20
Materialien für den Unterricht «WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT 2014, Junges Theater Solothurn 1

„UBER_Materialmappe.docx · Web view«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER 2 2014, Junges Theater Solothurn 12 2014, Junges Theater Solothurn 3 2014, Junges Theater Solothurn

  • Upload
    others

  • View
    4

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT

LIEBE LEHRPERSONEN

Mit Schillers erstem Drama „Die Räuber“ hat sich das Junge Theater Solothurn dieses Jahr mit einem Klassiker der dramatischen Literatur befasst.

Die von neuen Idealen und grossen Zielen geprägte Epoche des Sturm und Drang trifft in dieser Inszenierung auf Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in einer Phase befinden, die seinerseits auch nach Zielen und Idealen verlangt.

Ziel war die Auseinandersetzung mit den vielen Themen, welche dieses Stück aufbringt. So sind dann auf der Bühne vorerst zehn sehr unterschiedliche Jugendliche zu sehen, die sich im Rahmen des neuen Trends des „Acting Trips“ (mehr dazu in der fiktiven Reportage auf S.7) in das Stück hineinwerfen, mit dem Ziel, bei den anderen und vor allem bei sich selbst zu beobachten, was das Stück auslösen kann. Die stark gekürzte Fassung von Schillers Werk (Zusammenfassung auf S.3) bietet das Gerüst, auf dem sich die zehn Jugendlichen vor allem auch mit sich selbst auseinandersetzen.

Gerne unterstützen wir Sie auch mit einem vorbereitenden Workshop oder einer Nachbesprechung im Schulhaus. Diese werden geleitet durch den Theaterpädagogen Christof Oser-Meier, der sich auch für die Inszenierung des Stückes «Wir, Räuber» verantwortlich zeichnet und ermöglichen dadurch einen fundierten Einblick in die Produktion.Folgende Angebote sind vorgesehen:

A) Workshop zur Vorbereitung, 90 MinutenSpielerisch nähern wir uns Themen und Form der Inszenierung an und ermöglichen gleichzeitig einen Einblick in die Arbeitsweise des jungen Ensembles.In der Schule oder in den Proberäumen des Theaters. Leitung: Christof Oser-Meier

B) Vorbesprechung, 45 MinutenIm Vorfeld wird ein Blick auf Schillers Drama geworfen. Dabei sollen einige Themen, die in der Inszenierung zu Kontroversen führen, genauer betrachtet und hinterfragt werden. Es sind dazu keine Vorkenntnisse der Klasse notwendig.Leitung: Christof Oser-Meier, evt mit weiteren Personen der Produktion

C) Nachbesprechung, 45-90 MinutenEs bietet sich die Möglichkeit, Fragen zum Gesehenen zu stellen und einigen aufgeworfenen Themen auch aus eigener Sicht auf den Zahn zu fühlen.Leitung: Christof Oser-Meier, evt mit weiteren Personen der Produktion

D) Publikumsgespräch am 19. Mai, im Anschluss an die SchulvorstellungDie Mitglieder des Jugendclubs U21 werden sich nach einer ganz kurzen Verschnaufpause im direkten Anschluss an die Nachmittagsvorstellung den Fragen und Rückmeldungen des Publikums stellen und über die Entstehung der Produktion berichten.

Bei einem Vorstellungsbesuch sind Workshop, Vor- und Nachbesprechung kostenlos.

Wenn Sie Interesse an einem der obenstehenden Angebote oder einen anderen Wunsch an uns haben, freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme. Adressen dazu finden Sie auf der letzten Seite.

Wir wünschen viel Spass bei der Vorbereitung und vor allem beim Besuch der Inszenierung am Theater Orchester Biel Solothurn!

INHALT

S. 3

Zusammenfassung Schillers „Die Räuber“

Überblick über das Personal und die verwickelte Handlung von Schillers Stück in Kurzfassung.

S. 4

Der junge Schiller: Ein Leben am Limit

Spannende Einblicke ins wilde Leben des jungen Schriftstellers.

S. 6

22-jähriger Schiller sorgt für Theaterskandal

Warum fielen die Zuschauer in Ohnmacht? Warum musste Schiller aus seiner Heimat fliehen und warum machten ihn die Franzosen zum Ehrenbürger?

S. 7

Reportage: Insider-Infos aus der Acting-Trip-Bewegung

Die Figuren aus dem Stück «Wir, Räuber» packen aus und erlauben in einer fingierten Reportage exklusive Einblicke in die Regeln, die Mechanismen und die Folgen des Psychoexperiments.

S. 9

Diskussion: Superhelden – heldenhaft?

Ein Vergleich der Räuber mit Hollywoods Superhelden bietet sich an. Der gängige Heldenbegriff soll neu überdacht und diskutiert werden.

S. 10

Gerichtsverhandlung: Wer ist Schuld?

Eine Einteilung von Schillers Figuren in Gut und Böse ist schnell gemacht und bei genauerer Betrachtung doch nicht ganz einfach. In Plädoyers soll nun über jede der Figuren objektiv gerichtet werden.

Materialien für den Unterricht

«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER

Materialien für den Unterricht

«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER

0

2014, Junges Theater Solothurn

2

2014, Junges Theater Solothurn

S. 11

Recherche und Diskussion: Bewegungen der Freiheit

Gegenentwürfe zu unserer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und das Streben nach Freiheit – nicht nur bei den Räubern ein brennendes Thema.

S. 12

Besetzung, Impressum

Zusammenfassung Schillers „Die Räuber“

Der altersschwache Herr von Moor hat zwei Söhne, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Nachdem sein erstgeborener Sohn Karl, statt in Leipzig zu studieren, das väterliche Geld verprasst, sich verschuldet und nur mit Streichen von sich reden gemacht hat, will er sich nun von seinem leichtsinnigen Lebensstil abwenden und bittet um Entschuldigung bei seinem Vater. Währenddessen sitzt der jüngere, und sowohl in Aussehen wie in Beliebtheit seinem Bruder nachstehende Franz zu Hause mit seinem alten Vater. Aus Eifersucht auf den ständig bevorzugten Bruder schmiedet er eine Intrige: Karls Entschuldigungsbriefe unterdrückend, liest er dem Vater einen fingierte Bericht von dessen Schandtaten vor und bringt seinen Vater dazu, Karl zu verfluchen und zu enterben.

Karl, durch die väterliche Härte verzweifelt und erbittert, lässt sich zum Hauptmann einer von seinem Kollegen Spiegelberg gegründeten Räuberbande ernennen. Unterdessen versucht sich Franz zu Hause vergeblich der schönen Amalia, der Geliebten Karls, anzunähern. Sie bleibt Karl jedoch treu und verachtet die schmierigen Franz. Um den altersschwachen Vater aus dem Weg zu räumen, lässt dieser Herrmann die falsche Nachricht von Karls Tod überbringen, für den er den Vater verantwortlich macht. Vor Schmerz stirbt der alte Moor und Franz übernimmt die Herrschaft.

Karls Räuberbande geniesst währenddessen ihr freies, wildes Räuberleben und brennt eine ganze Stadt ab, um ihren Kollegen Roller vor der Todesstrafe zu retten. Erstmals distanziert sich Karl aber von der Grausamkeit des Räubers Schufterle. Als sie in einen aussichtslosen Hinterhalt geraten, beweisen alle Räuber ihre Loyalität zu ihrem Hauptmann. Im folgenden Befreiungskampf kommt Roller um. Herrmann wird derweil reuig und gesteht Amalia, dass Karl in Wirklichkeit noch lebt, bevor er zur Räuberbande in den Wald flieht, um Karl die Intrige seines Bruders zu verraten und ihm vom Tod seines Vaters sowie von der Treue seiner Amalia zu erzählen.

Karl schwört seinen Bruder für seine Schandtaten zu rächen und macht sich mit seiner Bande zum väterlichen Schloss auf. Spiegelberg schmiedet einen hinterhältigen Anschlag auf Karl in seiner Abwesenheit, den der treue Schweizer jedoch vereitelt, indem er Spiegelberg kurzerhand umbringt. Als Dank für seine Loyalität gibt Karl Schweizer die ehrenvolle Aufgabe, ihm Franz lebendig auszuliefern. Dieser hat sich jedoch, nach einer für ihn vernichtenden theologischen Diskussion mit Pastor Moser vor Verzweiflung über seine eigenen Taten selber umgebracht. Den toten Franz auffindend, bringt sich auch Schweizer um vor Scham, Karls Auftrag nicht erfüllt zu haben. Endlich bringt die Bande Amalia vor Franz, der nun seine Räuberidentität vor ihr nicht mehr verstecken kann. Doch ihre Liebe scheint unerschütterlich. Von den Räubern aber an seinen Treueschwur erinnert, muss er sich zwischen Räuberleben und Amalia entscheiden und kommt schliesslich ihrer Bitte nach und bringt sie um.

Personal:

3

2014, Junges Theater Solothurn

Vater von Moor

Sohn Karl von Moor, später Räuberhauptmann

Sohn Franz von Moor

Amalia, Geliebte Karls

Pastor Moser

Herrmann

Ein Pater

Räuber:

Spiegelberg

Schweizer

Schufterle

Razmann

Roller

Der junge Schiller: Ein Leben am Limit

In «Wir, Räuber» geht es immer wieder um das Festhalten und den Verlust von Kontrolle und Verantwortung. Jeder Figur muss ständig ihre Grenzen neu abschreiten, überprüfen, oder ganz hinter sich lassen. Wenn die Figuren Realität und Fiktion verschwimmen lassen, geben sie auch die Kontrolle ab. Grenzüberschreitend, exzessiv, ja fast wahnhaft erscheint auch der junge Schiller in seinem Schaffensdrang und seinem eigensinnigen, alle Konventionen niederreissenden Weg als Dichter, weshalb es sich lohnt, den jungen Schiller etwas näher kennen zu lernen.

Als Teenager im Drill der Militärakademie

Friedrich Schiller, 1759 als Sohn eines Offiziers und Wundarztes in Marbach geboren, wächst mit seinen fünf Schwestern in relativ bescheidenen Verhältnissen auf. Nach Abschluss der Lateinschule will der vierzehnjährige Schiller Theologie studieren. Doch der Herzog Carl Eugen hat andere Pläne und er wird 1773 in die Herzögliche Militärakademie, später Hohe Karlsschule genannt, eingezogen, die für ihre autoritäre Erziehung berühmt-berüchtigt ist. Uniform- und Perückentragen ist für die Teenager Vorschrift, der Tagesablauf gestaltet sich etwa folgendermassen:

«Aufstehen sommers 5 Uhr, winters 6 Uhr, danach Musterung, Rapport, Frühstück, danach Unterricht 7–11 Uhr, 11–12 Uhr Montursäubern und Musterung durch den Herzog. 13 Uhr Mittagessen, anschließend abteilungsweiser Spaziergang in Gegenwart von Aufsehern und erneut Unterricht von 14–18 Uhr. An eine Erholungsstunde von 18–19 Uhr schlossen sich Musterung, Rapport und Abendessen um 19:30 Uhr an. Schlafengehen war für 21 Uhr anberaumt. An Sonntagen waren größere Spaziergänge unter Aufsicht von Offizieren möglich. Besuche der Angehörigen wurden ebenso selten gestattet wie Urlaub. Ferien gab es keine.» (Heinz Stade: Unterwegs zu Schiller; Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag, 2005; S. 34)

Friedrich Schiller als 21-Jähriger (1780). Gemälde von Tischbein nach einer Zeichnung von J. F. Weckherlin. http://www.goethezeitportal.de

Schillers Weg zur Literatur

Erst studiert Schiller Recht, später wechselt er dann zur Medizin. Doch was ihn wirklich begeistert, ist die Lektüre der verbotenen, neu erschienen Sturm-und-Drang-Werke, wie etwa Goethes Werther, das Drama Götz von Berlichingen, Klingers Drama Sturm und Drang, aber auch die Gedichte Klopstocks und die Werke Shakespeares, die Schiller und seine Kollegen in einem geheimen Lesezirkel zusammen gierig verschlingen. Inspiriert durch die Sturm-und-Drang-Bewegung, die in ihrem Freiheitsdrang, ihrem Durchbrechen von jeglichen Regeln und ihrem Feiern vom heftigen Gefühl krassen Gegensatz zum faden Drill des Akademiealltags steht, schreibt Schiller erste Gedichte und beginnt 1776 mit der Niederschrift der Räuber. Im straffen Akademiealltag Zeit fürs Schreiben zu finden ist freilich fast unmöglich und Schiller entwickelt seine eigenen Techniken:

«Die Zöglinge der Akademie durften Abends nur bis zu einer bestimmten Stunde Licht brennen. Da gab sich Schiller, dessen Phantasie in der Stille der Nacht besonders lebhaft war […] oft als krank an, um in dem Krankensaale der Vergünstigung einer Lampe zu geniessen. In solcher Lage wurden die Räuber zum Teil geschrieben. Manchmal visitierte der Herzog den Saal; dann fuhren die Räubern unter den Tisch; ein unter ihnen liegendes medizinisches Buch erzeugte den Glauben, Schiller benutze die schlaflosen Nächte für seine Wissenschaft.» (Walter Hoyer: Schillers Leben dokumentarisch, Köln 1967).

Sein Leben im Sturm und Drang

Nach Abschluss der Karlsschule – was erst 1780 gelingt, nachdem die ersten beiden eingereichten Dissertationen abgelehnt wurden – scheint Schiller sich völlig mit seiner geschaffenen Räuber-Welt zu identifizieren und die Freiheit in Stuttgart in vollsten Zügen zu geniessen. So beginnt er etwa im Räuberstil Briefe zu schreiben oder muss einmal nach einem allzu feucht-fröhlichen Trinkgelage auf einer Sänfte nach Hause getragen werden, was ihm in Stuttgart den Ruf eines Trinker einbringt.

Seinen exzessiven Lebens- und Arbeitsstil behält er sein Leben lang, bis zu seinem frühen Tod im Alter von 45 Jahren, bei. Er sieht sich, im Gegensatz zum späteren Freund Goethe, nicht von Natur aus begabt und sucht dieses vermeintliche Defizit mit Fleiss und Disziplin aufzuholen, wobei er ständig über seine physischen und psychischen Grenzen hinaus lebt.

Er steht meist zwischen 12 und 14 Uhr auf und arbeitet am liebsten nachts, um ungestört zu sein. Mit Kaffee, Alkohol und Tabak hält er sich wach und leistungsfähig. 1788 schreibt er, sein Leben sei eine „fatale fortgesetzte Kette von Spannung und Ermattung, Opiumschlummer und Champagnerrausch.“ Beim Schreiben soll er nicht nur mit sich selbst gesprochen, sondern sich selbst vorlesend, deklamierend, gestikulierend und zuweilen auch schreiend Luft gemacht haben.

22-jähiger Schiller sorgt für Theaterskandal

Die Theateraufführung der Räuber ist als einer der grössten Literatur- und Theaterskandale in die Geschichte eingegangen. Schon für die Publikation seines Erstlingswerks muss Schiller kämpfen, denn vorerst wird es vom Verleger als unsittlich und der Leserschaft unzumutbar beurteilt, worauf er es 1781 auf eigene Kosten veröffentlicht, was ihn in tiefe Schulden treibt. Doch öffentlich zu seinem explosiven Werk zu stehen, scheint doch zu gefährlich, sodass es anonym und unter dem absichtlich falschen Druckort „Frankfurt und Leipzig“ erscheint.

Das gedruckte Stück kommt Heribert von Dalberg, dem Intendanten des jungen und innovativen Mannheimer Nationaltheaters in die Hände und er macht sich, begeistert vom aufrührerischen Stoff, mit Schiller daran, das Stück so umzuschreiben, dass es ohne Risiko, von der Zensur verboten zu werden, aufgeführt werden kann: So wird etwa die Handlung von der Gegenwart ins Mittelalter verlegt und alle Geistlichen im Stück, und damit jede Kritik an der Kirche, werden gestrichen.

Die Uraufführung findet am Sonntag, 13. Januar 1782, zur Eröffnung des Karnevals statt. Schiller ist, ohne vom Herzog die Genehmigung zu dieser „Auslandreise“ zu haben, heimlich nach Mannheim gekommen und sitzt mit im Zuschauerraum. Es wird berichtet: „Aus der ganzen Umgegend, von Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt, Mainz, Worms, Speyer usw. waren die Leute zu Ross und zu Wagen herbeigeströmt, um dieses berüchtigte Stück, das eine ausserordentliche Publizität erlangt hatte, […] aufführen zu sehen. Der kleine Raum des Hauses nötigte diejenigen, welchen nicht das Glück zuteil wurde, eine Loge zu erhalten, ihre Sitze schon mittags um ein Uhr zu suchen und geduldig zu waren, bis um fünf Uhr endlich der Vorhand aufrollte.“ (Andreas Streicher, 1836)

Über die Reaktionen im Zuschauerraum während der Uraufführung, die über vier Stunden dauerte und von manchen Umbaupausen unterbrochen wurde, haben wir folgenden Bericht eines Augenzeugen: „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füsse, heisere Aufschreie im Zuschauerraume! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung bricht.“

Der durchschlagende Erfolg und der Skandal der Uraufführung ist zwar für Schiller der Beginn seiner Karriere, aber sie hat auch bittere Folgen: Herzog Carl Eugen, der erzürnt ist über das politisch aufrührerische Stück und sich persönlich angegriffen fühlt, bestraft seine unerlaubte Ausreise nach Mannheim mit einem vierzehntägigen Arrest und einem Schreibverbot. Das bringt Schiller dazu, in einer Nacht- und Nebelaktion mit einem Freund nach Mannheim zu fliehen. 1784 schreibt er: „Die Räuber kosteten mir Familie und Vaterland.“

Die politische Dimension des Stücks zeigt sich u.a. darin, dass die Führer der französischen Revolution 1792 im Theater an der Front – passend zu ihrem Motto „vivre libre ou mourir“ – Die Räuber aufführen liessen und Schiller für das Stück das französische Ehrenbürgertum verliehen.

Zum Diskutieren:

· Was mochte wohl das Stück zu solch einem Skandal gemacht haben?

· Weshalb rief es bei Publikum so starke Reaktionen hervor?

Reportage:

Insider-Infos aus der Acting-Trip-Bewegung

12

2014, Junges Theater Solothurn

Ich sitze mit in einem gemieteten Kellerraum. Es riecht leicht muffig, ein paar alte Kleiderstangen mit Kostümen dran, Holzstühle, Kisten stehen herum. Zehn junge Menschen sitzen und stehen nervös herum. Unterschiedlicher könnten sie kaum sein, gemeinsam haben sie nur Eines: Sie waren vor einem Monat Teil eines Acting-Trips.

Materialien für den Unterricht

«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER

Materialien für den Unterricht

«WIR, RÄUBER» NACH FRIEDRICH SCHILLER

Die Anspannung im Raum ist kaum zu ertragen. Nicht nur begegnen sich alle seit jenem Abend zum ersten Mal wieder, sondern sie sind auch kurz davor, ihre wichtigste Regel zu brechen: Man spricht nicht über den Acting-Trip. Doch sie scheinen etwas Wichtiges zu erzählen zu haben. Alles hatte hier begonnen...

Ich frage eine junge Frau, die etwas abseits sitzt und sich mir mit Meret vorstellt, wie sie in das Ganze hereingeraten sei. „Durch die persönliche Einladung durch Alex fühlte ich mich irgendwie auserwählt, besonders. Ich vertraute ihm und dachte, das sei mal eine Gelegenheit für mich, mich zu beweisen und ein anderes Gesicht von mir zu zeigen“, erklärt sie zögerlich.

„Wir wollten möglichst spezielle Typen, die eigenständig denken können und bereit sind, sich voll auf etwas einzulassen.“

Alex hatte damals zusammen mit seiner Kollegin Liz das Ganze organisiert, die Leute eingeladen, das Stück gewählt, den Raum organisiert. Es macht ihm sichtlich Mühe, über das Vergangene zu sprechen. So beginne ich ganz allgemein und erkundige mich, wer denn überhaupt mitmachen durfte. Liz übernimmt vorerst das Sprechen: „Wir wollten eine möglichst wild zusammengewürfelte Gruppe. Möglichst spezielle Typen, die eigenständig denken können und bereit sind, sich voll auf etwas einzulassen.“

„Schliesslich sind es einfach die Stärksten, welche den Rest der Gruppe kontrollieren.“

Sich voll auf etwas einlassen, um das ging es, so höre ich heraus. Petra ereifert sich plötzlich. Denn ihr fiel es nicht leicht, diesen Schritt zu gehen und alles hinter sich zu lassen für die Dauer des Experiments. Doch sie entschied sich dafür und zog es durch. Es tönt fast wie eine Entschuldigung, wenn sie sagt: „Ich hielt mich an die Regeln.“

Offenbar gibt es festgeschriebene Regeln. Einen Schiedsrichter, der über das Einhalten dieser Regeln wacht, sucht man aber vergebens. Überhaupt, aussenstehende Personen haben da nichts zu suchen. Wer im Raum ist, muss mitmachen und darf ihn erst wieder verlassen, wenn das ganze Stück durchgespielt ist. Die Gruppe scheint also streng über die vereinbarten Regeln zu wachen. Tatjana korrigiert mich energisch: „Schliesslich sind es einfach die Stärksten, welche den Rest der Gruppe kontrollieren.“ Plötzlich ist es totenstill. Konsternierte und scharfe Blicke schiessen Richtung Tatjana.

Umso neugieriger bin ich nun und bohre weiter. Ob sie so etwas wie eine Sekte seien, die einem Anführer folgten? Die beiden Schwestern Eva und Maria schauen mich mit einem müd-ironischen Lächeln an. Eine Sekte seien sie bestimmt nicht, überhaupt keine eingeschworene Gruppe, sondern das Ganze sei ein einmaliges Treffen gewesen. Maria erklärt: „Es ging für einmal nicht darum, sich einer Ideologie, einem Glauben oder einem Führer unterzuordnen. Sonst hätten wir nie mitgemacht. Genau davor wollten wir für eine Weile fliehen.“

„Einmal raus aus der Rolle, die man in der Familie oder in der Schule immer spielen muss.“

Das tönt für mich etwas nach Second Life, nach einem Avatar-Spiel. Der Vergleich scheint für einige gar nicht mal so verkehrt, immerhin geht es auch um eine Flucht aus dem Alltag. Einmal raus aus der Rolle, die man in der Familie oder in der Schule immer spielen muss, so erklärt mir Joy ihre damalige Motivation. Nun möchte ich endlich mal von Alex, der alles skeptisch und nervös verfolgt, hören, worum es ihm eigentlich ging: „Für mich war die wichtigste Idee dieses vollständige Eintauchen in eine Figur, die nicht du selbst bist. Die Handlungen sind vorgegeben, ich gebe Entscheidungsgewalt und Verantwortung für eine Weile vollständig ab. Das hat mich gereizt.“

Ben hatte da eine andere Idee: „Ich dachte erst, das sei einfach, um etwas Spass zu haben. Der Stücktitel versprach Action, das gefiel mir.“ Wahrlich, dass die Wahl auf Schillers Räuber fiel, ist erstaunlich. Ein Klassiker, der mit einem ganzen Leichenberg endet. Nun ereifert sich Alex, er will das Stück nicht auf Gewalt reduziert haben. „Es geht um grosse Themen wie Freiheit, Loyalität und Liebe. Es geht darum, dass man sich diesen Dingen einmal stellt, so richtig real. Dass man alles am eigenen Leib einmal erlebt, durchleidet. Nicht nur auf dem Flachbildschirm Hollywood-Stars beim Tränchen-pressen und Maschinengewehr-Rattern zusehen und dabei Popcorn in sich hineinstopfen. Sondern selber leben, erleben, sich spüren!“ Alex hat sich in Rage geredet.

„Die Handlungen sind vorgegeben, ich gebe Entscheidungsgewalt und Verantwortung für eine Weile vollständig ab. Das hat mich gereizt.“

Doch nun schaltet sich selbstbewusst Alisha ein, die sich bisher ruhig zurückgehalten hatte. Einen Räuber zu spielen, habe ihr erst Angst eingejagt, doch durch das Durchspielen von Gewalt habe sie sich auch ganz neu kennen gelernt, meint sie nachdenklich. „Ich lernte mich durchzusetzen, für meine Meinung einzustehen.“ Es scheint also, als ob das Experiment tatsächlich Früchte gebracht hätte. Ich habe allerdings auch schon Gerüchte gehört, dass solche Experimente ausgeartet seien. Und so frage ich gerade heraus, wie es bei ihnen herausgekommen sei.

Betretenes Schweigen. Darauf will keiner eine Antwort geben. Ich sehe betroffene Gesichter, einige wenden sich ab, schauen zu Boden. Ich merke, ich habe zu viel gefragt. Über gewisse Dinge lässt sich einfach nicht sprechen. Schon gar nicht zu Aussenstehenden, die damals nicht dabei waren.

Diskussion

superhelden – heldenhaft?

In «Wir, Räuber» geht es oft um die grundlegende Frage nach Verantwortung, Freiheit und nach Recht bzw. Gerechtigkeit. Besonders an den mordenden Räubern, die in scheinbar völliger Freiheit leben und ihre eigene Gerechtigkeit, abseits jeden Gesetzes, definiert haben, entzünden sich Fragen wie:

· Was macht den Guten zum Guten, den Bösen zum Bösen?

· Warum wird die Gewalt des Guten geduldet oder gar gefeiert, die des Bösen aber verurteilt?

· Wann ist ein Mord gerechtfertigt?

· Heiligt der Zweck die Mittel?

· Wann hat das Staatsrecht recht, wann eine übergeordnete Gerechtigkeit?

Anhand von bekannten Action-Heroes aus Hollywood lassen sich solche Fragen besonders anschaulich verhandeln. Unten sind einige Vorschläge aufgeführt, wobei in den Youtube-Filmen Todesszenen aus den zitierten Filmen recht eindrücklich zusammengeschnitten sind. (Die Filmausschnitte eigenen sich nicht für zu junge Schülerinnen und Schüler). So kann die Grausamkeit des „guten Helden“ aus dem Zusammenhang gerissen distanziert und vielleicht neu beurteilt werden. Eingeübte Wahrnehmungsmuster sollen hinterfragt und der Begriff des Helden einer Neudefinition unterzogen werden.

Was braucht es, um ein wahrer Held zu sein?

· Verantwortungsgefühl?

· Aufopferung?

· Charisma?

· Mut?

· Stärke?

· Loyalität?

· Kaltblütigkeit?

· Gerechtigkeitssinn?

· eine Vision?

· Bescheidenheit?

Heroes aus Hollywood:

Indiana Jones

http://www.youtube.com/watch?v=lOKfQK7fs0c

James Bond

http://www.youtube.com/watch?v=mXpIbfc21qk

Stirb langsam (Die hard)

http://www.youtube.com/watch?v=8YXi9JAgdf0

Kill Bill

Robin Hood

Zorro

Spartacus

Gladiator

Superman

X-Men

GerichtsverhandlungUnd wer ist schuld am ganzen Schlamassel?

Es soll in einer fingierten Gerichtsverhandlung – sozusagen am Jüngsten Gericht, da auch über Tote gerichtet werden muss – erörtert werden, inwiefern sich die in den Räubern beteiligten Figuren aneinander verschuldet haben, wer der Böse, wer der Gute in diesem ganzen Spiel war und wer die Katastrophe wie hätte aufhalten können. Zu berücksichtigen sind dabei nicht allein Verbrechen gegen das Gesetz wie Mord oder Betrug, sondern auch moralisch-ethische Vergehen wie etwa Untreue oder Unterdrückung.

Dies kann mündlich, in Form einer nachgestellten Gerichtsverhandlung mit Verteidiger und Ankläger für jede Figur geschehen, oder schriftlichen als Plädoyers für oder gegen eine der Figuren.

Vor Gericht stehen:

Der alte Moor

Franz von Moor

Karl von Moor

Amalia

Spiegelberg

Recherche und DIskussion

Bewegungen der Freiheit

Auch heute noch gibt es Gruppierungen oder Bewegungen, welche sich in Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft entwickeln und Freiheit und Gerechtigkeit suchen und proklamieren. Jede dieser Gegenentwürfe zur Gesellschaft hat aber wieder ihre eigenen Regeln und Kontrollmechanismen. Es stellt sich die Frage: Ist absolute Freiheit möglich in Gemeinschaft mit Menschen? Oder kann es die nur für einen einzelnen Menschen geben?

Suche dir eine der Gruppierungen aus und versuche möglichst viel über sie herauszufinden. Präsentiere deine Erkenntnisse in einem kurzen Referat vor der Klasse oder in Gruppen. Diskutiert zusammen, ob und in welcher Form Freiheit erreicht werden kann, was Freiheit überhaupt bedeutet und welche Mittel zum Erreichen dieser Freiheit eingesetzt werden (dürfen).

Anarchisten

Hippies

Roma/Fahrende

Auswanderer

Punks

Hells Angels

Besetzung

«Wir, Räuber»

Produktionsteam

LeitungChristof Oser-Meier

Regie- und

DramaturgieassistenzRegula Schelling

InspizienzVera Probst

Mit Elias Baumann, Naja Bruder, Rahel Bryner, Fiona Fankhauser, Olivia Fuhrer, Annika Glaeser, Lara-Desdemona Kofmel, Dominik Scherrer, Simona Schraner, Diana Zanda

Theaterpädagogik

MaterialmappeRegula Schelling, Christof Oser-Meier

© 2014, Junges Theater Solothurn

Folgende Quellen wurden verwendet:

Englhart, Andreas: Einführung in das Werk Friedrich Schillers. Darmstadt 2010.

Grawe, Christian: Erläuterungen und Dokumente. Friedrich Schiller. Die Räuber. Reclam 2009.

Weitere Infos zum Angebot des Jungen Theater Solothurn finden Sie auf unserem Flyer oder auf der Webseite www.tobs.ch unter Junges Publikum.

THEATER ORCHESTER BIEL SOLOTHURN

JUNGES THEATER SOLOTHURN

Theater und Schule

Christof Oser-Meier

Gibelinstrasse 20 | 4500 Solothurn

T ++41 (0) 32 626 20 68

www.tobs.ch