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Wissenschaft W arum besaßen die Hethiter ei- gentlich keine Toiletten? 50000 Einwohner lebten in der Metro- pole Hattuscha 170 Kilometer östlich von Ankara. Mit ihren acht Meter hohen Fes- tungsmauern wirkte die Stadt wie ein Hochsicherheitsgefängnis. Könige mit spit- zem Zauberhut steuerten von dort aus ei- nen waffenklirrenden Großstaat. Hier wur- de erstmals Eisen verhüttet. Ein Klo aber hatte keiner. Der seltsame Befund, vom deutschen Archäologen Andreas Schachner vorge- legt, verblasst vor einem noch größeren Enigma, das sich ebenfalls um die Hethiter rankt. Etwa um 1200 v. Chr. verschwand das Volk fast rückstandsfrei von der poli- tischen Bildfläche. Aus, weg. Reliefs auf einer Tempelwand im heuti- gen Medinet Habu in Ägypten erklären immerhin, wie das Desaster ablief. Fremd- linge, heißt es dort, hätten das Reich der Urtürken zertrümmert. Die Invasoren sind mit Stirnbändern dargestellt, andere tra- gen Hörnerhelme wie die Wikinger bei Asterix. An ihren Schiffen prangten Vo- gelköpfe. Die Attacke läutete das Ende der Bron- zezeit ein. Ein Inferno brach los. Kretas Paläste verwaisten. Das glanzvolle Myke- ne, Sitz des homerischen Helden Agamem- non, verwandelte sich in einen Trümmer- haufen. In Troja loderten Flammen. Selbst in Palästina erlosch das Leben in den Ha- fenstädten. Kurz zuvor hatte sich das Zeitalter noch als Ära glänzenden Fortschritts präsentiert. Die Anrainer der Ägäis besaßen bereits ein Nachrichtensystem: Boten eilten vom Schwarzmeer bis zu den Pyramiden. Am Hof des Pharaos arbeiteten hethitische Pferdetrainer. Auf den Fernstraßen rum- pelten zyprische Bollerwagen und Esels- karren aus Assyrien. Germanischer Bern- stein gelangte bis in die Wüste. Ein vor Kap Uluburun in der Türkei ge- borgenes Wrack bezeugt diese erste Glo- balisierung. Der Segler hatte Zinn aus Zen- tralasien an Bord und Ebenholz aus Afrika, dazu Nilpferdzähne, Pistazienharz vom Toten Meer, Rollsiegel aus Assur, Gefäße mit Granatäpfeln und sogar einen Zepter- aufsatz, der wohl für einen bulgarischen Kleinkönig bestimmt war. Dann aber brach die Handelsunion zu- sammen, das ganze System kollabierte: Statt aus feiner Keramik tranken die Leute plötzlich aus groben Bechern. Die Grie- chen konnten nicht mehr lesen und schrei- ben. Der US-Archäologe Eric Cline spricht vom „ersten Untergang der Zivilisation“. Was war passiert? Alten Papyri zufolge kamen die Angrei- fer „aus dem Norden“, von den „Inseln inmitten des Meeres“, sie „wohnten auf Schiffen“. Rund ein Dutzend merkwürdi- ge Stammesnamen werden erwähnt, da- runter die Danuna, Peleset oder Scheke- lesch. Im Jahr 1180 v. Chr. drangen die Banden ins Nildelta vor und verstrickten Ramses III. in einen Existenzkampf zur See. Mit Mühe konnte sich der Pharao be- haupten. Doch danach lag alles in Schutt und Asche. Seit Langem wird nach einer Erklärung für den Epochenbruch gesucht. Waren es Piraten auf Beutezug, die alles zerstörten? Vulkanausbrüche oder Dürren? Andere Forscher tippen auf eine Revolution von innen: Demnach fegte das einfache Volk die Könige und Palastbeamten der Bron- zezeit, die den Luxushandel kontrollierten, durch einen Aufstand weg. Nun liegt eine neue Deutung vor, die das Geschehen erstmals in seiner Gesamt- heit erklären könnte. Der Geoarchäologe Eberhard Zangger, Präsident der in Zürich ansässigen Stiftung Luwian Studies, geht davon aus, dass den Historikern bei der Rekonstruktion der ägäischen Frühge- schichte ein entscheidender Fehler unter- laufen ist. „Sie übersahen einen ganzen Kulturkreis in Kleinasien.“ In diesem Schattenreich, so der Forscher, lebten die Seevölker, bevor sie zum bluti- gen Rundumschlag ausholten. Dass die Küsten und fruchtbaren Hügel Westanatoliens einst dicht bewohnt waren, ist bekannt. Mehr als 2000 Siedlungsberge („Telle“) ragen dort empor. Durch Gelän- debegehungen und mithilfe von Satelliten- aufnahmen hat Zangger einen Fundkata- log erstellt. Demnach waren in der späten Bronzezeit mindestens 340 der Ruinenstät- ten bewohnt: Orte mit reichem Viehbe- stand, Erzminen, angeschlossen an ein dichtes Verkehrsnetz. Zangger nennt diese vergessene Zone die Welt der „Luwier“. Abgeleitet ist der Name von der luwi- schen Sprache, die im 2. Jahrtausend v. Chr. in weiten Teilen Anatoliens vor- herrschte. Selbst in Troja kam ein luwi- sches Siegel zutage. Genaueres ist allerdings nicht bekannt; grabungstechnisch gleicht das Gelände ei- ner Terra incognita. Erst zwei der Schutt- berge wurden großflächig ausgegraben. Zu weiteren 25 Stätten liegen Publikationen auf Türkisch vor. Zanggers Stiftungskolle- ge Serdal Mutlu hat sie jetzt übersetzt. 100 DER SPIEGEL / GRANGER, NYC / INTERFOTO Schlacht im Nildelta Der nullte Weltkrieg Archäologie Vor 3200 Jahren zerstörten seltsame Seevölker die Länder am Mittelmeer – ein Inferno. Lange waren die Angreifer den Forschern ein Rätsel. Nun führen Spuren nach Anatolien: zu einer unbekannten, mächtigen Kultur.

Wissenschaft Der nullte Weltkrieg

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Page 1: Wissenschaft Der nullte Weltkrieg

Wissenschaft

Warum besaßen die Hethiter ei-gentlich keine Toiletten? 50000Einwohner lebten in der Metro-

pole Hattuscha 170 Kilometer östlich vonAnkara. Mit ihren acht Meter hohen Fes-tungsmauern wirkte die Stadt wie einHochsicherheitsgefängnis. Könige mit spit-zem Zauberhut steuerten von dort aus ei-nen waffenklirrenden Großstaat. Hier wur-de erstmals Eisen verhüttet.

Ein Klo aber hatte keiner. Der seltsame Befund, vom deutschen

Archäologen Andreas Schachner vorge-legt, verblasst vor einem noch größerenEnigma, das sich ebenfalls um die Hethiterrankt. Etwa um 1200 v. Chr. verschwanddas Volk fast rückstandsfrei von der poli-tischen Bildfläche. Aus, weg.

Reliefs auf einer Tempelwand im heuti-gen Medinet Habu in Ägypten erklärenimmerhin, wie das Desaster ablief. Fremd-linge, heißt es dort, hätten das Reich derUrtürken zertrümmert. Die Invasoren sindmit Stirnbändern dargestellt, andere tra-gen Hörnerhelme wie die Wikinger beiAsterix. An ihren Schiffen prangten Vo-gelköpfe.

Die Attacke läutete das Ende der Bron-zezeit ein. Ein Inferno brach los. KretasPaläste verwaisten. Das glanzvolle Myke-ne, Sitz des homerischen Helden Agamem-non, verwandelte sich in einen Trümmer-haufen. In Troja loderten Flammen. Selbstin Palästina erlosch das Leben in den Ha-fenstädten.

Kurz zuvor hatte sich das Zeitalter nochals Ära glänzenden Fortschritts präsentiert.Die Anrainer der Ägäis besaßen bereitsein Nachrichtensystem: Boten eilten vomSchwarzmeer bis zu den Pyramiden. AmHof des Pharaos arbeiteten hethitischePferdetrainer. Auf den Fernstraßen rum-pelten zyprische Bollerwagen und Esels-karren aus Assyrien. Germanischer Bern-stein gelangte bis in die Wüste.

Ein vor Kap Uluburun in der Türkei ge-borgenes Wrack bezeugt diese erste Glo-balisierung. Der Segler hatte Zinn aus Zen-tralasien an Bord und Ebenholz aus Afrika,dazu Nilpferdzähne, Pistazienharz vomToten Meer, Rollsiegel aus Assur, Gefäßemit Granatäpfeln und sogar einen Zepter-aufsatz, der wohl für einen bulgarischenKleinkönig bestimmt war.

Dann aber brach die Handelsunion zu-sammen, das ganze System kollabierte:Statt aus feiner Keramik tranken die Leuteplötzlich aus groben Bechern. Die Grie-chen konnten nicht mehr lesen und schrei-ben. Der US-Archäologe Eric Cline sprichtvom „ersten Untergang der Zivilisation“.Was war passiert?

Alten Papyri zufolge kamen die Angrei-fer „aus dem Norden“, von den „Inselninmitten des Meeres“, sie „wohnten aufSchiffen“. Rund ein Dutzend merkwürdi-ge Stammesnamen werden erwähnt, da-runter die Danuna, Peleset oder Scheke-lesch. Im Jahr 1180 v. Chr. drangen dieBanden ins Nildelta vor und verstricktenRamses III. in einen Existenzkampf zurSee. Mit Mühe konnte sich der Pharao be-haupten.

Doch danach lag alles in Schutt undAsche.

Seit Langem wird nach einer Erklärungfür den Epochenbruch gesucht. Waren esPiraten auf Beutezug, die alles zerstörten?Vulkanausbrüche oder Dürren? AndereForscher tippen auf eine Revolution voninnen: Demnach fegte das einfache Volkdie Könige und Palastbeamten der Bron-zezeit, die den Luxushandel kontrollierten,durch einen Aufstand weg.

Nun liegt eine neue Deutung vor, diedas Geschehen erstmals in seiner Gesamt-heit erklären könnte. Der GeoarchäologeEberhard Zangger, Präsident der in Zürichansässigen Stiftung Luwian Studies, gehtdavon aus, dass den Historikern bei derRekonstruktion der ägäischen Frühge-schichte ein entscheidender Fehler unter-laufen ist. „Sie übersahen einen ganzenKulturkreis in Kleinasien.“

In diesem Schattenreich, so der Forscher,lebten die Seevölker, bevor sie zum bluti-gen Rundumschlag ausholten.

Dass die Küsten und fruchtbaren HügelWestanatoliens einst dicht bewohnt waren,ist bekannt. Mehr als 2000 Siedlungsberge(„Telle“) ragen dort empor. Durch Gelän-debegehungen und mithilfe von Satelliten-aufnahmen hat Zangger einen Fundkata-log erstellt. Demnach waren in der spätenBronzezeit mindestens 340 der Ruinenstät-ten bewohnt: Orte mit reichem Viehbe-stand, Erzminen, angeschlossen an eindichtes Verkehrsnetz.

Zangger nennt diese vergessene Zonedie Welt der „Luwier“.

Abgeleitet ist der Name von der luwi-schen Sprache, die im 2. Jahrtausend v.Chr. in weiten Teilen Anatoliens vor-herrschte. Selbst in Troja kam ein luwi-sches Siegel zutage.

Genaueres ist allerdings nicht bekannt;grabungstechnisch gleicht das Gelände ei-ner Terra incognita. Erst zwei der Schutt-berge wurden großflächig ausgegraben. Zuweiteren 25 Stätten liegen Publikationenauf Türkisch vor. Zanggers Stiftungskolle-ge Serdal Mutlu hat sie jetzt übersetzt.

100 DER SPIEGEL 28 / 2016

GRANGER, NYC

/ INTE

RFO

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Schlacht im Nildelta

Der nullte WeltkriegArchäologie Vor 3200 Jahren zerstörten seltsame Seevölkerdie Länder am Mittelmeer – ein Inferno. Lange waren dieAngreifer den Forschern ein Rätsel. Nun führen Spuren nachAnatolien: zu einer unbekannten, mächtigen Kultur.

Page 2: Wissenschaft Der nullte Weltkrieg

Schuld an der Vernachlässigung ist derphilhellenische Blickwinkel, mit demEuropas klassische Altertumsforscher im19. Jahrhundert loszogen. Der britischeAusgräber von Knossos, Arthur Evans, unterteilte den Ägäisraum in die Kultur-kreise „Mykenisch“, „Minoisch“ und „Ky-kladisch“. Kleinasien ignorierte er einfach,als wäre die jenseitige Küste, wo TrojasKönig Priamos oder der schöne Paris leb-ten, nie besiedelt gewesen.

Evans mochte weder das OsmanischeReich noch die Türken unter Kemal Ata-türk. „Ich glaube an die Existenz minder-

wertiger Rassen“, erklärte er, „und sähesie gern ausgerottet.“

Spätere Forscher schlugen das strittigeGebiet dann einfach dem Großreich derHethiter zu. Im Westen Kleinasiens, hießes, hätten deren Vasallen gelebt und ihnenartig gedient.

Doch so war es nicht. Die Grabungendes Deutschen Archäologischen Institutsin Hattuscha zeichnen ein anderes Bild.33000 beschriftete Tontafeln kamen bis-lang zutage. Ergebnis: In Westanatolien

* Gezeichnet nach einem Relief aus Medinet Habu.

wohnten widerborstige Kleinfürsten undHäuptlinge. 2000 Städte werden in den he-thitischen Dokumenten genannt, aberauch Regionalmächte wie Lukka, Kizzu-watna oder Arzawa. Deren Lokalisierungist weitgehend gelungen (siehe Grafik Sei-te 102).

Freiwillig Steuern zahlen wollte in die-sem wilden Westen niemand. Lukka, eineArt Piratenstaat, sperrte sich mit Waffengegen die Unterjochung. Immer wiederkam es zu Aufständen. Auch Troja warunterjocht – aber nur 20 Jahre lang. Dannerkämpfte die Stadt sich wieder die Frei-

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zwischen Ägyptern und Angreifern im 12. Jahrhundert v. Chr.*: Wie die Wikinger bei Asterix

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heit. Es war dieser luwische Unruheherd,der sich Zangger zufolge um 1200 v. Chr.jäh zu einer „neuen militärischen Machtformte“. Hier sei das Missing Link im See-völker-Rätsel zu suchen.

Als Beleg für seinen Verdacht nennt derArchäologe den Seevölker-Stamm der Tek-ker. Sie tragen Federkronen und werdenauf den ägyptischen Reliefs besonders oftdargestellt. Zangger vermutet, dass dieKerle aus Troja kamen. Der Grund: DieBewohner des trojanischen Umlandes wur-den „Teucer“ genannt.

Lösen sich endlich die Schleier, die denbronzezeitlichen Weltenbrand umhüllen?Der Hamburger Millionenerbe und Sozial -wissenschaftler Jan Phillipp Reemtsma hältdie neue Spur für so spannend, dass erdem Stiftungsrat der Luwian Studies bei-trat. Mit von der Partie ist der ehemaligePräsident der Eidgenössisch-TechnischenHochschule Zürich Olaf Kübler.

Auch die Etappen des nullten Weltkriegsglauben die Mitglieder der Luwian Studiesnachzeichnen zu können: Schuld an allemwar demnach der aggressive HethiterkönigTudhaliya IV., der mit seinen Heeren im-mer wieder die Vasallen im Westen aus-plünderte. Um 1220 v. Chr. besetzte er so-gar Zypern. Die Insel, reich an Kupfer, wareine Drehscheibe im Fernhandel.

Das passte den Luwiern offenbar garnicht. Also, so der Verdacht, probten siedie Revolte: Sie bildeten einen Bund undbauten eine gemeinsame Flotte, um Zy-pern zu befreien.

Erwiesen ist, dass um 1200 v. Chr. eineKältewelle über Kleinasien hereinbrach.Missernten folgten, was die Bereitschaft

zum Umsturz erhöhte. So groß war dieNot, dass die Ägypter um 1210 v. Chr. Wei-zen an die verbündeten Hethiter schickten.Doch es nützte nichts.

Denn nun stießen die Seevölker auchins Zentrum der Macht vor. Mit einemLandheer eroberten sie Hattuscha. DessenBewohner flohen mit Möbeln und Hausrat.Brände brachen aus.

Dieser Angriff brachte nun alles ins Rut-schen. Eine Völkerwanderung begann. Of-fenbar von Hunger getrieben, strömten dieLuwier zu Tausenden in die Levante. Diepharaonischen Reliefs zeigen neben be-waffneten Männern auch Frauen und Kin-der auf zweirädrigen Wagen.

Ein erster Hilfeschrei ertönte aus Ugarit,einem Stadtstaat in Kanaan. Eine Lawinevon Feinden walle heran, barmte ausweis-lich einer Keilschrift der Statthalter, der ineinem Palast mit 100 Räumen lebte. Einerder letzten Briefe aus Ugarit erwähnt eineSonnenfinsternis: Dem AltorientalistenManfred Dietrich ist es gelungen, dasAstroereignis auf den 21. Januar 1192 v.Chr. zu datieren.

Damit ist jener Termin ermittelt, andem das demografische und das wirtschaft-liche Chaos ihrem Höhepunkt zustrebten.Zu den luwischen Randalierern geselltensich jetzt andere Ethnien. Philister, mut-maßlich von Kreta stammend, setzten inden Orient über. Rauflustige Sarden undSizilianer kamen angesegelt. Schließlichbrach der Trojanische Krieg aus. Der Ma-thematiker Eratosthenes datierte ihn auf1184 v. Chr.

Zangger baut diesen Urkonflikt desAbendlandes geschickt in sein Strategie-

spiel ein. Er sieht darin einen „Gegen-schlag“ der Griechen gegen die Luwier.Die massive Abwanderung hatte derenKüstenfestungen geschwächt – was Odys-seus und seinen Kumpanen die Chancebot, ihnen in den Rücken zu fallen.

Laut griechischer Mythologie stachendie Griechen mit 1186 Schiffen in See. Diegrößten Geschwader stellten Agamemnonund Nestor von Pylos. Der Krieg dauertezehn Jahre. Zerstört wurden neben Trojaweitere rund 150 Orte in Luwien; so stehtes bei Homer.

Doch der Sieg war vergiftet. Nach derHeimkehr erleben die Helden – im Epos –eine schlimme Pleite. Als Odysseus nachHause kommt, sitzen grölende Freier inseinem Palast und werben um die Handseiner Gattin. Agamemnon wird von ei-nem Nebenbuhler im Bad erdolcht.

Die bei Homer geschilderten Querelenverweisen offenbar auf realgeschichtlicheWirren. Tatsache ist: Nach 1180 v. Chr. bra-chen auf dem griechischen Festland Bür-gerkriege aus. In deren Folge gingen nunauch viele mykenische Herrschersitze un-ter – ein weiteres Puzzlestück im Bild vomTotalkollaps der Epoche.

Keine Frage, die Mitglieder der LuwianStudies haben einen neuen Trumpf insSpiel gebracht. Mit ihm ordnen sie den rät-selhaften Zusammenbruch der Bronzezeitzu einem schlüssigen Panorama. Nun sinddie Archäologen dran; sie müssten loszie-hen und die verschlossenen Ruinenbergeder Luwier öffnen.

Zangger ist sicher: „Dort warten dieSchätze einer verschollenen Zivilisation.“

Matthias Schulz

102 DER SPIEGEL 28 / 2016

Sturm über Kleinasien Kriegszüge und Völkerwanderungen um 1200 v. Chr.

Zum bunt gemischten Invasionsheer der Seevölker gehörten schwer bewaffnete Infanteristen, die Hörner-helm, Lederrüstung, Schwert und Rundschild trugen. Soldaten vom Stamm der Tekker waren mit „Feder-kronen“ geschmückt. Die Funktion dieser Kopf-bedeckung ist unklar.

Die rätselhaften Seevölker, die in der späten Bronze-zeit bis in die Levante und nach Ägypten vordrangen und einen Kollaps der Epoche auslösten, hatten einer neuen Theorie zufolge ihre Heimat in Anato-lien. Der Forscher Eberhard Zangger geht davon aus, dass die Angreifer sich aus dem geschwächten Hethiterreich herauslösten und mit Nachbarstaaten

verbündeten. Diese Allianz, zu der mutmaßlich auch Troja gehörte, zerschlug das Hethiterreich und zog dann weiter nach Süden. Zangger zufolge nutzten die Griechen ihrerseits die Situation für einen Mili-tärschlag gegen Kleinasien – historischer Anlass für Homers Epos vom Trojanischen Krieg.

Ugarit

KIZZUWATNA

Hattuscha

Größte Ausdehnung des Hethiterreichs im 13. Jh. v. Chr.

Athen

Saïs

Ä G Y P T E R

G R I E C H E N

H E T H I T E R

Ramses-Stadt

Mykene

Kreta

Rhodos

Knossos

Tyrins

Zypern

Troja

L U K K A

M A Š A

T A R H U N T A S S A

A R Z A W A

S E H AM I R A

H A P A L L A

P I T A S A

Milet

K A S C H K Ä E R

WILUSA

M i t t e l m e e r

Nildelta

Krieger der Seevölker Rekonstruktion250 km