6
Als wir nach 1-jähriger Vorbereitungs- zeit im Jahr 1996 den ersten thorakosko- pisch gesteurten Eingriff an der Wirbel- säule an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau durchführten, be- traten wir damit kein vollständiges Neu- land. So war die Thorakoskopie seit lan- gem bekannt und ein wesentlicher Be- standteil der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des Brustraums ge- worden. Auch gab es erste Beriche über endoskopische Eingriffe an der Wirbel- säule, die mit den Namen von Regan und Mack im amerikanischen sowie mit dem Namen des Neurochirurgen Ro- senthal im deutschsprachigen Raum verbunden waren [7, 9, 10]. Entspre- chend der fachlichen Ausrichtung der Autoren handelte es sich dabei überwie- gend um die Schilderung von endosko- pischen Verfahren zur Behandlung de- generativer oder anlagebedingter Er- krankungen der Wirbelsäule. Auf dem unfallchirurgischen Sektor begann sich zu diesem Zeitpunkt eine Trendwende in der operativen Behandlung von Wir- belfrakturen abzuzeichnen, die durch ein Loslösen von rein dorsalen Versor- gungskonzepten und der Zuwendung hin zur ventralen Rekonstruktion zer- störter Wirbelstrukturen geprägt war. Der offene ventrale Eingriff war weitgehend standardisiert [4, 6], der Zu- gang jedoch im Verhältnis zum eigentli- chen Operationsgebiet eher ausgedehnt und mit einer entsprechenden Zugangs- morbidität behaftet. Ausgedehnte Zu- gänge mit der damit verbundenen zu- sätzlichen Schädigung der Weichteile und des knöchernen Thorax, ein eng umschriebenes Operationsfeld und das Vorhandensein der Brusthöhle als na- türlich präformierter Operationsraum waren ideale Voraussetzungen für die Einführung eines endoskopischen Ver- fahrens in das Behandlungsspektrum von Unfallverletzungen der Wirbelsäu- le. Die Durchführung derartiger Ein- griffe ist an das Vorhandensein bestimm- ter Strukturen gebunden, wie sie an größeren unfallchirurgischen Zentren als gegeben anzusehen sind. Benötigt wird ein Operationsteam, das sowohl mit den offenen Techniken der Wirbel- säulenchirurgie als auch mit den Beson- derheiten endoskopischer Eingriffe, dem Instrumentarium und der indirekten bildlichen Darstellung des Operations- situs vertraut ist. Unabdingbar ist eine leistungsfähige und innovationsfreudi- ge Anästhesie, die wesentlich zum Ge- lingen des Eingriffs beiträgt. Die zusätz- liche Anordnung von Monitoren, Bild- verstärkereinheit und zusätzlichem Be- atmungsgerät erfordert eine großzügige Bemessung des Operationssaals (Abb. 1). Methode Operationstechnik Der Patient wird wie zum offenen Ein- griff in Seitenlage gelagert. Eingriffe oberhalb Th 8 werden in Linksseitenla- Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 S251 Trauma Berufskrankh 2000 · 2 [Suppl 2]: S251–S256 © Springer-Verlag 2000 Wirbelsäulenverletzungen Rudolf Beisse · Michael Potulski · Volker Bühren Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau Thorakoskopisch gesteuerte Instrumentation an BWS und LWS Dr. R. Beisse Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau, Prof.-Küntscher-Straße 8, 82418 Murnau Zusammenfassung Zwischen Mai 1996 und 1999 wurden 186 endoskopische Eingriffe an der Wirbelsäule zur Behandlung von instabilen Verletzungs- formen und pathologischen Frakturen vor- genommen. Der operative Eingriff an der Wirbelsäule vollzog sich in den klasssichen Schritten der Teilkorporektomie,Wirbelkör- perteilersatz mit einem Beckenkammspan und der Einbringung einer Titanplatte zur Si- cherung der Fusionsstrecke. In 62% der Fälle wurden eine primäre dorsale Aufrichtung und Stabilisierung mit einem Fixateur inter- ne vorgenommen. An schwerwiegenden Komplikationen trat in je 1 Fall eine Leckage der Aorta und ein tiefer Infekt im Span- und Implantatlager auf.Vergleiche mit der Litera- tur zeigten eine dem offenen Verfahren annähernd gleiche Rate von Komplikationen an der Wirbelsäule bei einer auf 1 / 3 reduzier- ten Zugangsmorbidität des endoskopisch operierten Klientels mit entsprechend positi- ven Auswirkungen auf den postoperativen Schmerzmittelbedarf und die Rekonvales- zenz. Schlüsselwörter Minimalinvasive Wirbelsäulenchirurgie · Endoskopisches Zwerchfellsplitting · Verletzungen der Wirbelsäule

Thorakoskopisch gesteuerte Instrumentation an BWS und LWS

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Als wir nach 1-jähriger Vorbereitungs-zeit im Jahr 1996 den ersten thorakosko-pisch gesteurten Eingriff an der Wirbel-säule an der BerufsgenossenschaftlichenUnfallklinik Murnau durchführten, be-traten wir damit kein vollständiges Neu-land. So war die Thorakoskopie seit lan-gem bekannt und ein wesentlicher Be-standteil der Diagnostik und Therapievon Erkrankungen des Brustraums ge-worden. Auch gab es erste Beriche überendoskopische Eingriffe an der Wirbel-säule, die mit den Namen von Reganund Mack im amerikanischen sowie mitdem Namen des Neurochirurgen Ro-senthal im deutschsprachigen Raumverbunden waren [7, 9, 10]. Entspre-chend der fachlichen Ausrichtung derAutoren handelte es sich dabei überwie-gend um die Schilderung von endosko-pischen Verfahren zur Behandlung de-generativer oder anlagebedingter Er-krankungen der Wirbelsäule. Auf demunfallchirurgischen Sektor begann sichzu diesem Zeitpunkt eine Trendwendein der operativen Behandlung von Wir-belfrakturen abzuzeichnen, die durchein Loslösen von rein dorsalen Versor-gungskonzepten und der Zuwendunghin zur ventralen Rekonstruktion zer-störter Wirbelstrukturen geprägt war.

Der offene ventrale Eingriff warweitgehend standardisiert [4, 6], der Zu-gang jedoch im Verhältnis zum eigentli-chen Operationsgebiet eher ausgedehntund mit einer entsprechenden Zugangs-morbidität behaftet. Ausgedehnte Zu-gänge mit der damit verbundenen zu-sätzlichen Schädigung der Weichteileund des knöchernen Thorax, ein eng

umschriebenes Operationsfeld und dasVorhandensein der Brusthöhle als na-türlich präformierter Operationsraumwaren ideale Voraussetzungen für dieEinführung eines endoskopischen Ver-fahrens in das Behandlungsspektrumvon Unfallverletzungen der Wirbelsäu-le.

Die Durchführung derartiger Ein-griffe ist an das Vorhandensein bestimm-ter Strukturen gebunden, wie sie angrößeren unfallchirurgischen Zentrenals gegeben anzusehen sind. Benötigtwird ein Operationsteam, das sowohlmit den offenen Techniken der Wirbel-säulenchirurgie als auch mit den Beson-derheiten endoskopischer Eingriffe, demInstrumentarium und der indirektenbildlichen Darstellung des Operations-situs vertraut ist. Unabdingbar ist eineleistungsfähige und innovationsfreudi-ge Anästhesie, die wesentlich zum Ge-lingen des Eingriffs beiträgt. Die zusätz-liche Anordnung von Monitoren, Bild-verstärkereinheit und zusätzlichem Be-atmungsgerät erfordert eine großzügigeBemessung des Operationssaals (Abb. 1).

Methode

Operationstechnik

Der Patient wird wie zum offenen Ein-griff in Seitenlage gelagert. Eingriffeoberhalb Th 8 werden in Linksseitenla-

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 S251

Trauma Berufskrankh2000 · 2 [Suppl 2]: S251–S256 © Springer-Verlag 2000 Wirbelsäulenverletzungen

Rudolf Beisse · Michael Potulski · Volker BührenBerufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

Thorakoskopisch gesteuerte Instrumentation an BWS und LWS

Dr. R. BeisseBerufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau,Prof.-Küntscher-Straße 8, 82418 Murnau

Zusammenfassung

Zwischen Mai 1996 und 1999 wurden 186endoskopische Eingriffe an der Wirbelsäulezur Behandlung von instabilen Verletzungs-formen und pathologischen Frakturen vor-genommen. Der operative Eingriff an derWirbelsäule vollzog sich in den klasssichenSchritten der Teilkorporektomie,Wirbelkör-perteilersatz mit einem Beckenkammspanund der Einbringung einer Titanplatte zur Si-cherung der Fusionsstrecke. In 62% der Fällewurden eine primäre dorsale Aufrichtungund Stabilisierung mit einem Fixateur inter-ne vorgenommen. An schwerwiegendenKomplikationen trat in je 1 Fall eine Leckageder Aorta und ein tiefer Infekt im Span- undImplantatlager auf.Vergleiche mit der Litera-tur zeigten eine dem offenen Verfahrenannähernd gleiche Rate von Komplikationenan der Wirbelsäule bei einer auf 1⁄3 reduzier-ten Zugangsmorbidität des endoskopischoperierten Klientels mit entsprechend positi-ven Auswirkungen auf den postoperativenSchmerzmittelbedarf und die Rekonvales-zenz.

Schlüsselwörter

Minimalinvasive Wirbelsäulenchirurgie · Endoskopisches Zwerchfellsplitting · Verletzungen der Wirbelsäule

ge, Eingriffe am thorakolumbalen Über-gang und der oberen LWS in Rechtssei-tenlage vorgenommen. Unter Bildver-stärkerkontrolle wird der verletzte Wir-belsäulenabschnitt überlagerungsfreiorthograd auf die laterale Thoraxwandprojiziert und dort auf der Haut mar-kiert.Wichtig sind eine korrekte Projek-tion der einzelnen Wirbelkörper im Hin-blick auf die Rotation und die horizon-tale Ausrichtung. Der erste Zugang fürdie 30°-Winkel-Optik wird in Minitho-rakotomietechnik angelegt, um Verlet-zungen des Lungenparenchyms durchden Trokar zu vermeiden. Ist die ersteTrokarhülse erst einmal gesetzt, könnendie 3 weiteren Zugänge unter videosko-pischer Sicht sicher platziert werden.

In einem weiteren Schritt werdenLandmarken in Form von Schraubenoder Metallclips in oder über den zu fu-sionierenden Wirbelkörpern gesetzt, dieeine sichere Orientierung im Operati-onssitus unabhängig von der Kamera-stellung ermöglichen. Nach der türflü-gelartigen Inzision der Pleura über demfrakturierten Wirbel werden die darü-ber ziehenden Segmentgefäße präpa-riert und mit Titanclips 4fach ligiert unddurchtrennt.Die Teilkorporektomie rich-tet sich nach dem Ausmaß der fraktur-bedingten Destruktion des Wirbelkör-pers. Eine monosegmentale Instrumen-tierung erfordert zur sicheren Veranke-

rung von Schrauben im grundplatten-nahen Bereich des frakturierten Wirbelseine intakte Knochenstruktur von mehrals 1⁄3 der Wirbelkörperhöhe, ansonstenist einer bisegmentalen Fusion der Vor-zug zu geben. Die Resektion des Wirbel-körpers wird mit dem langen Osteotom,Rongeuren oder einer hochtourigenFräse vorgenommen. Die jeweils an-grenzende Bandscheibe wird reseziertund der knorpelige Überzug der End-platten mit einer Kürette abradiert.

Mit der gleichen Technik ist es mög-lich, eine effektive spinale Dekompressi-on vorzunehmen.Hierzu werden die Bo-genwurzel an ihrem Ansatz am Wirbel-körper in kaudal-kranialer Richtung miteiner Stanze durchtrennt und die Hin-terkante unter Sicht auf die Dura nachvorn abgetragen.

Der nach der Teilkorporektomieund Bandscheibenresektion verbleiben-de Defekt wird ausgemessen und mit ei-nem aus dem Beckenkamm entnommentrikortikalen Knochenspan aufgefüllt.Der Span sollte dabei um 1–2 mm höherbemessen sein, um ihn press-fit interpo-nieren zu können. Die Rekonstruktionwird durch die Montage eines annäh-ernd winkelstabilen Titanplattensystemsvervollständigt, um die Einheilung desSpans zu sichern. Darauf kann im Ein-zelfall bei sicher sitzendem Span unddem Vorhandensein einer zusätzlichen

S252 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

Wirbelsäulenverletzungen

R. Beisse · M. Potulski · V. Bühren

Thoracoscopically controlled instrumentation for the thoracicand lumbar spine

Abstract

Between May 1996 and 1999, a total of 186endoscopic spinal operations were per-formed to treat unstable injuries and patho-logic fractures.The operative spinal interven-tions followed the classic sequence of exci-sion of part of a vertebral body, partial re-placement of the vertebral body with boneharvested from the iliac crest, and implanta-tion of a titanium plate to stabilize the partto be fused. In 62% of these cases we per-formed primary dorsal straightening with afixateur interne.The serious complicationswere aortic leakage and deep infection inthe area of the graft and the implant, each ofwhich occurred in 1 case. Comparisons withthe literature showed approximately thesame rate of spinal complications as withopen surgery, while the rate of morbidityconnected with the surgical approach wasreduced to a third in the patient populationtreated endoscopically, with correspondinglypositive implications for the postoperativeanalgesic requirement and for convales-cence.

Keywords

Minimally invasive spinal surgery · Endo-scopic diaphragm splitting · Spinal injury

Abb. 1 m Anordnung des Operationsteams und der Geräte, Seitenlagerung des Patienten [aus 2]

Trauma Berufskrankh2000 · 2 [Suppl 2]: S251–S256 © Springer-Verlag 2000

dorsalen Instrumentierung verzichtetwerden [2, 3].

Zwerchfellsplitting

Gerade der am häufigsten von Wirbelf-rakturen betroffene Abschnitt des thor-akolumbalen Übergangs erschien durchdas in diesem Bereich ansetzende Zwerch-fell lange Zeit als Niemandsland des endoskopischen Zugangs zur Wirbel-säule. Durch die ansatznahe Einkerbungist es möglich, auch die oberen Anteileder Lendenwirbelsäule bis hinab zum 2. Lendenwirbel in eine Fusion einzube-ziehen [1]. Die Instrumentierung des 3. Lendenwirbels erfordert in der Regeldie Anlage eines unterhalb des Zwerch-fells gelegenen Portals, nach der Hautin-zision wird dann digital stumpf retrope-ritoneal präpariert.

Für die Durchführung des Zwerch-fellsplittings werden zunächst palpato-risch und videoskopisch die Vorderkan-te der Wirbelsäule und der Ansatz desZwerchfells an der Wirbelsäule und denRippen identifiziert. Unter Belassen ei-nes etwa 1 cm breiten Randsaums erfolgtdann die Inzision des Zwerchfells mitdem Ultraschallmesser oder dem Präpa-rierhaken unter Verwendung monopo-laren Stroms. Mit einem Präpariertup-fer werden das retroperitoneale Fettge-webe und der Peritonealsack von derFaszie des M. psoas abgeschoben. NachAbschluss des eigentlich operativen Ein-griffs am Wirbelkörper kann das Zwerch-fell mit einem Stapler maschinell ver-schlossen werden. Effektiver und kos-tengünstiger ist die endoskopische Naht,die, fortlaufend oder in Einzelknopf-technik ausgeführt, nach kurzer Zeit sicher und schnell beherrscht wird(Abb. 2, 3).

Erfahrungen und Ergebnisse

Wir überblicken derzeit 186 Eingriffe,die standardmäßig in der oben aufge-führten Technik vorgenommen wurden.Es zeigte sich, dass Eingriffe am unterenAbschnitt der BWS und dem thorako-lumbalen Übergang technisch am ein-fachsten vorzunehmen sind (Abb. 4). Ei-nen höheren Schwierigkeitsgrad weisenEingriffe an der oberen BWS und unter-halb des 1. Lendenwirbels durch die Bedeckung der Wirbelsäule mit demZwerchfell und dem häufig sehr kräfti-

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 S253

Abb. 2 b Zwerchfellsplit bei LWK-1-Fraktur

Abb. 3 a, b b Verschluss durch Stap-lerklammernaht (a) oder endoskopi-sche Handnaht (b)

a

b

Abb. 4 m Verteilungsmuster des Schwierigkeitsgrads endoskopischer Eingriffe an der Wirbelsäule

gen Psoasmuskel auf. Der endoskopi-sche Zugang zur oberen BWS wirddurch mehrere anatomische Faktorenbestimmt und erschwert. Es sind diesinsbesondere der enge Zwischenrippen-raum und die darüber befindliche kräf-tige Muskulatur des Schulterblatts. In-trathorakal schließen sich dann die kräf-tigen venösen Zuflüsse zur V.azygos undoberen Hohlvene an, die über die Wir-belkörper ziehen und sorgfältig präpa-riert und ligiert werden müssen (Abb.5).

Im Vordergrund unseres Behand-lungskonzepts stehen bei instabilen Frak-turen und Verletzungen der Wirbelsäu-le die Wiederherstellung des Profils derWirbelsäule und die anatomisch kor-rekte Aufrichtung des frakturierten Wir-bels als Notfalleingriff durch eine pri-mär dorsale Instrumentierung mit ei-nem Fixateur interne (Abb. 6). Eine Ein-engung des Spinalkanals durch einge-sprengte Hinterkanten und Bandschei-benanteile kann zumeist durch eine do-sierte Distraktion über den längs ver-laufenden Bandapparat beseitigt wer-den. So wurden 62% der Patienten pri-mär dorsal und sekundär zum Zeit-punkt der Wahl von ventral rekonstru-

iert. 1⁄3 der Fälle wurden in Abhängigkeitvom Frakturtyp ausschließlich ventralstabilisiert. Frakturen des Typs B und Cder Klassifikation nach Magerl et al. [8]erforderten ein dorsoventrales Versor-gungskonzept. Die Mehrzahl aller Ein-griffe betraf den thorakolumbalen Über-gang mit 67%. Die Patienten waren zumOperationszeitpunkt zwischen 16 und 75Jahre alt, der Altersdurchschnitt betrug36 Jahre. Über die Hälfte der Verletzun-gen waren höhergradige Frakturen desTyps A. 38% der Patienten wiesen zumZeitpunkt der Klinikeinlieferung einneurologisches Defizit auf. Bei 15% allerPatienten wurde eine ventrale spinaleDekompression erforderlich. Entspre-chend der Häufigkeit thorakolumbalerVerletzungen wurde bei 52% der Patien-ten ein Zwerchfellsplit vorgenommen.Der Verschluss des Zwerchfells gelangproblemlos und führte bisher zu keinenHernienbildungen.

An schwerwiegenden Komplikatio-nen verzeichneten wir in 1 Fall eineLeckage der narbig verzogenen Aorta imRahmen eines Revisionseingriffs (Abb.7). Die Blutung wurde durch direkteNaht nach Thorakotomie und Ausklem-men des Gefäßes proximal und distal

der Läsion behoben. Insgesamt betrugdie Konversionsrate 2,1%.

Einen tiefen Infekt mit Übergreifenauf das Spanlager und das Metallim-plantat beobachteten wir in 1 weiterenFall, ohne den Nachweis der Keimbe-siedlung führen zu können. Hier nah-men wir ein ausgedehntes Debridementmit Span- und Implantatentfernung so-wie den zweizeitigen Wirbelkörperer-satz mit einem Harmskorb und Titan-platte vor. In 4 Fällen kam es zur weitge-henden Resorption des Spans mit nach-folgender Lockerung des Implantats undeinem entsprechenden Korrekturver-lust, der in 3 Fällen zum Anlass eines Re-visionseingriffs genommen wurde. DieRate von Komplikationen, die durch einVersagen des Implantats, eine nicht ein-getretene Fusion oder einen Infekt be-dingt waren, betrug 4,3%. Eine gekam-merte Ergussbildung in der akuten post-operativen Phase wurde 4-mal zum An-lass einer thorakoskopischen Adhäsio-lyse und gezielten Ergussdrainage ge-nommen. Zusammen mit vereinzeltenFällen einer Interkostalneuralgie wurdehier eine zugangsbedingte Morbiditätvon 5,4% errechnet.

Diskussion

Das hier dargestellte endoskopische Ver-fahren ist an unserer Klinik an die Stel-le des offenen ventralen Vorgehens ge-treten. Der zunächst subjektiv vorhan-dene Eindruck einer Verringerung derpostoperativen Schmerzsymptomatikund einer rascheren Erholung des en-doskopisch operierten Patienten wurdedurch die Ergebnisse einer Vergleichs-studie von je 30 offen und endoskopischoperierten Patienten mit einer Wirbel-fraktur erhärtet. In der endoskopischoperierten Gruppe waren sowohl dieDauer der Schmerzmittelapplikation(–31%) verkürzt als auch die Gesamtdo-sis (–42%) des Schmerzmittels deutlichniedriger. Aufschlussreich ist der Ver-gleich mit den Ergebnissen von Facisce-wski et al. [5], der in einer breit angeleg-ten Sammelstudie insgesamt 1223 offeneventrale Eingriffe erfasste. Die Zu-gangsmorbidität durch rezidivierendePleuraergüsse, Interkostalneuralgienund Pneumothorax betrug hier 14% ge-genüber 5,4% in unserem eigenen endo-skopisch operierten Krankengut. Mit0,57% ist die Rate von Infekten in dieserStudie außergewöhnlich niedrig. Sie be-

S254 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

Wirbelsäulenverletzungen

Abb. 5 b a Anatomischer Situs ander oberen BWS, b endoskopischeDissektion der Zuflüsse zur V. azy-gos und oberen Hohlvene

a

a

trägt in unserem Klientel 0,53%. Mit ei-ner Verletzung eines großen Gefäßes bei186 Eingriffen liegen wir deutlich überder von Faciscewski et al. [5] angegebe-nen Rate von 0,08%, können jedoch aufdas Fehlen schwerwiegender neurologi-scher oder letaler Komplikation verwei-sen, die zusammen in einer Häufigkeitvon 0,5% beim offenen Verfahren auf-traten.

Operative Eingriffe am ventralenAbschnitt der Wirbelsäule sind auf-wendig und, aufgrund der besonderenLage der Rumpfwirbelsäule zwischender Aorta und den Strukturen des Spi-nalkanals, mit einem erhöhten operati-ven Risiko behaftet. Daran ändert auchdie Anwendung einer endoskopischen –minimalinvasiven – Technik nichts.Aus-wirkungen waren hier allein im Hin-blick auf die Zugangsmorbidität undmöglicherweise die Infektrate durch dieeng begrenzte Exposition des Operati-onsgebiets zu erwarten. Unsere diesbe-züglichen Ergebnisse zeigen gegenüberder Studie von Faciscewski et al. [5] eine

Reduktion der Zugangsmorbidität auf1/3 bei annähernd gleicher Infektrate,die in dieser Sammelstudie außerge-wöhnlich niedrig ausfiel.Werden die Er-gebnisse anderer Studien berücksich-tigt, die von einer Infektrate zwischen 2 und 8% bei offenen Eingriffen ausge-hen, zeichnen sich auch hier Vorteile desendoskopischen Verfahrens ab.

Das Ziel einer Verringerung der Zu-gangsmorbidität gegenüber den offenenVerfahren konnte durch die Einführungeines thorakoskopischen Verfahrens zurStabilisierung von Verletzungen derWirbelsäule erreicht werden. Die endo-skopische Methode ist durch den Ver-zicht auf jede Osteotomie von Rippenund den Einsatz permanenter Rippen-

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 S255

Abb. 6 b a Versorgungsbei-spiel einer B2.2-Frakturdes 2. LWK mit b primärdorsaler Reposition mit ei-nem Fixateur interne und c nachfolgender endosko-pischer ventraler Fusion LWK 2/3

a

b c

Abb. 7 m a Leckage der Aorta über dem Metallimplantat, b postoperative Angio-graphie mit leichter Einengung der Aorta im Nahtbereich

a b

spreizer gekennzeichnet und wird imWesentlichen über Trokarhülen vorge-nommen.

Weitgehend unbeeinflusst von derWahl des Verfahrens, ob endoskopischoder offen,zeigte sich die Rate von Kom-plikationen, die auf Spaneinbruch, Re-sorption oder Lockerung des sichern-den Implantats zurückzuführen und einIndiz für die noch ungelösten Problemeeines biomechanisch und biologisch ef-fektiven Wirbelkörperersatzes sind. Aufdie besonders hartnäckige Problematikder Zugangsmorbidität im Bereich derBeckenkammspanentnahmestelle sei hierverwiesen. Einige Komplikationen sindauf die nur teilweise verwirklichte Win-kelstabilität der verwendeten Implanta-te zurückzuführen. Während das Pro-blem der Zugangsmorbidität des ven-tralen Eingriffs durch die Anwendungder endoskopischen Technik weitge-hend gelöst erscheint, muss sich sich dasAugenmerk nunmehr auf die Entwick-lung von Knochenersatzstoffen und en-

doskopisch einzubringenden winkelsta-bilen Implantaten richten, um sicherund auf Dauer eine tragfähige Rekon-struktion der vorderen Säule zu erzie-len.

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S256 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

Wirbelsäulenverletzungen