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Law Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Fakultäten in Deutschland - Nr. 2/2009 Herausgeber Fachschaft des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main TITEL Eigenverantwortung in der Insolvenz JOCHEN MARKGRAF Was ist eine „Legal Opinion“? PETER C. FISCHER Internationalisierung und Europäisierung des Rechts RUDOLF STREINZ Europäische Gesellschaft und grenzüberschreitende Verschmelzung GERO PFEIFFER / AXEL WAGNER Kartellrecht als anwaltliche Berufsperspektive MELANIE RENKEL Medienanwalt in einer Boutique CHRISTIAN RAUDA TITEL Eigenverantwortung in der Insolvenz JOCHEN MARKGRAF Was ist eine „Legal Opinion“? PETER C. FISCHER Internationalisierung und Europäisierung des Rechts RUDOLF STREINZ Europäische Gesellschaft und grenzüberschreitende Verschmelzung GERO PFEIFFER / AXEL WAGNER Kartellrecht als anwaltliche Berufsperspektive MELANIE RENKEL Medienanwalt in einer Boutique CHRISTIAN RAUDA

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LawZone 2/2009 / Zeitschrift für Rechtswissenschaft / Goethe-Universität Frankfurt am Main

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Law Zone Nr. 2/2009

LawZeitschrift für rechtswissenschaftliche Fakultäten in Deutschland - Nr. 2/2009

Herausgeber Fachschaft des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main

TITEL

Eigenverantwortung in derInsolvenzJOCHEN MARKGRAF

Was ist eine „Legal Opinion“?PETER C. FISCHER

Internationalisierung undEuropäisierung des RechtsRUDOLF STREINZ

Europäische Gesellschaft und grenzüberschreitendeVerschmelzungGERO PFEIFFER / AXEL WAGNER

Kartellrecht als anwaltlicheBerufsperspektiveMELANIE RENKEL

Medienanwalt in einerBoutiqueCHRISTIAN RAUDA

TITEL

Eigenverantwortung in derInsolvenzJOCHEN MARKGRAF

Was ist eine „Legal Opinion“?PETER C. FISCHER

Internationalisierung undEuropäisierung des RechtsRUDOLF STREINZ

Europäische Gesellschaft und grenzüberschreitendeVerschmelzungGERO PFEIFFER / AXEL WAGNER

Kartellrecht als anwaltlicheBerufsperspektiveMELANIE RENKEL

Medienanwalt in einerBoutiqueCHRISTIAN RAUDA

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Law Zone Nr. 2/2009

Düsseldorf · Stephan FreundT +49 (0)211 600 55-245 · [email protected]

Frankfurt · Dr. Holger HaasT +49 (0)69 975 61-445 · [email protected]

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Chemnitz · Gilbert ToepfferT +49 (0)371 382 03-411 · [email protected]

Köln · Prof. Dr. Martin ReufelsT +49 (0)221 20 52-331 · [email protected]

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Gut, wenn Sie sich davon überzeugen können.

090922_Referendare_LawZone 04.06.2009 14:41 Uhr Seite 1

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Editorial

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

das Titelthema dieser Ausgabe widmet sich der Eigenverantwortung in der Insolvenz. In seinem gleichnamigen Beitrag beschreibt der Verfasser Rechtsanwalt Dr. Jochen Markgraf anhand des Beispiels des Insolvenzfalls der Arcandor Akti-engesellschaft und deren Tochtergesellschaften Chancen, Risiken und Perspektiven in der Durch-führung eines Insolvenzverfahrens in Eigenver-waltung (siehe S. 14).Der Ausbildungsteil setzt sich wie folgt zusam-men: Rechtsanwalt Dr. Peter C. Fischer erläutert den in der Praxis relevanten Begriff der „Legal Opinion“ (siehe S. 6). In der Reihe „Einführung in das Studium des Schwerpunktbereichs“ haben wir für diese Ausgabe dankenswerter Weise Prof. Dr. Rudolf Streinz gewinnen können, der in sei-nem Beitrag näher auf die „Internationalisierung und Europäisierung des Rechts“ eingeht (siehe S. 10). Karrieretechnisch beschreiben zwei Anwälte ihre Tätigkeit zur Orientierung für Studenten und Referendare: Rechtsanwalt Dr. Christian Rauda im Medienrecht (siehe S. 8) und Rechtsanwältin Melanie Renkel im Kartellrecht (siehe S. 39). Über die Möglichkeiten der LL.M.-Finanzierung berät Rechtsanwalt Michael Bonsau in seinem Kurzbei-trag (siehe S. 12).

Für den praktischen Teil hat uns Dr. Jochen Zent-höfer – Autor des bekannten Online-Klausuren-kurses Rauda&Zenthöfer – typische Zusatzfragen zum Strafprozessrecht aus Klausuren und münd-lichen Examina zusammengestellt (siehe S. 44).Dem Thema „Europäische Gesellschaft und grenz-überschreitende Verschmelzung als internationale Fusionsinstrumente“ widmen sich Rechtsanwalt Dr. Gero Pfeiffer und Rechtsreferendar Axel Wagner in ihrem Beitrag (siehe S. 31), wie auch ferner Katrin Lack zum „Hausbesuch nach § 8a SGB VIII“ (siehe S. 22) und Daniela Keller zum „Kapitalanlagebetrug, § 264a StGB“ (siehe S. 34). Und zur thematischen Abrundung kommentiert Dr. Anja Schiemann in „Die Biologie der Moral oder Vom Wiederaufleben alter Wahrheiten“ (siehe S. 29).An dieser Stelle ein Vielen Dank an alle Autoren der Law Zone 2/2009!

Ich wünsche eine interessante und ertragreiche Lektüre,

Ihr Alexander Junkov Chefredakteur

Frankfurt am Main im September 2009

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In eigener Sache

Inhaltsverzeichnis In eigener Sache Editorial 3

Impressum 50

Titelthema EigenverantwortunginderInsolvenz VonJochen Markgraf 14

Ausbildung

Wasisteine„LegalOpinion“? VonPeter C. Fischer 6

MedienanwaltineinerBoutique VonChristian Rauda 8

InternationalisierungundEuropäisierungdesRechts VonRudolf Streinz 10 LL.M.Finanzierung VonMichael Bonsau 12

KartellrechtalsanwaltlicheBerufsperspektive VonMelanie Renkel 39

TypischeZusatzfragenzumStrafprozessrecht VonJochen Zenthöfer 44

Kommentar

DerHausbesuchnach§8aSGBVIII VonKatrin Lack 22

DieBiologiederMoral VonAnja Schiemann 29

EuropäischeGesellschaftundgrenzüberschreitende VerschmelzungalsinternationaleFusionsinstrumente VonGero Pfeiffer und Axel Wagner 31 Kapitalanlagebetrug,§264aStGB VonDaniela Keller 34

Buchrezensionen 47

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Was ist eine „Legal Opinion“?

Von Rechtsanwalt Dr. Peter C. Fischer, M.C.J., Attorney at Law (New York), Frankfurt a.M.*

Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihren ersten Arbeitstag in einer international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei und erhalten von dem Partner, dem Sie zugeordnet sind, den Auftrag, eine „Legal Opinion“ zu entwerfen. Dann ist es wichtig, sich zunächst klarzumachen, dass eine „Legal Opinion“ (je nach Verwendung und Inhalt auch „Third Party Opinion“ oder „Capacity Opinion“ oder auch einfach „Opinion“) nicht einfach eine beliebige Stellungnahme eines Rechtsanwalts ist, sondern dass es sich hierbei vielmehr um eine vom angloamerikanischen Rechtskreis geprägte spezielle Form einer juristischen Stellungnahme handelt. Wegen dieser besonderen Bedeutung einer Opinion in der Rechtspraxis ist der englische Begriff „Opinion“ in anderem Zusammenhang tunlichst zu vermeiden.

1. Begriff und BeispielZwei Merkmale sind charakteristisch für eine Opinion: Erstens wird eine Opinion typischerweise im Auftrage des Mandanten gegenüber einer Drittpartei (zu der kein Mandatsverhältnis besteht) abgegeben. Zweitens wird in einer Opinion – für Juristen ungewöhnlich – das Bestehen eines bestimmten Rechtsverhältnisses zunächst ohne die üblichen Einschränkungen („nach wohl herrschender Meinung“) mit einfachen Worten festgestellt.

Beispiel: Die Kernaussage einer Opinion könnte etwa lauten: „Die Geschäftsführer Meier und Müller können die XY-GmbH bei Abschluss des ABC-Vertrags rechts-wirksam gegenüber Z vertreten.“ Das Beispiel zeigt, dass eine Opinion typischerweise ebenso klar wie eng formuliert wird und sich auf grundlegende und eindeutig feststellbare Rechtsfragen bezieht.

2. Traditionelle deutsche RechtspraxisTraditionell wurden und werden in Deutschland derartige Bestätigungen jedenfalls in Teilbereichen (effektiver und kostengünstiger) durch Notare mit Hilfe von öffentlichen Registern abgegeben (vgl. § 21 BNotO). Da im Common Law jedoch das Notariat unbekannt ist (der Notary Public in den USA erteilt grundsätzlich keine Rechtsauskünfte) und das Registerwesen in der Regel nicht so entwickelt ist wie etwa in Deutschland, hat sich in diesen Ländern die Technik der Verwendung von Opinions entwickelt.

3. Bedeutung für die PraxisDerartige Stellungnahmen werden häufig im Rahmen von Transaktionen von den finanzie-renden Banken von den Kanzleien der Kredit-nehmer oder Sicherungsgeber verlangt, da die Banken selbst regelmäßig nicht ohne weiteres beurteilen können, ob ein Darlehensvertrag

wirksam durch eine bestimmte (ausländische) Partei unterzeichnet worden ist oder eine Sicherheit wirksam durch eine bestimmte (ausländische) Partei bestellt wor-den ist. Diese Problematik taucht typischerweise im in-ternationalen Rechtsverkehr auf: So wird etwa eine New Yorker oder Londoner Bank nicht unbedingt die deut-schen GmbH-Vertretungsregeln im Detail kennen.

Ein entscheidender Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass die Banken hier nicht selbst teure Rechtsanwälte im Ausland mit dieser Prüfung beauftragen müssen, sondern dies durch den Kreditnehmer erfolgt und die Kosten für die Erstellung der Opinion unmittelbar von dem Kredit-nehmer getragen werden.

4. Hohes HaftungsrisikoDer Adressat wird in seinem Vertrauen auf die Opinion dadurch geschützt, dass ein spezielles Haftungsverhältnis zwischen demjenigen, der eine Opinion abgibt, und dem Adressaten der Opinion entsteht (ansonsten würde eine Bank sich kaum auf Stellungnahmen von Anwälten der Gegenseite verlassen). Es dürfte auf der Hand liegen, dass derartige rechtliche Aussagen potentiell sehr haftungsträchtig sind. Hinzu kommt, dass die natürliche Hemmschwelle eines Dritten, den ausstellenden Anwalt zu verklagen, wohl niedriger sein dürfte als bei einem Mandanten und außerdem das Haftungsrisiko gegenüber einem Dritten deutlich größer ist, da dieser sich ausschließlich auf eine schriftliche Stellungnahme verlässt (es gibt keine umfangreiche schriftliche wie mündliche Korrespondenz, in der bereits auf alle denkbaren Risiken hingewiesen wurde). Daher spielen Haftungsfragen in diesem Zusammenhang eine extrem große Rolle und daher wird für die Abgabe einer Opinion typischerweise auch ein nicht ganz geringes, oft pauschaliertes Honorar verlangt, welches nicht nur auf der bei Wirtschaftsanwälten üblichen Zeitvergütung beruht.

5. Aufbau einer „Opinion“Eine Opinion wird regelmäßig in Form eines Briefes,

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welcher an den Adressaten der Opinion gerichtet wird, verfasst und enthält typischerweise folgende Elemente:

• Hinweis auf das Mandatsverhältnis mit dem eigent-lichen Mandanten bzw. auf das Fehlen eines Mandats-verhältnisses mit dem Adressaten sowie Bezugnahme auf den rechtlichen Vorgang in dessen Zusammenhang die Opinion abgegeben wird (konkrete Angabe der Par-teien mit deren offiziellen Namen und Registernummern sowie bei der Gelegenheit Definition der involvierten Parteien zur Verwendung im folgenden Text);

• abschließende Liste derjenigen Dokumente, die der Opinion zugrunde liegen (konkrete Bezeichnung mit Da-tum);

• genaue Angabe zu den durchgeführten Prüfungen, etwa Anfrage beim Handelsregister XY mit genauen Zeitan-gaben (Tag und Uhrzeit) sowie zur etwaigen Einsicht-nahme in die neuerdings existierenden Onlineregister;

• Auflistung aller Annahmen („Assumptions“), auf der die Opinion beruht: z.B. Annahme, dass sämtliche vor-gelegten Dokumente echt und nicht gefälscht waren, dass es bei den zugrunde gelegten Verträgen keine nicht vor-gelegten Ergänzungen oder Änderungen gibt, dass dritte Rechtsordnungen keine Auswirkung auf hier getroffene Aussagen haben, dass die in den Gesetzblättern verkün-deten Gesetze auch wirksam zustande gekommen sind und nicht etwa verfassungswidrig sind (diese Liste der Annahmen ist regelmäßig sehr umfangreich);

• dann folgt oft die eigentliche Opinion, z.B. in der oben genannten Form, die typischerweise so klar und eng wie eben möglich formuliert werden sollte;

• danach folgen typischerweise bestimmte Qualifizie-rungen, denen eine Opinion unterliegt: z.B. mögliche Auswirkung eines Insolvenzverfahrens auf die Vertre-tungsbefugnisse der Personen; Verjährungsregelungen; Probleme beim einstweiligen Rechtsschutz und bei der Klage auf Erfüllung;

• der Hinweis auf die Haftungsbegrenzung der Kanzlei darf selbstverständlich nicht fehlen;

• fester Bestandteil ist auch die Feststellung, dass die Opinion ausschließlich an den Adressaten gerichtet ist und an niemand anders weitergegeben werden darf und niemand anders auf diese Opinion vertrauen darf;

• zuletzt folgt die Klarstellung, dass die Opinion aus-schließlich nach dem in Deutschland geltenden Recht er-folgt und sämtliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Opinion der deutschen Jurisdiktion unterliegen.

Im Detail kann man diese Liste sicherlich noch erweitern und konkretisieren. Soweit die Opinion in englischer Sprache abgegeben wird, was regelmäßig der Fall sein wird, sollten immer deutsche Rechtsbegriffe den jeweiligen englischen Übersetzungen in Klammern beigefügt werden.

6. Praktische VorgehensweiseEs dürfte dem eingangs genannten Associate nun jedenfalls klar sein, dass es bei dem Assignment nicht darum geht, ein beliebiges Schreiben aufzusetzen, sondern dass hier ein Dokument vorbereitet werden muss, das strengen Vorgaben folgt und rein äußerlich vor allem aus Einschränkungen, Annahmen und sonstigen Haftungsbeschränkungen zugunsten des Verfassers besteht.

Natürlich wird der Associate dabei nicht das Rad neu erfinden müssen, sondern den Entwurf in erster Linie ausgehend von in der Kanzlei vorhandenen Mustern aufsetzen und diese dann der konkreten Fallsituation anpassen.

Dabei gibt es wegen des besonderen Haftungsrisikos bei der Abgabe einer Opinion in vielen Kanzleien ein sogenanntes Opinion Panel, welches jede Opinion vor deren Unterzeichnung in formeller Hinsicht gegenprüft. Alternativ wird in vielen Kanzleien verlangt, dass eine Opinion von einem zweiten Partner freigegeben wird.1

* Der Autor dieses Artikels, Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York) Dr. Peter C. Fischer, M.C.J. (NYU), ist Partner der Raupach & Wollert-Elmendorff Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Frankfurt am Main. Raupach & Wollert-Elmendorff ist eine überörtliche Wirtschafts-kanzlei mit ca. 80 Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen an den Stand-orten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart. Die Kanzlei berät in allen Fragen des nationalen und interna-tionalen Wirtschaftsrechts, kooperiert mit der „Big Four“-Wirtschafts-prüfungsgesellschaft Deloitte & Touche und ist Mitglied in einem internationalen Kanzleinetzwerk mit über 1.500 Anwälten. Raupach & Wol-lert-Elmendorff ist grundsätzlich an Bewerbungen von wirtschaftsrechtlich interessierten Praktikanten/-innen und Referendaren/-innen interessiert.

E-Mail: [email protected]: www.raupach.de

Ausbildung

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Medienanwalt in einer Boutique

Von Rechtsanwalt Dr. Christian Rauda, Hamburg*

Rechtliche Beratung rund um Film, Fernsehen, Fotos, Bücher, Computerspiele – es gibt neben dem Medienrecht wohl kaum ein Gebiet, in dem Jura so viel Glamour hat. Doch wer glaubt, dass ein Medienanwalt nur auf schicken Partys un-terwegs ist, irrt sich. Die glamouröse Entertain-mentwelt erwartet, dass ihre Anwälte immer in Alarmbereitschaft sind. Während in Großkanzleien eine Armee von Anwälten in die Schlacht zieht, gibt es einen kleinen Zirkel hochspezi-alisierter Medienrechtskanzleien, so genannte Boutiquen, die in überschaubaren Teams hochkomplexe Rechtsfra-gen lösen. Sie sind daher eher mit Scharfschützen und Experten für Bombenentschärfungen zu vergleichen. Da das fachliche Niveau dem der Großkanzleien entspricht, lassen sich auch sehr namhafte Unternehmen wie Groß-verlage oder Fernsehsender von Boutiquen rechtlich beraten. Die Mandanten schätzen darüber hinaus in der Regel die hohe personelle Kontinuität und die schnellen Antwortzeiten an den kleinen Spezialkanzleien.Inhaltlich ist das Medienrecht eine Querschnittsmate-rie. Medienrechtliche Fälle haben Berührungspunkte mit vielen verschiedenen Materien, u.a. dem Urheber-recht, Presserecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Ge-schmacksmusterrecht, Datenschutzrecht, Telemedien-recht und Rundfunkrecht. Das macht die Tätigkeit sehr abwechslungsreich: Medienanwälte entwerfen Verträge für Filmproduktionsgesellschaften, um den Schutz und die finanzielle Auswertung von Kinofilmen sicherzu-stellen, sie verhandeln Lizenzverträge mit Sendern oder sie beraten Autoren bei der Vergabe ihrer Verfilmungs-rechte. Sie beraten Verlage beim Erwerb von Verlags-rechten und bei der Lizenzierung der Rechte ins Ausland. Web 2.0-Unternehmen lassen sich ihre Internetseiten da-tenschutzrechtlich sicher gestalten und Werbeagenturen wenden sich an Medienanwälte, um ihre neue Kampag-nen wettbewerbsrechtlich überprüfen zu lassen. Recht-einhaber benötigen Hilfe beim Vertrieb von Merchandi-singprodukten und Mandanten, die feststellen, dass ihr Domainname im Internet bereits von einem Domain-grabber registriert worden ist, möchten die Domain zu-rückerlangen.Die spannende Herausforderung liegt auch darin, dass die Betreuung der Mandate sowohl die Gestaltung von Verträgen wie auch das Führen von Prozessen umfasst. Während Vertragsverhandlungen insbesondere mit dem Ausland sehr langwierig sein können, muss in Prozessen – insbesondere wenn sie im einstweiligen Verfügungs-

verfahren geführt werden - alles sehr schnell gehen. Ruft etwa ein Mandant aufgeregt an, dass ein Wettbewerber das von ihm in jahrelan-ger Arbeit entwickelte Computerspiel nachpro-grammiert hat, muss der Medienanwalt sofort reagieren. Er muss ein Muster beschaffen, um die Verletzungshandlung später im Prozess be-

legen zu können. Screenshots werden von der Werbung im Internet erstellt. Weitere Informationen über die Art und den Umfang der Verletzung müssen gesammelt und dokumentiert werden. Dann wird ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vorbereitet. Die große Kunst besteht nun darin, die komplexen computerspie-lspezifischen Zusammenhänge so aufzubereiten, dass das Gericht sie versteht. Dazu muss der Anwalt selbst die Materie natürlich vollständig durchdrungen haben. Er fungiert als Übersetzungsorgan zwischen Mandant und Gericht. Aufgrund der Vielfältigkeit der Fallgestaltungen ist die Arbeit sehr abwechslungsreich. Jedes Medium hat seine eigenen Regeln; das Filmbusiness und die Verlags-branche haben beispielsweise völlig andere Strukturen, auf die sich ein Medienanwalt einstellen muss.Trotz der hohen fachlichen Spezialisierung ist ein breites juristisches Wissen erforderlich. Während in einem pres-serechtlichen Fall plötzlich geprüft werden muss, ob eine Beleidigung oder Verleumdung im Sinne des Strafrechts vorliegt, spielen im Datenschutzrecht verwaltungsrecht-liche Grundsätze eine Rolle. Es kann sogar passieren, dass man einen Mandanten vor dem Verfassungsgericht vertreten muss. Aufgrund der starken Europäisierung des Medienrechts müssen viele Vorschriften europarechts-konform ausgelegt werden. Ausgezeichnete Kenntnisse des Prozessrechts sich darüber hinaus unerlässlich.Da sehr viele Mandanten im Ausland sitzen oder in-ländische Mandanten mit ausländischen Gesellschaften Verträge schließen, können Juristen ohne sehr gute Eng-lischkenntnisse die Aufgaben nicht bewältigen.Die Anforderungen an Referendare und Berufsanfänger in Boutiquen für Medienrecht sind hoch und stehen den der Großkanzleien kaum nach. Viele der Anwälte in Top-Medienboutiquen haben ihre Karriere in Großkanzleien begonnen, bevor sie in kleinere Einheiten gewechselt sind. Allerdings bieten Boutiquen auch für Berufseinstei-ger viele Vorteile. Aufgrund des kleineren Zuschnitts ist die Betreuung oft besser und der Lerneffekt damit höher. Während die größeren Kanzleien wissen, dass viele Be-rufsanfänger nur zwei bis drei Jahre bei ihnen bleiben, sind die Boutiquen in der Regel an einer langfristigen

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Zusammenarbeit interessiert. Es besteht meistens eine reale Chance, später einmal als Partner aufgenommen zu werden. Die Ausbildung der jungen Kollegen ist also eine Investition in die Zukunft der Kanzlei. Sehr ange-nehm ist zudem, dass die strategischen Entscheidungen von den Partnern vor Ort und nicht in London, Houston oder Chicago getroffen werden. Die Gehälter in Medienboutiquen liegen deutlich unter denen der Großkanzleien, dafür lassen die Arbeitszeiten noch ein Privatleben neben dem Job zu. Außerdem haben Berufsanfänger in Boutiquen von Beginn an den direkten Mandantenkontakt. Wer mit dem Gedanken spielt, später Medienanwalt zu werden, sollte während seines Referen-dariats die Anwalts- oder Wahlstation in einer Boutique verbringen, um die Atmosphäre dort kennenzulernen. Danach kann man gut einschätzen, ob man eher eine Großkanzlei oder eine kleine Einheit bevorzugt. Die of-

JURA-HAUSARBEITEN- UND KLAUSUREN-AGan der Goethe-Universität zu Frankfurt am Main

»Erste Hilfe« für Juristen!

Die folgenden Probleme kennst Du (wahrscheinlich) zur Genüge:Du schreibst Deine erste Hausarbeit oder Klausur und hast keine Ahnung, wie die Anforderungen hierfür sind.- Wie baue ich die Arbeit auf? - Welche Form wird erwartet?- Was und wie wird geprüft?- Wie formuliere ich richtig?- Welche Fehler sollte ich unbedingt vermeiden?

oder

Du hast zwar schon mal eine Hausarbeit oder Klausur ge-schrieben, brauchst aber für eine aktuelle Arbeit noch ein paar Ideen für die möglichen Lösungswege oder Hinweise zur Literatur.

oder

Du bereitest Dich schon auf Dein Examen vor und willst zur Übung nochmals Sachverhalte wie in den Klausurenkursen selbst lösen?

Dann

kann Dir die JURA-HAUSARBEITEN- UND KLAU-SUREN-AG an der Uni Frankfurt sicher weiterhelfen.

Wir sind ein ehrenamtliches, nicht-kommerzielles studen-tisches Projekt im Rahmen der Fachschaft Jura und haben mittlerweile über 4.000 juristische Originalarbeiten mit Originalkorrekturen und teilweise mit Lösungsskizzen der Lehrstühle aus allen Rechtsgebieten gesammelt, layoutet und katalogisiert. Wir geben die Arbeiten gegen lediglich

fenen Stellen für Berufsanfänger in Boutiquen sind rar und werden selten öffentlich ausgeschrieben. Meistens stellen die kleinen Spezialkanzleien junge Juristen ein, die sie bereits während der Referendarstation kennenge-lernt haben.1

* Dr. Christian Rauda ist Partner der Medienrechtskanzlei GRAEF Rechtsanwälte. GRAEF Rechtsanwälte ist spezialisiert auf die High-End Beratung in komplexen Mandaten auf den Gebieten des Medienrechts und des geistigen Eigentums. Unsere Mandanten sind führende deutsche und internationale Medienunternehmen aus der Filmbranche, der Verlagsbranche und der Gamesbranche sowie Werbeagenturen, Unternehmen des Web 2.0 und Lifestyle-Markenartikler. Wir vertreten darüber hinaus Prominente beim Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte und Autoren, Schauspieler, Fotografen, Designer, etc. beim Schutz ihrer kreativen Leistungen. www.graef.eu

Erstattung der Kopier- und Layoutkosten ab. Die Höhe der Kosten richtet sich nach der Anzahl der Seiten, also je di-cker desto teurer. Höhere Preise bei Klausuren deuten auf Lösungsskizzen oder Abschriften der Bearbeitung hin.

Du kannst Dir auf unserer Homepage http://www.giraffen-uni-frankfurt.de unter dem Hinweis „Sammlung“ alle aktu-ellen Inhaltsverzeichnisse zu den einzelnen Rechtsgebieten (Kleiner und Großer Schein dogmatische Fächer sowie Grundlagenscheine und Examinatorien) ansehen.

Du kannst, um Arbeiten zu bekommen,

entweder

in unseren Öffnungszeiten: Mo. 14.30 – 17.00 Uhr, Do. 13.30.- 17.00 Uhr und 20.00 – 22.30 Uhr zu uns in unser Büro in der Johann Wolfgang Goethe-Uni-versität, 60325 Frankfurt am Main (Bockenheimer Warte), Studentenhaus Jügelstraße, 1. OG, Raum 136 kommen - die Anreise ist mit dem Semesterticket problemlos möglich.

oder

die Arbeiten auch per Post bestellen; hierfür lies Dir bitte die „Hinweise für Studenten anderer Unis“ durch, die Du auch auf unserer Homepage findest.

Gerne kannst Du uns auch Deine Hausarbeiten und Klau-suren (möglichst mit Lösungsskizzen, auch Klausurenkurse) mitbringen, für die Modalitäten rufe einfach bei uns an. Für Deine Arbeiten, die wir in die Sammlung aufnehmen, er-hältst Du eine kleine finanzielle Anerkennung.

Impressum:JURA-HAUSARBEITEN- UND KLAUSUREN-AG an der Uni Frankfurt, Silvia Ohde, Studentenhaus,Jügelstraße 1, 60325 Frankfurt am Main, Tel.: (069) 798-23452; E-Mail [email protected]

Ausbildung

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Internationalisierung und Europäisierung des RechtsEinführung in das Studium des Schwerpunktbereichs

Von Univ.-Prof. Dr. Rudolf Streinz, München*

Die Europäisierung des Rechts ist ein Gemein-platz. Zunehmend wird sie auch in der Recht-spraxis und auch im Studium realisiert, wenn-gleich man in beiden Bereichen bisweilen noch Erstaunliches erlebt. Heuer können 60 Jahre Europarat (5. Mai 1949) gefeiert werden. 2007 fanden die Feiern zu 50 Jahre Römische Ver-träge (25. März 1957 Vertrag zur Gründung der Europä-ischen Wirtschaftsgemeinschaft und Vertrag zur Grün-dung der Europäischen Atomgemeinschaft; bereits 1951 wurde der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl abgeschlossen, der 1952 in Kraft und 2002 außer Kraft trat) statt, wozu die „Berliner Erklä-rung“ verabschiedet wurde Angesichts dessen dauerte es ohnehin ziemlich lange, bis Anfang der 90er Jahre das Europarecht in den Grundzügen Pflichtstoff der Juris-tenausbildung wurde. Bis auf die Bezüge des Grundge-setzes zum Völkerrecht ist das internationale Recht meist Wahlfach geblieben, und zwar sowohl das Völkerrecht („Public International Law“) als auch das Internationale Zivilrecht und das Internationale Privatrecht als natio-nales Recht mit internationalem Bezug. Beides wird der Bedeutung dieser Rechtsgebiete nicht gerecht, denkt man nur an die Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder grenzüberschreitende Kaufverträge. Nach der Er-setzung der Wahlfachgruppen durch das Schwerpunkt-bereichsstudium, das mit der Juristischen Universitäts-prüfung abschließt, die mit 30 Prozent neben der Ersten Juristischen Staatsprüfung in die Note der Juristischen Prüfung eingeht, stellen sich neue Fragen bzw. sind bis-herige Fragestellungen neu zu überdenken: Wo und wie sollen Schwerpunktbereiche mit den „internationalen“ Fächern gebildet werden? Wie sollen die Schwerpunkt-bereiche zum Pflichtstoff abgestimmt werden und was soll von den „internationalen“ Fächern zwingend zum Pflichtstoff gehören angesichts der Tatsache, dass dieser nicht überlastet werden darf und angesichts der Einfüh-rung von Schwerpunktbereichen, die über die bisherigen Wahlfächer hinausgehen, eigentlich entlastet werden sollte? Die Reduktion von Klausuren und der Versuch, den Stoff durch die Beschränkung auf „Grundzüge“, ggf. unter ausdrücklicher Ausnahme bestimmter Gebiete, zu reduzieren löst das Problem nicht. Wichtiger wäre hier, sich beim Entwurf, bei der Auswahl und bei der Korrek-tur von Prüfungsaufgaben zu fragen, was angesichts der – m.E. grundsätzlich durchaus beizubehaltenden – Breite des Stoffes billigerweise erwartet werden kann und wirk-lich auf Verständnis und nicht auf reines Faktenwissen

zu achten.Das Recht der Europäischen Union erfasst alle Rechtsbereiche, so dass sich kaum noch „ge-meinschaftsfeste“ Materien finden lassen. Über die Grundfreiheiten werden auch Materien be-einflusst, die „an sich“ noch in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben sind, z.B. das

Recht der direkten Steuern. Auch das Strafrecht wird nicht nur durch das Recht der bis zum (noch unsicheren) Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon noch bestehen-den „Dritten Säule“ (vgl. z.B. den Europäischen Haft-befehl und die Probleme seiner Umsetzung, aufgezeigt am Darkazanli-Urteil des BVerfG) berührt, sondern auch durch das Recht der EG als „Erster Säule“, wie das Urteil des EuGH im Fall des Umweltstrafrechts bei Meeresver-schmutzungen zeigt. Dies führt dazu, dass das Pflichtfach Europarecht als Querschnittsmaterie die Grundlagen für die europarechtlichen Auswirkungen in den jeweiligen Spezialfächern liefern soll. Daher erfasst der Pflichtstoff die Institutionen der EG, die Rechtsquellen einschließlich der Rechtsetzung, das Rechtsschutzsystem, insbesondere das Zusammenwirken der nationalen Gerichte als „Ge-meinschaftsrechtsgerichte“ mit dem EuGH im Vorab-entscheidungsverfahren (Art. 234 EGV), das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht (Vorrang des Gemeinschaftsrechts und seine Bedingungen), den Vollzug des Gemeinschaftsrechts und die Grundzüge der Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes bzw. Bin-nenmarktes. Darauf können dann die Rechtsgebiete des Zivilrechts (vgl. dazu z.B. Katja Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008), des Strafrechts (vgl. dazu z.B. Helmut Satzger, Internatio-nales und Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2008) und des Öffentlichen Rechts (Europäisierung des Verwaltungs-rechts und des Verwaltungsprozessrechts, Änderungen und Modifizierungen des Grundgesetzes, Auswirkungen auf das Besondere Verwaltungsrecht, z.B. Vergaberecht und Beihilfenrecht) aufbauen. Der Pflichtstoff des Euro-parechts ist aber auch die Basis für den entsprechenden Schwerpunktbereich.Der „internationale“ Schwerpunktbereich umfasst meis-tens als Kerngebiete das Völkerrecht und das Europa-recht. Nicht wenige Fakultäten verbinden dies mit dem Internationalen Privatrecht und dem Internationalen Zivilprozessrecht (z.B. Augsburg, Bayreuth, Erlangen-Nürnberg, Hannover, Potsdam). Dies ist eine reizvolle Kombination, nicht nur sachlich, sondern auch „prü-fungstaktisch“, soweit Internationales Privatrecht und

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Europarecht im Assessorexamen (Zweite Juristische Staatsprüfung) in einer Wahlfachgruppe verbunden sind. Freilich muss dem dann doch recht breiten Schwerpunkt-bereich durch Stoffbegrenzung in den Prüfungen Rech-nung getragen werden. Dies kann auch durch die Bildung von Unterschwerpunkten geschehen (z.B. Frankfurt/Oder). Das Internationale Privatrecht wird auch allein mit dem Europarecht verbunden (z.B. Bochum). Wei-tere mögliche Ergänzungen sind z.B. die Allgemeine und vergleichende Staatslehre, die Verfassungsgeschichte die Rechtsvergleichung sowie ausländisches Recht. Durch die Modularisierung von Schwerpunktbereichen sind weitere Kombinationen mit Wahlmöglichkeiten denkbar (z.B. Düsseldorf, Passau). Eine spezielle Form eines in-ternationalen Schwerpunktbereichs ist die Anerkennung eines vollwertigen ausländischen Studienabschlusses, z.B. der französischen Licence (Bachelor) im Rahmen eines integrierten Studienplanes (z.B. HU Berlin, LMU München, Potsdam).Da das Völkerrecht im Pflichtstoffbereich meist allein vom sog. Staatsrecht III (Verfassungsrecht III), d.h. den Bezügen des Grundgesetzes zum Völkerrecht (z.B. Prä-ambel, Art. 24-26, Art. 32, Art. 59 GG) erfasst wird, was freilich auch die Vermittlung der betreffenden Bezugs-materien des Völkerrechts (Begriff „Völkerrecht“, Völ-kerrechtssubjekte, Völkerrechtsquellen, Völkerrecht und Landesrecht, Internationale Organisationen in Grundzü-gen) voraussetzt, kann hier in der Regel nicht auf allzu viel aufgebaut werden. Im Schwerpunktbereich vertieft daher in der Regel die Vorlesung „Allgemeines Völker-recht“ („Völkerrecht I“) die genannten Materien, zeigt die Funktion und Gestaltungsaufgaben des Völkerrechts sowie aktuelle Entwicklungslinien auf, vermittelt Rechte und Pflichten der Staaten, z.B. Gewaltverbot, Interven-tionsverbot, Immunität und die Grundsätze völkerrecht-licher Verantwortlichkeit. In der Vorlesung „Besonderes Völkerrecht“ („Völkerrecht II“) werden das Recht der Internationalen Organisationen (insbesondere Vereinte Nationen und Europarat – letzterer sollte zusammen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Grund-zügen bereits im Pflichtstoff Europarecht behandelt werden) sowie spezielle Materien des Völkerrechts wie völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz, internationales Umweltrecht, Wirtschaftsvölkerrecht (Welthandelsrecht, World Trade Organization – WTO; Investitionsschutz), Kriegsrecht und Völkerstrafrecht. Zu diesen und zu wei-teren Materien werden auch spezielle Vorlesungen und Vertiefungsveranstaltungen angeboten. Das Beispiel Völkerstrafrecht zeigt die Kombinationsmöglichkeit mit anderen Schwerpunktbereichen, wozu hier als weitere Beispiele nur die Völkerrechtsgeschichte oder Interna-tionale Beziehungen (Einbeziehung der Politikwissen-schaft) genannt seien. Im Europarecht kann dagegen auf den Pflichtstoff auf-gebaut werden. Im Schwerpunktbereich wird das dort

vermittelte institutionelle und materielle Recht vertieft. Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Union und seine Verknüpfung mit dem nationalen Rechtsschutz-system, die Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes bzw. Binnenmarktes, die Unionsbürgerschaft, Rechtsan-gleichung und gegenseitige Anerkennung als Methoden zur Herstellung des Binnenmarktes sind auch die Kern-materien des Schwerpunktbereichs Europarecht. Sie sind auch die Basis für das Europäische Wirtschaftsrecht, das in vielen Prüfungsordnungen besonders hervorgeho-ben wird. Dabei werden neben weiterer Vertiefung der Grundfreiheiten z.B. das Beihilfenrecht, das Vergabe-recht, das Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), das Recht des unlauteren Wettbewerbs und das Außenwirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft (Gemeinsame Handels-politik) behandelt. In Grundzügen sollen auch allgemein die weiteren „Politiken“ der EG behandelt werden, ins-besondere die Sozialpolitik mit ihren erheblichen Aus-wirkungen auf das Arbeitsrecht (soweit nicht bereits Pflichtstoff), die Umweltpolitik, die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), die Verbraucherschutzpolitik und die Gemeinsame Agrarpolitik. In Wahlpflichtberei-chen können spezielle Materien wie z.B. europäisches Energierecht, europäisches Lebensmittelrecht oder Regi-onalpolitik behandelt werden. Hinzu kommt das spezi-elle Recht der Europäischen Union, d.h. zum einen die Struktur der Europäischen Union, zum anderen deren operative Felder, die Gemeinsame Außen- und Sicher-heitspolitik (GASP) sowie Verteidigungspolitik und die Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsa-chen (PJZS). Wenn der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, sind insoweit Umstrukturierungen erforderlich, da die bisherige PJZS durch die Regelung im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auch materiell in die einheitliche Europäische Union einbezo-gen wurde, während die GASP nach wie vor eine Son-derstellung genießt, die sich auch in der Regelung im geänderten Vertrag über die Europäische Union (EUV n.F.) zeigt. Die Spezialmaterien eröffnen auch hier Kom-binationsmöglichkeiten mit anderen Schwerpunktberei-chen (Wettbewerbsrecht, Kartellrecht, Arbeitsrecht, So-zialrecht, aber auch z.B. Europäische Rechtsgeschichte oder Recht und Politik).Die Prüfungen in den Schwerpunktbereichen liegen in der Eigenverantwortlichkeit der jeweiligen Fakultäten. Entsprechend groß sind die Unterschiede. In der Regel wird eine Seminararbeit verlangt, was auch geboten ist, will man dem Ansatz, das wissenschaftliche Studium zu vertiefen, wirklich entsprechen. Als Klausuren kom-men Abschlussklausuren zu einzelnen Vorlesungen oder eine übergreifende Abschlussklausur in Betracht, die sich aber auch an den konkret angebotenen Vorlesungen orientieren sollte und nicht eine bloße Fortsetzung der bisherigen Wahlfachklausur sein sollte. Zum Teil kommt eine mündliche Prüfung hinzu. Soweit dies (wie z.B. an

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der LMU) aus Kapazitätsgründen wieder abgeschafft wurde, muss dem Anteil des Mündlichen im Rahmen der Seminarleistung Rechnung getragen werden. Ein Ärger-nis sind die offenbar verbreiteten unterschiedlichen Be-wertungen nicht nur zwischen den Fakultäten, sondern auch innerhalb einer Fakultät und auch innerhalb eines Faches. Wenn um Studierende mit der Vergabe guter Noten regelrecht geworben wird, braucht man sich nicht zu wundern, wenn seitens der Praxis die Schwerpunkt-bereichsnote nicht ernst genommen und nur auf die Note im Staatsexamen geachtet wird. Dies ist schade, weil ein vernünftiges Schwerpunktbereichsstudium (das eine aus-sagekräftige Prüfung bzw. eine Prüfung, die sich zumin-dest darum bemüht, einschließt) durchaus eine Bereiche-rung darstellt. Dass die Noten im Schwerpunktbereich im Durchschnitt besser ausfallen als die im Staatsexamen ist in einem gewissen Rahmen angesichts der Spezialisie-

rungsmöglichkeit und des im Schwerpunkt gebrachten Einsatzes durchaus sachgerecht. Es ist zu hoffen, dass sich im Laufe längerer Praxis hier manches einpendelt.Der Schwerpunktbereich europäisches und internatio-nales Recht erfordert sicherlich nicht wenig Aufwand. Unerlässlich sind gute englische Sprachkenntnisse, Fran-zösisch sollte zumindest passiv vorhanden sein, weitere Sprachen sind hilfreich, schon wegen des gerade in die-sem Schwerpunktbereich besonders zu empfehlenden Auslandsaufenthalts, z.B. bei der Europäischen Union oder bei Internationalen Organisationen. Damit sind auch Bereiche späterer Berufschancen angesprochen. Dazu gehören ferner der auswärtige Dienst, internationale An-waltskanzleien, international tätige Unternehmen oder Verbände. Die Europäisierung und Internationalisierung des Rechts fordert aber eigentlich von jedem Juristen Kenntnisse auf diesen Gebieten.

LL.M. FinanzierungDie Walter-Oppenhoff-Stiftung macht‘s möglich

Von Rechtsanwalt Michael Bonsau, Köln*

LL.M. im AuslandDer Entschluss, einen LL.M. Titel im Ausland zu erwerben, wird von vielen Interessenten häufig aus Gründen des erheblichen Finanzierungsbedarfs zu früh verworfen. Das muss nicht zwangsläufig so sein, denn obwohl die Zahl der Fördermöglichkeiten für LL.M. Studenten in Deutschland recht überschaubar sind, bieten sich ein gutes Dutzend Stipendiengeber für die Finanzierung einer solchen Qualifizierungsmaßnahme an. Neben dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) bieten bspw. auch ein halbes Dutzend Kanzleien Stipendien an. International agierende Wirtschaftskanzleien hegen insbesondere bei amerikanischen oder englischen LL.M. Titeln die Erwartung, dass der Absolvent sich mit der Geschäftskultur und der Rechtspraxis im anglo-amerikanischen Raum vertraut machen konnte und somit ein grundlegendes Verständnis für die Bedürfnisse künftiger Mandanten gewonnen hat. Insbesondere für Studenten die Ihre Zukunft in wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzleien sehen, ist daher der im englischsprachigen Ausland erworbene LL.M. ein großer Pluspunkt beim Eintritt in das Berufsleben. Darüber hinaus bietet das LL.M. Studium im englischsprachigen Ausland nicht nur einen Titelerwerb sondern auch einen qualifizierten Fremdsprachennachweis. Neben hervorragenden Examina sind im Ausland erworbene gute Sprachkenntnisse von

enormer Bedeutung. Junge Juristen sollten sich daher nicht nur auf das typisch deutsche Anwaltsgeschäft konzentrieren, sondern ganz bewusst über die Grenzen hinausgehen. Hierzu bietet sich bspw. ein LL.M.- Programm als Zusatzqualifikation an. Gerade ein in den Vereinigten Staaten erworbener LL.M. Titel

wird von vielen deutschen Kanzleien honoriert.

Förderung durch die Walter-Oppenhoff-StiftungEine der Stiftungen, die für LL.M. interessierte Bewerber offensteht, ist die Walter-Oppenhoff-Stiftung, die 1996 aus Anlass des 90. Geburtstages von Walter Oppenhoff von seinen damaligen Partnern ins Leben gerufen wurde. Walter Oppenhoff war einer der ersten deutschen Anwälte mit internationaler Ausrichtung und damit Vorreiter einer Entwicklung, die Oppenhoff & Partner auch heute noch konsequent weiter betreibt.

Die Stiftung vergibt jährlich bis zu drei Teilstipendien für ein LL.M. Studium an einer Hochschule in den Vereinigten Staaten. Das Angebot richtet sich an hochqualifizierte deutsche Juristinnen und Juristen mit Interesse an der grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit. Nach Abschluss eines entsprechenden deutschen Studiums besteht so die Möglichkeit für das Auslandsstudium in den USA eine finanzielle Unterstützung und so in den Genuss fachlicher Zusatzqualifikationen zu kommen. Ein wertvoller „Baustein“ also, um nicht nur der eigenen

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Ausbildung

Vita mehr Attraktivität zu verleihen – sondern die eigene Karriere nachhaltig zu fördern.Die Walter Oppenhoff Stiftung wird verwaltungsmäßig von dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft betreut. Interessenten für die Förderung durch die Walter-Oppenhoff-Stiftung können sich bis 31. März eines jeden Jahres mit aussagefähigen Bewerbungsunterlagen (Zeugnissen, Referenzen, Gutachten, Beschreibung des Studienvorhabens, ggf. Zusage der Law School) bei Oppenhoff & Partner bewerben. Es werden üblicherweise bis zu. 10 Kandidaten zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch nach Köln eingeladen. Die Einladungen erfolgen in der Regel im Juni/ Juli, nachdem die Entscheidungen über die Gewährung von (Teil-) Stipendien des DAAD, anderer Förderungsinstitutionen und/oder der US-Universitäten, an denen sich die Kandidaten beworben haben, vorliegen. Bei der Entscheidung spielt die Eignung des Kandidaten für eine anwaltliche Tätigkeit sowie die Finanzierung des Gesamtprojektes eine Rolle.

Stimmen von Teilnehmern des Stipendiatenpro-gramms der Walter-Oppenhoff-Stiftung

„Die NYU bietet ein tolles, internationales Umfeld mit interessanten und netten Leuten, hochkarätigen Professoren und vielen hervorragenden Veranstaltungen. Inhaltlich gehe ich einen Mittelweg, belege US-amerikanisches Recht, wie z.B. Corporations und Constitutional Law, verfolge aber gleichzeitig meine Interessen im Kartell- und internationalen Handelsrecht. Einige der Vorlesungen habe ich so abgestimmt, dass sie hervorragend zu meinem Dissertationsprojekt passen. Allein das letzte Semester hat mich diesbezüglich so weit vorangebracht, wie ich es nicht für möglich gehalten habe. Nach Abschluss des LL.M. im Mai habe ich noch vor, mich auf das NY Bar Exam vorzubereiten und das Examen Ende Juli zu durchlaufen.“Christian Melischek, New York University, 2009

„Das LL.M. Programm an der University of Chicago Law School ist mit nur 50 internationa-len Studenten ein sehr kleines LL.M. Programm und anders als bei manch anderen Universitäten vollständig in den amerikanischen Studienablauf integriert. Inhaltlich wird einem seitens der Universität keinerlei Grenzen gesetzt, man kann alle Kurse frei kombinieren und so seinen eigenen Schwerpunkt setzen. So konnte ich bspw. bei Seminaren mit nur 12 Studenten im Wohnzimmer von Judge Posner und Professor Nussbaum vieles erleben. Die Unterstützung durch die Walter-Oppenhoff-Stiftung hat einen wichtigen Beitrag zu der Finanzierung dieses einmaligen Jahres geleistet.“Stephanie Beer, University of Chicago Law School, 2008

„Obwohl es nicht ratsam ist, sich bei der Bewerbung auf eine Universität zu konzentrieren, da selbst ausgezeichnete Qualifikationen kein Garant für die Zulassung sind, hatte ich mich auf die Zulassung an der NYU School of Law festgelegt. Grund dafür war der exezellente Ruf der NYU im Bereich der Rechtsphilosophie. Kaum in New York angekommen, erhält man als LL.M. Student der NYU eine einwöchige Einführungsveranstaltung „Introduction to the US Law“, die in gebotener Kürze einen Einblick in das US- amerikanische Recht und die Stu-dierweise gewährt. Sowohl in persönlicher als auch in fachlicher Hinsicht war dieses Studienjahr überaus gewinnbringend.“Nefail Berjasevic, New York School of Law, 2008

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* Michael Bonsau ist HR Partner der Sozietät Oppenhoff & Partner. Er ist spezialisiert auf Prozessführung, Schiedsgerichtsverfahren und einstweiligen Rechtsschutz im Handels- und Wirtschaftsrecht. Von 1998 bis 2007 war er Partner bei Oppenhoff & Rädler / Linklaters LLP. Er studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Bielefeld und Köln.Oppenhoff & Partner berät Unternehmen und Unternehmer in allen wesentlichen wirtschaftsrechtlichen Fragen. Dabei knüpft die Sozietät an eine 100-jährige Tradition erfolgreicher Rechtsberatung in Köln an, die seit fast 80 Jahren auch mit dem Namen Oppenhoff verbunden ist. Seit der Gründung der ersten Vorgängersozietät im Jahre 1908 hat sich die Kanzlei über die Jahrzehnte zu einer führenden, überregional und international tätigen Anwaltskanzlei in Deutschland entwickelt. Nach der Trennung aus dem internationalen Verbund mit Linklaters setzen rund 55 Anwältinnen und Anwälte ihre Tätigkeit als unabhängiges deutsches Büro unter dem Namen Oppenhoff & Partner erfolgreich fort.

Weiter Informationen zu Stipendien der Walter-Oppenhoff-Stiftung finden Sie unter: http://stiftungen.stifterverband.info/t244_oppenhoff/index.html und http.//www.oppenhoff.eu/karriere.

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Eigenverantwortung in der Insolvenz« Modewort oder realistische Sanierungschance »

Von Rechtsanwalt Dr. Jochen Markgraf, Düsseldorf*

I. EinleitungKaum ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenz-verfahrens wurde in jüngster Zeit im In- und Ausland so beachtet wie der Antrag der Arcan-dor Aktiengesellschaft, Essen, und deren Toch-tergesellschaften Karstadt Warenhaus GmbH, Primondo GmbH und Quelle GmbH. Mehr als 50.000 Mitarbeiter sind von der Krise dieses traditions-reichen Handelskonzerns betroffen. Es verwundert daher nicht, wenn seitdem in der Öffentlichkeit ausführlich die Sanierungschancen von Arcandor diskutiert werden1. Insbesondere von der Durchführung eines Insolvenzver-fahrens in Eigenverwaltung versprechen sich die Betei-ligten eine Chance, den Konzern erfolgreich zu sanieren und damit langfristig sein Überleben zu sichern. Über-haupt verstärkt sich zusehends der Eindruck, dass wann immer gegenwärtig die Insolvenz eines Unternehmens droht, die Forderung nach einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung laut wird. Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Verfahrensart, die u.a. auch bei Unter-nehmen wie Philipp Holzmann, Babcock Borsig oder Ihr Platz zur Anwendung kam? Was ist die Besonderheit der Eigenverwaltung, was sind ihre Voraussetzungen? Der vorliegende Beitrag soll diesen Fragen nachgehen und ei-nen allgemeinen Überblick über diese Verfahrensart bie-ten. Im Zentrum der Untersuchung soll dabei die Frage stehen, ob das Institut der Eigenverwaltung tatsächlich eine praxistaugliche und realistische Möglichkeit dar-stellt, ein kriselndes Unternehmen zu sanieren, oder ob der Begriff „Eigenverwaltung“ in Zeiten der Wirtschafts-krise eher als Modewort ohne grundlegende Bedeutung für die Sanierungspraxis verstanden werden muss.

II. Wesen der EigenverwaltungIm Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Schuldners ist seine finanzielle Kri-se so weit fortgeschritten, dass nunmehr ein staatliches Verfahren notwendig ist, das die gemeinschaftliche und gleichmäßige Verteilung seines gesamten der Zwangs-vollstreckung unterliegenden Vermögens auf alle Gläu-biger vorsieht. Dies ist nach § 1 Satz 1 Insolvenzordnung (InsO) das vorrangige Ziel eines Insolvenzverfahrens2. Um es zu erreichen, ist es erforderlich, im Insolvenzver-fahren Maßnahmen zur Sicherung der Haftungsmasse zu � Eine Option wäre eine übertragende Sanierung; die Metro AG hat Interes-se an einer Verschmelzung der Karstadt Warenhaus GmbH und der Galeria Kaufhof GmbH unter ihrem Dach bekundet.� Vgl. eingehend zu den Zielen des Insolvenzverfahrens: Ganter, in: MünchKomm, InsO, 2. Aufl. 2007, § 1 Rdn. 20.

treffen3. Hierzu sieht die InsO u.a. vor, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein In-solvenzverwalter bestellt wird. Auf diesen geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO mit Eröffnung des Verfahrens das Recht des Schuldners über, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und hierüber zu verfügen. Der kraft

Gesetzes eintretende Verlust der Verwaltungs- und Ver-fügungsbefugnis des Schuldners führt dazu, dass dieser nicht mehr berechtigt ist, eigenständig die Geschäfte zu führen und den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten.Im eröffneten Insolvenzverfahren ist es folglich allein der Insolvenzverwalter, der die Geschäfte des Schuldners führt. Hierzu hat er sich in kürzester Zeit einen Überblick über die Geschäfte, Situation und Struktur des Schuld-ners zu verschaffen. Neben den allgemeinen negativen Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf seinen Ge-schäftsbetrieb muss der Schuldner dabei befürchten, dass der eingesetzte Insolvenzverwalter – aus welchen Grün-den auch immer – einen nicht mehr umkehrbaren Pro-zess der Zerschlagung des Unternehmens in Gang setzt. Diese Befürchtungen vieler Schuldner sind berechtigt, da sich in der Praxis tatsächlich zeigt, dass die Mehrzahl der eröffneten Insolvenzverfahren durch Verwertung des Schuldnervermögens und Verteilung der Masse unter den Gläubigern beendet wird. Der Sanierungsgedanke spielt dabei oftmals eine eher untergeordnete Rolle.Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und im Jahr 1999 mit der Eigenverwaltung eine neue Verfahrensart im deutschen Insolvenzrecht implementiert. Die Eigen-verwaltung, die ihre Wurzeln in der US-amerikanischen Regelung des „debtor in possession“ hat, wird von dem Grundgedanken geleitet, dass es in bestimmten Konstel-lationen und unter bestimmten Voraussetzungen vorteil-haft sein kann, wenn die Verwaltungs- und Verfügungs-befugnis über das Vermögen des Schuldners bei diesem verbleibt und er lediglich der Aufsicht eines vom Insol-venzgericht bestellten Sachwalters unterstellt wird4. Im Unterschied zum Regelinsolvenzverfahren kann der be-troffene Schuldner somit seine Geschäfte wie bisher und ggf. mit derselben Geschäftsleitung fortsetzen. Im Rah-men der Eigenverwaltung – und das ist der entscheidende Vorteil gegenüber einer Sanierung außerhalb des Insol-venzverfahrens – hat der Schuldner größere Spielräume,

� Maßnahmen zur Sicherung der Haftungsmasse kann das Insolvenzgericht bereits unmittelbar nach der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens anordnen, vgl. § 21 InsO.� Vgl. hierzu Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2009, § 270 Rdn. 3 ff.

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weil er sich der Mittel der InsO, wie beispielsweise des Insolvenzplanverfahrens, bedienen kann.

III. Überblick über die gesetzlichen RegelungenDie Eigenverwaltung ist geregelt in den §§ 270 bis 285 InsO, die sich in zwei Regelungskomplexe aufteilen las-sen. Die §§ 270 bis 273 InsO beinhalten im Wesentlichen die Voraussetzungen sowie das Verfahren für die Anord-nung und Aufhebung der Eigenverwaltung durch das zuständige Insolvenzgericht. Die §§ 274 bis 285 InsO normieren die Kompetenzverteilung zwischen den Betei-ligten5. Die §§ 270 bis 285 InsO sind nicht abschließend, so dass ergänzend gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO die allgemeinen Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens gelten, die aber an die Kompetenzverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter in der Eigenverwaltung anzu-passen sind6. Auch im Rahmen der Eigenverwaltung gilt – und darauf ist besonders Wert zu legen – der Grundsatz der Gläubigerautonomie und Gläubigerselbstverwaltung. Dementsprechend kann bei der Eigenverwaltung, wie im Regelinsolvenzverfahren auch, ein Gläubigerausschuss bestellt werden, dem eine Kontrollfunktion zukommt7.

IV. Voraussetzungen der EigenverwaltungDie Anordnung der Eigenverwaltung durch das In-solvenzgericht erfordert das Vorliegen verschiedener Voraussetzungen. Zu unterscheiden sind dabei die all-gemeinen Voraussetzungen für die Eröffnung eines In-solvenzverfahrens sowie die hinzutretenden besonderen formellen und materiellen Voraussetzungen für die Er-öffnung eines Verfahrens in Eigenverwaltung.

1. Allgemeine VoraussetzungenDie Eigenverwaltung als besondere Verfahrensart der InsO setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Voraus-setzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegen. Zwingend erforderlich ist daher ein schrift-licher Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO. Antragsberechtigt sind ge-mäß § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO der Schuldner sowie dessen Gläubiger. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt ferner voraus, dass ein Eröffnungsgrund gegeben ist, vgl. § 16 InsO. Eröffnungsgründe können sein die Zahlungs-unfähigkeit nach § 17 InsO, die drohende Zahlungsun-fähigkeit nach § 18 InsO sowie die Überschuldung nach § 19 InsO8. Es liegt in der Natur der Sache, dass im Zu-sammenhang mit der Eigenverwaltung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Regel wegen drohender Zah-

� Beteiligte sind der eigenverwaltende Schuldner, der vom Insolvenzgericht bestellte Sachverwalter, die Gläubigerversammlung und – sofern ein solcher besteht – der Gläubigerausschuss.� Vgl. Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm, InsO, § 270 Rdn. 99.� Diese manifestiert sich darin, dass besonders bedeutsame Geschäfte i.S. des § 160 InsO seiner Zustimmung bedürfen.� Im Gegensatz zur Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit ist bei dro-hender Zahlungsunfähigkeit nur der Schuldner antragsberechtigt.

lungsunfähigkeit beantragt wird9. Denn in dieser Phase, die zeitlich der Zahlungsunfähigkeit vorgelagert ist, be-stehen bessere Chancen, das Unternehmen zu sanieren oder geordnet zu liquidieren, als wenn eine Überschul-dung oder eine Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist10.

2. Besondere Voraussetzungena) Antrag des SchuldnersDie Eigenverwaltung wird nur auf Antrag angeordnet. Antragsberechtigt ist gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO allein der Schuldner. Eine Eigenverwaltung gegen den Willen des Schuldners könnte faktisch auch nicht durch-geführt werden, da der Erfolg der Eigenverwaltung im Wesentlichen von seiner Mitwirkung abhängt11. Seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Schuldner – wie z.B. im Fall Karstadt auch erfolgt – mit dem Antrag auf Eigenverwaltung verbinden. Versagt das Insolvenzgericht den Antrag auf Eigenverwaltung, kann der Schuldner seinen Insolvenzantrag nicht mehr zurück-nehmen, vgl. § 13 Abs. 2 InsO12.Hat ein Gläubiger den Insolvenzantrag gestellt, kann der Schuldner bereits im Rahmen seiner Anhörung vor dem Insolvenzgericht, die gemäß § 14 Abs. 2 InsO nach Antragstellung eines Gläubigers erfolgen muss, die Ei-genverwaltung beantragen. Allerdings bedarf der Antrag auf Eigenverwaltung in diesem Fall der Zustimmung des antragstellenden Gläubigers, vgl. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Hierzu erfolgt eine Anhörung des Gläubigers, in der er seine Zustimmung zur Eigenverwaltung von Be-dingungen abhängig machen kann, z.B. einer Einschrän-kung der Verfügungsgewalt des Schuldners.Hat das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung abge-lehnt, jedoch das Insolvenzverfahren eröffnet und einen Insolvenzverwalter bestellt, kann sich die erste Gläu-bigerversammlung13 über die Entscheidung des Gerichts hinwegsetzen und die Eigenverwaltung durch Beschluss beantragen, vgl. § 271 Satz 1 InsO14. An diesen Be-schluss ist das Insolvenzgericht gebunden, so dass es we-der den Beschluss der Gläubigerversammlung noch den Antrag auf Eigenverwaltung selbst ablehnen kann und somit die Eigenverwaltung zwingend anordnen muss.

� Auch Arcandor hat seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit gestützt.�0 Da das Insolvenzgericht nach Antragstellung prüft, ob ein Eröffnungsgrund gegeben ist und ob genügend Vermögen für die Durchführung des Insolvenzverfahrens vorhanden ist, vergeht zwischen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und gerichtlicher Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gewisse Zeit, die i.d.R. drei Monate beträgt. Für diese Zeitspanne, die als vorläufiges Insolvenzverfahren bezeichnet wird, bestellt das zuständige Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter, vgl. § 22 InsO.�� Vgl. Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 270 Rdn. 2.�� Eingehend zu dieser Problematik und den sich dem Schuldner bietenden Möglichkeiten: Schlegel, ZIP 1999, 954 ff.�� Die erste Gläubigerversammlung ist die Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters folgt.�� Für den Beschluss ist die einfache Forderungsmehrheit der abstimmenden Gläubiger erforderlich, vgl. §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 76 Abs. 2 InsO.

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Die Letztkompetenz über die Anordnung der Eigenver-waltung fällt also in die Autonomie der Gläubiger. Nur ausnahmsweise kann das Insolvenzgericht den Beschluss der Gläubigerversammlung auf Antrag der Eigenver-waltung gemäß §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 78 Abs. 1 InsO aufheben, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger, ein nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger oder der In-solvenzverwalter dies beantragen und das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger an optimaler Befriedi-gung dies erfordert.

b) Materielle VoraussetzungenNach § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO kann eine Eigenverwaltung nur angeordnet werden, wenn nach den Umständen zu erwarten ist, dass die Anordnung nicht zu einer Verzöge-rung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Es erfolgt also eine richterliche Prognoseentscheidung, bei der in erster Linie das Gläubi-gerinteresse zu berücksichtigen ist. Das Insolvenzgericht vergleicht dabei den voraussichtlichen Verfahrensablauf mit und ohne Anordnung der Eigenverwaltung15. Nach einer Gesamtbetrachtung muss es zu der Überzeugung gelangen, dass eine Eigenverwaltung das Insolvenzver-fahren nicht verzögert oder beeinträchtigt. Für Tatsachen, die bei der Prognoseentscheidung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sind, trägt der Schuldner die Darlegungs-last16. Kriterien, die bei der Entscheidung des Insolvenz-gerichts ins Gewicht fallen, können beispielsweise sein: Rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags, bisheriges Verhalten des Schuldners gegenüber Gläubigern, funkti-onierende Innenstruktur der Gesellschaft, Gründe für die Krise des Schuldners usw17.

V. Stellung der Beteiligten während der Eigenver-waltungEröffnet das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und ordnet es die Eigenverwaltung an, bestellt es zu-gleich einen Sachwalter. Da die Verfügungs- und Ver-waltungsbefugnis jedoch beim Schuldner verbleibt, soll nachstehend dargestellt werden, welche Funktionen den Beteiligten im Einzelnen zukommt.

1. Schuldner Im Rahmen der Eigenverwaltung hält der Schuldner den Geschäftsbetrieb des Unternehmens aufrecht und führt die Geschäfte fort. Ferner obliegen ihm sämtliche Aufga-ben, die im regulären Insolvenzverfahren dem Insolvenz-verwalter zufallen, vgl. § 271 Abs. 1 Satz 1 InsO, es sei denn, Aufgaben sind gemäß §§ 270 ff. InsO ausdrück-lich dem Sachwalter zugewiesen. Der Schuldner handelt

�� Vgl. Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm, InsO, § 270 Rdn. 35; Westrick, NZI 2003, 65, 67 ff.�� AG Potsdam DZWiR 2000, 343; AG Darmstadt ZIP 1999, 1494; a.A. AG Duisburg ZInsO 2002, 1046; Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1, 6.�� Vgl. Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 270 Rdn. 100; Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm, InsO, § 270 Rdn. 45 ff.

somit als Amtswalter in eigenen Angelegenheiten, muss aber zwingend die insolvenzrechtlichen Grundsätze, ins-besondere den Grundsatz der Gläubigergleichbehand-lung, beachten18. Beispielsweise hat der Schuldner eine Unterrichtungspflicht gegenüber den Gläubigern, vgl. § 281 Abs. 1 Satz 1 InsO und ist gemäß § 281 Abs. 2 InsO verpflichtet, in der Gläubigerversammlung Bericht zu er-statten19.Damit die insolvenzrechtlichen Besonderheiten im Rah-men der Eigenverwaltung im Interesse der Gläubiger und des Unternehmens beachtet werden, bedient sich der Schuldner in der Praxis neben dem Sachwalter zumeist eines zusätzlichen, qualifizierten und im Insolvenzrecht bewanderten Beraters. Idealerweise wird dieser von dem Schuldner als Generalbevollmächtigter oder als Leitungs-organ auf die Ebene der Geschäftsführung berufen20. Dies wird von den Insolvenzgerichten gerne gesehen, da es den ernsthaften Sanierungswillen des Schuldners weiter untermauert. Auch bei Arcandor wurde beispielsweise der Sanierungsexperte Horst Piepenburg zum Generalbe-vollmächtigten bestellt21.

2. SachwalterAnstelle eines Insolvenzverwalters bestellt das Insolvenz-gericht bei der Eigenverwaltung gem. § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO einen Sachwalter. Die Rechtsstellung des Sachwal-ter beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf die Prü-fung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und die Überwachung der Geschäftsführung im eröffneten Ver-fahren, vgl. § 274 Abs. 2 InsO. Obschon die Geschäfts-führung in den Händen des Schuldners liegt, kann der Sachwalter gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO Geschäften, die zum gewöhnlichen Geschäftsgang des Schuldners gehören, widersprechen; Geschäfte, die nicht den ge-wöhnlichen Geschäftsgang betreffen, soll der Schuldner gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Darüber hinaus weist das Gesetz dem Sachwalter auch einzelne Aufgaben ausschließlich zu. Gemäß § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO ist er beispielsweise zuständig für die Anmeldung von Insolvenzforderungen und gemäß §§ 280 i.V.m. 129-147 InsO für die Anfech-tung von Rechtshandlungen22. Ist er von der Gläubiger-versammlung dazu beauftragt, stellt der Sachwalter zu-�� Vgl. Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 270 Rdn. 1.�� Der Schuldner muss ein Verzeichnis der Massegegenstände gemäß § 151 InsO, ein Gläubigerverzeichnis nach § 152 InsO sowie eine Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO erstellen.�0 Es besteht keine gesetzliche Pflicht im Rahmen der InsO einen General-bevollmächtigten zu bestellen. Es handelt sich insofern um eine freiwillige Maßnahme des Schuldners.�� Mit der Begründung mangelnder Unterstützung durch den Großaktionär legte Horst Piepenburg sein Mandat als Generalbevollmächtigter von Ar-candor allerdings am 17. Juli 2009 nieder, vgl. hierzu: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,636632,00.html.�� Die Insolvenzanfechtung ermöglicht dem Insolvenzverwalter, Rechts-handlungen des Schuldners, die dieser in einem gewissen Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen hat und die sein Ver-mögen geschmälert haben, anzufechten mit der Folge der Anreicherung der Insolvenzmasse.

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dem auch einen Insolvenzplan auf, vgl. § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO. Wird der Auftrag an den Schuldner erteilt, wirkt der Sachwalter beratend mit, vgl. § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO. In jedem Fall obliegt dem Sachwalter gem. § 284 Abs. 2 InsO die Aufgabe, die ordnungsgemäße Planerfül-lung zu überwachen.

3. GläubigerNeben der Aufsicht des Sachwalters üben auch die Gläu-biger Kontrollbefugnisse aus. Stärkstes Mittel der Gläu-biger ist der Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO. Antragsberechtigt ist die Gläubigerversammlung, ein absonderungsberechtigter Gläubiger23 oder ein Insolvenzgläubiger24. Es ist jedoch zu unterscheiden, ob der Antrag von der Gläubigerver-sammlung oder einem Gläubiger gestellt wird. Im Ge-gensatz zum Gläubiger muss die Gläubigerversammlung nicht glaubhaft machen, dass die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO weggefallen sind, vgl. § 272 Abs. 2 Satz 1 InsO. Stellt die Gläubigerversammlung den An-trag, findet zudem eine Anhörung des Schuldners nicht statt. Dagegen hat der Schuldner grundsätzlich ein Recht auf eine Anhörung, wenn ein Gläubiger den Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung gestellt hat, vgl. § 272 Abs. 2 Satz 2 InsO. Auch das Recht zur sofortigen Be-schwerde steht dem Schuldner nur zu, wenn die Aufhe-bung der Eigenverwaltung auf Antrag eines Gläubigers erfolgt, vgl. § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO.

VI. Eigenverwaltung und InsolvenzplanZiel des Schuldners ist es, im Rahmen der Eigenverwal-tung das Unternehmen zu sanieren und so schnell wie möglich die Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu er-reichen. Dieses Ziel verfolgt auch das ebenfalls in der InsO reglementierte Insolvenzplanverfahren, das eine zwischen Schuldner und Gläubiger abgesprochene Sa-nierung des Schuldners ermöglichen soll. In der Praxis wird die Eigenverwaltung daher gerne mit einem ein Sanierungskonzept verfolgenden Insolvenzplan kombi-niert. Nachstehend soll die Funktion des Insolvenzplans im Einzelnen dargestellt und untersucht werden, welche Rolle dem Insolvenzplan bei einem Zusammenspiel mit der Eigenverwaltung zukommt.

1. Wesen des InsolvenzplansDer Insolvenzplan, normiert in den §§ 217 bis 269 InsO, ist ein „Deal“ zwischen den Gläubigern untereinander und dem Schuldner, in dem die mit dem Insolvenzverfah-ren zusammenhängenden rechtlichen Verhältnisse neu

�� Die Forderung eines absonderungsberechtigten Gläubigers ist besonders gesichert, vgl. §§ 49 ff. BGB, beispielsweise durch ein Pfandrecht oder einer Sicherungsübereignung.�� Die Forderung eines Insolvenzgläubigers (vgl. § 38 InsO) ist vor Er-öffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner entstanden, nicht gesichert und nicht als nachrangige Forderung i.S.d. § 39 InsO zu quali-fizieren.

geregelt werden25. Dieses Verfahren bietet eine Alter-native zum regulären Insolvenzverfahren, indem es die Insolvenzabwicklung in die Hände der Beteiligten legt, die damit von der InsO abweichende Regelungen treffen können26. Der Insolvenzplan bietet dem Schuldner einen weiten und flexiblen Gestaltungsspielraum, die Zukunft des Unternehmens zu gestalten27. So kann der Schuldner im Rahmen eines Insolvenzplans die Reorganisation, die Liquidation oder die übertragende Sanierung des Unter-nehmens betreiben28. Dabei ist es insbesondere auch von Vorteil, dass ein Insolvenzplan auch gegen den Willen einzelner Gläubiger verabschiedet werden kann. Denn ein Insolvenzplan, der vom Schuldner und der überwie-genden Zahl von Gläubigern getragen wird, kann – bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen – nicht am Willen einzelner Gläubiger scheitern29. Zuletzt können die Be-teiligten mit dem Insolvenzplan auch zeitnah eine Auf-hebung des Insolvenzverfahrens erreichen30.

2. Einfluss des Insolvenzplans auf die Eigenverwal-tungDamit das Insolvenzgericht den Antrag auf Eigenverwal-tung positiv bescheidet, sollte ihm bereits mit Antragstel-lung ein überzeugendes Sanierungskonzept vorgestellt werden. Dafür bietet der Insolvenzplan ein geeignetes Mittel. Die Zulässigkeit der Aufstellung eines Insolvenz-plans im Rahmen der Eigenverwaltung ergibt sich aus § 284 InsO. In der Praxis wird dem Insolvenzgericht der Insolvenzplan oftmals bereits mit dem Antrag auf Eröff-nung des Insolvenzverfahrens und auf Eigenverwaltung vorgelegt. Um den Erfolg des Insolvenzplans im Rah-men der Eigenverwaltung zu gewährleisten, stimmt der Schuldner im Regelfall zudem bereits im Vorfeld der Antragstellung den möglichen Insolvenzplan mit den wichtigsten Gläubigern ab.

3. Inhalt des InsolvenzplansInhaltlich muss der Insolvenzplan gemäß § 219 InsO in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil geglie-

�� Die Rechtsnatur des Insolvenzplans ist sehr umstritten, vgl. die Darstel-lung des Meinungsstands: Vgl. Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 217 Rdn. 62 ff.�� In diesem Zusammenhang ist von Privatisierung der Insolvenzabwick-lung die Rede, vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, Vor §§ 217 bis 269 Rdn. 1 ff.�� Dennoch hat das Insolvenzplanverfahren in der Praxis bisher wenig Be-achtung gefunden, vgl. Studien des Instituts für Mittelstandsforschung: abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org.�� Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1, 6.�� Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1, 6.�0 Vgl. die Darstellungen aus der Praxis der Verwalter: Runkel/Schulte, ZIP 2008, 852 ff. „Sanierung eines kommunalen Krankenhauses durch Eigenverwaltung und Insolvenzplan“; Rattunde, ZIP 2003, 596 ff. „Sanierung eines Großunternehmens durch Insolvenzpläne – der Fall Herlitz“; Friedhoff, ZIP 2002, 497 ff. „Sanierung einer Firma durch Eigenverwaltung und Insolvenzplan“.

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dert sein31. Unter bestimmten Voraussetzungen sind dem Insolvenzplan auch sog. Plananlagen beizufügen, vgl. §§ 229, 230 InsO.

a) Darstellender TeilDer darstellende Teil dient der umfassenden Informati-on der Gläubiger. Er soll Vertrauen bei den Gläubigern schaffen und sie überzeugen, dem Insolvenzplan zuzu-stimmen. Gemäß § 220 InsO sind die aktuelle wirtschaft-liche Situation des Unternehmens, seine historische Ent-wicklung sowie die Ursachen für die Unternehmenskrise darzulegen. Außerdem ist auf die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens einzugehen. Ggf. sind schon eingeleitete Sanierungsmaßnahmen zu beschreiben. Entscheidend aber ist die Darstellung eines realisierbaren, tragfähigen Sanierungskonzeptes. Insbesondere müssen dabei Plan-ziel und Zeithorizont des Plans klar erkennbar sein.

b) Gestaltender TeilDer gestaltende Teil, die sog. Vollzugsebene, enthält die Rechtsänderungen, die durch den Plan verwirklicht werden sollen, vgl. 221 InsO. In diesem Teil sind das leistungswirtschaftliche Unternehmenskonzept sowie die schuldrechtlichen und dinglichen Änderungen für die Be-teiligten darzulegen32. Es muss im Einzelnen beschrieben werden, wie sich die Rechtsstellungen der Beteiligten bei Umsetzung des Plans ändern werden, d.h. es muss konkret dargelegt werden, welche Kürzungen, Stundungen oder auch Sicherungen die Gläubiger mit ihren Forderungen erfahren. Im Rahmen des Insolvenzplans werden Gläu-bigergruppen gebildet, die sich nach der Rechtsstellung der Gläubiger richten, vgl. § 222 InsO33. Diese Regelung dient der Verfahrens- und Verteilungsgerechtigkeit. Ge-währleistet werden soll die Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte. Die Gläubiger innerhalb einer Gruppe sind gleich zu behandeln, es sei denn, die betroffenen Gläubi-ger stimmen einer unterschiedlichen Behandlung zu, vgl. § 226 InsO34. Beispielsweise bilden die Arbeitnehmer, die zumeist mit nicht unerheblichen Forderungen am Insolvenzverfahren beteiligt sind, unter den Vorausset-zungen des § 222 Abs. 3 InsO eine Gruppe. Eine weitere Gruppe bilden die absonderungsberechtigten Gläubiger, wenn in ihre Rechte eingegriffen wird, § 223 InsO. Auch Insolvenzgläubiger und nachrangige Insolvenzgläubiger bilden eigene Gruppen.

�� Vgl. im Einzelnen zum Inhalt des Insolvenzplans: Otte, in: Kübler/Prüt-ting/Bork, InsO, §§ 219 ff.�� Beteiligte des Planverfahrens sind einfache Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO, nachrangige Insolvenzgläubiger gemäß § 39 InsO, absonderungsberechtigte Gläubiger gemäß §§ 49 ff. InsO und eingeschränkt der Schuldner. Nicht eingreifen darf der Insolvenzplan in die Rechte der Massegläubiger i.S.v. §§ 53 ff. InsO und der aussonderungsberechtigten Gläubiger i.S.v. §§ 47, 48 InsO.�� Innerhalb der einzelnen Gläubigergruppe können gemäß § 222 Abs. 2 InsO sog. Untergruppen von Gläubigern mit gleichen wirtschaftlichen Interessen gebildet werden.�� Die Vereinbarung von Sondervorteilen ist gänzlich unzulässig und nich-tig.

4. Ablauf des InsolvenzplanverfahrensDas Insolvenzplanverfahren beginnt mit der Vorla-ge des Insolvenzplans, wozu gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO der Schuldner berechtigt ist. Bereits mit Eröff-nungsantrag und dem Antrag auf Eigenverwaltung kann der Schuldner den Insolvenzplan beim Insolvenzgericht einreichen. Das Insolvenzgericht prüft den Plan gemäß § 231 InsO auf formelle Mängel und auf seine Durchführ-barkeit. Wenn es Zurückweisungsgründe verneint, leitet es den Plan gemäß § 232 InsO zur Stellungnahme an den Sachwalter und ggf. an den Gläubigerausschuss weiter.Im Abstimmungs- und Erörterungstermin stimmt die Gläubigerversammlung über den Insolvenzplan ab. Stimmrecht erhalten nur die Gläubiger, die von dem In-solvenzplan nachteilig betroffen sind, vgl. § 237 Abs. 2 InsO. Die Abstimmung erfolgt gesondert in den einzel-nen Gruppen, vgl. § 243 InsO. In jeder Gruppe ist eine einfache Mehrheit bezogen auf die Gesamtzahl der Gläu-biger und bezogen auf die Gesamthöhe der Forderungen erforderlich, vgl. § 244 Abs. 1 InsO. Die Gläubiger dür-fen gemäß § 245 InsO die Annahme des Insolvenzplans nicht aus eigennützigen Motiven verhindern. Nimmt die Gläubigerversammlung den Insolvenzplan an, wird das Insolvenzgericht dies in der Regel bestätigen, vgl. §§ 248, 252 InsO. Wenn keine Einwendungen erhoben wer-den und der Schuldner den Rechtsmittelverzicht erklärt, kann das Insolvenzverfahren aufgehoben werden.Mit seiner Rechtskraft wirkt der Insolvenzplan für und gegen alle am Insolvenzverfahren Beteiligten. Kommt der Schuldner im Rahmen der Abwicklung den im In-solvenzplan vorgesehenen Befriedigungen nach, wird er von den darüber hinaus gehenden Verbindlichkeiten ge-genüber seinen Gläubigern befreit35.

VII. Chancen und Risiken der EigenverwaltungFast keine Frage war im Gesetzgebungsverfahren der In-solvenzordnung derart umstritten, wie die Einführung des Rechtsinstitutes der Eigenverwaltung in das deutsche In-solvenzrecht36. Auch zehn Jahre nach seiner Einführung wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur weiterhin intensiv über seine Vor- und Nachteile diskutiert37.

1. Chancen der EigenverwaltungIm Wesentlichen sprechen folgende Argumente für die Eigenverwaltung:

a) Kenntnisse und Erfahrungen des SchuldnersIn bestimmten Fallkonstellationen ist es sinnvoll, die Er-fahrungen und Kenntnisse des Managements des Schuld-ners für die Sanierung des Unternehmens zu nutzen. Dies gilt insbesondere für große und unüberschaubare Kon-zernstrukturen, wo durch die Eigenverwaltung – ggf.

�� Vgl. Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 217 Rdn. 49.�� Vgl. zu dieser Auseinandersetzung Buchalik, NZI 2000, 294, 295.�� Vgl. zuletzt: Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009 1, 5; Hofmann, ZIP 2007, 260, 261.

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in Kombination mit einem Insolvenzplan – vorhandene Leitungsstrukturen und Leistungssysteme des Unter-nehmens erhalten bleiben und genutzt werden können38. Demgegenüber ist es in einem Regelinsolvenzverfahren einem (noch so erfahrenen) Insolvenzverwalter schwer möglich, sich in der zur Verfügung stehenden Zeit ei-nen umfassenden Überblick über bestehende Strukturen, Verflechtungen und Projekte des Schuldners zu ver-schaffen39. Führt stattdessen im Rahmen einer Eigenver-waltung das bisherige Management die Geschäfte wei-ter, kann ohne jegliche Zeitverzögerung auf bestehendes Know-how im Unternehmen zurückgegriffen werden, da die Geschäftsleitung die Strukturen und Besonderheiten des Unternehmens genauestens kennt. Im Übrigen kann auch weiterhin der direkte Kontakt zwischen dem Unter-nehmen und seinen Vertragspartnern unmittelbar durch das bestehende Management gepflegt werden. Demge-genüber müsste ein Insolvenzverwalter in einem Rege-linsolvenzverfahren erst einmal die Vertragspartner ken-nen lernen, was u.a. auch sehr zeitintensiv ist.

b) Perspektive für die GläubigerDie Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hat auf die Gläubiger des insolventen Unternehmens regelmäßig eine äußerst abschreckende Wirkung. Sie verlieren das Vertrauen in das Unternehmen, wodurch dessen Sa-nierungschancen erheblich geschmälert werden. Die Eigenverwaltung hingegen bietet den Gläubigern eine Fortführungsperspektive. Dieser psychologische Vorteil der Eigenverwaltung ist von besonderer Bedeutung, da er durchaus einen großen Anteil an einer erfolgreichen Sanierung haben kann40. Glauben die Gläubiger an eine dauerhafte Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs des Schuldners, sind sie gegenüber dem Schuldner eher zu Eingeständnissen bzgl. eigener Sanierungsbeiträge be-reit. Denn insofern besteht für sie die Perspektive, mit-tel- bis langfristig wieder Erträge mit dem Unternehmen erwirtschaften zu können.Dies hat sich beispielsweise in dem Insolvenzverfahren der Kirch-Gruppe gezeigt, wo während der Eigenverwal-tung sowohl die Fußballweltmeisterschaft übertragen als auch die Rechte für die Übertragung der Fußballbundes-liga für weitere vier Jahre erworben wurde. Der Zeitraum von vier Jahren zeigt deutlich auf, dass alle Beteiligten gleichermaßen an eine Sanierung und Fortführung des Unternehmens geglaubt haben, was Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Sanierung der Gruppe war. Auf diesen Effekt scheint man auch bei Karstadt zu hof-fen. Denn entsprechend der Medienberichte ist nach An-sicht des Managements eine Fortführung der Geschäfte sowie eine erfolgreiche Sanierung von Karstadt durchaus realistisch. Ob diese im Wege der Eigenverwaltung er-

�� Vgl. die empirische Studie von Körner, NZI 2007, 270, 273; Rattunde, ZIP 2003, 2103, 2106.�� Hofmann, ZIP 2007, 260, 262; Bales, NZI 2008, 216, 220.�0 Vgl. Körner, NZI 2007, 270, 273.

folgen kann bzw. wird, bleibt abzuwarten, da mit einer Entscheidung des Gerichts erst Anfang September 2009 gerechnet werden kann41.

c) Perspektive für die MitarbeiterAuch die Mitarbeiter eines insolventen Unternehmens ver-binden – im Gegensatz zu dem Regelinsolvenzverfahren – mit der Anordnung der Eigenverwaltung die Hoffnung auf eine realistische Sanierungschance ihres Unterneh-mens42. Es ist für ein sanierungsbedürftiges Unterneh-men auch von besonderer Bedeutung, dass die Mitarbei-ter weiter motiviert ihrer täglichen Arbeit nachgehen, da dies Grundlage für die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs ist. Dies gilt insbesondere für die leitenden Mitarbeiter; denn hier besteht zudem die Gefahr, dass Mitbewerber versuchen, diese mit Hinweis auf die unsichere Situation bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber abzuwerben. Glaubt die Belegschaft jedoch an eine erfolgreiche Fortführung „ihres Unternehmens“, ist eine Abwerbung für Konkur-renzunternehmen deutlich schwieriger.

d) KostenvorteilEin weiterer „Pluspunkt“ der Eigenverwaltung ist die Kostenersparnis gegenüber dem Regelinsolvenzverfah-ren. Denn insofern sind hier die Kosten sowohl für den Sachverwalter als auch für die Durchführung des Ver-fahrens geringer. Dieser Kostenersparnis ist jedoch ent-gegen zu halten, dass bei der Eigenverwaltung erhebliche Beraterkosten anfallen können, was diesen Vorteil etwas relativiert.

2. Risiken der EigenverwaltungWie bereits dargelegt, wird das Rechtsinstitut der Eigen-verwaltung in der Literatur teilweise auch kritisch bewer-tet.

a) Zweifel am ManagementDer Eigenverwaltung wird zunächst entgegengehalten, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners in den Händen des Ma-nagements verbleibt, das die Insolvenz verursacht hat43. Diese Argumentation ist sicher nicht ganz abwegig, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass die Gründe für �� Während zu Beginn des vorläufigen Insolvenzverfahrens die Chancen auf eine positive Bescheidung des Gerichts allgemein als sehr hoch ein-geschätzt wurden, mehren sich zuletzt die Stimmen, die davon ausgehen, dass das Gericht dem Antrag von Arcandor auf Eigenverwaltung nicht stattgeben wird. In diesem Zusammenhang wird als negatives Signal auch der Rückzug von Horst Piepenburg als Generalbevollmächtigter gewertet. So auch der Sprecher des vorläufigen Insolvenzverwalters Klaus Hubert Görg, zitiert im Handelsblatt vom 21. Juli 2009, abrufbar im Internet unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/arcandor-erwaegt-verkauf-von-thomas-cook; 2435051.�� Vgl. Hoffmann-Theinert, „Die Eigenverwaltung als Alternative zum Re-gelinsolvenzverfahren“, S. 9, abrufbar im Internet unter: http://www.insol-venzverein.de/archiv/Jahr04/Theinert.htm.�� Eingewandt wird, „der Bock dürfe nicht zum Gärtner“ gemacht werden, vgl. Darstellung bei Buschalik, NZI 2000, 294, 295, der in der Eigenver-waltung jedoch selbst ein wichtiges Sanierungsinstrument sieht.

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die Krise eines Unternehmens sehr vielfältig sein kön-nen. Keineswegs sind es immer nur Management-Fehler, die zu einer Insolvenz führen. Auch äußere Faktoren, wie z.B. der Forderungsausfall eines Großschuldners, die In-solvenz eines wichtigen Kunden oder Lieferanten oder auch eine allgemeine Wirtschaftskrise und der damit ver-bundene Absatzeinbruch, können ausschlaggebend für eine wirtschaftliche Schieflage eines Unternehmens sein. Auf derartige Faktoren hat das Management im Regelfall gerade keinen Einfluss. Insofern ist bei der Frage, ob eine Eigenverwaltung im konkreten Falle sinnvoll erscheint, auch die Ursache für die Insolvenz des Unternehmens zu untersuchen und zu berücksichtigen. Da Grundvor-aussetzung der Eigenverwaltung jedoch immer das Ver-trauen aller Beteiligten in das Management sowie in die Anteilseigner des Unternehmens ist, macht diese Verfah-rensart folglich nur dann Sinn, wenn dem Management keine groben Fehler unterlaufen sind44.

b) GläubigergefährdungOftmals wird als weiteres Argument gegen die Eigen-verwaltung auch das Risiko einer erhöhten Gläubigerge-fährdung angeführt45. Da der Schuldner weiterhin die Ge-schicke des Unternehmens in seinen Händen halte, könne nicht gewährleistet werden, dass er tatsächlich vorrangig die Interessen der Gläubiger verfolge. Stattdessen eröff-ne die Eigenverwaltung dem Schuldner zahlreiche Mani-pulationsmöglichkeiten.Auch dieses Risiko der Eigenverwaltung lässt sich sicher-lich nicht vollständig beseitigen46. Nehmen der bestellte Sachverwalter, die Gläubiger sowie das Insolvenzgericht die ihnen obliegenden „Überwachungsfunktionen“ des Managements jedoch in ausreichendem Maße wahr, lässt sich dieses Risiko zumindest minimieren. Zu beachten ist zudem, dass bei Bestehen ernsthafter Zweifel an dem Verantwortungsbewusstsein des Schuldners das Insol-venzgericht – in Abstimmung mit den Gläubigern – kei-ne Eigenverwaltung anordnen wird. Denn in diesem Fall wären die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 InsO nicht gegeben47.

VIII. ResümeeEs hat sich gezeigt, dass die Eigenverwaltung kein Mo-dewort ist, sondern in bestimmten Fallkonstellationen insolventen Schuldnern durchaus realistische – und ge-genüber einem Regelinsolvenzverfahren verbesserte – Sanierungschancen bietet. Insbesondere bei komplexen und großen Konzernstrukturen kann es von Vorteil sein, wenn die Geschäftsführung weiter in den Händen des

�� Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1033.�� Bales, NZI 2008, 216, 220 f.�� Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 270 Rdn. 21 weist zu Recht darauf hin, dass man die Regelungen nüchtern einschätzen solle. Die bisherigen – zugegebenermaßen wenigen – Fälle bestätigen die gegen die Eigenverwaltung vorgetragenen Bedenken nicht.�� Daneben besteht gemäß § 272 InsO die Möglichkeit jederzeit die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen.

bisherigen Managements verbleibt. Hierdurch erscheint eine Sanierung, die zeitnah erfolgt, auf den bestehen-den (komplexen) Strukturen des Schuldners basiert und idealerweise in Kombination mit einem Insolvenzplan durchgeführt wird, überhaupt erst möglich. Da dem Ma-nagement in der Praxis oftmals ausgewiesene Insolvenz-rechts- und Sanierungsexperten zur Seite gestellt werden und zudem Sachwalter, Gläubiger und Insolvenzgericht die Eigenverwaltung des Schuldners überwachen, sind die Risiken der Eigenverwaltung insgesamt als eher ge-ring zu bewerten. Oftmals wird in den Medien und – sogar – in der Praxis jedoch übersehen, dass eine Eigenverwaltung nur dann eine Alternative zum Regelinsolvenzverfahren sein kann, wenn die Insolvenz des Schuldners auf externe Ursachen zurückzuführen ist und nicht durch interne Management-fehler veranlasst wurde. Zwingende und alles entschei-dende Voraussetzung für die Eigenverwaltung ist daher das Vertrauen aller Beteiligter, d.h. Gläubiger, Anteilsin-haber und Arbeitnehmer in das bestehende Management des Schuldners sowie in eine ernsthafte Sanierungschan-ce. Ist dieses Vertrauen nicht gegeben, scheidet die Ei-genverwaltung von vorne herein aus. Gleiches gilt dann, wenn auf Seiten der Anteilsinhaber und Gläubiger nicht die Bereitschaft zu – mitunter erheblichen – Einschnitten besteht. Nicht für jedes Insolvenzverfahren ist daher die Eigenverwaltung die richtige und empfehlenswerte Ver-fahrensart.48

* Dr. Jochen Markgraf ist Rechtsanwalt bei GLADE MICHEL WIRTZ, die als international ausgerichtete Sozietät mit Sitz in Düsseldorf auf die Beratung in den Bereichen Corporate & Competition spezialisiert ist. In ihrer gesellschaftsrechtlichen Praxis betreut die Sozietät nationale und internationale Unternehmen und Finanzinstitutionen projektbezogen und in der laufenden Beratung mit einem Schwerpunkt auf M&A, Restrukturierungen und Gremienberatung. Die Anwälte von GLADE MICHEL WIRTZ sind als zentrale Ansprechpartner bei der Gestaltung entscheidender Aufgabenstellungen für die Unternehmensstrategie ihrer Mandanten gesucht.

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Kommentar

Der Hausbesuch nach § 8a SGB VIII

Von Dipl.-Jur. Katrin Lack, Frankfurt a.M.*

I. Vorbemerkung und aktuelle Entwicklung des Ge-setzgebungsverfahrensSeit einigen Jahren werden Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern zunehmend durch Tages-presse, Rundfunk und moderne Medien publik gemacht1. Vorwürfe wegen unterlassener Hilfen oder nicht recht-zeitiger Intervention von staatlicher Seite gehen mit jenen Meldungen einher. Damit verbunden ist auch öffentlicher Druck und das an den Gesetzgeber gerichtete Verlangen der Bevölkerung nach mehr Schutz für Kinder durch ver-schärfte gesetzliche Regelungen und Sanktionen.

Unter Federführung des Bundesministeriums für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSF) unternahm die Bundesregierung am Anfang dieses Jahres einen wei-teren Versuch2, den Schutz von Kindern durch die Schaf-fung bundeseinheitlicher Rechtsgrundlagen zu stärken, und brachte den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesse-rung des Kinderschutzes (Kinderschutzgesetz) auf den Weg3. Der Entwurf beinhaltet unter anderem die Regel-pflicht zu Hausbesuchen bei Vorliegen gewichtiger An-haltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung.Nach der ersten Lesung im Plenum des Deutschen Bun-destages im April 20094 und einer Expertenanhörung Ende Mai 2009 versagte die SPD nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen negativen Gutachten der Experten ihre weitere Mitwirkung und verhinderte damit das Inkraft-treten des Kinderschutzgesetzes. Um es nicht zu einem vollständigen Scheitern einer Änderung der Gesetzesla-ge kommen zu lassen, wurde anschließend nach einem Kompromiss gesucht und eine teilweise Novellierung des SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) vorgeschlagen5. Der Vorschlag betraf auch eine Änderung des § 8a SGB VIII. Das Vorhaben konnte in der 16. Legislaturperio-de des Deutschen Bundestages im Ergebnis jedoch nicht durchgesetzt werden, sodass das mit der geplanten Än-

� Als Beispiele seien die detaillierten Berichterstattungen über Michelle (Hamburg 2004), Jessica (Hamburg 2005), Kevin (Bremen 2006), Nadine (Gifhorn 2007) und Lea-Sophie (Schwerin 2007) genannt.� Bereits verabschiedet wurde bspw. das am 12.07.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefähr-dung des Kindeswohls (BGBl. 2008 I, S. 1188 ff.). Zu den Hintergründen dieses Gesetzesentwurfs und zu den durch dieses Gesetz erfolgten Ände-rungen weiterer Vorschriften des BGB und des FGG s. zusammenfassend Fellenberg, FPR 2008, 125 ff. Ferner wird am 01.09.2009 das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kraft treten (BGBl. 2008 I, S. 2586 ff.).� BR-Drucks. 59/09 vom 23.01.2009.� BT-Drucks. 16/12429 vom 25.03.2009.� Änderungsantrag zum BKiSchG vom 18.06.2009, www.der-paritae-tische.de/uploads/media/2009.06.18_Formulierungshilfe_SGB_VIII_Stand_18.06.09.pdf.

derung verbundene Anliegen bislang nicht endgültig ge-klärt ist6.

II. Der staatliche Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII geltender Fassung§ 8a SGB VIII trat zum 01.10.2005 in Kraft7. Hierdurch normierte der Gesetzgeber einen ausdrücklichen einfach-gesetzlichen Schutzauftrag des Staates bei Kindeswohl-gefährdung und verpflichtete das Jugendamt, Hinweisen über eine Kindeswohlgefährdung nachzugehen und das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Mit dem Begriff der Kindeswohlgefährdung knüpft die Norm an den aus § 1666 BGB bekannten Terminus an8. Hiernach ist unter Kindeswohlgefährdung eine gegenwärtige, in einem sol-chen Maße vorhandene Gefahr zu verstehen, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt9. Das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte ist also das auslösende Moment für die Wahrnehmung des Schutzauftrages10. Folglich ist ein Hausbesuch schon de lege lata nach § 8a I 1 SGB VIII im Rahmen der Gefährdungsabschätzung möglich11.Der Grundgedanke der Verschaffung eines unmittel-baren Eindrucks von Kindern und Jugendlichen sowie deren Wohnverhältnissen und deren Verhalten in ver-trauter Umgebung ist grundsätzlich zu befürworten, da besonders im gewohnten Umfeld alltägliche Verhaltens-

� Der Beitrag berücksichtigt die Rechtslage bis zur letzten Sitzung des Deutschen Bundestages vor der Sommerpause am 03.07.2009.� BGBl. I Nr. 57, 2729, 2740.� Wiesner, 3. Aufl., SGB VIII § 8a Rdn. 14.� So seit BGH FamRZ 1956, 350, 351. Zur Frage des Erfordernisses einer Neudefinition bzgl. § 1666 BGB vgl. Coester, in: Lipp/Schumann/Veit, Kinderschutz bei Kindeswohlgefährdung, S. 19 ff. Der Gesetzgeber hat sich bei der Neufassung des § 1666 BGB durch das Gesetz zur Erleichte-rung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (vgl. Fn. 2) mangels Erforderlichkeit jedoch ausdrücklich gegen eine ge-setzliche Klarstellung entschieden (BT-Drucks. 16/6815, S. 10 f.).�0 Wiesner, 3. Aufl., SGB VIII § 8a Rdn. 13. Liegen gewichtige Anhalts-punkte nicht vor, besteht lediglich die Möglichkeit der Gewährung von Hilfen, wofür § 27 Abs. 1 SGB VIII die Einsatzschwelle definiert („[…] wenn eine dem Wohl des Kindes […] entsprechende Erziehung nicht ge-währleistet ist.“). Kritisch zur Formulierung „gewichtiger Anhaltspunkte“ vgl. Kindler/Lillig, IKK-Nachrichten 1-2/2006, 16 ff.�� Zudem ist das Jugendamt unter dem Aspekt seiner wächteramtlichen Aufgabenerfüllung (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) sogar verpflichtet, i.S.e. Informationsbeschaffung und unter Beachtung sozialdatenschutzrechtlicher Rahmenbedingungen alle Tatsachen zu ermitteln und festzuhalten, aus denen eine Kindeswohlgefährdung resultieren kann (Bringewat, in: LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 8a Rdn. 17 m. Verweis auf den allgemeinen Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X; dazu auch Kunkel, in: LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, Anhang 5 Rdn. 17 m. Verweis auf § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Durch welche Maßnahmen aber die Informationen ermittelt werden, bestimmt das Jugendamt selbst.

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weisen gut zu beobachten sind. Obgleich ein Hausbesuch lediglich einen Momenteindruck zu vermitteln vermag und auch nur einen Teil der Möglichkeiten zur Gefähr-dungsabschätzung darstellt, ist er Grundlage für eine umfassende, realitätsnahe und in der Regel zutreffende Beurteilung des Kindeswohls durch geschulte Fachkräfte und wichtiges Instrument innerhalb der Arbeit der Kin-der- und Jugendhilfe. Der Hausbesuch gilt als bewährtes Mittel zur Gefährdungsabschätzung in der täglichen Pra-xis und als sinnvolle Maßnahme zur genaueren Gefähr-dungseinschätzung12. Nötigenfalls kann ein Hausbesuch auch mehrfach und unangekündigt durchgeführt werden. So vor allem dann, wenn eine einschlägige Vorgeschich-te bekannt ist13.Die Umsetzung des Schutzauftrages erfolgt vor allem im Rahmen der Steuerungsverantwortung der Jugendämter. Dabei bestehen allerdings große Unsicherheiten, wie ge-nau diesem Schutzauftrag Rechnung zu tragen ist, d. h. welche Maßnahmen von staatlicher Seite im Einzelnen zu ergreifen sind und welche Maßnahmen überhaupt er-griffen werden dürfen.In der Vergangenheit wurde wiederholt der Vorwurf er-hoben, Mitarbeiter des Jugendamtes hätten sich auf Aus-sagen Dritter, z.B. von Nachbarn, Verwandten oder den Sorgeberechtigten selbst, verlassen, anstatt die Situation eigens vor Ort zu untersuchen. Wäre ein Hausbesuch durchgeführt worden, so hätten sich evidente Anhalts-punkte für eine Kindeswohlgefährdung aufgedrängt und den jeweiligen Mitarbeiter zu unverzüglichem Handeln veranlasst.

III. Der Versuch der Änderung des § 8a SGB VIII durch das BKiSchGUm diese Situation im Sinne eines verbesserten Schutzes gefährdeter Kinder zu beeinflussen, sah der Entwurf des Kinderschutzgesetzes u. a. die Änderung des § 8a SGB VIII vor. Durch § 8a I 2 SGB VIII-E sollte das Jugend-amt verpflichtet werden, bei Vorliegen gewichtiger An-haltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung das Kind und dessen persönliches Umfeld im Regelfall in Augen-schein zu nehmen, um sich einen unmittelbaren Eindruck von Kind und Eltern zu verschaffen. Hierin ist insoweit die Konkretisierung der Wahrnehmung des Schutzauftra-ges bei Kindeswohlgefährdung durch eine Regelpflicht zur Inaugenscheinnahme gefährdeter Kinder zu sehen. Dadurch sollte dem zuständigen Mitarbeiter des Jugend-amtes nicht nur eine Befugnis an die Hand gegeben wer-den. Vielmehr sollte ihm eine Regelpflicht zu informa-tionsgewinnenden Maßnahmen durch mindestens einen Hausbesuch auferlegt werden.Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle, dass die geplante Gesetzesänderung hin zur Regelpflicht ausschließlich

�� Vgl. AGJ, Stellungnahme zum Referatsentwurf d. BKiSchG v. 17.12.2008, S. 3; Rüting, Forum Erziehungshilfen 2009, Heft 1, 85 f.; Göppert, Der Städtetag 2009, 5, 7.�� BMFSFJ, Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 15.

für die Abschätzung einer Gefahr für das Wohl von Kin-dern14, nicht aber für Jugendliche, gelten sollte. Darüber hinaus wären ausschließlich die öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe zum Hausbesuch im Regelfall verpflichtet gewesen, die freien Träger hingegen nicht. Jene sollten aber gem. § 8a II 1 SGB VIII-E in Verein-barung mit den Trägern von Einrichtungen und Diens-ten, die Leistungen nach dem SGB VIII erbringen, si-cherstellen, dass deren Fachkräfte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes oder Jugendlichen eine Gefähr-dungseinschätzung vornehmen. Ferner wäre nach § 8a II 3 SGB VIII-E bei der Gefährdungseinschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft beratend hinzuzuziehen ge-wesen.Wie einleitend erwähnt, konnte u. a. über die Regelpflicht zum Hausbesuch nach § 8a I 2 SGB VIII-E im Gesetz-gebungsverfahren keine Einigung erzielt werden. Als Argumente – deren Stichhaltigkeit an dieser Stelle da-hingestellt bleiben soll – wurden u. a. die unangemessene Einschränkung fachlichen Entscheidungsspielraumes, die Gefahr sinkender Kooperationsbereitschaft seitens der Sorgeberechtigten, Selbstschutz des Jugendamtes, die Vereinbarkeit mit dem nach Art. 13 I GG gewährleis-teten Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung und der Datenschutz angeführt15.

IV. Der Versuch der Änderung des § 8a SGB VIII durch das 3. SGB VIII ÄndGUm die geplante Gesetzesänderung nicht gänzlich zu verwerfen, wurde nunmehr über ein Änderungsgesetz zum SGB VIII nachgedacht. Teile des Art. 1 des Kinder-schutzgesetzes (das KiSchZusG) sollten in das SGB VIII aufgenommen werden16. Darüber hinaus sollte in diesem Zusammenhang die Novellierung einzelner bestehender Normen des SGB VIII erfolgen, so auch des § 8a SGB VIII17.

�� Kind ist nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, soweit nicht § 7 Abs. 2-4 SGB VIII etwas anderes bestimmen.�� Vgl. bspw. DIJuF Hinweise zum Referentenentwurf BKiSchG (hier ist sogar die Rede von einer „tiefgreifenden Verschlechterung des Zugangs zu besonders belasteten Familien und der Kooperation im Kinderschutz“, S. 8); Bayerisches Landesjugendamt, Stellungnahme zur Diskussion über eine Änderung des § 8a SGB VIII vom 01.07.2008; Krützberg, Der Städ-tetag 2009, 15, 17; Urban-Stahl, Forum Erziehungshilfen 2009, Heft 1, 77 ff.�� Das KiSchZusG normiert in seinem § 1 die staatliche Mitverantwortung und in § 2 die Lockerung der Schweigepflicht für Geheimnisträger i.S.v. § 203 StGB (so u.a. für Ärzte und Psychologen). Insoweit wäre die Auf-nahme der Regelungen in das SGB VIII wegen der Adressaten, an die die Neuregelungen gerichtet sein sollten, wohl auch der besserer Standort ge-wesen.�� Demnach handelt es sich nunmehr um eine Einzelnovelle des SGB VIII. Neben dem Änderungsvorschlag des § 8a SGB VIII enthielt der ursprüng-lichen Entwurf des Kinderschutzgesetzes bereits Änderungsvorschläge zu §§ 72a, 86c SGB VIII. Hinzu kamen nun Änderungsvorschläge zu den §§ 16, 68a, 79 SGB VIII sowie die Pflicht der Bundesregierung zur Erstellung eines Evaluationsberichtes bis zum 31.12.2012.

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1. RegelungsgegenstandDie Verpflichtung zum Hausbesuch sollte sich nunmehr auf diejenigen Fälle beschränken, „in denen dies nach fachlicher Einschätzung im Einzelfall erforderlich ist“. Ferner müsse das Kind oder der Jugendliche ausdrück-lich einbezogen werden, wenn es um eine Einschätzung seiner Gefährdung und die Weitergabe von Informati-onen gehe18. In diesem Zusammenhang sollte auch das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte im Rahmen der Gefährdungseinschätzung explizit geregelt werden19.

2. AuswirkungenGrundsätzlich kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Mitarbeiter der öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe die Situation richtig einschätzen und wissen, was sie tun – auch wenn die Bevölkerung die Jugendhilfe häufig nur dann wahrnimmt, wenn sie ent-weder gar nichts unternimmt oder aber überstürzt han-delt, wenn sie also Kinder zu Schaden kommen lässt oder Kinder „wegnimmt“. Denn oftmals „gleicht die mediale Inszenierung von Kinderschutz einem Schauprozess, indem nicht die Gewalt, sondern die Jugendhilfe das Skandalon ist.“20 Dennoch wäre auch in der kommenden Legislaturperiode die dem hiesigen Änderungsantrag entsprechende Weiterentwicklung des § 8a SGB VIII be-grüßenswert. Zur Begründung sollen nachfolgend einzel-ne Aspekte dargestellt werden.

a) Beibehaltung fachlichen Entscheidungsspiel-raumsNach dieser Neufassung des § 8a SGB VIII verbliebe der bereits bestehende Entscheidungsspielraum bei den Jugendämtern. Zwar war eines der ursprünglichen Ziele der geplanten Gesetzesänderung durch das BKiSchG die Beseitigung von Unsicherheiten, in welcher Form dem Schutzauftrag Rechnung zu tragen ist21. Die Verfolgung dieses Ziels wäre schon deshalb positiv zu bewerten ge-wesen, da vorgeschriebene Verfahrensarten der Rechts-klarheit, der Sicherheit und Nachvollziehbarkeit aller Beteiligten dienen. Sorgeberechtigte und Kinder wüssten von vornherein, mit welchen Maßnahmen sie zu rechnen hätten. Mitarbeiter der Jugendämter wüssten genau, wie sie sich zu verhalten hätten. Staatliches Handeln wäre so-mit durch offenliegende Kriterien klar vorhersehbar und kontrollierbar. Die dem ÄndG entsprechende Neufas-sung des § 8a SGB VIII beließe dem Jugendamt nun aber

�� Das Parlament, Ausgabe 25 v. 15.06.2009, www.bundestag.de/dasparla-ment/2009/25/innenpolitik/24794183.html.�� Mit dem neuen § 8a Abs. 2a SGB VIII erhalten Berufsgeheimnisträger (vgl. § 203 StGB; Fn. 16) eine Befugnisnorm zur Datenübermittlung, die – anders als nach dem KiSchZusG – durch die bereichsspezifische Verengung nur die enumerativ aufgezählten Berufsgruppen erfasst. Danach haben jene Berufsgruppen nunmehr einen Anspruch auf die Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft (vgl. Änderungsantrag vom 18.06.2009, Fn. 5).�0 Kohaupt, JAmt 2003, 567, 569.�� Siehe oben II a. E.

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auch weiterhin großen Entscheidungsspielraum und ist – entgegen der Fassung nach dem BKiSchG – wesentlich weiter gefasst, indem die Verpflichtung zum Hausbesuch eben auf jene Fälle beschränkt würde, in denen es nach fachlicher Einschätzung im Einzelfall erforderlich ist.Dies ist nicht zwangsläufig negativ zu bewerten. Schließ-lich muss es den Fachleuten bei ihrer täglichen Arbeit möglich bleiben, durch vielfältige Maßnahmen die Ba-lance zwischen Kindeswohl und Elternrecht für jeden Einzelfall auszutarieren. Der Gesetzgeber sollte dem Jugendamt grundsätzlich nicht vorschreiben, in welcher Form es zu handeln hat. Standards hierfür entwickeln sich aus der Praxis heraus und sollten sich den Bedürf-nissen von Fachlichkeiten anpassen22. Diesem Bedürfnis trägt der Gesetzesentwurf in seiner Fassung des 3. SGB VIII ÄndG Rechnung. Schließlich ist der Hausbesuch nicht als Allheilmittel zu sehen, sondern immer nur ein Verfahren unter vielen zur Umsetzung eines wirkungs-vollen Kinderschutzes23. Denn ein Hausbesuch mag zwar dazu dienen, etwaige hygienische Missstände oder unan-gemessene Unterbringung zu erkennen. Jedoch ist durch die Inaugenscheinnahme des persönlichen Umfeldes des Kindes nicht ohne weiteres wahrzunehmen, ob ein Kind geschlagen oder ob es emotional vernachlässigt wird24. Der Hausbesuch ist somit nur ein – wenn auch sehr wichtiger und nicht mehr wegzudenkender – Teil ziel-orientierten und geplanten Aktivismus zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Das Mittel des Hausbesuches zur Verschaffung eines unmittelbaren Eindrucks wird dabei nicht beliebig eingesetzt, sondern erfolgt unter Abwägung aller Gegebenheiten25. Die Neuregelung be-ließe weiterhin die Modalitäten staatlichen Handelns den Fachkräften, insbesondere die Beantwortung der Frage, ob der Hausbesuch im Einzelfall das richtige Mittel zur Gefährdungseinschätzung ist und, falls er erforderlich erscheint, auch die Entscheidung über Zeitpunkt, Häu-figkeit und Anmeldung bzw. Nichtanmeldung bei den Sorgeberechtigten, um so ein für jedes Kind respektive den Jugendlichen konvenables Hilfeangebot entwickeln zu können.

b) EinzelfallorientierungPositiv ist in diesem Zusammenhang, dass der Gesetz-geber durch den gewählten Wortlaut die fachliche Ein-schätzung im Einzelfall deutlich hervorzuheben ver-suchte. Denn gerade im Bereich des Kinderschutzes ist eine individuelle Beurteilung jedes Einzelfalles für er-folgreiche Hilfe von größter Bedeutung26. Die Fassung des § 8a SGB VIII durch das 3. SGB VIII ÄndG macht

�� So auch Oberloskamp, in: Lipp/Schumann/Veit, Kinderschutz bei Kin-deswohlgefährdung, S. 61.�� Vgl. Rüting, Forum Erziehungshilfen 2009, Heft 1, 85.�� Urban-Stahl, Forum Erziehungshilfen 2009, Heft 1, 77, 81.�� Rüting, Forum Erziehungshilfen 2009, Heft 1, 85, 90.�� Vgl. DIJuF, Hinweise zum Referentenentwurf BKiSchG, S. 6; AGJ, Stellungnahme zum Referatsentwurf d. BKiSchG v. 17.12.2008, S. 4.

schon durch ihren Wortlaut deutlich, dass es sich nicht um eine starre Regelung handelt. Vielmehr beließe sie den Fachkräften die Möglichkeit, nach erfolgter Abwä-gung im Einzelfall einen Hausbesuch gänzlich zu unter-lassen und gegebenenfalls andere ihnen zur Verfügung stehende Maßnahmen zur Gefährdungseinschätzung zu ergreifen. Dies ist auch deshalb wichtig, weil es sich bei sämtlichen Maßnahmen im Bereich des Kinderschutzes – so also auch beim Hausbesuch – um Aufgaben handelt, die jede Menge gegenseitiges Vertrauen erfordern. Hier ist der Hausbesuch als Mittel erster Wahl nicht immer förderlich. Ein Sorgeberechtigter, der in seiner vertrauten heimischen Umgebung mit dem Jugendamt konfrontiert wird, könnte vielmehr das Gefühl der Reserviertheit verspüren und den Eindruck gewinnen, das Jugendamt habe die Stellung einer „Elternpolizei“. Der Hausbesuch könnte dann eher als Bedrohung und Verfolgung wirken und weniger als Unterstützung und Entlastung. Vielfach geht mit einem Hausbesuch das Gefühl der Ohnmacht, der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins einher27. Folge könnte dann sein, dass der Sorgeberechtigte zu ei-ner Kooperation aufgrund des aus seiner Sicht unverhält-nismäßigen Verhaltens des Amtes durch inquisitorische Nachforschungen nicht mehr bereit ist, obwohl er viel-leicht anderweitige Hilfen in Anspruch genommen hätte. Schon deshalb müssen die Träger so weit wie möglich behutsam den direkten Kontakt zur Familie pflegen. Den Leistungsadressaten müssen sie zu jeder Zeit vor Augen führen, dass nicht interveniert, sondern ihnen vielmehr präventiv, korrigierend, unterstützend oder heilend ge-holfen werden soll. Auch darf dabei nicht der Eindruck einer sanktionierenden Arbeitsweise vermittelt werden. Vielmehr ist die Signalisierung von Unterstützungshand-lungen zur Deeskalisation geboten, denn ohne Einbezie-hung der Eltern ist oft nur eine kurzfristige Verbesserung des Kindeswohls möglich28. Bei individueller Betrach-tung der Situation bleibt den im Bereich des Kinder-schutzes Tätigen die Möglichkeit, zunächst andere Hil-femaßnahmen zur Gefährdungsabschätzung zu ergreifen, was dem Vertrauensverhältnis förderlich sein und im Ergebnis eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Familie mit dem Träger zur Folge haben kann.

c) Zusammenwirken mehrerer FachkräfteIndem die in § 8a IIa SGB VIII des Änderungsvorschlags aufgezählten Berufsgruppen zur Einschätzung der Kin-deswohlgefährdung oder zur Klärung des Hilfebedarfs einen Anspruch auf die Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft hätten29, wäre ein Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte in jedem Fall möglich. Hier würden

�� Vgl. Honig, Was tun Jugendämter in Fällen von Kindesmißhandlung? Ergebnisse einer Umfrage, in: Honig, Kindesmißhandlung, 1982, S. 127 ff.; Mues, Intervention durch Sozialarbeit, S. 48.�� Vgl. BMFSFJ, Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen, S. 75.�� Vgl. Fn. 18.

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diejenigen Regelungen, die die Mitwirkung der Berufs-gruppen an der Wahrnehmung des Schutzauftrages be-treffen, in systematischem Zusammenhang mit den Auf-gaben des Jugendamtes geregelt. Das Zusammenwirken der Fachkräfte hinge somit nicht davon ab, ob eigene Mittel des Geheimnisträgers zur Gefährdungsabwendung ausreichen. Dies wäre für den Kinderschutz grundsätz-lich förderlich. Indem darüber hinaus die Personensor-geberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen wären und auf die Inanspruchnahme von Hilfen hingewirkt werden müsste, soweit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird, kann auch die heikle Balance zwischen Elternrecht und Kindeswohl auf der Basis vertrauensvoller Zusammenarbeit gewahrt werden.

V. Fazit und AusblickKinderschutz ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Er ist ein gesellschaftliches Phänomen, das eingebettet ist in übergeordnete soziale, gesellschaftliche und politische Zusammenhänge30. Hierbei handelt es sich um eine Thematik, die nicht im Rahmen einer einzelnen Gesetzesnovelle erledigt werden kann. Vielmehr ist der Kinderschutz ein ständig fortzuentwickelnder Prozess. Ein einfaches Patentrezept gibt es dafür freilich nicht. Hilfreich sind Regelungen für vorhersehbares Handeln, denn rechtliche und fachliche Vorgaben sind das Fun-dament, auf dem Fachkräfte vor Ort ihre Arbeit leisten. Darauf aufbauend können sich sodann Lebenserfahrung, fachliche Kompetenz und persönliche Verantwortung entfalten31. Es ist aber stets zu beachten, dass verallge-meinerbare Maßstäbe wegen der Komplexität der Fälle nicht ohne weiteres möglich und eine ständige Fortent-wicklung unter Anpassung an veränderte Situationen in der Gesellschaft für einen wirksamen Kinderschutz zwingend notwendig sind.Auch die praktische Umsetzung der Regelungen ist nicht immer einfach. Auf der einen Seite sind die Institutionen zur bedarfsgerechten Hilfeleistung und Einschätzung des Gefährdungsrisikos verpflichtet. Auf der anderen Seite sind die Eltern und Kinder nicht immer bereit und in der Lage, mit Außenstehenden offen über ihre Probleme und Belastungen zu sprechen32. Je mehr durch einen Haus-besuch der Eindruck einer Überwachung entsteht, des-to wahrscheinlicher ist die Entwicklung von Strategien, um sich einer drohenden „Kontrolle“ zu entziehen. Dies kann zu einer Erhöhung des Gefährdungsrisikos führen, statt es zu minimieren. Der Spagat zwischen Hilfe und Überwachung, Eingriffs- und Leistungsverwaltung, zwi-schen Dienstleistung und Letztverantwortung, Interven-

�0 Sommer, Bedeutungswandel Gewalt gegen Kinder, 1996, S. 101; Gerber, in: IKK-Nachrichten 1-2/2006, 34, 39; Göppert, Der Städtetag 2009, 5.�� Wiesner, ZfJ 2004, 161, 172.�� Deutscher Städtetag, JAmt 2003, 226, 230; Gelles, Family Violence, S. 17 f.; Lippert, in: Ratzel/Lippert, MBO, § 9 Rdn. 1.

tion und Partizipation ohne Verlust oder gar Missbrauch des einst gewonnenen Vertrauens ist demnach eine pre-käre Angelegenheit. Hilfreich zur Erzielung des richtigen Verständnisses und der zutreffenden Klassifizierung der Hilfeleistungen ist ein transparenter Entscheidungsfin-dungsprozess33. Vor allem überraschende und plötzliche Hausbesuche können schädlich wirken; sie können aber auch erst den Zugang zu staatlichen Leistungsangeboten ermöglichen. Auch wenn durch die genannten Änderungs-vorschläge zum § 8a SGB VIII der Eindruck entstehen könnte, dass teilweise eher aufgezwungene Leistungen nicht mehr den werbenden Angebotscharakter aufweisen und Sorgeberechtigte kontrolliert werden sollen, beinhal-ten sie doch gerade keine vordergründige Stärkung der Observation der Sorgeberechtigten oder größtmögliche Kontrolle durch den Staat34. Wie schon nach bisheriger Rechtslage müssen in jedem Fall gewichtige Anhalts-punkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen.Es ist schade, dass über die Erzielung guter Ergebnisse durch Mitarbeiter der Jugendhilfe nicht im gleichen Aus-maß berichtet wird, wie über diejenigen Fälle, in denen ein Kind zu Schaden kommt. Die Mitarbeiter tragen große Verantwortung, treffen in ihrem beruflichen Alltag hochsensible Abwägungen und sind sich der Bedeutung ihrer Arbeit bewusst. Ihre Arbeit verdient Anerkennung und Unterstützung. Erforderlich für eine wertvolle Arbeit im Bereich des Kinderschutzes ist die Schaffung von gu-ten Rahmenbedingungen für die Umsetzung in der Praxis und eine langfristige Bereitstellung ausreichender Res-sourcen35. Darüber hinaus sind Fort- und Weiterbildungs-maßnahmen der Mitarbeiter geboten, um auch in Zukunft einen Wissensstand in den verschiedenen vom Kinder-schutz tangierten Bereichen entsprechend den aktuellen Standards der Wissenschaft und Praxis herzustellen und damit der Gefahr fachlicher Insuffizienz vorzubeugen.Die Debatte um die Inhalte des BKiSchG und des Ände-rungsvorschlags entsprechend dem 3. SGB VIII-ÄndG kann sicherlich nicht als abgeschlossen betrachtet wer-den. Es ist wohl eine Frage der Zeit (und der Wahler-gebnisse der Bundestagswahl am 27. September 2009), wann und mit welchen Vorschlägen sich der Gesetz-geber erneut mit dem Thema befassen wird. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass sogar eine Regelpflicht zum �� Mag also ein Handeln ohne den Willen der Beteiligten gerechtfertigt sein, so darf es keinesfalls ohne deren Wissen geschehen (vgl. Meysen u.a., Frühe Hilfen im Kinderschutz, 2009, S. 86; Herrmann, in: IKK-Nachrich-ten 1-2/2003, 5, 11).�� A.A. Oberloskamp, in: Lipp/Schumann/Veit, Kinderschutz bei Kindes-wohlgefährdung, S. 63: „Wer Kinderschutz will, wird Kontrolle nicht ver-meiden können.“, allerdings mit Hinweis auf den Grundsatz der Verhält-nismäßigkeit als Regulativ.�� Problematisch ist insoweit, dass die Umsetzung der Vorgaben bei den kommunalen Gebietskörperschaften liegt und somit in weiten Teilen von der Finanzkraft der einzelnen Kreise und Städte abhängt (Wiesner, in: ZfJ 2003, 121, 129). Indem die Organisationshoheit für Jugendämter Teil der kommunalen Selbstverwaltung i.S.d. Art. 28 Abs. 2 GG ist, ist es dem Gesetzgeber zudem nicht möglich, Verfahrensabläufe und Entscheidungs-zuständigkeiten in den Jugendämtern selbst zu regeln (Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 11. Aufl., Art. 28 Rdn. 81).

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Kommentar

Hausbesuch trotz aller Bedenken erneut angedacht wer-den wird, was aber nicht bedeutet, dass der Wortlaut des Entwurfes des BKiSchG in der neuen Legislaturperiode übernommen werden wird.Insoweit ist zu wünschen, dass den Mitarbeitern der Kin-der- und Jugendhilfe sowohl bei der Gesetzgebung als auch bei der praktischen Umsetzung gesetzlicher Vorga-

ben zukünftig allseitige Unterstützung zugute kommen wird, um effektiv Kindeswohlgefährdungen möglichst frühzeitig zu beseitigen und ihnen langfristig vorzubeu-gen.36

* Die Verfasserin ist Doktorandin an der Goethe-Universität Frankfurt.

Die Biologie der Moraloder Vom Wiederaufleben alter Wahrheiten

Von Dr. Anja Schiemann, Frankfurt a.M.

Warum überhaupt moralisch sein? So lautet die provokante Frage von Kurt Bayertz, die zugleich als Titel seines 2006 in der Beck´schen Reihe erschienenen Buches diente. Ich frage mich dies manchmal auch, nur um dann verblüfft festzustellen, dass es verschiedene moralische Grundregeln zu geben scheint, denen ich einfach folge, ohne darüber nachzudenken. Dass macht mich nicht zu einem besonders moralischen Menschen, sondern zu einem Menschen, der nun einmal ist, wie er ist. Kein unbeschriebenes Blatt, wie John Locke im 17. Jahrhundert den Menschen sah, und der durch seine Erlebnisse und seine Kultur zu dem wird, was er ist, sondern ein Mensch, dem eine menschliche Natur zugrunde liegt, ein biologisches Wesen also, das eine evolutionär erworbene genetische Grundausstattung mit sich herumschleppt. Diese Grundausstattung führt nicht nur zu grauen Augen oder krummen Zehen, zu einem introvertierten oder extrovertierten Charakter, sondern auch zu einem moralischen Basiscode. Dass dieser moralische Basiscode nicht derart ausdifferenziert ist, dass schon jedes Neugeborene – jedenfalls theoretisch – auf die Regel zurückgreifen kann, du sollst deinen Krabbelkollegen keine Sandkastenform wegnehmen, keine sich an der Kasse vordrängelnde Oma niederschlagen oder keine Zigarettenkippen auf die Straße schnippen, versteht sich von selbst. Es geht vielmehr um einen moralischen Basiscode ähnlich dem der sprachlichen grammatischen Urregeln, über die eben auch schon Kleinkinder verfügten. Der Kunstgriff, durch Vergleich mit der von dem Linguisten Noam Chomsky begründeten biologischen Theorie der Sprache nun eine Biologie der Moral zu schaffen, führt zu einem Wiederaufleben des wachen Forscherblicks auf die Natur der Moral als etwas dem menschlichen Wesen innewohnenden. Genau dies behaupten eine Reihe namhafter, vor allem in den USA forschenden Naturwissenschaftler, wie Jonathan Haidt, Marc Hauser, Frans de Waal, John Mikhail und Michael Koenigs, um nur einige zu nennen, die in letzter Zeit mit

Sachbüchern und Fachbeiträgen auf sich aufmerksam machen. Bereits einige Jahre zuvor enttarnte Steven Pinker das immer noch verbreitete Verständnis des Menschen vom Menschen als „unbeschriebenes Blatt“ als Missverständnis, de Waal zeigte in frischer Übersetzung 2006 auf den „Affen in uns“ und Buss sprach gar vom „Mörder in uns“.Dabei ist der Blick auf den Affen nicht neu. Wer wüsste nicht von den Forschungsarbeiten von Jane Godall und Diane Fossey in den 60er, 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Diese und andere Arbeiten führten schon 1989 zu der in GEO veröffentlichten Erkenntnis, die Affen seien menschlicher, als Darwin wusste. Im Umkehrschluss, der freilich zu hart getroffen hätte, bedeutet das aber nichts anderes, als dass der Mensch affenartiger ist, als befürchtet; wenn man an das Schimpfwort „affig“ denkt, im Grunde genommen eine Zumutung für unsere Eitelkeit. Kooperationsverhalten, Empathie und Versöhnungsrituale bei den Primaten schienen schon früh darauf hinzudeuten, dass nicht nur dies biologisch verankert sein könnte, sondern ebenfalls moralische Grundregeln. 1987 erschien daher schon einmal eine Monografie unter dem Titel „The biology of moral systems“ von Richard Alexander. Doch auch dies war keineswegs die erste Auseinandersetzung mit dem genetisch verankerten moralischen Basiscode. Schon die vergleichende Verhaltensforschung um Konrad Lorenz kam in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zu dem Schluss, dass soziale Verhaltensweisen des Menschen, die für die Leistungen vernunftmäßig-verantwortlicher Moral gehalten werden, in Wirklichkeit „ganz sicher“ in eine Reihe mit den angeborenen, echter Moral nur funktionell analogen sozialen Verhaltensweisen höherer Tiere zu stellen sind. Auch der Schüler von Konrad Lorenz, Irenäus Eibl-Eibesfeld, stellte fest, das vieles, was wir für Leistungen vernunftmäßig verantwortlicher Moral halten, auf angeborenen Aktions- und Reaktionsnormen aufgebaut sein dürfte. Wir sehen also, die Biologie der Moral ist keine neue Erkenntnis, höchstens ihre empirische Untermauerung

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ist ein Verdienst moderner Forschungsarbeit. Doch was bringt uns diese Forschungsarbeit? Schaut man auf die vergangenen Jahrzehnte, so verpufften nach kurzer Zeit die Ansätze, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sozial- oder rechtswissenschaftlich nutzbar zu machen. Während Frederick Beutel in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts seiner Zeit voraus war und eine experimentelle Rechtswissenschaft ins Leben rufen wollte, machten in den 70er und 80er Jahren z.B. Margaret Gruter und Frank-Hermann Schmidt auf die Bedeutung der Verhaltensforschung für die Rechtswissenschaft aufmerksam, 1980 fand sogar ein in Buchform festgehaltenes Symposium „Rechtswissenschaft und Verhaltensforschung“ unter der Initiative von Margaret Gruter und Manfred Rehbinder statt. Trotz dieser Bemühungen wurden juristische oder interdisziplinäre Forschungsarbeiten faktisch nicht initiiert. Erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts führte das Interesse an den biologischen Grundlagen des Rechts zu einem leider bereits vergriffenen Werk, das von Ernst-Joachim Lampe herausgegeben wurde, und in dem durch eine Auswahl von Aufsätzen die Entwicklung des Rechtsbewusstseins nachgezeichnet wird. Hier werden die genetische Grundausstattung und eben auch der moralische Basiscode des Menschen unter Entwicklungs- und Erziehungsaspekten fortgeschrieben. Auch wenn der Erziehungsmythos nach Judith Rich Harris ebenfalls vergriffenen Buches „Ist Erziehung sinnlos?“ nicht mehr so unkritisch über alles hinwegtrösten kann wie früher, stützt doch der Blick auf die Entwicklung des Kleinkindes hin zum Erwachsenen das Kohlberg´sche Stufenmodell der Moralentwicklung und führt zu einem Aufatmen in der Zunft der Entwicklungs- und Sozialpsychologen. Denn auch wenn die neueren Erkenntnisse der Biologie uns lehren, der moralische Basiscode schaffe bereits bei Kleinkindern ein Fundament für die Entscheidung zwischen Gut und Böse, so scheinen uns die Sandkastenspiele unserer Kinder doch eines besseren zu belehren. Dort wird die vorhin bemühte Sandkastenform eben nicht aus moralischer, genetischer Veranlagung heraus beim Mitspieler belassen, sondern einfach weggenommen, genauso wie nicht lange diskutiert wird, sondern als Reaktion hierauf die Schaufel des anderen einfach schwungvoll auf dem Kopf des Sandkastenformdiebs landet. Doch wie einem Neugeborenen die sprachlichen Urregeln der Grammatik noch nicht zu Gute kommen, weil es ja noch gar nicht sprechen kann, so ist auch die Sandkastenrangelei kein Indiz für ein Fehlen des moralischen Basiscodes. Sie ist aber ein Indiz dafür, dass die moralische Urgrammatik im Laufe eines Menschenlebens zur moralischen Sprache fortgeschrieben werden muss.Doch wenn es diesen moralischen Basiscode gibt, was fangen wir dann damit an? Ist es nicht völlig unerheblich, ob er angeboren ist, oder erlernt? Hauptsache, möchte

man meinen, man hat ihn. Doch hier genau liegt der springende Punkt. Was, wenn ich nicht über den genetisch verankerten Moralsinn verfüge, den ich weiterentwickeln kann? Bin ich dann nicht krank? Was hat das für Auswirkungen auf mein soziales Handeln oder die Bewertung dieser Handlung für die Gesellschaft? Bleibt also nicht die Frage, warum eigentlich moralisch sein, sondern die Frage, was für Reaktionen folgen, wenn ich mich nicht moralisch korrekt verhalte. So stellte Michael Koenigs in einer Studie, die im April 2007 in der Zeitschrift Nature erschienen ist, fest, dass Verletzungen im Bereich des präfrontalen Cortex zu einer Erhöhung utilitaristischer moralischer Entscheidungen führen, sprich, dass Versuchspersonen mit solchen Defekten nicht zögern würden, in einer Dilemmatasituation einen Menschen eigenhändig vor den Zug zu stoßen, um andere zu retten. Die Frage, ob solche Personen, die einen Menschen töten, ohne in einer Dilemmatasituation zu sein, allein auf Grund ihres Hirndefektes schuldunfähig sind oder jedenfalls rechtlich sein sollten, ist damit noch nicht beantwortet. In ihrem im August 2007 erschienen Buch „Tatort Gehirn“ wiesen Hans Markowitsch und Werner Siefer darauf hin, dass einsitzende Straftäter in der überwiegenden Mehrzahl nachweisbare Hirnstörungen aufweisen. Müssen solche Erkenntnisse nicht zu Änderungen unseres Strafsystems führen? Fairer Weise muss man bei dieser Option aber auch die Tatsache abwägen, dass es ebenso viele Menschen mit Hirnstörungen gibt, die nicht straffällig werden. Schnell ist die Parallele zu der viel zu überzogen bewerteten Verknüpfung zwischen Gewalttätigkeit von Männern und deren YYX Chromosomenanomalie gezogen. Weitere Forschung ist also nötig.Dennoch müssen die neuesten Erkenntnisse auch für die Sozial- und Rechtswissenschaft gewichtet und gewertet werden. Es steht zu befürchten, dass die naturwissenschaftliche Diskussion um die menschliche Moral vor den schalldichten Toren der Jurisprudenz genauso verhallt, wie die neurowissenschaftliche Diskussion um die Willensfreiheit des Menschen. Während hier kein Monat vergeht, ohne dass ein Sachbuch, sei es fach- oder populärwissenschaftlich, den ohnehin schon überfüllten Markt bedrängt, fordern primär Neurowissenschaftler ein Überdenken der Schuldfähigkeitsparagrafen des StGB. Dieses Überdenken muss nicht, wie von neurowissenschaftlicher Seite her proklamiert, zum Zusammenbruch des Strafrechts führen. Die Jurisprudenz darf allerdings die Naturwissenschaft nicht mehr vor ihren Toren lassen, sie muss sie hereinbitten und zu echter interdisziplinärer Zusammenarbeit auffordern. An deren Ende muss nicht das Ende des Strafrechts stehen, sondern der Beginn eines neueren, humaneren Strafrechts, das sich an den Menschen orientiert, und nicht die Menschen unter unzeitgemäße Normen subsumiert.

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Europäische Gesellschaft und grenzüberschreitende Verschmelzung als internationale Fusionsinstrumente

Von Rechtsanwalt Dr. Gero Pfeiffer und Rechtsreferendar Axel Wagner, Latham & Watkins LLP, Frankfurt a.M.*

A. Einleitung„Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate.“ – So lautet die bekannte Verspottung Kai-ser Friedrichs III., der für seine gestif-teten, oft Grenzen überschreitenden Hochzeiten bekannt war. Dieses Motto erfährt mittlerweile eine ge-wisse gesellschaftsrechtliche Renais-sance, seitdem es der europäische Gesetzgeber ermögli-cht hat, „Unternehmenshochzeiten“, genauer gesagt die Fusion mehrerer Unternehmensträger, innerhalb Europas auch über Ländergrenzen hinweg durchzuführen. Hierzu stehen heute zwei Rechtsinstrumente zur Verfügung: Die Gründung einer Europäischen Gesellschaft (Societas Eu-ropaea; SE) durch Verschmelzung der beteiligten Grün-dungsgesellschaften nach Art. 17 ff. der SE-Verordnung sowie die grenzüberschreitende Verschmelzung nach §§ 122a ff. des Umwandlungsgesetzes (UmwG). In bei-den Fällen entsteht aus zwei oder mehreren zuvor recht-lich selbstständigen Unternehmensträgern eine neue Ein-heit, wobei diese neue Einheit entweder bereits existiert (Verschmelzung zur Aufnahme) oder neu geschaffen wird (Verschmelzung zur Neugründung). Der oder die übertragenden Rechtsträger werden dann im Zuge der Verschmelzung ohne besonderes Liquidationsverfahren aufgelöst.

Beweggrund für die Schaffung dieser Fusionstatbestände ist die Niederlassungsfreiheit im europäischen Binnen-markt (Art. 43 EG-Vertrag), die explizit auch für Gesell-schaften gilt (Art. 48 EG-Vertrag). Ökonomisch steht das Bedürfnis nach grenzüberschreitender Mobilität im Vordergrund, welches auf der voranschreitenden Inter-nationalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen beruht. Motive für die transnationale Neu-ordnung einer Unternehmensgruppe (Konzern) können dabei insbesondere sein: Entflechtung von unkontrolliert gewachsenen Strukturen (Effizienzsteigerung durch Ver-schlankung), steuerliche Optimierung durch Verlage-rung von Gewinnen und Vermögenswerten („Tax Effici-ent Supply Chain Management“) sowie die strategische Neuausrichtung als Reaktion auf eine Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (z. B. Kosten-struktur, Wettbewerber, Kundenanforderungen).

Die Möglichkeit, die oben skizzierten Anliegen durch Gründung einer SE zu verwirklichen, besteht bereits seit

2004. Nach Umsetzung der europä-ischen Verschmelzungsrichtlinie im Jahr 2007 ist die grenzüberschreiten-de Verschmelzung als weitere (kon-kurrierende) Handlungsalternative hinzu getreten. Dieser Beitrag gibt zunächst einen kurzen Überblick über die SE-Gründung durch Ver-schmelzung (B) sowie die grenzü-

berschreitende Verschmelzung nach dem UmwG (C). Abschließend werden Vor- und Nachteile der beiden Op-tionen aufgezeigt (D).

B. Gründung einer SE durch VerschmelzungAktiengesellschaften, die nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates gegründet wurden und ihren Satzungs-sitz und ihre Hauptverwaltung in der EU haben, können eine SE gründen, wenn mindestens zwei von ihnen dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen. Andere Gesellschaftsformen (z.B. GmbH) können nicht an der Gründung beteiligt sein.

Die rechtlichen Grundlagen für die Gründung einer SE finden sich in der europäischen SE-Verordnung, dem deutschen SE-Ausführungsgesetz und dem deutschen Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz). Die SE kann als Vorreiter der grenzüberschreitenden Verschmelzung bezeichnet werden, denn eine der vier möglichen Gründungsvarianten ist die Gründung durch Verschmelzung. Andere Gründungsalternativen sind die Gründung einer Holding-SE oder einer Tochter-SE sowie die Umwandlung einer bestehenden Aktiengesellschaft in eine SE; diese Alternativen werden im Folgenden nicht dargestellt, da sie auch in der Praxis wenig Bedeutung erlangt haben.

Für die Verschmelzung haben die Leitungs- oder die Ver-waltungsorgane der beteiligten Aktiengesellschaften (in Deutschland der Vorstand) einen Verschmelzungsplan aufzustellen, der bestimmte Angaben zu den beteiligten Gesellschaften und der künftigen SE enthalten muss. Der Verschmelzungsplan muss notariell beurkundet werden und ist durch einen Sachverständigen zu prüfen. Zur Er-läuterung des Verschmelzungsplans haben die beteiligten deutschen Gesellschaften einen Verschmelzungsbericht für die Aktionäre zu verfassen. Sowohl auf die Prüfung wie auch auf den Verschmelzungsbericht können die Ak-

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tionäre allerdings verzichten. Der Verschmelzungsplan ist sodann beim Handelsregister einzureichen, welches die Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger bewirkt.

Mit dieser Bekanntmachung sind die Leitungs- oder Ver-waltungsorgane der beteiligten Gesellschaften verpflich-tet, das Verfahren über die Aushandlung der Arbeit-nehmermitbestimmung einzuleiten. Dazu ist in einem komplexen Wahlverfahren ein besonderes Verhandlungs-gremium (BVG) aus Arbeitnehmervertretern aller betei-ligten Gesellschaften zu bilden. Wird bei den Verhand-lungen zwischen Unternehmensleitungen und dem BVG innerhalb der vorgesehenen Fristen keine Einigung über die Regelung der Mitbestimmung in der SE erzielt, greift die gesetzliche Auffangregelung, welche sich entweder am Mitbestimmungsregime des Staates orientiert, in dem die künftige SE ihren Sitz hat, oder – unter bestimmten Voraussetzungen – ein für die Arbeitnehmer günstigeres System der Mitbestimmung fortführen kann.

Ferner müssen die Gesellschafterversammlungen aller an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Rechtsträger dem Verschmelzungsplan zustimmen. Für den notariell zu beurkundenden Beschluss der Hauptver-sammlung der deutschen AG bedarf es einer Dreiviertel-mehrheit. Vor Eintragung in das Register des künftigen Sitzstaates – und damit vor Wirksamwerden der Ver-schmelzung – erfolgt eine zweistufige Rechtmäßigkeits-prüfung: Auf der ersten Stufe wird die Rechtmäßigkeit der Verschmelzung für jede Gründungsgesellschaft nach nationalen Regeln durch die zuständige Stelle geprüft. Im Fall eines positiven Prüfergebnisses stellt die nationale Stelle dann eine Rechtmäßigkeitsbescheinigung aus. In Deutschland ist das Handelsregister die national zuständi-ge Stelle. Die Rechtmäßigkeitsbescheinigung vereinfacht die Eintragung beim Zielrechtsträger, da die Einhaltung der Vorschriften im Ausgangsrechtsstaat nicht nochmals im Zielstaat durch dessen zuständige Stelle kontrolliert werden muss. Auf der zweiten Stufe prüft die zuständige Stelle im Sitzstaat der neuen SE die Einhaltung der Re-gelungen der SE-Verordnung. Dazu sind innerhalb von sechs Monaten die Rechtmäßigkeitsbescheinigungen al-ler Gründungsgesellschaften vorzulegen.

Die SE entsteht mit Eintragung im Register des Staates, in dem sie ihren künftigen Sitz haben wird. Die SE wird Gesamtrechtsnachfolgerin der am Gründungsvorgang beteiligten Gesellschaften, d.h. sie erwirbt sämtliche Ver-mögensgegenstände und Verbindlichkeiten automatisch, ohne dass es besonderer Übertragungsakte bedarf.

C. Grenzüberschreitende Verschmelzung nach dem UmwGNeben der Verschmelzung zur Gründung einer SE steht

europäischen Kapitalgesellschaften (in Deutschland: AG, KGaA, GmbH und SE) ein weiterer Weg zur Durch-führung grenzüberschreitender Verschmelzungen offen: Die Verschmelzung nach den §§ 122a bis 122l UmwG. Die genannten Vorschriften setzen die europäische Ver-schmelzungsrichtlinie (RL 2005/56/EG) ins deutsche Recht um. Die grenzüberschreitende Verschmelzung tritt dabei in zwei unterschiedlichen Konstellationen auf: Bei einer sog. „Hinausverschmelzung“ ist eine inländische Gesellschaft der übertragende und eine ausländische Ge-sellschaft der aufnehmende Teil. Bei der sog. „Hinein-verschmelzung“ wird demgegenüber eine ausländische Gesellschaft auf eine deutsche Gesellschaft verschmol-zen.

Der Verfahrensablauf weist zahlreiche Parallelen zur SE-Gründung durch Verschmelzung auf. Die vertragliche Grundlage der grenzüberschreitenden Verschmelzung bildet der gemeinsame Verschmelzungsplan der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften, der notariell zu beurkunden ist. Dieser muss alle wesentlichen In-formationen über die beteiligten Gesellschaften und die rechtliche Struktur des Verschmelzungsvorgangs enthal-ten. Der Verschmelzungsplan ist einer Verschmelzungs-prüfung seitens eines Sachverständigen unterworfen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf das Umtausch-verhältnis der Anteile gelegt, d.h. ob die Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft mit den Anteilen an der übernehmenden bzw. neuen Gesellschaft einen angemes-senen Ausgleich für den Untergang ihrer ursprünglichen Beteiligung erhalten. Da diese Verschmelzungsprüfung einzig dem Schutz der Anteilsinhaber dient, kann auf eine derartige Prüfung von den Anteilseignern verzich-tet werden. Die Vertretungsorgane der beteiligten Ge-sellschaften haben zudem einen Verschmelzungsbericht zu erstellen, welcher die Auswirkungen der Verschmel-zung auf die Arbeitnehmer und Gläubiger der beteiligten Gesellschaften erläutert. Weil hier auch Informationen enthalten sein müssen, die die Arbeitnehmer betreffen, können die Anteilsinhaber – anders als beim Verschmel-zungsbericht im Rahmen der SE-Gründung, wo solche Angaben nicht zwingend sind – auf den Verschmel-zungsbericht nicht verzichten.

Sodann müssen die Gesellschafterversammlungen al-ler beteiligten Rechtsträger dem Verschmelzungsplan zustimmen. Für diesen Beschluss bedarf es einer Drei-viertelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Wie bei der SE-Gründung erfolgt vor Eintragung – und damit vor Wirksamwerden der Verschmelzung – eine zweistufige Rechtmäßigkeitsprüfung: Auf der ersten Stufe werden die Verfahrensanforderungen geprüft, die die übertragende Gesellschaft einzuhalten hat; die Anforderungen für die übernehmende Gesellschaft bleiben an dieser Stelle unbe-rücksichtigt. Die zuständige Behörde attestiert der ihrem

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Recht unterliegenden Gesellschaft die Ordnungsmäßig-keit der Verschmelzung in der sog. Verschmelzungsbe-scheinigung. Im Fall der „Hinausverschmelzung“ ist also der Prüfungsumfang des zuständigen deutschen Han-delsregisters auf den Teil des Verschmelzungsverfahrens beschränkt, der die deutsche übertragende Gesellschaft betrifft. – Auf der zweiten Stufe überprüft das zuständige Register am Sitz der übernehmenden bzw. neu zu grün-denden Gesellschaft die Eintragungsvoraussetzungen. Diese und insbesondere den Wirksamkeitszeitpunkt der grenzüberschreitenden Verschmelzung regelt das Recht des Sitzstaates der neuen Gesellschaft. Im Fall der „Hin-einverschmelzung“ überprüft also das deutsche Register-gericht die Rechtmäßigkeit des Verfahrens, soweit es die übernehmende oder neu zu gründende (deutsche) Gesell-schaft betrifft. Die Prüfung hinsichtlich der übertragenden Gesellschaft erstreckt sich grundsätzlich allein auf das Vorliegen der von der zuständigen (ausländischen) Stelle ausgestellten Verschmelzungsbescheinigung.

Die grenzüberschreitende Verschmelzung wird mit der Eintragung beim aufnehmenden bzw. neu gegründeten Rechtsträger wirksam; im Fall der „Hineinverschmel-zung“ also mit Eintragung ins deutsche Handelregister. Damit tritt Gesamtrechtsnachfolge ein und der übertra-gende Rechtsträger erlischt.

Das Verfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer hat der deutsche Gesetzgeber in einem separaten Gesetz zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüber-schreitenden Verschmelzung (MgVG) geregelt. Darin ist vorgesehen, wie die Modalitäten der Arbeitnehmerbetei-ligung bei der übernehmenden bzw. neu gegründeten Ge-sellschaft nach Wirksamwerden der Verschmelzung zu bestimmen sind. Dieses Verfahren entspricht in Grund-zügen demjenigen bei der Gründung einer SE: Zunächst ist ein besonderes Verhandlungsgremium zu bilden, das über die Modalitäten und den Umfang der Mitbestim-mung beim übernehmenden Rechtsträger einvernehm-lich entscheiden soll. Kommt eine Übereinkunft nicht zu Stande, so gilt als gesetzliche Auffangregelung das Mit-bestimmungssystem des Sitzstaates der übernehmenden oder neu gegründeten Gesellschaft bzw. – unter bestimm-ten Voraussetzungen – ein höheres Mitbestimmungs-niveau einer übertragenden Gesellschaft. Abweichend hiervon können die beteiligten Unternehmensleitungen aber auch von vornherein erklären, dass die Auffanglö-sung eintreten soll. Dann ist die Bildung eines besonde-ren Verhandlungsgremiums nicht erforderlich. Der Vor-teil dieses direkten Weges ist die zeitliche Straffung des Verschmelzungsverfahrens. Den Arbeitnehmern wird verwehrt, das Verschmelzungsverfahren bewusst durch eine verzögerte Bildung des Verhandlungsgremiums und durch Verschleppen der Verhandlungen zeitlich zu stre-cken.

D. Vor- und Nachteile der beiden OptionenDie Grundstrukturen der beiden oben dargestellten Fu-sionstatbestände weisen zwar zahlreiche Ähnlichkeiten auf. Dennoch bestehen nicht unerhebliche und für die Praxis im Einzelfall entscheidende Unterschiede:

Für die Gründung einer SE durch Verschmelzung kann zum einen deren flexible Binnenorganisation sprechen: Die SE kann wie eine deutsche AG dualistisch struktu-riert werden, d.h. ein sog. Aufsichtsorgan und ein sog. Leitungsorgan haben. Das Aufsichtsorgan entspricht dann dem deutschen Aufsichtsrat, das Leitungsorgan dem deutschen Vorstand. Wird eine dualistische Struk-tur gewählt, so kann die Satzung der SE – anders als die Satzung einer deutschen AG – die Größe des Auf-sichtsorgans frei bestimmen, wodurch es zu einer wün-schenswerten Verschlankung des früheren Aufsichtsrats kommen kann. Abweichend vom dualistischen System kann für die SE aber auch eine dem angelsächsischen System angenäherte monistische Struktur gewählt wer-den mit einem sog. Verwaltungsorgan als Einheitsorgan. Eine monistische Struktur kann insofern für ausländische Investoren im Hinblick auf eine einheitliche Corporate Governance oder die Schaffung eines europäischen Ein-heitsunternehmens attraktiv sein.

Zum anderen ist mit einem Unternehmensauftritt als SE das entsprechende europäische Prestige verbunden. Eine europaweit einheitliche Corporate Identity bewirkt möglicherweise einen Imagegewinn bzw. Wiedererken-nungseffekte auf dem Markt. Die Tatsache, dass bei einer Verschmelzung zur Gründung einer SE stets ein neues Rechtsgebilde entsteht (die SE) und somit keiner der beteiligten Rechtsträger den anderen „schluckt“, kann als Argument für die Verwirklichung einer Fusion auf Augenhöhe unter ebenbürtigen Partnern (sog. „merger among equals“) herangezogen werden. Hierdurch kön-nen mitunter Verstimmungen und Differenzen bei den Belegschaften der beteiligten Gesellschaften vermieden werden.

Die Gründung einer SE durch Verschmelzung hat jedoch den Nachteil, dass dieser Weg nur Aktiengesellschaften offen steht. Will sich beispielsweise eine deutsche GmbH an einer SE-Gründung beteiligen, müsste sie sich vorher formwechselnd in eine Aktiengesellschaft umwandeln. Die Möglichkeit, rechtsformunabhängig internationa-le Verschmelzungen durchzuführen, ist demgegenüber allein durch die grenzüberschreitende Verschmelzung nach dem UmwG eröffnet.

Als weiterer Nachteil der SE gegenüber der grenzüber-schreitenden Verschmelzung können die bereits darge-stellten Unterschiede bei der Mitbestimmung angeführt werden: Hier besteht bei der grenzüberschreitenden

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Kapitalanlagebetrug, § 264a StGB

Von Daniela Keller, Frankfurt a.M.

I. Einleitung§ 264a StGB ist bis heute der einzige kapital-marktrechtliche Straftatbestand, der im StGB zu finden ist. Die Norm wurde im Jahre 1986 durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität1 in das Strafgesetzbuch eingeführt und löste § 88 Abs. 1 Nr.2 BörsG ab, der bis dahin den Prospektbetrug bei börsennotierten Wertpapieren regelte. Der Gesetzgeber wollte unseriösen Angeboten am sog. „Grauen Kapitalmarkt“ entgegenwir-ken2. Vor Einführung des § 264a StGB wurden Betrugs-fälle bei Kapitalanlagen über § 263 StGB gelöst. Hierbei ergaben sich vor allem in Bezug auf die Schadensfeststel-lung Schwierigkeiten. Viele Anlagen werden über viele Jahre festgelegt. Ein bezifferbarer Schaden offenbart sich jedoch erst mit Ablauf der Gesamtlaufzeit3, auch wenn sich nach wenigen Monaten bereits Verluste abzeichnen. Weiterhin entstanden Beweisschwierigkeiten bzgl. des Kausalzusammenhangs zwischen eingetretenem Scha-den und der vorsätzlichen Täuschung durch den Anbieter

� Gesetz vom 15.05.1986, in Kraft seit 01.08.1986.� Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 2.� Vgl Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 2, siehe Fn. 2.

der Anlage4. Mit Blick auf diese Problemkreise führte der Gesetzgeber § 264a StGB ein. Die Merkmale des Irrtums, der Vermögensverfü-gung, des Schadens5 und der Bereicherungsab-sicht wurden dem Tatbestand des § 263 StGB entnommen6. Dies führte zu Folgeproblemen: Die Widersprüchlichkeit der Norm beginnt mit

der Diskussion über das geschützte Rechtsgut, führt wei-ter über die Kritik an den Begriffen „Angabe“ und „Tat-sache“, setzt sich fort über den Streit um die Definition der „Erheblichkeit“ und endet mit der Diskussion um die Anwendbarkeit der tätigen Reue im Verhältnis zum Ein-gehungsbetrug. Die Übersichtlichkeit der wissenschaft-lichen Diskussion leidet hierunter ebenfalls. Ziel dieses Beitrags ist es, einen zusammenfassenden Überblick über die wichtigsten Streitigkeiten anhand des Prüfungs-schemas zu geben.

II. Geschütztes RechtsgutDas geschützte Rechtsgut des § 264a StGB ist umstrit-

� Benner, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2006, Rdn. 734.� Durch den Wegfall des Merkmals „Schaden“ wird der Kapitalanlagebe-trug auch als „abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges“ be-zeichnet (vgl. Gesetzesbegründung).� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 2.

Verschmelzung nach dem UmwG die Option, auf Ver-handlungen über die Mitbestimmung und die damit ver-bundene zeitintensive Bildung eines besonderen Ver-handlungsgremiums zu verzichten. Infolgedessen kann das Verfahren einer grenzüberschreitenden Verschmel-zung nach dem UmwG zeitlich erheblich gestrafft wer-den. Im Unterschied dazu verlängert sich das Verschmel-zungsverfahren im Rahmen der SE-Gründung zwingend um die Dauer des Verhandlungsverfahrens (bis zu einem Jahr), selbst wenn die beteiligten Gesellschaften vorher keinerlei Mitbestimmung unterlagen. – Hinzu kommt, dass die gesetzliche Auffangregelung im Fall einer deutschen mitbestimmten Gesellschaft bei der grenzü-berschreitenden Verschmelzung nach dem UmwG im Einzelfall günstiger sein kann als bei der SE-Gründung. Grund hierfür ist die Tatsache, dass die – strenge – deut-sche Mitbestimmung bei der grenzüberschreitenden Ver-schmelzung nach dem UmwG erst dann eingreift, wenn mindestens ein Drittel der beteiligten Arbeitnehmer vor-her der deutschen Mitbestimmung unterlagen, während bei der SE-Gründung bereits ein Viertel ausreicht.

Im Ergebnis wird die Entscheidung zwischen den bei-den dargestellten Fusionstatbeständen von einer Gesamt-schau aller Umstände abhängen, bei der eine Vielzahl von Faktoren gewichtet werden müssen. Dies ist Aufgabe der beteiligten Transaktionsjuristen, die eine sachgerechte Beratung nur dann leisten können, wenn sie die recht-lichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge identifizie-ren und umfassend bewerten. Pauschale Aussagen sind hier kaum möglich. Vielmehr hängt der richtige Rechts-rat – wie so oft – von den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls ab.1

* Dr. Gero Pfeiffer ist Associate im Corporate Department des Frankfurter Büros von Latham & Watkins. Latham & Watkins LLP ist eine internationale Anwaltskanzlei und vertritt mit über 2.000 Anwältinnen und Anwälten in 27 Büros Mandanten in 75 Ländern. In Deutschland arbeiten über 150 Anwältinnen und Anwälte in den Büros in Frankfurt, Hamburg und München. Die Stärke der Kanzlei liegt in ihrer globalen Teamstruktur, die eine grenzüberschreitende Beratung in allen Bereichen des internationalen Wirtschaftsrechts sicherstellt. Die Schwerpunkte der deutschen Büros liegen im Gesellschaftsrecht/M&A, Bank- und Finanzrecht sowie im Kapitalmarktrecht.

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ten. Einerseits könnte die Vorschrift auf den Vermö-gensschutz potentieller Anleger abzielen, wobei § 264a StGB als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anwendbar wäre. Weiterhin wird eine Art überindividu-elles Rechtsgut als Schutzzweck angenommen, nämlich das Vertrauen der Allgemeinheit in ein regelkonformes Funktionieren des Kapitalmarktes7, wobei dies von ande-ren wiederum lediglich als „Schutzreflex“ des individu-ellen Vermögensschutzes gesehen wird8. Andersherum gesehen könnte man auch den individuellen Vermö-gensschutz als bloßen Schutzreflex ansehen9. Hiergegen spräche beispielsweise die Existenz des § 264a Abs. 3 StGB. Die tätige Reue zu Gunsten des Täters wird aner-kannt, wenn er freiwillig verhindert, dass das Opfer sei-ne Leistung bewirkt, also über sein Vermögen verfügt. Es wird hier nicht darauf abgestellt, dass der Täter einen Vertrauensschaden am Kapitalmarkt wieder gut machen soll10 (wobei fraglich ist, wie dies überhaupt realisiert werden könnte). Gegen diese Auffassung sprechen je-doch sowohl der Wortlaut11, als auch die Gesetzesbegrün-dung12. Es mutet allerdings widersprüchlich an, dass eini-gen Anlegern ein strafrechtlicher Schutz zukommen soll, nur weil ihnen eine von § 264a StGB umfasste Anlage angeboten wurde, obwohl ihnen noch kein bezifferbarer Schaden entstanden ist. Dies widerspricht dem gesamten Vermögensschutzsystem und führt zu einer Ungleichbe-handlung der Kapitalanleger13. Mittlerweile scheint sich in der Literatur die Ansicht durchzusetzen, dass sich das Rechtsgut aus beiden Komponenten zusammensetzt14. Von der Rechtsprechung ist § 264a StGB als Schutzge-setz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anerkannt15.

III. Objektiver Tatbestand1. Anlageobjekte i.S.d. § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGBNach § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB sind die geschützten An-lageobjekte vor allem Wertpapiere, die am Kapitalmarkt gehandelt werden. Insbesondere sind damit Aktien, In-haberaktien (§ 10 AktG), Rentenpapiere (Staatsanleihen, Obligationen von Kommunen oder der Industrie, Schatz-anweisungen), Zwischenscheine und Nebenpapiere (wie Zins- und Dividendenscheine) gemeint. Eine Legaldefi-nition für „Wertpapiere“ i.S.d. § 264a Abs. 1 Nr.1 StGB bleibt das StGB schuldig16. Einige andere Normen, wie

� Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 264a Rdn. 2; Tiedemann, Wirtschafts-strafrecht BT, 2. Aufl. 2008, Rdn. 341 m.w.N.� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 3.� Wohlers, in: MK StGB, 2006, § 264a Rdn. 3.�0 Benner, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 22 Rdn. 741, siehe Fn. 4.�� Jacobi, Der Straftatbestand des Kapitalanlagebetrugs, 2000, S. 22 ff.; der die Ungenauigkeit bei der Benennung des überindividuellen Rechtsguts und den Mangel an einer befriedigenden Definition des Kapitalmarktes kritisiert.�� BT-Drucks. 10/318, S. 22.�� Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 3, siehe Fn. 9.�� Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 2007, Rdn. 9 m.w.N.�� BGH NJW 1992, 241; 2000, 3346; 2004, 2666.�� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 19.

z.B. § 2 Abs. 1 WpHG, § 151 StGB und § 1 Abs. 1 De-potG, enthalten Hinweise für die Auslegung, können aber aufgrund ihrer anderen Schutzrichtung nicht über-tragen werden17. Es gilt folgende Definition: Wertpapiere sind Urkunden über Rechte, die der Kapitalanlage (und Kapitalschöpfung durch den Emittenten) dienen und bei massenhafter Ausgabe und Vertretbarkeit handelbar (umlauffähig), insbesondere mit Gutglaubensschutz ver-sehen und nicht bloße Beweisurkunden sind18. Weiterhin vom Schutz des § 264a StGB umfasst sind Bezugsrechte. Hier ist strittig, ob eine eigene strafrechtliche Definiti-on für Bezugsrechte gefunden werden muss, oder ob auf den gesellschaftsrechtlichen Terminus abgestellt werden soll19. In der Literatur herrscht weitestgehend Einigkeit, dass mit Bezugsrechten unverbriefte Rechte auf Bezug von Leistungen gemeint sind, die sich aus einem Stamm-recht ableiten, welches durch Leistung von Kapital er-worben wurde20. Dies ist nur eine der vorgeschlagenen Definitionen, die sich vor allem durch ihre allgemeine Formulierung auszeichnet und dadurch viele Kritikpunk-te umgeht, die anderen Definitionsvorschlägen entgegen-gehalten wurden und werden21. Als letztes geschütztes Anlageobjekt sind noch Anteile an Ergebnisbeteili-gungen zu nennen. Gemeint ist der Erwerb von Unter-nehmensbeteiligungen durch Anleger und auch sonstige rechtliche Beziehungen zum Unternehmen, die Beteili-gung am Ergebnis verschaffen22. Völlig unstrittig betrifft dies Geschäfts- und Gesellschaftsanteile23. Weiterhin fal-len hierunter Anteile an geschlossenen Immobilienfonds und Beteiligungen durch sog. partiarische Darlehen24.

2. Anlageobjekte i.S.d. § 264a Abs. 2 StGBDie nach § 264a Abs. 2 StGB geschützten Anlageobjekte sind Anteile an Treuhandvermögen. Hier muss ein Treu-handverhältnis zwischen einem Unternehmen und dem Anleger gegeben sein25. Somit kommen nur echte Treu-handverhältnisse in Frage26. Mit dem Unternehmens-begriff in Abs. 2 ist das Unternehmen des Treuhänders gemeint, nicht das des eventuell verwalteten Anteils an einem anderen Unternehmen27. Die Hauptanwendungs-fälle bilden geschlossene Fonds und echte Abschrei-bungsgesellschaften.

3. Zusammenhang mit dem Vertrieb, bzw. dem Angebot auf Einlageerhöhung

�� Hellmann, in: NK StGB, 2. Aufl. 2008, § 264a StGB Rdn. 14.�� Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 19 m.w.N.�� Hellmann, in: NK StGB, § 264a StGB Rdn. 18, siehe Fn. 17.�0 Hellmann, in: NK StGB, § 264a StGB Rdn. 18.�� Vgl. z.B. Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 22.�� BT-Drucks. 10/318, S. 22.�� Hellmann, in: NK StGB, § 264a StGB Rdn. 20 m.w.N.�� Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 264a Rdn. 3; Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 25.�� Fischer, StGB, § 264a Rdn. 19, siehe Fn. 7.�� Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 264a Rdn. 34.�� Fischer, StGB, § 264a Rdn. 19; vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 23.

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Kommentar

Die oben beschriebenen Anlageobjekte müssen im Zu-sammenhang mit dem Vertrieb bzw. im Zusammenhang mit einem Angebot auf Einlageerhöhung angepriesen worden sein. Unter Vertrieb wird eine auf Veräußerung einer Vielzahl von Anlageobjekten im Sinne des § 264 Abs. 1 Nr.1 StGB gerichtete Tätigkeit am Markt verstan-den28. Es unterfallen bereits Angebote und Werbeakti-onen diesem Begriff, selbst wenn die angebotene Anlage zu diesem Zeitpunkt noch nicht existiert29. Das Angebot auf Einlagenerhöhung setzt voraus, dass bereits eine Ein-lage geleistet wurde30. Hier ist, wie beim Vertrieb, darauf zu achten, dass individuelle Anlageberatungen aus dem Tatbestand herausfallen31. Der Zusammenhang besteht dann, wenn zwischen dem Vertrieb der Anlage, bzw. dem Angebot auf Einlageerhöhung ein sachlicher und zeitlicher Bezug zur Tathandlung besteht. Zu beachten ist, dass der Täter, der die Werbung betreibt, nicht mit dem Emittenten der Anlage identisch sein muss32.

4. In WerbeträgernBeide Handlungen müssen gegenüber einem größeren Personenkreis in Form von Prospekten, Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand erfolgen33. Ein Prospekt im Sinne der Vorschrift ist jede Werbe- und Informationsschrift, die den Eindruck erweckt, die für die Beurteilung einer Anlageentscheidung wesentlichen Grundlagen zu enthalten, und die zugleich Grundlage für diese Entscheidung sein soll34. Diese Prospekte müssen nach deutschem Recht üblicherweise der BaFin vorgelegt werden (vgl. § 1 VerkProspG). Diese führt keine Plausi-bilitäts-, sondern lediglich eine Vollständigkeitsprüfung der Angaben durch. Unter Übersichten über den Vermö-gensstand versteht man den Begriff der Vermögensü-bersichten aus § 265b Abs. 1 Nr.1a StGB, also schrift-liche Zusammenstellungen der Aktiva und Passiva eines Unternehmens, wenn der Eindruck von Vollständigkeit damit erweckt wird35. Nach einigen Auslegungsvarian-ten kommt es zu Überschneidungen mit dem Begriff der „Darstellungen über den Vermögensstand“36. Diese Mei-nungsverschiedenheiten sind für die Praxis wohl von ge-ringer Bedeutung, da sich eine von beiden Alternativen als passend erweisen wird, so dass es hier in der Regel nicht zu Problemen mit der Subsumtion kommen sollte.

5. betroffener PersonenkreisEs muss eine größere Anzahl von Menschen betroffen sein. Hierbei muss es sich um eine so große Anzahl von

�� Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 264a Rdn. 7, siehe Fn. 24.�� Fischer, StGB, § 264a Rdn. 5.�0 Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 264a Rdn. 8.�� Fischer, StGB, § 264a Rdn. 5; Knauth, NJW 1987, 28, 31.�� Fischer, StGB, § 264a Rdn. 11.�� Vgl. Többens, Wirtschaftsstrafrecht, 2006, S. 81.�� BGHSt 40, 385, 388 f.�� BT-Drucks. 10/318, S. 23.�� Vgl. Wortlaut der Vorschrift § 264a StGB, Darstellungen und Über-sichten durch oder getrennt.

(potentiellen) Anlegern handeln, dass durch ihr Interes-se an der gegenständlichen Kapitalanlage, welches sie überhaupt erst zu einer Einheit verbindet, ihre Indivi-dualität in den Hintergrund tritt37. Bei dieser Definition, die immerhin aus dem Gesetzgebungsverfahren stammt, scheint es sich um ein hypothetisches Interesse zu han-deln, das nicht von der Abschlussbereitschaft begleitet werden muss. Ein tatsächliches Interesse der Angespro-chenen an der Anlage wird somit nicht vorausgesetzt38. Schließlich hat nicht jeder Kunde, der die Schalterhalle einer Bank betritt, ein echtes Interesse an jeder Anlage, für die dort Prospekte ausgelegt werden, obwohl genau diese Fälle von § 264a StGB erfasst werden sollen. Von einigen Autoren wird diese Definition als zu unbestimmt kritisiert39. Dieser Kritik wird entgegnet, dass eine sach-gerechte Auslegung dieses Problem lösen könne, und zwar eine Abgrenzung zur Individualtäuschung, auch durch gezielte Anlageberatung, die von § 264a StGB ge-rade nicht erfasst werden sollte40. Diese Auffassung ist in der Literatur mittlerweile anerkannt.

6. Tathandlunga) unrichtige vorteilhafte Angaben machenAls erste Variante sei das Machen unrichtiger vorteil-hafter Angaben genannt, welches als positives Tun ein-geordnet wird. Unter dem Begriff der Angabe wird der Begriff aus § 20a Abs. 1 Nr.1 WpHG verstanden, also ein weiterer Begriff als der der Tatsache aus § 263 StGB41. Somit würden auch Prognosen und Bewertungen unter die Angabe im Sinne von § 264a StGB fallen42. Hieran wird kritisiert, dass es sich bei § 264a StGB gerade um einen Straftatbestand im Vorfeld des Betruges handeln soll, wodurch es fragwürdig erscheint, den Begriff der Angabe über den Tatsachenbegriff des Betrugs hinaus zu erweitern. Die Vorteilhaftigkeit der Angaben wird nach Anlegersicht bestimmt43. Sie ist in der Regel anzuneh-men, wenn die gemachten Angaben sich dazu eigenen, die Chancen für eine positive Anlageentscheidung zu steigern44. Die Unrichtigkeit bestimmt sich nach dem Widerspruch zwischen dem Angabeninhalt und dem tat-sächlichen Sachverhalt und wird aus ex-ante Sicht beur-teilt45. Dies wird in der Regel einem Beweis zugänglich sein.

b) nachteilige Tatsachen verschweigenDie zweite Handlungsvariante des § 264a StGB ist das

�� BT-Drucks. 10/318, S. 23.�� Schmid, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2006, § 27 Rdn. 142.�� Samson/Günther, in: Systematischer Kommentar StGB, Stand 5/2008, § 264 Rdn. 28.�0 Wohlers, in: MK StGB, § 264a, Rdn. 54.�� Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 264a Rdn. 12; Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 32.�� Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 264a Rdn. 12.�� Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rdn. 25, siehe Fn. 26.�� Cramer/Perron in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rdn. 25.�� Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 33.

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Kommentar

Verschweigen nachteiliger Tatsachen. Nach überwie-gender Ansicht wird diese als Unterlassen verstanden46. Dies erntet jedoch Kritik: Verschweige man in einem Prospekt, der den Eindruck der Vollständigkeit erweckt, absichtlich relevante Informationen, so sei dies nicht Unterlassen, sondern positives Tun47. Die Nachteiligkeit wird aus ex-ante Sicht beurteilt48. Weiterhin beurteilt sie sich spiegelbildlich zur Vorteilhaftigkeit: Nachteilig ist eine Tatsache, wenn sie die Anlage weniger werthaltig erscheinen lässt und somit die Anlageentscheidung des (potenziellen) Anlegers negativ beeinflusst49. Hier gilt der enge Tatsachenbegriff des § 263 StGB50. Dies stößt eben-falls auf Kritik. Nicht, weil nun das Schema eingehalten wird, welches sich durch die Bezeichnung der Vorschrift als Delikt „im Vorfeld des Betruges“ ergibt, sondern weil gerade das Nichterwähnen negativer Gutachten oder all-gemeiner ungünstiger Wirtschaftsfaktoren aus der Straf-barkeit heraus fällt51. Dies hat Folgen für die praktische Anwendung der Vorschrift. Ein weiteres Problem liegt darin, dass es, außer den obligatorischen Anforderungen der BaFin, keine Anforderungen an den Mindestinhalt eines Prospektes in Bezug auf Risikoaufklärung gibt. Es muss also immer noch auf den Einzelfall abgestellt wer-den52, was sich bei der Vielfalt der Angebote des Kapital-marktes als eine schwierige Aufgabe darstellt.

c) ErheblichkeitDie oben genannten Tatvarianten müssen erheblich für die Anlageentscheidung gewesen sein. Zunächst kann festgestellt werden, dass der Begriff der Erheblichkeit nicht identisch mit dem Begriff aus dem WpHG (§ 38 Abs. 1 Nr.4 i.V.m. § 20a, Verbot der Kurs- und Markt-preismanipulation) ist, in dem auf die Bewertungser-heblichkeit abgestellt wurde53. Eine Angabe oder Ver-schweigen soll dann erheblich sein, wenn sie/es sich auf Umstände bezieht, die für die Anlageentscheidung aus-schlaggebend sind54. Wie man sehen kann, ist faktisch nur das Wort „erheblich“ durch das Wort „ausschlagge-bend“ ersetzt worden, was für eine Subsumtion kaum von Nutzen ist. Als weiterer Definitionsversuch wird angebo-ten, eine Angabe/ein Verschweigen sei erheblich, wenn sie/es nach Maßstab eines verständigen, durchschnittlich vorsichtigen Anlegers Einfluss auf Wert, Chancen und Risiken der Anlage hat55. Diese Definition wirft eben-

�� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 11.�� Hellmann, in: NK StGB, § 264a StGB Rdn. 34.�� Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 42.�� Hellmann, in: NK StGB, § 264a StGB Rdn. 46.�0 Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rdn. 27.�� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 11 m.w.N.�� Joecks, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2008, X 1, Rdn. 43, 45.�� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 13.�� Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 33, der diese Definition hier nur als Einführung benutzt.�� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 13 m.w.N.; vgl. auch BT-Drucks. 10/318, S. 24 und BGHSt 30, 285, 292.

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falls in einer Subsumtion mehr Fragen auf, als sie Struk-turen vorgibt56. Die verschiedenen Auffassungen zum geschützten Rechtsgut scheinen sich in der Diskussion zur Erheblichkeit wieder zu finden57. In der Praxis be-hilft man sich mittlerweile mit den Voraussetzungen der zivilrechtlichen Prospekthaftung, die hier zur Bewertung herangezogen werden58. So kann man auch die Voraus-setzungen immer wieder an die von Anlagetyp zu An-lagetyp unterschiedlichen Bedingungen anpassen59. Eine erschöpfende Darstellung aller vorhandenen Erklärungs-ansätze ist in diesem Rahmen nicht leistbar60.

7. TäterkreisDer Kreis der in Frage kommenden Personen ist sehr weit. Täter können alle sein, die den Vertrieb durchführen und diejenigen, die die Durchführung vornehmen61. In Fra-ge kommen auch Personen, die das Prospektmaterial bei sich auslegen, und sich ihren Inhalt zu Eigen machen, wie z.B. Bank- und Versicherungsvertreter, Anwälte und Steuerberater62. Eine mittelbare Täterschaft kommt bei-spielsweise in Betracht, wenn sich zur Durchführung des Vertriebs gutgläubiger Mitarbeiter bedient wird63.

IV. Subjektiver Tatbestand - VorsatzDie Anforderungen an den Vorsatz sind unkompliziert, ein Eventualvorsatz bezogen auf alle objektiven Tatbe-standsvoraussetzungen genügt64. Eine Bereicherungsab-sicht des Täters wird nicht vorausgesetzt65. In Bezug auf das Vorliegen von unrichtigen Bewertungen oder Pro-gnosen wird der Vorsatz dem Täter in der Praxis kaum nachweisbar sein66. Wenn er behauptet, der Eindruck, den die fragliche Darstellung erweckt, sei für ihn über-zeugend gewesen, mangelt es bereits am Vorsatz.

V. VerjährungMit Abschluss der Verbreitungshandlung ist das Delikt vollendet und beendet67. In diesem Moment beginnt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB die Verjährungsfrist von 5 Jahren zu laufen68. Schwierigkeiten können dadurch entstehen, dass ein Prospekt ein „Druckwerk“ nach dem HessPres-seG sein kann. Nach diesem Gesetz verjähren in Hessen Druckwerke nach 6 Monaten. Man spricht in diesem Zu-sammenhang von einem so genannten „Presseinhaltsde-�� Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, Rdn. 52, siehe Fn. 14.�� Näher hierzu: von Schönborn, Kapitalanlagebetrug, 2003, S. 36 f.�� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 13.�� vgl. Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, Rdn. 53, 55, 57.�0 Es wird exemplarisch verwiesen auf von Schönborn, Kapitalanlagebe-trug, S. 36-40, siehe Fn. 57, und auf Jacobi, Der Straftatbestand des Kapi-talanlagebetrugs, S. 218-233, siehe Fn. 11.�� Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 264a Rdn. 68.�� Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rdn. 38.�� OLG Frankfurt OLGR 2003, 111.�� Schmid, in: Wirtschaftsstrafrecht, § 27 Rdn. 161, siehe Fn. 38.�� Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 3 Kap. 1 T2, § 264a StGB Rdn. 33.�� Joecks, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, X 1, Rdn. 77, siehe Fn. 52.�� Fischer, StGB, § 264a Rdn. 18; Schmid, Wirtschaftsstrafrecht, § 27 Rdn. 163.�� OLG Köln NStZ 1999, 565.

likt“. Hierbei muss sich die Strafbarkeit der Handlung, also die Verbreitung, allein aus dem Inhalt des Prospektes ergeben69. In Hessen greift bei reinen Werbeschriften § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG, wonach es bei der strafrecht-lichen Verjährungsfrist bleibt. Als Tatort wird bei § 264a StGB jeder Ort angesehen, an dem die Prospekte verteilt wurden. Die Anwendbarkeit der Landesspressegesetze mehrerer Bundesländer kann somit auf ein und dem-selben Prospekt drohen.

VI. Tätige Reue gem. § 264a Abs. 3 StGBDieser Absatz ist der Tribut, der dem weit vorverlegten Vollendungszeitpunkt des Kapitalanlagebetrugs und der fehlenden Versuchsstrafbarkeit gezollt wurde70. Sein zeit-licher Anwendungsbereich reicht von der Tatvollendung bis zur Erbringung der Leistung durch die Anleger71. Dass die Anleger die ausgelegten Prospekte tatsächlich zur Kenntnis genommen haben ist nicht nötig. Umstritten ist der Zeitpunkt, zu dem die Leistung als erbracht gilt. Nach einer Ansicht ist dies der Fall, wenn die Leistung in die Verfügungsgewalt des Täters gelangt ist72, nach an-derer Ansicht ist sie bereits erbracht, wenn der Anleger sich vertraglich gebunden hat, die Anlage zu erwerben73. In diesem Fall würde jedoch, so die Kritik, bereits ein vollendeter Eingehungsbetrug vorliegen74, so dass dies in Bezug auf § 264a StGB zwar eine Straflosigkeit zur Fol-ge hätte, jedoch zu einer Strafbarkeit nach § 263 StGB führen könnte, was dem Sinn und Zweck des § 264a Abs. 3 StGB zuwider laufen würde. In der Realität wird eine Strafbarkeit wegen Betruges kaum vorliegen, da beim Abschluss des Vertrages kein Schaden entstanden sein dürfte75. Und genau diese Lücke sollte mit § 264a StGB geschlossen werden. Sollte der Täter die Anleger erst nach erfolgter Leistungserbringung aufklären, so ist dies nur noch im Rahmen der Strafzumessung zu berücksich-tigen76.

VII. Bedeutung für das Wirtschaftsstrafrecht - FazitDie Bedeutung der Norm für das Wirtschaftsstrafrecht ist gering. In der Literatur reichen die Vorschläge von der kompletten Streichung der Norm77 bis hin zu der Äuße-rung, dass potenzielle Straftäter sich vor der Einführung des § 264a StGB ins Strafgesetzbuch genau über seinen Inhalt informiert hätten, ihr Prospektmaterial daran an-passten, und hierin schon ein präventiver Erfolg zu seh-en sei78. Die polizeiliche Kriminalstatistik aus dem Jahre

�� Joecks, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, X 1, Rdn. 89, 90.70 Vgl. Joecks, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, X 1, Rdn. 93.�� Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rdn. 39.�� Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rdn. 39.�� Kritisch hierzu Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, Rdn. 102.�� Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rdn. 39.�� Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 71.�� Hellmann, in: NK StGB, § 264a StGB Rdn. 73.�� Jacobi, Der Straftatbestand des Kapitalanlagebetrugs, S. 263.�� Dannecker, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl. 2004, 1, Rdn. 126.

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2007 zeigt, dass § 264a StGB mit einem verhältnismä-ßig hohen Gesamtschaden aus der Gruppe der Betrugs-delikte hervorsticht, jedoch gleichzeitig kaum Urteile gesprochen wurden. Der Kapitalanlagebetrug stellt nur 0,9 % aller Betrugsstraftaten im Jahre 200779 dar, er tritt hinter § 263 StGB zurück. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Vorschrift an erheblichen Mängeln leidet. Trotz Auslegungsvorgabe durch die Rechtsprechung bleiben viele Fragen zur Bestimmtheit ungeklärt. Der Hinweis, § 264a StGB würde bestimmte Kapitalanleger bevorzu-gen, da sie bereits einen zivilrechtlichen Anspruch über § 823 Abs. 2 BGB geltend machen können, bevor tatsäch-lich ein Schaden entstanden ist80, kann dogmatisch nicht von der Hand gewiesen werden. Weiterhin ist fraglich, warum eine Strafrechtsnorm zur Lösung der früher beste-henden Probleme herangezogen und nicht eine Anpassung des BörsG vorgenommen wurde. Der Gesetzgeber woll-

�� Im Internet auf der Seite des BKA abrufbar.�0 Wohlers, in: MK StGB, § 264a Rdn. 3.

te die Anleger schützen und versuchte mit § 264a StGB eine Norm zu schaffen, die flexibler ist als der Betrug-statbestand des § 263 StGB, um früher eingreifen zu kön-nen und gleichzeitig an den flexiblen Markt anpassungs-fähig zu bleiben. Es steht wohl außer Frage, dass eine flexible Regelung nötig ist, jedoch hat dieser Versuch der Flexibilisierung sein Ziel verfehlt. Jedes dehnbare Ele-ment des Kapitalanlagebetruges sieht sich dem Vorwurf der Unbestimmtheit ausgesetzt, wird umgedeutet und ausgelegt, und dadurch doch wieder festgelegt. Gleich-zeitig entstehen hierdurch Widersprüche zum bisherigen System der §§ 263 ff. StGB. Zudem erweist sich der Markt als noch flexibler als erwartet, wie die jetzige Fi-nanzkrise in ihren Ausmaßen verdeutlicht. Es ist mehr als fraglich, ob den alten, sowie den neu aufgetretenen Pro-blemen wirklich mit strafrechtlichen Normen entgegen-getreten werden muss und soll, oder ob eine Überholung der relevanten Finanz- und Wirtschaftsgesetze nicht auch zum Erfolg führen kann.

Kartellrecht als anwaltliche Berufsperspektive

Von Rechtsanwältin Melanie Renkel, Frankfurt a.M.*

Kartellrecht ist ein lukratives Betätigungsfeld für Wirtschaftsanwälte. Soweit sie nach Stunden abrechnen, verdienen die dort tätigen Kollegen nach einschlägigen Erhebungen erheblich mehr als in vielen anderen Rechtsgebieten. Während des Studiums spielt das Kartellrecht aber meist eine eher untergeordnete Rolle. Zwar gehört die Kartellrechtsvorlesung mittlerweile an vielen Uni-versitäten zum Standardprogramm. Sie beschränkt sich aber inhaltlich meist darauf, die Grundzüge des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern zu vermitteln – dies dann in Gestalt der Kernbeschränkungen (Preisabsprachen, Kunden-/Ge-bietsaufteilung und/oder Produktionsquotierung) insbe-sondere nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschrän-kungen (GWB). Das Tätigkeitsfeld eines Anwalts im Kartellrecht geht weit darüber hinaus.

I. Aufgabenbereiche des KartellrechtsanwaltsDie Beschäftigung als Anwalt im Bereich Kartellrecht gehört sicher mit zu den abwechslungsreichsten und in-ternationalsten Tätigkeiten, die das breite Spektrum an anwaltlichen Ausrichtungen zu bieten hat. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich im Zuge der zunehmenden Glo-balisierung der Wettbewerb unter den Unternehmen ver-schärft hat. Unternehmen von heute sehen sich in ihrem täglichen Geschäft zahlreichen Herausforderungen der

unterschiedlichsten Art ausgesetzt, denen sie mit kreativen und flexiblen Lösungen begegnen müssen. Hierbei haben sie regelmäßig eine Rei-he nationaler bzw. europäischer Wettbewerbs- und Kartellrechtsvorschriften zu beachten, deren Nichteinhaltung zu empfindlichen Bußgeldern in Millionen-, teilweise sogar in Milliardenhö-

he führen kann. Sie mit kreativen Lösungsvorschlägen bei der Einhaltung der kartellrechtlichen Vorschriften zu unterstützen, ohne dabei das angestrebte ökonomische Ziel aus den Augen zu verlieren, ist die Aufgabe eines Kartellrechtsanwaltes.

Das Tätigkeitsfeld lässt sich im Wesentlichen in fünf Be-reiche unterteilen: • Beratung und Verteidigung in einem Kartellverfahren einer nationalen oder regionalen Kartellbehörde,• Beratung bei Fusionskontrollverfahren im Rahmen ei-ner M&A-Transaktion,• Erstellung und Durchführung eines Compliance-Programms, das dazu dient, die Unternehmen für die Vorschriften des Kartellrechts zu sensibilisieren, um hierdurch Kartellrechtsverstöße von vornherein zu ver-meiden,• vertragsbezogene Beratung, also Beratung zu verti-kalen Vereinbarungen (wie z.B. Vertriebsverträgen), zu horizontalen Vereinbarungen (wie z.B. Koooperati-

Ausbildung

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onen zwischen Wettbewerbern) und zu Vereinbarungen marktbeherrschender Unternehmen (einschließlich der bewussten Verweigerung des Vertragsabschlusses in ei-ner bestimmten Form oder generell) sowie• Verteidigung bzw. Vertretung in Zivilverfahren, insbe-sondere im Rahmen von privaten Schadensersatzprozes-sen.

1.Beratung und Verteidigung in einem Kartellver-fahrenIn den vergangenen Jahren hat die Anzahl der von den Kartellbehörden eingeleiteten Kartellverfahren stetig zugenommen. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die ver-schiedenen Kartellbehörden zunehmend koordinieren, so dass sich ein zunächst rein nationales Verfahren schnell zu einem internationalen ausdehnen kann. Für das betrof-fene Unternehmen stellen neben den drohenden Bußgel-dern häufig die teilweise über Jahre andauernden Unter-suchungen der Kartellbehörden, einschließlich möglicher Durchsuchungen und umfangreicher Informationsanfra-gen, die größte Belastung dar. Als Kartellrechtsanwalt beraten und vertreten Sie das betroffene Unternehmen vor den Kartellbehörden. Sie unterstützen das betroffene Unternehmen während ei-ner Durchsuchung durch die Kartellbehörde, helfen bei der Beantwortung der Informationsanfragen der Behör-den, führen zum Zwecke der Verteidigung eigene, un-ternehmensinterne Untersuchungen, sog. Audits, durch und führen mögliche Vergleichsverhandlungen mit der Behörde.

2.Beratung bei FusionskontrollverfahrenEin Unternehmen kann auf zwei Arten wachsen: im Wege des „organischen“ Wachsens, d. h. beispielsweise durch eine Erweiterung des Geschäftes aus eigener Kraft, oder durch den Erwerb eines anderen Unternehmens oder Ge-schäftsbereichs (Mergers & Acquisitions). Entscheidet sich ein Unternehmen für letzteres, könnte das Zusam-menschlussvorhaben, abhängig von den Umsatzerlösen und/oder Marktanteilen der beteiligten Unternehmen, unter Umständen bei verschiedenen nationalen Kartellbe-hörden bzw. der Europäischen Kommission anzumelden sein. Im Rahmen dieses sog. Fusionskontrollverfahrens überprüft die Behörde die von dem Zusammenschluss ausgehenden Auswirkungen auf den Wettbewerb in den jeweils betroffenen Märkten. Gelangt sie hierbei zu dem Ergebnis, dass durch den Zusammenschluss eine markt-beherrschende Stellung eines der beteiligten Unterneh-men begründet oder verstärkt oder der wirksame Wettbe-werb erheblich beeinträchtigt wird, so untersagt sie den Unternehmenserwerb. Als Anwalt im Kartellrecht beraten und vertreten Sie ein Unternehmen im Fusionskontrollverfahren. Sie bereiten die Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens vor und melden es bei der nationalen Kartellbehörde bzw. der Eu-

ropäischen Kommission an; darüber hinaus begleiten sie das Verfahren bis zu dessen Abschluss und verhandeln bei komplexen Transaktionen mögliche Auflagen und Bedingungen, um bestehende kartellrechtliche Bedenken der Behörde zu beseitigen.

3. Erstellen und Durchführung eines Compliance-ProgrammsDer dritte Bereich des Kartellrechts umfasst die sog. „Compliance“. In diesen Bereich fallen sämtliche anwalt-liche Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, von vornher-ein sicherzustellen, dass sich ein Unternehmen kartell-rechtskonform verhält. Hierzu gehören beispielsweise das Durchführen eines unternehmensinternen Audits, um mögliche Kartellverstöße festzustellen und zu beenden, sowie die kartellrechtliche Schulung von Mitarbeitern.

4. Vertragsbezogene BeratungDie vertragsbezogene Beratung stellt einen wesentlichen Teil der Tätigkeit eines Kartellrechtsanwaltes dar. Un-ternehmen gehen in ihrem täglichen Geschäft eine Viel-zahl von vertraglichen Beziehungen ein. Einige dieser Verträge fallen unter Umständen in den Anwendungsbe-reich der kartellrechtlichen Vorschriften. Beispielsweise unterliegen Unternehmen bei der Ausgestaltung ihrer Vertriebsverträge einer Reihe von Restriktionen (z. B. Verbot der vertikalen Preisbindung oder Gebietsauftei-lung), deren Nichteinhaltung nicht nur zu empfindlichen Bußgeldern, sondern auch zur Nichtigkeit des Vertrags und sämtlicher Anschlussverträge führen kann. Beson-dere Vorsicht ist vor allem bei Kooperationsverträgen mit Wettbewerbern, sog. horizontalen Vereinbarungen, geboten. Derartige Vereinbarungen beinhalten bereits ihrem Wesen nach die erhöhte Gefahr einer möglichen Kartellrechtsverletzung. Ähnliche Bedenken bestehen im Hinblick auf markstarke bzw. marktbeherrschende Unternehmen. Infolge dessen sind die kartellrechtlichen Anforderungen und Restriktionen, denen diese Unter-nehmen unterliegen, erhöht. Zu den Tätigkeiten eines Kartellrechtsanwalts gehört es, Unternehmen bei der Ausgestaltung ihrer diversen ver-traglichen Beziehungen zu beraten. Hierbei kommt es häufig zu einem Konflikt zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen und dem kartellrechtlich Zulässigen. Es ist Ihre Aufgabe als Kartellrechtsanwalt, diesen Konflikt zu lösen.

5. Verteidigung bzw. Vertretung in privaten Scha-densersatzprozessenIn den letzten Jahren hat sich zudem ein bis dato relativ unbedeutendes Tätigkeitsfeld an der Schnittstelle zwi-schen Prozess- und Kartellrecht hervorgetan – die Ver-tretung im Rahmen privater Schadensersatzklagen. In Deutschland wurden die Möglichkeiten des Schadenser-satzanspruches auf Grund Kartellverstoßes mit der Än-

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derung des § 33 GWB durch die 7. GWB-Novelle 2005 und nicht zuletzt durch die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Zulässigkeit „erkaufter“ Schadensersatzklagen ohne eigenem Interesse an der dahinterstehenden Schadensersatzforderung erheblich ausgeweitet. Ähnliche Bestrebungen lassen sich auch in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, bei-spielsweise in Italien, Großbritannien und Österreich, bzw. bei der Europäischen Kommission selbst finden. Für den Anwalt im Kartellrecht eröffnet sich hier die Möglichkeit, allein oder in Zusammenarbeit mit den Pro-zessrechtlern sowohl als Vertreter von potenziell Geschä-digten als auch potenziellen Kartellanten aktiv zu werden – er kann somit sowohl in der Rolle des Angreifers als auch des Verteidigers agieren. Im Rahmen eines Ver-fahrens ist er auf Grund Standesrechts selbstverständlich von einer Doppelvertretung ausgeschlossen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer ziviler Rechts-streitigkeiten, in denen Kartellrecht eine besondere Rolle spielt. Hierzu gehört beispielsweise die Klage auf Belie-ferung oder auf Schadensersatz wegen Nichtbelieferung.

II. Ist die Spezialisierung auf ein kartellrechtliches Einzelgebiet sinnvoll?Ausgehend von dem Oberbegriff „Rechtswissenschaft“, für den sich jeder Jurist zu Beginn seiner Karriere ent-scheidet, stellt eine ausschließlich auf den Bereich Kar-tellrecht ausgerichtete Tätigkeit bereits eine Speziali-sierung dar. Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass diese Spezialisierung angesichts der Kom-plexität des Rechtsgebiets, der sich stetig weiterentwi-ckelnden Vorschriften und Rechtsprechung sowie der zunehmenden Internationalisierung des Kartellrechts ge-rechtfertigt ist. Diese Einschätzung wird durch den Um-stand bestätigt, dass eine kartellrechtliche Beratung fast ausschließlich von großen, internationalen Kanzleien bzw. von so genannten „Boutiquen“, also kleineren, auf ein bestimmtes Rechtsgebiet spezialisierten Kanzleien, angeboten wird. Darüber hinaus trifft man immer wieder auf Kartellrecht-ler, die ihren Tätigkeitsbereich über die „allgemeine“ Spezialisierung hinaus weiter eingegrenzt haben und bei-spielsweise ausschließlich oder zumindest ganz überwie-gend Unternehmen in Fusionskontrollverfahren beraten (zu den einzelnen Bereichen des Kartellrechts siehe oben unter 1.) oder sich auf einen bestimmten Industriesek-tor spezialisiert haben (z. B. auf Pharma- oder Energie-kartellrecht). Eine derartige Beschränkung des ohnehin schon sehr eng gefassten Betätigungsfelds erscheint auf den ersten Blick verfehlt. Insofern ist jedoch zu berück-sichtigen, dass eine adäquate kartellrechtliche Beratung nicht nur voraussetzt, dass der Kartellrechtsanwalt den Unternehmensgegenstand des Mandanten kennt, sondern darüber hinaus eine umfassende Kenntnis und ein ver-tieftes Verständnis des wettbewerblichen Umfelds des

Mandanten sowie der gegebenenfalls bereits bestehen-den Entscheidungspraxis der Kartellbehörden erfordert. Dies hat zur Folge, dass sich der Kartellrechtler einen umfassenden Überblick über die relevanten Produkte des Mandanten und deren verschiedene Verwendungsmög-lichkeiten, die Geschäftsaktivitäten seiner Mitbewerber, die unterschiedlichen Preis- und Vertriebsstrukturen, den Kundenstamm sowie die Entscheidungspraxis der Behör-den verschaffen muss. Dabei erfordern manche Indus-trien bzw. komplexe Transaktionsstrukturen besondere Kenntnisse, die zum Teil erst durch die Erfahrungen im Laufe der Berufspraxis erworben werden. Unter diesen Gesichtspunkten ist eine weitergehende Spezialisierung nicht mehr fernliegend. So sinnvoll eine weitergehende Spezialisierung auch sein mag, so wird an den obigen Ausführungen jedoch auch deutlich, dass eine Tätigkeit in jedem Teilbereich des Kartellrechts Kenntnisse der anderen Teilbereiche vor-aussetzt. Beispielsweise wird ein Fusionskartellrechtler, der im Rahmen seiner Ausbildung nur einen peripheren Einblick in das Vertriebskartellrecht hatte, bei der Beur-teilung möglicher vertikaler Auswirkungen des Zusam-menschlussvorhabens im Rahmen der Fusionskontrolle Schwierigkeiten haben. Eine Spezialisierung, sofern sie zu einem früheren Zeitpunkt überhaupt möglich ist, ist somit jedenfalls frühestens im Referendariat, besser je-doch nach den ersten Berufsjahren anzuraten.

III. Die anwaltlichen Aufgaben bei der Gestaltung von Joint Ventures und Compliance-Programmen1. Joint VenturesDie Beratung von Unternehmen, die ein Gemeinschafts-unternehmen (Joint Venture) gründen wollen, gehört mit zu den interessantesten und zugleich schwierigsten Tä-tigkeiten eines Kartellrechtsanwaltes. Dies gilt insbeson-dere, wenn die zukünftigen Muttergesellschaften des Ge-meinschaftsunternehmens miteinander im Wettbewerb stehen, da in derartigen Fällen neben der unter Umstän-den einschlägigen Fusionskontrolle auch stets die Gefahr besteht, dass die Muttergesellschaften ihr Auftreten am Markt über das Gemeinschaftsunternehmen koordinieren (so genannte horizontale Verhaltenskoordination). Hier-in wäre eine Verletzung von Art. 81 Abs. 1 EG zu sehen, die – sofern nicht nach Art. 81 Abs. 3 EG gerechtfertigt bzw. freigestellt – bußgeldbewährt ist. Die anwaltliche Beratung in diesem Bereich setzt be-reits bei der Strukturierung des Gemeinschaftsunterneh-mens an und setzt sich im Wege der Fusionskontrolle fort. Eine wesentliche Weichenstellung ist dabei stets, ob das Gemeinschaftsunternehmen als „full-function“ („vollfunktional“), d. h. als auf Dauer alle Merkmale einer selbstständigen Wirtschaftseinheit erfüllend, oder „non-full-function“ ausgestaltet wird. Denn nur bei Voll-funktionalität (und der Erfüllung der Schwellenwerte der Fusionskontrollverordnung [FKVO]) fällt die Fusions-

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kontrolle vor Gründung des Gemeinschaftsunternehmens in die Zuständigkeit der Europäischen Kommission. Fehlt sie hingegen (und erfüllt die Gründung des Gemein-schaftsunternehmens auch nicht die Fusionskontrollvor-schriften eines nationalen Mitgliedsstaats, beispielsweise weil die nationalen Schwellenwerte nicht erfüllt sind), obliegt es grundsätzlich allein den Unternehmen darauf zu achten, dass die Gründung des Gemeinschaftsunter-nehmens nicht zu einer Verletzung des Kartellverbots in Art. 81 Abs. 1 EG führt. Darüber hinaus bestehen zahl-reiche Möglichkeiten, ein Gemeinschaftsunternehmen auszugestalten, um den Bedürfnissen und Zielen der be-teiligten Unternehmen gerecht zu werden.

2. Compliance-ProgrammeDas Thema Compliance hat im Zuge der steigenden Buß-gelder und der zunehmenden Aktivität der Kartellbehör-den in den letzten Jahren an Aktualität gewonnen. Viele Unternehmen wollen nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und auf das Beste hoffen, sondern mögliche Kar-tellrechtsverstöße möglichst frühzeitig aufdecken und vor Einleitung eines Kartellverfahrens beenden bzw. mittel- und langfristig Kartellrechtsverstöße im Unter-nehmen verhindern.

Abhängig von den individuellen Bedürfnissen und Vor-stellungen des Mandanten besteht ein Compliance-Pro-gramm aus folgenden Elementen: • Internes Audit zur Aufdeckung der kartellrechtlichen Schwachstellen und möglicher Verstöße im Unterneh-men,• Erstellung eines industrie-spezifischen Compliance-Manuals (ein Handbuch mit Verhaltensregeln für die Mitarbeiter),• Erstellung eines Online-Schulungsmoduls für die Mit-arbeiter mit industrie-spezifischen Beispielen und• maßgeschneiderte Schulungen der Mitarbeiter.

Die anwaltliche Tätigkeit im Bereich Compliance ist überaus abwechslungsreich und vielfältig. Im Rahmen des internen Audits werden Dokumente und elektro-nische Daten der Mitarbeiter auf kartellrechtlich relevante Sachverhalte hin durchsucht. Dabei wird insbesondere auf Preisabsprachen, Informationsaustausch und Kun-denaufteilung (so genannte Kernbeschränkungen) unter Wettbewerbern geachtet. Je nach Industriezweig können die Suchkriterien jedoch variieren. Das Compliance-Manual dient als Verhaltenskodex. In diesem werden die Grundzüge des Kartellrechts erklärt und anhand von industrie-spezifischen Beispielen Hilfestellungen im täg-lichen Geschäftsverkehr gegeben. Ein Compliance-Ma-nual enthält beispielsweise Richtlinien zur kartellrechts-neutralen Formulierung von Schriftstücken und E-Mails, zum kartellrechtskonformen Verhalten bei Verbandstref-fen, gibt Anleitung zum Verhalten bei Durchsuchungen

durch eine Kartellbehörde, erklärt die Möglichkeiten und Risiken eines sog. Bonusantrags, d. h. einer Selbstanzei-ge gegenüber der Behörde, verbunden mit dem Antrag auf Straffreistellung bzw. Strafmilderung, etc. Das On-line-Schulungsmodul baut hierauf auf und ermöglicht es dem Unternehmen, den Kenntnisstand seiner Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und bei Be-darf entsprechende Schritte beispielsweise in Form einer Live-Schulung der Mitarbeiter einzuleiten.

IV. Fallbeispiele1. Joint VenturesDie anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Joint-Venture-Beratung lässt sich an folgendem vereinfachten Beispiel illustrieren:Die miteinander im Wettbewerb stehenden Pharmaun-ternehmen Amphetamin (A) und Betel (B) wollen ge-meinsam Vitaminpräparate, insbesondere das Produkt B1 produzieren und vertreiben. Hierzu beabsichtigen sie, ein 50:50-Gemeinschaftsunternehmen, die Canabidiol (C), zu gründen. A und B haben auf dem Gesamtmarkt für Vitamine einen nicht unerheblichen Marktanteil. Um das von den beteiligten Unternehmen letztlich an-gestrebte, wirtschaftliche Ziel zu erreichen, werden eine Reihe struktureller Ausgestaltungsoptionen – auch ohne die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, son-dern über Alternativen wie etwa Lizenzvereinbarungen – diskutiert. So könnte beispielsweise A das Produkt B1 voll an B auslizensieren, d. h. A würde sich sämtlicher Produk-tions- und Vertriebsrechte an dem Produkt B1 entledi-gen, und B würde das Produkt fortan selbstständig ver-treiben. Dies würde jedoch nicht den Interessen von A entsprechen, da das Unternehmen auf diesem Wege jede Einflussmöglichkeit auf B und damit das Produkt ver-löre. Würden A und B, um diesen Nachteil zu Lasten des A zu beseitigen, eine Abrede treffen, die es A ermöglich-te, einen irgendwie gearteten wettbewerblich relevanten Einfluss auf das Produktportfolio von B zu nehmen, so läge darin eine wettbewerbswidrige Absprache und da-mit ein Kartellverstoß. Würden A und B hingegen das ursprünglich geplante 50:50-Gemeinschaftsunternehmen C gründen und darin Produktion und Vertrieb ihrer jeweiligen Vitaminprä-parate bündeln, setzten sie sich der dauernden Verhal-tenskontrolle nach Art. 81 Abs. 1 EG aus, da zu jedem Zeitpunkt die Gefahr einer horizontalen Verhaltenskoor-dination zwischen A und B bestünde. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Unternehmen ihre gesamten Aktivitäten hinsichtlich des fraglichen Produkts, bezüglich dessen sie in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, in das Gemein-schaftsunternehmen einbringen. In diesem Fall würden die kartellrechtlichen Auswirkungen des Vorhabens im Rahmen der Fusionskontrolle geprüft. Besonderes Au-

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genmerk wird dabei auf die zwischen den Muttergesell-schaften des Gemeinschaftsunternehmens regelmäßig vereinbarten Wettbewerbsverbote gelegt werden. Diese Lösung berücksichtigt die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen ohne gegen kartellrechtliche Vorschriften zu verstoßen.

2. Compliance-ProgrammeDas Erstellen eines Compliance-Programms ist stets an den individuellen Anforderungen des Mandanten auszu-richten. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass es seinen eigentlichen Zweck verfehlt, den Mandanten vor zukünf-tigen Kartellverstößen zu bewahren. Folgendes verein-fachtes Beispiel aus der Praxis soll dies verdeutlichen. Eine Mitarbeiterin des Unternehmens Defector (D), einem Hersteller von Spielekonsolen, erfährt von einer alten Schulfreundin, die beim Wettbewerber Renegade (R) arbeitet, dass sich die Geschäftsführung von R in Gesprächen mit dem Bundeskartellamt (BKartA) befin-det. Es besteht der Verdacht, dass R und D sowie wei-tere Spielekonsolenhersteller massiven Druck auf die Wiederverkaufspreise ihrer Händler ausgeübt haben. Hiervon aufgeschreckt, lässt D ein internes Audit durch-führen, im Zuge dessen eine Anzahl inkriminierender Dokumente und E-Mails gefunden werden. Da das Bo-nusprogramm des BKartA auf vertikale Verstöße keine Anwendung findet, entschließt sich D, ein Compliance-Handbuch anfertigen zu lassen. Die Kanzlei, die er mit der Erstellung des Handbuchs beauftragt, übersendet ihm ein Standarddokument, in dem mit kurzen Worten die Grundzüge des Kartellrechts dargestellt sind. Industrie-bezogene Beispiele und Verhaltensanleitungen fehlen. D stellte dieses Dokument zum Herunterladen im Intranet des Unternehmens zur Verfügung. Bei einer internen Compliance-Besprechung gut ein Jahr später stellt sich heraus, dass sich die Sensibilität der Mitarbeiter für kar-tellrechtliche Belange nicht verbessert hat. Eine Nachfra-ge bei den Angestellten ergibt, dass der Inhalt des Com-pliance-Handbuchs schlichtweg nicht verstanden worden ist. Die Ausführungen sind zu abstrakt gehalten, so dass die Mitarbeiter nicht in der Lage waren, die einzelnen Fallkonstellationen auf die verschiedenen Situationen in ihrem täglichen Geschäftsbereich zu übertragen. Darü-ber hinaus fehlte ihnen eine klare Anleitung beispiels-weise dazu, welche Formulierungen beim Verfassen eines Textes besser vermieden werden sollten, ab wann eine unverfängliche Diskussion mit dem Wettbewerber kartellrechtlich kritisch würde und in welchen Fällen sie Rücksprache mit der Rechtsabteilung nehmen sollten. D lässt darauf hin von seinen neuen Beratern ein maßge-schneidertes Compliance-Manual mit anschaulichen in-dustrie-spezifischen Beispielen und einfachen Do’s und Don’ts für die Mitarbeiter anfertigen sowie Live-Schu-lungen durch einen Kartellrechtsanwalt veranstalten. Di-ese Maßnahmen führen schließlich dazu, dass eine Reihe

weiterer, horizontaler Kartellverstöße aufgedeckt wird und im Wege eines Bonusantrags bei den Behörden be-reinigt werden kann.

V. Auswirkungen auf die StudienplanungStudenten, die sich für eine spätere Berufstätigkeit als Anwälte im Kartellrecht interessieren, sollten sich bereits während ihres Studiums Grundzüge des deutschen und europäischen Kartellrechts aneignen. An manchen Uni-versitäten besteht zudem die Möglichkeit, sich zusätzlich einen Einblick in das US-amerikanische Antitrust Law zu verschaffen. Darüber hinaus sind auch ökonomische Grundkenntnisse von Vorteil. Sowohl bei der Fusionskontrolle als auch bei Kartellverfahren kommt es immer wieder entscheidend auf die Auswirkungen des Zusammenschlussvorhabens bzw. des Kartells auf die am Markt herrschenden Preise an. In diesem Zusammenhang werden regelmäßig Öko-nomen hinzugezogen, die in Zusammenarbeit mit den Ju-risten argumentative Lösungsansätze entwickeln. Unbedingt erforderlich sind gute Kenntnisse der eng-lischen Sprache in Wort und Schrift. Insofern bietet sich die Teilnahme an einem kartellrechtlich ausgerichteten LL.M.-Programm an, beispielsweise am Europa-College in Brügge oder dem King’s College in London.Als internationale Wirtschaftskanzlei unterstützt Baker & McKenzie zudem ausgewählte Bewerber im Rahmen eines besonderen Förderprogrammes. Vor gut einem Jahr hat sie in der anwaltlichen Nachwuchsförderung einen ganz eigenen Weg eingeschlagen, der sich deutlich von den im Wettbewerb bekannten Standardinstrumenten der Nachwuchsgewinnung absetzt: Im Zuge ihres Career Mentorship Programmes CMP werden 30 ambitionierte Nachwuchsjuristen kontinuierlich auf ihrem Ausbil-dungsweg begleitet – nicht nur, aber auch im Kartell-recht. Jedem Teilnehmer steht insoweit ein individueller Mentor für alle fachlichen und persönlichen Fragen zu Verfügung. Im Rahmen der Mentorship University wird den Teilnehmern ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnitte-nes Weiterbildungsprogramm mit Fachseminaren und Soft-Skill-Trainings geboten. In geeigneten Fällen wer-den Mentees auch in Praxiseinsätze eingebunden. Aus den vielfältigen Begegnungen mit den Baker & McKen-zie-Anwälten - sei es zu professionellen, sei es zu sozi-alen Anlässen - hat sich eine ganz besondere Beziehung zu der Sozietät und zugleich ein eigener Team Spirit un-ter den Mentees entwickelt.1

* Die Autorin dieses Artikels ist Rechtsanwältin im Frankfurter Büro der Sozietät Baker & McKenzie. Baker & McKenzie zählt mit 67 Standorten in 39 Ländern der Erde und einem Umsatz von zuletzt 2,19 Mia. USD zu den am besten vernetzten und umsatzstärksten Kanzleien der Welt. Die Kanzlei ist regelmäßig an Bewerbungen wirtschaftlich interessierter Praktikantinnen und Praktikanten sowie Referendarinnen und Referendare interessiert.

E-Mail: [email protected]: www.bakernet.com

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Typische Zusatzfragen zum StrafprozessrechtAus Klausuren und mündlichen Staatsexamina*

Von Dr. Jochen Zenthöfer, Vorstand einer Aktiengesellschaft, Freiburg

1. Kann in unserem Rechtssystem ein Strafverfah-ren geführt werden, ohne dass der Beschuldigte davon weiß?Oft erfährt der Beschuldigte gar nicht, dass ein Strafver-fahren gegen ihn geführt wird. Das ist der Fall, wenn der Staatsanwalt das Verfahren einstellt, ohne auch nur den Beschuldigten zu dem Vorwurf anzuhören. Also: Ja.

2. Sie erhalten von der Polizei eine Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung. An dem genannten Tag heiratet Ihr bester Freund. Dürfen Sie der Poli-zei absagen?Die Polizei kann nicht erzwingen, dass der Beschuldigte auf dem Revier zur Aussage erscheint. Nur die Staatsan-waltschaft könnte eine Vorladung mit Zwang durchset-zen (§§ 163a Abs. 3 Satz 1, 133 StPO). Also: Ja.

3. Nun lädt Sie die Staatsanwaltschaft zu einem Termin. Sie können wegen der Hochzeit Ihres Freundes nicht erscheinen. Was können Sie tak-tisch versuchen, damit Sie nicht zwangsweise vor-geführt werden?Da der Beschuldigte das Recht hat, sich nicht zum Tat-vorwurf zu äußern, sollte man schriftlich ankündigen, von dem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Dann wird der Staatsanwalt in aller Regel von einer Vorfüh-rung absehen.

4. Was tun Sie als Verteidiger zuerst, wenn ein neu-er Mandant mit einer Vorladung zu Ihnen kommt und Ihre Hilfe erwünscht?Zuerst klären Sie das Honorar. Zur Vorbereitung der Verteidigung nehmen Sie dann Akteneinsicht, um eine Verteidigung aufzubauen. Raten Sie dem Mandanten, vor Akteneinsicht vom Schweigerecht Gebrauch zu ma-chen.

5. Ist einem Beschuldigten, der keinen Anwalt hat, möglich, Akteneinsicht zu nehmen?Der Beschuldigte ohne Verteidiger hat das Recht, Aus-künfte und Abschriften aus den Akten zu erhalten, § 147 Abs. 7 StPO. Das Gesetz formuliert allerdings eine Kann-Regel. Auskünfte und Abschriften sind nicht zu er-teilen, „wenn der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte“ oder „schwerwiegende schutzwürdige Interessen Dritter“ entgegenstehen.

6. Nach Akteneinsicht erfahren Sie als Anwalt, dass sich ein Tatnachweis nicht führen lässt. Was sollte

Ihr Mandant in der Hauptverhandlung tun?Schweigen.

7. Zu welchen rechtlichen Konsequenzen führt eine Lüge des Beschuldigten?Die Lüge ist sanktionslos. Der Beschuldigte darf lügen, solange er keinen Dritten einer Tat beschuldigt (§ 164 StGB) und niemanden beleidigt (§§ 185 ff. StGB).

8. Nehmen Sie an, Ihr Mandant ist „überführt“. Welche Punkte kann ein Anwalt anführen, um eine Strafmilderung zu erreichen?Mögliche Milderungsgründe sind in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannt. Zu nennen sind:a) Verständliche Beweggründe des Täters, zum Beispiel Notwehr.b) Geringe Auswirkungen der Tat, zum Beispiel: Das Opfer ist nur leicht geschädigt.c) Geringer Tatbeitrag bei mehreren Tatbeteiligten, zum Beispiel als Gehilfe. d) Vorleben des Täters, zum Beispiel „schwere Kind-heit“. Aber: Viele Personen auch mit „schwerer Kind-heit“ sind nicht straffällig.e) Mitverschulden des Opfers, zum Beispiel Provokation oder Dummheit.f) Nachtatverhalten: Geständnis.g) Wirkungen der Strafe auf den Täter: Kranke oder alte Täter.

Falle: Oft fragen Prüfer nach der Strafzumessung. „Wo stehen die Vorschriften dazu?“ Die meisten Prüflinge blättern dann in der StPO. Die Strafzumes-sung ist jedoch in §§ �� ff. StGB geregelt.

9. Bei welchem Strafmaß kommt eine Freiheitsstra-fe auf Bewährung überhaupt in Betracht?Die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung kommt nur für Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren in Be-tracht, § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB. 10. Frau S wurde von einem losen Bekannten als „Hure“ beschimpft. Sie möchte bei der Polizei eine Strafanzeige abgeben. Sie haben eine bessere Idee - welche?Sie sollte einen Strafantrag stellen. Denn bei einer Straf-anzeige wird lediglich ein Sachverhalt der Polizei oder der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, was dazu führen kann, dass ein Strafverfahren eingeleitet wird. Mit einem Straf-antrag bringt der Geschädigte zum Ausdruck, dass er sei-

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nen eigenen angezeigten Sachverhalt auch verfolgt sehen will. Daher muss ein Strafantrag regelmäßig neben der Strafanzeige ausdrücklich gestellt werden. Frau S sollte einen Strafantrag nach § 194 StGB stellen. Nur ein Straf-antrag kann zurückgenommen werden, nicht jedoch eine Strafanzeige.

11. Es ist 7 Uhr morgens. An Ihrer Tür klingelt es. Dort stehen 5 Polizeibeamte und haben einen Durchsuchungsbefehl für Ihre Wohnung in der Hand. Was tun Sie?Erstens: Durchsuchungsbefehl zeigen lassen.Zweitens: Zum Tatvorwurf schweigen.Drittens: Ruhe bewahren und danach fragen, nach was gesucht wird. Hat man an verschiedenen Stellen Dinge in der Wohnung, die besser nicht gefunden werden sollten, sollte man die gesuchte Sache freiwillig herausgeben. So kann man eine Durchsuchung abwenden, die sonst noch Zufallsfunde an den Tag legt, die in einem Verfahren ebenfalls verwertet werden dürfen, § 108 StPO.Viertens: Dienstausweis des leitenden Durchsuchungs-beamten verlangen und Ausweisnummer notieren. Fünf-tens: Anwalt anrufen.

12. Der Polizeibeamte erklärt, es liege keine schrift-liche Anordnung vor. Zudem könne man nicht war-ten, bis der Anwalt eingetroffen sei. Ist die Durch-suchung trotzdem zulässig?Ja. Auch mündliche Durchsuchungsanordnungen sind zulässig. Das bedeutet, dass kein Richter entschieden hat. Die Polizei oder die Staatsanwaltschaft handeln bei „Ge-fahr im Verzug“. Gefahr im Verzug bedeutet, dass ein richterlicher Durchsuchungsbefehl nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden kann, um nicht den Erfolg der Durch-suchung zu gefährden. Dies muss begründet werden. Die Begründung sollte schriftlich in die Akten aufgenommen werden. Darauf hat der Beschuldigte einen Anspruch. Vorteil: Sollte ein Gericht feststellen, dass „Gefahr im Verzug“ nicht vorlag, können die beschlagnahmten Ge-genstände für das Verfahren nicht verwertet werden. Zur zweiten Frage: Die Polizei muss nicht auf den Verteidi-ger warten (OLG Stuttgart NStZ 1984, 574).

13. Die Polizei beschlagnahmt einen gefundenen Gegenstand und will damit verschwinden. Was verlangen Sie?Die Polizei wird ein Beschlagnahmeverzeichnis erstel-len. Dieses Verzeichnis enthält eine Aufstellung der be-schlagnahmten Gegenstände. Dem Beschuldigten muss eine Kopie übergeben werden (§ 107 StPO). Das Ver-zeichnis sollte man auf Richtigkeit prüfen. Man kann zu-dem der Beschlagnahme widersprechen.

14. Weshalb bleiben Rechtsbehelfe gegen Be-schlagnahmeanordnungen fast immer erfolglos?

Für eine rechtmäßige Beschlagnahme ist in der Regel nur erforderlich dass ein Tatverdacht besteht und der be-schlagnahmte Gegenstand möglicherweise für das Straf-verfahren von Bedeutung ist (vgl. § 94 Abs. 1 StPO). Das aber kann vieles sein.

15. Welchen Rechtsbehelf legt man gegen eine richterliche Durchsuchungsanordnung ein, wenn die Durchsuchung vorbei ist?Die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO. Sie ist an das Gericht zu adressieren, das den Beschluss erlassen hat (§ 306 Abs. 1 StPO).

16. Ihre Wohnung soll durchsucht werden. Da Sie nicht anwesend sind, bricht ein Schlosser die Tür auf. Später wird das Verfahren eingestellt. Können Sie Ersatz für die zerstörte Tür verlangen?Ja. Das richtet sich nach dem Gesetz über die Entschä-digung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG). Vor-aussetzung für einen Ersatz ist, dass der Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt wird. Der Betroffene muss einen Antrag an das Gericht stellen. Ge-gen eine ablehnende Entscheidung des Gerichts kann Be-schwerde eingelegt werden, § 8 Abs. 3 StrEG.

Falle: In Fernsehkrimis sehen wir oft Polizisten, die zufällig einen bisher unbescholtenen Täter bei einer Straftat beobachten und dann sagen, er sei „verhaf-tet“. Das ist falsch. Der Polizist wird den Täter fest-nehmen, nicht verhaften. Denn die Verhaftung ist Freiheitsentziehung aufgrund eines bereits bestehen-den Haftbefehls. War der Täter bisher unbescholten, liegt gegen ihn kein Haftbefehl vor. Dann ist eine Festnahme gegeben. – Viele Prüfer wollen wissen, ob man diesen Unterschied kennt, den Laien immer wie-der falsch machen. 17. Was sind die Voraussetzungen für einen Haft-befehl?Der Haftbefehl ist in § 114 StPO geregelt, die Vorausset-zungen sind nach § 112 StPO ein dringender Tatverdacht (= es ist sehr wahrscheinlich, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat), ein Haftgrund (häufigster Fall ist Fluchtgefahr) und Verhältnismäßigkeit.

18. Nennen Sie ein Beispiel, wann die Polizei Fluchtgefahr annehmen wird!(Originalfrage aus dem 1. Juristischen Staatsexamen des Autors.)Die Polizeibeamten treffen den Beschuldigten vor seiner Wohnung mit mehreren Koffern und größeren Mengen ausländischem Bargeld an, während ein gerufenes Taxi eintrifft.(Originalantwort, erfolgreich: die Prüfung ergab ein „gut“).

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19. Nach einer Festnahme wird der Beschuldigte beim Richter vorgeführt. Was kann der Richter nun tun?Der Richter hat drei Möglichkeiten: Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft anordnen oder den Erlass eines Haftbefehls ablehnen oder den Haftbefehl zwar erlassen, aber seine Vollziehung aussetzen nach § 116 StPO. Der Beschuldigte muss dann nicht in Haft.

20. Der Vorgeführte beantragt sofort Haftprüfung nach § 118 StPO. Wieso kann das ein taktischer Fehler sein?Oft ist es sinnlos, einen mündlichen Haftprüfungstermin sofort nach der Inhaftierung zu stellen, denn es nützt nichts, mit denselben Argumenten wie bei der Vorfüh-rungsverhandlung beim oft selben Haftrichter nur wenige Tage später in einer mündlichen Haftprüfung anzutreten. Der Richter wird in wenigen Tagen nicht seine Ansicht ändern, wenn die Sachlage sich nicht wesentlich verän-dert hat. Der Beschuldigte kann dann aber zwei Monate lang keinen neuen Haftprüfungstermin erreichen, § 118 Abs. 3 StPO. Ein zu schnell gestellter Antrag kann also einen Antrag sperren, der etwas später gestellt mehr Aus-sicht auf Erfolg hätte.

21. Wann sollte ein Haftprüfungsantrag also am besten gestellt werden?Wenn sich die Sachlage für den Betroffenen günstig verändert hat, weil zum Beispiel ein Entlastungszeuge gefunden wurde oder das Gutachten eines Sachverstän-digen eingegangen ist.

22. Wie lange darf eine Person ohne richterliche Anordnung in Gewahrsam genommen werden? Und wie lange darf eine Person in Untersuchungs-haft gehalten werden?1. Bis zum Ende des nächsten Tages (also maximal 47 Stunden, 59 Minuten), vgl. § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO.2. Es gibt keine zeitliche Grenze, jedoch dürfen 6 Mona-ten nur bei besonderem Umfang der Ermittlungen über-schritten werden, § 121 StPO.

Falle: Viele Laien glauben, dass eine Person „�� Stun-den“ ohne richterliche Anordnung in Gewahrsam ge-nommen werden darf. Tatsächlich geht das aber bis zum Ende des nächsten Tages, also – je nach Festnah-mezeitpunkt – �� Stunden, � Minute bis �� Stunden, �� Minuten. In der mündlichen Prüfung ist es ein gro-ber Fehler, von den „�� Stunden“ auszugehen. 23. Weshalb wird die Privatklage so selten erho-ben?Der Privatkläger muss einen Gebührenvorschuss einzah-len, damit die Privatklage dem Beschuldigten zugestellt wird, § 379a StPO. Außerdem kann das Privatklagever-

fahren wegen geringer Schuld des Beschuldigten einge-stellt werden gemäß § 383 Abs. 2 StPO. Das hat zur Fol-ge, dass der Privatkläger die Kosten trägt, und zwar nicht nur die eigenen, sondern auch die Gerichtskosten und die Rechtsanwaltsgebühren des Beschuldigten, § 471 Abs. 2 StPO. Zudem kann der Verletzte als Privatkläger auch nicht mehr Zeuge sein, was die Beweislage verschlech-tert.

24. Was raten Sie als Anwalt einem Mandanten, wenn ihn ein Strafbefehl erreicht?Das kommt darauf an. Ist der Mandant unschuldig, soll-te er schriftlich innerhalb von zwei Wochen Einspruch nach § 410 Abs. 1 StPO erheben. Dann kommt es zu ei-ner Hauptverhandlung. Dagegen lohnt es sich in ande-ren Fällen, den Strafbefehl zu akzeptieren. Denn ohne Hauptverhandlung erfährt auch die Öffentlichkeit nichts von dem Verfahren – das ist insbesondere für Ärzte, Ge-schäftsleute, Professoren, Jura-Repetitoren und ähnliche Berufe interessant.Hinweis: In über 40 % (!) aller amtsgerichtlichen Ver-fahren werden von der Staatsanwaltschaft Strafbefehle beantragt. Ein Muster mit Erläuterungen finden Sie im Juristischen Grundkurs „Strafprozessrecht“ des Richter Verlages.

25. Wird gegen eine Strafbefehl Einspruch ein-gelegt, findet eine Hauptverhandlung statt. Dort ist die Position des Angeklagten schlechter als in anderen Hauptverhandlungen. Weshalb? (Sehr schwere Frage)Dies ergibt sich aus dem unscheinbaren § 411 Abs. 2 Satz 2 StPO, der auf § 420 StPO verweist – einer Vor-schrift aus dem „beschleunigten Verfahren“. Danach kann der Strafrichter das Beweisantragsrecht nach § 244 StPO praktisch aufheben und frei von Formvorschriften und Beteiligungsrechten die Beweisaufnahme selbst ge-stalten.

26. Mit was steht der Strafbefehl, gegen den kein Einspruch erhoben wurde, bezüglich seiner Rechtskraft gleich?Mit einem rechtskräftigen Urteil, § 410 Abs. 3 StPO.

27. Ihr Mandant ist mit dem Strafbefehl für eine Graffiti-Schmiererei an einer Hauswand gut be-dient (10 Tagessätze), er findet aber die Höhe der Tagessätze mit 50 Euro zu hoch, da er nur 1000 Euro netto im Monat verdient. Was ist zu tun?Der Einspruch gegen einen Strafbefehl kann beschränkt werden auf die Höhe des Tagessatzes, § 410 Abs. 2 StPO. Dann muss erklärt werden, dass ein zu hohes Nettoein-kommen zugrunde gelegt wurde. Bei 1000 Euro Monats-einkommen netto (für 10 Tage = 1/3 = 333 Euro), müsste der Tagessatz 33 Euro sein. Vor Gericht wird dann nur

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noch über diese Höhe gestritten. Die Strafe an sich kann nicht mehr erhöht, aber auch nicht mehr gesenkt werden. Auch ein Freispruch ist dann nicht mehr möglich.

28. Formulieren Sie einen Beweisantrag! (Frage im 2. Examen)„Ich beantrage den Zeugen Claus Roxin, Sonnenweg 9, 12099 Berlin zu laden und zum Beweis der Tatsachen zu hören, dass wir uns zur Tatzeit gemeinsam im Zoo am Bärenhaus aufgehalten haben.“ Ein Beweisantrag muss immer ein Beweisthema und ein Beweismittel angeben. Beweismittel sind Zeugen (mit Anschrift!), Sachverstän-dige, Urkunden und die Inaugenscheinnahme.

29. A aus Hamburg verletzt den C in Leipzig und wird in Trier von der Polizei gestellt. Wo wird er an-geklagt?Die Anklage kann in allen drei Städten erfolgen. Nach § 7 StPO kann der Tatort, nach § 8 StPO der Wohnort und nach § 9 StPO der Ort des Ergreifens des Angeklag-ten in Frage kommen. Siehe zu diesen Fällen ausführlich den Juristischen Grundkurs „Strafprozessrecht“.

30. Wer sitzt beim Schöffengericht auf der Richter-bank?Ein Berufsrichter (schwarze Robe) und zwei Schöffen (Zivilkleidung); vgl. § 29 GVG. Die Schöffen sind eh-renamtliche Richter. Sie sind keine Juristen, haben aber bei der Urteilsfindung das gleiche Stimmrecht wie der Berufsrichter.1

* Zusammengetragen aus Prüfungsprotokollen und Leserzuschriften an den Klausurenkurs www.rauda-zenthoefer.de. Die typischsten vierzig Zusatzfragen zur Strafprozessordnung finden Sie in: Zenthöfer: Juristischer Grundkurs Strafprozessordnung – mit 40 typischen StPO-Zusatzfragen, 7,80 Euro (mit neuester Rechtsprechung), Richter Verlag, ISBN: 978-3-935150-38-5.

EMPFEHLUNG DER REDAKTION:

Personalbuch 2009, Wolfdieter Küttner, 16. Aufl. 2009, 2784 Seiten, in Leinen, C.H. Beck Verlag: 119 Euro

In seiner bewährten Form seit 1994 setzt nun Wolfdieter Kütt-ner das Personalbuch – hier: 2009 – mit dem

bekannten Erfolgskonzept in der nun 16. Auflage fort. Daher die Aufführung als Beststeller des Jah-res auf der Webseite des Verlages www.beckshop.de.Wie der Untertitel des dicken Wäl-zers ankündigt, verschmelzen das Arbeitsrecht, das Lohnsteuerrecht sowie das Sozialversicherungs-recht in einem Band. Die vollstän-dige Überarbeitung befindet sich mit der aktuellen Auflage auf dem Rechtsstand vom 1. Januar 2009. Zudem wurden dem Inhalt neue Stichworte hinzugefügt. Diese sind unter anderem: Ausbildungsbonus, Leistungsorientierte Vergütung, Pflegezeit und der Tarifvertrag.Interdisziplinär versucht der Her-ausgeber diese Gebiete interdis-ziplinär zu vernetzen und Bezüge zu benachbarten Problemfeldern herzustellen. Die aktuelle Auflage des Personalbuch 2009 versucht wieder ergebnisorientiert über 400 Stichwörter aus der betrieb-lichen Personalpraxis, umfassende und vernetzte Darstellung der Stichworte aus arbeitsrechtlicher, lohnsteuerrechtlicher und sozi-alversicherungsrechtlicher Sicht und zusätzlich die wichtigsten Stichworte zum organisatorischen Betriebsverfassungsrecht zu ver-arbeiten. Diese Vernetzung ergibt sich alleine schon aus der Gliede-rung und Struktur des Buches. Das Personalbuch ist durchnummeriert und jedes Stichwort bildet sozusa-gen sein eigenes Kapitel. Um ein Beispiel zu geben: Stichwort 392 hat zum Thema die Studentenbe-schäftigung. Zunächst wird un-terteilt. Einem Kürzeren Teil zum Arbeitsrecht, in dem die Begriff-lichkeit definiert, Abgrenzungen zum Volontär und Praktikant, zum Arbeitnehmer und Freien Mitarbei-ter geschaffen und Beschäftigungs-arten/-möglichkeiten dargestellt werden. Dann folgt ein kürzerer Teil mit den lohnsteuerrechtlichen Bezügen dieses Stichworts, ferner ein längerer Teil zum Sozialver-sicherungsrecht. Die Übersicht dieses Abschnitts zeigt eine Fülle von einzelnen Themenbereichen. Während sich der Autor dieses Stichworts nur knapp formuliert und gezielt Problematisches her-ausfiltert und behandelt, versucht

er gleichzeitig Verweise in stär-kerem Rahmen einzusetzten. Es finden sich zahlreiche Gesetzes-, Rechtssprechungs- sowie Litera-turverweise, die das Arbeiten mit dem jeweiligen Stichwort erleich-tern. Erwähnenswert sind ebenfalls die zahlreichen Fallbeispiele aus der Praxis mit jeweiligem The-menbezug.Neben dem Stichwortverzeichnis bietet das Personalbuch ein über 200 Seiten starkes Sachverzeich-nis, welches das gezielte Suchen erleichtert.Dem aktuellen Personalbuch 2009 ist eine DVD beigefügt, die soge-nannte Personal-DVD 2009. Diese elektronische Ausgabe des Buches enthält das komplette Personalbuch 2009 sowie die in den einzelnen Stichwortbeiträgen zitierte Recht-sprechung in den drei behandel-ten Rechtsgebieten Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht und Sozialversi-cherungsrecht im Volltext. Zudem beinhaltet die DVD ebenfalls im Volltext sämtliche im Buch zi-tierten Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsanweisungen.Mit der beiliegenden DVD geht auch ein 4 Wochen kostenfreier Zugang zu der aktuellen und um-fassenden Datenbank zum Per-sonalrecht „PersonalDirekt“ auf ww.beck-online.de einher. Neben dem dort ständig aktualisierten Per-sonalbuch finden sich Formular- und Verfahrenhandbücher, weitere, umfangreichere Rechtsprechung, Gesetze, Vorschriften und Schrei-ben der Sozialversicherungsträger aud dem neuesten Stand.Zielgruppe des Personalbuch 2009 sind insbesondere Personalabtei-lungen, Steuerberater, Rechtsan-wälte, Richter und Betriebsräte. Im Einzelnen lässt sich der „Küttner“ jedoch auch gezielt für jeden zu-mindest als Nachschlagewerk für den Alltag verwenden. So kann er auch bei Studenten als persön-licher Berater bei Fragen des Ar-beitsrechts, Lohnsteuerrechts und Sozialversicherungsrechts seinen Einsatz finden.

Fazit: Im Fazit lässt sich der „Kütt-ner“ am treffendsten als Allrounder im Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht und Sozialversicherungsrecht in der Praxis bezeichnen. Als Nach-schlagewerk und Kommentar lässt er kein Stichwort in den jeweiligen Rechtsgebieten übrig und kommt bei jedermann tatkräftig zu Ein-satz.

Alexander Junkov

Buchrezensionen

Goltdammer´s Archiv für Strafecht, Herausg. v. Jürgen Wolter/Paul-Günter Pötz/Wilfried Küper/Michael Hettinger, ca. 60 Seiten pro Heft, Hüthig Jehle Rehm: je 24 Euro

Die GA ist eine Fachzeitschrift, welche monatlich erscheint und in Deutschland die älteste (seit 1853), als auch einer der interessantesten Zeitschriften für das Strafrecht ist, sollte für den an Strafrecht interes-sierten Studenten eine Pflichtlek-türe sein. Die Zeitschrift besticht durch hervorragend ausgesuchte und äußerst aktuelle wissenschaft-liche Beiträge zudem deutschen und europäischen Straf- und Straf-prozessrecht. Hierbei werden u.a. Urteile besprochen, Gesetzesände-rungen kritisch beleuchtet, als auch kriminologische oder strafprozes-

suale Fragen vertieft. Exempla-risch sei hier der Aufsatz von Dr. Peter Rackow zum Straftatbestand des § 238 StGB (GA 9/2008, S. 552- 568) erwähnt, welcher u.a. ausführlich das Stalking Phäno-men an sich, der Rechtslage vor Einführung des § 238 StGB und insbesondere das Problemfeld des Auffangtatbestandes des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB hinsichtlich der Bestimmtheit darstellt und sich da-mit kritisch auseinandersetzt.

Fazit: Für Haus- und Seminarar-beiten ein absolutes Muss. Kaum eine andere Zeitschrift ist so aktu-ell und gleichzeitig so umfassend. Der Einzelpreis (wie auch der Ge-samtpreis pro Jahr von 306 Euro im Abonnement) ist insofern abso-lut vertretbar.

Amer Issa

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Law Zone Nr. 2/2009

Strafprozessrecht, Sabine To-fahrn, 1. Aufl. 2009, 105 Seiten, C.F. Müller: 12,95 Euro

„Jura auf den Punkt gebracht“- So wirbt die JuriQ-Skriptenreihe mit ihren Bändern. Und in der Tat: Auch das Skript zum Strafprozess-recht von Sabine Tofahrn über-zeugt auf ganzer Linie. Wie bereits die Bänder zum materiellen Straf-recht beginnt das Skript zum Straf-prozessrecht mit kurzen Lerntipps und beinhaltet zudem, was wirk-lich überzeugt, einen „Online-Wis-sens-Check“, bei dem man selbst überprüfen kann, ob das Gelesene auch wirklich verstanden und be-halten wurde. Inhaltlich beginnt das Skript im 1. Kapitel mit einem gelungenen und kurzen Überblick über das Strafverfahren, wobei im 2. Kapitel dann das Erkenntnisver-fahren erster Instanz ausführlich beleuchtet wird. Das Ermittlungs-verfahren, die Verfahrensbeteilig-ten und die Verfahrensprinzipien werden ebenso gut strukturiert und verständlich erläutert, wie die Beweisverbote (z.B. nach § 135 Abs. 1 StPO) und die Zwangsmit-tel (sehr detailiert insbesondere die §§ 112 ff. StPO). Im 3. Kapitel werden dann noch die ordentlichen und außerordentlichen Rechtsbe-helfe dargestellt.

Fazit: Sabine Tofahrns Skripten-reihe überzeugt auch im strafpro-zessualen Teil. Die klaren Struk-turen, Hinweise und inhaltlichen Schwerpunkte sind durchweg ge-lungen. Der studentenfreundliche Preis von 12,95 Euro rundet den

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Buchrezensionen

Deliktsrecht, Deutsch/Ahrens, 5. Aufl. 2009, 255 Seiten, Wol-ters Kluwer: 32 Euro

Das hier anzuzeigende Buch war bisher unter dem Titel „Unerlaubte Handlungen, Schadens-ersatz und Schmerzens-

geld“ erschienen und richtete sich primär an Studenten, die sich für das Gebiet interessierten. Diese Bezeichnung taucht jetzt nur noch als Untertitel auf, um den Bezug zu den Vorauflagen aufrechtzuerhal-ten. Der Erstautor ist auf dem Ge-biet des Deliktsrecht ein ausgewie-sener Kenner und durch zahlreiche Publikationen auch im Ausland mehr als bekannt. Darüber hinaus hat er das Arzthaftungsrecht maß-geblich durch seine dogmatischen Ausführungen beeinflusst. Das in drei Teile (Allgemeine Lehren, Haftungstatbestände, Rechtsfolgen der Haftung) aufgegliederte Werk

Öffentliches Baurecht, Michael Brenner, 3. Aufl. 2009, 245 Sei-ten, C.F. Müller Verlag: 21 Euro

Das Buch von Michael Brenner behandelt das Baurecht als spezielles Verwaltungsrecht. Das Besondere an dem

Buch und seiner Thematik ist – da z.B. Bauordnungsrecht Landes-recht ist – dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen sämt-licher Landesbauordnungen im Fußnotenapparat aufgeführt sind. Das Werk findet somit in allen 16 Bundesländern gleichermaßen Verwendung. Auf 245 Seiten wird der gesamte prüfungsrelevante Baurechtslernstoff abgehandelt, sodass nach dem Durcharbeiten des Buches keine Lücken mehr für den Klausurkandidaten bestehen. Nach einer Einführung in das öffentliche Baurecht, seine Einordnung und Rechtsquellen, werden u.a. Raum-ordnung, Landesplanung, kommu-nale Bauleitplanung, bauplanungs-rechtliche Zulässigkeiten sowie städtebauliches Sanierungs- und Entwicklungsrecht abgehandelt. Dabei werden die besonders rele-vanten Normen des BauGB sehr umfangreich dargestellt, insofern wurde auf Klausurenschwerpunkte geachtet. Überblickstabellen er-leichtern dem Studenten, die Sys-tematik der Baurechtsvorschriften zu erkennen, sodass nach dem Durcharbeiten des Buches das Baurecht sehr gut beherrscht wer-den kann. Wichtige Begriffe und schematische Prüfungspunkte in der Klausur sind markiert – es lässt sich also mit Hilfe des Buches auch gleich ein vernünftiger Klausuren-aufbau einprägen.

Fazit: Das Buch ist sehr gut für Studenten geeignet, die sich auf ihre Baurechtsklausur vorbereiten wollen, aber auch für diejenigen, die für eine Hausarbeit im Bau-recht einen guten Einstieg brau-chen. Das Werk ist übersichtlich, es zeigt anhand der Grafiken die Übersichtlichkeit des Baurechts und geht trotzdem sehr ausführlich auf klausurrelevante Probleme ein.

Verena Lerch

Staatshaftungsrecht, Michael Ahrens, 1. Aufl. 2009, 130 Sei-ten, C.F. Müller Verlag: 16,95

Euro

Das Buch von Michael Ahrens behandelt das Staatshaftungsrecht, ein von Studenten oft

übersehenes, aber sehr wohl prü-fungsrelevantes Gebiet des öf-fentlichen Rechts, das in jedem

Strafrecht für alle Semester - Besonderer Teil, Michael Hegh-manns, 1. Aufl. 2009, 649 Sei-

ten, Springer Verlag: 32,95 Euro

Nomen est omen: „Strafrecht für alle Se-mester“ von Michael

Heghmanns ist ein wertvoller Be-gleiter für das gesamte juristische Studium. Vorliegend handelt es sich um den zweiten von vier ge-planten Bänden, der sich dem Be-sonderen Teil des Strafrechts wid-met. Auf den ersten Blick scheint das Buch gerade Studenten auf Grund seiner Fülle und Dicke wie andere „trockene“ Standardwerke zu erschlagen. Genauer betrachtet: Systematisch erarbeitet das Buch den gesamten Besonderen Teil des StGBs. Wesentliches wird in Kürze

Kaufrecht, Dietrich Reinicke/Klaus Tiedtke, 8. Aufl. 2009, 763 Seiten, Carl Heymanns

Verlag: 39 Euro

„Kaufrecht“ von Diet-rich Reinicke und Klaus Tiedtke - mittlerweile in der 8. Auflage er-

schienen - stellt ein umfangreiches Lehr- und Nachschlagewerk dar. Anders als man annehmen könnte behandelt es nicht nur die §§ 433 bis 479 BGB, sondern führt the-matisch weiter aus. So behandelt das Buch ferner tiefgreifend die Teilzahlungsgeschäfte, die Allge-meinen Geschäftsbedingungen, den Eigentumsvorbehalt, Fernab-satzverträge, etc., um nur einige der wichtigen Kapitel zu erwäh-nen. Auf über 750 Seiten werden sämtliche Themenbereiche zum Kaufrecht abgehandelt und auch wenn die Schuldrechtsmoderni-sierung bereits große Änderung in der Vorauflage war, so behandelt die vorliegende Auflage sämtliche wesentlichen Entscheidungen des BGH aus den letzten Jahren zu den aufgetretenen Streitfragen im Schuldrecht: Ein roter Faden der sich durch das gesamte Lehrbuch zieht.

Fazit: Als Lehr- und Nachschla-gewerk zum Kaufrecht, sollte das Buch nicht nur denjenigen dienen, die sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten, sondern bereits zu Beginn im Studium ver-stärkt herangezogen werden.

Alexander Junkov

Fall beherrscht werden muss. Das Buch ist in der JuriQ-Lernreihe erschienen. Die dort erschienenen Bücher sind eine Mischung aus klassischem Lehrbuch, Skript und Onlinetraining. Michael Brenner setzt in seinem Buch vor allem auf visuelle Lernhilfen, wie z.B. far-bige Grafiken, kurze Randbemer-kungen, Merksätze, sowie Mar-kierungen, die dem Studenten auf einen Blick zeigen, welche Punkte in der Klausur besonders wichtig sind. Die einzelnen Themenab-schnitte beginnen mit einer kurzen Einleitung, erklären dem Studenten wie er das Thema herleiten kann, geben ihm ein übersichtliches Prü-fungsschema und steigen nach der Erklärung aller wichtigen Begriffe in die Behandlung eines kurzen Falles ein, der sogar im Gutach-tenstil bearbeitet wird. In dieser Miniklausur kann der Student so-fort erkennen, was für die Klausur wichtig ist und er unbedingt zu wissen hat. Die kleinen cartoonar-tigen Skizzen im Buch, sowie die farbliche Darstellung der Schemata und die bunt markierten Klausu-rentipps sind besonders für visuell lernende Studenten angenehm.

Fazit: Das Buch eigenet sich her-vorragend zur Einarbeitung in das Staatshaftungsrecht und zur Klau-survorbereitung. Die JuriQlernme-thode ist sofort ansprechend. Sie ist dazu noch bei näherem Hinsehen trotz der bunten Darstellung sehr effektiv und kann inhaltlich ab-solut mit Büchern vergleichbaren Umfangs mithalten. Nichtsdesto trotz kann das Fallbuch natürlich kein Lehrbuch ersetzen. Zur idea-len Klausurvorbereitung wird auf jeden Fall ein Lehrbuch zusätzlich ein Lehrbuch benötigt.

Verena Lerch

aber in vollkommen ausreichender Länge behandelt. Einzelne Kapi-tel werden sinnvoll unterteilt und der Fließtext ergänzt mit Frage- und Aufgabestellungen, Tabellen, Grafiken sowie Abbildungen, die die große Masse des Besonderen Teils übersichtlicher erscheinen lassen. Leser, die in die detailierte Tiefe der Materie einsteigen möch-ten, können sich der beiliegenden CD-ROM bedienen. Hier findet sich weiteres Vertiefungs- und Ergänzungswissen in Form von Gesetzesmaterialien, Gerichtsent-scheidungen, Übersichten etc.

Fazit: „Strafrecht für alle Semester - Besonderer Teil“ stellt ein ideales Werk zu Erlernen von Grund- und Examenswissen, vom ersten bis zum letzten Semester dar: Umfang-reich in seiner Fülle, überschaubar und leicht verständlich, preiswert und genau daher besonders emp-fehlenswert.

Alexander Junkov

positiven Gesamteindruck ab.Amer Issa

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Law Zone Nr. 2/2009 49

Buchrezensionen

Handelsrecht, Peter Bülow, 6. Aufl. 2009, 219 Seiten, C.F. Mül-ler Verlag: 20 Euro

Das Buch von Peter Bülow richtet sich an bereits fortgeschrittene Studenten, die sich die Materie des Handels-

rechts im Rahmen einer Klausur oder Hausarbeit erarbeiten. Wäh-rend im ersten Teil die Grundbe-griffe des Handelsrechts und der Aufbau des HGB erklärt werden, informieren die nächsten Teile den Studenten über die Handels-geschäfte im einzelnen und pro-zessuale Besonderheiten, sodass am Ende alle Gebiete abgedeckt sind, die für eine Klausur im Han-delsrecht relevant werden könnten. Die einzelnen Abschnitte sind stets nach einem Schema konstruiert: zunächst wird das Thema in das HGB eingeordnet, um dem Stu-denten die Systematik zu erklären, was sehr hilfreich ist, da es wesent-lich sinnvoller ist, das System des Gesetzes zu kennen, als es aus-wendig zu lernen. Die wichtigsten Begriffe zu dem Thema werden in einzelnen Abschnitten erklärt und hervorgehoben, sodass man auch bei schnellem Durchblättern des Buches schnell zum gewünschten Thema findet. Am Ende eines Ka-pitels findet der Student weiterfüh-rende Hinweise, bzw. speziellere Probleme zum Thema – das Buch ist also auch durchaus zum Einar-beiten in Hausarbeiten geeignet. Die Literaturverweise sind sehr umfangreich, die einzelnen The-menabschnitte sehr zusammenge-fasst, aber vollständig und klar.

Fazit: Das Buch von Bülow ist weniger umfangreich als ein Lehr-buch, aber inhaltlich gefüllter als ein schlichtes Skript. Es hat genau die richtige Fülle, um dem Stu-denten den wichtigsten Stoff im Handelsrecht zu vermitteln, ohne ihn mit wissenschaftlichen Aus-

Sachenrecht, Jürgen Baur/Rolf Stürner, 18. Aufl. 2009, 1086 Seiten, in Leinen, C.H. Beck

Verlag: 74 Euro

Es gibt Standardwerke der juristischen Lite-ratur, die sich schlicht und einfach als Klassi-

ker von den anderen abheben. Dass die jeweiligen Werke als „vergrif-fen“ nicht in den Buchhandlungen aufzufinden sind, spricht für ihren Charakter und Wert: So war es zumindest bei der Vorauflage des Lehrbuchs zum Sachenrecht von Prof. Dr. Jürgen Baur und Prof. Dr.

Erbrecht, Hans Brox/Wolf-Diet-rich Walker, 23. Aufl. 2009, 490 Seiten, Carl Heymanns Verlag:

24,80 Euro

Wer kennt nicht „den“ Brox? Der Autor für klassische Standard-werke schlechthin.

So vielen Büchern zu diversen Rechtsgebieten hat er erfolgreich seinen Namen aufgedruckt. Nun in der bereits 23. Auflage erschienen ist eines davon: Das Erbrecht, fort-geführt von Prof. Dr. Wolf-Diet-rich Walker aus Gießen (siehe Law Zone 1/2009, S. 16-18). In zwölf Kapiteln behandelt das Buch die wesentlichen Schwerpunkte des Erbrechts und verarbeitet die ak-tuellen Änderungen wie die Aus-wirkungen auf das Erbrecht durch das von der Bundesregierung am 30.1.2008 beschlossene Erbrechts-reformgesetz. Zahlreiche kleinere Fallbeispiele führen jeweils in die Kapitel ein und vereinfachen somit den Einstieg in jedes Thema. Ne-ben dem theoretischen Teil wird auch auf die jeweilige Falllösung eingegangen, was wie die zahlreich

ZPO Handkommentar, Ingo Saenger, 3. Aufl. 2009, 3100 Seiten, Nomos: 89 Euro

In der 3. Auflage ist der Kommentar zur ZPO von Ingo Saenger neu überarbeitet und aktua-lisiert worden. Wie sei-

ne Vorläufer ist auch diese Auflage der Nomos-Kommentar-Reihe ab-solut gelungen. Für den Praktiker unerlässlich ist ein komprimierter und durchweg gut strukturierter Kommentar in der Zivilprozessord-nung unerlässlich: Der Kommen-tar von Nomos hierzu wird diesen Anforderungen gerecht. Neben der Berücksichtigung von Neuerungen wie beispielsweise dem Gesetz über das Verfahren in Familiensa-chen und in der Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) oder dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Miss-bräuchen (MOMiG), enthält der Handkommentar wie gehabt eine

behandelt aber trotz seines „gerin-gen“ Umfangs alle Fragen, die für einen Studenten im Rahmen der unerlaubten Handlung von Bedeu-tung sind. In diesem Zusammen-hang seien besonders erwähnt die einzelnen Haftungstatbestände aus dem Bereich der Verschuldens-und der Gefährdungshaftung mit ausführlichen Hinweisen zur Kau-salität und der Rechtswidrigkeit sowie damit im Zusammenhang stehenden Formen der Rechtferti-gungsgründe. Bei der Darstellung der Verschuldensgrundsätze wer-den zahlreiche Entscheidungen des BGH und der Instanzgerichte zu Vorsatz und Fahrlässigkeit vorge-stellt, denn gerade das Deliktsrecht ist wegen seiner geringen Ausfor-mulierung in Gesetzen durch sog. Richterrecht geprägt. Die Verfas-ser haben ihren Kapiteln ausführ-liche Literaturhinweise vorange-stellt, wobei die Kritik erlaubt sein mag, ob nicht doch die Zitate zur Rechtsprechung besser in Fuß-noten und nicht im Text unterge-bracht werden. Auch Sonderfor-men der Schadensberechnung wie Familienplanung, Nutzungsausfall, Frustration, gemeiner Wert, Affek-tionsinteresse, Lizenzanalogie und Abwehrschaden finden gebühren-de Berücksichtigung, so dass der Leser alle wichtigen Informationen erhält.

Fazit: Das Buch ist dringend je-dem Studenten zu empfehlen, der sich einen für das Examen ausrei-chenden Überblick zum Schadens-ersatzrecht verschaffen will.

Verena Lerch

Vielzahl von Antrags- und Teno-rierungsmustern. Dabei rückt ein Verständnis für eine sachgerechte und auf den praktischen Fall zu-geschnittene Rechtsanwendung in den Vordergrund. Allerdings sollte man sich auch als Student bereits frühzeitig mit diesem Werk vertraut machen, um sich mit dem später gängigen Rüstzeug zurecht zu finden.

Fazit: Die klare Struktur und die hervorragend gewichtete Darstel-lung zum Verständnis prozessualer Regelungen überzeugt. Der Preis von 89 Euro ist angemessen.

Amer Issa

Fälle zum Zivilprozessrecht, Do-rothea Assmann, 1. Aufl. 2009,

240 Seiten, C.H. Beck: 19,90 Euro

Grundkenntnisse in der Zivilprozessordnung sind sowohl für die erste

als auch (vertiefend) für die zweite juristische Prüfung unerlässlich. Ein Fallbuch zum Verständnis von Problemkreisen innerhalb der wichtigsten Klausurarten des Erkenntnisverfahrens und des Zwangsvollstreckungsrechts bietet das Werk von Dorothea Assmann. Dabei hat sich die Professorin der Universität Potsdam weitestge-hend an ihren Übungs- und Ver-tiefungsveranstaltungen zur ZPO orientiert. Das Ergebnis lässt sich sehen: Richterklausuren, Anwalts-klausuren, Rechtsmittellklausuren und Rechtsbehelfsklausuren im Zwangsvollstreckungsrecht wer-den zu Beginn schematisch kurz dargestellt, bevor im Hauptteil die eigentlichen Fälle angesiedelt sind. Von der objektiven Klagehäufung, über die Prozessaufrechnung, hin zur Drittwiderspruchsklage bis zum Prozessvergleich – kaum ein Punkt der hier nicht innerhalb der Fälle zumindest angerissen wird. Die Fälle selbst überzeugen durch klare Strukturierung und gelun-gene Darstellungen.

Fazit: Dieses Buch ist geeignet vom Studium bis ins Referendariat die Kenntnisse der Zivilprozess-ordnung fallorientiert zu erlernen als auch zu vertiefen. Weiterfüh-rende Hinweise und zahlreiche Fußnoten fallen positiv auf. Daher ist dieses in Anbetracht der Qua-lität der Darstellung preiswerte Werk zu empfehlen.

Amer Issa

schweifungen zu verschrecken. Es eignet sich auch sehr gut für Exa-menskandidaten, die noch einmal einen guten Überblick über die Materie bekommen wollen.

Verena Lerch

Rolf Stürner. So befindet sich nun die 18. Neuauflage dieses Buches in einem völlig überarbeiteten Ge-wand auf dem Stand von Herbst 2008 wieder. Schließlich brachten die letzten zehn Jahre seit der Vor-auflage wesentliche gesetzgebe-rische Maßnahmen mit sich: Neben der berücksichtigten Schuldrechts-reform wurden unter anderem im Grundstücksrecht die Änderungen im Recht der Grundpfandrechte, durch das FGG-Reformgesetz bedingte Änderungen des Grund-buchverfahrens, Änderungen im Bereich des Wohneigentums, Änderungen des Verbraucherdar-lehensrechts etc. eingearbeitet. Unbedingt erwähnenswert ist ein neu erarbeitetes Kapitel zum eu-ropäischen, internationalen und rechtsvergleichenden Sachenrecht. Die gewaltige Rechtsentwicklung behandeln Baur/Stürner auf Grund zahlreicher Fallbeispiele, die das Verständnis erleichtern.

Fazit: Der Baur/Stürner gehört zu den DEN Werken des Sachen-rechts - unabdingbar für jeden Ju-risten: Von Referendaren, Rechts-anwälten, Richtern, Notaren und Wissenschaftlern und nicht zu ver-gessen den Studenten der Rechts-wissenschaft: Pflichtlektüre für jede Sachenrechtshausarbeit und für jedes tiefergehendes Studium von allgemeinen sachenrechtlichen Grundsätzen bis in die Tiefen des Sachenrechts.

Alexander Junkov

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Law Zone Nr. 2/200950

RedaktionJakob Hübert, Viktoria Lerch, Elisa Meyer, Christian Waller

Stellv. RedaktionsleitungAmer Issa, Verena Lerch

ChefredakteurAlexander Junkov

Verantwortliche des AnzeigenteilsAmer Issa, Alexander Junkov

Layout / CoverAlexander Junkov

Auflage10.000 Exemplare

Herausgeberin / V.i.S.d.P.Fachschaft Rechtswissenschaft

AnschriftRedaktion Law Zone / FachschaftGoethe-Universität FrankfurtHauspostfach 34 / Grüneburgplatz 160629 Frankfurt am Main

[email protected]

BildnachweiseTitelfoto: © Claudia Paulussen -Fotolia.com,

DruckHornberger Druck GmbH79689 Maulburg

Meinungsbeiträge geben die Auffassung der einzelnen Autoren wieder. Ein großer Dank geht an unsere Partner und Sponsoren, die diese Ausgabe der Law Zone ermöglicht haben.

I M P R E S S U M

Buchrezensionen

EMPFEHLUNG DER REDAKTION:

BRAINYOO - Der Langzeitge-dächtnistrainer, Samuel Ju/Stephan Pötters, Download der 14tägigen Test- und Voll-version und Infos im Web auf www.brainyoo.de: ca. 19,90 Euro

Lernmethoden gibt es unzweifel-haft viele: Das perfekte Rezept zum Erfolg muss sich jeder letztendlich selbst erarbeiten. Gerade das lern-intensive Jurastudium erfordert die Ausarbeitung eines persönlichen Lernsystems, um besonders vor Examensnähe nicht die Übersicht zu verlieren und erfolgreich vor-anzukommen. Schließlich ist das Jurastudium ein Kampf gegen das Vergessen und erfordert die regel-mäßige Wiederholung von bereits Erlerntem. Lernsoftware konnte sich bisher nicht durchsetzen. Und das Erstellen von Karteikarten scheint die bewährteste Methode zu sein - mit einigen Mängeln: Das Verfassen der Karteikarten kostet wertvolle Lernzeit. Im Laufe des Studiums werden hunderte von Karten angesammelt und bei der Menge verliert man die Übersicht über sein eigenes Werk und kann einzelne Themenbereiche oder Begriffe nur mit Mühe und Not auffinden. Die Software BrainYoo scheint die bisherige Lerntechnik mit dem Karteikasten verbessert zu haben. Das Programm zeigt auf den ersten Blick eine insgesamt übersichtliche Benutzeroberfläche mit mehreren Eingabefeldern auf. Keine groß-artigen Buttons, keine animierten Funktionen und auch farblich und grafisch recht schlicht gehalten, was den Ablenkungsfaktor gering hält und positiv anzurechnen ist.

Über die Menüleiste kann man sich mit nur wenigen Mausklicks Kate-gorien erstellen (Bsp. „Zivilrecht“), diesen dann Lektionen unterord-nen (Bsp. „BGB AT“), die sich dann noch weiter unterteilen lassen (Bsp. „Vertrag“ etc.). Im nebenste-henden Feld kann man zur jewei-ligen Lektion eine „Frage“ und die dazugehörige „Antwort“ eingeben. Gestaltungselemente ermöglichen die Änderung der Schriftgröße, -art, -farbe, Markierung, etc. Das Erstellen von sog. „Eselsbrücken“ ermöglicht ein weiteres Feld, das für die lerneffektive Abfrage ge-nutzt werden kann. Besonders hervorzuheben ist, dass man jeder „Karteikarte“ Bild-, Audio- sowie Mindmapdateien anfügen kann. Hat man nun seine Karten erstellt, so kann man in die Lernabfra-ge wechseln. Ganz einfach zieht man sich seine Lektionen in die „Lernauswahl“ und sucht sich ei-nen Lernmodus aus: Langzeitge-dächtnismodus (sog. zeitbasierte Methode), Zufallsabfrage oder Prüfungsmodus (zum kurzfristigen Vorbereiten auf Prüfungen). Bei der Abfrage wird die „Frage“ ge-stellt und man hat die Möglichkeit, seine eigene Antwort zu tippen und anschließend mit der „Antwort“ zu vergleichen. Hilfsweise kann die o.g. Eselsbrücke eingesetzt wer-den. Richtige Antworten gelangen zu den gelernten Karten, falsche zu den noch zu lernenden.

Fazit: BrainYoo ermöglicht das schnellere Erstellen von Kartei-karten, deren übersichtliche Ver-waltung und Kategorisierung und verhilft zu einfacherem effektivem Lernen auf Langzeitgedächtnis zu einem angemessenen Preis.

Alexander Junkov

abgedruckten Prüfungsschemata der Klausurvorbereitung dient. Viele Grafiken lockern das Bild der Materie ab und erleichtern das Verständnis.

Fazit: Das Buch ist in dem meist im Studium vernachlässigten Fach zur Einführung oder für vertieftes Erlernen des Erbrechts ein absolu-tes Muss. Die Qualität spricht für den vollkommen angemessenen Preis.

Alexander Junkov

Grundkurs Arbeitsrecht, Abbo Junker, 8. Aufl. 2009, 490 Sei-ten, C.H. Beck Verlag: 25 Euro

Der vorliegende Grundkurs im Arbeits-recht setzt sich aus vier Kapiteln zusammen. Zum einen die Einfüh-

rung, welche die Grundlagen des Arbeitsrechts zum Gegenstand hat. Durch praktische Darstellung des Verfassers zeigt sich durchgehend im Buch, wie Einzelfragen und De-tailprobleme des Arbeitsrechts sich auf diese Grundprinzipien zurück-führen lassen. Vertiefend werden dann das Individualarbeitsrecht, das Kollektive Arbeitsrecht sowie das Verfahrensrecht behandelt. Neuerungen zu Vorauflagen zeigen sich insbesondere durch die Einar-beitung von Grundsatzentschei-dungen des Bundesarbeitsgerichts sowie des EuGH, aber auch durch die Berücksichtigung des neuen Pflegezeitgesetz. Der studentische Charakter zeigt sich unter Be-wahrung des wissenschaftlich an-spruchsvollen Niveaus anhand von zahlreichen Beispielen, 36 Übungs-fällen sowie 40 Aufbauschemata. Hier werden der praxisnahe Bezug gewahrt und wertvolle Klausurbe-

arbeitungstechniken vermittelt.

Fazit: Der Grundkurs im Arbeits-recht vermittelt einen guten Über-blick über das gesamte Arbeits-recht, vertieft sich jedoch nur auf den studiumrelevanten Punkten. Der Kurs zur effektiven Vorberei-tung wird seinem Preis gerecht.

Alexander Junkov

Allgemeiner Teil des BGB, Bernd Rüthers/Astrid Stadler, 16. Aufl. 2009, 527 Seiten, C.H. Beck-

Verlag: 19,80 Euro

Die Reihe Grundrisse des Rechts aus dem C.H. Beck Verlag zeichnen sich ganz be-

sonders von anderen Lehrbüchern ab. Der vorliegende Allgemeine Teil des BGB von Bernd Rüthers und Astrid Stadler beispielsweise verliert zwar nicht den wissen-schaftlichen Charakter wie das bei Skripten der Fall ist, wird aber trotz seiner kompakten Verarbeitung der Materie den Anforderungen eines guten, anspruchsvollen Lehrbuchs gerecht. In seinem Aufbau und dem Taschenbuchformat liest es sich bequem und relativ schnell in einem Zug wie ein interessanter Roman. So zeigt sich anhand der zahlreichen Beispielen, Veran-schaulichungen, Fällen sowie Auf-bauschemata zum einen der pra-xisnahe Bezug für den Studenten. Zum anderen behandelt das Buch in angemessener Weise wichtige Grundlagen dieses Rechtsgebiets in rechtsphilosophischer, -geschicht-licher sowie -politischer Sicht.

Fazit: In seiner Knappheit bereitet das Buch den Leser bestens auf die Materie des BGB AT vor.

Alexander Junkov

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Law Zone Nr. 2/2009

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Page 52: LawZone 2/2009

Law Zone Nr. 2/2009Die Baker & McKenzie - Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Solicitors ist eine im Partnerschafts-register des Amtsgerichts Frankfurt/Main unter PR-Nr. 1602 eingetragene Partnerschaftsgesellschaft nach deutschem Recht mit Sitz inFrankfurt/Main. Sie ist assoziiert mit Baker & McKenzie International, einem Verein nach Schweizer Recht.

April 2008:Kick-Off Event des „Career Mentorship Programme“, Ingolstadt/München –Erstes Aufeinandertreffen der 30 CMP KandidatInnen mit ihren Mentoren.

Oktober 2008:Annual Partners’ Meeting, New York – Die Mentees sind dabei, als sich 600 Partneraus 39 Ländern treffen. Das ist wirklich „passionately global“.

November 2008:Beginn der Wahlstation bei Baker & McKenzie, Düsseldorf – Spannende Mandate und einehervorragende Ausbildung ermöglichen einen intensiven Blick hinter die Kulissen.

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Anz_Weg zu Baker final:Anz_Weg zu Baker final 12.03.2009 18:42 Uhr Seite 1