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08 - 2012

Serendipity Magazin Ausgabe 08 2012

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Serendipity - music is our Substitute for life. Magazin über Musik, Lifestyle, Kunst und Kultur.

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08 - 2012No.2

Liebe Leser,

die ersten Vorboten den Winters lassen sich so langsam blicken: Die ersten kalten Tage hatten wir in Deutschland schon und es sollte in-zwischen auch der letzte seine Winterreifen aufgezogen und die dicke Jacke hervorgekramt haben. Wahrscheinlich haben auch nicht wenige von euch schonan Lebkuchen und Spekulatius genascht - die stehen ja auch schon ‚ne Weile in den Regalen und werden schließlich auch nicht besser.

Aber auch bei uns gibt es Vorboten für eine Veränderung: nachdem wir Serendipity vor einem Jahr ins Leben gerufen haben, ist es gewachsen. Die Homepage hat sich mit Inhalt und Ausgaben des ePapers gefüllt und uns kommen immer mehr Ideen, was wir euch gern noch zeigen wollen. Darum basteln wir bereits fleißig an einer neuen Homepage. Und weil sich das ePaper nicht vernachlässigt fühlen soll, bekommt es auch ein neues Gewand, passend zur neuen Seite.

Wir basteln mal ein bisschen weiter und nutzen den grauen Novemberfür den Websiterelaunch und die ein oder anderen frühen Weihnachts-einkäufe.

Viel Spaß mit unserer neuen Ausgabe!

Carolin für Serendipity.

Editorial

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Inhalt

Live

Amanda Palmer – live // C-Club, Berlin 4Radiohead // Wuhlheide, Berlin: Crashkurs der Gefühle 15The Vaccines // Fabrik, Hamburg 2610 Jahre Grand Hotel van Cleef // Trabrennbahn Bahrenfeld, Hamburg: 2002 – The Year Schwachsinn broke 10

AlbenNadeah - „Venus gets even“ 22Troy von Balthazar - „... is with the demon“ 23Patrick Wolf - „Sundark and Riverlight“ 28

Feature

We love Shopping! 7Tonbandgerät 18Meursault 21Satellite Stories 24Isarvorstadt vs. Alkoholfrei 25

Reisen

Holland ist das neue England! 13

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Die Euphorie ist schon wochenlang vor dem 28. Oktober spürbar: „Ausverkauft“ hieß es bereits kurz nach Vorverkaufsstart für das Konzert von Amanda Palmer & The Grand Theft Orchestra im Festsaal Kreuzberg. „Ausverkauft“ hieß es wenig später erneut, nachdem der Auftritt kurzerhand in den größeren C-Club am Columbiadamm verlegt wurde. Und all die Glücklichen, die eine Karte für dieses Konzert ergattern konnten, blicken an eben jenem kalten Herbstabend mit immenser Vorfreude auf die Bühne und bejubeln schon die Supportacts mit einem Elan, einem allgemeinen Glitzern in den Augen, wie man es selten erlebt. Und das, obwohl ein Popkonzert normalerweise nicht unbedingt der beste Ort ist, um reine Streicherarrangements gewinnbringend unters Volk zu bringen. Grand-Theft-Orchestra-Bassist Jherek Bischoff, der sich auch für die Arrangements auf Amanda Palmers fantastischem „Theatre Is Evil“ verantwortlich zeigte, schafft es dennoch, zusammen mit einem Berliner Streicherquartett für vielerlei offene Mün-der und riesige Jubelstürme zu sorgen. Und diese Euphorie bleibt auch bestehen, obwohl zumindest die Musik von The Simple Pleasure, Erstband von Grand-Theft-Orchestra-Gitarrist Chad Raines, einen normalerweise gar nicht sonderlich vom Hocker reißen dürfte. Tief verwurzelt in den Acht-zigern, ständig zwischen Depeche-Mode-Synthies und Queen-Glamrock hin und her changierend,

wissen The Simple Pleasure musikalisch bestenfalls mit der catchy Single „Carnival Of Love“ zu über-zeugen. Dafür aber ist die Bühnenpräsenz, diese besondere Chemie zwischen Chad Raines und Key-boarderin Tamara Chiba sowie die Fähigkeit des Frontmanns, das Publikum zu mobilisieren, umso beeindruckender. „Künstlerisch war das nichts Besonderes, aber die Show war schon geil“, bringt es ein Zuschauer in den mittleren Reihen auf den Punkt.

Mittlerweile ist es schon nach 22 Uhr, als endlich das Grand Theft Orchestra gemeinsam die Bühne betritt und das Konzert mit der „Intermission“ des Albums, einem gewaltigen, zirkushaften Instru-mental beginnt. Die Musik ist laut, der Klang den-noch bombastisch und klar, als Amanda Palmer im Anschluss gleich eine wahre Hitsalve loslässt: Erst das epische „Smile“, dann die beiden Singles „The Killing Type“ und „Want It Back“ – binnen einer Viertelstunde hat die Euphorie ihren Siedepunkt erreicht, die Zuschauer sind völlig aus dem Häus-chen. „We‘re gonna break everything here tonight“ skandiert Palmer in alter Cabaret-Punk-Manier in weiser Voraussicht. Dass aber auch ihr geliebtes Kurt-Weill-Piano nach der heißen Anfangsphase plötzlich den Geist aufgibt und wenig später ei-nem Mädel in den vorderen Reihen von einem zu euphorisierten Nebenmann die Nase gebrochen

Amanda Palmer live im C-Club, Berlin von Sascha Krokowski

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wird – das meinte die Künstlerin mit diesen Wor-ten sicherlich nicht. Glücklicherweise aber hat Amanda Palmer vorgesorgt: Gut, dass die Sängerin ein zweites Piano mit im Tourbus verstaut hat. Und der jungen Dame mit der gebrochenen Nase wird kurzerhand angeboten, dass sie sich mit auf die Bühne setzen darf. Dies lehnt sie zwar ab, aber der Neid der anderen Konzertbesucher (von denen sich einige kurzzeitig überlegen, sich besser auch die Nase brechen zu lassen) und natürlich diese bom-bastische Show lässt die Schmerzen zumindest bis zum nächsten Morgen vergessen.

Wenn man denn unbedingt etwas Negatives in dem Auftritt finden will, dann vielleicht, dass Amanda Palmers Debütalbum „Who Killed...“ viel zu kurz kommt. Mit „Astronaut“ findet sich lediglich ein einziger Song auf der Setlist wieder. Aber Aman-da schafft es auch so, eine zweistündige Show der Superlative auf die Beine zu stellen. Dafür sorgt sie auch mit zwei Songs aus der frühen Dresden-Dolls-Phase: „Girl Anachronism“ klingt mit vollem Bandsound noch viel größer und großartiger, und bei „Missed Me“ veranstalten die Sängerin, Bassist

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Jherek Biscoff, Gitarrist Chad Raines und Schlag-zeuger Michael McQuilken ein irrwitziges Wech-selspiel an den Instrumenten. Spätestens hierbei wird auch endgültig klar, dass alle drei Mitglieder des Grand Theft Orchestras eine jeweils eigene strahlende Aura besitzen, um nicht neben den Präsenz Amanda Palmers zu verblassen. McQuilken bekommt während des Sets auch seinen eigenen großen Moment, als er mit „Magicfuturebox“ einen Song seiner eigenen Band The Few Moments dar-bieten darf.

So reiht sich Highlight an Highlight: Das Berliner Streicherquartett kehrt noch einmal triumphal zu-rück, um das traurig-schöne „Trout Heart Replica“ zu veredeln. Bei „Bottomfeeder“ lässt sich Amanda Palmer in die ohnehin schon wogende Menge fallen und verwandelt sie dank eines viele Quadratme-ter großen Stücks blauen Stoffs an ihrem Kleid in einen kleinen Ozean inmitten des C-Clubs. Und mit ihrer wahnsinnig schönen, nur vom eigenen Piano-spiel begleiteten Coverversion der „Seeräuber-Jen-ny“ aus der Dreigroschenoper überrascht Amanda Palmer auch mit sehr guten Deutschkenntnissen, während sie im Publikum für allerhand Gänsehaut sorgt.

Die triumphalen zwei Stunden beendet das Grand Theft Orchestra noch einmal auf rockige Art, mit

dem an „My Sharona“ angelehnten „Melody Dean“ und einem NDW-Cover, dem schon von den Dres-den Dolls gerne gespielten Grauzone-Klassiker „Eisbär“. Doch damit nicht genug: Zum „Grande Finale“ schnappt sich Amanda Palmer eine kleine Ukulele und spielt auf ihr unplugged und unter-stützt von über tausend Kehlen „Creep“ von Radio-head – nicht einfach auf der Bühne, sondern auf einem Biertresen stehend. Ein würdiger Abschluss eines denkwürdigen Konzerts.

www.amandapalmer.net

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Stuff we lovevon Emily Meyer

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2002 – The Year Schwachsinn broke // 10 Jahre Grand Hotel van Cleefvon Sascha Krokowski

Was passierte nicht alles im Jahr 2002? Der Euro wurde als neue Währung eingeführt, die Jahrhun-dertflut an der Elbe sorgte für Millionenschäden, Gerhard Schröder blieb Bundeskanzler und Sven Hannawald gewann als erster Skispringer über-haupt alle vier Einzelspringen der Vierschanzen-tournee.

Doch all dies ist nichts verglichen mit dem Elend, das die deutschen Musikcharts damals heimsuchte: Der „Ketchup Song“ von Las Ketchup avancierte tatsächlich zur meistverkauften Single des Jahres. Und deutschsprachige Musik? Hinter den streitba-ren Platzhirschen Herbert Grönemeyer, Die Toten Hosen, Die Ärzte und Xavier Naidoo klaffte eine riesige Lücke. Deutschsprachige Musik war aus der Mode, wenn man nicht schon seit Jahrzehnten etabliert war oder eben Xavier Naidoo hieß. Plat-tenlabels machten einen großen Bogen um alles, was nicht auf Englisch singen wollte, denn Wir sind Helden und die perfekte Nachahmungswelle lagen noch in der – wenn auch nicht mehr weit entfern-ten – Zukunft.

Kein Wunder also, dass in dieser Zeit gleich meh-rere, heute nicht mehr aus der Musiklandschaft wegzudenkende Independentlabels gegründet wurden: Das Berliner Label Staatsakt beispiels-weise, das unter anderem für die Alben von Die

Türen, Ja, Panik, Bonaparte und Locas In Love verantwortlich zeigt. Oder aber das Hamburger Label Tapete Records, das neben deutschen Perlen wie Niels Frevert, Samba, Tele, Anajo oder Super-punk auch internationale Künstler wie Downpi-lot, Ezio, Maplewood, Lloyd Cole oder Josh Ottum beherbergt. Und dann gibt es da natürlich noch das Grand Hotel van Cleef, ebenfalls aus Hamburg. Aus der Not geboren, weil sich kein Label für „Du und wieviel von deinen Freunden“, das Debütalbum kettcars, erwärmen konnte. Und längst als Kultlabel schlechthin verschrieen.

Sicherlich, das Grand Hotel van Cleef musste nicht komplett bei Null beginnen: kettcar waren immer-hin die neue Band von Marcus Wiebusch, und im Grunde kann man das letzte ...But-Alive-Album „Hallo Endorphin“ als das nullte kettcar-Album bezeichnen. Und Thees Uhlmanns Tomte hatten immerhin zuvor auch schon mit Element Of Crime getourt und zwei Alben veröffentlicht, und beson-ders „Eine sonnige Nacht“ hatte in Indiekreisen schon eine Menge Staub aufgewirbelt und mit „Korn & Sprite“ und „Wilhelm das war nichts“ zwei wahre Hymnen geboten. Beide Bands hatten also eine Fanbasis, dazu kamen mit kettcars „Du und wieviel von deinen Freunden“ und Tomtes „Hinter all diesen Fenstern“ gleich zum Auftakt des Labels die von Kritikern allgemein als jeweils beste Alben

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titulierten Veröffentlichungen. Da man mit Olli Schulz und der Hund Marie und zudem „Transat-lanticism“, dem Meisterwerk der US-amerikani-schen Indie-Institution Death Cab For Cutie, noch gleich zwei weitere heiße Eisen im Feuer hatte, nahm der Triumphzug seinen Lauf.

Trotz hoher Verkaufszahlen blieb das Grand Ho-tel van Cleef sich aber stets treu und expandier-te kaum, ließ sich gerne den „kleines, verpeiltes Indielabel“-Stempel aufdrücken. Dazu passte auch die Fannähe: Die Newsletter des Labels lesen sich auch heute noch so, als wenn Thees Uhlmann ein zehnminütiges Brainstorming mit sich selbst macht und dies dann einfach unsortiert nieder-schreibt. (Vermutlich liest er sich so, weil er auch genau so geschrieben wird.) Und das altehrwür-dige, zunächst inoffizielle kettcar-Forum erarbei-tete sich über Jahre einen Ruf als Wohlfühlbecken für alle Menschen mit gutem Musikgeschmack. Eine Menge Freundschaften fanden hier ihren Anfang (und nur wenige ihr Ende), es gab exklu-sive Gewinnspiele und ab und an auch Feedback von oberster Stelle. Einige User veranstalteten gar ein gemeinsames Treffen in Hamburg mit Reimer Bustorff und Eric Langer von kettcar.

Vieles hat sich über die Jahre geändert: Thees Uhl-mann heißt jetzt nicht mehr Tomte, sondern spielt

seine Lieder jetzt unter seinem eigenen Namen. Pale, Home Of The Lame und Escapado veröffent-lichten hier ihre Meisterwerke und haben sich mittlerweile aufgelöst. Eine jährlich stattfindende Labeltour mit sechs bis zehn Bands in drei Städ-ten an drei aufeinander folgenden Tagen, das so-genannte „Fest van Cleef“, etablierte sich. Auch das Booking betreibt das Grand Hotel van Cleef mittlerweile selbst, weil es sich trotz der konstant hohen Verkaufszahlen und Chartpositionen der Aushängeschilder kettcar und Tomte sonst nicht fi-nanziell über Wasser hätte halten können. Und das inoffizielle kettcar-Forum wurde zum offiziellen GHvC-Forum und verlor, nicht zuletzt dank Face-book, jegliche Daseinsberechtigung.

Neue Fans wurden gewonnen, einige alte zweifels-ohne dank divergenter Entwicklung aber auch ver-loren. Zum großen Geburtstagsfestival am 26. Au-gust 2012 auf der Hamburger Trabrennbahn waren sie dann aber doch alle gekommen – auch diejeni-gen, deren Verhältnis zum Grand Hotel van Cleef in den Jahren etwas eingerostet war. Denn immerhin bot das Label an diesem Tag nicht nur Auftritte der Platzhirsche kettcar und Thees Uhlmann an, sondern lockte die „alten“ Fans auch durch ange-kündigte Kurzauftritte von Tomte in Originalbe-setzung (Thees, Stemmi, Bodenstein) und der aus dem Kinofilm „Keine Lieder über Liebe“ bekannten

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GHvC-Allstarband Hansen Band um Schauspie-ler Jürgen Vogel am Mikrophon an. Durch diesen Schachzug strömten dann doch mal eben 8.000 Zuschauer zu diesem Event, das zwar nicht voll-ends, aber zumindest weite Strecken begeistern konnte. Die britischen Folkrocker von Young Rebel Set, die Rohdiamanten des Labels, waren der per-fekte Opener bei windigem, kühlen, aber zumin-dest weitgehend trockenen Spätsommerwetter. Die von Thees Uhlmann einst entdeckten Kilians, deren just veröffentlichtes drittes Album das erste auf dem Grand Hotel ist, konnten mit ihren Strokes-Riffs hingegen weniger überzeugen. An Moderator und Pausenclown Bernd Begemann scheiden sich ja eh seit Generationen die Geister. Und die Kurz-auftritte von Tomte und der Hansen Band ließen einen schon sehr in Nostalgie verfallen – aber eben wie angekündigt auch nur kurz. Keine Viertelstun-de dauerten die jeweiligen Sets, und die Hansen Band spielte leider nicht einmal in Originalbeset-zung und mit einem Jürgen Vogel, der offenbar schon wieder alles verlernt hatte, was ihm einst beim Gesangsunterricht beigebracht wurde. Die wirklich guten Auftritte der Thees Uhlmann Band und von kettcar wurden durch zwei nicht wirklich überraschende Überraschungsgäste veredelt: Cas-per kam zum Rap von Uhlmanns „& Jay-Z singt uns ein Lied“ auf die Bühne, im Anschluss wurde dann natürlich noch „XOXO“ des westfälischen Emo-

Rappers gespielt. Und kettcar wurden von Audio-liths Frittenbude besucht, um gemeinsamen deren „Graceland“-Cover/Remix „Raveland“ zu zelebrie-ren. Und als Marcus Wiebusch und Co. den Abend schließlich mit Feuerwerk und Luftschlangen und dem seit einer gefühlten Dekade nicht mehr ge-spielten „Mein Skateboard kriegt mein Zahnarzt“ ausklingen ließen, blieb tatsächlich kaum noch ein Auge trocken.

Letztlich ging daher doch ein Großteil der 8.000 Zuschauer beseelt nach Hause. Und sie alle und auch die Daheimgebliebenen haben seit kurzem die Chance, einige der Highlights immer wieder über die eigene Stereoanlage laufen zu lassen: Am 2. No-vember veröffentlichte das Grand Hotel van Cleef – neben der Deluxe-Edition des kettcar-Debüts – einen Livesampler des Geburtstagsfestivals.

Auf die nächsten zehn Jahre, liebes Grand Hotel van Cleef! Ich werde mit Neugier beobachten, was die Zukunft an Veröffentlichungen, lustigen News-lettern und sonstigen Aktionen bereit hält. Aber nicht mehr aus der ersten oder zweiten Reihe. Hier hinten auf den billigen Plätzen kann man eh viel ungenierter mit Popcorn werfen, wenn einem mal etwas nicht gefällt.

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Holland ist das neue England!von Simone Bauer

Etwas Wehmut liegt über meinen Reisevorberei-tungen. Meine Nachbarin wird nach London reisen, im selben Zeitraum, in dem ich die Niederlande bereise. Ach, London! Du schöne, schöne Stadt.

Doch nicht verzagen! Denn kaum lande ich im Land der Tulpen und des Käses erkenne ich, dass Hol-land und England viele Gemeinsamkeiten haben. Es ist zum Beispiel noch verregneter. Klar, denn das Land ist flach und windig und in wenigen Jahren nicht mehr existent. In Sachen Holzschuhen zahlt Holland zwar gerne zwei Euro in die Klischeekasse ein, dafür sehe ich aber kein einziges Wohnmobil weit und breit. Allerdings gibt es umso mehr Fahr-räder, alle herrlich geschmückt wie Pfingstochsen. Gefahren werden sie zumeist von dünnen, hell-blonden Mädchen. Fast wie die Modebloggerinnen in England. Hach!

Wenn ihr nicht gerade von einem der soziophoben WG-Mitbewohnern in eurer Unterkunft einge-schlossen worden seid, empfehle ich zunächst den Besuch in Hollands zweitgrößter Stadt, Rotterdam. Die Skyline ist dank der Hochhäuser beeindru-ckend. Kleine Mühlchen mit Windrädern findet man hier eher nicht. Der Mix zwischen Traditi-on und Moderne klappt hier also nicht so gut wie beispielsweise in Zürich (ein anderer Käsestaat) … oder in der großen Schwester Amsterdam. Dazu

aber später.

Zunächst stürze ich mich aufs Shoppen, denn Rotterdam bietet das Beste der benachbarten Insel. River Island und New Look sind vielleicht teurer als H&M, haben dafür aber auch schönere Sachen im Angebot. Wer aber etwas billiger wegkommen möchte, sollte sich an den Klamottenladen des Vertrauens halten: Primark. Mit der Metro (Plas-tikstühle in einen Waggon geklebt und dann „U-Bahn“ genannt) zum Beispiel die Linie A Richtung Binnenhof wählen und in Oosterflank aussteigen. Der Laden neben einer Mall sieht zwar innen aus wie eine Müllhalde, bietet aber alles, was das Herz begehrt. Dazu gibt es im Zentrum der Stadt noch die trendige spanische Kette Bershka (hinter dem Rotterdamer Hilton), das schwedische Must-Have Monki und den Amerikaner Steve Madden.

Unweit von Rotterdam finden sich Delft berühmtes Porzellan und Den Haag. Während Den Haag aus-sieht wie eine x-beliebige Großstadt Deutschlands, ist Delft ein süßes kleines Märchenstädtchen, das bekannt für sein Porzellan ist. Für die Hipster den Pro-Tipp: Essen bei Burgerz. Sämtliches auf der Karte ist nachhaltig produziert. Extrem lecker: Aloha Hawaii – ein Chickenburger mit Ananasgla-ze, dazu gebratener Schinken und Fries. Danach einen Absacker im Bebop. Die Holländer lieben

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ihren Jazz, aber den nicht primär. Achtung: Es gibt ganz britisch um eins eine Sperrstunde bzw. letzte Runde!

Am nächsten Tag geht die Reise weiter. Der Zug durchquert schneller das ganze Land als eine deut-sche S-Bahn Berlin durchquert. Vorbei geht es an Haarlem, das wie ein kleines Brooklyn erscheint und einen sehr, sehr großen Schwarzmarkt be-herbergt. Da wollen wir aber nicht hin. Wir wollen nach Amsterdam. Bietet Delft noch den Nordse-estrand, bietet Amsterdam vor allem die Amstel. Dieses süße Gewässer schreit geradezu nach einer Bootsfahrt. Zu empfehlen ist diese bei Nacht – am Tag am besten an Land die Grachten abwandern. Wer etwas für sein Grundwissen tun möchte, be-sucht das Anne Frank Haus und das NEMO, ein wissenschaftliches Museum, das aussieht wie ein großes, grünes Schiff. Nach diesem Input reicht es, an den süßen, schief gebauten Häuschen vor-beizuwandern und sich auszumalen, wo man

gerne einziehen möchte. Man möchte mehr das Großstadtfeeling haben? Bitte sehr, einmal auf die Kalverstraat. Hier drängen sich Touristen zu den-selben Läden, die man schon in Rotterdam leerge-kauft hat.

Natürlich mache ich auch einen Abstecher in das Vergnügungsviertel. Hier lohnt es sich, bei Down-town zu essen. Weniger nachhaltig als bei Burgerz, dafür gibt es dort die perfekten BBQ-Wings und auf großen Bildschirmen Elvis Presley zum Angei-len. Zum Nachtisch geht es zum Süßigkeitenladen Waffle & Candy, wo man sich den Bauch bis zum Schmerzen vollschlagen kann. Übrigens – wer einen guten Starbuckskaffee will, hat nur am Bahn-hof Glück. Und ja, ich mache jetzt keinen Coffee-shopwitz, ich möchte meine zwei Euro nicht in die Klischeekasse werfen … Ist Holland also das neue England? Nein, es ist viel mehr. Holland ist die gan-ze Welt.

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Crashcurs der Gefühle // Radiohead live in Berlinvon Nils Schlüter

Radiohead sind die letzte coole Megaband. Sie brauchen keine übertriebenen Riesenbühnen, um noch so etwas wie Wirkung zu erzeugen. Sie müs-sen auch nicht ihre alten Songs seit bald 20 Jahren immer widerkäuen und sie beantworten die immer größere Zuhörerschar nicht mit immer aufgeblase-nerer Produktion und Bombast, sondern mit Qua-lität.

Radiohead ist eigentlich eine Band, der man – jen-seits des persönlichen Geschmacks – im Grunde nichts vorwerfen kann. Sie ist die wohl kreativste Formation, die England in den letzten 20 Jahren hervorgebracht hat und die sich zu jedem Zeit-punkt gegen Stillstand gewehrt hat. Als „OK Com-puter“ 1997 in allen Jahresbestenlisten die vorders-ten Plätze belegt und sich in kürzester Zeit eine unüberschaubare Anhängerschaft findet, reagiert die Band eher irritiert und zieht sich zurück, um drei Jahre später mit zwei Alben („Kid A“, „Amne-siac“) zurückzukehren, die dermaßen unzugänglich waren, dass viele den Begriff des „künstlerischen Selbstmordes“ in den Mund nahmen. Sie waren auch die ersten namhaften Künstler, die das EMI-Label verließen, als es an einen Investment Fonds veräußert wurde und brachten ihr damals aktuelles Album „Hail to the Thief“ einfach selbst, zu einem von den Käufern zu bestimmenden Preis, unter die Leute - und sie sind eine der ganz wenigen Bands,

die ihr Gutmenschentum nicht bis zur Selbstbe-weihräucherung über alle Kanäle kommunizieren, sondern dieser Haltung etwas grundsätzliches, informatives, selbstverständliches und vor allem glaubhaftes geben. So ist es auch selbstverständ-lich, dass man in der Berliner Wuhlheide zunächst auf zahlreiche Stände von diversen Hilfsorganisati-onen stößt. Die Band maßregelt aber nicht, wie z.B. ein Morrissey, der bei Konzerten den Imbissbuden untersagt, Fleischwaren zu verkaufen: Radiohead machen den Besuchern das Angebot, sich zu infor-mieren und einzubringen.

Und genauso, wie man andere nicht maßregelt, sind auch Radiohead-Konzerte immer ein Füllhorn der Überraschungen und kein langweiliges Best-of-Programm. Ja, generell spielen sie die alten Songs von „OK Computer“ oder von „The Bends“ noch. Auch „Creep“ soll in den letzten Jahren zwei oder drei Mal den Weg in die Setlist gefunden ha-ben, aber für erwartungshaltungsgesteuerte Nost-algiker ist eine Radiohead-Show wirklich nichts. Es gibt keine feste Setlist, die man in Vorbereitung auf ein Konzert schon Mal ergooglen könnte, und so gab es auf dieser Tour über 60 verschiedene Songs zu Hören, von denen in Berlin an den beiden Aben-den etwa 35 verschiedene gespielt wurden.

Das Bühnenbild besteht aus einem riesigen LED-

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Schirm, über selbigem hängen nochmals etwa 20 kleinere LED-Schirme, die die Abende in ein knall-buntes Farbenmeer tauchen und immer wieder detailliert aufzeigen, was die sechs Musiker (Radio-head werden live von einem zweiten Schlagzeuger unterstützt) da eigentlich treiben. Das Publikum ist euphorisch und entspannt und überhaupt habe ich bislang auf keinem Konzert so viele verschie-dene Sprachen gehört, wie sich hier eingefunden haben. Radiohead nehmen uns an diesen Abenden mit auf einen Crashkurs durch die Gefühlswelt und der Sinne. Wie perfekt diese Band klingt. Wie ansteckend die Spielfreude auf der Bühne ist. Wie beeindruckend es immer wieder ist, zuzusehen, was Jonny Greenwood an seinen zahlreichen In-strumenten und Gerätschaften treibt. Wie in die Musik vertieft sein Bruder Colin sich zwischen den beiden Schlagzeuggebirgen fast versteckt. Wie galant Ed O’Brien am linken Bühnenrand agiert und überhaupt, wie die beiden Schlagzeuger Phil Selway und Clive Deamer sich, wie ein perfekt

aufeinander abgestimmtes Uhrwerk, begeistert durch das Repertoire arbeiten. Wie Thom Yorke tanzt und strahlt und erzählt, wie er auf sympa-thische Art die Security auffordert, nicht gegen die Fans vorzugehen, nur weil sie Kameras in der Hand halten und ausdrücklich auch filmen gestattet, wie Jonny Greenwood sich bei einem Song, (als sei es das selbstverständlichste der Welt) an ein drittes Schlagzeugkit setzt. Wie an einem Abend Björks ‚Unravel’ angestimmt wird. Wie man sich auf die Gitarrenausbrüche bei Songs, wie „There There“ diebisch freut und dann, wenn der Moment kommt, trotzdem sprachlos, staunend und ergriffen da-steht, weil der Sound / das Licht / die Euphorie noch so viel intensiver ist, als man es sich hätte vorstellen können. Wie sich ruhige und ergreifende Momente, wie bei „Videotape“, „Nude“ und „Give up the Ghost“ mit neuen und noch unveröffentlich-ten Songs („Supercollider“, „Ful Stop“) abwechseln und die jeweils 15.000 Besucher fast inne halten. Wie immer wieder neues Instrumentarium auf die

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Bühne gerollt wird für einzelne Songs, wie Jonny Greenwood seine Gitarre auch mal mit dem Gei-genbogen spielt, oder mit Thom Yorkes live ge-sungener Stimme Sample-Schindluder treibt und und und… Es sind zahllose Momente, die in Sum-me zwei fantastische Abende ergeben, die keine „Greatest Hits“-Veranstaltungen sind, sondern die vielleicht beste Band der Welt auf dem scheinbar seit Jahren anhaltenden Höhepunkt ihres Schaffens zeigt und die Songs der Alben ab „Kid A“ von 2000 in den Mittelpunkt stellt und nur kurze Ausflüge in die 90er Jahre gestattet. Ja, es wird sogar an beiden Abenden „Paranoid Android“ gespielt und mit „Pla-net Telex“ gibt es sogar einen Song vom 95er Album „The Bends“, aber das Gros der ausgewählten Songs entstammt eben den neueren Werken – und die entfalten live noch mal eine ganz andere Wirkung, als dies auf den Tonträgern der Fall ist. Absolut dynamisch, energisch und ergreifend.

Dabei geben Radiohead all diesem Tun immer et-was selbstverständliches. Kein Frontmann, der sich zum Mitklatschkasper macht, oder sich halb aus-ziehen muss, um die Menschen zu begeistern. Kei-ne spackigen Gitarren-, Schlagzeug- oder sonstwas – Solis, keine Videoclips, die auf überdimensionier-ten Leinwänden laufen und auch keine Feuerspu-cker, Tänzereinlagen, 5000 Kostümwechsel, oder was es sonst schon alles an überflüssigem Blödsinn auf Musikbühnen gegeben hat. Hier zählt, was die Gruppe gemeinsam erschaffen hat und Abend für Abend aufs Neue erschafft. Die letzte coole Mega-band.

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Liebes Tonbandgeräet, von Silvia Maraun

Ein Jahr ist es nun her, dass ich im November in der Hamburger Astra-Stube, einem kleinen Eck-club unter einer S-Bahnbrücke an der Strese-mannstraße, ein Konzert der Band Tonbandgerät sah.

Tonbandgerät waren mir nicht unbekannt, so kannte man sie in Hamburg schon seit Jahren von Auftritten eben solcher Größenordnung (wieviele Menschen passen in die Astra-Stube? 100, 120?) und stets wünschte man sich, diese Band möge endlich einmal vor ganz ganz vielen Menschen spielen und endlich bitte bitte eine Platte raus-bringen - wir hatten die Tetris EP und einige Live-Aufnahmen, aber wir sehnten uns nach „richtigen“ Aufnahmen. Für Mixtapes. Für laut hören. Fürs Herz. Nun, ein Jahr später, ist es passiert: Ton-bandgerät haben das Knust ausverkauft (Füllmenge ungefähr 5x so hoch wie in der Astra-Stube – und ich habe kein Ticket mehr bekommen, weil‘s so rasend schnell ging), Tonbandgerät haben in Gerne Poets einen tollen Manager gefunden, Tonbandge-rät waren wochenlang auf Platz 1 der N-Joy Charts, Tonbandgerät haben den New Music Award gewon-nen und Tonbandgerät bringen in 2013 endlich ihr Debüt-Album heraus. Booya!

Rein zufällig erinnere ich mich allerdings speziell an diesen Auftritt im November 2011 noch beson-

ders gut: Ich bin den ersten Tag seit 4 Jahren wie-der Single, ich bin den ersten Tag in meinem neuen Kleid mit Pony-Print unterwegs, ich bin das erste Mal seit langem wieder mit meinem besten Freund auf einem Konzert. Ich stehe vor der Aufgabe, mein Leben neu zu ordnen, mir ein neues Zuhause zu suchen und irgendwie auch, nun ja, eine neue Per-son zu werden. Allein zu stehen. Ich erinnere mich daran, wie ich versuche, fröhlich zu sein, während alles in Scherben liegt, wie ich lächeln will, beson-ders laut lachen, und wie dieses Lachen bei „Und im eigenen Leben verläuft sich‘s immer noch am besten“ auf dem Boden zerschellt. Wie ich schließ-lich bei den Zeilen „Sag, du liebst mich noch / Sag, du brauchst mich noch / Ein bisschen / Sag, du hörst mich noch / Sag, du siehst mich noch / Von weitem“ leise weinend in den Armen meines besten Freundes zusammensacke. Ein Kuss auf die Stirn, ein weiteres Bier. Ich wusste damals nicht, was aus mir wird, aus meinen Plänen, meinem Leben, aus mir und meinem Herzen, und die Zeile „Bitte lass mich nicht mit dieser Welt allein“ ging raus an alle – den Ex-Freund, den besten Freund, alle Men-schen um mich herum. I need all the friends I can get.

Ein halbes Jahr später stehe ich wieder an genau dem Ort: Die Astra-Stube unter der S-Bahnbrücke, Tonbandgerät auf der Bühne – es ist der 5. Band-

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geburtstag und die Band hat Kuchen mitgebracht. Es ist der gleiche Ort, die gleiche Band, die glei-chen Songs. Nur ich bin anders. Ich bin ein glück-licherer Mensch geworden, habe alles erreicht, was ich in der letzten Zeit erreichen wollte, habe ein neues Zuhause gefunden, bin mit einer tollen Freundin da, die mir über all die Jahre die Treue gehalten und so manche Herzensträne getrocknet hat, ich bekomme Kuchen und fühle mich zufrie-den. Dieser Moment, die Zeile „Bitte lass mich nicht mit dieser Welt allein“ - die heute rausgeht an niemand(en), weil es gut zu wissen ist, dass man es auch allein schafft - machen mir deutlich, wie sehr, wie schnell sich alles geändert, verbessert hat. Ich werde Tonbandgerät stets mit dieser Zeit des Wan-dels in meinem Leben in Verbindung bringen, im-mer wieder erstaunt darüber, wie sehr Musik hel-fen und heilen und aufzeigen kann und auch, wie sehr die Texte von Tonbandgerät ohne Alter eine

Allgemeingültigkeit ausdrücken: Sicher trennen mich und die Band einige Jahre und einige Leben-setappen, dennoch finde ich mich in diesen Texten so sehr wieder. Die Band besingt keine Probleme der Jugend, keine Abiturienten-Probleme, nicht die Probleme derer, denen die Welt noch offen steht – sie hat eine Sprache gefunden, in der es im Leben immer um Abschluss, Neuanfang, sich finden, sich verlieren und um die manchmal nicht in Worte fassbaren Gefühle geht, die es nötig machen, sie in Bilder zu verpacken, um sie greifbar zu machen: „Du bist, was du isst, demnach bin ich nicht inter-essant / Ich kauf bei dir immer nur Brötchen / Und zahl mit Flaschenpfand.“ / „Du siehst mitgenom-men aus / doch keiner da / der dich mitnimmt / au-ßer dem Wind und deinem Rad / und was dir so der Tag bringt.“(aus „Superman“, früher: „Bruder Ben“) oder „Aus diesem Boot kommen wir nicht mehr raus, wär auch bescheuert so gesehen, auf dem

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offenen Meer ohne Boot da zustehen.“(aus „Ozean“) können wir lebenslang auf Rucksäcke schreiben und in Parkbänke ritzen. „Und heut Nacht hab ich erkannt / wir haben nicht mehr viel gemeinsam / außer dass wir irgendwann / dem selben Zeug zusahen / Ich werd mich erinnern / wer wir wa-ren / und du nimmst dir ein Taxi und ich nehm die Bahn.“ (aus „Hirngespenster“) - solang der Wandel Teil von allem ist, können Tonbandgerät berühren. Immer rastlos, niemals ratlos.

In den letzten Monaten waren Tonbandgerät all-gegenwärtig: Auf dem Knust-Geburtstag, beim Reeperbahnfestival, auf Open-Air-Bühnen und in Clubs über das Land verteilt. Allgegenwärtig auch die Menschen in den ersten Reihen, die selig, fast verstrahlt, mit leuchtenden, fast verliebten Augen das Geschehen auf der Bühne bestaunen. Denn abgesehen von den inneren Werten der Musik sind

die vier Tonbandgeräte auch ein entzückender An-blick auf der Bühne:

Ich werde stets zurück denken an diesen Moment im November, in dem mein Leben durcheinan-der geriet, und diesen Moment im April, an dem Tonbandgerät mir komprimiert in einer Zeile auf-zeigten, was in der Zwischenzeit passiert war. 6 Monate, 8 Worte, und jetzt schon wieder ein Jah-reswechsel vor der Tür: 2013 wird das Jahr von Tonbandgerät. Und meins.

„Und ich weiß nicht, was ewig heißt. Aber ewig ist nicht länger als ein Leben. Und ich wollte nur, dass Du weißt: Es ist viel zu schön um aufzugeben.“ (50 Jahre Salmix)

www.musikvomband.de

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Meursaultvon Silvia Maraun

„Hör dir bitte Meursault an, sobald du aus dem Ur-laub zurück bist,“ texte ich einem Freund, weil ich glaube, dass er das mag. Weil er Bon Iver mag, weil er Mumford & Sons mag, weil er Admiral Fallow, Two Gallants und Damien Rice mag. Und weil mich Meursault an all das ein bisschen erinnert, auch, wenn es von allem nie genug hat, um einen wirkli-chen Vergleich zu rechtfertigen, sondern einfach: Das Gefühl, die Atmosphäre, das Drumgeherum.

Meursault kommen aus Schottland und haben Anfang Oktober ihr drittes Album „Something for the Weakened“ herausgebracht. Es ist organischer als seine Vorgänger, zu sagen, es wäre „weniger elektronisch“ wäre wohl eine Fehlinterpretation, denn auf „Something for the Weakened“ findet sich im Grunde nichts, was man mit „elektronisch“ in eine Schublade stecken würde. „Something for the Weakened“ ist extrem vielschichtig und es ist nicht übertrieben zu sagen: Mit jedem Anhören fin-det sich eine neue Zeile, ein neuer Ton, eine neue Kleinigkeit, so, dass das Album mit jedem Hören wächst – an Größe und ans Herz.

Ähnlich verhält es sich auch beim Meursault-Kon-zert in der Hamburger Astra-Stube: Vielschichtig ist das Konzert, in jeder Hinsicht. Die Setlist ist eine Mischung aus neuen und alten Songs, in der

Umsetzung derart gestaltet, dass sie ein stimmiges Gesamtwerk ergeben, ohne, dass es zu durchdacht oder gestellt wirkt. Die Songs fließen, eins passt zum anderen und scheint nur als logische Konse-quenz aus dem Vorhergegangenen. Dennoch: Ein wenig verstörend ist das, was da auf der Bühne passiert allerdings, was ausschließlich der Bühnen-präsenz von Sänger Neil Pennycock geschuldet ist. Denn selbst unter den ruhigen Songs liegt eine Art unterschwelliger Aggressivität, etwas Rohes unter dem Schönen, das den Anwesenden im Publikum Respekt einflößt. Mit jedem Song, mit jedem Ton, zieht Neil Pennycock das Publikum mehr in die Musik hinein, raus aus der Realität, und zum Ende hin stehen die meisten ein wenig verloren und aus-gelaugt, aber glücklich im Raum herum.

Meursault sind ein Phänomen. Eine Band, mit der man sich befassen sollte, anstatt sie nur zu hören, denn erst dann entfaltet sich das ganze Spektrum der Schönheit hinter der Musik.

www.meursaultmusic.com

08 - 2012No.22

Nadeah - “Venus gets even“ von Silvia Maraun

„Venus gets even“ ist ein interessanter Titel für ein Album und interessant ist auch das Cover: Eine Frau im Mantel mit Pelzkragen, die gerade schrei-end mit einem Spielzeugauto im Sinkflug eine ima-ginäre Stadt (oder so) zerstört.

Hält die Platte, was das Drumherum verspricht? Schon. Der Großteil der Platte hat einen souligen, schmissigen Touch und erinnert in Schrägheit und Retro-Anleihen ein wenig an Miss Li (die wir übri-gens großartig finden). „Venus gets even“ animiert dazu, endlich ein Charleston-Kleid anzuschaffen, und wenn es nur für die Sonntagnachmittage beim Putzen mit dem Staubwedel in der Hand ist – ein Charleston-Kleid würde unsere Lebensqualität enorm erhöhen! Nadeah hat einige Highlights auf dem Album, so zum Beispiel „Ain‘t got time“ und „At the Moment“, jedoch muss man leider auch gestehen, dass ein gewisser Nervfaktor auf Album-länge nicht verkennbar ist – so originell und toll das alles ist, in der Länge strengt es etwas an. Den-noch: Auf der Female-Singers-for-Putzsonntage steht „Venus gets even“ ganz weit oben.

www.nadeah.com

08 - 2012No.23

Troy von Balthazar - “... is with the demon“von Silvia Maraun

Troy von Balthazar ist Hawaiianer und lebt in Ber-lin. Er ist ein Virtuose des Lo-Fi und hat gerade mit „...is with the demon“ sein drittes Studioalbum veröffentlicht.

„... is with the demon“ ist, wie es dem Lo-Fi-Genre innewohnt, ein ruhiges, minimalistisches Album, welches jedoch durch seine Feinheiten besticht. Das Klavier bei „Tiger vs. Pigeon“, die Schwere in „About being hurt“, die wispernde Ruhe in „Tropi-cal“ - Troy von Balthazar präsentiert ein gelunge-nes dunkles Album ohne große Stimmungsschwan-kungen, genau so, wie es in diese Jahreszeit und unsere Gemüter passt.

www.troyvonbalthazar.net

08 - 2012No.24

Satellite Storiesvon Silvia Maraun

Im September haben die gerade so volljährigen Finnen von Satellite Stories ihr Debüt-Album ver-öffentlicht, welches auf den schönen Namen „Phra-ses to break the Ice“ hört. Die 10 Songs auf dem Al-bum klingen irgendwie alle recht, ähm, gleich, aber das macht eigentlich nichts, denn sie sind alle gut. Es ist Musik zum Tanzen, Musik zum Rumspringen, Musik zum Glücklichsein.

Das zeigt sich auch beim Konzert der Satellite Stories im Hamburger Molotow (deren Sänger sieht übrigens ein bisschen aus wie Mika Häkkinen in schlechtem 80er-Outfit, was ihn aber nicht weni-ger charmant macht): Der Laden ist brechend voll, und alle springen und tanzen ohne Rücksicht auf Verluste. Die Satellite Stories wirken nach etwa der Hälfte ihres Sets bereits ein wenig müde (Moment, oder bin ich das?), spielen aber wacker noch zu Ende und geben bereitwillig Zugaben.

„Phrases to break the Ice“ ist ein schöner Start in eine Band-Karriere und live haben die Jünglinge auch wirklich was drauf; für das Nachfolge-Album wünsche ich mir jedoch ein wenig mehr Vielfalt und Experimentierfreude.

www.satellitestories.com

08 - 2012No.25

Isarvorstadt vs. AlkoholfreiSilvia Maraun über Simone Bauer

Simone Bauer hat gerade ihren 2. und 3. Roman veröffentlicht. „Isarvorstadt“, eine Geschichte über Rich Kids in München mit Zielgruppe „alle“, und „Alkoholfrei“, ein Jugendbuch darüber, dass man lernen sollte, das eigene Leben nach den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu leben.

Ich habe beide Bücher mit großer Freude gelesen, schon, weil ich mich in Simones Schreibstil wie-derfinde, in ihren Protagonisten, die ins Aquarium gehen oder Glee schauen, wenn sie traurig sind, und laut singen, wenn sie glücklich sind.

„Isarvorstadt“ ist eine verworrene Geschichte mit vielen Wendungen in der Handlung, über die ich eigentlich kaum etwas sagen möchte, aus Angst, zu viel zu verraten – nur so viel: Ich habe dieses Buch in wenigen Tagen durchgelesen, weil es wirklich spannend war und die Protagonisten untereinan-der so sehr verstrickt, dass es absolut nicht abseh-bar war, wie die Geschichte ausgeht.

„Alkoholfrei“ war mir ein wenig fremd – es geht um ein Mädchen, dass sich dem Gruppenzwang des Alkoholkonsums entzieht und über einen Jun-gen, in den es sich verliebt, Zugang zu einer neuen Welt und einem neuen Selbstbewusstsein findet, welches sie dazu bringt, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es sich zu sein wünscht. Zwar konnte ich mich dahingehend mit Emma identifizieren, dass ich ihre Grübeleien und Gefühle und Probleme mit dem eigenen Lebensentwurf vs. Lebensentwurf im Sinne der Eltern nachvollziehen kann, jedoch gab es in meiner Jugend nie diese Cliquenwirtschaft, diesen Gruppenzwang, diesen Drang, dazuzuge-hören oder cool sein zu wollen – daher gilt hier: Innenleben der Personen verstanden, weil gefühl-voll und allgemeingültig beschrieben, in die Um-stände konnte ich mich jedoch nicht so einfühlen und hätte dieses Buch daher, wenn es nicht von Simone gewesen wäre, wohl auch nicht gelesen. So hat es mir aber dennoch sehr gefallen, auch, wenn es mich mit einem „Bitte noch einmal jung sein“-Gefühl mit Glee ins Bett geschickt hat.

08 - 2012No.26

The Vaccines // Fabrik, Hamburgvon Silvia Maraun

Ich habe ewig auf The Vaccines gewartet. Genauer gesagt, 16 Monate, nämlich, seit sie ihren Auftritt beim Hurricane Festival in Scheeßel abgesagt hat-ten, weil wegen verpasstem Flieger und so. 16 Mo-nate, in denen ich fast zwei ganze Kinder zur Welt hätte bringen können, in denen ich eine einjährige schulische Sprachenausbildung hätte machen kön-nen und noch Urlaub hintendran, oder in denen ich vier Mal den Erdball hätte umrunden können, wenn ich in jedem Monat 10000 km gelaufen wäre.

Von all dem habe ich nichts gemacht, aber dennoch freue ich mich, dass The Vaccines und ich es nun endlich zum selben Ort zur selben Zeit geschafft haben.

Die Fabrik ist voll und The Vaccines starten um Punkt 22 Uhr sehr dynamisch und überzeugend ihr Set. Das Publikum (mostly Männer Anfang bis Mitte 20, die abgehen wie auf Speedzäpfchen) ist von Anfang an dabei, Songs wie „Wreckin‘ Ball“, „Teenage Icon“ und „Wolf Pack“ hauen rein und machen furchtbar viel Spaß. Es drängt sich der Gedanke auf, dass diese Band ganz ganz groß wer-den wird, Stadien füllen wird, weil die musikalisch wirklich was drauf haben, super energiegeladen rüberkommen und die Songs einfach toll sind (so toll, dass man über die Jeansweste des Gitarris-ten ausnahmsweise hinwegsehen kann) – bis nach

etwa 30 Minuten schlagartig die Luft raus ist. So-wohl Band als auch Publikum lassen abrupt nach, beim Song „Blow it up“ wirkt Sänger Justin Young ein wenig so, als habe man ihn gezwungen, zum wiederholten Male das Periodensystem auswendig aufzusagen, das Publikum wippt müde mit dem linken großen Zeh. Es lässt sich nicht genau fest-machen, woran es eigentlich liegt – hat das Publi-kum keine Kraft mehr zum Springen und wirkt sich dies auf die Spielfreude der Band aus? Ist die Band müde und das Publikum zieht mit? Wechselseitige Emotionsverquickung? Fakt ist: Die Aufmerksam-keit auf beiden Seiten lässt nach, und auch die Hits „Post Break-Up Sex“ und „If you wanna“ können die Magie der ersten Augenblicke nur leidlich wie-der aufleben lassen. Als die Frage nahe liegt, ob es die Perfomance an dieser Stelle aufwerten würde, wenn die Band sich ausziehen und nackt weiter-spielen würde, beenden The Vaccines ihr Set nach 45 Minuten und kehren nur für eine kurze Zugabe zurück. 23:03 Uhr – und alles ist schon wieder vor-bei.

Der Gedanke, dass ich in den letzten 16 Mona-ten 11.686 Vaccines-Auftritte hätte sehen können, stimmt mich irgendwie nachdenklich.

Homepage: www.thevaccines.co.uk

08 - 2012No.27

© Leon Diaper

08 - 2012No.28

Patrick Wolf - “Sundark and Riverlight“von Emily Meyer

„Sundark and Riverlight“ ist ein Best-Of-Album. Die haben ja eher einen schlechten Ruf. Geld-schneiderei, braucht kein Mensch, warum sollte ich das kaufen, kann ich selbst zusammenstellen, aber natürlich, es ist bald Weihnachten, da benötigt man ja ein Best-Of. Und Frank Turner hat schließlich auch gerade eins gemacht.

Stimme in allen Punkten zu. Best-Ofs sind in der Regel war für Hardcore-Fan-Freaks, die auch Pos-ter an der Innenseite der Schranktür verstecken und von jedem Song noch das Datum wissen, an dem er in des Autors Kopf als Idee geboren wur-de. Oder für Leute wie mich: Ich fand Patrick Wolf immer irgendwie gut, hatte aber nie recht Zeit/Lust/Muße, mich richtig mit ihm zu beschäftigen. So kam mir nun „Sundark and Riverlight“ gerade recht.

Es findet sich ein Querschnitt durch 5 Alben und 5 Eps. Bei Patrick Wolf macht das bedingt Sinn, denn die meisten seiner Alben folgen einem be-

stimmten Konzept und Aufbau. So nimmt solch ein Querschnitt den Songs vielleicht ein Stück weit ihre Daseinsberechtigung, aber auf der anderen Seite gibt er ihnen auch einen Mehrwert: Er gibt ihnen die Chance, unabhängig von ihrem Umfeld allein zu stehen und zu wirken.

Für mich als Laien funktioniert das sehr gut: Kon-zeptalben schrecken mich ab, aber einzeln anei-nandergereiht freue ich mich auf „Sundark and Riverlight“ über den Klavierpart bei „Bitten“, die zarten und bombastischen Klänge von „Wind in the Wires“ und singe mit bei „The Magic Positi-on“ - und dieses Best-Of hat, für mich, den meiner Meinung nach besten aller Gründe für ein Best-Of erfüllt: Ich habe nun Lust, mich mit den einzelnen Alben zu befassen.

So soll es doch!

www.patrickwolf.com

08 - 2012No.29

Mono - „For my Parents“von Christian Müller

Wenn die Nadel der eingepressten Rille folgt, sich die ersten Töne ergeben und aneinander reihen, Songstrukturen entstehen, dann stellt sich ein Ge-fühl des Aufbruchs ein - ein Aufbrechen, um seinen letzten Gang anzutreten, der letzte Weg der nun gegangen werden muss, den jeder Mensch gehen muss. Verzweiflung und Trauer stecken in jedem einzelnen Song. Wenn man genau hinhört, kann man den Schnee fühlen und diese Kälte, die einem bei jedem Schritt ins Gesicht weht. Diese Band fängt einen ein, man kann nicht anders als sich zu verlieren. Die Zeit die vergeht, der Weg der gegan-gen wurde. Die Platte endet, lässt einen zurück in dieser Landschaft voller Klänge und Töne, doch ist da dieses eine Gefühl sich wieder und wieder auf den Weg zu machen. Diese Leere, die sich nach dem Hören ergibt ist so verzweifelt. Ich werde diesen Weg noch einmal gehen und ich glaube, dass wird auch nicht das letzte Mal sein.

www.monoishere.commonoofjapan.bandcamp.com

08 - 2012

Herausgegeben von Silvia Maraun und Carolin Pröger. www.serendipity-magazin.de