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FAZIT
6.4 Zusammenfassung
Die vorliegende Untersuchung „Slowenien – Ein Grenzland mit Vorbildfunk-
tion“ ist eingebettet in einen geopolitischen Ansatz, der das Ziel einer Politikbera-
tung, zum Zwecke der Konfliktvermeidung globalen wie regionalen Ausmaßes
verfolgt. Darauf aufbauend zeigt die Darstellung der Leitlinien der Geopolitik und
der Grenzraumforschung, dass sowohl die deutsche Geopolitik als auch die geo-
graphische Grenzraumforschung schwer an der Hypothek ihrer Verstrickungen
mit der Nazi-Ideologie im Dritten Reich tragen. Im Gegensatz zur Geopolitik
konnte sich die Grenzraumforschung jedoch nach dem Zeiten Weltkrieg ver-
gleichsweise rasch innerhalb der Raumwissenschaften wieder etablieren. Für bei-
de Disziplinen stellt der Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung einen zen-
tralen Wendepunkt dar. Neue Aufgaben und Forschungsfelder sind im Zuge der
Neuordnung der Welt entstanden. Dabei zeigen sich in zeitlicher Verzögerung vor
allem bei der Geopolitik ihre zentralen Kompetenzen hinsichtlich ihrer krisen-
und konfliktminimierenden Handlungsansätze, die in zunehmend entpolarisier-
ten und terroristisch motivierten Konflikten ein nutzbares Instrumentarium bil-
den. Es zeigt sich, dass der zunehmenden Entgrenzung von Konflikten, auf die die
Geopolitik adäquate Antworten geben kann, und der zunehmenden Grenzenlosig-
keit von Personen- und Warenverkehr innerhalb der EU eine Intensivierung der
Grenzraumforschung gegenübersteht. Dabei hat sich jedoch der Blickwinkel fun-
damental verändert, denn Grenzen werden nunmehr als Kontakt- und Berüh-
rungspunkte identifiziert und die daran angrenzenden Regionen sind als eigen-
ständige Akteure auf europäischer Ebene etabliert. Es wird deutlich, dass ein über
Dekaden erfolgter Bedeutungswandel bzw. -zuwachs der europäischen Regionen
stattgefunden hat. Dieser liegt dem heutigen Konzept vom „Europa der Regio-
nen“ zugrunde, in welchem die Regionen in den EU-Mitgliedsstaaten gefördert
und in ihrer regionalen Eigenständigkeit unterstützt werden. Dabei ruht der Fo-
kus, zumindest von Seiten der EU, auf den Grenzregionen, als Regionen mit spe-
ziellen Problemen. Diese sollen mit Hilfe von europäischen Strukturförderpro-
grammen (z.B. INTERREG III und das Vorbeitrittsinstrumentarium PHARE sowie
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PHARE CBC zur eigentlichen Förderung von Grenzregionen) bei der grenzüber-
schreitenden Kooperation unterstützt werden. Innerhalb dieser Programme bildet
INTERREG III das finanzstärkste strukturpolitische Instrument, mit dessen Hilfe
sich die EU dem erklärten Ziel der Verminderung von innereuropäischen Dispari-
täten verschreibt. Mit der Erweiterung der EU 2004 um zehn neue Mitglieder ha-
ben sich diese Disparitäten noch verstärkt. Die strukturpolitischen Instrumente ha-
ben vor diesem Hintergrund einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren.
Gleichzeitig sind die Finanzmittel innerhalb der Programme erhöht worden und
werden für die Programmperiode 2007-2013 weiter erhöht. Es gilt die peripheren
Grenzregionen als Kooperationsräume verstehend zu unterstützen, die innereuro-
päischen Disparitäten zu verringern, um letztlich die EU zu stabilisieren.
Slowenien gehört zu den Kandidatenländern, die 2004, nach Jahren der Vorbe-
reitung, der EU beigetreten sind. Der Zusammenbruch der SFR Jugoslawien bzw.
die Loslösung der sozialistischen Teilrepublik Slowenien von diesem föderalen
staatlichen Gebilde im Jahre 1991 bildet den Startpunkt für einen umfassenden
Systemwechsel. Dabei weist dieser Systemwechsel in Slowenien, der neben der
politischen und wirtschaftlichen Transformation auch den Aufbau eines eigenen
Nationalstaates erforderte, einige wesentliche Merkmale auf:
1. Slowenien hat im Transformationsprozess einen relativ komfortablen Weg
beschritten.
2. Die slowenische Gesellschaft musste für diesen Prozess nur einen ver-
gleichsweise niedrigen Preis aufbringen.
Die Gründe dafür liegen vor allem in der ethnisch homogenen Bevölkerung,
im hohen ökonomischen Entwicklungsstand, der z.T. auf die historische Zugehö-
rigkeit zu Österreich innerhalb der k.u.k.-Monarchie, aber größtenteils auf die Nä-
he zu den westeuropäischen Absatzmärkten, zurückzuführen ist, und in der lan-
gen zivilgesellschaftlichen Tradition. Ein ganz zentrales Element sind zusätzlich
auch der Zeitfaktor und die Tatsache, dass in Slowenien der gesellschaftliche und
politische Wandel bereits in den 1980er Jahren seinen Anfang nahm. Dabei wur-
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den die Transformationsprozesse dem prioritären politischen Ziel Sloweniens, der
EU beizutreten, untergeordnet und bekamen somit einen zunehmend integrativen
Charakter. Seit der Jahrtausendwende kann man in Slowenien somit de facto nicht
mehr von Transformationsprozessen sprechen, sondern muss die Veränderungen
vielmehr als Integrationsprozesse definieren. Im direkten Vergleich zu westeuro-
päischen Staaten haben manche ökonomische Prozesse zudem ebenfalls den Cha-
rakter von Veränderungen im Rahmen eines Strukturwandels, ohne in diesem Zu-
sammenhang jedoch die Dimension des politischen und systemischen Umbaus
schmälern zu wollen. Dieser Erfolg der Veränderungsprozesse ist sogar quantifi-
zierbar. Beim Ranking des Bertelsmann Transformation Indexes (BTI) zum Stand
der Transformation zur marktwirtschaftlichen Demokratie erreichte Slowenien
2003 den zweiten Platz. Dennoch zeigen sich innerhalb dieser Erfolgsgeschichte
auch differenzierte Sichtweisen und punktuelle Defizite, die u.a. mit mangelnder
bzw. unzureichender Privatisierung von Unternehmen oder dem Vorhandensein
alter Seilschaften tituliert werden können. Im Endeffekt stellen diese Punkte je-
doch nur die Symptome eines tiefgreifenderen Phänomens dar: Die Mentalität
und Denkweise von Generationen eines Volkes, die von einem sozialistischen Sys-
tem geprägt wurde, kann sich in einer entstehenden Demokratie nicht gleicher-
maßen schnell öffnen und anpassen, wie die politische und wirtschaftliche Ent-
wicklung im Land voranschreitet.
Innerstaatlich weist Slowenien ein West-Ost-Entwicklungsgefälle aus. Vor die-
sem Hintergrund ist die Auswahl der statistischen (Grenz-)Regionen Pomurje und
Podravje im Nordosten Sloweniens u.a. ihrer peripheren geographischen Lage als
auch ihrer Entwicklungsdefizite geschuldet. Zusätzlich ist die Lokalisation von
Pomurje an der österreichischen, der ungarischen und der kroatischen Grenze von
großem Interesse, da sich dort auf relativ kleinem Raum die Auswirkungen der
Qualitäts- und Funktionswechsel der unterschiedlichen Grenzregime manifestie-
ren. Es wird deutlich, dass die von jeher eher benachteiligten Regionen Pomurje
und Podravje im Rahmen der Qualitäts- und Funktionswandel der sie umgeben-
den Grenzen ihren geographischen peripheren Status zunehmend verlieren. Na-
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türlich lassen sich über viele Dekaden aufgebaute Entwicklungsdefizite nicht in
wenigen Jahren beseitigen bzw. kompensieren, aber die Rahmenbedingungen sind
gelegt. So grenzt der Osten Sloweniens nicht mehr an den Eisernen Vorhang und
somit an die Grenze zweier unterschiedlicher Systeme, sondern im Norden und
Osten heute an weitere EU-Mitgliedsstaaten. Das mittlere Teilstück des transeuro-
päischen Verkehrskorridors umgebend stehen die Beispielregionen im Zentrum
nationaler und europäischer Regional- und Strukturpolitik. Der territoriale Ap-
pendix innerhalb Sloweniens bildet nunmehr das Herz grenzüberschreitender Ko-
operationen mit Österreich, Ungarn und Kroatien innerhalb der INTERREG IIIA-
und PHARE CBC-Programmatik. Allein die vergleichsweise strenge Reglementie-
rung der ehemaligen administrativen slowenisch-kroatischen Grenze als EU-Au-
ßen- und bald Schengenraumgrenze bildet derzeit noch ein gewisses Hindernis
und Quell medial zugespitzter (außen-)politischer Äußerungen. Dabei lässt sich
jedoch feststellen, dass Fragen hinsichtlich der gemeinsamen Grenze sowohl in
Slowenien als auch in Kroatien zwar sehr stark instrumentalisiert, diese in der Pra-
xis jedoch recht pragmatisch und problemlos gelöst werden.
Was Slowenien rasch vollzogen hat, stellt auch für die Staaten des Westlichen
Balkans ein hehres Ziel dar: die europäische Integration bzw. der Beitritt in die
EU. Die Mitgliedschaft dieser Staaten umfasst einen schrittweisen Prozess, der
große Unterstützung von der EU benötigt. Dabei bilden nach den kriegerischen
Auseinandersetzungen nach dem Zusammenbruch der SFR Jugoslawien gerade
die Überwindung und Lösung regionaler Widersprüche sowie das Gegensteuern
desintegrativer Prozesse im Westlichen Balkan zum einen die Voraussetzung für
den Beitritt der Region zur EU und zum anderen zum Fortschritt für einen libera-
len und modernen Gesellschaftstyp. In diesem Zusammenhang betont die EU,
dass regionale Formen der Kooperation in Brüssel als Schritt in die richtige Rich-
tung und als konstruktives Signal der Entschlossenheit der jeweiligen Regierun-
gen, sich in die EU-Strukturen zu integrieren, angesehen werden. Noch sind die
Staaten des Westlichen Balkan von diesem Ziel z.T. weit entfernt und benötigen
Unterstützung auf diesem Weg. Neben der finanziellen und strukturellen Hilfe im
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Rahmen von Programmen und Initiativen, wie beispielsweise dem Stabilitätspakt
für Südosteuropa oder der Südosteuropäischen Kooperationsinitiative (SECI),
kommt vor allem Slowenien, als ehemalige Bruderrepublik, eine besondere Unter-
stützerrolle zu. Die ehemalige Teilrepublik der SFR Jugoslawien kann auf unzähli-
ge kompetitive Vorteile, wie die gemeinsame Vergangenheit, die Kenntnis der
Sprache und Mentalität, die traditionellen Verbindungen etc., zählen, die diese
Annahme stützen. Diese schaffen letztlich eine Vertrauensbasis und eine Grundla-
ge für gemeinsames Handeln. Somit kommt Slowenien eindeutig die Aufgabe als
Entwicklungs- und Impulsgeber im Westlichen Balkan zu, was ebenfalls von der
westlichen Staatengemeinschaft gesehen wird. Dabei zeigen sich aber auch Diffe-
renzierungen im Ausfüllen der Rolle auf Seiten Sloweniens und in der teilweise
begrenzten Annahme dieser Rolle bei den Staaten des Westlichen Balkans. Grund-
sätzlich hat Slowenien erkannt, dass es als Vermittler zwischen der EU und dem
Westlichen Balkan eine Schlüsselposition inne hat und füllt diese zunehmend aus.
Auf der lokal-regionalen Ebene zeigen beispielsweise die statistischen (Grenz)
Regionen Pomurje und Podravje die Integration in grenzüberschreitenden Koope-
rationen im Rahmen von europäischen Strukturförderprogrammen, aber auch in-
nerhalb der EUREGIO. Dieser Trend zeigt sich ebenfalls auf nationalstaatlicher
Ebene. Dabei kann Slowenien als Ganzes ebenfalls als Grenzregion angesehen
werden. Ein Beispiel für eine Integration Sloweniens bildet der großregionale Zu-
sammenschluss innerhalb der „EU-Zukunftsregion Adria-Alpen-Pannonia“. Die-
sem freiwilligen Zusammenschluss der „EU-Zukunftsregion“ steht die von der EU
vorgenommene Klassifizierung des Westlichen Balkans als Großregion gegenüber.
Dabei ist letztere explizit im Zusammenhang mit der europäischen Integration der
gesamten Region zu sehen. Diese Integration Schritt für Schritt hat langfristig die
Mitgliedschaft in der EU zum Ziel. Dem gegenüber nutzt die „EU-Zukunftsre-
gion“ das Instrument der Exklusion, der Abgrenzung. So werden die Staaten des
Westlichen Balkans explizit außen vorgelassen, wobei Kroatien und die Vojvodina
aus Gründen historischer Zusammengehörigkeit davon ausgenommen sind. Die
übrigen Staaten des Westlichen Balkans entsprechen aber nicht den impliziten In-
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klusionskriterien der „EU-Zukunftsregion” und generieren die Sorge um eine De-
stabilisierung der gesamten Großregion. Dabei ist der freiwillige Zusammen-
schluss von Regionen und Staaten zu Großregionen eindeutig ein Modell für die
Zukunft. Damit ist nicht die völlige Aufgabe nationalstaatlicher Souveränität im-
pliziert, sondern vielmehr die Bündelung von Kräften auf der Grundlage von Ge-
meinsamkeiten. So zeigt sich, dass viele Grenzen, künstlich gezogen, Regionen
und Menschen voneinander trennen, die z.T. über Jahrhunderte zusammengehör-
ten. Ähnliche, oftmals vom Zentrum differierende, Lebensstandards, Arbeitsbe-
dingungen, kulturelle, sprachliche u.a. Eigenheiten, sowie z.T. enge familiäre,
freundschaftliche oder wirtschaftliche Verbindungen lassen vielerorts die Grenz-
bevölkerung sich den Menschen jenseits der Grenze näher fühlen als der eigenen
Bevölkerung im Landesinneren. Somit liegt in der Öffnung der nationalen Ab-
grenzungen und in der Kooperation innerhalb transnationaler Einheiten letzten
Endes der Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft. So können Defizite gemeinsam
bekämpft und Stärken zusammen ausgespielt werden, um in der globalisierten
Welt u.a. wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu bleiben bzw. zu werden.
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