet, humanere, weniger stressgeplagte Lebensformenzu erfinden; dahinter steht die Absicht, die Flut heterogener Ereignisse dem Bewusstseinpsychologisch ertrglich zu machen, so dass die Frage nach dem Sinn des Lebens selbsterneut und unter Absehung vom Leistungskult gestellt werden kann. Daraus entspringen einesthetik und Ethik der Langsamkeit88, unter deren Produkte die Regale der Buchhndlersich derzeit biegen, wobei die Gattungen munter durcheinanderschwirren (von auf hohemNiveau sthetisierender Philosophie89 bis hin zu Tausenden hedonistischer Ratgeber fr dieeiligen Menschen, die wir sind und die erfahren sollen, wie sie ihre Zeit besser meisternund wirtschaftliche Effizienz endlich mit individuellem Glck verbinden knnen).90 Unterden philosophischen Diskursen ber die unserer Zeit nottuende, existenzielle Langsamkeiterweist Walter Benjamin mit seiner Thematik des messianischen Augenblicks (Jetztzeit),der das Kontinuum der Geschichte und der sozialen Beschleunigung mit einem Schlag zumStillstand bringt sich als besser geeignet als jeder andere, Herzen und Zungen zu lsen,was uns chronisch endlose Interpretationen der Geschichtsphilosophischen Thesen von 194091

    einbringt.58 Eine letzte Art und Weise, die Thematik der Entschleunigung aufzugreifen, verdanken wir

    der krzlich von Heinz Dieter Kittsteiner formulierten allgemeinen Diagnose der modernenMentalitt.92 Ihm zufolge kommt es heute darauf an, in den ererbten politischen und kulturellenPraktiken tiefgreifend mit dem zu brechen, was er die heroische Moderne nennt, nmlichmit dem Willen, Weltzeit und Lebenszeit (Blumenberg)93 ber den Aktivismus desNietzscheschen bermenschen oder des revolutionren Neuen Menschen zur Deckung zubringen. Von diesem revolutionren Register heroischer Bemeisterung der Zeit, die Weltzeitund Lebenszeit zur Koinzidenz bringen mchte, habe man sich zu verabschieden so

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    folglich auch von dem linksradikalen Traum einer Zwangs-Re-Synchronisierung unsererGesellschaften, mgen sie nun als historisch rckstndig gelten (wie in den zahllosen tdlichenAufrufen zum Groen Sprung nach vorn) oder als am Kult des Zeitdrucks erkrankt.Trotz zeitgenssischer radikaler, anti- oder altermondialistischer Versuchungen endgltig mitder politischen Figur der Schwrmerei zu brechen wre demnach der letzte Schritt, denentschlossene Republikaner noch vor sich haben.

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    1 Valry (1995), S.315f.2 Koselleck (2000 a, b).3 Borscheid (2004).4 Rosa (2003, 2010); Rosa/ Clemens/ Mayer (Hg.) (2004).5 Die eschatologische, aber antichiliastische Einstellung des Heiligen Augustinus (Vom GottesstaatXX, 7 f.) spielte fr die Herausbildung der antimillenaristischen Position der institutionalisiertenKirche eine betrchtliche Rolle. Innerhalb der eschatologischen Diskurse ist daher die antichiliastischeeschatologische Positionierung der Kirche (angefangen bei Eusebius von Caesarea und seinerKirchengeschichte [III, XXXIX, 1113 und XII, XXXIX, 31a], sodann Augustinus) von denmillenaristischen Eschatologien nicht durch die offizielle Kirche ermchtigter Individuen und Gruppendurchaus zu unterscheiden, denen selbstverstndlich der Schwefelgestank der Revolution oderzuallermindest des sozialen Chaos anhing. Vgl. dazu Delumeau (1995), S.30f. und passim.6 Abgesehen von einigen zeitgenssischen neochiliastischen Diskursen innerhalb mancher Sekten oderbei vereinzelten Autoren wie Paco Rabanne (1996).7 Matthus XXIV, 36; Jurieu (1994 [1686]), Bd. 2, Kap. XXIII, S.308.8 Obschon es hier nicht mglich ist, auf die unterschiedlichen eschatologischen Varianten einzugehen,knnen die starken Disparitten unter ihnen doch nicht ganz auer Acht bleiben. So muss die vomHeiligen Augustinus ausgehende berlieferung stark von der Lehre von den drei WeltzeitalternJoachim von Fiores unterschieden werden, desgleichen von dem radikalen und militanten Chiliasmusder bhmischen Taboriten und spter der Mnsteraner Wiedertufer. Vgl. zu all dem die von JeanDelumeau in seiner ersten Untersuchung (1998 [1978]) und vor allem in ihrer sehr viel eingehenderenWeiterfhrung (1992, 1995, 2000) eingefhrten, idealtypischen Unterscheidungen; vgl. vor allemDelumeau (1995).9 Bengel (1740, 1741, 1748).10 Jung-Stilling 1994 [1794-1796], 1799.11 Matthus XXIV, 36.12 bersetzt von Martin Luther (1912 [1534]). [A.d..]13 Matthus XXIV, 46.14 Matthus XXIV, 36.15 Geheime Offenbarung XII, 12.16 Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, XX, Kap.8, und Jurieu (1994 [1686]), Kap.XXII, S.300f.17 Zu der entsprechenden Literatur vgl. Benz (1973, 1977). In anderen Zusammenhngen predigtenmanche religise Gruppen die Auswanderung in die Neue Welt, deren Zukunft entweder als vlligunbestimmt und offen galt oder das dritte Weltzeitalter, das des Geistes, darstellen sollte, das der Parusieund dem eigentlichen Ende der Welt um tausend Jahre vorgeschaltet war. Vgl. Delumeau (1995), S.275f.18 Jurieu (1994).19 Jurieu (1994), S.65 und 300f.20 Vgl. die klassischen Arbeiten von Philippe Joutard (1994 [1976]), S.64f.21 Justinus (1917).22 Krtner/ Leutzsch (1998).23 Irenus (1912). Zum Millenarismus der apostolischen Vter und spterer Zeiten vgl. die beidenklassischen Arbeiten von Henri Desroche (1969) und J.Delumeau (1995).24 Jurieu (1994 [1686]), Kap. XXIII, S. 303 f. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts setzt CamilleFlammarion (1894, S.166) den Begriff millnaires fr die Millenaristen ein.25 Zur allmhlichen Transformation religiser Kategorien der Erwartung in Agenda sozialistischerHoffnung whrend der zweiten Hlfte des 19.Jahrhunderts vgl. die Untersuchung von Lucian Hlscher(1989).26 Lassalle (1990).

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    27 Vgl. Kosellecks klassische Studie Geschichte in: Koselleck (1998).28 Vgl. zu diesem Punkt die Arbeiten Lucian Hlschers (1999). Jaques Le Goff (1984) macht eineNuancierung dieses Befunds mglich, freilich auf der Grundlage einer Mentatlittengeschichte undkeineswegs auf der Ebene der historischen Semantik.29 Matthus XXIV.30 Diese Unterscheidung zwischen knftigen Dingen und Zukunft ist von Wichtigkeit, denn eswre absurd, auf die historische Semantik gesttzt zu behaupten, die Vorstellung knftiger Ereignisse(im Unterschied zu gegenwrtigen oder vergangenen) habe vor dem 18. Jahrhundert nicht existiert.Selbstverstndlich geht es hier um etwas ganz anderes, nmlich um die Geschichte im Verlauf derZeitalter wechselnder Erwartungshorizonte.31 Halvy (2001), S.66, 102, 154.32 Koselleck (2000c).33 Koselleck (1998).34 Bonstetten (1824), S. 203. Doris und Peter Walser-Wilhelm, den Herausgebern derbewundernswerten Bonstettiana (Gttingen: Wallstein, 1996 ff.), bin ich fr diesen Hinweis sehr zuDank verpflichtet. [A.d..: Die im Rahmen dieser Reihe erscheinenden Sptschriften 18101826, diedie zitierte Passage enthalten, waren zum Zeitpunkt der bersetzung noch nicht greifbar.]35 Chateaubriand (1831), S.CXXXVIf. (Hervorhebung v. A.E.).36 Chateaubriand, F.-R (1968 [1849]), S.732f. (Hervorhebung v. A.E.)37 Chateaubriand, F.-R (1968 [1849]), S.746.38 Man erlaube mir den Hinweis auf eine Studie, in der ich versucht habe, diesen Punkt im Hinblick aufdie Phantasievorstellungen der Moderne vom Mittelalter zu formalisieren: Escudier (2006).39 Diese Interpretationsmglichkeit wurde krzlich von Kittsteiner (1999) erschlossen.40 Zur Geschichte der nicht zu vernachlssigenden, da organisationsbedingten, qualitativen Sprngeinnerhalb ein und desselben technischen Zeitalters vgl. die krzlich von Behringer (2003) erarbeiteteSynthese.41 Vgl. Schivelbusch (1977) und Kaschuba (2004).42 Eisenbahnen reduzieren Europa ungefhr auf den Flchenraum Deutschlands, siehe das StichwortEisenbahnen im Conversations-Lexikon der Gegenwart in vier Bnden, Leipzig: Brockhaus, 1838,S.11151136; hier zitiert nach Koselleck (2000a), S.160.43 Heine (1974 [1834]), S.181f. Zahlreiche hnliche Zeugnisse finden sich bei Lper (1881).44 Louis Sbastien Mercier in seinemantizipatorischen Roman von 1771: Das Jahr 2440 (1982), S.27.45 Chateaubriand (1968 [1849]), S.733.46 Vgl. Heine (1974 [1834]), S.182: Durch die Eisenbahnen wird der Raum getdtet, und es bleibtuns nur noch die Zeit brig. Htten wir nur Geld genug, um auch letztere anstndig zu tdten!47 Zu den unterschiedlichen Bestandteilen dieser noch im Aufbau begriffenen Kulturgeschichte vgl.Corbin (2001).48 Kessel (2001).49 Vgl. dazu Salmon (2000).50 Simmel (1992 [18971900]), S.217.51 Ollivro (2007).52 Radkau (1998).53 Vgl. die Untersuchungen von Pierre-Andr Taguieff (2001).54 Vgl. Salmon (2000).55 Zu der quasi transzendentalen Kategorie geheim als Bedingung der Mglichkeit aller Politikund also der wirklichen Geschichte selbst vgl. Kosellecks inzwischen klassischen Beitrag Historik undHermeneutik (2000 d).56 Vgl. zum Beispiel die Erwiderung auf Jonas und den Heidelberger Aufruf bei Dominique Lecourt(1993).57 Beck (2007).58 Aron (1970 [1968]), S.276.59 Vgl. Scheuerman (2001, 2004).60 Dieser Artikel der franzsischen Verfassung ermglicht der Regierung, eine parlamentarischeAbstimmung mit der Vertrauensfrage zu verbinden und damit die Zustimmung aller Abgeordneten zuerzwingen, die einen Sturz der Regierung vermeiden wollen. [A.d..]

  • Das Gefhl der Beschleunigung der modernen Geschichte: Bausteine fr eine Geschichte 21

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    61 Vgl. z.B. Jean-Nol Jeanneneys Kommentar (2001, S.120f.) zu den kritischen uerungen MichelRocards.62 Rosa (2010), S.311329, 402f.63 Wobei festzuhalten bleibt, dass diese These nur die soziologisierende Rckbersetzung des von R.Koselleck seit dem letzten Drittel des 18.Jahrhunderts ausgemachten Verzeitlichung der Geschichteist.64 Bauman (2003)65 Zu der Kritik am Begriff zweite Moderne vgl. die Klarstellung von Beck/ Lau (2005).66 Giddens (1996).67 Nora (1997[1984]).68 Mendras (1994).69 Mendras (1992).70 Weber (1983).71 Mendras (1994), S.29.72 Mendras (1994), S.29.73 In diesem Punkt ist R. Koselleck der klassischen Untersuchung Karl Lwiths (2004 [1949])mindestens ebenso verpflichtet wie der frhen politischen Theologie Carl Schmitts (2009 [1922]). Vgl.auerdem das treffliche Werk von Jean-Claude Monod (2002).74 Furet (1996 [1995]), S..75 Benoist/ Merlini (Hg.) (1999).76 Aubert (2009).77 Taguieff (2000), S.95f.; Hartog (2003).78 Vgl. Ladi (1998, 1999, 2000).79 Taguieff (2000).80 Dies ist die zentrale These Zaki Ladis, der damit unmittelbar an die Untersuchungen R.Kosellecksanschliet (wobei Ladi allerdings die zahlreichen historischen und theoretischen Vermittlungenberspringt, die zwischen dem pikturalen Perspektivismus der Renaissance und dem verzeitlichtenPerspektivismus der Geschichtsphilosophen aus der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts bestandenhaben). In dieser Hinsicht gab Koselleck selbst lediglich der europischen Debatte ber die Krisedes Historismus nach 19141918 (wie Mannheim sie ab 1924 unter dem Vorzeichen eines demmodernen Menschen eigenen, historistischen Perspektivismus reinterpretiert hatte) eine Wendung zueiner Theorie der historischen Verzeitlichungen und zu einer Kritik der politischen Soziodizeen. Vgl.dazu die umfassende Untersuchung von Reinhard Laube (2003).81 Gehlen (1971 [1963], 1994). Vgl. auch Niethammer (1998).82 Rifkin (1990).83 Rosa (2010), S.488.84 Vgl. die von Eddy Fougier (2004) unterschiedenen fnf Strmungen.85 Vgl. z.B. die Zeitschrift Entropia. Revue dtude thorique et politique de la dcroissance, Lyon:Parangon, 2006ff.86 Delmas (1992), S.27 und 83 (Hervorhebung durch A.E.).87 Vgl. Maurice (1967).88 Man denke an den Welterfolg des pseudohistorischen Romans, den der deutsche Schriftsteller StenNadolny (2010 [1983]) ber den Kapitn und Polarforscher John Franklin (17861847) schrieb.89 Vgl. z.B. Nowotny (2010 [1989]) und Agacinski (2000).90 Vgl. u.a. den Schlussteil des Buchs von Stefan Klein (2006).91 Benjamin (2010 [1942]).92 Vgl. Kittsteiner (1999 und 2003).93 Blumenberg (2001 [1986]).

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  • Das Gefhl der Beschleunigung der modernen Geschichte: Bausteine fr eine Geschichte 22

    Trivium, 9 | 2011

    Alexandre Escudier, Das Gefhl der Beschleunigung der modernen Geschichte: Bausteine fr eineGeschichte, Trivium [En ligne], 9|2011, mis en ligne le 30 novembre 2011, consult le 23 mars2015. URL: http://trivium.revues.org/4034

    propos de lauteur

    Alexandre EscudierAlexandre Escudier (geb. 1971) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre de Recherches Politiquesde Sciences Po (CEVIPOV, Paris). Nhere Informationen finden Sie hier.

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    Notes de la rdaction Wir danken Alexandre Escudier und der Zeitschrift Esprit fr diefreundliche Genehmigung, diesen Artikel zu bersetzen.